Die äußerliche Ruhe in den Bundestagsgebäuden täuscht. Auch in der parlamentarischen Sommerpause herrscht in den Büros geschäftiges Treiben. So nutzen viele Abgeordnete die sitzungsfreie Zeit, um liegen gebliebene Akten aufzuarbeiten. Und immer wieder sieht man Mitarbeiter mit Umzugskartons in den Fluren. Rund 100 Parlamentarier, etwa ein Viertel aller Abgeordneten, nehmen in diesen Wochen Abschied vom Bundestag. Das große Aussortieren in den Abgeordnetenbüros beginnt. Zu Beginn der neuen Legislaturperiode müssen die Räume leer an die Nachfolger übergeben werden.
Doch auch für das Ausräumen der Bundestagsbüros gibt es klare Regeln: Die ausscheidenden Abgeordneten können grundsätzlich außer den Büromöbeln und der Büroausstattung alle Unterlagen mit nach Hause nehmen. Einzige Ausnahme bilden Dokumente, die als Verschlusssache (VS) gekennzeichnet sind, und sowieso nicht in den Abgeordnetenbüros gelagert werden. Für den Transport ihrer Unterlagen müssen die Parlamentarier allerdings selbst sorgen und aufkommen. Auf Wunsch sichten Mitarbeiter der Bundestagsbibliothek auch die Bücher in einem Abgeordnetenbüro und freuen sich, wenn der Bestand der Parlamentsbibliothek erweitert werden kann - allerdings nur um Werke, die nicht schon im Besitz des Bundestages sind und einen überregionalen Bezug haben.
Die Mitarbeiter der Grünen-Abgeordneten Dr. Uschi Eid haben rund 50 Umzugskartons geordert. Grundsätzlich sollen alle Unterlagen in das Grüne Gedächtnis gehen, das Archiv der Heinrich-Böll-Stiftung, erläutert Eid. "Dort sind die Dokumente gut aufgehoben." Ausnahmen seien Sachen, "an denen mein Herz besonders hängt", sagt die langjährige Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungsministerium. Dazu zählten beispielsweise Dokumente von Anhörungen, Große Anfragen oder parlamentarische Anträge, in die sie sehr viel Zeit investiert hat. Auch ihre Heimatgemeinde Zeiskam in der Südpfalz hat für die Dorfchronik Interesse an einigen Dokumenten angekündigt. Dorthin will Eid zum Beispiel die Ernennungsurkunden zur Parlamentarischen Staatssekretärin, 1998 durch Bundespräsident Roman Herzog und 2002 durch Bundespräsident Johannes Rau, geben.
"Ich war sehr gern Abgeordnete, aber ich schaue auch entspannt in die Zukunft", sagt Eid. Wie vielen anderen ausscheidenden Abgeordneten falle es auch ihr nicht leicht, die Kollegen und den Bundestag zu verlaverlassssen. "Mir wird ein eigenes Büro fehlen", gibt die 60-Jährige zu, die ab Herbst vom heimischen Schreibtisch aus arbeiten wird. Eid hat einen Lehrauftrag an der Freien Universität in Berlin angenommen und will auch einige Ehrenämter weiter ausüben.
Auch im Büro des SPD-Abgeordneten Lothar Ibrügger wird pragmatisch an den bevorstehenden Auszug herangegangen. Alle zwei Jahre sind wir mit kritischem Blick Akten und Papiere durchgegangen, wie eine Mitarbeiterin erzählt. Alles, was doppelt war, wurde aussortiert. Viele der Unterlagen aus knapp 33 Jahren Abgeordnetentätigkeit sind auch digital gespeichert, beispielsweise im Archiv des Bundestages. Lediglich persönliche Dinge und Korrespondenzen will der Außen- und Sicherheitspolitiker mit nach Hause, in das ostwestfälische Minden, nehmen.
Noch gar keine Gedanken über den bevorstehenden Auszug hat sich die ostdeutsche CDU-Parlamentarierin Susanne Jaffke-Witt gemacht, die seit der Wiedervereinigung 1990 im Bundestag ist. Als Mitglied im Haushaltsausschuss gebe es auch in der Sommerpause genug zu tun, sagt die 60-Jährige. "Das Alltagsgeschäft geht weiter", fügt sie hinzu. Ganz bestimmt aber werde sie persönliche Dokumente wie ein Schreiben des inzwischen verstorbenen CDU-Politikers Alfred Dregger, ihres ersten Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, nicht aus der Hand geben. Alle anderen Unterlagen will die studierte Tierärztin aus Ostvorpommern der Konrad-Adenauer-Stiftung übergeben.
Auch die CSU-Abgeordnete Maria Eichhorn kann auf eine fast 20-jährige Parlamentszugehörigkeit zurückblicken. Als Familienpolitikerin der Unionsfraktion habe ihr der Schutz des ungeborenen Lebens besonders am Herzen gelegen, sagt die 60-Jährige. Deshalb wolle sie Dokumente aus diesem Engagement im heimischen Regensburg aufbewahren. Als bayerische Landesvorsitzende des Vereins Donum Vitae, der in der Schwangerenkonfliktberatung tätig ist, könne sie so auf diese Unterlagen immer zurückgreifen. Alle anderen Dokumente aus ihrem Bundestagsbüro will Eichhorn der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung vermachen.
Im Rückblick auf oft mehre Jahrzehnte Bundestagszugehörigkeit werden bei vielen Abgeordneten Erinnerungen wieder gegenwärtig. Susanne Jaffke-Witt gehört zu den wenigen ostdeutschen Bundestagsabgeordneten, die 1990 Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR waren. Sie war an den Einigungsverhandlungen beteiligt und wechselte als eine von 144 Volkskammerabgeordneten in den Bundestag nach Bonn. Dokumente aus dieser Zeit sollen einen Ehrenplatz in ihrem heimischen Büro bekommen.
Auch Uschi Eid erinnert sich gern an die ersten turbulenten Oppositionsjahre der Grünen im Bundestag. 1986, ein Jahr nach ihrem Einzug in das Parlament, machte Eid mit einer spektakulären Aktion auf sich aufmerksam. Zusammen mit Fraktionskollegen besetzte sie 24 Stunden die deutsche Botschaft in Pretoria, weil die deutsche Stimme ihrer Meinung nach nicht laut genug gegen Apartheid und für die Freilassung von politischen Gefangenen in Südafrika erhoben wurde. Ziel sei eine Protestaktion gegen die Bundesregierung gewesen, berichtet Eid. Doch sei Vorsicht geboten gewesen, denn die Anreise von acht Grünen-Politikern nach Südafrika, darunter Petra Kelly und Gerd Bastian, war - zumindest zur damaligen Zeit - höchst verdächtig. Allerdings blieb zunächst das Medienecho der Botschaftsbesetzung im Vor-Handy-Zeitalter gering: Der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte eine strikte Kontaktsperre verhängt. Erst später wurde die Aktion der umtriebigen Grünen-Abgeordneten auch in Deutschland publik.