Öffentliche Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses
Harsche Kritik an der Informationspolitik deutscher Behörden und der Bundesregierung im Fall des in München lebenden Ägypters Abdel Halim Khafagy übte am Donnerstag, dem 10. April 2008, vor dem Untersuchungsausschuss zum Auftakt der Zeugenvernehmungen dessen Anwalt Walter Lechner.
Bis heute wüssten er und Khafagy immer noch nicht genau
Bescheid über die näheren Umstände der Verhaftung
und Misshandlung des damals 69-Jährigen Ende September 2001 in
Bosnien-Herzegowina, als der Buchverleger offenbar irrtümlich
unter Terrorverdacht geraten war. Immer noch sei unklar, so
Lechner, wer die Täter seien, wer die Verantwortung für
den Vorfall übernehme und wer sich bei Khafagy für dieses
Vorgehen zu entschuldigen habe.
Der Ausschuss prüft, ob deutsche Stellen und die Regierung
in die mutmaßlich von US-Diensten organisierte Festnahme des
Ägypters involviert waren, der auf dem Umweg einer
Überstellung nach Kairo vier Wochen später wieder nach
München zurückkehren konnte. Mitarbeiter des
Bundeskriminalamts und des Bundesnachrichtendienstes hatten eine
Vernehmung des Inhaftierten in dem bosnischen US-Camp "Eagle Base" abgelehnt, nachdem sie von
Folterpraktiken in dem Lager erfahren hatten und ihnen von US-Seite
blutverschmierte Unterlagen Khafagys übergeben worden
waren.
Der Zeuge beschrieb Khafagy bei dessen Ankunft an der Isar als
einen Mann, der ein "Bild des Jammers" geboten habe und am Kopf von
einer verkrusteten Wunde gezeichnet gewesen sei. Der Münchner
sei nach dessen Berichten bei seiner nächtlichen Festnahme in
einem Hotel von Sarajewo, die SPD-Obmann Michael
Hartmann als "sehr unappetitlich" bezeichnete, von
"Kapuzenmännern" mit Gewehrkolben am Kopf geschlagen und dann
in ein Lager in einen Raum ohne Fenster gebracht worden.
Lechner schilderte den Abgeordneten, wie er Ende
September 2001 in zahllosen Telefonaten mit deutschen
Sicherheitsbehörden und mit Vertretern der internationalen
Truppe SFOR in Bosnien
vergeblich versucht habe, konkrete Informationen über das
Schicksal Khafagys nach dessen Verhaftung zu erfahren. Deutsche
SFOR-Angehörige hätten ihm bedeutet, die Deutschen
hätten dort gegenüber den USA "nichts zu
melden".
Durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses auf die
Problematik von Verschleppungen aufmerksam geworden, habe er sich
von Herbst 2006 an erneut um nähere Aufklärung zum Fall
Khafagy bei hiesigen Behörden bis hinauf zum Bundeskanzleramt
bemüht, doch sei nicht mehr als ein "fruchtloser
Schriftverkehr" herausgekommen. Der Anwalt erwähnte ein
Schreiben der Bundesanwaltschaft an ihn, wonach diese Behörde
schon unmittelbar nach der Festnahme Khafagys die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens geprüft, mangels Anfangsverdacht aber
abgelehnt habe. Norman Paech (Linkspartei) sagte,
das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz sei über
die Verhaftung schon einen Tag später unterrichtet
gewesen.
"Offenbar wissen viele Leute vieles", sagte der Zeuge. Zur
Begründung verwies Lechner auch auf die Ablehnung der
zwischenzeitlich von Khafagy beantragten und abgelehnten
Einbürgerung: Nach Angaben von dessen Familie seien dem
Ägypter während des Anerkennungsverfahrens auch
Unterlagen vorgehalten worden, die ihm in Bosnien abgenommen worden
seien. Hartmann zitierte hingegen aus einem
Dokument, wonach der Einbürgerungsantrag unter anderem wegen
Khafagys Kontakten zur Moslembruderschaft zurückgewiesen
wurde. Laut dem SPD-Parlamentarier hatte Kairo die Auslieferung
ihres Staatsbürgers nach dessen Festnahme in Bosnien
beantragt. Vor seiner Übersiedlung nach München hatte
Khafagy einst in Ägypten eine mehrjährige Haftstrafe
wegen Mitgliedschaft in der Moslembruderschaft
verbüßt.
Für Verwunderung im Ausschuss sorgte Lechners Hinweis, dass seine Akte über den Fall Khafagy aus der Zeit Ende 2001 verschwunden sei, was ihn "grün und blau ärgere". Von dem Zeugen wollte der FDP-Abgeordnete Hellmut Königshaus wissen, ob es Anzeichen für ein Entwenden der Papiere aus seiner Kanzlei durch Geheimdienste gebe. Anhaltspunkte für einen solchen Verdacht habe er nicht, so der Anwalt.