Kinderkommission zu Besuch bei Stadtteilmüttern in Neukölln
Knapp 300.000 Einwohner zählt der Berliner Bezirk Neukölln. 40 Prozent der Menschen, die dort leben, haben einen Migrationshintergrund. „Viele Einwandererfamilien leben sehr zurückgezogen und nehmen kaum am sozialen Leben teil“, berichtet Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Solche Familien sind die Zielgruppe der Neuköllner Stadtteilmütter. Die 120 Frauen, die selbst Migrantinnen sind, versuchen, zu diesen Familien Kontakt aufzunehmen, sie in die Gemeinschaft zu integrieren und ihnen bei wichtigen Dingen und Situationen des Alltags zur Seite zu stehen.
Zwei Abgeordnete der Kinderkommission, ein Unterausschuss des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
besuchten am Mittwoch, 18. März 2009, Neukölln, um einen
Einblick in die tägliche Arbeit einer Stadtteilmutter zu
bekommen.
„Wir wollten uns beispielhafte Projekte aus der Nähe
anschauen und dadurch für unsere Arbeit Erfahrungen aus der
Praxis einholen“, erklärt Ekin Deligöz
(Bündnis 90/Die Grünen), die Vorsitzende der
Kinderkommission. „Unser aktuelles Thema ist die frühe
Hilfe für Kinder und Eltern. Dazu passte das Modell der
Stadtteilmütter sehr gut.“
Das unter der Trägerschaft der Diakonie stehende Projekt nahm 2004 seinen Anfang. „Damals waren nur rund die Hälfte der Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund in einem Kindergarten oder einer Kindertagesstätte. Die andere Hälfte war bis zum Schulbeginn den ganzen Tag zuhause“, weiß Maria Macher, Projektleiterin der Neuköllner Stadtteilmütter.
„Unser erster Ziel war daher, die Arbeit dieser Einrichtungen
vorzustellen und dafür zu werben.“ Mit Erfolg: Heute
gehen auch aus Familien mit Migrationshintergrund fast alle Kinder
ab dem dritten Lebensjahr in einen Kindergarten oder eine
Kindertagesstätte.
Im Laufe der Zeit sind immer weitere Projektziele entstanden. Die
Stärkung des Selbstbewusstseins der Eltern im Umgang mit den
Bildungseinrichtungen gehört mittlerweile genauso zu den
Aufgaben einer Stadtteilmutter wie die Ermutigung der Eltern, ihre
Erziehungsverantwortung aktiv wahrzunehmen.
Die Frauen aus meist türkischer oder arabischer Herkunft wurden in einem sechsmonatigen Kurs über zehn Themen der Erziehung, Bildung und Gesundheit für ihre Arbeit qualifiziert. „Die Stadtteilmütter haben alle selbst Familie, daher geht es in der Ausbildung hauptsächlich darum, dass sie ihr eigenes Erziehungsverhalten reflektieren und eventuell noch bestehende Lücken aufgefüllt werden“, berichtet Abier Nasereddin, Projektkoordinatorin der Stadtteilmütter Neuköllns.
Ein gutes Beispiel ist das Thema Fernsehen. „Die meisten
Mütter wissen, dass ihre Kinder zu viel fernsehen und sie
wollen das ändern, wissen aber nicht wie“, schildert
Abier Nasereddin das Problem. „Die Stadtteilmütter
zeigen ihnen in den Gesprächen Möglichkeiten auf, mit der
Situation umzugehen und sie in den Griff zu bekommen.“
Für die Stadtteilmütter ist der erste Besuch häufig der schwerste. „Man ist aufgeregt und muss sich gegenseitig erst mal kennenlernen“, berichtet Stadtteilmutter Leyla Daglar von ihren Erfahrungen. „Aber sobald ich anfange, über die einzelnen Themen zu reden ist die Familie sehr interessiert und die Atmosphäre wird lockerer.“
Möglichkeiten, neue Familien für ihre Arbeit zu finden
haben die Stadtteilmütter viele. „Wir machen für
uns selbst Werbung“, weiß Stadtteilmutter Aida Shihab.
„Wir sprechen Frauen im Bus, auf der Straße, beim Arzt,
in Deutschkursen oder auf Spielplätzen an, also überall
wo uns jemand begegnet, der Interesse an einer Hilfestellung haben
könnten. Dann stellen wir uns und unsere Arbeit vor und die
meisten Frauen sind sehr dankbar für diese
Möglichkeit.“
Auch für die Frauen selbst hat die Arbeit als Stadtteilmutter eine große Bedeutung. „Die Frauen werden nicht nur von ihren Familien unterstützt, sondern sie erhalten auch sehr viel Anerkennung von außen“, bestätigt Abier Nasereddin. „Die Frauen nehmen ihre Arbeit auch wirklich sehr ernst, was dazu führt, dass sie jeden Tag in den einzelnen Familien viele kleine Erfolge erreichen“, erklärt Bürgermeister Heinz Buschkowsky.
Für die Abgeordneten der Kinderkommission war der Besuch in
Neukölln sehr aufschlussreich. „Die Stadtteilmütter
sind auf jeden Fall ein sehr unterstützenswertes Projekt, das
auf Dauer eingerichtet und fest gefördert werden
sollte“, ist sich Diana Golze, Die Linke, sicher. „Es
würde sich auch für andere Städte mit ähnlichen
Problemen eigenen und von dem bemerkenswerten Engagement der Frauen
kann man sich wirklich viel abschauen.“