Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
Auf Ablehnung stößt bei der Bundesnetzagentur und beim Bundeskartellamt die Absicht der EU-Kommission, die Strom- und Gasnetze eigentumsrechtlich völlig von der Stromerzeugung und anderen energiewirtschaftlichen Tätigkeiten zu trennen.
Bei einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses über das
dritte EU-Energie-Paket kritisierten am Mittwoch, dem 9. April
2008, die Präsidenten Matthias Kurth und
Bernhard Heitzer auch die von Brüssel
vorgeschlagene Alternative einer Übertragung des Netzbetriebs
an eine gesellschaftsrechtlich vom Netzeigentümer
unabhängige Einrichtung.
Stattdessen traten Kurth und Heitzer für die von
Deutschland und sieben anderen EU-Staaten ins Spiel gebrachte "3.
Option" ein, nämlich innerhalb von Energieunternehmen die
Eigenständigkeit der Netzgesellschaften zu stärken.
Brüssel solle diese Variante den Mitgliedsländern
offenstehen lassen. Allerdings wurden die Konzepte der
EU-Kommission bei dem Hearing
auch differenziert befürwortet.
Weithin Übereinstimmung herrschte unter den
Sachverständigen über die Notwendigkeit, den Wettbewerb
zu stärken und dabei die Netze von der Strom- und Gaserzeugung
wirksam zu trennen. Für Kurth ist das Modell der
Bundesregierung eine auf die Situation in Deutschland
zugeschnittene "pragmatische Lösung", die "substanzielle
Forschritte gegenüber dem status quo" bewirken werde. So sei etwa
vorgesehen, dass Management und Personal einer Netzgesellschaft
nicht mit dem Mutterunternehmen verbunden sein dürften.
Heitzer gab zu bedenken, dass das Konzept der EU-Kommission wegen
verfassungs- und eigentumsrechtlicher Probleme gerichtliche Klagen
provozieren und deshalb zu jahrelangen Verzögerungen bei der
Durchsetzung von mehr Wettbewerb führen werde.
Auch bei Johannes Teyssen (E.ON) und Heinz-Werner Ufer (RWE) fand die Strategie der Regierung im Prinzip Zustimmung. Wie andere Sachverständige wertete Teyssen vor allem eine konsequente Regulierung des Netzbetriebs und der Leitungsgebühren als das zentrale Mittel, um mehr Wettbewerb zu erreichen.
Wolfgang Brinkmann von den Bielefelder
Stadtwerken warnte vor einer wirtschaftlichen Schwächung der
Stadtwerke als Konkurrenten der Energiekonzerne, wenn die
kommunalen Unternehmen gemäß dem EU-Modell ihre Netze
und sonstigen Aktivitäten nicht mehr wie bisher zusammen
managen könnten.
Als Vertreter der Kommission verteidigte Heinz
Hilbrecht die Brüsseler Initiative. Es seien
"strukturelle Änderungen" auf dem Energiemarkt notwendig.
Unabhängige Netzbetreiber hätten ein größeres
Interesse an Investitionen in die Leitungssysteme. So sind laut
Hilbrecht in der Bundesrepublik solche Investitionen seit 2002 um
40 Prozent gestiegen, in Spanien mit einer eigenständigen
Netzgesellschaft hätten sie sich hingegen verdoppelt. In
Ländern mit einem von den Energieunternehmen getrennten Netz
seien zudem die Strompreise weniger stark gestiegen. Teyssen
entgegnete, hierzulande würden Investitionen in Leitungen vor
allem durch überaus langwierige Genehmigungsverfahren
behindert: "Ein Atomkraftwerk wird schneller genehmigt als eine
Hochspannungsleitung".
Robert Busch vom Bundesverband Neuer
Energieanbieter bezeichnete unter den zur Debatte stehenden
Varianten die eigentumsrechtliche Entflechtung als die beste Idee,
um die Netze "neutral zu stellen" und so allen Strom- und
Gasverkäufern einen ungehinderten Zugang zur Einspeisung in
die Leitungen zu ermöglichen. Das Modell der Bundesregierung
sei "sehr intransparent" und deshalb problematisch. Busch betonte,
nicht nur die Fernübertragungs-, sondern auch die lokalen
Verteilnetze bei Strom und vor allem Gas müssten entflochten
werden. Allerdings stelle sich die Frage, wer bei einem Verkauf der
Leitungssysteme durch Konzerne oder Stadtwerke die Netze erwerben
werde und ob die neuen Besitzer kurzfristige Gewinninteressen oder
langfristige Engagements im
Auge hätten.
Professor Heinz-J. Bontrup von der Fachhochschule Gelsenkirchen forderte, die Strom- und Gasnetze als "natürliches Monopol" in öffentliches Eigentum zu überführen. Das "Gut Energie" dürfe nicht allein dem Wettbewerb überlassen werden. Gegen eine Verstaatlichung sprach sich Matthias Kurth aus.
Uwe Leprich gab sich überzeugt, dass auch
andere Energieunternehmen dem Beispiel E.ON folgen und ihre Netze
zum Verkauf anbieten werden und dass es in Deutschland zu einer
unabhängigen Netz-AG kommen werde. Der Professor von der
Saarbrücker Hochschule für Wirtschaft und Technik
plädierte dafür, der öffentlichen Hand an einer
solchen Betreibergesellschaft 51 Prozent und privaten Investoren 49
Prozent der Anteile zu übertragen.
Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen warb für das Schweizer Modell einer Netzgesellschaft, die mehrheitlich in staatlichem Besitz und privatrechtlich verfasst sei, aber nicht an die Börse gehen dürfe. Krawinkel rief zu einer Grundsatzdebatte über die Rolle von Staat und privater Wirtschaft im Energiesektor auf, deren Rollen seien bislang "nicht klar definiert".