Es gilt das gesprochene Wort Als ich Ihre
Einladung erhielt, heute vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen,
war ich tief bewegt, auch weil mir bewußt wurde, welche hohe
Ehre, aber zugleich welch hohe Verpflichtung mir damit zugefallen
ist.
Am 27.Januar 1945, heute vor 60 Jahren, war ich noch nicht frei. Da
hatte ich schon drei KZs hinter mir, Sosnowitz, Annaberg und
Ottmuth. Als Häftling Nummer A-5592 des vierten KZ,
Auschwitz-Blechhammer, wurde ich am 21.Januar 1945 mit 4.000
anderen Kameraden bei minus 20 Grad auf den Todesmarsch über
Schlesiens verschneite Straßen geschickt. Es gab keine
Verpflegung, dafür aber wegen jeder Kleinigkeit Schläge.
Vielen Kameraden erfroren Hände, Ohren und Zehen. Wer nicht
marschieren konnte, wurde erschossen. Nur die Hälfte von uns
erreichte das KZ Groß-Rosen.
In den 10 Wochen zwischen Ende Januar und dem 8.Mai 1945
überlebte ich: den Todesmarsch von Auschwitz, die Hölle
des KZ von Groß-Rosen, das KZ Buchenwald, die furchtbare
Maloche im unterirdischen Stollen des KZ Langenstein im
Südharz, wo die Lebenserwartung nur vier Wochen betrug, den
Todesmarsch von Langenstein Mitte April, die Flucht, die
Gefangennahme, die mißlungene Erschießung durch
Volkssturm-Männer, schließlich die Rettung durch die
amerikanische Armee. Am 8. Mai 1945 feierte ich, nun uniformierter
und bewaffneter Dolmetscher der US-Army, mit meinen Rettern das
Kriegsende und auch meinen 21.Geburtstag. Diese doppelte Feier
werde ich nie im Leben vergessen.
Todesmärsche
Zwischen November 1944 und Mai 1945 wurden etwa 700.000
Häftlinge, 200.000 von ihnen Juden, bei der Räumung und
Liquidierung der KZs in Polen und Deutschland, auf etwa hundert
Todesmärschen durch ganz Deutschland getrieben. Es wird
geschätzt, daß über die Hälfte von ihnen
umgekommen ist. Sie wurden erschossen, in Scheunen verbrannt, sind
verhungert oder an Seuchen verstorben. Der damals 14-jährige
Junge Josef Buchmann überlebte den Todesmarsch von Auschwitz
und dann die Typhusepidemie in Bergen-Belsen. Ich traf ihn dort im
Juni 1945, noch in amerikanischer Uniform, auf der Suche nach
meiner Familie.
Bis heute gibt es keine Gesamtdarstellung dieser sich auf
Deutschlands Straßen abspielenden tausendfachen
Tragödien, dieser letzten Konvulsionen des untergehenden
Dritten Reiches. Ich hoffe sehr, daß die Forschung sich
dieses Themas jetzt annehmen wird.
Jüdischer Widerstand
Der weithin unbekannt gebliebene Widerstand der Juden Europas und
die Beschuldigung, sich nicht gewehrt zu haben, waren die
Motivation für meine Forschungen und Bücher. Diese
tapferen Widerstandskämpfer wurden in der von mir konzipierten
Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt im Mai 1995
vorgestellt. Meine Bücher sind auch Epitaphe auf nicht
vorhandene Grabsteine vieler jüdischer
Widerstandskämpfer.
Aufstand des Sonderkommandos in Auschwitz
Die Häftlinge des Sonderkommandos in Auschwitz planten einen
gleichzeitigen Aufstand und Zerstörung aller Krematorien. Als
am 7. Oktober 1944 Sonderkommando-Häftlinge des dritten und
vierten Krematoriums vergast werden sollten, brach eine spontane
Revolte aus. Die Häftlinge haben die SS mit Äxten und
Steinen angriffen und setzten ein Krematorium in Brand. Eine sofort
alarmierte Einheit der SS ermordete die Häftlinge gruppenweise
durch Genickschuß.
