Nun können in Stuttgart die Bagger rollen. Das Großprojekt der Deutschen Bahn AG mit dem Namen Stuttgart 21 hat am Donnerstag, 17. Dezember 2009, auch die parlamentarische Hürde im Bundestag genommen. Die Abgeordneten lehnten einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab, in dem ein Aufschub des Projekts gefordert wurde, bis dessen Wirtschaftlichkeit zweifelsfrei geklärt sei. Nach einer halbstündigen Debatte stimmten zwar neben den Antragstellern auch die Abgeordneten der Linksfraktion für die Vorlage ( 17/125). Die Regierungskoalition und die SPD verweigerten jedoch ihre Zustimmung und folgten damit einer Beschlussempfehlung des Verkehrsausschusses ( 17/268).
Stuttgart 21 sei "eines der besten Projekte, das aufs Gleis gesetzt werden soll“, lobte der Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, Enak Ferlemann (CDU/CSU), das Bauvorhaben. Die Gewinner der Neuordnung und Modernisierung des Bahnknotens Stuttgart seien vor allem die Bahnkunden, da sich Fahrtzeiten erheblich verkürzten. Die Bauarbeiten würden bis 2019 andauern, sagte er.
Ferlemann bestätigte Meldungen der letzten Tage, wonach sich laut neuesten Berechnungen die Gesamtkosten des Projekts auf 4,088 Milliarden Euro belaufen. In der Finanzierungsvereinbarung zwischen der Bahn, dem Land Baden-Württemberg und dem Bund, war man von knapp 3,1 Milliarden Euro Baukosten ausgegangen. Zusätzlich wurde ein Risikofonds über 1,45 Milliarden Euro eingerichtet.
Nach den neuesten Zahlen bleibe noch ein Rettungsschirm von 438 Millionen Euro übrig, rechnete Ferlemann vor. Der Bund stelle mit seiner Beteiligung in einer Höhe von 563,8 Millionen Euro erhebliche Mittel bereit, "und das ist auch richtig so“, erklärte er weiter.
Die Grünen kritisierte Ferlemann: „Diejenigen, die am meisten für die Verlegung des Verkehrs auf die Schiene sind, sind nun die, die ein sinnvolles Projekt torpedieren.“
Martin Burkert (SPD) betonte, dass es Ziel der Verkehrs- und Umweltpolitik sein müsse, mehr Menschen und Güter auf die Schiene zu bringen. Doch für einen Umstieg auf die Bahn müsse es gute Gründe geben. „Stuttgart 21 ist so ein Grund“, sagte er. So werde der gesamte süddeutsche Raum besser an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden und eine echte Alternative zum Autofahrten und Flugzeugreisen geschaffen.
"Irritiert“ zeigte sich Burkert allerdings angesichts der Mehrkosten. "Die Bahn muss sich die Frage gefallen lassen, wie es dazu kam“, sagte er.
"Die Bahn fährt nach 17 Jahren der Planung endlich in die Moderne“, lobte der FDP-Abgeordnete Werner Simmling das Bauvorhaben und bezeichnete es als "wichtigstes Infrastrukturprojekt Deutschlands“. Da das Verkehrsaufkommen in den kommenden Jahren weiter steigen würde, sei Stuttgart 21 eine Investition in die Zukunft. Den Kostenrahmen des Projekts nannte er "belastbar, solide und verantwortungsvoll“.
Stuttgart 21 ist laut Simmling in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung: "Das Projekt ist volkswirtschaftlich und umweltpolitisch wichtig“, urteilte er. Darüber hinaus festige es die "zentrale geografische Lage Deutschlands in einem sich nach Osten erweiternden Europa.“
Die Mehrheit der Stuttgarter lehne das Projekt ab, sagte dagegen Ulrich Maurer (Die Linke). Die Bewohner der Landeshauptstadt hätten andere Sorgen als ein "Milliardengrab“, monierte er. Schließlich würden in der Stadt soziale und kulturelle Leistungen gekürzt.
Auch verkehrspolitisch lehnte Maurer den Bau ab. Stuttgart 21 schade dem Verkehr, da es zulasten anderer Bahnprojekte wie dem Ausbau der Rheintalschiene ginge. Im Übrigen gehe es nicht darum "schöne Bahnhöfe zu bauen“, schimpfte Maurer. Stattdessen solle man die vorhandene Infrastruktur verbessern.
In Anspielung auf den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof und die Verlegung von Gleisführungen unter die Erde begrüßte Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) die Befürworter des Projekts als "Fangemeinde des Unterirdischen“.
Verkehrspolitisch ist das Vorhaben, laut Hermann, "völlig daneben“. Den Bau eines unterirdischen Bahnhofs bezeichnete er als "altmodisch“. Außerdem sprach er dem Projekt seine Eigenwirtschaftlichkeit ab, da die frei werdenden Flächen nur schwer zu verkaufen seien. "Niemand im Bundestag hat die Wirtschaftlichkeitsrechnung gesehen“, kritisierte er.
"Stuttgart 21 wurde von Anfang an preislich unter Wert gerechnet, um es politisch durchzuboxen“, mutmaßte Hermann. Inklusive dem Neubau der Strecke Wendlingen-Ulm geht Hermann von Gesamtkosten in Höhe von zehn Milliarden Euro aus.
Das Vorhaben sei vom Gemeinderat bis hin zum Bundestag über Jahre hinweg immer wieder gebilligt worden, verteidigte dagegen Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) das Projekt: "Somit ist es demokratisch legitimiert.“ Dennoch nehme er die Sorgen der Stuttgarter ernst.
Den Antrag der Grünen nannte er "überholt“. Ute Kumpf (SPD) warf der Fraktion gar eine "populistische Argumentation“ vor.