Berlin. (hib/KOS) "Erschütternde Details", so der Vorsitzende Siegfried Kauder (CDU), berichtete am Donnerstag dem Untersuchungsausschuss der aus Bremen stammende Türke Murat Kurnaz über seine Inhaftierung im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba, wo er zwischen Februar 2002 und Sommer 2006 inhaftiert war. Dort sei Kurnaz, der fälschlicherweise unter Terrorverdacht geraten und nach seiner Festnahme Ende 2001 in Pakistan zunächst ins afghanische Kandahar geschafft worden war, "durch die Hölle" gegangen, so sein ebenfalls als Zeuge befragter Anwalt Bernhard Docke. Kein Thema des Gremiums sind die Vorwürfe von Kurnaz, in Kandahar auch von Bundeswehr-Soldaten misshandelt worden zu sein. Mit dieser Frage befasst sich der Verteidigungsausschuss.
Bereits in Kandahar, so Kurnaz, sei er von US-Soldaten oft geschlagen worden. Wie die anderen Gefangenen sei er der Kälte weitgehend schutzlos ausgeliefert gewesen. Essen habe es nur einmal am Tag gegeben. In Guantanamo war er nach seinen Worten zeitweise in Drahtkäfigen eingesperrt. Statt Toiletten hätten nur Eimer zur Verfügung gestanden. Duschen habe man nur einmal wöchentlich mit wenig Wasser können. Die häufige Unterbrechung des Schlafs sei an der Tagesordnung gewesen. Neben Schlägen, führte der Zeuge aus, sei der wochenlange Aufenthalt in Isolationszellen die schlimmste Foltererfahrung gewesen: Dort sei man zeitweise extremer Kälte ausgesetzt worden, als Folge von reduzierter Frischluftzufuhr sei er öfters in Ohnmacht gefallen. Kurnaz gab an, im September 2002 in Guantanamo auch von drei Deutschen verhört worden zu sein, von denen einer im Frühjahr 2004 noch einmal aufgetaucht sei. Auf drei von Kauder vorgelegten Fotos erkannte der Zeuge nach seinen Worten einen dieser drei Vernehmer mit Sicherheit und einen anderen mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder.
Anwalt Docke erklärte, er habe aufgrund der Schilderungen seines Mandanten und nach dem Studium der Akten den Eindruck gewonnen, dass für die US-Stellen bei der Inhaftierung von Kurnaz auch aus Deutschland weitergegebene Informationen eine Rolle gespielt haben. So sei Kurnaz schon in Afghanistan nach Geldbewegungen auf seinem deutschen Konto und nach dem Verkauf seines Handys gefragt worden. Der Ausschuss müsse prüfen, so Docke, ob der Entscheidung der US-Behörden, Kurnaz nach Guantanamo zu schaffen und nicht schon wie andere in Kandahar wieder freizulassen, auch deutsche Nachrichten zugrunde gelegen hätten. SPD-Obmann Thomas Oppermann widersprach: Der BND habe bereits am 9. Januar 2002 aus Afghanistan nach Berlin gemeldet, dass Kurnaz nach Guantanamo transportiert werden solle - wohingegen das Bundeskriminalamt das FBI erst am 18. Januar über ein in Bremen gegen Kurnaz geführtes und später eingestelltes Ermittlungsverfahren unterrichtet habe. Auf Nachfrage Kauders sagte Docke, für eine Weiterleitung von Informationen an US-Seite habe er keine Beweise.
Docke vertrat die These, dass das Auswärtige Amt den Fall Kurnaz wegen dessen türkischer Staatsbürgerschaft, die eine konsularische Betreuung nur Ankara ermöglicht habe, lediglich "verwaltet" hat, das nötige politische Engagement für den offenkundig unschuldig Inhaftierten aber habe vermissen lassen. Erst nach Amtsantritt der neuen Regierung habe sich dies unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geändert, die sich persönlich gegenüber US-Präsident George W. Bush für die Freilassung von Kurnaz verwandt habe: "Da wurde ein Schalter umgelegt", Kurnaz sei dann auch entlassen worden.
Streit gibt es im Ausschuss um die Frage, ob die USA Ende 2002 die Haftentlassung von Kurnaz angeboten haben und ob die damalige Regierung die Aufnahme des Bremer Türken in Deutschland abgelehnt hat. Nach Auffassung Kauders existieren "gewisse Indizien", dass solch eine Offerte unterbreitet wurde. Laut Hans-Christian Ströbele (Grüne) lagen entsprechende "Ankündigungen" vor, wobei Innenministerium und Kanzleramt die Rückkehr von Kurnaz verbaut hätten. Oppermann hingegen betonte, aus den Akten ergäben sich keine Hinweise auf ein solch offizielles Angebot des US-Verteidigungsministeriums. Lediglich die Geheimdienste hätten die Frage erörtert, ob man Kurnaz freilassen und dann in Deutschland als V-Mann in der islamistischen Szene einsetzen solle. Wie Anwalt Docke erläuterte, hatte Kurnaz in der Hoffnung auf Freiheit gegenüber den deutschen Vernehmern diese Bereitschaft erklärt, wobei er diese Zusage aber später nicht habe einhalten wollen. Die CDU-Abgeordnete Kristina Köhler sagte, bislang existierten keine Belege, dass die frühere Regierung nicht das Nötige im Interesse von Kurnaz getan habe. Der FDP-Abgeordnete Max Stadler forderte die Regierung auf, zum Fall Kurnaz endlich alles offenzulegen.
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