Der frühere Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) hat am 26. November 2009 im Bundestag Vorwürfe der Opposition zurückgewiesen, er habe bewusst Informationen über zivile Opfer eines Luftangriffs auf Tanklaster am 4. September nahe Kundus in Afghanistan zurückgehalten. Jung, der jetzt Bundesarbeitsminister ist, rechtfertigte in einer zehnminütigen Stellungnahme am Donnerstagabend seine Informationspolitik nach dem von der Bundeswehr angeordneten Bombenangriff auf zwei Tanklaster nahe der nordafghanischen Stadt Kundus.
Nach Angaben der NATO waren dabei bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden, darunter 30 bis 40 Zivilisten. Medienberichten zufolge soll Jung aber gerade solche Informationen zu zivilen Opfern bewusst zurückgehalten haben.
Dies wies Jung zurück und betonte, Parlament und Öffentlichkeit seien "korrekt über seinen Kenntnisstand informiert" worden. Er habe sich zudem sofort um eine "sachgerechte Aufklärung" bemüht, sagte der CDU-Politiker in der auf Verlangen der Opposition anberaumten Aussprache im Bundestag.
SPD, Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen hatten schon am Donnerstagvormittag, in der Debatte um die Verlängerung des ISAF-Mandats der Bundeswehr in Afghanistan, den Minister zu einer Stellungnahme aufgefordert, waren aber mit einem Antrag gescheitert. Jung hatte daraufhin angekündigt, sich im Laufe des Donnerstags noch zu den Anschuldigungen zu äußern.
Der Minister stellte schließlich klar, er habe sich direkt nach dem Angriff mit Bundeswehr-Oberst Georg Klein, der den Luftangriff angefordert hatte, und dem Kommandeur der Afghanistan-Schutztruppe US-General Stanley McChrystal in Verbindung gesetzt. Früh habe er zivile Opfer, wenn es sie gäbe, bedauert und angekündigt, "sich um die Angelegenheit zu kümmern".
Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, griff Jung scharf an: Von einem Minister werde erwartet, dass er "sich nicht wegdrücke, sondern auch wenn es schwierig werde, die politische Verantwortung übernehme". Arnold kritisierte insbesondere die Informationspolitik nach "Salami"-Taktik gegenüber dem Verteidigungsausschuss des Bundestages: "Als Obleute haben wir erst dann Informationen erhalten, wenn diese schon in der Zeitung standen."
Der Politiker verwies auf die Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am 27. November und warnte: Wenn die Regierung da nicht "alle Fakten auf den Tisch" lege, werde das Parlament zu seiner "schärfsten Waffe greifen" und einen Untersuchungsausschuss einrichten, der dann die Angelegenheit untersuchen solle.
Jungs Amtsnachfolger, dem jetzigen Bundesverteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU/CSU), legte Arnold nahe, seine bisherige Position zu den Angriffen zu überdenken. Zu Guttenberg hatte zuvor, wie auch der inzwischen zurückgetretene Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, das Bombardement der Tanklaster als "angemessen" bezeichnet.
Elke Hoff, Verteidigungsexpertin der FDP-Fraktion, mahnte hingegen zur Ruhe und Mäßigung: "Wir sind kein Tribunal, das über die Vorgänge in Kundus richtet", sagte die Abgeordnete. Sie warnte zudem vor "Vorverurteilungen", bevor nicht "alle Fakten aufgeklärt" seien. Nichtsdestotrotz ginge es um einen "ernsten Sachverhalt", der einer "lückenlosen Aufklärung" bedürfe. Diese liege auch im Interesse der Soldaten der Bundeswehr, sagte die Liberale.
Hoff dankte Jung für seine Stellungnahme und betonte, sie freue sich auf das "Briefing der Bundesregierung" am Freitag. Sollten danach noch Fragen offen geblieben sein und die SPD einen Antrag auf einen Untersuchungsausschuss stellen, werde sich die FDP-Fraktion "diesem Anliegen nicht verschließen", so die Abgeordnete.
Wie zuvor Rainer Arnold, rügte auch Dr. Gregor Gysi, Vorsitzender der Linksfraktion, die "Salami-Taktik" des früheren Verteidigungsministers Jung. Diese sei aber nicht nur "unerträglich" gewesen, so betonte Gysi, sondern habe auch die Arbeit der Staatsanwaltschaft behindert, die nach dem Angriff im September gegen Oberst Kein zu ermitteln begonnen hatte.
Jung sei als Minister "verpflichtet" gewesen, alle ihm vorliegenden Unterlagen für das Verfahren zur Verfügung zu stellen. "Warum haben Sie das nicht getan?", fragte der Linkspolitiker. Er legte Jung nahe, die Konsequenzen aus dem Vorfall zu ziehen und als Minister zurückzutreten: "Das ist in Ihrem und in unserem Interesse."
Der Rücktrittsforderung schloss sich auch Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, an. Er zollte dem zurückgetretenen Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, seinen Respekt und sagte: "Von Ihnen, Herr Minister Jung, hätte man sich dieselbe mannhafte Courage gewünscht." Der frühere Bundesverteidigungsminister habe gegenüber Öffentlichkeit und Parlament die Unwahrheit gesagt.
Heute sei klar, dass seinem Ministerium sehr wohl schon früh Hintergründe und Informationen über zivile Opfer bekannt gewesen sein mussten. Dennoch habe Jung stets betont, bei den Toten des Angriffs habe es sich "ausschließlich um terroristische Taliban-Kämpfer" gehandelt.
Mit solchen Aussagen habe der Minister "alle hinter die Fichte geführt". Das aber "gehöre sich so nicht in einer Demokratie", monierte Trittin. Auch er sprach sich dafür aus, den Verteidigungsausschuss zum Untersuchungsausschuss zu machen, um die Angelegenheit "lückenlos" aufzuklären.
Diese Forderung unterstützte auch die Unionsfraktion: Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Dr. Andreas Schockenhoff sagte, man sei mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses "sehr einverstanden", sollte er nach der außerordentlichen Sitzung der Verteidigungsausschusses am Freitag noch gefordert werden.
Schockenhoff bezeichnete zudem die Entlassung des Generalinspekteurs Schneiderhan und des zuständigen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, Peter Wichert, durch Minister zu Guttenberg am Donnerstagmorgen als "richtig". Seine Fraktion begrüße auch, dass der Verteidigungsminister "Offenheit und Ehrlichkeit" in Bezug auf Einsätze der Bundeswehr "oberste Priorität" eingeräumt habe.