Als die DDR-Regierung am frühen Abend des 9. November 1989 die Öffnung der Grenzen bekannt gab, war Dr. Harald Terpe, heute Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, gerade auf der Straße. Er demonstrierte in Rostock als Mitglied der Bürgerbewegung Neues Forum zusammen mit rund 25.000 anderen Bürgern gegen das SED-Regime, als er erfuhr, was in der Hauptstadt Ost-Berlin passiert war.
"Die Grenzen sind offen! Die DDR ist am Ende - diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Demonstranten. Wir bogen gerade in die August-Bebel-Straße ein, wo wir vor der Stasizentrale demonstrieren wollten, als ich es hörte. Dann ging alles ganz schnell. Ich erinnere mich, dass unser Demonstrationszug nur 200 Meter vor seinem eigentlichen Ziel zu bröckeln begann: Die Leute wurden ganz aufgeregt, lösten sich aus der Menge und liefen weg.
Ich war natürlich auch glücklich, blieb aber da, wo ich war - im Zug. Ich wollte einfach sichergehen, dass alles friedlich abläuft. Wir fühlten uns zwar nach dem, was am 9. Oktober in Leipzig stattgefunden hatte, ermutigt. Dort waren damals gut 70.000 Menschen auf die Straße gegangen, obwohl sie befürchten mussten, dass die Staatsmacht bewaffnet eingreift. Zum Glück hat sie das nicht getan, und alles ist ruhig geblieben. Dennoch: Sicher konnten wir Demonstranten uns nie sein. Es hätte ja passieren können, dass die Sicherheitsbehörden auch bei uns gewaltsam eingreifen. Mit dieser Möglichkeit musste man immer rechnen.
Als die Demonstration beendet war, bin ich aber sofort nach Hause gegangen und habe mir die Nachrichten angehört. Ich wollte wissen, was vorgefallen ist. Dass die Regierung nun wirklich eingeknickt war und sich entschieden hatte, die Grenzen zu öffnen, überraschte mich damals allerdings nicht wirklich. Es war für mich nur ein weiteres Symptom dafür, dass es mit der DDR zu Ende gehen würde, früher oder später.
Schon seit Wochen mehrten sich schließlich die Anzeichen, dass die SED-Führung keine Kraft mehr hatte, das Land zu regieren. So traf mich der Mauerfall nicht völlig unvorbereitet. Obwohl es mich natürlich der Zeitpunkt überraschte. Nur ein Jahr vorher, war dies noch undenkbar gewesen. Ich erinnere mich daran, wie meine Frau und ich 1988 in Warnemünde Silvester feierten: Wir saßen am Hafen, von wo die Fähren in Richtung Skandinavien abgehen, und fragten uns, ob unsere Kinder es wohl je erleben würden, dass die Mauer fällt. An Silvester 1989 war es passiert.
Was mir dabei am wichtigsten war? Die politische Freiheit. Deswegen habe ich im September 1989 den "Aufbruch 89“, den Aufruf des Neuen Forums, unterzeichnet und mich für demokratische Reformen eingesetzt, so zum Beispiel am Runden Tisch des Bezirks Rostock. Sicherlich hat auch die Reisefreiheit eine Rolle gespielt, sie war aber nicht das Wichtigste. Das merkt man schon allein daran, dass meine Frau und ich nicht sofort in Richtung Westen aufgebrochen sind.
Zwei Tage nach dem Mauerfall, am 11. November 1989, war ich allerdings in West-Berlin: Der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) hatte mich und den heutigen SPD-Bundestagsabgeordneten Steffen Reiche als Wendeaktivisten zu einem Interview eingeladen. Doch anschließend bin ich sofort wieder zurück nach Hause gefahren - ich arbeitete ja als Arzt und hatte Verpflichtungen. Verreist sind meine Familie und ich im Jahr darauf - nach Skandinavien.“