EU-Medienkommissarin Viviane Reding im Interview mit "Das Parlament"
Je stärker und unabhängiger die Rundfunkräte in Deutschland sind, desto weniger wird die Europäische Kommission Anlass haben, sich um die Rundfunkpolitik des Landes zu kümmern. Dies unterstrich die EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien, die 57-jährige Luxemburgerin Viviane Reding, in einem Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Darin geht sie auch auf Werbung und Product-Placement in öffentlich-rechtlichen Medien ein.
Frau Reding, Sie haben einmal gesagt, mit Deutschland hätten Sie in den neun Jahren als Medienkommissarin mehr Arbeit gehabt als mit den anderen 26 Ländern zusammen. Sind Sie mit dem neuen, dem zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag arbeitslos geworden?
Das bin ich Gott sei Dank nicht, denn ich habe ja nicht nur Rundfunk in meinem Ressort. Die ganze Technologieforschung, die Internet- und Telekombranche gehört zu meiner Generaldirektion. Da habe ich noch intensiv zu tun. In Deutschland besteht zum Beispiel weiter das Problem der „weißen Flecken“: Fast 30 Prozent der ländlichen Gebiete sind ohne Breitbandanbindung, also nicht mit schnellem Internet versorgt.
Der neue Staatsvertrag beinhaltet einen so genannten
"Drei-Stufen-Test". Das heißt, die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen
nachweisen, dass ein neues Angebot im Online-Bereich einen
gesellschaftlichen Mehrwert bringt. Wo sehen Sie
Änderungsbedarf?
Ich bin zunächst einmal sehr froh, dass Deutschland mit dem Vertrag seine Regeln wieder in Einklang mit europäischem Recht gebracht hat. Wenn er in Kraft tritt, wird meiner Meinung nach die Diskussion über die Anwendung der EU-Regelungen auf den Rundfunk in Deutschland ein Ende haben.
Unbeantwortet bleibt die Frage, wer das Ganze bewerten
soll. ARD und ZDF wollen ihre Rundfunkräte damit beauftragen
– die aber keine völlig unabhängigen Organe sind.
Glauben Sie, dass sie diese Aufgabe trotzdem wahrnehmen
können?
Am besten ist es, wenn externe Gremien den Drei-Stufen- oder auch Public-Value-Test übernehmen. Wir brauchen unabhängige und sachkundige Schiedsrichter. Je unabhängiger und stärker die Rundfunkräte werden, um so weniger wird sich die EU-Kommission um die deutsche Medienpolitik kümmern. Andernfalls wird es automatisch zu Beschwerden seitens der Privaten kommen. Die EU-Kommission wird dem nachgehen, wenn sie berechtigt sind.
Eine externe Kontrolle ähnlich dem britischen Modell
der nationalen Aufsichtsbehörde Ofcom könnte hohe Kosten
verursachen. Wie sehen Sie das?
Die Öffentlich-Rechtlichen haben in Deutschland 2008 rund 7,28 Milliarden Euro Gebühren eingenommen. Das ist bei Weitem europäische Spitze! Allein die Erhöhung der Rundfunkgebühr 2009 bringt den Sendern voraussichtlich 400 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen. Da geht es wirklich nicht darum, wie viel ein unabhängiger Public-Value-Test kostet.
Einige EU-Staaten werfen der Kommission vor, sie
beabsichtige eine schleichende Ausweitung ihrer Rechte in der
Rundfunkpolitik. Was entgegnen Sie ihnen?
Zum Beispiel? Es wird immer geredet. Deshalb muss das noch nicht so sein. Die EU-Kommission ist Hüterin der Verträge und überwacht den Wettbewerb. Die bevorstehende Modernisierung der Rundfunkmitteilung wird an der Aufgabenverteilung zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten nichts ändern. Die Definition des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist Sache der Mitgliedstaaten, die Prüfung der Finanzierung durch EU-Wettbewerbsrecht Aufgabe der Kommission.
Sie wollen die "digitale Dividende" – freie
Funkfrequenzen, die entstehen, weil digitales Fernsehen weniger
Frequenzen benötigt als analoges – zugunsten des
schnellen Internets verwenden. Warum?
