Öffentliche Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Alle Sachverständigen wiesen dabei auf definitorische Probleme hin. Es sei "sehr schwierig, wenn nicht unmöglich", Kriterien für den Begriff aufzustellen, so Henrik Harboe vom norwegischen Außenministerium. Fasse man die Definition zu weit, könne es negative Folgen auch für die Vergabe von erwünschten Krediten haben, so Harboe, der dem Ausschuss die Entschuldungsinitiative Norwegens vorstellte. Norwegen hatte 2006 als erstes Gläubigerland wegen seiner Mitverantwortung für eine verfehlte Kreditvergabe auf Rückzahlungen aus mehreren Entwicklungsländern verzichtet und damit eine internationale Diskussion über das Problem der Überschuldung armer Länder angestoßen.
Harboe unterstrich im Ausschuss, dass es sich dabei nicht um illegitime Schulden handelte. Bislang gibt es keine international gültige juristische Definition von illegitimen Schulden. Als solche werden aber internationale Kredite bezeichnet, deren Legitimität ethisch und finanzökonomisch zweifelhaft ist.
Den in der Überschuldungsdiskussion häufig benutzten Begriff der "verabscheuungswürdigen Schulden" hat der russische Völkerrechtler Alexander Sack in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt. Zu dieser Kategorie gehören nach Sack internationale Kredite, die ohne Zustimmung der Bevölkerung des Nehmerlandes aufgenommen wurden und ihr keinen Nutzen oder sogar einen Schaden gebracht haben. Der Gläubiger muss gemäß der Definition zudem diese Umstände bei der Kreditvergabe gekannt haben (oder sie gekannt haben können).
Professor Christoph G. Paulus von der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität bezeichnete den Begriff "illegitime oder verabscheuungswürdige Schulden" als "unglaublich töricht", weil er aus psychologischer Sicht eine Gegenwehr der Gläubiger wecke. Das Beispiel Norwegen sei ein moralischer Akt gewesen, so Paulus, habe aber keine juristischen Konsequenzen. Paulus sprach sich in der Debatte für die Schaffung eines Insolvenzverfahrens für Staaten aus. An Konzepten werde bereits gearbeitet, allerdings stünden zurzeit die USA einer solchen Lösung im Wege, so Paulus. Der Experte wies gleichzeitig auf bereits bestehende Möglichkeiten hin, zweifelhafte Schulden auf dem Wege einer zivilgerichtlichen Klage vor nationale Gerichte zu bringen.
"Wir brauchen eine Tragfähigkeitsanalyse von Schulden", meinte Harboe in der Debatte. Er zeigte sich erfreut, dass der Bundestag als das Parlament eines G8-Staates sich mit dem Thema befasse. Man müsse aber an der Diskussion auch die Schuldnernationen beteiligen, denn es sei wichtig, "was die Regierungen des Südens darüber denken", sagte Harboe. Dies sei ein Teil des Problems, meinte Jürgen Kaiser von der Initiative "erlassjahr.de", der die Bundesregierung aufforderte, dem norwegischen Beispiel zu folgen. Abgesehen von Schwierigkeiten, das Vorgehen gegen illegitime Schulden international zu kodifizieren, sei es möglich, schon jetzt Ad-hoc-Schritte zu tun. Kaiser schlug vor, eine neutrale Instanz zu schaffen, die unparteiisch über die Streichung von unzumutbaren Schulden befinden würde. Er unterstützte zugleich den Vorschlag, ein internationales Insolvenzverfahren zu etablieren.
Professor Eva Terberger von der Universität Heidelberg zeigte sich hingegen "ziemlich am Schwanken" in dieser Frage. Man sollte aber darüber "ordentlich nachdenken". Terberger brachte das Problem der fehlenden Sanktionierung in Fällen der Vergabe von illegitimen Schulden auf den Punkt: Souveräne Schuldner seien "ganz besondere Schuldner". Es sei zweifelhaft, ob jeder Gläubiger ausreichenden Einfluss auf einen solchen Kreditnehmer habe, um die Verwendungsauflagen durchzusetzen. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wies die Sachverständige auf potenzielle unerwünschte Effekte, die unpräzise Standards zur illegitimen Verschuldung auslösen könnten, hin. Damit meinte sie unter anderem Anreize für "schlechte Regierungsführung", die mit dem Erlass von Schulden "belohnt" würde.