An den Beginn ihres Daseins als Bundestagsabgeordnete erinnert sich Silke Stokar von Neuforn (Bündnis 90/Die Grünen) genau. Es war ein Oktobertag vor sieben Jahren: "Ich kam vom Bahnhof Zoo mit dem 100er Bus und dachte: Oh Gott, was machst Du hier? Ich hatte kein Büro, keine Mitarbeiter, war aber bereits innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und musste politisch arbeiten. ‚Morgen beginnen die Verhandlungen mit dem Innenministerium‘, hieß es."
Ins kalte Wasser springen, das kann sie. Ganz unvorbereitet ist sie aber nicht. Als Gründungsmitglied der Grünen in Niedersachsen und Landtagsabgeordnete hat sie das politische Geschäft gründlich kennengelernt. "Und ich merkte bald: Die kochen hier auch nur mit Wasser." Innere Sicherheit, Daten- und Katastrophenschutz, öffentliche Verwaltung, Beamtenrecht, das sind die Themen im Innenausschuss. Die drei Jahre in der rot-grünen Regierung hat sie als aufregende Zeit in Erinnerung. Das direkte Gestalten macht ihr Spaß. "Das Informationsfreiheitsgesetz hätte es so ohne mich nicht gegeben. Als die Gefahr bestand, dass man es totlaufen lässt, ist es mir gelungen, Bündnisse zu schließen. Die Intensität, die ich in dieses Gesetz gesteckt habe, hat dazu geführt, dass wir es noch bekommen haben", berichtet sie stolz.
Zugleich lernt Silke Stokar die Schattenseiten der Macht kennen. Selbstkritisch meint sie im Rückblick: "Es wäre besser gewesen, wenn ich mehr Mut zum Konflikt gehabt hätte. Das Luftsicherheitsgesetz ist so ein Fall. Ich habe dafür gestimmt, obwohl ich wusste, dass es falsch ist. Das sind ganz schwierige Situationen für Abgeordnete. Es hatte in der Regierung dazu Einigungen gegeben. Aber ich hatte verfassungsrechtliche Bedenken, und ich nehme mir im Nachhinein übel, dass ich nicht nein gesagt habe."
Es folgen vier Jahre in der Opposition. Mehr Zeit für Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Verbänden, auch das ist ihr wichtig. "Außerdem musste ich nicht mehr so viel verteidigen." Vor eineinhalb Jahren rückte auch das Privatleben wieder in ihr Blickfeld: "Ich wurde Oma, und das hat viel verändert. Ich merkte, dass ich dieses Kind nicht erst kennenlernen wollte, wenn es in die Schule kommt."
"Ich war zwiegespalten", erzählt sie. "Ich wollte eigentlich nach Hause und habe daher nicht mit ganzer Kraft für diesen Listenplatz gekämpft. Ich sehnte mich nach mehr Lebensqualität, nach mehr Freiheit." Der Abschied vom Bundestag nach 30 Jahren aktiver Politik ist daher auch mit einem Gefühl der Erleichterung verbunden. "Ich bin 56 und will weiter ein aktives Leben führen, aber mit Eintritt in das Omaalter will ich nicht mehr so fremdbestimmt sein."
Sie hat sich fest vorgenommen, sich zunächst einmal nichts vorzunehmen. "Ich finde es spannend, mal in ein schwarzes Loch zu fallen. Mal gucken, was da kommt. Nicht schon wieder alles verplanen", meint sie. Aber sie weiß, dass es ihr nicht leicht fallen wird. "Ich bin internetsüchtig. Die größte Panik habe ich vor dem Abschalten des Nachrichtentickers. Mit dem habe ich jetzt sieben Jahre gelebt. Aber andererseits löst der ja auch Stress aus."
Sie hofft auf den Segen des Nichtwissens. Als Innenpolitikerin und als innenpolitische Sprecherin hatte sie stets Zugang zu Sicherheitsinformationen, die sie sensibler für die reale Gefahr des Terrorismus gemacht haben. "Die permanente Information über Sicherheitslagen nimmt einem ein wenig die Naivität."
Ein paar Erinnerungsstücke wird sie neben dem reichen Erfahrungsschatz mitnehmen: Weihnachtskarten von Joschka Fischer, Teddys von der Gewerkschaft der Polizei. "Aber ich werde hier ganz sicher nicht mehr über die Flure schleichen. Eine Bundestagsabgeordnete a.D. will ich nicht sein."