Eugen Brysch von der Hospiz Stiftung im Interview mit "Das Parlament"
Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, mischt sich in die Debatte um Patientenverfügungen ein. Er befürwortet im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" einen Mix aus den beiden Gesetzentwürfen der Abgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) und Joachim Stünker (SPD): "Wir sollten die guten Ansätze aus dem Stünker- und dem Bosbach-Entwurf zusammentragen." Die Deutsche Hospiz Stiftung vertritt seit 1996 die Belange Schwerstkranker und Sterbender gegenüber Politik, Krankenkassen und Leistungserbringern. Der Leitspruch der Stiftung lautet: "Weil Sterben auch Leben ist."
Seit geraumer Zeit berät der Bundestag über die
gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen. Welchem der
drei vorliegenden Gesetzentwürfe neigt die Deutsche Hospiz
Stiftung zu?
Wir sollten die guten Ansätze aus dem Stünker- und dem Bosbach-Entwurf zusammentragen. Die Gruppe um Wolfgang Bosbach hat erkannt, dass Selbstbestimmung ohne Aufklärung kaum möglich ist. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Patienten die Konsequenzen ihrer Verfügung kennen. Beim Entwurf von Joachim Stünker gefällt mir, dass auf die notarielle Beurkundungspflicht verzichtet wird. Wir begrüßen, dass sich beide Entwürfe in der Frage der Ermittlung des mutmaßlichen Willens angenähert haben. Auch nach einem Patientenverfügungsgesetz werden die meisten Menschen keine Patientenverfügung haben, sondern eine, die für den vorliegenden Krankheitsfall nicht genügend konkret sein wird. Hier erwarte ich noch Bewegung.
Sie haben den Bosbach-Entwurf kritisiert, weil darin vorgesehen
ist, dass die Verfügungen unter bestimmten Umständen
nicht wirksam sind, weil das Leben unbedingt zu schützen
sei.
Da hat sich im Entwurf zur ursprünglichen Fassung einiges verändert. Eine Reichweitenbeschränkung ist nicht praxistauglich und verfassungsrechtlich hoch bedenklich. Lebensschutz schließt das Selbstbestimmungsrecht nicht aus. Vielmehr geht es darum, beides miteinander zu vereinen, denn die Grundrechte sind untrennbar.
Was halten Sie vom Entwurf der Abgeordneten Wolfgang Zöller,
Dr Hans Georg Faust und anderen, nach dem Verfügungen auch
gelten sollen, wenn sie nicht schriftlich niedergelegt
wurden?
Die Gruppe Zöller/Faust will den "dialogischen Prozess" zwischen Arzt und Betreuer am Patientenbett. Ein Dialog ohne klare Spielregeln geht allerdings schnell am Patientenwillen vorbei. Die Gruppe ist im Glauben, man brauche nur die derzeitige Praxis und die zentrale Rolle des Arztes zu stärken. Leider ist das nicht so. Vielmehr hängt es vom Gerichtsbezirk ab, wie beispielsweise über künstliche Ernährung entschieden wird. Mir macht Sorge, dass die Gruppe verkennen könnte, dass sich sowohl Patienten als auch Ärzte und Richter in diesen Fragen zurzeit im ethischen und juristischen Treibsand befinden.
Die Deutsche Hospiz Stiftung hat im Jahr 2008 rund 6.500 Menschen
beim Verfassen ihrer Patientenverfügung beraten. Neun
Millionen Menschen haben eine solche. Was ist ihr wichtigstes
Anliegen?
Sie haben Angst davor, einer Medizintechnik machtlos ausgesetzt zu sein. Doch Angst ist ein schlechter Berater. Schließlich erkennen viele erst durch die Beratung, dass die zentralen Fragen etwa der künstlichen Ernährung kaum ein Thema der Intensivmedizin sind, sondern der Pflege.
Woher kommt die Sorge, dass der Patientenwille im Sterben nicht
zählt?
In unserem Gesundheitssystem entscheidet nicht der Patient über die Therapie, sondern der Leistungserbringer – also Arzt oder Krankenhaus. Die Gesetze wurden geschaffen, um Leistungen abzurechnen, die von Ärzten und Krankenkassen festgelegt werden. Wir als Zahler sind nur insofern beteiligt, als dass wir monatlich unsere Krankenkassenbeiträge abführen. Gerade bei chronisch Kranken, die besonders aufgeklärt sind, erleben wir, dass das System auf ihre Wünsche nur wenig hört. Sie gelten als unbequeme Patienten.
Wird auf deren Wünsche am Lebensende so wenig gehört,
weil Sterben so teuer ist?
