Berlin: (hib/BES) Der Streit um die Auslegung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rechtmäßigkeit der Aufnahme der iranischen Volksmudschahedin auf die Terrorliste der EU hat auch den Bundestag erreicht. Anfang Mai befasste sich damit bereits das dänische Parlament. Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestages ließ sich am Dienstagabend über das Vorgehen des EU-Ministerrates aus der Sicht der Bundesregierung unterrichten. Ausgangspunkt der Unterrichtung waren Zeitungsberichte, wonach der EU-Ministerrat das EuGH-Urteil zugunsten der iranischen Oppositionsbewegung im Exil zu umgehen versucht. Die iranischen Volksmudschahedin (PMOI) sind eine bewaffnete Widerstandsorganisation, die ihre Wurzel in einer linksradikalen Studentengruppe aus den 60er-Jahren hat. Die PMOI opponierte zunächst gegen den Schah, überwarf sich später mit den iranischen Revolutionsführern und kämpfte in den 80er-Jahren auf der Seite Husseins gegen den Iran. Damals verübten die Volksmudschahedin mehrere blutige Anschläge in ihrem Heimatland. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schwor die Organisation öffentlich der Gewalt ab.
Die EU setzte die PMOI im Mai 2002 auf die Liste terroristischer Organisationen, was unter anderem das Einfrieren von Konten zur Folge hat. Die Volksmudschahedin klagten dagegen und bekamen im Dezember 2006 vor dem EuGH Recht. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass der PMOI entgegen rechtsstaatlicher Praxis keine Gelegenheit zur Anhörung und Verteidigung gegeben wurde. Der EU-Ministerrat beschloss daraufhin im Januar, der PMOI die Gründe für die Einstufung als Terrororganisation darzulegen, beließ aber die Organisation weiterhin auf der "Liste der Personen, Gruppen und juristischen Personen, die in terroristische Aktivitäten verwickelt sind". Anwälte der Volksmudschahedin bemängeln nun, dass die vorgelegten Dokumente "keinerlei Beweise für irgendeine terroristische Aktivität - insbesondere seit 2001" enthielten. Ein Vertreter der Bundesregierung erläuterte in der Ausschusssitzung, das Gerichtsurteil habe sich gegen die Verfahrensmängel, nicht aber gegen die Listungsgründe gerichtet. So sei der EU-Rat der Auffassung, dass sich die PNOI "vollkommen zu Recht auf der Liste befindet", und zwar rechtlich und inhaltlich. Außerdem bestehe das britische Verbot der betroffenen Organisation weiterhin fort. Ein solches Verbot einer als terroristisch eingestuften Organisation in mindestens einem EU-Land sei Voraussetzung für ein Ermittlungsverfahren der EU, erläuterte die Bundesregierung die Regeln der Auflistung. Auch wenn man über die formalen Voraussetzungen der Listung unterschiedlicher Meinung sein könne, sei der rechtsstaatlich unbefriedigende PNOI-Fall auch mit dem Schock nach dem 11. September erklärlich. Die Terrorliste der EU werde zudem halbjährlich überprüft, was "mit großer Vorsicht gehandhabt" werde. Auch aus deutscher Sicht seien "keine ausreichenden Gesichtspunkte zur Aufhebung der Listung" erkennbar, so die Regierung weiter.
Der Ausschuss sah trotz der Erläuterungen weiterhin Klärungsbedarf. Rechtsstaatliche Verfahren, darunter, dass Beschuldigte mindestens angehört werden müssten, sollten in jedem Fall angewendet werden, bat die Union. Als einen vom Verfahren her "ausgesprochen beunruhigenden Vorgang" bezeichnete die SPD den Sachverhalt. Die Grünen verlangten von der Regierung, dem Ausschuss die Beweislage gegen die PNOI in einem konkreten und präzisen Bericht "ohne Umschweife" darzulegen.
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