Die Häftlinge des Sonderkommandos am Krematorium 1 schlugen
auch los. Viele Häftlinge flüchteten, töteten dabei
drei SS-Leute und verwundeten zwölf schwer, aber sie hatten
keine Chance. 451 von 661 Häftlingen der Sonderkommandos
wurden noch an diesem Tag erschossen.
Am 6. Januar 1945 wurden vier Heldinnen des Aufstandes von
Auschwitz gehängt. Dies waren die letzten Exekutionen in
Auschwitz.
Die polnische Jüdinnen Rózia Robota, Regina
Safirsztajn, Ester Wajcblum und Ala Gertner entwendeten monatelang
Dynamit für die Sprengung der Krematorien.
Hier noch ein grausiges Postskriptum über die
Massenmörder von Auschwitz. Himmler hat am 26. November 1944
befohlen, alle Gaskammern und Krematorien von Auschwitz zu
vernichten, um die Spuren der Verbrechen zu verwischen. Jedoch
wurden die Vergasungs- und Verbrennungs-Installationen Ende
November 1944 sorgfältig abmontiert und ins KZ Mauthausen
transportiert. Danach wurde die Firma Topf in Erfurt aufgefordert,
Pläne für den Bau neuer Krematorien mit zehn
Einäscherungsöfen plus Anlagen aus Auschwitz zu
erarbeiten. Nach den am 15.Februar 1945 (!) eingereichten
Plänen, d.h. zehn Wochen vor Kriegsende, sollten die neuen
Krematorien auf einer Bahnstrecke in der Nähe des KZ
Mauthausen errichtet werden.
Wer sollte dort vergast und verbrannt werden? Etwa die
überlebenden Häftlinge der Todesmärsche? Wollten die
Massenmörder noch die letzten Gefangenen in den Untergang des
3. Reiches mitreißen?
Die Verleugner des Widerstandes der Juden
Schon vor Jahren mußte ich mich mit einigen Historikern
streiten, die den fast aussichtslosen und heroischen Widerstand der
Juden in Europa verleugneten. Ein Berliner Politologe gab den
ermordeten deutschen Juden den postmortalen Ratschlag, sich einfach
nicht bei den Sammelplätzen zur Deportation einzufinden.
"Sitzstreik nennen wir das heute. Die
Deportationen wären faktisch zusammengebrochen, physisch
undurchführbar geworden".
Ein Historiker, der den Holocaust im amerikanischen Exil
überlebte, stellte die folgende These auf:
"Die jüdischen Opfer
stürzten sich - gefangen in der Zwangsjacke ihrer Geschichte -
physisch und psychisch in die Katastrophe. Die Vernichtung der
Juden war somit kein Zufall."
Dieser Verleumdung der Opfer widersprach, im Gegensatz zu anderen
Ländern, in Deutschland niemand, außer mir.
Die Auschwitz-Lüge
Der Deutsche Bundestag hat mit Wirkung vom 1. Dezember 1994,
mehrere Paragraphen des Strafgesetzbuches novelliert, darunter den
§ 130 Ziffer 2(3) betr. Volksverhetzung, nach welchem
"mit Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren bestraft wird, wer die NS-Verbrechen...billigt, leugnet oder
verharmlost".
Wegen dieses Gesetzes müssen Verbreiter der sogenannten
"Auschwitz-Lüge", wie Irving, Faurisson, Garaudy, Zündel,
Leuchter uva. einen weiten Bogen um Deutschland machen. Manche
einheimische Volksverhetzer, wie der RAF-Terrorist und
neonazistische Antisemit Mahler sowie der NPD-Führer Deckert
landen im Gefängnis. Es tut mir leid, daß es dieses
Gesetz geben muß, ich bin froh, daß es da ist.
