Öffentliche Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Der Vertrag von Lissabon verbessert die Grundlagen der Union und bringt eine Reihe positiver Reformen mit sich. Die Frage, wie sich bestimmte institutionelle Elemente des Vertrages im Einzelnen auf die europäische Politik auswirken werden, könne jedoch bislang noch nicht abschließend beurteilt werden, so der Tenor der dritten Expertenbefragung zum Vertrag von Lissabon, die am Montag, dem 10. März 2008, im Rahmen einer öffentlichen Sitzung des Europaausschusses stattfand.
Im Vorfeld gesteckte Ziele wie eine bessere Verständlichkeit, mehr Transparenz und mehr Demokratie werden durch den Vertrag von Lissabon nach Meinung von Professor Juliane Kokott, Generalanwältin beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, größtenteils erreicht. Auch wenn der Vertrag viele Verbesserungen bringt, ist er ihrer Auffassung nach jedoch kein Quantensprung und keine neue Qualität, sondern "ein weiterer Schritt der Integration".
Auch Professor Jürgen Basedow, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, sieht eine Reihe von Zielen verwirklicht wie die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, die Förderung sozialer Gerechtigkeit oder die Wahrung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt. Er sieht in dem Vertrag von Lissabon eine Neujustierung, bei der die Solidaritätsziele zusätzliches Gewicht erlangt hätten.
Peter Becker von der Stiftung Wissenschaft und Politik ging auf die Kritik ein, dass der Vertrag von Lissabon eine schleichende Kompetenzübertragung bedeute. Sie sei berechtigt, wenn man einen statischen Blick auf den Integrationsprozess werfe, nicht aber wenn man berücksichtigt, dass es sich um einen dynamischen Prozess handele. Als Beispiel verwies er auf die Energiepolitik, die erst nachträglich als Handlungsfeld aufgenommen worden sei. Hinsichtlich der Rolle der nationalen Parlamente rief Becker zu einer umfassenderen Betrachtungsweise auf. "Ein Parlament kann unbenommen auch eine positive Sichtweise formulieren", sagte er hinsichtlich der Subsidiaritätsprüfung durch die nationalen Parlamente.
Auch Professor Christian Calliess von der Universität Göttingen rief in der Diskussion trotz bestehender Kritikpunkte dazu auf, sich die "Gewinne vor Augen zu führen". "Man kann im politischen Alltag manches zu Recht kritisieren, sagte er, "aber die Union ist ein europäisches Friedensprojekt".
Für Michael Efler, Mitglied im Bundesvorstand von "Mehr Demokratie jetzt e.V.", ist mit dem Vertrag von Lissabon zwar das Ziel größerer Handlungsfähigkeit erreicht, er äußerte jedoch Zweifel, ob die Union auch transparenter und demokratischer werde. Er kritisierte, dass die Handlungsermächtigungen der Union, gerade auch im Bereich der Innen- und Rechtspolitik, verstärkt würden und der Vertrag insgesamt zu einer "gewissen Unvorhersehbarkeit" führen würde.
Professor Mathias Jopp vom Institut für Europäische Politik sieht in dem Vertrag einen "erheblichen Fortschritt", in dem auch viele deutsche Forderungen erfüllt worden sein. Positiv bewertete er unter anderem die Aufhebung der Pfeilerstruktur, die Verankerung der Grundrechtecharta sowie die Aufwertung des Europäischen Parlaments. Doch er räumte auch "Schattenseiten" ein: So seien nicht nur Begriffe und Symbole verschwunden, sondern auch bestimmte "Integrationsideen".
In Anspielung auf das Wegfallen des Begriffs einer europäischen Verfassung, sagte Professor Franz C. Mayer, dass es möglicherweise nicht auf die Bezeichnung ankomme, denn seiner Meinung nach habe der Vertrag "verfassungsrechtlichen Charakter". Er zitierte Napoleon, der einmal gesagt hatte: "Eine Verfassung muss kurz und dunkel sein" und erklärte dazu: "Europäisches Verfassungsrecht kann nicht kurz sein."