Schwarz-Rot-Gold oder Schwarz-Weiß-Rot? Diese Frage erhitzte die Gemüter in Deutschland nach dem Ende der Monarchie 1918 fast so sehr wie die Bestimmungen des Vertrags von Versailles oder die so genannte Dolchstoßlegende. Auch wenn die Weimarer Nationalversammlung am 3. Juli 1919 Schwarz-Rot-Gold als Nationalfarben festlegte: Der "Flaggenstreit" war damit noch lange nicht beendet. Die Tragik der Weimarer Republik – sie wird nicht zuletzt im erbitterten Kampf um die Farben der deutschen Trikolore offenbar.
Heftig stießen die unterschiedlichen Meinungen in der Debatte
der Weimarer Nationalversammlung über die künftigen
Nationalfarben Anfang Juli 1919 aufeinander. Vor allem die
Abgeordneten der SPD, aber auch Teile der Parteien des liberalen
Bürgertums sprachen sich für Schwarz-Rot-Gold aus.
Diese Farben hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die deutsche Nationalbewegung in ihrem Protest gegen die absolutistische Kleinstaaterei und die elende Lage der unteren Schichten zum Symbol für Einheit, Freiheit und Gerechtigkeit erkoren.
Auf diese Tradition spielte Reichsinnenminister Eduard David (SPD)
an, als er in der Debatte sagte, Schwarz-Rot-Gold seien die Farben
der großdeutschen nationalen Zusammengehörigkeit und der
Revolution von 1848. Die Regierung wolle mit Schwarz-Rot-Gold ein
Symbol schaffen, zu dem sich das ganze Volk mit Freuden
bekenne.
Genau das wollten viele Parlamentarier des bürgerlichen und des rechten Lagers, vor allem die der Deutschen Volkspartei (DVP) und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), unbedingt verhindern. Sie bestanden auf Schwarz-Weiß-Rot, den Farben des Kaiserreiches.
Die Sozialdemokraten lehnten dies vehement ab. Für sie war die
kaiserliche Flagge das Symbol für die Unterdrückung von
Freiheit und Gerechtigkeit durch den
monarchistisch-militaristischen Obrigkeitsstaat unter
preußischer Führung.
Für die Deutschnationalen hingegen repräsentierte Schwarz-Weiß-Rot die Reichseinheit von 1871, an deren Zustandekommen Preußen und das Haus Hohenzollern entscheidenden Anteil gehabt hätten. Zudem sei es eine Frage der Selbstachtung, nach der Niederlage im Weltkrieg an der Fahne festzuhalten, unter der man in diesen Krieg gezogen sei.
Wer Schwarz-Weiß-Rot durch Schwarz-Rot-Gold ersetze, der
sorge dafür, so der DVP-Abgeordnete Wilhelm Kahl, dass
"große Kreise der Bevölkerung der neuen Ordnung von
vornherein feindlich" gegenüberstünden.
Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) wiederum setzte sich – als Zeichen der Revolution – für eine rote Flagge ein. Jeglicher Fortschritt, sagte ihr Abgeordneter Oskar Cohn in der Debatte, sei mit der Farbe Rot verbunden.
Zwar konnten sich die Sozialdemokraten am Ende mehr oder weniger
durchsetzen. Am 3. Juli 1919 beschloss die Nationalversammlung:
"Die Reichsfarben sind Schwarz-Rot-Gold." Sie machte aber auch den
Anhängern der Kaiserreichsflagge Zugeständnisse, indem
sie Schwarz-Weiß-Rot als Farben der Handelsflagge – mit
den Reichsfarben in ihrer linken oberen Ecke – bestimmte.
Vermutlich trug dieser Kompromiss eher dazu bei, dass der so genannte Flaggenstreit am 3. Juli 1919 beileibe kein Ende fand, sondern bis zum Scheitern der Weimarer Republik an Schärfe weiter zunahm. So analysierte der Politologe Theodor Eschenburg 1962: "Anstelle der einen Nationalflagge, die als ein staatliches Friedenssymbol über allen wehen sollte, gab es deren zwei, die zu Symbolen des innerstaatlichen Streits wurden. Es ging im Grunde nicht so sehr um Symbole. Sie waren vielmehr Sinnbilder entgegengesetzter politischer Vorstellungen und Richtungen. Dadurch, dass die Rechte unter schwarz-weiß-roten Fahnen die Verfassung, aber auch die Außenpolitik der Regierung bekämpfte, wurde für die Gegenseite Schwarz-Rot-Gold zur Kampffahne."
Dem Flaggenstreit setzten die Nationalsozialisten dann ein Ende.
Zwei Jahre nach ihrer Machtergreifung 1933 legte ein neues
Reichsflaggengesetz Schwarz-Weiß-Rot als Reichsfarben fest.
Zugleich aber machte es klar: "Reichs- und Nationalflagge ist die
Hakenkreuzflagge. Sie ist zugleich Handelsflagge."
Erst 1949, mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, kamen die offiziellen Farben der Weimarer Republik wieder zu Ehren. In Artikel 22 des Grundgesetzes heißt es kurz und bündig: "Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold." Auch die DDR besann sich 1949 auf die Trikolore der ersten deutschen Republik. Erst 1959 fügte sie das Staatswappen mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz hinzu.
Mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 sollten sich dann die
alten Hoffnungen auf Einheit und Freiheit, die sich seit dem 19.
Jahrhundert mit Schwarz-Rot-Gold verbinden, für die Deutschen
endlich erfüllen. Wohl ein Grund, warum sich ihr Umgang mit
den alt-neuen Nationalfarben in den vergangenen Jahren deutlich
entspannt hat.