Mißbrauch der Metapher Auschwitz
Der fabrikmäßige Massenmord von Juden wird unter der
Metapher Auschwitz zu vielen Zwecken mißbraucht. Das Postulat
"Nie wieder Auschwitz" wird damit ausgehöhlt.
In dem das Stück "Die Ermittlung" von Peter Weiss mit Texten
aus dem Auschwitz-Prozeß wird die Identität der
jüdischen Opfer beschwiegen. Sie fallen ins schwarze Loch der
Anonymität. Der Historiker James Young schrieb dazu:
"... Das Stück von Weiss ist so
judenrein, wie der größte Teil Europas nach dem
Holocaust"
Am 13. Februar 1990, nur neun Wochen nach dem Fall der Mauer,
sprach sich der Nobelpreisträger Grass gegen die
Wiedervereinigung Deutschlands aus. In einer Vorlesung in der
Frankfurter Universität hat er den Zivilisationsbruch
Auschwitz mit dem deutschen Verlangen nach Wiedervereinigung
konfrontiert. Er sagte am Schluß:
" ...auch gegen ein
Selbstbestimmungsrecht, das anderen Völkern ungeteilt zusteht,
gegen all das spricht Auschwitz, weil eine der Voraussetzungen
für das Ungeheure, neben den älteren Triebkräften,
ein starkes, das geeinte Deutschland gewesen ist"
Mein Einspruch gegen diese falsche Einschätzung ging im
Beifall für Günter Grass unter.
Der Schweizer Schwindler Doessekker alias Wilkomirski hat mit
seinem Buch von 1995, das in 12 Sprachen übersetzt wurde,
vorgegeben, als Säugling Auschwitz überlebt zu haben.
Erst 1998 platzte dieser Betrug, den man als ein Produkt des
Schoa-Business bezeichnen kann.
Die militärische Intervention in Bosnien und im Kosovo ist von
mehreren Politikern mit der Metapher vom drohenden Auschwitz
begründet worden.
Anlässlich eines Besuches bei Arafat im März 2002 sagte
der portugiesische Nobelpreisträger Saramago, daß der
"Geist von Auschwitz" über Ramalla schwebe. Auf die Frage
eines Journalisten, wo sich die Gaskammern befinden würden,
antwortete er, daß in Ramalla das gleiche geschehe wie in
Auschwitz.
Deutsche Juden in der Illegalität und deren
Rettung
Der Begriff "Widerstand" wird meist auf Aktionen beschränkt,
die auf die Beseitigung des Naziregimes gerichtet waren, aber auch
die Rettung der Juden war aktiver und dazu oft erfolgreicher
Widerstand. Deshalb ist es wichtig, über die fast unbekannten,
unbesungenen Helden des deutschen Rettungswiderstandes zu forschen
und zu berichten.
Im September 1944 lebten in ganz Deutschland nur noch etwa 14.000
Juden, von früher 550.000. Etwa 10.000 von ihnen haben sich
zum Untertauchen entschlossen. Sie haben sich selbst "U-Boote"
genannt. 1.400 Juden überlebten im Untergrund.
Die eine Woche dauernde Demonstration der mutigen christlichen
Frauen Ende Februar 1943 in der Rosenstraße in Berlin
führte zur wundersamen Rettung ihrer jüdischen
Ehemänner.
Vom Ende der 50er Jahre bis 1963 wurden auf Initiative des Berliner
Innensenators Joachim Lipschitz 738 Personen als "Unbesungene
Helden" geehrt. Diesen Begriff prägte Kurt R. Grossmann in
seinem 1957 in Berlin erschienenen gleichnamigen Buch. Als
Lipschitz im Dezember 1961, erst 43 Jahre alt, starb, wurde es
still um diese Helden des deutschen Rettungswiderstandes.
Der 1923 in Berlin geborene US-Leutnant und Soziologe Manfred
Wolfson versuchte 1965 von Frankfurt aus eine umfangreiche Studie
zur Retterforschung zu organisieren, die jedoch wenig Interesse und
keine akademischen oder sonstige Sponsoren fand. Er kehrte
enttäuscht 1968 in die USA zurück, wo er 1987
starb.
