Altministerpräsident Bernhard Vogels deutsch-deutsche Erfahrungen
"Die Wiedervereinigung ist gelungen", sagte Prof. Dr. Bernhard Vogel, "obwohl Fehler gemacht worden sind und noch manches zu tun bleibt." Der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen und Rheinland-Pfalz zog am Montag, dem 8. Dezember 2008, im Bundestag eine Bilanz zum Stand der deutschen Einheit.
Auf Einladung der Wissenschaftlichen Dienste des Parlaments sprach
Bernhard Vogel in einer öffentlichen Veranstaltung über
seine Erfahrungen als Grenzgänger im geteilten und später
wiedervereinigten Deutschland. Von 1976 bis 1988 war er
Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und reiste als solcher
viele Male in die damalige DDR. "Im Osten hatten die Menschen den
Glauben an die Wiedervereinigung nie verloren", so der
CDU-Politiker.
Einsturz des Kartenhauses
Bei seinen Besuchen lernte er die kulturellen Stätten kennen, nicht aber die Industrie und Betriebe - diese hielt das SED-Regime hinter Schloss und Riegel. An seiner fatalen Planwirtschaft wäre der Staat ohnehin zugrunde gegangen, wenn nicht vorher die friedliche Revolution dem Unrechtstaat ein Ende bereitet hätte, so Vogel. "Die DDR ist wie ein Kartenhaus zusammengebrochen."
"Bedingte Kenntnis voneinander"
Vogel berichtete über seine Eindrücke aus der Wendezeit. Problematisch bei der Wiedervereinigung sei "die nur bedingte Kenntnis voneinander" gewesen. Der Westen sei nicht vorbereitet gewesen und habe zum Beispiel nicht gewusst, wie mit den Folgen der Planwirtschaft umzugehen sei. Wenig später, 1992, wurde Vogel Ministerpräsident von Thüringen und blieb es bis 2003: "Das größte Abenteuer meines Lebens." Er ist der einzige Politiker, der sowohl an der Spitze eines westdeutschen als auch eines ostdeutschen Bundeslandes stand.
Große Herausforderungen
"Ich bin dem Vorwurf Wessi zu sein nie begegnet", sagte der ehemalige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung. Mit einem Kabinett aus Physikern, Chemikern, Theologen und einem Tierarzt half er dem heruntergewirtschafteten Bundesland wieder auf die Beine. Es galt, große und vielfältige Herausforderungen zu bewältigen: vom Mangel an Englischlehrern in den Schulen über den Aufbau ganzer Wirtschaftszweige bis hin zur Beseitigung massiver Umweltschäden.
Blühende Landschaften
"Nach 18 Jahren gibt es blühende Landschaften", so der CDU-Politiker, "aber später als erwartet und nicht überall." Nach wie vor herrschten im Osten Deutschlands große Probleme. Die wirtschaftliche Leistung liege bei nur 70 Prozent des Westniveaus. „Die öffentlichen Haushalte der jungen Länder stehen weiter nicht auf eigenen Füßen." 18 Jahre haben nicht ausgereicht, um die Folgen der SED-Herrschaft vollständig zu überwinden, so Vogel.
Zuwanderung aus West nach Ost
Dennoch sei einiges erreicht worden. Viele Städte seien kaum wiederzuerkennen. Wer nach Dresden, Jena, Erfurt oder Potsdam fahre, finde dort "blühende Landschaften" vor. Die Infrastruktur des Ostens habe sich zu neuer Stärke entwickelt. Zudem spreche man nur von Abwanderung. Dagegen gebe es eine beträchtliche Zuwanderung aus West nach Ost.
Mehr DDR-Geschichte im Schulunterricht
"Man neigt immer zur Verklärung des Vergangenheit", antwortete Vogel in der anschließenden Diskussion auf die Frage, wie mit dem Problem der Nostalgie im Osten umzugehen sei. Das heiße jedoch nicht, dass man sich die Vergangenheit zurück wünsche. Zwar sei erwiesen, dass unter der Jugend des Ostens große Wissensdefizite bestehen. Jugendliche aus Ost und West verbinde jedoch, dass sich 70 Prozent aller Schüler eine intensivere Behandlung der DDR-Geschichte im Unterricht wünschen.
Wissenschaftsforum des Deutschen Bundestages
Die Vortragsreihe W-Forum (Wissenschaftsforum) wird von den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages organisiert. Gastredner aus der Wissenschaft sprechen dort zu ausgewählten Themen oder diskutieren miteinander über kontroverse Fragestellungen im Streitgespräch.