Öffentliche Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses
Für Heinz Fromm ging vom einstigen Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz, der vor seiner Verhaftung in Pakistan im Herbst 2001 in Bremen in eine "islamistische Struktur" eingebunden gewesen sei, in jener Zeit eine "potenzielle Gefährdung" aus.
Diese Einschätzung, so der Präsident des Bundesamts
für Verfassungsschutz (BfV) am Donnerstag, dem 25. Oktober
2007, vor dem Untersuchungsausschuss, sei auch nicht durch das
Verhör des in der Hansestadt aufgewachsenen Türken
revidiert worden, das zwei Mitarbeiter des
Bundesnachrichtendienstes (BND) und ein BfV-Vertreter im Herbst
2002 in dem US-Gefangenenlager auf Kuba vornahmen. Der Zeuge
verteidigte die Einstufung von Kurnaz als Sicherheitsrisiko durch
die Geheimdienstspitzen, die im Oktober 2002 zu einer gegen den
jungen Mann verhängten Einreisesperre für den Fall einer
Freilassung führte. Kurnaz konnte erst im August 2006 aufgrund
einer Intervention von Kanzlerin Angela Merkel bei
US-Präsident George W.
Bush nach Bremen zurückkehren.
Die Abgeordneten Hellmut Königshaus (FDP), Wolfgang
Neskovic (Linkspartei) und Hans-Christian Ströbele
(Grüne) konfrontierten Fromm mit Widersprüchen, die sich
aus Sicht der Opposition bei der Bewertung der Gefährlichkeit
von Kurnaz durch das BfV aufgetan haben. So soll, wie die drei
Parlamentarier erläuterten, der bei der Vernehmung in
Guantanamo beteiligte BfV-Mitarbeiter "Dr. K." Mitte Oktober 2002
bei einem Bericht im Bremer Landesamt für Verfassungsschutz
(LfV) geäußert haben, gegen den Türken habe man
nichts in der Hand, weshalb er bald freikommen werde. Als Beleg
zitierten die Oppositionsvertreter Aussagen von LfV-Mitarbeitern
vor dem Ausschuss, wonach aus den damaligen Schilderungen von "Dr.
K." über das Verhör in Guantanamo dieser Schluss zu
ziehen gewesen sei.
Zu dieser Diskrepanz erklärte Fromm, er habe von den
Ausführungen des BfV-Vertreters bei dem Treffen in Bremen
keine Kenntnis: "Ich weiß nicht, ob das zutrifft, was die
Bremer Zeugen vor dem Ausschuss zum Besten gegeben haben."
Königshaus verwies zudem auf einen schriftlichen Vermerk des
BfV-Vernehmers, wonach nur noch Details zu klären seien, um
letzte Zweifel an den Aussagen von Kurnaz während des
Verhörs auszuräumen.
Thomas Oppermann hingegen insistierte, dass "Dr. K." Vorbehalte
gegenüber der Einschätzung der an der Befragung auf
Guantanamo beteiligten beiden BND-Mitarbeiter geltend gemacht habe,
dass von dem Bremer Türken "mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit" keine Gefährdung ausgehe. Nach Auffassung
des SPD-Obmanns lagen 2002 zahlreiche Erkenntnisse vor, die es
rechtfertigten, Kurnaz als Sicherheitsrisiko einzuordnen und ihn im
Falle einer Freilassung nicht nach Deutschland, sondern in die
Türkei ausreisen zu lassen.
Aus Sicht von Wolfgang Neskovic musste Kurnaz über vier Jahre in Guantanamo bleiben, weil ihn damals weder Berlin noch Ankara aufnehmen wollten. Der Liberale Max Stadler bezeichnete es als "bedrückend", das eine so gravierende Entscheidung wie die Einreisesperre getroffen worden sei, obwohl bei der Klärung der Ungefährlichkeit von Kurnaz nur noch letzte Details offen gewesen seien: "Da ist ein Mensch in eine Maschinerie geraten." Hans-Christian Ströbele äußerte den Verdacht, dass die Geheimdienstspitzen vor fünf Jahren den Türken gar nicht als Sicherheitsrisiko eingestuft hätten: Dies werde inzwischen so dargestellt, um das Einreiseverbot von 2002 nachträglich zu rechtfertigen, das seinerzeit aus Furcht von einem "Medien-Hype" bei der Rückkehr von Kurnaz beschlossen worden sei
Kritik an der Opposition übte die CDU-Abgeordnete Kristina
Köhler: Die von der Opposition behaupteten Widersprüche
in der Bewertung der von dem Türken ausgehenden
Gefährdung durch das BfV hätten "sich in Luft
aufgelöst".
Nach der Befragung Fromms wollte der Ausschuss in geheimer Sitzung einen der beiden BND-Mitarbeiter vernehmen, die im Herbst 2002 zu dem Verhör von Kurnaz nach Guantanamo gereist waren. Deren Einschätzung, dass der Türke kein Sicherheitsrisiko darstelle, hatte der damalige BND-Präsident und heutige Innen-Staatssekretär August Hanning bei seinem Zeugenauftritt vor den Abgeordneten als "mangelhaft" und "grob fehlerhaft" bezeichnet.
Die Bundesregierung hatte am 20. Februar 2006 dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages einen Bericht "zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus" vorgelegt. Zur Klärung von offenen Fragen, Bewertungen und gebotenen Konsequenzen wurde am 7. April 2006 der 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes (GG) eingesetzt. Der Untersuchungsausschuss soll im Zusammenhang mit den Vorgängen aus dem Bericht klären, welche politischen Vorgaben für das Handeln von Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Militärischem Abschirmdienst (MAD), Generalbundesanwalt (GBA) und Bundeskriminalamt (BKA) gemacht wurden. Ferner soll der Ausschuss untersuchen, wie die politische Leitung und Aufsicht ausgestaltet und gewährleistet wurde.