Im Auftrage des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin
wurde im Rahmen des Projekts "Solidarität und Hilfe" unter
Leitung von Dr. Beate Kosmala eine Datenbank geschaffen. Die teils
umfangreichen Datensätze enthalten Namen von ca. 3.000 Frauen
und Männern, die an der Rettung von Juden in Deutschland, aber
hauptsächlich in Berlin, beteiligt waren. Viele Retter sind
längst verstorben und blieben bis heute unbekannt. Unbekannt
sind auch viele der nicht geglückten Rettungsversuche.
Über einige zivile und uniformierte Retter
Etwa 30 Militärhistoriker unter Leitung von Prof. Dr. Wolfram
Wette sind in den letzten Jahren der Frage nachgegangen, ob es auch
Soldaten gab, die sich an Rettungstaten für Juden beteiligten.
Die Ergebnisse der Recherchen sind in den Büchern ?Retter in
Uniform“ und "Zivilcourage" enthalten.
Einen von ihnen möchte ich Ihnen vorstellen. Oberleutnant
Heinz Drossel rettete während eines kurzen Fronturlaubs in
Berlin Günter und Margot Fontheim sowie ihre Eltern, die als
U-Boote in Berlin vegetierten. Nach dem Krieg sorgte Fontheim, nun
Physiker der NASA, dafür, daß Dr. Heinz Drossel in
Jerusalem und in den USA geehrt wurde.
Der Frankfurter Arzt Dr. Fritz Kahl hat sich spontan entschlossen,
seine früheren Patientinnen, die Schwestern Eva und Tuschi
Müller, zu verbergen. Auch der 23-jährige Verlobte von
Eva, Robert Eisenstädt, dem die abenteuerliche Flucht aus dem
KZ Majdanek in Polen gelungen war, wurde versteckt. Die Ehefrau
Margarete Kahl begleitete ihre Schützlinge auf der Bahnfahrt
ins Schweizer Grenzgebiet. Zu Fuß erreichten sie die Schweiz
im Februar 1943.
Werden die deutschen Retter angemessen geehrt?
Leider hatten die deutschen Judenretter keine Fürsprecher,
auch nicht in Jerusalem. Nur 400 Deutsche von insgesamt 20.000,
wurden als "Gerechte" von Yad Vashem geehrt. Wenn man bedenkt,
daß Tausende Deutsche zwischen 1941 bis 1945 vielen Juden
geholfen und sie gerettet haben, so muß man sich über
diese Unterlassungen wundern. Ich schlage vor, daß in
Jerusalem noch drei Bäume gepflanzt werden, je ein Baum
kollektiv: für die deutschen Judenretter, für die
tapferen Frauen von der Rosenstraße und für die Retter
in Uniform.
Ich freue mich, daß meine Freunde, Dr. Beate Kosmala, Prof.
Wolfram Wette, Dr. Eugen Kahl, Sohn der Retter-Familie, Dr. Heinz
Drossel und Dr. Josef Buchmann heute unter uns sind.
Antisemitismus und Antizionismus
Seit meinem achten Lebensjahr, schon als zionistischer Pfadfinder,
war der Zionismus, der ein Traum von einem eigenen Judenstaat war,
eine Konstante meines Lebens. Für diese Idee habe ich viele
Jahre, auch als Bundesvorsitzender der Zionistischen Organisation
in Deutschland gewirkt. Der Haß auf Israel und seine
Menschen, die Verweigerung des Lebensrechtes des Judenstaates durch
die arabisch-moslemische Welt, die Gewalt gegen Juden und ihre
Institutionen, erfüllt mich mit Schmerz und Zorn.
Demgegenüber gehört die Existenz Israels in sicheren
Grenzen und die Unterstützung des Judenstaates zu den
Konstanten der bundesrepublikanischen Politik. Deutschland ist nach
den USA der wichtigste Verbündete und Partner Israels. Das war
und ist hier immer Konsens gewesen.
