Kontroverse erste Beratung des Regierungsentwurfs im Bundestag
Mehr Schutz für Kinder vor Misshandlung und Vernachlässigung wollen alle Fraktionen im Deutschen Bundestag – dennoch stießen die Pläne der Bundesregierung für ein neues Kinderschutzgesetz am Donnerstag, 23. April, auf massive Kritik. Nach der 45-minütigen Beratung war klar: Es bleibt noch viel zu tun.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (
16/12429), der den Abgeordneten in erster
Lesung vorlag, sieht vor, dass so genannte
Berufsgeheimnisträger wie etwa Ärzte Informationen an die
Jugendämter weitergeben können, wenn sie den Verdacht auf
Kindeswohlgefährdungen haben und Gespräche mit den Eltern
erfolglos geblieben sind. Auch Berufsgruppen, die nicht unter die
Schweigepflicht fallen und mit der Erziehung von Kindern befasst
sind, sollen künftig verpflichtet sein, Beobachtungen
weiterzugeben, wenn sie Kinder gefährdet sehen.
Zur besseren Einschätzung der Situation sollen sie auf die Hilfe von Fachkräften zurückgreifen. Der parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues (CDU) betonte für die Bundesregierung, der „Datenschutz darf den Kinderschutz nicht behindern“, deshalb solle eine „ausdrückliche Befugnisnorm“ den Berufsgeheimnisträgern Sicherheit geben. Sie sollten keine Angst haben müssen, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, weil sie ihre Schweigepflicht verletzt hätten.
Auch für die Jugendämter soll sich nach dem Willen der
Regierung einiges ändern: Sie will die Einrichtungen dazu
verpflichten, bei Hausbesuchen gefährdete Kinder in
Augenschein zu nehmen. Ausnahmen vom Hausbesuch als gesetzlichem
Regelfall solle es dann geben, wenn die Gefahr bestehe, dass die
Dinge dadurch eskalierten, so Kues. Er warb für den Entwurf:
Damit werde der „Mut zu einem aktiven und offensiven
Kinderschutz“ sichtbar.
Diese Position wurde in der Beratung jedoch nur von der Union geteilt. Michaela Noll unterstrich, aus der Tatsache, dass es in Deutschland rund 100.000 vernachlässigte Kinder gebe, entstehe „dringender Handlungsbedarf“. Hausbesuche etwa seien nötig, weil einige Jugendämter sich in der Vergangenheit auf die Aussagen der Eltern verlassen und die Kinder nicht persönlich in Augenschein genommen hätten, doch „Schreibtischdiagnosen helfen nicht, die Kinder müssen sichtbar werden“. Die verhungerte Lea-Sophie hätte vielleicht gerettet werden können, hätte es Hausbesuche des Jugendamts gegeben.
Für ihren Koalitionspartner ist dies eine
überflüssige Regelung: Hausbesuche seien bereits jetzt
möglich, so die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion
Caren Marks. Sie verpflichtend einzuführen werde dem
Einzelfall nicht gerecht. In der Kinder- und Jugendhilfe seien
präventive Ansätze und eine „Balance von Hilfe und
Kontrolle“ am wichtigsten und sie frage sich, warum im
Gesetzentwurf diese präventiven Ansätze fehlten. Marks
kündigte an, den Gesetzentwurf, der bislang den Kinderschutz
nicht verbessere, in der parlamentarischen Beratung „auf Herz
und Nieren“ prüfen zu wollen.
Auch die Opposition hält gravierende Nachbesserungen für nötig. Für die FDP betonte Miriam Gruß, der Entwurf ginge in Sachen Prävention nicht weit genug, weil man nicht erst dann einsetzen dürfe, „wenn es schon lichterloh brennt“. Sie mahnte zudem eine deutliche Verbesserung der Ausstattung der Jugendämter und die Schaffung einheitlicher Qualitätsstandards für deren Arbeit an.
Die geplante Erleichterung der Informationsweitergabe für
Ärzte sah Gruß kritisch: So werde das vertrauensvolle
Verhältnis von Ärzten und Eltern gestört und unter
Umständen verhindert, dass Familien sich Hilfe suchten, weil
sie Angst aufgrund der fehlenden Schweigepflicht hätten. Sie
sehe daher der geplanten Expertenanhörung am 25. Mai gespannt
entgegen, um die Meinung der Praktiker dazu zu hören.
Diese hätten dem Entwurf ohnehin bereits „vernichtende Absagen“ erteilt, stellte für Die Linke Diana Golze fest. Sie bemängelte, es sei nicht der erste Vorschlag für verbesserten Kinderschutz aus dem Familienministerium, der in der Fachwelt auf massive Kritik stieße. „Erstaunlich“ sei für sie zudem das Vorblatt des Entwurf: Darin heiße es, das neue Kinderschutzgesetz werde keine finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben.
Für die Grünen schafft die Regierung mit dem Entwurf ein
„Schema F“ und liefere keine Antworten auf dringende
Fragen. Das Gesetz in der derzeitigen Form „nützt
nichts“, so Ekin Deligöz.