Da hat sich sehr viel geändert! Noch vor ein paar Monaten waren weder die "weißen Flecken“ beim Breitband noch die "digitale Dividende“ in Deutschland ein Thema. Jetzt aber gibt es eine Diskussion. Natürlich muss der Rundfunk einen Teil der Frequenzen bekommen, für neue Kanäle und für hochauflösendes Fernsehen. Wir brauchen aber auch den drahtlosen Zugang zum Internet, weil wir mit der Glasfasertechnik nicht in jedes Bergdorf kommen.
Glauben Sie, Deutschland versteht das und wird das letzten
Endes so umsetzen?
Ja. Politiker können nicht zulassen, dass es in Sachen Internet Bürger erster und zweiter Klasse gibt. Das erste Mal, dass das sehr klar und deutlich zur Sprache kam, war während der Wahlen in Bayern. Deutschland würde sich andernfalls selbst ein Bein stellen. Die Wirtschaft und die Bürger brauchen diese Anbindung. Wie aber die Verteilung der digitalen Dividende erfolgt, ist eine nationale Entscheidung.
Sie haben Anfang November ARD und ZDF aufgefordert, freiwillig auf
Werbung zu verzichten, "um künftige Konflikte mit der
EU-Kommission zu verhindern". Wie haben Sie das
gemeint?
Es gibt in Europa Beispiele von öffentlich-rechtlichen Sendern etwa in Großbritannien und Frankreich, die auf Werbung verzichten. Deshalb habe ich die politische Frage in den Raum gestellt. Ich habe gefragt, ob man in Deutschland nicht einmal über die Finanzierung nachdenken will. Die Kommission hat nicht darüber zu entscheiden, welchen Finanzierungsmix ein Staat anwendet. Aber anregen kann man es doch wohl.
Warum funktioniert das System der Werbefreiheit in
Großbritannien, aber nicht in Deutschland?
Es hängt davon ab, wie ein System aufgebaut wurde. Die Kommission schreibt kein System vor. Es muss aber transparent seinund darf nicht den Wettbewerb stören. Wer allein durch öffentliche Mittel finanziert wird, der gerät auf jeden Fall weniger in den Verdacht, Wettbewerb und Medienvielfalt zu verzerren.
Apropos Werbung: Sie sagten, dass es mit Ihnen keine neuen
Werbeverbote geben wird. Dennoch fürchten Werbewirtschaft und
Privatsender weitere Einschränkungen der Alkohol-,
Lebensmittelund Automobilwerbung...
Ja, was würden diese Lobbyisten denn sonst tun! Dann wären die ja arbeitslos. Ich habe das vor vier Jahren gesagt. Und seit dieser Zeit ist – dank harter Arbeit hinter den Kulissen – tatsächlich nichts passiert. Aber trotzdem wird in Deutschland regelmäßig von den Lobbyisten gestreut, dass doch etwas in der Pipeline wäre.
Sie sagten, dass nichts passiert sei, war harte Arbeit. Was
meinen Sie damit?
In einzelnen Generaldirektionen kommen immer wieder diese Ideen auf. Das kann von Umwelt über Gesundheit über Industrie gehen. Aber ich habe versprochen, dass ich solche Initiativen verhindern werde, bevor sie die politische Ebene erreichen.
Deutschland muss dieses Jahr die Fernsehrichtlinie
umsetzen, die bezahlte Produkthinweise in Filmen
erlaubt...
Ich erwarte, dass Deutschland die Fernsehrichtlinie eins zu eins umsetzt. Ich habe versucht, diese so klar wie möglich zu halten. Daher meine Bitte an die Regierung, aus einem Artikel in einer EU-Richtlinie nicht 500 Artikel in einem deutschen Ausführungsgesetz zu machen.
Deutschland kann nationale Verbote darin aufrechterhalten.
Glauben Sie, dass es das Product-Placement trotzdem liberalisieren
wird?
Es wäre im Interesse der deutschen Filmschaffenden, wenn das geschehen würde. Produktionen aus den USA, aber auch aus Großbritannien oder Frankreich sind ja gespickt mit Produktplatzierungen. Das ist eine Benachteiligung für die deutsche Filmindustrie. Laut den neuen Regeln muss der Zuschauer informiert werden, ob und wie Product-Placement stattfindet. Dann kann er selbst entscheiden, ob er ausschaltet.
Wie werden Sie selbst im Jahr 2020 fernsehen? Sind Sie Ihr
eigener Programmdirektor oder sehen Sie, was man Ihnen
anbietet?
Also, ich werde garantiert mein eigener Programmdirektor sein. Ich werde mir die Sendung anschauen, die mir am interessantesten scheint – und zwar wann ich will.