Die deutschen Linken haben oft an diesem politischen Konsens
gerüttelt. Deshalb schrieb 1975 der bekannte
Literaturhistoriker und engagierte Linke Hans Mayer:
"Wer den "Zionismus" angreift, aber
beileibe nichts gegen die "Juden" sagen möchte, macht sich und
anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat. Wer ihn
zerstören möchte, erklärtermaßen oder durch
eine Politik, die nichts anderes bewirken kann als solche
Vernichtung, betreibt den Judenhaß von einst und von
jeher"
Im gleichen Jahr 1975 verurteilte die UNO auf Betreiben des
Ostblocks und der arabischen Staaten den Zionismus als Rassismus.
Erst im Dezember 1991 hat die UNO diese ihre Schande beendet, indem
dieser Beschluss annulliert wurde.
Der Antisemitismus und besonders dessen islamische Prägung
sollte nicht alleine die Sorge der Juden sein, denn in Europa
wirken Kräfte, die unsere gemeinsame Zivilisation ins
Mittelalter zurückbomben wollen. Der Islam-Wissenschaftler
Prof. Bassam Tibi hat darüber geschrieben:
"...Erst dann, wenn die deutsche Öffentlichkeit dieser
Bedrohung in angemessener Weise entgegentritt, wird man davon
sprechen können, daß sie die Lehren der deutschen
Vergangenheit wirklich verstanden hat"
Einen großen Beitrag zur Desinformation über Israel und
deren Folgen für die Juden leisten leider auch einige Medien,
die mit ihrer einseitigen und überzogenen Kritik an Israel, wo
sich über 800 Auslandskorrespondenten gegenseitig auf die
Füße treten. Sie darf ich mit dem Spruch des Propheten
Jesaia Kap.40, Vers 2 um Folgendes freundlich bitten:
Dabru el lew Jeruschalaim - Redet freundlich
über Jerusalem
Die Berliner Konferenz
Ende April 2004 fand in Berlin eine Antisemitismus-Konferenz der 55
OSZE-Staaten statt. In seiner Eröffnungs-Ansprache sagte
Außenminister Fischer, wie Wolf Biermann und ich Träger
des Heinz-Galinski-Preises, u.a:
"Solange sich jüdische Menschen
in unseren Ländern nicht sicher, nicht wirklich zu Hause
fühlen, solange Synagogen, jüdische Schulen und
Kindergärten von der Polizei geschützt werden
müssen, solange Politiker mit antisemitischen Ressentiments
auf Stimmenfang gehen - solange müssen wir uns der Bedrohung
durch den Antisemitismus gemeinsam stellen."
Hier eine persönliche Reflexion. Als ich vor über 50
Jahren die Jüdische Gemeinde in Frankfurt mitgründete,
wäre mir nicht im Traum eingefallen, dass unsere Synagogen und
Gemeindehäuser noch heute, 50 Jahre später, polizeilich
bewacht werden müssen. Gott, Jesus und Mohammed sei Dank, dass
Moscheen und Kirchen dieses Schutzes nicht bedürfen.
Die Vorgänge im sächsischen Landtag bestätigen
leider die Sorgen vieler Demokraten in Deutschland. War die
schlechte Vorbereitung und die folgende Ablehnung des
Verbotsantrags der NPD nicht ein Fehler?
...Ist es nicht an der Zeit, dass deutsche Verfassungsrichter ihre
Samt-Handschuhe ausziehen, wenn es sich um Feinde unserer
Verfassung und Demokratie handelt?
