EU-Finanzpolitik
Jeanne Rubner will mit ihrer Analyse keine Vorurteile bedienen
Einen Warnhinweis schickt die Autorin vorneweg: Vorurteile über Brüssel werde sie gerade nicht bestätigen. Neuer Skandalstoff für die verbreitete Überzeugung, die EU befinde sich im Griff von Korruption und Lobbyisten, findet sich in diesem Buch nicht. Gewiss, Jeanne Rubner spart nicht mit einschlägigen Beispielen vom Absahnen beim Satellitenprogramm Galileo über Günstlingswirtschaft im Brüsseler Apparat und falsche Abrechnungen bis hin zum Erschleichen von Subventionen bei der Agrar- und Regionalförderung. Solche Affären wurzeln natürlich auch in internen Problemen: So sei die Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf der Kommission unterstellt, deshalb "nicht wirklich unabhängig" und generell mit zu wenig Kompetenzen ausgestattet. "Das Image der EU als ein Hort der Korruption" gefährde deren Glaubwürdigkeit und Zukunft, konstatiert Rubner.
Indes ist dieses Buch kein Verriss des Systems Brüssel. Die Schuld für die Misere sieht die Autorin nämlich in erster Linie nicht bei der - nicht stärker als andere Verwaltungen für Korruption anfälligen - EU-Zentrale rund um die Kommission, sondern bei den Mitgliedstaaten, die mit ihrem überbordenden Einfluss Transparenz und effektive Kontrolle der EU-Finanzpolitik verhindern. Erst in diesem Mauschelgeflecht, so die stichhaltig erläuterte These, werden Misswirtschaft, Vergeudung und Schummeleien erst möglich. Kritik dieser Art ist in Politik wie in Medien selten zu vernehmen.
Rubner hat am Beispiel der Finanzpolitik ein Lehrbuch über das Funktionieren der EU geschrieben: Im Grunde sind es die Nationalstaaten, die in Brüssel die Politik beschließen, Paris, Berlin und andere Hauptstädte haben das letzte Wort. Allerdings hat in der Dynamik der Realpolitik die Kommission doch mehr Macht als Barrosos Runde auf dem Papier zusteht, das kommt in diesem Band zu kurz: dass etwa in Brüssel in kleinem Kreis das Verbot von Glühbirnen ausbaldowert wurde, dessen Nutzen für die Umwelt höchst zweifelhaft ist und das eine gewachsene Lebenskultur zerstört, ist wesentlich auf den Druck der Kommission zurückzuführen.
Der EU-Etat mit jährlich 130 Milliarden Euro wird gespeist aus einem Mix von eigenen Zolleinnahmen sowie von der Zuweisung der Mitgliedsländer, die sich nach deren Wirtschaftsleistung und Mehrwertsteueraufkommen berechnet. Rubner stellt eine ungeklärte Grundsatzfrage: "Wem gehört das Geld in der Brüsseler Kasse?" Der Kommission? Den 27 Regierungen? Die Brüsseler Zentrale hat nur begrenzten Einfluss auf die Verwendung der Gelder, diese Kontrolle obliegt überwiegend den Einzelstaaten, wobei es vor allem um jährlich mehr als 100 Milliarden Euro für den Agrarbereich und die Regionalförderung geht. Es ist diese "geteilte Verantwortung", die aus Sicht der Autorin den Missbrauch fördert. In dieser Gemengelage können auch 15.000 Interessenvertreter trefflich ihre Schachzüge machen. Rubner wirft besonders der Autoindustrie vor, ihre Position "gnadenlos" auszunutzen. Was man freilich nicht übersehen sollte: Die von Brüssel vorangetriebenen Rauchverbote und Zensurmaßnahmen in der Werbung belegen auch den enormen Einfluss anderer Lobbyisten.
Bedenkenswert ist die Forderung der Verfasserin, EU-Gelder nicht als Subventionen, sondern als zinsgünstige Kredite auszuzahlen. An der Wurzel zu packen sei das Übel aber nur "mit einem gewissen Maß an Zentralismus." Noch mehr Macht für Brüssel? Da ist doch ein Fragezeichen erlaubt. Rubner plädiert dafür, die Kommission durch eine EU-Steuer von den Mitgliedsländern unabhängiger zu machen. Bereits der Wiener Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel wollte mit einer Börsenumsatzsteuer Brüssel eine eigene Finanzquelle erschließen. Rubner bringt nun neben einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auch Abgaben auf Tabak und Alkohol ins Spiel. Zugunsten der EU-Kasse für ohnehin teure Genussmittel wie Wein und Zigaretten noch tiefer in die Tasche greifen? Das dürfte des Bürgers Freude an Brüssel wohl kaum steigern.
Brüsseler Spritzen. Korruption, Lobbyismus und die Finanzen der EU. Verlag C.H.Beck
München 2009; 191 S., 12,95 ¤