Pflege-Weiterentwicklungsgesetz sieht Anhebung der Leistungen vor
Rund 2,1 Millionen Menschen beziehen derzeit ambulante oder stationäre Leistungen aus der Pflegeversicherung. Damit ist die Zahl der Leistungsempfänger deutlich angestiegen seit die Pflegeversicherung 1995 eingeführt wurde. Das geht aus dem Vierten Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung hervor ( 16/7772), den die Bundesregierung dem Bundestag vorgelegt hat.
Nach mehr als zweistündiger Debatte verabschiedete der Bundestag am Freitag, dem 14. März 2008, in Dritter Lesung mit den Stimmen der Regierungskoalition das neue Pflege-Weiterentwicklungsgesetz ( 16/7439, 16/7486). Die Oppositionsfraktionen BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, DIE LINKE. und FDP stimmten dagegen. Sie hatten zuvor eigene Anträge eingereicht (16/7136, 16/7472, 16/7491), außerdem beriet der Bundestag über den Vierten Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung ( 16/7772), den die Bundesregierung dem Parlament vorgelegt hatte.
Das Bundesgesundheitsministerium ist alle drei Jahre verpflichtet, den Gesetzgeber über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in Deutschland zu unterrichten. Dies wird regelmäßig zum Anlass genommen, um die Pflegeversicherung auf den parlamentarischen Prüfstand zu stellen. Mehrfach wurde in der Vergangenheit auch auf Grundlage eines Pflegeberichts die Pflegeversicherung um weitere Gesetze ergänzt. So etwa zuletzt durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung, das im März 2007 in Kraft trat.
Nun liegt der Vierte Bericht zur Pflegeversicherung vor und die Bundesregierung sieht erneut gesetzlichen Handlungsbedarf, besonders in der Frage der Betreuung von Demenzkranken sowie in der Frage, wie die bislang unverändert geblieben Leistungen angepasst werden sollten. Das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung soll am 1. Juli 2008 in Kraft treten.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte in der Debatte für den Gesetzentwurf der Regierungskoalition geworben: Mit der Reform könne „den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen besser Rechnung getragen werden“. Dabei gelte der Grundsatz "ambulant vor stationär“. Dementsprechend sieht das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vor, die Leistungen schrittweise, insbesondere für die häusliche Pflege, anzuheben. Weitere Neuerungen sind ein Anspruch auf eine Pflegeberatung (Fallmanagement) und die Schaffung von Pflegestützpunkten. Diese seien eine "wichtige Entlastung für die Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen wollten“, sagte Ulla Schmidt. Dank der Pflegestützpunkte müssten sie "endlich nicht mehr zu Hinz und Kunz laufen, lange Wege und viel Bürokratie“ auf sich nehmen. Die Einführung der Stützpunkte mobiler Betreuung und Pflege soll den Ländern überlassen bleiben. Die Bundesministerin äußerte jedoch die Hoffnung, dass sich das Modell der Pflegestützpunkte bundesweit durchsetze.
Wichtige Eckpunkte sind zudem die Ausweitung der Leistungen für Demenzkranke und die Einführung einer Pflegezeit für Angehörige. Diese sollen sich künftig eine bis zu sechs Monate lange, unbezahlte Auszeit nehmen können, um Familienmitglieder zu betreuen. In dieser Zeit bleiben sie sozialversichert. Daneben können sie sich zehn Tage freistellen lassen, um die Pflege zu organisieren.
Die Beitragssätze sollen um 0,25 Prozentpunkte angehoben werden.
In der Plenardebatte, die der Abstimmung vorausging, erntete der Gesetzentwurf der Regierungskoalition harsche Kritik. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP waren sich einig in ihrem Urteil, dass die Pflegereform weit hinter den Versprechungen der Regierung zurückbleibe. Kern der Kritik: Das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz beinhalte nicht die dringend benötigte Finanzreform, so die Opposition. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) bemängelte, die Finanzierung sei "weder nachhaltig noch gerecht". Auch der FDP-Abgeordnete Heinz Lanfermann monierte, dies gehe "zu Lasten der jungen Generation". Die Regierung habe vor einer richtigen Finanzreform "kapituliert". Weiterer Kritikpunkt: Die Einführung der Pflegestützpunkte. Während die FDP diese als "überflüssig und teuer" bezeichnete, sehen die Grünen die "Gefahr föderaler Zersplitterung". Viele Länder verfügten noch nicht über ein flächendeckendes Pflege-Beratungssystem. Weil nun die Länder über die Einführung der Stützpunkte entscheiden könnten und nicht der Bund, könne es künftig "vom Wohnort eines Betroffenen abhängen", ob er eine Pflegeberatung bekomme oder nicht. Auch die Fraktion DIE LINKE. kritisierte, die Reform greife zu kurz. Insbesondere reiche die angekündigte, schrittweise Anhebung der Leistungen "nicht einmal aus, um Inflationsverluste zu decken". Der Abgeordnete Ilja Seifert bemängelte zudem, dass eine Leistungsdynamisierung erst in der "übernächsten Wahlperiode" geplant sei.
Die Oppositionsfraktionen hatten dem Plenum zuvor eigene Anträge vorgelegt, die jedoch mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt wurden.
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN fordern in ihrem Antrag eine grundsätzliche Reform der sozialen und privaten Pflegeversicherung (16/7136). Diese soll, nach Ansicht der Grünen, in einer Bürgerversicherung zusammengefasst werden, in der alle Einkommensarten zur Beitragsbemessung herangezogen werden können.
Der Antrag der Fraktion DIE LINKE. ( 16/7472) sieht eine Abschaffung der Pflegestufen und eine Überarbeitung des Begutachtungsverfahrens vor. Zudem fordert sie, eine sechswöchige, bezahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, zur Organisation der Pflege einzuführen.
Die FDP plädiert in ihrem Antrag für eine grundsätzliche Umwandlung der derzeitigen Pflegeversicherung ( 16/7491). Sie fordert den Übergang in ein kapitalgedecktes und prämienfinanziertes Versicherungssystem. Eine Ausweitung des Umlageverfahrens, wie durch den Vorschlag der Grünen zur Bürgerversicherung möglich, lehnte die FDP in ihrem Antrag jedoch ab. Eine Ausweitung der Beitragsgrundlage durch die Einbeziehung weiterer Einkommensarten und Personengruppen wie Selbstständige und Beamte stelle eine zweite Einkommensteuer für die Pflege dar. Dies habe negative Effekte auf Wachstum und Beschäftigung, so die Begründung der Fraktion. Private Vorsorge solle dagegen steuerlich gefördert werden.