Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat in ihrer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am Dienstag, 8. September 2009, bekräftigt, dass der Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zur internationalen Sicherheit, zum weltweiten Frieden sowie zum Schutz vor dem Terrorismus beiträgt. Anlass für die Regierungserklärung war der Angriff der Bundeswehr auf zwei Tanklastwagen am Freitag, 3. September, in der Nähe von Kundus in Nordafghanistan. Dabei verloren zahlreiche Menschen ihr Leben. "Über zivile Opfer gibt es widersprüchliche Meldungen", sagte die Kanzlerin.
"Jeder unschuldig in Afghanistan zu Tode gekommener Mensch ist einer zu viel", unterstrich Merkel. "Wir trauern um jeden Einzelnen." Eine lückenlose Aufklärung sei für die Bundesregierung eine Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr werde dazu beitragen, Vorverurteilungen könnten aber nicht akzeptiert werden. "Ich verbitte mir das, von wem auch immer, im Inland wie im Ausland", sagte die Kanzlerin.
Mit der zweiten Präsidentenwahl beginne in Afghanistan eine neue Qualität der Beziehungen zur internationalen Staatengemeinschaft. Um festzulegen, wie die afghanische Regierung mehr Verantwortung übernehmen kann, solle noch in diesem Jahr eine internationale Afghanistan-Konferenz einberufen werden. Erwartet würden Zielvorgaben für den wirtschaftlichen Aufbau des Landes, um Kriminalität, Korruption und Drogenhandel zu unterbinden. Innerhalb von fünf Jahren müssen "substantielle, qualitative Fortschritte" erzielt werden.
Die Politik der vernetzten Sicherheit sei heute anerkannt und ein Erfolg der deutschen Afghanistan-Politik, sagte Merkel weiter. Der "Weg des gegenseitigen Vertrauens" solle die Afghanen befähigen, ihre Zukunft wieder in die eigene Hand zu nehmen. Deutschland sei eine wehrhafte Demokratie, deutsche Sonderwege seien keine Alternative in der Außenpolitik.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Dr. Guido Westerwelle nannte Merkels Erklärung "überzeugend", sie werde von der FDP nachdrücklich unterstützt. Nicht in Ordnung sei, dass die Informationspolitik vor dieser Debatte zur Verwirrung beigetragen habe. "Wir sind in Afghanistan, weil es um Freiheit und Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger geht", betonte Westerwelle. Zwar solle der Einsatz in Afghanistan so schnell wie möglich beendet werden. Aber: "Wenn wir jetzt kopflos abziehen, wäre Afghanistan wieder das Rückzugsgebiet der Terroristen aus aller Welt."
Der FDP-Politiker kritisierte, dass die Aufbauhilfe Deutschlands für die afghanische Polizei nicht in dem Umfang stattfinde, zu dem man sich verpflichtet habe. Dem Aufbau der eigenen Staats- und Sicherheitsstrukturen in Afghanistan sollte daher mehr Nachdruck verliehen werden, sagte Westerwelle.
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einem "bedauerlichen Zwischenfall" bei Kundus, bei dem man die Zahl ziviler Opfer noch nicht kenne. Nicht zu verstehen seien Vorverurteilungen, auch im Ausland, bevor die Untersuchungen abgeschlossen seien. Es bleibe dabei, dass der Kampf in Afghanistan nicht nur mit militärischen Mitteln zu führen sei. "Raus aus Afghanistan" sei nicht zu verantworten. Das Nein zum Irak-Einsatz und das Ja zu Afghanistan gehörten zusammen. Auch wenn man vielleicht nicht immer alles richtig gemacht habe: "Wir haben uns auf den Wiederaufbau konzentriert, um diesem geschundenen Volk auf die Beine zu helfen."
Steinmeier warb dafür, in Afghanistan zu mehr Eigenverantwortung zu kommen, damit die Afghanen die Sicherheit in ihrem Land selbst garantieren könnten. Die Bundeswehr sei keine Besatzungsarmee: "Wir sind nicht für die Ewigkeit da." Ein kopfloser Abzug sei aber nicht zu verantworten.
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Oskar Lafontaine, widersprach der Kanzlerin: der Afghanistan-Einsatz diene nicht der internationalen Sicherheit und dem Frieden, der internationale Terrorismus werde nicht bekämpft. In den vergangene Monaten sei im Afghanistan-Einsatz nicht die zivile, sondern die militärische Komponente gestärkt worden. In Afghanistan werde gegen eine Stammeskultur bekämpft, die alle zur Blutrache verpflichtet, die Opfer zu beklagen haben. Mit viel weniger Geld könnte viele Menschen vor Hunger und Krankheit bewahrt werden. "Krieg ist kein Mittel der Politik. Ziehen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan ab!", forderte Lafontaine.
Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung (CDU) sagte, würde man Lafontaines Rat folgen, würde die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gefährdet, weil die Taliban eine Bedrohung der Sicherheit in diesem Land seien. "Wenn es zivile Opfer gegeben hat, fordert dies unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl" sagte Jung, der die Bundeswehr-Entscheidung zum Einsatz gegen die Tanklastwagen verteidigte. Es habe Hinweise gegeben, dass nur Taliban dort gewesen seien. Die Tanklastzüge hätten großen Schaden anrichten können. Im Übrigen gehe es beim Aufbau voran: "90 Prozent der Afghanen stehen an unserer Seite", so der Minister.
Für Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) sind es die Taliban, die die Regeln des Völkerrechts nicht eingehalten haben, die Taliban führten dort einen Bürgerkrieg. Die Bundeswehr verdiene Respekt und Anerkennung. Es gehe nicht darum, Schuldige zu finden, sondern die Fakten auf den Tisch zu legen. Trittin griff die Informationspolitik des Verteidigungsministers an, der zu einer "Belastung" für die deutsche Afghanistan-Politik geworden sei. Dafür, dass Deutschland in einen Gegensatz zu Afghanistan geraten sei, trage die Kanzlerin die Verantwortung.
Nach Ansicht von Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ist den Soldaten keine Pflichtverletzung vorzuwerfen. Die Informationen für den Einsatz hätten wesentlich aus US-Quellen gestammt. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus sei gefährlich; noch gefährlicher wäre es aber, so von Klaeden, den Forderungen der Terroristen nachzugeben und Afghanistan zu verlassen. Diese wollten alle "Ungläubigen" von muslimischem Boden vertreiben."Diese Terroristen hassen uns nicht für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind", sagte der Unionspolitiker. Ein Rückzug wäre ein Propaganda-Erfolg für Al-Qaida.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ulrike Merten (SPD), verwies auf die Bundeswehr als "Parlamentsarmee", die nur durch einen Bundestagsbeschluss in bewaffnete Auslandseinsätze entsandt werden dürfe. Auch Merten kritisierte Jungs Informationspolitik: "Wie wollen wir den Bürgern den Bundeswehr-Einsatz erklären, wie soll eine Debatte über Sicherheit und Verteidigung entstehen, wenn die Informationspolitik bereits an der Quelle versiegt?", fragte Merten.