Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Das seit 2002 geltende deutsche Völkerstrafgesetzbuch gehört nach Meinung von Experten zu den weltweit progressivsten, es gibt aber Mängel bei seiner Anwendung: "Deutschland muss endlich beginnen, das Völkerstrafgesetzbuch umzusetzen." Mit diesem Appell hat sich Géraldine Mattioli, Expertin für Internationales Recht bei Human Rights Watch, bei einer öffentlichen Anhörung am Mittwoch, dem 24. Oktober 2007, an die Abgeordneten im Menschenrechtsausschuss gewandt.
WebTV-Aufzeichnung: siehe rechts
Die Bundesrepublik verfüge über die besten
Instrumentarien, die fehlende Umsetzung stehe aber im scharfen
Kontrast zu anderen Staaten. Dies habe etwas mit dem politischen
Willen zu tun, so Mattioli. Die Politik müsse
den Strafverfolgungsbehörden dringend die nötige
personelle und finanzielle Ausstattung angedeihen lassen. Die
Expertin empfahl auch einen Blick ins Ausland. In den Niederlanden
würden zum Beispiel Infobroschüren an Asylsuchende
verteilt, in denen sie aufgeklärt würden, an wen sie sich
wenden können, wenn sie Kenntnisse über Kriegsverbrecher
aus ihrer Heimat besitzen.
Bei der weltweiten Strafverfolgung von Menschenrechts- und
Kriegsverbrechern dürfe sich Deutschland nicht auf
diplomatische Gründe berufen, meinte Mattioli
in Anspielung auf die Fälle des früheren usbekischen
Innenministers Almatow, der im Zusammenhang mit dem Massaker von
Andischan gesucht wird, und des früheren
US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Gegen ihn wurde in
Deutschland zweimal eine Strafanzeige wegen Foltervorfälle im
amerikanischen Gefängnis Abu Ghraib im Irak erstattet und von
der Generalbundesanwaltschaft nicht zugelassen.
In diesem Zusammenhang plädierte unter anderen
Professor Kai Ambos, Richter am Landgericht
Göttingen, für die Einführung eines gerichtlichen
Zustimmungserfordernisses oder eines Klageerzwingungsverfahrens. Im
Fall Rumsfeld sei im Ausland der falsche Eindruck entstanden, die
Generalstaatsanwaltschaft in Deutschland sei " der verlängerte
Arm der Exekutive". Nur eine gerichtliche Entscheidung könne
hier die Zweifel ausräumen, zumal der Generalstaatsanwalt als
ein politischer Beamter und vom Bundesjustizministerium
abhängig gelte.
"Ich bin kein politischer Beamter", widersprach Rolf
Hannich, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof. "Es gibt und
gab keine Weisung des Ministeriums." Im Fall Almatow sei die
Strafanzeige erst eingegangen, als dieser bereits Deutschland
verlassen habe. Im Übrigen sehe Hannich als
Praktiker keinen Grund das geltende Gesetz zu
ändern.
"Keinerlei Anlass" dazu sieht auch der Richter am
Internationalen Strafgerichtshof, Hans-Peter Kaul.
Man solle bei der Bewertung des deutschen
Völkerstrafgesetzbuches nüchtern und gelassen bleiben.
Potenzial für Verbesserungen gebe es allerdings bei der
Zusammenarbeit mit dem EU-Netzwerk zur Untersuchung von
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen.
Die Gründung eines von der Generalbundesanwaltschaft
unabhängigen Dokumentationszentrums empfahl Professor
Horst Fischer von der Ruhr-Universität Bochum. Dies
könnte Beweise und für die Verfolgung von
Straftätern wichtige Daten sammeln und so die Strafverfolgung
erleichtern.
Eine aktivere Rolle Deutschlands bei der Strafverfolgung
aufgrund des Weltrechtsprinzips verlangte der Berliner Fachanwalt
für Strafrecht, Wolfgang Kaleck, der
besonders durch seine Strafanzeige gegen Rumsfeld bekannt wurde. Er
sprach sich für die so genannten Ermittlungen auf Vorrat aus.
Beispiele aus dem Ausland zeigten, dass aufgrund solcher
Ermittlungen bedeutsame Erfolge wie im Falle des chilenischen
Ex-Diktators Pinochet möglich seien. Dafür müssten
aber die deutschen Behörden personell besser ausgestattet
werden. In der Bundesanwaltschaft seien derzeit lediglich drei
Personen nebenamtlich mit der Verfolgung der komplexen
Menschenrechtsverbrechen tätig. Dies sei eindeutig zu wenig,
meinte Kaleck. In Holland befasse sich damit ein
Team von 32 Experten.
Claus Kreß von der Universität
Köln thematisierte unter anderem die Zuerkennung von
Immunitätsschutz bei ehemaligen Staatsorganen. Dies sei der
problematischste Aspekt der bisherigen Praxis zum
Völkerstrafgesetzbuch. Dies sei völkerrechtspolitisch
fatal und nur durch eine "Kurskorrektur" des Generalbundesanwalts
zu beheben.
Das Völkerstrafgesetzbuch regelt in Deutschland das Verfahren bei Straftaten gegen das Völkerrecht. Es enthält Strafvorschriften gegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Es ist seit Sommer 2002 in Kraft.