Die Zukunft der Erinnerung - Der Kampf gegen das
Vergessen
Vor fünf Jahren stellte Bundespräsident Roman Herzog, der
diesen Gedenktag im Bundestag initiierte, die besorgte Frage: Hat
die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis in Deutschland eine
Zukunft? Ich sage ja und hier der Beweis. Es gibt rund 180
Gedenkstätten in ehemaligen KZs, Zuchthäusern, Synagogen
usw. 98 von ihnen sind große Gedenkstätten an Orten des
Geschehens, die ständig geöffnet sind und
pädagogische Programme durchführen. Sie werden von
über 3,5 Millionen Menschen jährlich besucht. Das
zweibändige, über 1.800 seitige Nachschlagewerk
?Gedenkstätten für die Opfer des
Nationalsozialismus“ enthält Beschreibungen von 6.100
Mahnmalen, Grabstätten, Gedenktafeln usw. in Ost- und
Westdeutschland. Das alles bildet ein wahres, imposantes Netzwerk
des Gedenkens.
In diesem Jahr feiern die "Leo Baeck Institute" zur Erforschung der
Geschichte der deutschen Juden in New York, London und Jerusalem
ihr 50jähriges Bestehen. In jedem der bisher erschienenen 49
"Year Books" des LBI wird neben den mehreren Essays eine
fortlaufend nummerierte Bibliographie abgedruckt, die heute mit
43.678 Titeln endet. Die deutschen Juden sind somit die am
umfangreichsten dokumentierte Gemeinschaft der Welt.
Das Jüdische Museum in Berlin wurde seit dessen Eröffnung
im Jahre 2001 von über 2,3 Millionen Menschen besucht. 2.000
Mikrofilme sind dort, in der Dependance des LBI-Archivs in New
York, gespeichert. Sie bilden die Datenbasis des Museums. Neben dem
Museum in Berlin ist das Jüdische Museum in Frankfurt das
wichtigste. Außerdem gibt es zehn weitere jüdische
Museen in Deutschland.
28.000 Menschen sind in 83 Gesellschaften für
christlich-jüdische Zusammenarbeit dem Gedanken der Toleranz
und Freundschaft unter den Konfessionen verbunden. 48
Deutsch-Israelische Gesellschaften mit 5.000 Mitgliedern bilden ein
menschliches Bindeglied zwischen beiden Ländern. In der
Bibliothek "Germania Judaica" in Köln sind Hunderte von
Bänden zur Lokalgeschichte der Juden in Deutschland
archiviert, von Aachen bis Zittau. Nach 1945 haben viele
Lokalhistoriker Geschichten der jeweiligen jüdischen Gemeinden
erforscht und veröffentlicht.
Im Rahmen der seit 1958 bestehenden christlichen "Aktion
Sühnezeichen" arbeiten zehntausende junge Deutsche bei 120
Projekten in 13 Ländern und leisten freiwillige Dienste in
KZs, Gedenkstätten und bei der Betreuung von
Holocaust-Überlebenden. Ferner gibt es jedes Jahr 20
internationale Sommerlager. Die katholische Organisation "Pax
Christi" verfolgt ähnliche Ziele.
Es gibt einhundert deutsch-israelische Städtepartnerschaften.
Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen haben Israel bereist,
manche von ihnen wurden christliche Zionisten.
Die Organisation "Schule ohne Rassismus" in Berlin vergab bisher
gleichlautende Auszeichnungen an 200 Schulen und Gymnasien, die
jeweils einen Erwachsenen als Paten haben. Ich bin einer von ihnen
und sehr dankbar, daß einige meiner lieben Patenkinder aus
dem Saarland zu dieser Feier eingeladen wurden. Seid hier herzlich
gegrüßt, junge Freunde!
In Deutschland wirken in den beschriebenen Institutionen
Abertausende von Menschen, die die Last der Vergangenheit auf sich
genommen haben und sie an ihre Kinder, Enkel und Mitbürger
weitergeben. Mit vielen von ihnen bin ich seit Jahren in der
gemeinsamen Arbeit gegen das Vergessen tief verbunden. Sie sind
meine Brüder und Schwestern im Geiste, Ihnen allen gelten
heute meine allerherzlichsten Grüße und
Wünsche.
