"Guten Morgen, Sie sind zu früh", sagt der Staatsminister a. D. und langjährige Geheimdienstkoordinator, als er Punkt elf sein Büro betritt und mir die Hand schüttelt. Bernd Schmidbauer hatte recht, er war auf die Minute pünktlich und ich war tatsächlich lieber drei Minuten zu früh, denn auf den vielen gefühlt kilometerlangen "fußläufigen" Distanzen in der Bundestagsverwaltung kann man an Sitzungstagen leicht einige Minuten im Stau oder vor dem Fahrstuhl verlieren.
Der CDU-Politiker Schmidbauer ist nicht der Mann, den man nach einem Beispiel fragt, wie andere umgehen sollen mit zu viel Zeit, abnehmendem Einfluss, zu wenig Ablenkung und zu viel Fokussierung auf den Ehepartner, wenn sie in Rente gehen. Das sind Probleme, die jemand mit seiner Vitalität einfach nicht kennt.
Er gehe nicht in Ruhestand, erklärt der blendend aussehende Neu-Siebziger: "Ich werde meiner Frau nicht vor den Füßen 'rumstehen und glaube auch nicht, das sie etwas anderes erwartet. Ich habe drei neue Projekte, die meine Energie und Zeit fordern. Ich habe ja schon früher als Direktor an Gymnasien gearbeitet", sagt Schmidbauer - und nun ist er zum Beispiel an einem privaten 600-Schüler-Ganztags-Gymnasium maßgeblich beteiligt. Dort sei nicht nur die Wissensvermittlung und Betreuung vorbildlich, dort werde die künftige Generation sogar wieder vernünftig bekocht und nicht mit Fastfood oder Mikrowelle versorgt.
Über diese Projekte hinaus gebe es zudem lebhaftes Interesse an seinem Engagement und seinen Verbindungen in die Maghreb-Staaten. Als Maghreb, auf arabisch 'Ort, wo die Sonne untergeht', werden aus der Perspektive des Kern-Islams auf der arabischen Halbinsel und Ägyptens die "westlichen Länder" Algerien, Marokko und Tunesien bezeichnet). Und schließlich "ist auch einiges andere durchaus wert, aufgeschrieben zu werden". Aber, lacht Schmidbauer: "Ein Buch werde ich bestimmt nicht schreiben".
Obwohl - einen Titel dafür hätte er: "Im Schatten der Macht - Null-null-acht". Mit dem Macht-Wortspiel umreißt er seinen persönlichen und politischen Höhepunkt als Staatsminister und Nachrichtenkoordinator von Bundeskanzler Helmut Kohl in den entscheidenden Jahren der Realisierung und Gestaltung der deutschen Einheit.
"Da waren ja unendlich viele Probleme nicht nur zu bedenken - da war, im wahrsten Sinne des Wortes eine ganze Armee aufzulösen, da musste ein Nachrichtendienst mit ein paar Hunderttausend Leuten nicht nur aufgelöst, sondern aufgearbeitet werden…" Das habe Voraussicht erfordert, viel Wissen und Kenntnis.
"Die Sache mit 'Rosenholz' (anzustoßen), das war doch ich", sagt Schmidbauer. "Viel Kraft" habe diese Arbeit gefordert, und man hört Stolz mitschwingen, es geschafft zu haben, "mitzuhalten mit diesem Arbeitspferd Helmut Kohl, jeden Tag von frühmorgens bis tief in die Nacht; mit Stress und Verhandlungen ohne Ende, mit Reisen, Konferenzen, Auslandsflügen, die kaum zu zählen waren". Dies alles bewältigt zu haben und heute immer noch so aktiv arbeiten zu können, das, sagt Schmidbauer, "ist eine Gnade, die man auch nutzen muss".
Die so genannten Rosenholz-Akten bezeichnen etwa 280.000 mikroverfilmte Dateien der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Staatssicherheit. Der auf ungeklärtem Weg in den Besitz des US-Geheimdienstes CIA gelangte Datenbestand wurde ab 1993 vom Bundesverfassungsschutz unter dem Code "Rosenholz" in Einzelfällen zugänglich gemacht und ab 2000 der Bundesregierung als Gesamtheit zur Verfügung gestellt.
Die Bedeutung dieser Daten erschließt sich aus Informationen zur Wiederherstellung anderer, durch die Stasi vernichteter oder unlesbar gemachter Unterlagen: Laut einem Antrag der CDU/CSU ( 14/3770) vom Juli 2000 bezifferte sich die Menge zerrissener und vorvernichteter Stasi-Unterlagen auf rund 15.000 Säcke mit etwa 33 Millionen Blatt Papier. Die zur manuellen Rekonstruktion der Akten abgestellten 40 Mitarbeiter einer Projektgruppe im bayerischen Zirndorf würden laut Antrag auf diese Weise erst in 375 Jahren zum Abschluss der Aktion kommen, hieß es darin.
Probleme eines mit demnächst mehr als 40 Prozent neuen Bundestagsabgeordneten stark verjüngten Parlaments als politische Vertretung einer immer älter werdenden Gesellschaft sieht der Unionsmann aus dem Rhein-Neckar-Kreis in Baden-Württemberg nicht: "Man ist vom Jugendwahn doch längst wieder abgekommen und sieht auch in vielen anderen Ländern, dass ein Zusammenwirken zwischen Jung und Alt passieren muss. Ohne dies und ohne die reiche Erfahrung der älteren Kollegen funktioniert es nicht."
Ohne positive jugendliche Impulse auch nicht. Und deren guten Einfluss kann Schmidbauer kaum verleugnen, wenn er von seiner 13-jährigen Tochter erzählt.