Unscheinbare, alte DDR-Möbel und verbeulte Autos legen Zeugnis ab: Die Werke der Leipziger Künstlerin Ricarda Roggan thematisieren "auf überraschende Weise ein Kapitel jüngerer deutscher Politik und Alltagsgeschichte", sagte Bundestagsvizepräsident Dr. Wolfgang Thierse (SPD) bei der Ausstellungseröffnung dam Donnerstag, 3. September 2009, im Kunst-Raum des Bundestags im Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.
Die Fotografie erinnert an das Bildnis des biblischen Abendmahls: eine lange Tafel, dahinter viele Stühle. Nur sind keine Menschen zu sehen. Bilder der Stille sollen Ricarda Roggans Werke sein. Kahle Räume werden mit altem DDR-Mobiliar bestückt, die Arrangements strahlen Nüchternheit und auch Bedrohung aus. Aus einem ihrer Werkzyklen mit dem Titel "Stühle und Tische" hat der Bundestag schon drei Bilder für seine Kunstsammlung erworben. Die Fotografien zeigen eine Wahlkabine und eine Wahlurne aus DDR-Zeiten.
Die 1972 in Dresden geborene Künstlerin will mit diesen Relikten eines untergegangenen Staates "Geschichte zeigen", ohne aber ein Denkmal zu schaffen. "Die Bilder sollen keine politische Aussage treffen", stellt sie klar. "Die Interpretation bleibt völlig frei, es liegt allein im Auge des Betrachters." Ricarda Roggan hat an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Timm Rautert studiert. Diese Hochschule hat "mit ihrer wechselvollen Geschichte Generationen von Künstlerinnen und Künstler geprägt, sie hat Widerspruchsgeist geweckt", betonte Wolfgang Thierse in seiner Laudatio. Und die Leipziger Schule sei im Bundestag gut vertreten, an erster Stelle durch Neo Rauch, dessen Neonlichtskulpturen an der Fassade des Paul-Löbe-Hauses über die Spree strahlen.
Eine andere Serie der Künstlerin, die schon in den Kunst-Werken Berlin ausgestellt wurde, zeigt verbeulte Unfallautos, abgestellt in einer leeren, dunklen Garage. Die Autowracks sind zum Teil verhüllt und mit Scheinwerferlicht ausgeleuchtet. "Diese Bilder wirken wie erhabene Illustrationen zum Thema Vergänglichkeit", sinniert Thierse, "oder wie stille, leidvolle Kommentare zur gerade abgelaufenen Abwrackprämie." Die Werke seien aber lange vorher entstanden, fügt Thierse hinzu.
Der Bundestagsvizepräsident betonte zudem, dass die angekauften Werke für die parlamentarische Kunstsammlung nicht in Depots verschwänden, sondern Teil des parlamentarischen Alltags würden, in den Abgeordnetenbüros, in den Fraktionssälen. Manch ein scheidender Parlamentarier könne sich nur schwer wieder von den Bildern trennen, die ihn durch die Legislaturperioden bei der täglichen Büroarbeit begleiteten.
Anschließend gab Dr. Andreas Kaernbach, der die Ausstellung kuratiert, eine Einführung in das Werk der Künstlerin. Ricarda Roggan zeige menschenleere, stille Räume, die darauf zu warten scheinen, dass sie betreten werden und ihr Geheimnis preisgeben. Dieses Geheimnis aber berge Verlockung und Gefahr, Verheißung und Bedrohung zugleich. So werde der Betrachter auf sich selbst zurückverwiesen und zu einer existenziellen Befragung eigenen Seins angehalten. Aber auch ganz aktuell thematisierten die Fotos, beispielsweise aus der Serie „Garage“, die Verlockungen der Konsumgesellschaft und ihre Demaskierung oder machten wie in dem Triptychon „Stühle und Tische“ ungelöste Kommunikationsprobleme zwischen Ost und West deutlich.
Musikalisch begleitet wurde die Ausstellungseröffnung durch den RIAS-Kammerchor unter Leitung des Chefdirigenten Hans-Christoph Rademann. Die Sänger brachten drei Motetten von Ernst Krenek (1900-1991) nach Worten von Franz Kafka. Der Wiener Komponist, der vor den Nationalsozialisten nach Amerika floh, experimentierte mit vielen Stilen. In den aufgeführten Stücken, komponiert in der Zwölftontechnik, reicht das Tonspektrum von tiefem, dunklen Geflüster bis zu hohen, fast schrillen Lauten.
Die Ausstellung von Ricarda Roggan ist bis zum 10. Januar 2010 immer dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Der Zugang zum Kunst-Raum des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses erfolgt über die Spree-Uferpromenade am Schiffbauerdamm.