Wer glaubt, Europapolitik sei eine Angelegenheit von abgebrühten Bürokraten im gesetzten Alter, der sollte sich einmal mit Gunther Krichbaum unterhalten - einem Mittvierziger mit fröhlichem Lachen und einer Europabegeisterung, die ansteckend wirkt. Etwa, wenn er von der grenzenlosen EU schwärmt, in der "vor allem junge Menschen in beruflicher Hinsicht gigantische Chancen" haben. Oder wenn er an die Schulen appelliert, "die neuen Möglichkeiten zu nutzen und auch mal Klassenfahrten nach Bukarest oder Sofia zu unternehmen".
Seit Juni 2007 ist der CDU-Abgeordnete, der im Bundestag den Wahlkreis Pforzheim/Enzkreis vertritt, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Das Amt hat er von seinem ehemaligen Fraktionskollegen Matthias Wissmann übernommen, als dieser im Mai 2007 an die Spitze des Verbandes der Automobil-Industrie wechselte.
Fast scheint Krichbaum selbst ein wenig erstaunt über seine rasante politische Karriere. Im September 2002 gewann der Newcomer in seinem Wahlkreis gegen Ute Vogt, die Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg, ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag. Sein Wunsch, Mitglied des Europaausschusses zu werden, erfüllte sich prompt. Dort war er zunächst Länderberichterstatter für Rumänien, später kamen Bulgarien, das Kosovo und Serbien hinzu.
Den osteuropäischen Ländern fühlt sich der Schwabe immer noch verbunden, auch wenn er sich ihnen nun nicht mehr so intensiv widmen kann wie vorher. Als Ausschussvorsitzender hat er andere Aufgaben. Näher dran an Brüssel, so lautet die Devise des Juristen, der vor seiner Wahl in den Bundestag als selbstständiger Wirtschaftsberater tätig war.
Die Arbeit des Ausschusses will er enger mit den EU-Institutionen verzahnen, einen regelmäßigen Mitarbeiteraustausch hat er bereits initiiert. Er selbst reist alle paar Wochen in die EU-Hauptstadt - gerne auch ohne fixes Programm in der Tasche. "Manchmal ist es viel informativer, die Kollegen auf den Fluren zu treffen oder sich mit ihnen bei einer Tasse Kaffee in der Cafeteria zu unterhalten", so Krichbaum. "Da erfährt man Hintergründe und kann auch die eigenen Anliegen wirksam einbringen."
Krichbaums Amtsführung und sein verbindliches, entgegenkommendes Auftreten passen in eine Zeit, in der der Bundestag zunehmend versucht, die europäische Politik konstruktiv mitzugestalten und auf Entscheidungen in Brüssel im Vorfeld einzuwirken. Seit Februar 2007 unterhält das deutsche Parlament in der EU-Hauptstadt ein eigenes Verbindungsbüro mit mehreren Mitarbeitern, das die neuesten Nachrichten nach Berlin übermittelt und als eine Art Frühwarnsystem funktioniert - eine großartige und lange überfällige Einrichtung, findet Krichbaum.
In letzter Zeit kamen die beunruhigenden Meldungen allerdings weniger aus Brüssel als vielmehr aus den eigenen Reihen. Und zwar ausgerechnet zu Krichbaums liebstem Kind, dem Vertrag von Lissabon, der unter der deutschen Ratspräsidentschaft zustande kam und die gescheiterte Europäische Verfassung ersetzen soll. Weil Krichbaums Fraktionskollege Peter Gauweiler (CSU) sowie die Linksfraktion im Bundestag durch den EU-Reformvertrag den Fortbestand der deutschen Souveränität in Gefahr sehen, zogen sie vor das Bundesverfassungsgericht, das derzeit in dieser Sache verhandelt.
Krichbaum, selbst überzeugter Verfechter des Vertragswerks, kann die Argumentation der Kläger nicht nachvollziehen. Für ihn bedeutet es eine Stärkung der Bedeutung sowohl des Europäischen Parlaments als auch der nationalen Volksvertretungen und eine dringend notwendige Neuordnung und Straffung der jeweiligen Zuständigkeiten.
Er gibt sich daher optimistisch, was den Ausgang des Verfahrens betrifft. Selbstverständlich, so Krichbaum, wolle er dem Urteil Karlsruhes nicht vorgreifen, "das gebietet schon der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht". Um mit einem gewinnenden Lächeln hinzuzufügen: "Aber ich glaube ganz sicher, dass es Ja sagen wird zum Vertrag von Lissabon."