Berlin: (hib/BOB) Überwiegend zustimmend, aber im Detail kritisch äußerten sich die Sachverständigen am Mittwochnachmittag bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/4663), mit dem vor allem eine Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes erreicht werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende Juli 2005 entschieden, bei der Telefon- und Postüberwachung von Wohnungen müsse der "Kernbereich der privaten Lebensgestaltung" geschützt werden. Die Karlsruher Richter hatten verlangt, dass solche Daten nicht verwertbar sein dürfen, sollten sie ausnahmsweise doch erfasst worden sein. Die beabsichtigte Änderung trägt dem jetzt Rechnung.
Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof, erklärte, der vorliegende Gesetzentwurf dürfte verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Die vorgeschlagenen Regelungen erschienen insgesamt sachgerecht und im Rahmen des damit verfolgten Ziels, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, "angemessen". Dieter Anders, Generalstaatsanwalt aus Frankfurt/Main, meinte, beim Zollfahndungsdienstgesetz werde man denselben kritischen Maßstab anlegen müssen wie bei dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung: Es fehle an klaren Gründen, welche konkreten Kommunikationsinhalte als "Erkenntnisse aus dem privaten Kernbereich" anzusehen sind und welche nicht. Eine klare Eingrenzung, so Anders, dürfte insbesondere dann problematisch werden, wenn ein Ehepartner oder mehrere miteinander verwandte Personen Mittäter einer Straftat sind. Professor Hans-Heiner Kühne von der Universität Trier monierte, eine Vorschrift zur Eigensicherung (Selbstschutz) durch den Einsatz technischer Mittel innerhalb von Wohnungen erscheine ihm insofern nicht konsequent, als eine Überlassung dieser Daten zu anderen Zwecken möglich sein soll. Auch der Richtervorbehalt schütze in diesem Falle nicht. Das "grundsätzlich richtige und zulässige Konzept" des Selbstschutzes werde zu einem "Trojanischen Pferd" für eine Datennutzung zu anderen Zwecken und damit für einen strukturellen Missbrauch anfällig.
Der Gesetzentwurf setze die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts "weitestgehend zutreffend" um, so Staatsanwalt Stephan Morweiser (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof). Aus Sicht der Strafverfolgungspraxis gäben aber einige Regelungen zu gewissen Bedenken Anlass. So sei beispielsweise die vorgesehene Regelung, die eine Pflicht zur unverzüglichen Löschung von Aufzeichnungen aus dem "Kernbereich privater Lebensführung" vorsehe, seines Erachtens nicht zwingend geboten. Es bestehe in der Praxis nicht die Gefahr, dass das Unterlassen der unverzüglichen Löschung zu einer "relevanten Vertiefung des Eingriffs" führen würde, da Erkenntnisse aus dem Kernbereich in aller Regel für das Ermittlungsverfahren "gänzlich unbedeutend" seien, so Morweiser. Paul Wamers, der Vizepräsident des Zollkriminalamtes, meinte ebenfalls, den Regelungen des Regierungsentwurfs sei aus seiner Sicht zuzustimmen. Besonders sei unter anderem darauf hinzuweisen, das Ziel der Überwachung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes innerhalb von Wohnräumen zum Selbstschutz sei es nicht, Informationen für eigene Ermittlungen zu erhalten. Es handele sich hierbei um eine "reine Schutzmaßnahme" für Leben oder Gesundheit der durch das Zollkriminalamt eingesetzten Personen.
Professor Christoph Gusy von der Universität Bielefeld war der Meinung, der Entwurf der Bundesregierung enthalte zahlreiche begrüßenswerte Ansätze, aber auch einzelne Lücken. So sei der vom Bundesverfassungsgericht mehrfach angesprochene "Kernbereich der Privatsphäre" zwar erwähnt, aber nicht näher umschrieben. Fredrik Roggan von der Humanistischen Union vertrat den Standpunkt, dieser Schutz sei keineswegs auf die Bereiche des Wohnungs- und Telekommunikationsgrundrechts beschränkt. Tatsächlich, so Roggan, handele es sich hierbei um eine spezielle "Ausformung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung", wie es von Karlruhe im Volkszählungsurteil entwickelt wurde. Professor Martin Kutscha von der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin, führte aus, im Entwurf seien mit Blick auf den absoluten Schutz der Kernbereichs privater Lebensgestaltung die verfassungsrechtlichen Vorgaben nur "unzureichend umgesetzt". So erhielten unter anderem die von den Zollfahndungsämtern eingesetzten V-Leute weit reichende Befugnisse zur verdeckten Datenerhebung innerhalb und außerhalb von Wohnungen.
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