Öffentliche Sitzung
Aus Sicht von Wolfgang Deuß hat das Verhör des zwischen Februar 2002 und August 2006 in Guantanamo einsitzenden Murat Kurnaz durch Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) keine Hinweise auf terroristische Aktivitäten des Bremer Türken ergeben. Diesen Schluss zog der Leiter der Abteilung Islamismus beim Bremer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) am Donnerstag, dem 20. September 2007, vor dem Untersuchungsausschuss aus dem Verlauf einer im Oktober 2002 erfolgten Unterrichtung des LfV durch einen BfV-Vertreter über die Vernehmung in Guantanamo, die im Herbst jenes Jahres stattfand.
Dessen seinerzeitige Ausführungen resümierte der Zeuge jetzt so: An dem Verdacht gegen Kurnaz sei wohl nichts dran, man müsse noch einige aus Bremen stammende Erkenntnisse über den Türken überprüfen, und wahrscheinlich sei der Gefangene Ende November 2002 wieder zu Hause. Auf Nachfrage von SPD-Obmann Thomas Oppermann sagte Deuß, diese seine Einschätzung fuße auf einem schriftlichen Bericht über den Besuch des BfV-Abgesandten im LfV, er selbst habe an das damalige Treffen, an dem er teilnahm, keine Erinnerung.
Der Zeuge erklärte, nach seinem Eindruck hätten die im Herbst 2002 mit der Affäre Kurnaz befassten Regierungsstellen und Behörden alle Möglichkeiten ausschöpfen wollen, um im Falle einer Freilassung des Deutsch-Türken dessen Rückkehr nach Deutschland zu verhindern. Im Oktober 2002 hatten der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier als seinerzeitiger Chef des Kanzleramts und die Spitzen der Geheimdienste für den Fall einer Entlassung von Kurnaz aus Guantanamo eine Einreisesperre gegen den Türken wegen dessen Einstufung als eines "Gefährders" verfügt.
Wie Deuß ausführte, habe man beim Bremer LfV gegen Kurnaz nichts in der Hand gehabt. Der Zeuge bezeichnete es als "fatal", dass sich die von Amtschef Walter Wilhelm 2002 und dann wieder 2005 in einem Papier formulierten Sicherheitsbedenken zu Kurnaz auf Aussagen von Wilhelms Stellvertreter bezögen, die eine solche Einschätzung jedoch nicht abdeckten. Deuß äußerte sich bei seiner Befragung mehrfach kritisch über die Zustände im LfV, wo Zuständigkeiten und Aufgabenzuteilungen unklar geregelt seien. Er selbst sei, obwohl Leiter der Abteilung Islamismus, mit dem Fall Kurnaz direkt nie befasst worden. Um diese Angelegenheit habe sich der Amtschef selbst gekümmert. Deuß schilderte den Abgeordneten der Basis seiner eigenen lückenhaften Erkenntnisse seinen persönlichen Eindruck über Kurnaz: Der junge Mann sei wohl "in einer Moschee heiß gemacht worden", sei deshalb nach Afghanistan aufgebrochen und habe dort erschreckt festgestellt, wie die Wirklichkeit sei.
Laut Thomas Rausch, der 2002 im
Bundeskriminalamt (BKA) auch mit dem Fall Kurnaz zu tun hatte,
wurde damals den US-Verbindungsbeamten im BKA wie den
zuständigen Stellen in den USA nur eine "abgespeckte Version"
der vom Bremer Landeskriminalamt an seine Behörde
übermittelten Informationen zu dem Deutsch-Türken
weitergereicht. Zum Auftakt seiner Befragung bestätigte der
BKA-Vertreter die vom FDP-Abgeordneten Max Stadler
geäußerte These, die seinerzeitigen Bremer Erkenntnisse
seien ungesichert und nicht verifiziert gewesen. Erste
Zeugenaussagen, wonach Kurnaz Anfang Oktober 2001 zwecks Teilnahme
an den Kämpfen der Taliban nach Pakistan geflogen sei, seien
später teilweise widerrufen worden, so Rausch. Über das
Verhör von Kurnaz in Guantanamo durch deutsche Geheimdienstler
in Guantanamo habe im BKA der Eindruck geherrscht, dass diese
Vernehmungen keine Hinweise auf einen Aufenthalt des Bremer
Türken in Lagern der Taliban ergeben hätten. Vielmehr
habe Kurnaz in Pakistan eine "spirituelle Ausbildung"
gesucht.
Auftrag des 1. Untersuchungsausschusses
Die Bundesregierung hatte am 20. Februar 2006 dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages einen Bericht "zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus" vorgelegt. Zur Klärung von offenen Fragen, Bewertungen und gebotenen Konsequenzen wurde am 7. April 2006 der 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes (GG) eingesetzt. Der Untersuchungsausschuss soll im Zusammenhang mit den Vorgängen aus dem Bericht klären, welche politischen Vorgaben für das Handeln von Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Militärischem Abschirmdienst (MAD), Generalbundesanwalt (GBA) und Bundeskriminalamt (BKA) gemacht wurden. Ferner soll der Ausschuss untersuchen, wie die politische Leitung und Aufsicht ausgestaltet und gewährleistet wurde.
Zeugenvernehmungen von:
Beginn: Donnerstag, 20. September 2007,
11.00 Uhr
Ort: Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4.900
Anmeldung unbedingt erforderlich!
Auf der Tribüne des Europasaales steht nur eine begrenzte Zahl von Plätzen zur Verfügung. Um eine schriftliche Anmeldung im Pressereferat des Bundestages (Fax 030 227 36192) wird gebeten. Wir bitten um Verständnis, dass bei Platzmangel pro Redaktion nur ein Platz besetzt werden kann.
Der Ausschuss entscheidet jeweils vor der Vernehmung über die Möglichkeit von Auftaktbildern. Fotografen und Kamerateams werden ebenfalls um Anmeldung gebeten (Fax 030 227 36192). Bitte melden Sie auch den Bedarf an Aufsageplätzen an.
Für Tonmitschnitte von Stellungnahmen der Abgeordneten im Foyer steht eine Splitbox zur Verfügung.
Nach dem Untersuchungsausschussgesetz sind Bild- und Tonaufnahmen während der Sitzung nicht gestattet - mit Ausnahme der Auftaktbilder.