Das ist nur ein Teil der Wahrheit, denn mit dem Sterben kann man gutes Geld verdienen. Das Gesundheitssystem der Bundesrepublik kostet jährlich ungefähr 240 Milliarden Euro. Ungefähr die Hälfte dieses Budgets wird für Menschen ausgegeben, die sich in ihren letzten zwölf Lebensmonaten befinden. In der Regel wird ein solcher Mensch fünf Mal in ein Krankenhaus eingewiesen und wieder entlassen. Das ist für die Leistungserbringer hoch profitabel, nutzt aber den Schwerstkranken und Sterbenden wenig.
Warum?
Weil es am Bedarf der Betroffenen vorbeigeht. Das System honoriert die Heilung, beispielsweise durch die Fallpauschalen in Krankenhäusern. Die Schwerstkranken und Sterbenden brauchen aber Begleitung. Der Mensch am Lebensende hat viele Krankheiten und Symptome. Hier wäre also nicht Heilung, sondern professionelle Linderung wichtig – Ganzheitlichkeit also, die leider verloren geht.
Was müsste verändert werden?
Als Patientenvertreter geht es uns nicht darum, neue Leuchttürme auf kleinen Inseln zu bauen. Noch ein paar Hospize mehr lösen das Problem nicht. Wir brauchen ein hospizlich-palliatives Konzept, das überall greift, wo gestorben wird – und das sind zu 75 Prozent Altenpflegeheime und Krankenhäuser. Es geht darum, das Leiden so zu mindern, dass eine gute letzte Zeit möglich ist. Der Gesetzgeber hat 2007 den Leistungsanspruch für eine spezielle "Palliativ Care"-Versorgung definiert. Es sollten 330 Teams in Deutschland gegründet werden, die zuhause und in Pflegeheimen Menschen mit schwersten Symptomen begleiten. Dafür wurden bis Ende 2008 rund 210 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bis heute gibt es nicht einmal eine Handvoll Dienste, die so etwas anbieten.
Ist es die Angst, nicht gut versorgt zu werden, die dazu
führt, dass dubiose Angebote wie die nun eingestellte
Sterbehilfe des Roger Kusch angenommen werden?
Ja. Es hilft nicht, wenn am Sonntag eine schöne Rede gegen aktive Sterbehilfe gehalten wird und am Montag nichts mehr davon da ist. Machen wir uns nichts vor: Ein Patientenverfügungsgesetz und das Beibehalten des Euthanasie-Verbotes laufen ins Leere, wenn die politischen Akteure nicht erkennen, dass die Menschen in Deutschland weniger Angst vor den letzten zwei Tagen als vor den letzten drei Jahren ihres Lebens haben. Offenbar reicht heute allein die Angst vor Pflegebedürftigkeit aus, sich dem System entziehen zu wollen.
Ist diese Angst berechtigt?
Stellen Sie sich vor, Sie sind pflegebedürftig und liegen mit einem fremden Menschen in einem Zimmer. Dort sagt ihnen ein Pfleger, der überfordert ist, weil er 24 Menschen versorgen muss, Sie sollen in die Windeln machen, weil er keine Zeit habe. Oder Ihnen wird eine Magensonde gelegt, weil keine Zeit ist, Ihnen das Essen in Ihrem Schluckrhythmus zu reichen. Das ist demütigend. Im Tierschutzgesetz ist es Vorschrift, mit jedem Hund einmal täglich ins Freie zu gehen – mir erzählen Angehörige oder Pflegekräfte, dass Patienten in einer Woche nicht einmal an der frischen Luft waren.
Seit einiger Zeit sorgt der Fall des demenzkranken Schriftstellers
Walter Jens für Aufsehen. Sein Sohn sagt, Jens habe einmal
erklärt, nur ein "selbstbestimmtes Leben" führen zu
wollen. Ist das nicht das Hauptproblem, dass wir vorher nicht
wissen, wie ein Leben unter bestimmten Umständen sein
wird?
Walter Jens ist ein Paradebeispiel dafür, worauf ein Patientenverfügungsgesetz eine Antwort geben muss. Nämlich auf die entscheidende Frage, wie der mutmaßliche Wille ermittelt wird. Wie kann ich den Willen von Patienten ermitteln, die keine Verfügung haben? Willensäußerungen von vor 14 Jahren dürfen da keine Rolle spielen, sie sollten nicht älter als zwei Jahre sein. Größte Vorsicht ist bei den "allgemeinen Wertvorstellungen" geboten – übrigens eine sehr unglückliche Formulierung des Bundesgerichtshofs. Die drei Entwürfe halten für das Schicksal von Walter Jens unterschiedliche Antworten parat. Bauen wir also eine Brücke im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes und des Integritätsschutzes.