Das Holocaust-Denkmal in Berlin
Im biblischen Buch Exodus, 33,12 heißt es: Weata amarta
jedaticha bashem - "Ich habe dich beim Namen gekannt" Schon immer
war ich der Meinung, dass das Gedenken ohne Namensnennung
unvollständig bleibt. Ein Freund hat nachgerechnet, dass die
Personen-Register meiner Bücher etwa 5.000 Namen enthalten.
Bin ich deshalb ein Namen-Fetischist?
Nachdem 1995 die zwei preisgekrönten Entwürfe für
das Holocaust-Denkmal nicht verwirklicht wurden, erschien im
September 1995 der Sammelband "Der Wettbewerb..." mit Texten von
über 30 Autoren. In meinem Beitrag habe ich einen Vorschlag
für die Gestaltung der Gedenkstätte am Mahnmal gemacht,
den ich in der "Berliner Zeitung" vom 19. November 1997
wiederholte. Unter Punkt zwei schrieb ich:
"In einer großen Computer-Datenbank sollen die bisher
bekannten Namen der Opfer mit weiteren biographischen Daten
gespeichert, abgerufen und ausgedruckt werden können."
Als Urheber dieser Idee freut es mich, dass im "Ort der
Information" des Holocaust-Denkmals eine Datenbank des Yad Vashem
mit 3,5 Millionen Opfernamen installiert wird. Es ist mein Wunsch,
dass dort auch die Datei der Judenretter eingerichtet wird.
Die zwölf Computer im "Ort der Information" wiegen für
mich schwerer, als die 15 Tausend Tonnen Beton der rund 4.000
Stelen.
Übrigens bin ich der Meinung, daß auch das geplante
Mahnmal für die Sinti und Roma bald gebaut werden soll. Die
Differenzen über den Text der Inschrift sollten bald
gelöst werden. Das Gleiche gilt für das Mahnmal für
die verfolgten Homosexuellen.
Gedenken
Ich gedenke heute mit großem Schmerz meines Vaters David,
meines Bruders Samuel, meiner frommen Großmutter Lea Wellner,
vieler Cousins, Onkels und Tanten.
Mein Cousin Jean-Marie Kardinal Lustiger wurde vom Papst Johannes
Paul II beauftragt, ihn bei den heutigen Feierlichkeiten in
Auschwitz zu vertreten. In einem langen Telefonat vorgestern hat
mir Jean-Marie u.a. erklärt, daß der Papst ihn
erwählt hat, auch um die Schoa-Opfer und das jüdische
Volk zu ehren. Er wird in wenigen Stunden in Auschwitz sprechen und
dabei seiner Mutter, meiner Tante Giséle Lustiger, unserer
gemeinsamen frommen Großmutter Mindel Lustiger und anderer
Opfer unserer Familie gedenken, die in Auschwitz umgebracht wurden.
Ihje schmam baruch. Ihr Andenken sei gesegnet!
Die Wege der Erinnerung sind schwierig, aber solange wir leben,
sollten wir sie alle in unserem Gedächtnis behalten: die sechs
Millionen unserer Brüder und Schwestern, davon eine Million in
Auschwitz, die anderen Opfer der Nazis ohne Unterschied ihrer
Herkunft, Religion oder des Grundes ihrer Verfolgung, die Retter
und die Widerstandskämpfer aller Nationen, die Soldaten der
100. Division, die heute vor 60 Jahren Auschwitz befreiten und
dabei fielen, unter ihnen, der sowjetische Moslem Leutnant Gilmudin
Baschirow. Wir gedenken mit Dankbarkeit der Soldaten der alliierten
Armeen, die bei unserer Befreiung fielen. Ihre Namen und ihr
Gedenken seien gesegnet und unvergessen.
Es war mir eine Ehre, am 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz
vor Ihnen zu sprechen und meine Erinnerungen, Gedanken und
Gefühle mit Ihnen zu teilen. Ich danke für Ihre
Anteilnahme und Aufmerksamkeit.