Plenarprotokoll 17/34 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 34. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. März 2010 I n h a l t : Wahl des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch zum Mitglied des Kuratoriums des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung des Zusatztagesordnungspunktes 1 sowie der Tagesordnungspunkte 23 c, 28 f und 28 g Tagesordnungspunkt 3: Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Drucksache 17/1160) Tagesordnungspunkt 4: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 25./26. März 2010 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) Birgit Homburger (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Volker Kauder (CDU/CSU) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Volker Kauder (CDU/CSU) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Michael Link (Heilbronn) (FDP) Axel Schäfer (Bochum) (SPD) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD) Michael Stübgen (CDU/CSU) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stefan Liebich (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Fraktion der SPD: Rettungsschirm für Kommunen - Strategie für handlungsfähige Städte, Gemeinden und Landkreise (Drucksache 17/1152) b) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren (Drucksache 17/1142) c) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zukunft der Kommunalfinanzen - Transparenz gewährleisten und Öffentlichkeit herstellen (Drucksache 17/1143) d) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen 17/520, 17/869) - Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/872) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umsatzsteuerermäßigung für Hotellerie zurücknehmen (Drucksachen 17/447, 17/869) Bernd Scheelen (SPD) Antje Tillmann (CDU/CSU) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Dr. Birgit Reinemund (FDP) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Sabine Bätzing (SPD) Gisela Piltz (FDP) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gisela Piltz (FDP) Ingrid Remmers (DIE LINKE) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bernhard Kaster (CDU/CSU) Joachim Poß (SPD) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 28: a) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA) Zukunftsreport - Ubiquitäres Computing (Drucksache 17/405) b) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Adulte Stammzellforschung ausweiten, Forschung in der regenerativen Medizin voranbringen und Deutschlands Spitzenposition ausbauen (Drucksache 17/908) c) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Verbraucherfreundliche kostenfreie Warteschleifen bei telefonischen Dienstleistungen einführen (Drucksache 17/1029) d) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verhandlungen über die Aufnahme Islands in die Europäische Union eröffnen (Drucksache 17/1059) e) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zum Beitrittsantrag der Republik Island zur Europäischen Union und zur Empfehlung der EU-Kommission vom 24. Februar 2010 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 17/1190) h) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Übergangsmaßnahmen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon (Drucksache 17/1179) i) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Gewährleistung der Sicherheit der Eisenbahnen in Deutschland (Drucksache 17/1162) j) Antrag der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine Kinodigitalisierung, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert (Drucksache 17/1156) Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Partei-Sponsoring transparenter gestalten (Drucksache 17/1169) b) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulrich Maurer, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parteien-Sponsoring im Parteiengesetz regeln (Drucksache 17/892) Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 15. Dezember 1950 über die Gründung eines Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens (Drucksachen 17/759, 17/1207) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungsurkunden vom 24. November 2006 zur Konstitution und zur Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. De-zember 1992 (Drucksachen 17/760, 17/1197) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 17/800, 17/1198) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschlagnahmung von Generika in Europa stoppen - Versorgung von Entwicklungsländern mit Generika sichern (Drucksachen 17/448, 17/871) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Achtundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 17/441, 17/1136) f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Neunundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 17/442, 17/1136) g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Einhundertneunundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - (Drucksachen 17/443, 17/1136) h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/862, 17/940 Nr. 2, 17/1212) Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses: zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvG 1/10 (Drucksache 17/1192) b)-k) Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69 und 70 zu Petitionen (Drucksachen 17/1180, 17/1181, 17/1182, 17/1183, 17/1184, 17/1185, 17/1186, 17/1187, 17/1188, 17/1189) Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den zahlreichen bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Olaf Scholz (SPD) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Diana Golze (DIE LINKE) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) Christian Ahrendt (FDP) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dorothee Bär (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Michaela Noll (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (Drucksache 17/1147) b) Antrag der Abgeordneten Dorothee Menzner, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Solarstromförderung wirksam ausgestalten (Drucksache 17/1144) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Dirk Becker (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ernst Hinsken (CDU/CSU) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Dr. Hermann Scheer (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Dirk Becker (SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Alexander Ulrich, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Eurozone reformieren - Staatsbankrotte verhindern (Drucksache 17/1058) Michael Schlecht (DIE LINKE) Peter Aumer (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Hendricks (SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Holger Haibach, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht, Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Haiti eine langfristige Wiederaufbauperspektive geben (Drucksache 17/1157) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Klaus Barthel, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zukunft für Haiti - Nachhaltigen Wiederaufbau unterstützen (Drucksachen 17/885, 17/1214) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Daðdelen, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachhaltige Hilfe für Haiti: Entschuldung jetzt - Süd-Süd-Kooperation stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Tom Koenigs, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haiti entschulden und langfristig beim Wiederaufbau unterstützen (Drucksachen 17/774, 17/791, 17/1099) Harald Leibrecht (FDP) Dr. Sascha Raabe (SPD) Joachim Günther (Plauen) (FDP) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) Klaus Riegert (CDU/CSU) Heike Hänsel (DIE LINKE) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frank Heinrich (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Hermann Ott, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Finanzmärkte ökologisch, ethisch und sozial neu ausrichten (Drucksache 17/795) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD) Frank Schäffler (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD) Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Freie und faire Wahlen im Sudan sicherstellen, den Friedensprozess über das Referendum 2011 hinaus begleiten sowie die humanitäre und menschenrechtliche Situation verbessern (Drucksache 17/1158) Johannes Selle (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Marina Schuster (FDP) Niema Movassat (DIE LINKE) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mobilität nachhaltig gestalten - Erfolgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fortentwickeln (Drucksache 17/1060) b) Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit grüner Elektromobilität ins postfossile Zeitalter (Drucksache 17/1164) Kirsten Lühmann (SPD) Gero Storjohann (CDU/CSU) Herbert Behrens (DIE LINKE) Werner Simmling (FDP) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Steffen Bilger (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Menschenrechte weltweit schützen (Drucksachen 17/257, 17/1135) b) Antrag der Abgeordneten Christoph Strässer, Angelika Graf (Rosenheim), Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Menschenrechtsverteidiger brauchen den Schutz der Europäischen Union (Drucksache 17/1048) c) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Schutz für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger (Drucksache 17/1165) Serkan Tören (FDP) Christoph Strässer (SPD) Erika Steinbach (CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 Absatz 1) (Drucksache 17/1047) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 Absatz 1 - Kommunales Ausländerwahlrecht) (Drucksache 17/1150) c) Antrag der Abgeordneten Sevim Daðdelen, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen (Drucksache 17/1146) Rüdiger Veit (SPD) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Serkan Tören (FDP) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung der Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten (Text von Bedeutung für den EWR) (inkl. 11063/09 ADD 1 und 11063/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) KOM(2009) 267 endg.; Ratsdok. 11063/09 (Drucksachen 17/136 Nr. A.94, 17/1218) Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Heidrun Dittrich, weiterer Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE: Zur Stabilisierung des Rentenniveaus: Riester-Faktor streichen - Keine nachholenden Rentendämpfungen vornehmen (Drucksache 17/1145) Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern (Drucksache 17/1028) Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Fraktion der SPD: Modernisierungspartnerschaft mit Russland - Gemeinsame Sicherheit in Europa durch stärkere Kooperation und Verflechtung (Drucksache 17/1153) Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Altschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmen streichen (Drucksache 17/1148) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Altschuldenentlastung für Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern (Drucksache 17/1154) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Hans-Joachim Hacker (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Europäische Tierversuchsrichtlinie muss ethischem Tierschutz Rechnung tragen - Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Arti-kel 23 Absatz 3 Grundgesetz (Drucksachen 17/792, 17/1208) Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kooperationsverbot in der Bildung unverzüglich aufheben (Drucksache 17/785) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Patrick Meinhardt (FDP) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verpflichtung zur Registrierung aller klinischen Studien und zur Veröffentlichung aller Studienergebnisse einführen (Drucksache 17/893) Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Marlies Volkmer (SPD) Lars Lindemann (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entfristung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung (Drucksache 17/1141) b) Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbständige entfristen und ausbauen (Drucksache 17/1166) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Sevim Daðdelen, Alexander Ulrich, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts in der Türkei (Drucksache 17/1101) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Uta Zapf (SPD) Serkan Tören (FDP) Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 3) Anlage 3 Mündliche Frage 87 Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusage für eine Exportbürgschaft zum Weiterbau des Atomkraftwerks Angra 3 durch Siemens in Brasilien Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi (33. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2) Anlage 4 Mündliche Frage 91 Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Förderung des Exports deutscher Atomtechnologie statt Technologien im Bereich erneuerbarer Energien nach Brasilien Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi (33. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2) Anlage 5 Mündliche Frage 92 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Polnische Pläne zum Bau von Atomkraftwerken in Polen sowie Unterstützung durch deutsche oder europäische Finanzhilfen Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi (33. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2) Anlage 6 Mündliche Frage 114 Caren Marks (SPD) Konsequenzen einer Verlagerung der Pflege in die Familien und Konzeption der Pflegeteilzeit Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ (33. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2) Anlage 7 Erklärung der Abgeordneten Dr. Ursula von der Leyen (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 5 d) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: - Beschlussempfehlung und Bericht: Menschenrechte weltweit schützen - Antrag: Menschenrechtsverteidiger brauchen den Schutz der Europäischen Union - Antrag: Mehr Schutz für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) Anlage 9 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten (Text von Bedeutung für den EWR) (inkl. 11063/09 ADD 1 und 11063/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) (Tagesordnungspunkt 14) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Josef Göppel (CDU/CSU) Dr. Bärbel Kofler (SPD) Dr. Lutz Knopek (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zur Stabilisierung des Rentenniveaus: Riester-Faktor streichen - Keine nachholenden Rentendämpfungen vornehmen (Tagesordnungspunkt 15) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Max Straubinger (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern (Tagesordnungspunkt 16) Carola Stauche (CDU/CSU) Josef Rief (CDU/CSU) Elvira Drobinski-Weiß (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung des Antrags: Modernisierungspartnerschaft mit Russland - Gemeinsame Sicherheit in Europa durch stärkere Kooperation und Verflechtung (Tagesordnungspunkt 13) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) Franz Thönnes (SPD) Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 13 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Europäische Tierversuchsrichtlinie muss ethischem Tierschutz Rechnung tragen - Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Grundgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dieter Stier (CDU/CSU) Heinz Paula (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 34. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. März 2010 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU soll der Kollege Klaus-Peter Willsch für eine weitere Amtszeit zum Mitglied des Kuratoriums des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung gewählt werden. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist der Kollege Willsch erneut zum Mitglied dieses Kuratoriums gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zur Ablehnung des bayerischen Gesundheitsministers Markus Söder, eine Kopfpauschale anstelle der bisherigen solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung einzuführen ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: zur Antwort der Bundesregierung auf die Frage 1 auf Drucksache 17/1107 (siehe 33. Sitzung) ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 28 a) Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Partei-Sponsoring transparenter gestalten - Drucksache 17/1169 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulrich Maurer, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parteien-Sponsoring im Parteiengesetz regeln - Drucksache 17/892 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 29 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvG 1/10 - Drucksache 17/1192 - Berichterstattung: Abgeordneter Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 61 zu Petitionen - Drucksache 17/1180 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 62 zu Petitionen - Drucksache 17/1181 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 63 zu Petitionen - Drucksache 17/1182 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 64 zu Petitionen - Drucksache 17/1183 - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 65 zu Petitionen - Drucksache 17/1184 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 66 zu Petitionen - Drucksache 17/1185 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 67 zu Petitionen - Drucksache 17/1186 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 68 zu Petitionen - Drucksache 17/1187 - j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 69 zu Petitionen - Drucksache 17/1188 - k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 70 zu Petitionen - Drucksache 17/1189 - ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den zahlreichen bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Altschuldenentlastung für Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern - Drucksache 17/1154 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technolgie Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Tierversuchsrichtlinie muss ethischem Tierschutz Rechnung tragen - Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Grundgesetz - Drucksachen 17/792, 17/1208 - Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Süßmair Undine Kurth (Quedlinburg) Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 13 und 17 sollen getauscht sowie die Tagesordnungspunkte 23 c, 28 f und 28 g abgesetzt werden. Darf ich auch hierfür Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 3 auf: Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages - Drucksache 17/1160 - Bevor ich etwas zum Ablauf der Wahl sage, möchte ich mich zunächst an unseren amtierenden Wehrbeauftragten, Reinhold Robbe, wenden. Lieber Kollege Robbe, Sie blicken auf eine bald fünfjährige Amtszeit als Wehrbeauftragter des Bundestages zurück, so wie es das Grundgesetz vorsieht. In Ihrer Amtszeit haben Sie als Wehrbeauftragter im Auftrag des Bundestages einen wesentlichen Beitrag zur parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr als Parlamentsheer geleistet. Sie haben sich mit vielfältigen Aspekten der Bundeswehr befasst, den besonderen Bedingungen der Auslandseinsätze die angemessene Bedeutung beigemessen und in Ihren Berichten erforderlichen Korrekturbedarf bei von Ihnen festgestellten und monierten Fehlentwicklungen verdeutlicht. Sie waren ein wichtiger Ansprechpartner für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, insbesondere des Verteidigungsausschusses. Ansprechpartner waren Sie aber auch und ganz besonders für die Soldatinnen und Soldaten. Diese konnten sich in den vergangenen fünf Jahren darauf verlassen, dass ihre Sorgen und Nöte ernst genommen werden und der Wehrbeauftragte sich nicht scheut, berechtigte Anliegen vorzubringen und auf Verbesserungen zu drängen. Bei einem gemeinsamen Truppenbesuch konnte ich selber einen Eindruck von dem hohen Ansehen gewinnen, das Sie sich bei den Soldatinnen und Soldaten erworben haben. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Robbe, im Namen der Soldatinnen und Soldaten für Ihre Arbeit als Wehrbeauftragter danken, ganz besonders aber auch im Namen des ganzen Hauses, aller Mitglieder des Deutschen Bundestages. (Anhaltender Beifall im ganzen Hause) Wir danken Ihnen für Ihre verdienstvolle Tätigkeit und wünschen Ihnen für den weiteren Lebensweg alles Gute! (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zur Wahl. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben den Abgeordneten Hellmut Königshaus als Wehrbeauftragten des Bundestages vorgeschlagen. Ich darf Sie um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren bitten: Nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages sind zur Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens 312 Stimmen, erforderlich. Der Wehrbeauftragte wird mit verdeckten Stimmkarten, also geheim, gewählt. Sie benötigen für die Wahl Ihren Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen können. Bitte kontrollieren Sie, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die für die Wahl gültige Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen. Um einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie, von Ihren Plätzen aus über die seitlichen Zugänge und nicht durch den Mittelgang zu den Ausgabetischen zu gehen. Nachdem Sie Ihre Stimmkarte in der Wahlkabine gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen vor dem Rednerpult. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass Sie Ihre Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen dürfen und die Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag legen müssen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpflichtet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurückzuweisen. Gegebenenfalls kann die Stimmabgabe vorschriftsmäßig wiederholt werden. Dass die Stimmkarten nur mit einem Kreuz bei "Ja", "Nein" oder "enthalte mich" gültig sind, setze ich als allgemein bekannt voraus, weise aber ausdrücklich noch einmal darauf hin. Ungültig sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist offenbar der Fall. Ich bitte, zum Empfang der Stimmkarte zu den Ausgabetischen zu gehen. Der Wahlgang ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Für die Auszählung unterbreche ich die Sitzung für etwa 15 Minuten. (Unterbrechung von 9.31 bis 9.55 Uhr) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das Ergebnis der Wahl des Wehrbeauftragten bekannt: abgegebene Stimmen 579, ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben gestimmt 375 Mitglieder des Bundestages, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mit Nein gestimmt haben 163 Kolleginnen und Kollegen, Enthaltungen gab es 41.1 Gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, also 312 Stimmen, auf sich vereinigt. Ich stelle fest, dass der Abgeordnete Hellmut Königshaus mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages zum Wehrbeauftragten gewählt worden ist. (Beifall im ganzen Hause) Ich frage Sie, Herr Kollege Königshaus: Nehmen Sie die Wahl an? Hellmut Königshaus (FDP): Herr Präsident, ich nehme die Wahl gerne an und bedanke mich. (Beifall im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Abgeordneter Königshaus, ich gratuliere Ihnen persönlich und im Namen des ganzen Hauses zu dieser Wahl und wünsche Ihnen Kraft, Erfolg und eine gute Hand bei der Führung Ihres Amtes. (Beifall im ganzen Hause - Abg. Hellmut Königshaus [FDP] nimmt Glückwünsche entgegen) Darf ich vorschlagen, dass wir im Interesse der zügigen weiteren Behandlung unserer Tagesordnung zum nächsten wichtigen Punkt kommen? Herr Kollege Königshaus, könnten Sie freundlicherweise die bemerkenswerte Reihe der Gratulanten entweder vertrösten oder an den Rand des Plenums geleiten? Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 4 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 25./26. März 2010 in Brüssel Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Diese Debatte wird im Übrigen außer im Parlamentsfernsehen und in Phoenix auch im Hauptprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten übertragen, (Beifall) was ich aus vielerlei Gründen ausdrücklich begrüße und mit Respekt registriere. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schlimmste Weltwirtschaftskrise seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts stellt die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten weiter vor außerordentliche Herausforderungen. Hinzu kommen für uns alle die Aufgaben, die durch die zunehmende Alterung unserer Bevölkerung, den drohenden Klimawandel und einen sich zulasten Europas verschärfenden internationalen Wettbewerb entstehen. Es kann kein Zweifel bestehen: Europa und die 27 Mitgliedstaaten müssen ihre Anstrengungen weiter verstärken, um diese außerordentlich großen Herausforderungen meistern zu können. Es besteht aber auch kein Zweifel: Deutschland ist bereit dazu. Ich bin überzeugt: Deutschland ist in der Lage, seinen Beitrag für ein erfolgreiches Europa zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir alle wissen: Kein Mitgliedstaat der Europäischen Union kann diese Aufgaben unserer Zeit im Alleingang bewältigen. Wir brauchen einander. Wer das nicht erkennt, der hat die einzigartige Erfolgsgeschichte der europäischen Einigungsidee nicht verstanden. Gemeinsam sind wir stärker. Deshalb begrüße ich die Bemühungen der Europäischen Präsidentschaft und der Europäischen Kommission für eine neue europäische Wachstumsstrategie, die sogenannte Strategie EU 2020. Auf Eckpunkte dieser EU-2020-Strategie wollen wir uns heute und morgen in Brüssel einigen. Eine solche Strategie ist von großer Bedeutung, weil im Binnenmarkt die europäischen Volkswirtschaften in einer unauflöslichen gegenseitigen Abhängigkeitsbeziehung stehen. Wir erleben gerade in diesen Tagen schmerzlich, dass Fehler in der Wirtschaftspolitik einzelner Staaten zu beträchtlichen ökonomischen Verwerfungen insgesamt führen können. Umgekehrt haben wir in der Geschichte der Europäischen Union auch immer wieder erlebt, dass Strukturreformen in einzelnen Mitgliedstaaten sich gegenseitig bereichern können. Damit wirkt die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zum Wohle aller in der ganzen Europäischen Union. Ich kenne die Einwände, die gegen die neue EU-2020-Strategie vorgebracht werden. Ich sage ausdrücklich: Ich nehme diese Einwände ernst, und ich weiß auch um die Defizite, die schon die sogenannte Lissabon-Strategie hatte. Vorneweg war eines dieser Defizite die fehlende Prioritätensetzung und damit verbunden eine mangelnde politische Verbindlichkeit. Wir haben in der Lissabon-Strategie zum Schluss sage und schreibe 25 quantitative Ziele gezählt. Hinzu kommt eine noch wesentlich größere Zahl an qualitativen Zielen. Am Ende sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Genau das wollen wir ändern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutschland hat deshalb gefordert, für die neue EU-2020-Strategie den Zielkatalog deutlich zu reduzieren. Ich freue mich, dass Präsident Van Rompuy jetzt ein Konzept zur Reform der Lissabon-Strategie auf den Tisch gelegt hat, das genau diesen Gedanken aufgreift. Dennoch: Wir dürfen trotz aller Unzulänglichkeiten eines nicht vergessen: Viele der Reformen, die die Mitgliedstaaten in den Jahren vor der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit durchgeführt haben, waren auch das Ergebnis eines Voneinander-Lernens, das Ergebnis genau dieser Lissabon-Strategie, die das Benchmarking eingeführt hatte und die uns immer wieder hat schauen lassen: Wie machen es andere? Mit der neuen EU-2020-Strategie gehen wir zweierlei an: Einerseits übernehmen wir die Stärken der Lissabon-Strategie, und wir versuchen gleichzeitig, ihre Defizite zu beseitigen: Erstens. Es werden nur noch einige wenige prioritäre Ziele gesetzt. Zweitens - das ist vielleicht noch wichtiger -: Diese wenigen EU-Ziele sollen mit der Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Europas und der Förderung eines nachhaltigen Wachstums in direktem Zusammenhang stehen. Die Ziele sind also ausgerichtet auf die Zielstellung der Strategie. Drittens. Für die Umsetzung dieser Ziele müssen die Staats- und Regierungschefs konkret die Verantwortung übernehmen. Meine Damen und Herren, mit der EU-2020-Strategie wollen und werden wir die Innovationsfähigkeit Europas stärken. Man muss ganz nüchtern sagen: Der Anspruch der Lissabon-Strategie, dass wir der wettbewerbsfähigste und innovativste Kontinent schon bis 2010 sind, hat sich nicht erfüllt. Trotzdem bleibt das Thema Innovationsfähigkeit natürlich auf der Tagesordnung. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich den Vorschlag von Präsident Barroso, 3 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. In aller Bescheidenheit können wir hinzufügen: Deutschland ist wie schon in anderen Bereichen auch hier einer der Vorreiter in Europa. Wir werden auf der Bundesseite das 3-Prozent-Ziel sehr schnell erfüllen. Wir werden auch gesamtstaatlich daran arbeiten und haben uns vorgenommen, bis 2015 die Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Es reicht nicht aus, wenn sich die Europäische Union das Ziel einer Beschäftigungsquote von 75 Prozent setzt, wie das jetzt geplant ist. Es müssen dazu natürlich auch die richtigen Maßnahmen getroffen werden. Das heißt, das 75-Prozent-Ziel können wir teilen. Aber wir müssen das Erreichte - Deutschland hat dieses Ziel im Wesentlichen erreicht - auch festigen und zukunftsfest machen. Deshalb geht es neben Forschung und Entwicklung auch darum, bestehende Beschäftigungshemmnisse zu beseitigen, indem wir zum Beispiel die Aufnahme einer regulären Arbeit für die Bezieher von Arbeitslosengeld II attraktiver ausgestalten wollen. Wir werden das innenpolitisch anpacken und auch damit einen Beitrag zur Stärkung Europas leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit verbunden ist aber natürlich auch, dass diese Zielsetzungen - das zeigt sich an einem weiteren Ziel - auf die innere und spezifische Situation der Mitgliedstaaten ausgerichtet sein müssen. Jeder weiß: Gute Bildung für alle, das ist die Voraussetzung für eine hohe Rate qualifizierter Beschäftigung. Aber die Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten sind unterschiedlich. Ich kann und werde heute in Brüssel nicht einfach ein pauschales EU-Ziel zur Quote der Hochschulabsolventen unterstützen; denn wir müssen zum Beispiel darauf achten, dass die deutschen Berufsbildungsabschlüsse bestimmten Hochschulabschlüssen in anderen Mitgliedstaaten durchaus ebenbürtig sind. Das müssen wir miteinander vergleichen und dafür auch werben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb teile ich an dieser Stelle ausdrücklich die Auffassung der Ministerpräsidenten der Länder: Hier gibt es noch Beratungsbedarf, und die Zeit dafür werden wir uns nehmen. Dennoch bin ich optimistisch, dass wir uns auf europäischer Ebene auf ein vernünftiges Verfahren für ein Bildungsziel verständigen können, und zwar unter einer Voraussetzung: Es muss die spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigen. Meine Damen und Herren, ich habe es schon oft gesagt und wiederhole es heute, weil man es nicht oft genug wiederholen kann: Niemals darf die große Herausforderung der Bewältigung der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise gleichsam als Ausrede dafür herhalten, andere große Herausforderungen in den Hintergrund treten zu lassen. Das muss auch für den heutigen EU-Rat vermieden werden, weil etwa die Erfüllung der Klima- und Energieziele der Europäischen Union keinen Aufschub duldet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Strukturwandel in Richtung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft muss konsequent vorangetrieben werden. Das hat dann natürlich auch einen ökonomischen Mehrwert; denn wenn wir in Europa diesen Strukturwandel frühzeitig einleiten und umsetzen, wird dies zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen für unsere Industrie im globalen Wettbewerb führen. Wir müssen also - das muss uns leiten - unsere Chancen erkennen, und darüber hinaus gilt: Wir müssen diese Chancen dann auch konsequent gemeinsam nutzen. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich den Vorschlag der EU-Kommission, die Erfüllung der vom Europäischen Rat unter deutscher Präsidentschaft beschlossenen Energie- und Klimaziele auch im Rahmen der EU-2020-Strategie zu verankern und voranzubringen. Ich füge allerdings hinzu: Da die Wahrheit oft im Kleingedruckten steckt, wird Deutschland ein waches Auge auf die Diskussion haben, die in diesem Zusammenhang in der Europäischen Kommission im Anschluss an den Europäischen Rat zum Thema Energieeffizienz geführt wird. Deutschland nimmt die Verantwortung, die sich durch eine Vorreiterrolle für den Klimaschutz in Europa ergibt, weiterhin konsequent wahr. Einen wichtigen Impuls für Fortschritte in den internationalen Verhandlungen werden wir auch noch einmal mit der Ministerkonferenz des Bundesumweltministers für den Klimaschutz vom 2. bis 4. Mai in Bonn setzen. Allerdings müssen wir auch darauf achten, dass sich die vereinbarten Maßnahmen in der Europäischen Union nicht gegenseitig widersprechen, sondern dass sie in sich konsistent sind. So kann man nach meiner Auffassung, wenn man sich zum Beispiel für den Zertifikatehandel entscheidet, nicht gleichzeitig Steuern und Ähnliches einführen. Das bringt kein konsistentes Bild in die gesamte Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen nicht verschweigen, dass es bei der Beratung der EU-2020-Strategie heute ein Thema geben wird, zu dem es von mir für ein quantitatives Ziel keine Unterstützung geben wird. Ich meine die Bekämpfung der Armut in Europa. Natürlich: Alle wollen Armut bekämpfen, niemand von uns findet sich mit ihr ab. Wir als Bundesregierung verfolgen das gemeinsam mit den die Regierung tragenden Fraktionen ganz konsequent. Außerdem gilt: Soweit die Armutsbekämpfung über mehr Wachstum erreicht werden kann, gehört sie in die neue europäische Strategie 2020. Aber - darum geht es mir - Armutsbekämpfung ist viel mehr als wirtschaftliches Wachstum. Sie ist eine sozialpolitische Aufgabe. Diese ist - ich erinnere an den Grundsatz der Subsidiarität - mit gutem Grund Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Da sollten wir sie auch belassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist ein klassisches Beispiel dafür, dass wir nicht mehr alle Ziele aufnehmen können, die man für gut und richtig hält, sondern dass man genau schauen muss: Wo sind die Prioritäten? Wo muss man bestimmte Aufgaben an die Mitgliedstaaten verweisen? Die Ziele der neuen EU-2020-Strategie werden heute und morgen im Rat beraten. Nach den Vorschriften des Vertrages von Lissabon sind sie für die Mitgliedstaaten zwar rechtlich nicht bindend, dennoch - davon bin ich überzeugt - werden sie eine nicht zu unterschätzende politische Bindungswirkung entfalten. Denn in Zukunft kommt gerade dem Rat bei dem Beschluss solcher Ziele eine ungleich größere Verantwortung als früher zu, weil wir auch für die Einhaltung dieser Ziele geradestehen müssen. Deshalb ist es wichtig, dass wir, wenn die Kommission regelmäßig überprüfen will, ob wir diese Ziele einhalten, auch zu Hause miteinander - das bedeutet die Diskussion im Deutschen Bundestag, das bedeutet auch die Diskussion mit dem Bundesrat - intensiver als früher diskutieren; denn nur wenn ein solches Ziel breit getragen wird von denen, die die parlamentarischen Entscheidungen in Deutschland fällen, kann ich das Ziel für Deutschland umsetzen. Nur dann können wir auch akzeptieren, dass die Kommission auf diese Einhaltung pocht. Das heißt also, wir vereinbaren Ziele nur dann, wenn wir gemeinsam, mehrheitlich in diesem Hause zu der Überzeugung kommen, dass es die richtigen und wichtige Ziele sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In der Debatte um die Strategie EU 2020 wurde in den vergangenen Wochen immer wieder die Verknüpfung des Stabilitätspaktes mit der neuen Wachstumsstrategie gefordert. Ich habe mich immer wieder konsequent, wie auch die ganze Bundesregierung dies getan hat, dagegen gewendet. Ich hielte es für falsch, wenn wir Wachstum gegen Stabilität ausspielen würden, wenn wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufweichen würden. Ich hielte es sogar für verhängnisvoll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb bin ich froh, dass das verhindert werden konnte. Wir können uns eine Verwässerung des Stabilitätspaktes nicht leisten. Mit der Bundesregierung - ich glaube, dafür auch die Unterstützung des Parlaments zu haben - wird es sie nicht geben. Zur Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen gibt es nämlich keine vernünftige Alternative. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Fangen Sie in Deutschland schon mal an!) Hier darf nicht getrickst werden. Sie brauchen sich auch gar keine Sorgen machen, dass wir nicht anfangen. Allein das Grundgesetz zwingt uns dazu. (Sigmar Gabriel [SPD]: Weiß Herr Westerwelle das auch?) Das ist der richtige Ort, an dem die Schuldenbremse verankert ist. Alle Mitgliedstaaten müssen diesen Weg gehen. Nur mit der Rückführung der Defizite in jedem einzelnen Mitgliedstaat kann Europa das Vertrauen in seine wirtschaftliche Stärke, seine gemeinsame Währung und seine politische Handlungsfähigkeit sichern. Das ist unverzichtbar für die Zukunft Europas. Aber wir spüren in diesen Wochen durchaus auch die Grenzen des Stabilitätspaktes. Er war und ist nicht darauf ausgerichtet, strukturelle Fehlentwicklungen und den damit verbundenen Aufbau von erheblichen Ungleichgewichten in der EU zu erkennen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Um es klipp und klar zu sagen: Auf ein bewusstes Unterlaufen seiner Kriterien, wie wir das im Falle Griechenlands erleben mussten, war und ist dieser Pakt nicht eingestellt. Deshalb sage ich: Ein solches Unterlaufen muss für die Zukunft unterbunden werden. Wir dürfen nicht mit Europas Zukunft spielen. Ich werde das heute und morgen in Brüssel unmissverständlich deutlich machen. Deutschland ist sich hier seiner historischen Verantwortung bewusst. Die Wirtschafts- und Währungsunion wurde seinerzeit maßgeblich von der deutschen Bundesregierung geprägt. Helmut Kohl und Theo Waigel haben für ein Regelwerk gekämpft, das die Stabilität des Euro dauerhaft garantiert. Das hat sich ausgezahlt: Der Euro ist heute stabiler, als die D-Mark es je war. Der Euro hat uns gerade bei der Bewältigung der internationalen Finanzkrise sehr geholfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Als man die vertraglichen Grundlagen für die Einführung des Euro geschaffen hat, hat man sich eine außergewöhnliche Situation wie die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts allerdings nicht vorgestellt. Ich füge hinzu: vielleicht hat man es sich auch nicht vorstellen können; denn wir alle sind mit Dingen konfrontiert worden, die außerhalb dessen waren, was wir erwartet haben. Deshalb wurden in den europäischen Verträgen keine Vorkehrungen getroffen, um eine solche Situation beherrschen zu können. Würde ein Mitglied der Währungsunion in der gegenwärtigen Situation zahlungsunfähig, bedeutete dies für uns alle in Europa gravierende Risiken, auch für Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas. Wie unkontrollierbare Kettenreaktionen entstehen und die ganze Weltwirtschaft erschüttern können, haben wir im Herbst 2008, nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, erlebt. Es ist also sowohl im europäischen als auch im wohlverstandenen deutschen Interesse, schwerwiegende Störungen der Finanzstabilität in der Eurozone oder der globalen Finanzmärkte zu vermeiden. So weit wollen und dürfen wir es nicht kommen lassen. Deshalb haben die Staats- und Regierungschefs beim letzten EU-Gipfel, am 11. Februar, klar vereinbart: Wenn es notwendig sein sollte, sind die Euromitgliedsländer bereit, entschlossen und koordiniert zu handeln, um die Finanzstabilität in der Eurozone insgesamt zu sichern. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur über das Wie können sie sich nicht einigen!) Diese Vereinbarung - Sie erinnern sich - wurde ganz wesentlich in einer Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich erreicht. Sie hat sich schon jetzt bewährt. Heute, sechs Wochen später, können wir eine erste Zwischenbilanz dieser Entscheidung ziehen. Wir stellen fest: Es ist noch kein Euro und kein Cent für die Unterstützung Griechenlands ausgegeben worden. Bislang ist Griechenland nicht zahlungsunfähig geworden. Auch sind düstere Vorhersagen über die Entwicklung in anderen Mitgliedstaaten nicht Realität geworden. Stattdessen hat Griechenland ein ambitioniertes Sparprogramm beschlossen und erfolgreich eine Anleihe an den Märkten platziert. Ich glaube, sagen zu können, dass sich Europa am 11. Februar in einer Stunde der größten ökonomischen und politischen Herausforderung als gleichermaßen entschieden, aber auch besonnen gezeigt hat; das hat seine Effekte gezeitigt. Ich wiederhole: Deutschland und Frankreich haben dabei sehr eng zusammengearbeitet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wissen: Jede weitere Entscheidung über die kurzfristige Stabilisierung eines Mitgliedstaats der Europäischen Union muss im Einklang mit der langfristigen Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion getroffen werden. Ich bin mir als deutsche Bundeskanzlerin der außerordentlich großen Verantwortung in dieser Stunde bewusst. Denn das deutsche Volk hat im Vertrauen auf einen stabilen Euro seinerzeit die D-Mark aufgegeben. Dieses Vertrauen - das eint die ganze Bundesregierung - darf unter keinen Umständen enttäuscht werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb sage ich: Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der schnell hilft. Ein guter Europäer ist der, der die europäischen Verträge und das jeweilige nationale Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der Eurozone keinen Schaden nimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das war die Richtschnur des bisherigen Handelns des Bundesfinanzministers, von mir und der gesamten Bundesregierung. Das ist die Richtschnur aller Entscheidungen heute und morgen auf dem Rat und auch in Zukunft. Heute und morgen geht es darum, die Entscheidungen des Rats vom 11. Februar zu spezifizieren, also darum, fortzuschreiben, wie wir im äußersten Notfall als Ultima Ratio - so haben wir es gesagt - agieren können, wenn die Stabilität gefährdet ist, wenn ein Eurostaat keinen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten mehr hat, wenn dieser Zugang also erschöpft ist. Für einen solchen Notfall haben die Finanzminister Gemeinschaftshilfen ausgeschlossen und sich für bilaterale Hilfen ausgesprochen. Die Bundesregierung wird sich beim Rat heute und morgen dafür einsetzen, dass im Notfall eine Kombination von Hilfen des IWF und gemeinsamen bilateralen Hilfen in der Eurozone gewährt werden müsste. Aber dies ist - ich sage es noch einmal - die Ultima Ratio. Ich werde entschieden dafür eintreten, dass eine solche Entscheidung - IWF plus bilaterale Hilfen - gelingt. Dabei werden wir wieder sehr eng mit Frankreich zusammenarbeiten. Ich wiederhole: Es geht nicht um konkrete Hilfen, sondern um eine Spezifizierung und Fortschreibung der Entscheidung vom 11. Februar. Meine Damen und Herren, mit alldem dürfen wir unsere Arbeiten keinesfalls beenden; das würde nicht ausreichen. Denn eine Situation, wie wir sie nie vorausgesehen haben, kann nicht einfach übergangen werden, sondern Europa muss daraus die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen. Wir müssen Vorkehrungen treffen, damit sich eine solche Situation nicht wiederholen kann. Wir haben gesehen, dass das aktuelle Instrumentarium der Währungsunion unzureichend ist. Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen und weiterführende Maßnahmen vorgeschlagen, die ich ausdrücklich unterstütze. Wir beraten schon heute eine Verordnung, die Eurostat das Recht gibt, kritische Fragen direkt vor Ort zu prüfen. (Sigmar Gabriel [SPD]: Donnerwetter!) - Auch Sie waren daran beteiligt, als wir Eurostat das verboten haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]. Herr Steinbrück hat Ihnen doch gesagt, was Sie machen müssen!) Tricksereien muss ein Riegel vorgeschoben werden. Aber mehr Eingriffsbefugnisse für Eurostat allein werden nicht ausreichen. Wir müssen mit Blick auf die Zukunft folgende Fragen beantworten: Was passiert, wenn trotz aller Vorkehrungen ein Eurostaat zahlungsunfähig wird? Welche Möglichkeiten gibt es, dies in ein geordnetes Verfahren zu bringen, ohne dass die Stabilität der Währungsunion erschüttert wird, sondern dass sie geschützt wird? Deshalb werde ich mich auch für erforderliche Vertragsänderungen einsetzen, damit Fehlentwicklungen durch geeignete Sanktionen früher und effektiver bekämpft werden können. Hier steht insbesondere die Stärkung des Defizitverfahrens auf der Agenda. Das ist eine Aufgabe, die weit über den heute beginnenden EU-Rat hinausreicht. Sie will wohl überlegt sein. Aber auf Dauer werden wir einer solchen Antwort nicht ausweichen können. Eines möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, wenn auch nur am Rande: Es ist geradezu absurd, Deutschland mit seiner wettbewerbsstarken Wirtschaft gleichsam zum Sündenbock für die Entwicklung zu machen, die wir jetzt zu bewältigen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Kritiker in Europa verkennen, dass unsere Exportgewinne zum Teil in die Defizitländer zurückfließen und dass Deutschland auch das größte Importland Europas ist. Deutsche Unternehmen haben 500 Milliarden Euro in der EU investiert und beschäftigen dort mehr als 2,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas, auch auf den Weltmärkten. Darauf können wir zu Recht stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, die Staats- und Regierungschefs werden auf ihrem heute beginnenden Gipfel ein neues und anspruchsvolles Kapitel der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Europas aufschlagen. Wir werden in Europa noch stärker zusammenrücken. Wir werden damit unsere Interessen in der Welt noch besser vertreten können. Unsere politische Generation wird auch in unserer Zeit der großen Verantwortung gerecht, die uns die Gründer der wunderbaren Idee der Einigung Europas vor über 50 Jahren mit auf den Weg gegeben haben. Europa ist Friedensgemeinschaft, Europa ist Rechtsgemeinschaft, Europa ist Stabilitäts- und Wachstumsgemeinschaft, Europa ist unsere Zukunft. Diese Idee zu schützen und zu wahren, das war und das ist jede Mühe und Anstrengung wert. Dafür setzt sich die Bundesregierung und dafür setze ich mich in den nächsten beiden Tagen ganz persönlich ein. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr enttäuscht über Ihre Erklärung, Frau Bundeskanzlerin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Das ist aber schade! - Das war klar!) Sie haben angekündigt, dass beim heute beginnenden Europäischen Rat ein neues und anspruchsvolles Kapitel der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa aufgeschlagen werden soll. Frau Kanzlerin, ich vermisse den anspruchsvollen und leidenschaftlichen Beitrag der Bundesregierung zu dieser Strategie, die uns in den nächsten zehn Jahren zu wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Erfolg führen soll. (Beifall bei der SPD) Stattdessen, Frau Bundeskanzlerin, erklären Sie uns, welche von der Kommission vorgeschlagenen Ziele Sie zwar gut finden, aber doch bitte nicht so genau festgeschrieben haben wollen. Man könnte die schwarz-gelbe Koalition sonst ja gegebenenfalls daran messen, ob sie tatsächlich Entscheidendes getan hat, um die Chancengleichheit in der Bildung herzustellen oder die Armut abzubauen. Wo, sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, ist denn der kräftige Pinselstrich dieser Regierung im Hinblick auf die Strategie EU 2020, der unsere europäischen Gesellschaften wirklich mit Innovationen voranbringt? (Thomas Oppermann [SPD]: Davon haben wir nichts gespürt!) Sie sagen, Sie unterstützten die unter deutscher Präsidentschaft beschlossenen Energie- und Klimaziele der Union. Aber Misstrauen ist angesagt. Denn gleichzeitig haben Sie dem Rats- und dem Kommissionspräsidenten brieflich übermittelt, dass Sie auf dem März-Gipfel keinen quantifizierten Zielen zustimmen können, deren Erfüllung von der Kommission nicht belegt werden könne. (Joachim Poß [SPD]: Hört! Hört!) Hier schleicht sich die Klimakanzlerin davon. (Beifall bei der SPD) Genauso haben Sie im Haushalt nicht die Mittel zur Verfügung gestellt, die zur Erreichung des Klimaschutzes in den Entwicklungsländern notwendig sind. Frau Kanzlerin, das passt zu den verheerenden Signalen, die Ihre Regierung in Deutschland selbst setzt: Die Förderung der erneuerbaren Energien wird von heute auf morgen reduziert, und die Investoren werden damit verunsichert. Die Markteinführungsprogramme für Effizienztechnologien und Wärmeerzeugung werden gekürzt und gesperrt. Die Wärmedämmung wird nur noch halbherzig unterstützt. Wegen der anstehenden Entscheidung über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken sind die Kraftwerkserneuerungsprogramme auf Eis gelegt. So kann schon Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen. (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen uns, Europa müsse noch stärker zusammenrücken. Wie soll das denn geschehen? Die Staats- und Regierungschefs - so darf ich Sie zitieren - müssten dafür geradestehen, die gemeinsam erarbeiteten Empfehlungen zu Hause umzusetzen. - Wenn Sie sich nicht für eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung einsetzen, dann bleibt Ihr Verweis auf eine Wirtschaftsregierung nur ein leeres Zugeständnis an Staatspräsident Sarkozy und eine Mogelpackung. (Beifall bei der SPD) Der Europäische Rat bereitet auch den G-20-Gipfel in Toronto vor. Das wichtigste Thema wird die Reform des Finanzsektors sein. Eine international vereinbarte Steuer auf den Handel von Finanzprodukten würde zu einer Entschleunigung des Finanzroulettes beitragen. Leider ist nicht klar, ob die Bundesregierung eine solche Steuer weiterhin unterstützt. (Beifall bei der SPD) Heute wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, den Deutschen Bundestag darüber zu informieren. (Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr! Nirgendwo aufgestellt, diese Regierung!) Wenn wir von Verantwortung sprechen, dann, Frau Bundeskanzlerin, muss ich Ihnen sagen: Sie sind Ihrer Verantwortung in den letzten Wochen nicht gerecht geworden. (Beifall bei der SPD) In diesen Wochen, in denen sich viele Menschen Sorgen um die Stabilität des Euro und um den Zusammenhalt der Währungsunion machen, betreiben Sie und Ihre Regierung eine unstete und unentschlossene Politik, eine Politik der Unentschiedenheit und des Attentismus. Sie sagen heute: Griechenland wird nicht geholfen. - Morgen verkündet der Finanzminister, er setze sich für einen EWF ein. Und vom Außenminister ist dröhnendes Schweigen zu vernehmen. Das ist eine unehrliche und opportunistische Verhaltensweise. (Beifall bei der SPD - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein Außenminister?) Ja, Griechenland hat seine schwierige Lage überwiegend selbst verursacht. Während der frühere griechische Ministerpräsident Karamanlis mit Goldman Sachs gezockt hat, erweist sich der heutige Ministerpräsident Papandreou aber als wahrer Patriot. Er - das sollten Sie zur Kenntnis nehmen - und die aktuelle Regierung haben mit der Politik der Vorgängerregierung gebrochen. Die jetzige Regierung bettelt nicht um Hilfe. Papandreou hat seiner Bevölkerung ein strenges Spar- und Reformpaket verordnet, das seinesgleichen sucht. Er nimmt ein hohes persönliches, aber auch ökonomisches und soziales Risiko für sein Land auf sich. Heute ist übrigens griechischer Nationalfeiertag. Wir wünschen der griechischen Bevölkerung von hier aus Mut, Kraft und Erfolg bei den Reformbemühungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Ministerpräsident will, dass Griechenland die Krise aus eigener Kraft bewältigt. Aber Sie, Frau Merkel, fallen ihm in den Rücken. (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) Jedes Mal, wenn Sie sich äußern und verkünden, nein, über Hilfsprogramme spreche man nicht, ja, Griechenland müsse seine Probleme allein lösen, nein, es gebe keinen Anlass, über Hilfen zu spekulieren, heizen Sie die Spekulationen an. (Beifall bei der SPD) Jedes Mal, wenn Sie sprechen, fallen die Kurse für Griechenland, und der Spread steigt; das heißt, die Griechen müssen mehr als doppelt so hohe Zinsen wie Deutschland für Anleihen bezahlen. (Die Rednerin hält ein Schriftstück hoch) Ich darf Ihnen hier ein unverdächtiges Blatt zeigen. Diese Grafik bildet die Kursschwankungen ab. Die Financial Times Deutschland schreibt: Merkels riskantes Spiel mit den Märkten. Offensichtlich, Frau Bundeskanzlerin, wollen Sie nach der Methode der Zeitung mit den vier großen Buchstaben das vermeintliche Bauchgefühl potenzieller Wähler in NRW ansprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr! - Thomas Oppermann [SPD]: Durchsichtig!) In Wahrheit verunsichern Sie die Bevölkerung. Sie beschädigen Ihren Finanzminister. Sie verprellen die europäischen Partner, indem Sie ihnen die kalte Schulter zeigen. Mit Ihrem Verhalten kündigen Sie die europäische Solidarität auf. (Zuruf von der CDU/CSU: Absurd!) Sie brechen mit der Tradition der deutschen Europapolitik all Ihrer Vorgänger. Sie isolieren Deutschland in Europa. Dies alles, Frau Bundeskanzlerin, sind keineswegs moralisierende Vorhaltungen. Ökonomischer Sachverstand müsste Ihnen klarmachen, dass Sie mit Ihrem Hin und Her die Spekulationsjongleure stärken. Der Devisenmarkt interpretiert die von Ihnen genährten Spekulationen bereits als Schwäche des Euro. Wenn es so weitergeht, wird bald nicht nur Griechenland Hilfe benötigen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Auch die SPD!) Auch Portugal ist bereits im Visier der Spekulanten. Die Stabilität der Eurozone liegt im ureigenen deutschen Interesse. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Helmut Schmidt und Helmut Kohl wussten beide, dass das Wohlergehen der Europäischen Union auch Wohlstand für Deutschland bedeutet. Deutschlands Interessen können nicht gegen die Interessen der EU gestellt werden. Die wiederholt vorgetragene Forderung der Bundesregierung, ein Mitgliedsland gegebenenfalls aus der Eurozone auszuschließen, widerspricht dem EU-Vertrag. Die Diskussion über einen möglichen Rausschmiss muss so schnell wie möglich beendet werden, um Schlimmeres zu verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Statt zu spalten, sollte die Bundesregierung konstruktive Vorschläge machen, wie weiteren Wirtschafts- und Finanzkrisen in der EU vorgebeugt werden kann und wie solche Krisen gegebenenfalls gemanagt werden sollen. Das Ziel muss sein, Heterogenität zu verringern, Innovationen voranzubringen, die Produktivität nachhaltig zu steigern und die Kaufkraft zu stärken. Nur so können wir wirtschaftliche Ungleichgewichte verringern und gemeinsam stark sein. Frau Bundeskanzlerin, wir sollten uns nicht vom Außenminister von Luxemburg sagen lassen müssen, dass die EU eine Schicksalsgemeinschaft ist. Wer sollte dies besser wissen als wir Deutschen? Frau Merkel, greifen Sie die Initiative des Präsidenten des Europäischen Rates, Van Rompuy, des spanischen Ministerpräsidenten Zapatero und des Vorsitzenden der Eurogruppe, Juncker, auf und werden Sie Ihrer Verantwortung in und für Europa und Deutschland gerecht. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Diskussion über die Strategie Europa 2020 für Wachstum und Beschäftigung werden die Lehren aus der gescheiterten Lissabon-Strategie gezogen. Das ist gut so. Bei der Lissabon-Strategie hatte man sich zu viel auf zu vielen Gebieten vorgenommen, vor allen Dingen auf Gebieten, auf denen die EU keine eigene Kompetenz hat. Damit hat man der europäischen Integration keinen Gefallen getan. Deshalb ist es gut, dass der Schwerpunkt jetzt auf Schlüsselbereiche gelegt wird, dass weniger Ziele, dafür aber erreichbare Ziele definiert werden. Es ist auch gut, dass eine Koordinierung erfolgt. Genauso wichtig ist es aber, dass dort, wo die Mitgliedstaaten die Kompetenz und die Verantwortung haben, weiter die Mitgliedstaaten handeln. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit Blick auf die Diskussion in den letzten Tagen ist festzustellen, dass das Ziel nicht die Konvergenz der Mitgliedstaaten in Richtung des kleinsten gemeinsamen Nenners sein kann. Die europäischen Volkswirtschaften bilden kein nach außen abgeschlossenes Nullsummenspiel, wo sich die Besten nur zurücklehnen müssten, damit es allen anderen besser geht. Wir befinden uns in einem internationalen Wettbewerb. Deshalb ist es wichtig, dass wir deutlich machen: Niemandem in Europa ist geholfen, wenn sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verschlechtert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb werden wir weiter daran arbeiten, die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes zu stärken. Die Grundlage unseres Wohlstands sind gut ausgebildete und motivierte Menschen, die Produkte und Dienstleistungen in hoher Qualität erfinden und erzeugen bzw. bereitstellen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ländern außerhalb der EU hängt wesentlich von Bildung, Forschung und Innovation ab. Deshalb ist es gut, dass hier Ziele definiert werden, zum Beispiel, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Wir haben uns in Deutschland vorgenommen, bis zum Jahr 2015 10 Prozent für Bildung und Forschung auszugeben. Wir sind der Überzeugung, dass es mehr Investitionen in die Köpfe von Menschen bedarf. Das haben wir schon jetzt im Haushalt 2010 umgesetzt, indem wir 750 Millionen Euro zusätzlich für Bildung und Forschung eingestellt haben, und wir werden im Laufe dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro zusätzlich in diesen Bereich investieren, weil wir überzeugt sind, dass das ein Schlüsselbereich ist, und weil wir der Auffassung sind, dass wir auf dem Weg zu Innovationen in der Bildung einen Schwerpunkt setzen müssen. (Joachim Poß [SPD]: Trotzdem wollt ihr Steuerkürzungen vornehmen!) Wir können es uns nicht erlauben, kreative Köpfe auf dem Bildungsweg zu verlieren. Deshalb setzen wir als Koalition diese Schwerpunkte, und sie sind richtig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn Sie nicht dafür eintreten, dass ein pauschales EU-Ziel zur Quote von Hochschulabsolventen eingeführt wird. Ich sage das ganz ausdrücklich mit Blick beispielsweise auf den sehr speziellen Studiengang der Berufsakademien, der sehr praxisorientiert ist und eine exzellente Ausbildung darstellt. Das muss auch entsprechend gewertet werden. In der bildungspolitischen Werteskala ist das deutsche System der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Europa zu niedrig eingeordnet. Wir sind der Meinung, dass es eine Gleichwertigkeit der betrieblichen und der akademischen Ausbildung gibt. Wenn ich mir die hochwertige Meisterausbildung in Deutschland anschaue, dann wird klar, dass wir erwarten müssen, dass das auch in Europa den entsprechenden Respekt und die entsprechende Beachtung findet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zur Energie- und Klimapolitik will ich hier nur eine kurze Bemerkung machen. Es ist gut, dass das in der Strategie EU 2020 erstmals aufgenommen worden ist und vorangetrieben werden soll. Wir haben uns hier in Deutschland als Koalition sogar ehrgeizigere Ziele gesetzt, Frau Schwall-Düren, (Dr. Eva Högl [SPD]: Oh ja!) und wir werden die Erreichung dieser Ziele durch das Energiekonzept und die Überprüfung des integrierten Energie- und Klimaprogramms in Deutschland entschieden voranbringen. Wir haben in den letzten Tagen eine zentrale Diskussion über den Stabilitätspakt geführt; das ist jetzt auch in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu Recht angesprochen worden. Es ist ja gefordert worden, den Stabilitätspakt mit der EU-Strategie 2020 zu verknüpfen. Wir sind froh, dass es gelungen ist, das zu verhindern. Der Stabilitätspakt darf nicht aufgeweicht werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben bei der Einführung des Euro für diesen Stabilitätspakt gekämpft, und wir werden ihn weiter mit aller Macht verteidigen. Ich denke, dass es richtig ist, dass alle Mitgliedstaaten zunächst einmal ihre Hausaufgaben machen müssen. Der Kern dabei sind solide Staatsfinanzen. Diese Koalition hat sich genau das auch für Deutschland vorgenommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Präsident der Europäischen Kommission, Barroso, hat geäußert: Ohne Solidarität gäbe es keine Stabilität. - In dieser Woche fand der Besuch des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Buzek, statt, der in unserer Fraktion mit uns diskutiert und deutlich gemacht hat, dass Solidarität Verantwortung erfordert. Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich: Wir begrüßen die Schritte, die Griechenland jetzt eingeleitet hat. Ich sage aber auch sehr deutlich, dass es wichtig ist, dass Hilfen eben nicht "ins Schaufenster gestellt" worden sind, sondern dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung in den Verhandlungen auf europäischer Ebene deutlich gemacht haben, dass wir erwarten, dass Griechenland eigene Anstrengungen unternimmt. Diese Anstrengungen wollen wir unterstützen, und wir begrüßen sie auch. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Schwall-Düren, entgegen Ihrer Analyse ist es nämlich so, dass es durch die Art und Weise, in der die Bundesregierung agiert hat, wieder zu mehr Stabilität gekommen ist. Die Bundesrepublik Deutschland spielt eine maßgebliche Rolle bei der Bewältigung der Krise. Das ist wichtig. Deshalb hat die Bundeskanzlerin bei dieser Verhandlungsstrategie ganz ausdrücklich unsere Unterstützung. Ich sage auch, Frau Bundeskanzlerin: Sollte am Ende ein Ergebnis stehen, bei dem der IWF und damit auch die spezifischen Kompetenzen und Fähigkeiten des IWF mit ins Boot geholt werden, dann findet das ausdrücklich die Unterstützung unserer Fraktion und - ich glaube - auch der gesamten Koalition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich noch eine Bemerkung machen: Ich bin davon überzeugt, dass über das hinaus, was jetzt besprochen worden ist, bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise auch europäisch gehandelt werden muss. Wir als Koalition haben in dieser Woche eine bemerkenswerte Initiative auf den Weg gebracht und deutlich gemacht, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben, auch dafür geradestehen und an den Kosten beteiligt werden müssen. Wir sind der Auffassung, dass es weiterer Initiativen bedarf. Es muss auf europäischer Ebene auch über die Frage der Produktaufsicht und Produktregulierung gesprochen werden. Da, wo wir europäisch handeln können, sollten wir das auch tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ziel ist eine neue Verantwortungsethik in der Wirtschaft. Das wollen wir. Denjenigen, die die Verantwortung tragen und die Entscheidungsmöglichkeiten haben, muss klar sein, dass sie auch das Risiko tragen und die Verantwortung übernehmen müssen. Das durchzusetzen, ist eine ganz wesentliche Aufgabe, die sich diese Koalition vorgenommen hat. (Widerspruch von der SPD) Wir werden uns dabei nicht auf Deutschland beschränken, sondern auch auf europäischer Ebene Initiativen ergreifen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Homburger, an Ihnen schätze ich am meisten, dass dieses Pult hochgefahren werden muss, wenn Sie vor mir gesprochen haben. Das ist bei mir so selten der Fall. (Heiterkeit) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Gysi, wenn wir Ihnen damit eine besondere Freude machen können, würde ich mich darum bemühen, dass wir das vor Beginn einer Rede von Ihnen prinzipiell so einführen. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Dann machen Sie das öfter. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber bitte ziehen Sie mir das nicht von der Redezeit ab. Ich habe gehört, Frau Bundeskanzlerin, dass beim EU-Gipfel die Verabschiedung eines Programms mit dem Titel "Europa 2020 - eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" vorgesehen ist. Dann ist mir eingefallen, dass es seit dem Jahre 2000 schon eine Lissabon-Strategie gab. Laut Lissabon-Strategie sollte die Europäische Union bis 2010 - daran möchte ich erinnern - zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden. Nun hat auch die EU-Kommission festgestellt, dass von diesen Zielen keines erreicht ist. Es waren mehr Arbeitsplätze und ein größerer sozialer Zusammenhalt versprochen. Davon kann keine Rede sein. Dieser Zehnjahresplan ist gescheitert. (Zuruf von der CDU/CSU: Es klappt aber nicht mit der Planwirtschaft!) Nun kennen wir beide ja auch die Fünfjahrespläne aus staatssozialistischen Ländern, die alle gescheitert sind. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deshalb sage ich: Ihr Vorhaben, einen zweiten Zehnjahresplan zu starten, wird ebenso scheitern. (Beifall bei der LINKEN) Nun sind in dem Programm einige konkrete Ziele festgelegt - Sie haben sie genannt -: die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung, mehr Ausgaben für Bildung, eine wirksamere Armutsbekämpfung, eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent - diese Quote liegt in Deutschland jetzt bei 69,4 Prozent, allerdings einschließlich der gesamten prekären Beschäftigung -, außerdem sind Energie- und Klimaprogramme vorgesehen. Sie sagen jetzt aber, Frau Bundeskanzlerin: Deutschland wird weder bei der Höhe der Bildungsausgaben noch bei der Armutsbekämpfung konkrete Ziele verfolgen. - Das lehnen Sie einfach ab. Gleichzeitig sagen Sie, dass man sich auf Schwerpunkte konzentrieren muss. Darf ich das so verstehen, dass Armutsbekämpfung nicht Ihr Schwerpunkt ist? Es wird aber höchste Zeit, dass wir in Deutschland Armut sehr wirksam bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Ich nenne Ihnen dazu einige Zahlen: In Deutschland gibt es den größten Niedriglohnsektor aller Industriestaaten: Er umfasst ein Viertel der Beschäftigten. Hinzu kommen die prekären Jobs: die 400-Euro-Jobs und andere Minijobs, befristete Arbeitsverhältnisse und die Aufstockerinnen und Aufstocker, die eine Vollzeitbeschäftigung haben, aber so wenig verdienen, dass sie zum Sozialamt geschickt werden müssen. Es ist indiskutabel, was wir diesbezüglich in Deutschland haben. (Beifall bei der LINKEN) Der Niedriglohnsektor umfasst, wie gesagt, ein Viertel der Beschäftigten. Das betrifft 9 Millionen Menschen in Deutschland. Als prekär Beschäftigte haben wir 5 Millionen in Teilzeit, 2,6 Millionen in Minijobs und 500 000 in Leiharbeit. Das sind insgesamt fast 7,7 Millionen Beschäftigte. 2,7 Millionen haben eine befristete Beschäftigung. 2 Millionen unserer Kinder leben in Armut. Und dann sagen Sie, Armutsbekämpfung sei nicht Ihr Schwerpunkt. Ich finde, das muss der Schwerpunkt der Politik einer Bundesregierung werden. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen hat die Armut von heute später Folgen - Sie kennen doch die Studie -: Es ist festgestellt worden, dass die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern in wenigen Jahren im Durchschnitt unter dem Grundsicherungsniveau liegen werden, weil es jetzt so viel prekäre Beschäftigung gibt. Es ist festgestellt worden, dass wir in Deutschland im Vergleich zu allen anderen Euro-Staaten die niedrigsten Lohnstückkosten haben. Das wird durch Lohndumping erreicht, was übrigens auch den Handel der anderen Länder deutlich erschwert. Kommen wir zur Bildung. Im Vergleich zu den anderen EU-Ländern geben wir in diesem Bereich jährlich 40 Milliarden Euro zu wenig aus, Frau Bundeskanzlerin. Wieso wollen Sie sich hier nicht auf Zahlen festlegen? Wenn wir etwas brauchen, dann sind es höhere Ausgaben für Bildung, eine bessere Ausbildung und vor allen Dingen endlich Chancengleichheit in der Bildung. Davon sind wir meilenweit entfernt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Volker Kauder [CDU/CSU]: Losverfahren in Berlin! Das ist Chancengleichheit, Herr Gysi!) Ich sage ganz deutlich, auch Ihnen von der FDP: Wir sind mit unserem Schulsystem im 19. Jahrhundert stecken geblieben. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben 16 Bundesländer und 16 verschiedene Schulsysteme. Das finden Sie toll und nennen es Wettbewerb. Ich sage Ihnen: Das ist eine Benachteiligung von Kindern je nach dem zufälligen Geburtsort. Das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Widerspruch bei der FDP) - Sie können noch so viel herumbrüllen. - Ich möchte im Unterschied zu Ihnen, dass wir endlich ein Top-Bildungssystem bekommen, und zwar von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. Ich möchte, dass alle Kinder die gleiche Chance auf eine sehr gute Ausbildung haben, auch das dritte Kind der alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin, das Sie ausgrenzen. (Beifall bei der LINKEN - Zustimmung der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) Das ist der Punkt: Sie machen reine Elitebildung. Wir müssen die soziale Ausgrenzung in der Bildung überwinden. Insofern hätten Sie sich durchaus auf ein konkretes Ziel einlassen sollen. Was ist wirtschaftspolitisch vorgesehen? Wirtschaftspolitisch ist vorgesehen, mit der Lissabon-Strategie weiterzukommen: Flexibilisierung, Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung. Das alles hat uns in die Krise geführt. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja!) Sie ziehen daraus keine Schlussfolgerung, sondern machen einfach so weiter. Spannend finde ich auch, wie Sie Wachstum erreichen wollen. Sie schlagen zwei Wege vor: erstens Ausstieg aus dem Konjunktur- und Wachstumsprogramm und zweitens Schuldenabbau über strenges Sparen. Das ist aufregend. Was passiert denn da? Wenn wir aus den Konjunktur- und Wachstumsprogrammen aussteigen, gibt es keine staatlichen Investitionen. Wenn es keine staatlichen Investitionen gibt, gibt es weniger Konjunktur und weniger Wachstum. Wie Sie damit Wachstum beschleunigen wollen, ist ein Geheimnis, das Sie unserer Bevölkerung noch verraten müssen. (Zuruf von der FDP: Was haben Sie denn vor?) Wenn Sie bei den Renten, bei Hartz IV und den anderen Sozialleistungen sparen wollen, dann reduzieren Sie die Kaufkraft. Wenn Sie die Kaufkraft reduzieren, wird weniger eingekauft, und es werden weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen. Dann gehen kleine und mittlere Unternehmen pleite, und die Zahl der Arbeitslosen steigt. Dann haben Sie wieder höhere Ausgaben und außerdem viel weniger Steuereinnahmen. Die Unlogik ist nicht mehr zu bremsen. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: So stellt sich Klein-Gysi die Welt vor!) Wenn Sie Wirtschaftswachstum wollen, dann brauchen Sie Investitionen und mehr soziale Gerechtigkeit, also genau das Gegenteil davon. Die gegenteiligen Programme sind schon alle gescheitert. (Lachen bei der FDP) - Ja. - Ich sage Ihnen noch etwas: Die Reallöhne sind in Deutschland - und zwar nur in Deutschland - im Vergleich zu allen anderen Industrieländern um 8 Prozent gesunken. Glauben Sie, dass das unsere Wirtschaft vo-rangebracht hat? Überhaupt nicht. Im Gegenteil, es hat viele kleine und mittlere Unternehmen ruiniert. Sie gehen einen völlig falschen Weg. Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, fordern wir eine grundlegende Überarbeitung der Strategie Europa 2020. Es muss um die Schwerpunkte Armutsbekämpfung, Bildung, Beschäftigung und sozialer Ausgleich gehen. An diesen Zielen sollte Europa unbedingt festhalten und endlich etwas in diese Richtung tun. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt komme ich zu Griechenland und damit auch zur Euro-Zone. Ich kann mich ja noch daran erinnern - Herr Bundestagspräsident, das wollte ich Ihnen auch gerne einmal erzählen -, dass wir hier saßen und Schilder hatten - damals flogen wir aber noch nicht raus -, auf denen "Euro - so nicht" stand. "Euro - so nicht" war eine kluge Formulierung; wir haben nämlich nicht "Euro - nein" gesagt, sondern wir haben gesagt: erst die politischen und ökonomischen Voraussetzungen schaffen und dann den Euro einführen. - Aber alle anderen waren ja schlauer, und jetzt haben wir mit Griechenland genau das Beispiel, dass es so nicht geht und dass es nicht ordentlich vereinbart war. Ich habe ja nichts dagegen, dass Sie zu Recht darauf hinweisen, dass die griechische Regierung eine Mitverantwortung trägt und dass sie in diesem Umfange selbstverständlich auch verantwortlich gemacht werden muss. Aber jetzt sage ich Ihnen: Die wirklichen Gewinner der Krise um Griechenland sind wieder die Spekulanten. (Beifall bei der LINKEN) Hierzu würde ich gern erklären - das muss man auch einmal den Leuten erklären -, was es mit einer Kreditausfallversicherung auf sich hat. Es gibt Leute, die einen Kredit gewähren und sich dann für den Fall versichern, dass sie den Kredit nicht zurückgezahlt bekommen; dann bekommen sie etwas von der Versicherung. Dies finde ich ja noch nachvollziehbar. Dann gibt es aber noch eine zweite Gruppe - das muss man auch erklären -, die Folgendes macht: Die geben gar keinen Kredit, sondern schließen mit der Versicherung eine Wette dergestalt ab, dass sie sagen: Ich glaube, der Kredit wird nicht zurückgezahlt. - Wenn sie mit ihrem Wettangebot recht haben, bekommen sie dafür Geld. Das ist die absurdeste Spekulation, die man sich vorstellen kann: ohne jede Wirtschaftsleistung, nichts steckt dahinter. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dies wird jetzt forciert. Das wäre so, als könnte ein Brandstifter bei einer Versicherung eine Wette abschließen, die besagt: Das Haus wird in Kürze brennen. Dann zündet er es selber an und kriegt dafür 1 Million. Sagen Sie mal, wo leben wir denn hier eigentlich? (Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber der geht in den Knast, Gysi! Der geht in den Knast dafür!) - Wenn wir Glück haben, kriegt er neben dem Geld auch noch Knast; aber da müssen wir schon sehr viel Glück haben. Herr Kauder, nehmen Sie dazu doch einmal Stellung. Leerverkäufe sind nichts anderes als eine Wette. Ich sage: "Die Kurse fallen", oder: "Die Kurse steigen", und dann bekomme ich Geld, wenn ich recht hatte. Sie hatten die Leerverkäufe verboten. Warum, Herr Schäuble, haben Sie sie denn wieder erlaubt? Das war doch vernünftig. Jetzt haben Sie angekündigt, sie wieder zu verbieten. Ja, wann denn? Machen Sie es doch endlich mal! Wir müssen raus aus der Spekulation, wenn wir aus den Krisen raus wollen. (Beifall bei der LINKEN) Wie könnte man Griechenland helfen? Sie verweigern sich ja der Hilfe für Griechenland, was ich für völlig falsch halte, weil es auch Europa und uns mit nach unten zieht. Es gibt folgenden Weg: Wir müssen Griechenland zinsgünstige Darlehen der EU anbieten. Machten wir dies, wäre der Weg für die Spekulanten schon versperrt, weil dann deren hohe Zinsen nicht mehr aufgehen würden. Dann müsste man einen Teil dieser Kredite auch gar nicht mehr geben, weil die Spekulation beendet ist. Soweit man Kredite gibt, bekommt man das Geld mit Zinsen wieder zurück. Was soll denn daran eine Katastrophe sein? Warum fällt es Ihnen so schwer, diesen Weg zu gehen, um so schnell wie möglich aus dieser spezifischen Krise herauszukommen? Dann haben Sie gesagt: Jetzt sollen endlich einmal die Verantwortlichen der Banken, die ja das Ganze angeleiert haben, mit einer Bankenabgabe tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden. - Wir haben Ihnen hier vorgeschlagen, den Weg von Obama zu gehen. Wenn Sie den Weg von Obama gehen würden, hätten wir eine Mehreinnahme von 9 Milliarden Euro. Aber das trauen Sie sich ja hinten und vorne nicht. Sie machen so ein kleines "Abgäbelchen" und wollen gerade einmal 1 Milliarde einnehmen. Hinzu kommt, dass Sie diese Abgabe auch noch von den Sparkassen und der genossenschaftlichen Raiffeisenbank verlangen, was eine Unverschämtheit ist; sie haben weder direkt noch indirekt irgendetwas vom Staat erhalten, sie sind auch gar nicht daran beteiligt. Nein, das müssen schon die Deutsche Bank und die Commerzbank und die anderen Banken bezahlen. (Beifall bei der LINKEN) Aber ich sage Ihnen noch einmal: Ihr Weg ist nicht einmal ein Neuntel dessen wert, was Obama diesbezüglich vorgeschlagen hat. Die Obama-Regierung macht übrigens noch etwas - das haut mich ja schon fast um -: Sie hat jetzt bei 119 Managern (Zurufe von der FDP) - ja, hören Sie mal genau zu - vom Versicherungskonzern AIG, von den Autobauern Chrysler und General Motors die Vergütungen, also die normalen Einkünfte, um 15 Prozent und die Sondervergütungen um ein Drittel gesenkt. Sie hätten ja nicht einmal den Mumm, daran zu denken, Ackermanns Vergütung zu kürzen; lieber laden Sie ihn viermal zum Essen ein. Aber ich sage Ihnen: Das andere ist der richtige Weg. (Beifall bei der LINKEN) Nun weiß ich ja, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie keine linke Regierung führen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich muss zum Ende kommen. Das ist sehr bedauerlich; ich mache es aber. Insofern sind Sie nur sehr begrenzt zu vernünftiger Politik fähig. Wenn wir Ihnen Obama-Politik vorschlagen, dann gehen wir doch schon sehr weit; wir nehmen schon Rücksicht auf Ihre Situation. Obama ist nämlich vieles, aber kein Linker. Machen Sie es endlich: Helfen Sie in dieser Krise ganz anders! Denken Sie an die Bekämpfung von Armut! Denken Sie endlich einmal an die Chancengleichheit im Bildungsbereich! Schaffen Sie mehr Beschäftigung! Organisieren Sie nicht die Wiederholung der Krise! Leider sind Sie dabei. Danke. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Agenda 2020, die heute im Rat besprochen wird, ist eine wichtige Grundlage dafür, dass die europäischen Staaten im Wettbewerb mit anderen Ländern vorankommen. Dabei ist Bildung ein zentrales Thema. Länder, die rohstoffarm sind - davon gibt es viele in Europa -, die keine Bodenschätze haben, müssen dafür sorgen, dass vor allem junge Menschen etwas in den Köpfen haben. Deshalb ist diese Strategie genau richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Gysi, ich weiß, dass Sie meinen, zu allem und zu jedem einen Beitrag abliefern zu müssen. Das ist Ihr gutes Recht. Sie sagen aber auch Dinge, die Sie entlarven, die nicht in Ordnung sind. Sie stellen sich hier an das Rednerpult und sagen, dass Sie für Chancengleichheit im Bildungswesen sind; aber die Linke trägt in Berlin die Mitverantwortung für eine der größten Unsinnigkeiten, für die Verlosung von Plätzen an den Gymnasien. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich kann nur sagen: Wer das Schicksal von jungen Menschen dem Los unterwirft, der hat jedes Recht verloren, von Chancengleichheit im Bildungswesen zu sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Blödsinn!) Ich bin der Bundeskanzlerin außerordentlich dankbar, dass sie darauf hingewiesen hat, dass Europa nur dann mit seinen Strategien vorankommt, wenn sich Europa - die Europäische Kommission und der Rat - auf zentrale, wichtige Punkte konzentriert. Wir haben manchmal den Eindruck, dass sich Europa darin verliert, mikrokosmisch kleine Detailfragen regeln zu wollen. Diese Fragen können wir schon selber regeln. Stattdessen brauchen wir die große Linie, die große Ansage. Frau Bundeskanzlerin, deswegen ist es richtig, wenn Sie heute im Rat dem Subsidiaritätsprinzip, auf das wir hier im Deutschen Bundestag großen Wert legen, zur Geltung verhelfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich unterstütze besonders, dass die Europäische Union neben der Bildung bei einem anderen Thema Führung zeigen will - es steht in den Papieren zur Agenda 2020 -: Wir müssen den Wettbewerb mit China und Japan vor allem um die Vorreiterrolle bei der Elektromobilität aufnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Der Automobilbereich wird auch in Zukunft eine Schlüsseltechnologie sein. Wir müssen doch wollen, dass das Auto der Zukunft, das modernste Auto der Welt, dass die Elektromobilität aus Europa kommt, nicht aus Japan oder China. Deswegen ist es notwendig, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, hier voranzukommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein Blick in die Strategie Europa 2020 zeigt, dass dort der richtige Weg beschrieben wird. Der Rat wird heute Abend den Vorschlag der Europäischen Kommission verabschieden: Um voranzukommen - genau das ist das Thema -, muss die Europäische Union nicht bestimmte Antriebe und Technologien vorschreiben. Mir hat sehr gefallen, was im Text steht. Wir werden in Europa die gemeinsamen Standards für Elektromobilität entwickeln und damit den Marktzugang in ganz Europa öffnen. Das ist der richtige Weg, den Europa beschreiten muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade das Festsetzen der Standards wird für die Zukunft der Elektromobilität entscheidend sein. Wir müssen den Standard setzen; wir dürfen nicht zulassen, dass er von anderen gesetzt wird. Wenn sich Europa auf Standards verständigt hat, muss es relativ schnell mit anderen Ländern in der Welt, mit Japan und mit China, darüber reden, wie einheitliche Standards erreicht werden können. Dafür hat Europa die Kompetenz. Ein einzelnes Land kann das nicht erreichen. Ein weiteres Thema, das in der EU-Strategie 2020 sehr deutlich angesprochen wird, ist das Thema Energie. Energiesicherheit und Energieversorgung zu akzepta-blem Preis werden ganz entscheidend für das Wirtschaftswachstum sein, das dieses Papier als Ziel enthält. Zum einen geht es um die Sicherheit, über die notwendige Energie verfügen zu können; zum anderen muss das zu einem wettbewerbsfähigen Preis möglich sein. Was wir uns in der Koalition vorgenommen haben, nämlich dieses Jahrzehnt zum Jahrzehnt der erneuerbaren Energien zu machen, wird auch in diesem Bericht zugrunde gelegt. Aber es geht beim Thema Energie immer auch darum, klimapolitische Ziele zu erreichen. Deswegen kann ich nur sagen: Wir wollen den Bereich der erneuerbaren Energien ausbauen - das ist in dem Konzept richtig dargestellt -; wir wollen unsere Klimaziele erreichen - auch das ist richtig -, und deswegen wird die Kernenergie noch eine Zeit lang als Brückentechnologie eingesetzt werden müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje!) Wer den Menschen etwas anderes erzählt, sagt ihnen etwas Falsches. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Kauderwelsch!) Deswegen werden wir über dieses Thema in der Koalition sprechen. Selbstverständlich ist es ein Thema, dass wir in Europa Armut bekämpfen wollen. (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Ja!) Ich bin der Meinung, dass das Aufgabe der Nationalstaaten ist. Was ich überhaupt nicht verstehe, Herr Kollege Gysi, ist Folgendes: Wenn wir, Bund und Kommunen, in diesem Land Jahr für Jahr für die Grundsicherung, für Hartz IV über 50 Milliarden Euro einsetzen, dann ist dies Teil der Armutsbekämpfung. Deshalb kann es doch nicht sein, dass wir, wenn wir Menschen finanziell unterstützen und sie dadurch aus der Armut herausholen, mit dem Satz konfrontiert werden: Je mehr Geld in Sozialpolitik investiert wird, desto stärker steigt die Armut. - Einen größeren Unsinn habe ich noch nie gehört, Herr Gysi, um das einmal klar und deutlich zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Bundeskanzlerin, wir unterstützen Sie auch - die Kollegin Homburger hat es gesagt - in Ihrem Bemühen, die Stabilität in Europa zu bewahren. Von zentraler Bedeutung ist, dass die Menschen in unserem Land sich darauf verlassen können, dass das, was wir bei Einführung des Euro gesagt haben, auch heute noch gilt. Der Euro, war damals die Aussage, wird so stark und stabil sein wie die D-Mark. Ich kann nur sagen: Wir haben in jüngster Zeit Entwicklungen erlebt, die sich so nicht wiederholen dürfen. Deshalb bin ich dankbar für die Aussagen dieser Regierung. Es war nicht in Ordnung - und hat den einen oder anderen in der Europäischen Union vielleicht dazu bewegt, Dinge zu machen, die nicht hätten gemacht werden dürfen -, dass ausschließlich aufgrund einer politischen Entscheidung der rot-grünen Regierung im Jahr 2004 die instabilen Verhältnisse im deutschen Bundeshaushalt nicht zu einer Rüge durch Europa geführt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Man hat mit einer politischen Entscheidung gesagt: Wir lassen uns von Europa in Sachen Stabilität nichts vorschreiben. - So etwas darf es nicht noch einmal geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Viel Erfolg!) Ich kann mich noch sehr genau an die Aussagen von Herrn Eichel und dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder erinnern. Deswegen ist es richtig, dass wir in Europa formulieren: Wir wollen eine unabhängige Zentralbank. Wir wollen die Stabilität des Euros. Wer in die Europäische Gemeinschaft und in die Euro-Zone aufgenommen werden will, muss die Voraussetzungen dafür zu 100 Prozent erfüllen. Jetzt zum Fall Griechenland. Allein die Tatsache, dass die Bundesregierung klar und deutlich gesagt hat, Griechenland müsse die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es wieder zu einer wirtschaftlichen Gesundung kommt, hat dazu geführt, dass in Griechenland enorme Sparanstrengungen unternommen wurden. Dies erkennen wir ausdrücklich an. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Weg muss weitergegangen werden. Wir unterstützen es, dass, solange Griechenland nicht konkret nach finanzieller Unterstützung gefragt hat, auch keine Antwort darauf gegeben werden muss. Wir sollten die Fragen beantworten, die gestellt werden, nicht die, die möglicherweise nie gestellt werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wenn Griechenland in eine besonders schwierige Lage kommt, dann kann als Ultima Ratio mit dem Internationalen Währungsfonds und mit bilateralen Hilfen Unterstützung angeboten werden. So weit sind wir aber noch gar nicht. Deswegen rate ich uns allen dringend, das Thema nicht jeden Tag in Interviews zu befeuern, solange es nicht ansteht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber jetzt Kritik an der Kanzlerin!) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben unsere volle Unterstützung. Die Frage ist: Was soll in Zukunft für den Fall geschehen, dass Probleme auftauchen? Ich glaube, dass wir hierüber sehr gewissenhaft nachdenken müssen. Es ist sicher richtig, ein Instrument für die Probleme zu schaffen, die man beim Start der Euro-Gemeinschaft noch nicht gesehen hat, um in besonderen Fällen zu helfen. Mit der Schaffung eines solchen Instruments sind wir einverstanden. Aber eines möchte ich ausdrücklich sagen, damit dies bedacht wird, wenn darüber diskutiert wird: Wir möchten nicht, dass als Lösung solcher Probleme das Instrument eines Finanzausgleichs auf europäischer Ebene geschaffen wird. Das wollen wir auf keinen Fall. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies würde nicht zu einer Stärkung der Stabilität führen. Vielmehr würden alle nach dem Motto handeln: Wir können machen, was wir wollen. Einer wird uns schon helfen. - Mit diesen zentralen Fragen beschäftigen wir uns heute. Ich komme zum Schluss. Frau Schwall-Düren, Sie haben gesagt - das unterstütze ich ausdrücklich -: Wir sehen in Europa eine Schicksalsgemeinschaft. Wir sehen in Europa unsere Zukunft. Wir wissen, dass Europa schon Großes geleistet hat. Allein die Tatsache, dass es auf europäischem Boden keinen Krieg mehr gibt, ist schon einen Dank an dieses gemeinsame Europa wert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt geht es darum, diesem Europa die Kraft zu geben, in wirtschaftlicher, kultureller und auch sozialer Hinsicht die notwendigen Veränderungen zu gestalten. Dabei kommt es darauf an, dass zunächst einmal die Nationalstaaten ihre Hausaufgaben machen und dass Europa die Dinge regelt, die ein Einzelner nicht leisten kann. Wenn dieser Grundsatz - Europa ist für die großen Dinge zuständig, alle anderen Dinge bleiben in der Verantwortung der Nationalstaaten - weiter Maßstab sein wird, dann hat dieses Europa eine gute Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Gregor Gysi. (Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): - Was stöhnen Sie denn gleich? Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen werde. Herr Kauder, zunächst einmal möchte ich Ihnen widersprechen. Sie haben behauptet, den größten Unsinn in Ihrem Leben hätten Sie von mir gehört. Das glaube ich Ihnen nicht. Sie müssen in Ihrer Partei schon größeren Unsinn gehört haben. Darauf würde ich sogar eine Wette abschließen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie toppen das immer noch!) Jetzt zum Ernst. Sie haben etwas Falsches über die sogenannte Losentscheidung bei der Vergabe von Gymnasialplätzen in Berlin gesagt, das ich richtig stellen möchte. Die Situation ist eine völlig andere. Alle Schüler, die für das Gymnasium geeignet sind, bekommen in Berlin auch einen Platz an einem Gymnasium. Wir haben jedoch das Problem, dass bestimmte Schulen im Gegensatz zu anderen Schulen überlaufen sind. Deshalb können nicht alle Schülerinnen und Schüler das Gymnasium besuchen, das sie gern besuchen wollen. Der Senat hat sich für ein Losverfahren entschieden und gesagt: Wir mischen uns nicht ein. Dann gibt es keine Bestechung. Dann gibt es keine Beziehungsfragen. - (Zurufe von der CDU/CSU - Birgit Homburger [FDP]: Was sind denn das für Zustände! Bestechung?) - Vielleicht werden wir es korrigieren. Dann wird es aber schwieriger. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) - Da gibt es gar keinen Grund, zu lachen. Hören Sie doch erst einmal zu! Wenn ein Schüler Pech beim Losverfahren hat, dann geht er selbstverständlich an ein anderes Gymnasium und bekommt dort seine gymnasiale Ausbildung und kann das Abitur machen. Das müssen Sie bitte immer dazusagen. Das machen Sie aber nicht. Jetzt werden wir vielleicht wegen Ihrer Kritik einen anderen Weg gehen und Kommissionen bilden. Ich sage Ihnen aber, dass dann die Leute kommen und sagen werden: Wieso ist gerade meine Tochter nicht dabei? Warum die anderen? Nach welchen Kriterien sind Sie vorgegangen? - Ich weiß gar nicht, ob das wirklich gerechter ist. Bitte sagen Sie das aber beim nächsten Mal dazu und erwecken Sie nicht den Eindruck, als ob Schülerinnen und Schüler, die für das Gymnasium geeignet sind, in Berlin keinen Platz an einem Gymnasium bekommen; denn das ist nicht der Fall. Das Los entscheidet nur, ob sie zu dieser Schule gehen oder eventuell zu einer anderen Schule gehen müssen. Das ist in Berlin durchaus machbar. Ich wäre auch froh, wenn alle Schüler die Schule besuchen könnten, die sie besuchen wollen. Sie wissen aber, dass wir noch nicht so weit sind, weil Sie zu wenig Geld für Bildung zur Verfügung stellen. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/ CSU: Das war ein Schuss in den Ofen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Kauder, bitte. Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Kollege Gysi, es ist bezeichnend für Ihre Einlassung zu diesem Thema, dass Sie nicht darüber sprechen, was die Ursache für dieses nicht akzeptable Losverfahren ist. Das ist nämlich eine Qualitätsfrage. Wenn die Schulen in Berlin die Qualität hätten, die sie eigentlich haben müssten, dann käme es überhaupt nicht zu diesem Ausleseverfahren. Darüber sollten Sie einmal reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie liefern die Qualität nicht ab. (Thomas Nord [DIE LINKE]: Sie erzählen den größten Unsinn, den ich je gehört habe!) Herr Kollege Gysi, im Rahmen der Föderalismusreform I haben wir klare Verabredungen getroffen. Dabei ist gesagt worden: Der Bund soll sich nicht um die Bildung kümmern. Das machen die Länder. - Deswegen haben die Länder diese Aufgabe zu erfüllen, Herr Kollege Gysi. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das genau ist das Schlimme!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt gelernt, dass in Baden-Württemberg alle Schülerinnen und Schüler genau die Schule besuchen, die sie besuchen wollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Ich habe ein Weiteres gelernt, lieber Herr Kauder. Wenn Sie über die Föderalismusreform I reden, dann sollten Sie den Mut haben, zu sagen: Als wir damals das Kooperationsverbot bei der Bildung in das Grundgesetz geschrieben haben, haben wir einen großen Fehler gemacht. Das würden wir heute in dieser Form nicht wieder machen. - Das wäre ehrlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Renate Künast [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die klatschen mit, Jürgen! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Die waren doch dabei, die Sozis, an vorderster Front!) Frau Bundeskanzlerin, die Bild-Zeitung hat Sie in ihrer heutigen Ausgabe als Bismarck abgebildet. Nun kann ich Sie nicht dafür in Haftung nehmen, wie andere Sie porträtieren. Sie haben aber mit Ihrer Regierungserklärung den ernsthaften Versuch unternommen, dieses Por-trät argumentativ zu unterfüttern. Da sage ich Ihnen: Bismarck steht für den organisierten Nationalstaat. Das gemeinsame Europa war die Überwindung genau dieses Gedankens des Nationalstaats Bismarck'scher Prägung. Deswegen sollten Sie als Vorsitzende der Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl die Skizzierung als Bismarck als Kritik und nicht als Ansporn für Ihre Politik nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi? Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich möchte Ihnen, Herr Trittin, bevor ich meine Frage stelle, wirklich allerbeste Genesung wünschen. Wir alle haben Ihre Erkrankung mitbekommen, und ich glaube, das wünschen Ihnen alle hier. (Beifall im ganzen Hause - Volker Kauder [CDU/CSU]: Der ist doch gesund!) Sie sind jetzt zwar beim Thema Europa; aber ich habe mich schon zur Zwischenfrage gemeldet, als Sie beim Thema Bildung waren. Ich habe dazu eine Frage: Können Sie Herrn Kauder vielleicht einmal erklären, wie groß der Anteil von Kindern, die ein Abitur machen, in Berlin ist und wie groß der Anteil zum Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg ist? Vielleicht können Sie ihm noch erklären, warum der Anteil in Bayern und Baden-Württemberg so viel kleiner als in Berlin ist. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Kollege Gysi, wir sind hier - das verstehe ich durchaus als Antwort auf Ihre Frage - an einem der Punkte der Regierungserklärung von Frau Merkel. Was ist der Grund, warum Sie, Frau Merkel, es verweigern, sich zusammen mit den Ministerpräsidenten in Europa auf quantifizierte und überprüfbare Bildungsziele zu einigen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie weigert sich gar nicht!) Der Grund ist relativ einfach: weil Sie sich mit Ihrer auf Selektion, das heißt auf Ausschluss von Bildungschancen beruhenden Bildungspolitik nicht dem europäischen Vergleich, zum Beispiel mit Finnland - da muss man gar nicht nach Berlin schauen - und anderen Ländern, stellen wollen. Das ist der Grund, warum Sie an dieser Stelle die EU-Strategie 2020 blockieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das ist auch der Grund, warum die Bild-Zeitung zu Recht dieses Bismarck-Bild von Ihnen gezeichnet hat. Es war jahrelang gute Tradition, dass die Bundesrepublik Deutschland in Europa eine antreibende, eine gestaltende, eine vorwärtstreibende, Europa stärkende Rolle spielte. Was tun Sie im Zusammenhang mit dieser Ratssitzung? Sie sind es, die dafür gesorgt hat, dass beispielsweise die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island auf Eis gelegt wird. Warum eigentlich? Weil Island bilaterale Probleme mit den Niederlanden und Großbritannien hat? (Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!) Das kann wohl für Europa und für Deutschland kein Argument sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind es, die quantifizierte Bildungsziele in dieser Strategie verweigert. Sie haben hier explizit erklärt: Die Bundesrepublik Deutschland ist dagegen, das Ziel der Armutsbekämpfung zum Bestandteil einer gemeinsamen europäischen Strategie zu machen. Ich sage Ihnen: Da kommen wir genau an den Punkt, warum dieses Europa zurzeit in einer existenziellen Krise ist, einer Krise, die weit über das hinausgeht, was wir im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Verfassungsvertrag erlebt haben. Was passiert denn in Griechenland? Da verbrennen Leute, die sich gegen diese Sparpolitik wehren, inzwischen die europäische Fahne. Das ist ungerecht gegenüber Europa; da sind wir wahrscheinlich einer Meinung. Besser wäre es, wenn diejenigen die Fahne der griechischen Konservativen verbrennen würden, weil die der griechischen Bevölkerung die Suppe eingebrockt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Geschichtsklitterer!) - Der Ministerpräsident hieß Karamanlis. Er war Mitglied Ihrer Schwesterpartei, Herr Kauder. Das müssen Sie schon aushalten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit hat es nicht begonnen!) Aber dahinter steckt doch ein viel ernsteres Problem. Ein Europa, das nach außen und gegenüber den Menschen in Europa den Eindruck erweckt, man kümmere sich um alles Mögliche, zum Beispiel um Stabilitätskriterien, aber nicht begreift, dass die Überwindung von Armut ein gemeinsames Ziel ist, muss sich doch nicht wundern, wenn die Akzeptanz für dieses Europa mehr und mehr in den Keller geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Bei dem, was in den letzten Wochen und Monaten aus Ihren Reihen zur griechischen Krise zum Besten gegeben worden ist, frage ich mich natürlich: Sind wir denn eigentlich selber so weit von griechischen Verhältnissen entfernt? Ist es nicht so, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Erreichung des Maastricht-Stabilitätskriteriums ein Jahr länger Frist von der EU-Kommission bekommen hat als Griechenland? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na, Herr Trittin! Also jetzt! - Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Zahlen stimmen, stimmen sie!) Ist es nicht so - ich schaue zu den Kolleginnen und Kollegen von den Liberalen -, dass zum Beispiel in Griechenland gut verdienende Ärzte gerade einmal 10 000 Euro versteuern, und das zu einem maximalen Steuersatz von 40 Prozent. Da muss Ihnen von der FDP doch das Herz aufgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie fordern doch für Deutschland genau die Verhältnisse, die Sie in Griechenland kritisieren. Ich warte jetzt nur noch auf den Vorschlag aus Ihren Reihen, wir könnten doch Sylt und Helgoland verkaufen, um Ihre Steuerreform zu finanzieren. Auf diesem Niveau lagen Ihre Vorschläge zur Behebung der Krise in Griechenland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nun will ich gerne konzedieren, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie sich das nicht zu eigen gemacht haben. Aber auch Ihnen, Frau Merkel, kann ich den Vorwurf nicht ersparen, dass Sie die Stammtischmentalität, die sich da ausgetobt hat, mit Ihren Äußerungen verstärkt und gestützt haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Quatsch!) Schlimmer noch: Sie haben damit die Krise in Griechenland verschärft. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Frechheit!) - Nein, das ist eine Tatsache. Es war die deutsche Bundeskanzlerin, die vorgeschlagen hat, die EU-Verträge so zu ändern, dass man ein Land wie Griechenland auch hinausschmeißen könnte. - Sie haben die Reaktion auf den internationalen Finanzmärkten sehen können: Während Deutschland für Anleihen heute nur eine Rendite von 3 Prozent bieten muss, muss Griechenland 6,5 Prozent, also mehr als das Doppelte, zahlen. Ihre Äußerungen haben den Kurs nach oben getrieben. (Widerspruch von der CDU/CSU) Jerzy Buzek hat in den Fraktionen gesagt, in Europa gehörten Verantwortung und Solidarität zusammen. Dazu sage ich Ihnen: Mit vorsätzlichen, leichtfertigen Äußerungen die Kreditbedingungen für Griechenland zu verschlechtern, das ist weder verantwortlich noch solidarisch. Es ist das Gegenteil einer vernünftigen europäischen Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Übrigens, niemand aus dem Oppositionslager hat gefordert, Griechenland mit Steuergeldern zu unterstützen. (Zurufe von der SPD: Richtig!) Wir haben ausschließlich gesagt, man müsse Griechenland über Euro-Bonds die Möglichkeit geben, sich auf dem Kreditmarkt mit dem notwendigen Geld zu versorgen. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Das ist ja unsäglich! Das ist ja schmerzhaft, was Sie da erzählen! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Das tun wir übrigens gegenüber Osteuropa, gegenüber Lettland und Ungarn, genauso. Das ist nichts Neues. Was Sie getan haben, ist schlicht und ergreifend, sich der selbstverständlichen Solidarität gegenüber Griechenland zu entziehen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Das ist kurzsichtig. Wir haben übrigens lange von den überschießenden Binnenmarktentwicklungen in Spanien, Portugal und Griechenland profitiert. Auch das ist ein Teil der Wahrheit. Wenn wir weiterhin in dieser Form exportieren wollen, dann hat die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ein massives Interesse daran, dass die Binnennachfrage im Süden der EU nicht völlig zusammenbricht. Es ist zwar falsch, uns unsere Exportstärke vorzuwerfen; da stimme ich der Kanzlerin zu. Aber es ist genauso falsch, dazu beizutragen, die Märkte, auf die wir exportieren können, mit dieser Form unsolidarischen Verhaltens zu ruinieren. Auch das ist ökonomisch kurzsichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist schon bezeichnend, dass der Einzige, der in diesem Kabinett noch den Mut hat, zu Europa zu stehen, der Bundesfinanzminister ist. Man kann über Wolfgang Schäubles Vorschlag eines EWF lange streiten; aber eines bleibt wahr und Herr Schäubles richtiger Gedanke, Frau Bundeskanzlerin, ist doch: Europa muss seine Probleme selber lösen. Europa kann sie nicht an Washington oder an den IWF delegieren. Deswegen ist Ihr Vorschlag falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dieser Tage wird Helmut Kohl 80. Wir alle wünschen ihm alles Gute. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich politisch in Opposition zu ihm gestanden, (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist berechtigt!) aber eines, meine Damen und Herren, würde ich Helmut Kohl immer bescheinigen: Helmut Kohl war ein großer Europäer. Er hat selbst im Jubel der deutschen Einheit daran festgehalten, dass es Deutschland nur in einem starken, gemeinsamen Europa geben kann. Das war der Grund, warum er gesagt hat: Wir müssen Deutschland in das gemeinsame Europa einbinden. Das Instrument dafür war die Einführung des Euro. Das war für ihn - ich zitiere - "eine Frage von Krieg und Frieden". Er hatte recht. Ich sage Ihnen: Zentrale Probleme dieses gemeinsamen Europas müssen künftig europäisch gelöst werden. Das können Sie nicht an internationale Finanzinstitutionen delegieren. Wenn Sie das tun, liebe Frau Merkel, dann tun Sie nur eins: sich aus Wahlkampfgründen einer richtigen, europäischen Lösung verschließen. Damit treten Sie das Erbe Helmut Kohls mit Füßen und schaden deutschen Interessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Michael Link für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Link (Heilbronn) (FDP): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Man startet mit der Regierungserklärung bei Europa und landet in der Berliner Landespolitik. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ja! - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das eine hat mit dem anderen etwas zu tun!) Daran wird zumindest eines deutlich: Die von der christlich-liberalen Koalition getragene Bundesregierung betreibt europäische Politik, insbesondere Währungspolitik, nicht als Roulette, Lotto oder andere Dinge. Wir stellen fest: Sie brauchen, um Ihre Berliner Schulpro-bleme zu lösen - in Ihrer Kurzintervention haben Sie selbst entlarvend gesagt: um zum Beispiel Bestechung zu verhindern -, Instrumente wie Lotto und Roulette. Wir wollen bei der Währung ganz bewusst keine Risiken eingehen, um nicht mit das Wichtigste, was wir durch die europäische Einigung erreicht haben, nämlich einen stabilen und harten Euro, zu gefährden. Deshalb unterstützt die FDP-Fraktion den Kurs der Bundesregierung auf das Entschiedenste. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In unserer Generation wird entschieden, ob die Wirtschafts- und Währungsunion ein Erfolg bleibt oder ob sie daran zugrunde geht, dass einige Staaten über einen längeren Zeitraum weit über ihre Verhältnisse leben, in Bezug auf ihre Wirtschaftsleistung immer gewaltigere Defizite aufbauen und sich dann, wenn es nicht mehr weitergeht, hilfesuchend an Dritte wenden. Das kann so nicht funktionieren. Solidarität braucht und setzt Verantwortung voraus. Es geht nicht darum: Wer ist der beste Europäer, sprich: wer ist am solidarischsten, wer hilft am schnellsten? Das ist genau der falsche Reflex. Deshalb begrüßen wir auch in diesem Punkt das, was wir heute Morgen von der Bundeskanzlerin gehört haben. Aus unserer Sicht waren das Worte, die genau in die richtige Richtung gehen, weil sie zeigen, dass wir sehr wohl im Extremfall als Ultima Ratio über die erwähnten Instrumente - IWF und notfalls auch bilaterale Hilfen - helfen werden. Frau Kollegin Schwall-Düren, damit wollen wir Stabilität, Ruhe und Sicherheit in die Märkte hineinbringen. Sie haben die Financial Times Deutschland hochgehalten. Wir haben Respekt vor der Pressefreiheit. Ich kann nur sagen: Meines Erachtens ist der Kurs, den Sie vorschlagen, sowohl für den Euro als auch für die Märkte riskant. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben in der Regierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin gehört, dass wir darauf reagieren müssen, wenn die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterlaufen werden. An unsere gemeinsamen Kriterien müssen wir in der Tat noch einmal heran. Wahrscheinlich wird es ohne eine Überarbeitung und Präzisierung unserer Kriterien nicht gehen. Bei diesem Prozess müssen wir aber aufpassen - Rainer Brüderle hat es gesagt -, dass wir nicht in einen europäischen Finanzausgleich hineinkommen. Ein europäischer Finanzausgleich wäre genau der falsche Weg. Wir brauchen stattdessen Wege, die den Ländern, die sich in einer problematischen Situation befinden, helfen, ohne die Stabilität der Währung aufzuweichen. Ich glaube, mit den Vorschlägen, die jetzt gemacht worden sind, sind wir auf einem guten Weg. Wenn wir allen Vorschlägen folgen würden, die Sie, Kollege Gysi, hier gemacht haben, die durch einige Ausführungen des Kollegen Trittin ergänzt wurden, bei denen ich mich gefragt habe, ob er auch die Historie der griechischen Kreditwürdigkeit studiert hat, dann kämen wir schnell in eine Situation, in der der Euro die Stabilität hätte wie am Schluss die Ostmark. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vom Kollegen Trittin ist Island angesprochen worden. Ich vermute, dieses Thema wird auch später noch eine Rolle spielen; denn wir haben mehrere Anträge dazu vorliegen. Kollege Trittin, Sie haben gesagt, die Kanzlerin würde sich wie Bismarck verhalten. Ich will Ihre Aufmerksamkeit jetzt einmal ganz bewusst auf einen anderen Aspekt lenken, weil Island ein sehr schönes Beispiel ist. Im Fall Island handeln wir, wie ich finde, eben nicht genau wie Bismarck - nach dem Motto: Wir entscheiden und alle anderen müssen folgen -, sondern wir haben uns als Bundestag entschieden - auch im Lichte der neuen Begleitgesetze und der Entscheidung Karlsruhes -, diesen Prozess in aller Ruhe durchzuführen. (Dietmar Nietan [SPD]: Damit sind Sie Ihrer Regierung in den Rücken gefallen! Die wollten das jetzt schon machen!) Erweiterungen funktionieren für uns nicht auf Knopfdruck. Erweiterung ist ein Prozess - die FDP-Fraktion steht zur Fortsetzung des Erweiterungsprozesses -, der im Einzelfall kontrolliert, mit genauer Begleitung und vor allem unter parlamentarischer Kontrolle erfolgen muss. Dies verbietet es, diesen Prozess übers Knie zu brechen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie tun das im Auftrag der Niederlande und der Briten! Das ist ganz einfach!) Deshalb werden wir Ihren Anträgen, die Sie heute dazu vorgelegt haben, nicht zustimmen. Wir sind für das ganz normale parlamentarische Verfahren. Wir werden das noch einmal ausführlich im Bundestag behandeln. In der nächsten Sitzungswoche - wahrscheinlich sogar mit einer großen Debatte während der Kernzeit - werden wir uns des Themas Island noch einmal ganz besonders annehmen. Im Übrigen steht dieses Thema nicht auf der Tagesordnung des Europäischen Rates. Auch deshalb wäre es falsch, schon heute darüber abzustimmen. Bei Erweiterungsfragen ist genauso wie bei Währungsfragen nicht die Schnelligkeit entscheidend. Nicht derjenige, der schnell hilft, ist der beste Europäer. Gründlichkeit ist aus unserer Sicht ganz wichtig, um den Prozess der Erweiterung auch weiterhin rechtfertigen zu können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das ist aber ein schwaches Argument!) Für die FDP-Fraktion sind Verträge und Vertragstreue ein hohes Gut. (Dietmar Nietan [SPD]: Meinen Sie jetzt den Koalitionsvertrag?) Das gilt aus unserer Sicht für alle Bereiche der europäischen Politik. Das gilt für Beitrittsverhandlungen. Ich habe es erwähnt: Das gilt für Island, aber auch für alle anderen Fälle. Für uns gilt: Pacta sunt servanda. Das gilt für den Verfassungsvertrag und die strikten Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die wir, wo nötig, ergänzen und überarbeiten müssen. Das gilt für uns vor allem für den harten Euro. Deshalb gilt das auch für die Unterstützung des hier vorgestellten Kurses der Bundesregierung beim Europäischen Rat. Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort an uns selbst: Das gilt auch für die neue Begleitgesetzgebung. Das, was wir in der nächsten Sitzungswoche, aber auch schon heute aufgrund der Anträge der Kollegen von der Opposition bezogen auf Island machen, ist der erste Fall - das hört sich jetzt technisch an - einer Stellungnahme nach § 10 EUZBBG, dem Begleitgesetz, das die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung regelt. Das ist der erste Fall, und wir müssen uns sehr viel Zeit nehmen, um das genau durchzusprechen. Wir erinnern uns selbst, aber auch die Bundesregierung daran, dass die Zeiten, in denen Europapolitik quasi an die Bundesregierung delegiert wurde, vorbei sind. Das nimmt uns in die Pflicht und die Bundesregierung genauso. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wissen aber auch - deshalb waren wir über die klaren Worte in der heutigen Regierungserklärung froh -, dass die deutschen und die europäischen Interessen bei der Bundesregierung auf der Tagung des Europäischen Rates heute und morgen in guter Hand sind. Wir wünschen erfolgreiche Verhandlungen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin und die Positionierung der Koalitionsfraktionen zu dieser so wichtigen europapolitischen Frage in dieser Stunde kann man mit zwei Worten überschreiben: unberechenbar und unglaubwürdig. "Unberechenbar" ist in diesem Zusammenhang keine Erfindung der SPD, sondern das können Sie jeden Tag in Ihnen nahestehenden Zeitungen lesen, von FAZ bis Financial Times, weil sich täglich die Position der Bundesregierung, der Kanzlerin zu zentralen europäischen Fragen, wie jetzt zur Hilfe für Griechenland, ändert. Tagtäglich ändert sich das. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das ist alles andere als eine verlässliche Europapolitik. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben eine Wahrnehmungslücke! - Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nein, er liest Zeitung!) Mal gibt man Unterstützung, mal ist man dagegen. Man ist für einen europäischen Währungsfonds, aber eigentlich doch nicht. Jetzt geht es um Maßnahmen über den IWF. Wenn sich die Fraktionsvorsitzenden einmal anschauen, was gestern in dem Entwurf zur Regierungserklärung stand und was heute erklärt worden ist, dann sehen sie, dass es selbst da Unterschiede gibt. So schnell ändern sich Positionen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre ja schon genug, Sie für diese Europapolitik zu kritisieren. Es geht hier aber auch um die deutsche Rolle. (Zuruf der Abg. Birgit Homburger [FDP]) Durch dieses Wackeln, Schweigen oder auch zum Teil Hinterherlaufen gibt es keine deutsche Führungsposition in Europa. Es gibt keine deutschen Vorstellungen, für die man wirbt, sondern man wartet, wechselt oder läuft Positionen hinterher. Genau das darf Deutschland als verantwortungsvolles Land in Europa nicht machen. (Beifall bei der SPD) Warum ist das alles unglaubwürdig? Die Kanzlerin hat heute ermahnt - ich zitiere aus dem Gedächtnis, aber fast wörtlich -, dass wir über die Themen, die auch beim Europäischen Rat anstehen, mehr diskutieren müssen. Was ist die Praxis? (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, das sag einmal!) Wir haben gestern im Europaausschuss erlebt, dass ein zentrales Thema, nämlich die Strategie EU 2020, für das die SPD Vorarbeiten geleistet hat und sich für die Diskussion positioniert hat, abgesetzt worden ist. Das heißt, die Kanzlerin fährt jetzt zum Gipfel, ohne dass es eine abgestimmte Position gibt, ohne dass der Bundestag grundlegend darüber diskutiert hat. Das fehlt, und das haben Sie verhindert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht noch weiter. Kollege Link hat natürlich völlig recht, (Zuruf von der FDP: Er hat immer recht!) wenn er sagt, dass wir die Konsequenzen aus dem Lissabon-Vertrag und dem Lissabon-Urteil ernst nehmen müssen. Ich zeige Ihnen konkret, wie ernst sie genommen werden. Erstes Beispiel: europäische Bürgerinitiative. Es ist ein zentrales Anliegen Deutschlands und dieses Hauses insgesamt, es Bürgerinnen und Bürgern möglich zu machen, sich durch Unterschriften für ein europäisches Projekt zu engagieren. Das muss dann zu einem Gesetzesakt, zu einem Vorschlag der Kommission führen. Dazu ist weder von der Bundesregierung noch von einer der sie tragenden Fraktionen etwas gesagt worden, weder von CDU/CSU noch von FDP. Dort herrscht nur lautes Schweigen zu Europa. Zweites Beispiel: Europäischer Auswärtiger Dienst. Dazu gibt es Vorschläge und Positionen der SPD, aber von Ihnen ist kein Vorschlag gemacht worden, wie die Bundesregierung positioniert werden soll. Drittes Beispiel: Island. Dieses Beispiel ist besonders schön; denn da wird die Arbeitsteilung der Verhinderung einer Positionierung deutlich. Die einen, nämlich die Bundesregierung, sagen, man müsse auf den Bundestag warten, und die anderen, die Koalitionsfraktionen im Bundestag, erweisen sich als unfähig, sich in ihren Arbeitsgruppen abzustimmen, um rechtzeitig eine Positionierung zu Island zu erreichen. (Thomas Silberhorn [CDU/CSU]: Warum die Eile, Herr Kollege? - Bernhard Kaster [CDU/ CSU]: Die wird rechtzeitig da sein!) Es wäre jetzt noch möglich, eine Positionierung rechtzeitig zu erreichen. Bis zur letzten Woche war von der spanischen Ratspräsidentschaft angekündigt worden - der Brief vom 18. März liegt vor -, das zu machen. Das ist nicht gemacht worden. Wir sind jetzt in der Situation, dass wir nicht wissen, auf welchen Wegen bestimmte Entscheidungen, Vorentscheidungen oder Abstimmungen getroffen werden, ohne dass der Bundestag durch eine Debatte und einen Beschluss Einvernehmen herstellt. Wir wollten das mit gutem Willen machen. Dieser gute Wille hat bei Ihnen im Monat März gefehlt. Das muss hier offen kritisiert werden. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier geht es um die Frage: Sind wir als Bundestag, selbstverpflichtend über die Fraktions- und Parteigrenzen hinweg, willens und in der Lage, tatsächlich europäische Politik zu gestalten? Das, was ich zurzeit von den geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition erlebe, ist mutlos. Es ist auch manchmal ratlos. Aber am Ende kann es auch dazu führen, dass man rückgratlos wird, wenn man all das, was man vorher zur Stärkung der parlamentarischen Rechte vereinbart hat, hier nicht wahrnimmt. Wir werden unsere Oppositionsrolle so wahrnehmen, dass wir Punkt für Punkt bei allen wichtigen europäischen Fragen die Diskussion im EU-Ausschuss, möglichst in allen Ausschüssen und im Plenum führen, damit die Europäisierung des Bundestages gelingt. Dafür braucht man nicht nur Überzeugung, sondern auch Gestaltungswillen. Der Gestaltungswille fehlt auf der rechten Seite dieses Hauses. (Beifall bei der SPD) Dass Sie anders können, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie an zwei Stellen gezeigt: Sie haben den Mut gehabt - es gehört zu einer fairen und ehrlichen Debatte, auch das zu sagen -, dafür zu sorgen, dass der Deutsche Bundestag - das wurde auf Antrag der SPD-Fraktion beschlossen und vom Bündnis 90/ Die Grünen, von der Linken, der FDP und der CDU/ CSU unterstützt - den deutschen Kommissar Günther Oettinger nach seiner Benennung eingeladen hat und wir ihn befragt haben. Das war ein historisches Novum für das Parlament. Die Regierenden sollten sich schon einmal Gedanken machen, ob sie auch Minister in Zukunft vielleicht nicht nur ernennen, sondern ob sie solche Anlässe auch parlamentarisch nutzen. Minister könnten sich hier im Parlament den Fragen der Abgeordneten stellen und gewissermaßen auf den Prüfstand gestellt werden. Die Befragung des deutschen Kommissars Oettinger haben wir im Bundestag, wie gesagt, gemeinsam beschlossen. Das war ein guter Weg. Außerdem haben wir im Europaausschuss gemeinsam vereinbart, bei unseren Debatten die Öffentlichkeit zuzulassen; auch das ist richtig. Ich appelliere an Sie von CDU/CSU und FDP, der gemeinsamen europäischen Verantwortung im Parlament nachzukommen und nicht nur zu fragen, was die Regierung erlaubt. Die SPD wird sich nicht danach richten, was die Regierung ihr erlaubt, sondern wir werden unsere Fragen stellen. Wir werden uns Punkt für Punkt anschauen, wie Sie Europapolitik machen, und den Finger dort in die Wunde legen, wo Sie keine gestaltende deutsche Europapolitik machen. Die brauchen wir nämlich. Das ist eine gute Tradition. Für diese Tradition stehen Frank-Walter Steinmeier und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich für die CDU/ CSU-Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn sich die Frau Bundeskanzlerin schon auf den Weg zum Europäischen Rat machen musste, will ich mit einem großen Kompliment beginnen. Sie hat in den letzten Tagen und Wochen die Interessen Deutschlands, aber auch die Interessen Europas trotz der schwierigen Debattenlage auf europäischer Ebene in hervorragender Weise vertreten, und zwar sowohl im Hinblick auf die Schuldenkrise Griechenlands als auch hinsichtlich der EU-Strategie 2020. (Beifall bei der CDU/CSU) Angela Merkel hat gezeigt, dass sie Hüterin der Ordnung in Europa ist, einer Ordnung, die sich Europa selbst gegeben hat und die von Begriffen wie Subsidiarität und Stabilität geprägt ist. Beide Begriffe dürfen nicht der Beliebigkeit geopfert werden; dafür hat sie gesorgt. Denn sie sind die Spielregeln, die wir Europäer uns selbst gegeben haben und die eingehalten werden sollen. Lieber Herr Kollege Schäfer, ich bin froh, dass wir nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages die Möglichkeit haben, uns mehr als in der Vergangenheit und bei noch größerer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit im deutschen Parlament mit europäischen Themen zu befassen. Ich bin der Meinung, dass diese wichtigen Themen nicht in irgendeinen nichtöffentlich tagenden Ausschuss gehören, sondern in das Parlament. Insofern sind diese Regierungserklärung und die heutige Debatte wichtig und, wie ich hoffe, der Anfang einer ausführlichen europäischen Debatte, die wir gemeinsam führen wollen. (Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Nur, ich halte es, auch wenn wir über die verschiedenen Fragen kontrovers diskutieren, für notwendig, dass wir dann, wenn es darum geht, deutsche Interessen wahrzunehmen, der Regierung und insbesondere, wie in diesem Fall, der Bundeskanzlerin den Rücken stärken, zusammenstehen und sagen: Wenn es um unser gemeinsames deutsches Interesse geht, dann muss die Regierung von allen unterstützt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin? Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Nein, danke. Jetzt keine Zwischenfragen. Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt; ich glaube, das bestreitet auch niemand. Das Ergebnis ist, dass Griechenland heute eine Nettoneuverschuldung von 13 Prozent zu verzeichnen hat; ich wiederhole: 13 Prozent. Das Ergebnis ist, dass die Schuldenstandsquote in Griechenland heute bei 120 Prozent liegt; das bedeutet, die Schulden betragen 120 Prozent dessen, was das Land in einem ganzen Jahr erwirtschaftet. Das ist eine unvorstellbare Summe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist deutsches und europäisches Interesse, und zwar das Interesse aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union, dass Griechenland aus dieser instabilen, schwierigen Lage herauskommt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch etwas!) Das ist deswegen unser Interesse, weil wir eine gemeinsame Währung haben und weil Europa, die EU eine Schicksalsgemeinschaft ist. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ach!) Es ist auch unser Interesse, zu verhindern, dass an die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und Europas die Botschaft gesendet wird, dass derjenige, der sich an die Spielregeln hält und fleißig ist, am Ende der Dumme ist und die Zeche zahlen muss. Auch dies ist notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich begrüße es außerordentlich, dass die Frau Bundeskanzlerin heute gesagt hat: Alles, was wir uns an Hilfen überlegen, ist Ultima Ratio, das allerletzte Mittel. - Darum muss es gehen. Griechenland hat einen wichtigen und einen richtigen Kurs eingeschlagen. Dass der Kurs richtig ist, beweisen die Reaktionen der Finanzmärkte und die heutige Entscheidung der EZB, den Griechen ein Stück entgegenzukommen. Ich glaube, das ist ein glaubwürdiger und richtiger Kurs. Dieser Kurs kann nur gemeinsam mit der griechischen Bevölkerung in Angriff genommen werden. Es ist notwendig, dass die Menschen in Griechenland den Ernst der Lage ihres Landes erkennen. Sie müssen aber auch die Ursachen dafür erkennen. Deswegen ist es sehr ungünstig - ich drücke mich vorsichtig aus -, dass man in Griechenland heute so tut, als seien die europäischen Partner nicht die Opfer der Tricks und Täuschungen, die frühere Regierungen vorgenommen haben, sondern die Täter; dies geht aus der veröffentlichten Meinung hervor. Täter und Opfer auseinanderzuhalten, ist in dieser Frage sehr wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Manuel Sarrazin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Zeitung haben Sie denn gelesen?) Herr Gysi, Sie haben letzte Woche - ich zitiere aus dem Protokoll - in der Haushaltsdebatte gesagt: Jetzt gehen die Menschen dort - also in Griechenland - auf die Straße, und zwar, wie ich finde, völlig zu Recht. ... Da stehen wir an der Seite der Bevölkerung Griechenlands. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wenn es gegen den Sozialabbau geht, dann ja!) Herr Gysi, Sie gehören zu denjenigen, die der griechischen Regierung in der Problematik, den Menschen den Ernst der Lage ihres Landes zu erklären, in den Rücken fallen. Darum geht es. (Beifall bei der CDU/CSU - Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Sie haben nicht richtig zugehört!) Deswegen gehören Sie auch zu denjenigen, die eine Mitschuld daran tragen, dass stattfindet, wovon Herr Trittin gesprochen hat: Es werden europäische Flaggen verbrannt. Wir jedenfalls stehen an der Seite derjenigen, die eine verantwortliche Politik für Europa machen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, die Einhaltung der Stabilitätskriterien und der Stabilitätsziele war eine wichtige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit unserer Währung und eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Euro und Europa bis jetzt so hervorragend aus dieser Wirtschaftskrise hervorgegangen sind. Ich glaube, dass es richtig war, von Anfang an klar und deutlich zu machen: Es gibt keine Gemeinschaftshilfen. Es gibt keine gesamtschuldnerische Haftung aller Europäer für griechische Schulden. Das ginge nämlich gegen den Geist und gegen die Buchstaben von Maastricht. Deswegen möchte ich an dieser Stelle der Frau Bundeskanzlerin herzlich dafür danken, dass sie dies von Anfang an klipp und klar gemacht hat. Heute kommt die Idee, den IWF in die Verantwortung einzubeziehen, offiziell zum Tragen. Wer Mitglied der Europäischen Union und Mitglied der Europäischen Währungsunion ist, scheidet nicht automatisch aus anderen Organisationen aus. Er scheidet nicht automatisch aus anderen Instrumentarien, auf die er einen Anspruch hat, aus, wenn es darum geht, ihm zu helfen. Weil die Griechen gegenüber dem IWF einen Anspruch auf Hilfe haben, ist es richtig, den Weg der Einschaltung des IWF als Ultima Ratio in Erwägung zu ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dennoch zögert Griechenland, Hilfen von den europäischen Partnern oder vom IWF anzufordern. Griechenland zögert zu Recht. Denn jeder, der Hilfen von Dritten anfordert, beraubt sich gleichzeitig eines Stückes seiner Freiheiten und Möglichkeiten. Er muss akzeptieren, dass an diese Hilfen und Forderungen Bedingungen geknüpft sind. Deswegen zögert Griechenland zu Recht. Es geht um die Aufrechterhaltung seiner eigenen Souveränität. All diejenigen, die allzu schnell raten, den Griechen zur Seite zu stehen, haben oft überhaupt nicht das griechische Interesse im Blick, sondern eigene, vielleicht manchmal auch sehr durchsichtige Interessen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt: Wir müssen vermeiden, dass die Stabilitätskriterien in der Zukunft wieder unterlaufen werden können. Die Lehre, die aus der Krise zu ziehen ist, ist in allererster Linie, dass wir Transparenz herstellen: Transparenz in technischer Hinsicht dadurch, dass wir eine einheitliche Datengrundlage für alle Länder zur Verfügung stellen, aber auch Transparenz in politischer Hinsicht - auch das ist heute angesprochen worden - dadurch, dass wir europäischen Aufsichtsbehörden die Möglichkeit geben, die Einhaltung der Stabilitätskriterien vor Ort zu überwachen. Mit der eindeutigen Haltung von Angela Merkel in all diesen Fragen ist etwas korrigiert worden, was zu Zeiten der rot-grünen Regierung 2005 allzu leicht und allzu leichtfertig über Bord geworfen worden ist. Damals wurde nach Europa ein falsches Signal gesandt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nämlich das Signal, man könne über die Stabilitätskriterien, die Theo Waigel seinerzeit eingeführt hat, noch einmal reden. Nein, man kann darüber nicht reden. Die Stabilitätskriterien gelten und müssen eingehalten werden und werden eingehalten werden. Das hat Angela Merkel deutlich gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat eine besondere Stabilitätsmentalität. Das liegt nicht nur an Traditionen, sondern auch an schlechten Erfahrungen, die dieses Land, dieses Volk gemacht hat. Deswegen war und ist es wichtig, das Vertrauen der Menschen in die neue Währung Euro zu erhalten. Ich bin der Frau Bundeskanzlerin und der Bundesregierung außerordentlich dankbar, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt bekommt sie das gar nicht mit!) dass sie im Zusammenhang mit der EU-Strategie 2020 deutlich gemacht haben, dass wir die Stabilitätskriterien nicht an politische, zweifelhafte Kriterien binden lassen. Frau Merkel hat in einem Brief an Herrn Van Rompuy deutlich gemacht, dass auch im Sinne der neuen Strategie Europa 2020 ein Aufweichen der Stabilitätskriterien nicht infrage kommt. Ich bin froh, dass so etwas aus den Vorschlägen, die die Europäische Union macht, inzwischen verschwunden ist. Theo Waigel hat gestern in einem Artikel in der FAZ etwas gefordert, was, glaube ich, identisch ist mit dem, was die Bundeskanzlerin heute in ihrer Regierungserklärung gesagt hat. Theo Waigel hat gesagt: Wir brauchen eine neue Konsolidierungsstrategie für ganz Europa. - Ja. Und auch da ist Deutschland Vorreiter, und zwar weil wir im vergangenen Jahr gemeinsam - SPD, FDP, CDU/ CSU - eine Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Und jetzt tretet ihr auf das Bremspedal!) Das ist in Europa wie in der Welt ein bisher einmaliger Vorgang. Diese Schuldenbremse wird unseren Kollegen aus dem Haushaltsausschuss noch sehr viel Arbeit machen und die Bundesregierung - ich sage das voraus - noch viel Schweiß kosten, wenn es darum geht, den nächsten Haushalt und den übernächsten Haushalt aufzustellen. (Ulrike Flach [FDP]: Das kann man wohl sagen!) Sie wird auch der deutschen Bevölkerung das eine oder andere abverlangen. Diese Schuldenbremse ist aber alternativlos angesichts der Verantwortung, die wir für die Finanzen, aber auch für die Zukunft künftiger Generationen in diesem Land haben. Deswegen gibt es zu dieser Konsolidierungsstrategie in Deutschland, aber auch in Europa keine Alternative. Es ist angesprochen worden, dass Deutschland von einigen europäischen Partnern wegen seiner Wettbewerbsfähigkeit angegriffen wird. Mit der Lissabon-Strategie ist damals ausgerufen worden, Europa solle zur wettbewerbsfähigsten Region der Erde werden. Leider ist daraus nichts geworden; aber das Land, das dieses Ziel für sich erreicht hat, ist Deutschland. Deswegen ist es falsch, gerade dieses Land an den Pranger zu stellen. Vielmehr sollten sich die anderen überlegen, warum sie mit Deutschland nicht gleichziehen konnten, warum es ihnen nicht gelungen ist, ebenfalls eine so gute Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Wettbewerbsfähigkeit ist uns nicht geschenkt worden. Ich erinnere daran, dass wir in den 90er-Jahren ein Leistungsbilanzdefizit hatten, nämlich als wir nach der Wiedervereinigung, Herr Gysi, die Trümmer des Kommunismus auf deutschem Boden aufräumen mussten. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So war es! - Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!) Dieses Land hat gelitten unter diesem Defizit. Es war nicht einfach, dieses Defizit zu überwinden. Ich erinnere an die Konsolidierungsstrategie, die Mitte der 90er-Jahre dafür gesorgt hat, dass die Produktivität in Deutschland gestiegen ist, aber auch an die Agenda 2010. Auch durch sie wurde den Menschen viel abverlangt, aber sie hat dazu geführt, dass die Produktivität an jedem Arbeitsplatz in Deutschland höher als bei den Wettbewerbern in der Welt ist. Das ist der Grund für die Wettbewerbsfähigkeit und für die Leistungsfähigkeit, und dafür brauchen wir uns nicht zu schämen, sondern darauf kann dieses Land stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die europäische Leistungsbilanz insgesamt negativ wäre, wenn es den Überschuss in der Leistungsbilanz der Deutschen nicht gäbe. Insofern leisten wir auch in diesem Punkt einen wichtigen Beitrag. Zur Lohnpolitik. Die zurückhaltende Lohnpolitik unserer Tarifpartner, die ich an dieser Stelle ausdrücklich loben möchte, hat dazu geführt, dass Deutschland hinsichtlich der Arbeitslosigkeit bis heute weit mehr Fortschritte als seine Partner gemacht hat. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Keine Binnennachfrage!) Wir liegen heute mit 7,5 Prozent um 2,5 Prozentpunkte unter der Arbeitslosenquote in Europa. Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht - 9 Prozent in Frankreich, 13,8 Prozent in Irland -, dann kann man sehen, dass diese Lohnzurückhaltung, die unsere Tarifpartner an den Tag gelegt haben, der richtige Weg zu Beschäftigung und Arbeit für die Menschen in Deutschland ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schließlich zur EU-Strategie 2020. Ich werfe einen Blick auf die Struktur Europas und der europäischen Partnerländer. Diese Struktur ist außerordentlich heterogen. Wir haben im Grunde folgende Möglichkeiten: Erstens. Wir, alle 27 Länder, einigen uns nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das wäre zu wenig für ein gemeinsames Europa. Zweitens. Wir zwängen diese 27 Länder auf einen gemeinsamen Kurs, durch den Kreativität verschwindet und der letzten Endes auch hinsichtlich der Akzeptanz in der Bevölkerung schwierig ist. Drittens. Diesen Weg wollen und sollten wir gehen: den Weg der Vielfalt der Systeme, der Gestaltungsfreiheit und des Gestaltungswettbewerbs. Dieses Prinzip hat sich im deutschen Föderalismus hervorragend bewährt. Dieser Gestaltungswettbewerb muss auch in Europa Platz greifen. Der Beste muss derjenige sein, der die Marken setzt und das Vorbild für andere ist. In diesem Sinne wird es gelingen, dass Deutschland Vorbild in Europa ist und dass Europa insgesamt vorankommt. Wir wünschen der Bundeskanzlerin für ihre Verhandlungen beim Europäischen Rat alles Gute. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe überhaupt keinen Anlass, der Bundeskanzlerin in einer Rede fünf Komplimente zu machen und 28-mal zu danken, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das wäre aber angemessen!) weil ich die Regierungserklärung der Kanzlerin enttäuschend und erschreckend ideenlos fand. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir hätten hier im Bundestag gerne über ein Konzept zu Europa 2020 diskutiert. Als Mitglied der SPD-Fraktion und Opposition sage ich: Ich hätte mich gerne richtig kritisch mit den Vorstellungen und Ideen der Bundesregierung auseinandergesetzt, aber ich habe keine Konzepte, keine Visionen und keine Strategie für Europa gehört, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Dann bereichern Sie die Debatte doch mit Ihren Konzepten!) sondern ich habe ganz viel dazu gehört, was Sie alles nicht wollen. Das verstecken Sie hinter der Floskel "Vielfalt der Systeme". Dabei bleiben Sie doch erschreckend vage und unverbindlich. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Einfalt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die CDU war einmal europaengagiert. Ich müsste mich gar nicht um das europapolitische Profil der CDU sorgen, wenn es nicht um Deutschland und um die Zukunft Europas ginge. Das sorgt uns alle. Wir haben in Europa nämlich zehn ganz entscheidende Jahre vor uns. Es geht um die Stabilität und den Zusammenhalt Europas und um unsere Rolle in der Welt. Ich habe von der Bundesregierung bisher nichts dazu gehört, wie es da weitergehen kann. Die EU-Kommission unter Barroso macht Vorschläge zu fünf Kernzielen; mehr sind es gar nicht. Ich muss die EU-Kommission und ihren Präsidenten Barroso überhaupt nicht verteidigen; denn das ist gar nicht meine Kommission, und sie ist, wie Sie wissen, auch nicht mehrheitlich mit Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten besetzt. Die EU-Kommission legt also eine Grundlage mit fünf Zielen. Zwei davon lehnen Sie ab. Da fragen wir uns doch: Welche Strategie bleibt eigentlich noch für Europa? Wohin soll der Weg gehen? Dass Sie das Armutsziel ablehnen, halte ich für einen unglaublichen Vorgang. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Beim Thema Armut dürfen wir uns nicht hinter Sonntagsreden und hinter halbherzigen Bekenntnissen verschanzen. Dafür ist das Thema Armut zu wichtig; es muss auch auf der europäischen Ebene ausführlich diskutiert und engagiert angegangen werden. Wir erleben zurzeit die Bundesministerin von der Leyen - wortreich und durchaus mit Empathie - zum Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Aber auch sie lehnt das Ziel der Armutsbekämpfung in Europa ab. Dabei geht es nur um ein gemeinsames Ziel in Europa - nicht um mehr, aber auch nicht um weniger. Dieses gemeinsame Ziel wäre ein wichtiges Signal an die Menschen in Deutschland und in Europa, dass wir es ernst meinen mit der Bekämpfung von Armut, dass uns ihre Sorgen ernsthaft interessieren und kümmern, dass wir Maßnahmen ergreifen und nicht nur reden, sondern auch handeln. Wenn dieses Signal vom Europäischen Rat ausgehen würde, wäre das sehr, sehr wichtig für die Menschen in Europa. (Beifall bei der SPD) Ich will auch etwas zum Thema Bildung sagen. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist immer gut!) Man kann kritisch sein, und der Bundesrat hat zum Ausdruck gebracht, dass er für das Thema Bildung zuständig ist. Aber ein gemeinsames Ziel in Europa, die Verständigung darauf, dass Bildung wichtig ist und wir in diesem Bereich ambitioniert vorgehen müssen, stellt die Kompetenz der Bundesländer überhaupt nicht infrage. Wenn man will, dass in Europa Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit großgeschrieben werden und wir gut aufgestellt sind - das haben Sie betont -, dann müssen wir uns auch im Bereich der Bildung Ziele setzen. Dann geht es in Europa gar nicht ohne Bildung. Aber die schwarz-gelbe Regierung bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, wie das mit der Bildung denn gehen soll. Denn Sie nehmen uns mit Ihrer Steuerpolitik jeden Spielraum, um in Deutschland sinnvolle und gute Bildungspolitik zu machen. Ich würde mir wünschen, dass die Bildungspolitik durch ein engagiertes Ziel auf der europäischen Ebene befördert würde. (Beifall bei der SPD) Zwei Ziele lehnen Sie ab - darauf habe ich hingewiesen -, bei einem dritten Ziel sind Sie unengagiert, und das ist die Beschäftigungsquote. Es geht um die Weiterentwicklung der Lissabon-Strategie. Wir dürfen das Thema Beschäftigungsquote nicht nur auf die Floskel "Hauptsache Arbeit, egal was für eine" reduzieren. Wir brauchen bei der neuen Strategie klare Aussagen zur Qualität der Arbeit. (Beifall bei der SPD) Es geht nämlich darum, wie die Menschen in unserem Land arbeiten. Wir brauchen eine Lösung für das Problem, dass immer mehr Menschen von Löhnen leben, von denen sie sich und ihre Familien nicht ernähren können. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass wir die neue Strategie ganz klar formulieren, im Bereich der Beschäftigungspolitik um einen qualitativen Aspekt ergänzen und feststellen: Wir sind gegen Ausbeutung. Wir sind für gute Löhne auch auf der europäischen Ebene. - Ich hätte mir auch gewünscht, dass wir uns ein engagiertes Ziel mit Blick auf die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen gesetzt hätten. Morgen findet der Equal Pay Day statt. In diesem Zusammenhang hätte man diese Strategie gut weiterentwickeln und ein gutes Ziel setzen können. Das hätte dann den Namen "neue Strategie" auch verdient. (Beifall bei der SPD) Eine letzte Bemerkung zum Parlament - der Kollege Schäfer hat es schon angesprochen -: Wir haben eine erste Debatte zum Thema Europa 2020 - und dabei geht es nicht um mehr, aber auch nicht um weniger als um die Zukunft der Europäischen Union - am 4. März um 21.30 Uhr für 30 Minuten geführt. Ansonsten ist das Parlament nicht beteiligt worden. Heute hat es zum ersten Mal die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, welche Position die Kanzlerin bei diesem wichtigen Europäischen Rat vertreten wird. Ich finde, das ist eine gravierende Missachtung des Deutschen Bundestages. Das finde ich enttäuschend. Ich hätte mir im Vorfeld dieses Europäischen Rates mehr gewünscht. (Beifall bei der SPD) Das wäre insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache wichtig gewesen, dass mit dem Lissabon-Vertrag die Parlamente gestärkt wurden. Man hätte auch hier ein deutliches Zeichen setzen können. Aber die Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung die Parlamente nicht ein einziges Mal erwähnt, weder den Deutschen Bundestag noch das Europäische Parlament. Ich kann nur hoffen, dass sie sich mit ihrer Zögerlichkeit und Ideenlosigkeit im Europäischen Rat nicht durchsetzt und dass die anderen Kolleginnen und Kollegen ambitionierter sind und eine gute Strategie 2020 im Sinne der Zukunft Europas, im Sinne der Menschen in Deutschland und Europa und auch im Sinne einer guten Positionierung Deutschlands formulieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Europäischen Rat, der in wenigen Stunden in Brüssel beginnt, soll über die Ausgestaltung der sogenannten Europa-2020- oder Post-Lissabon-Strategie diskutiert werden. - Frau Högl, hören Sie einmal zu, was ich zu sagen habe. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ich höre Ihnen immer zu!) Der neue Präsident Van Rompuy beabsichtigt, beim Europäischen Rat eine Grundverständigung über die Architektur der neuen Wachstumsstrategie zu erreichen. So steht es auf der Einladung und in der Tagesordnung. Es soll eine Aussprache geben, um dann zu Vorarbeiten und konkreten Beschlüssen zu kommen. Das passiert jetzt beim Europäischen Rat. Wenn Sie richtig zugehört haben, dann wissen Sie, dass der Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Buzek, diese Woche mehrfach erklärt hat, dass der Europäische Rat frühestens am 17. Juni eine konkrete Strategie beschließen wird. Die Koalitionsfraktionen werden fundiert, und zwar durch Beratung in allen beteiligten Ausschüssen im Bundestag, rechtzeitig zu diesem Termin eine detaillierte Stellungnahme mit Bindewirkung für die Bundesregierung vorlegen. Das geschieht dann, wenn es nötig ist, und dies ist für eine allgemeine Diskussion nicht der Fall. Wir beschließen doch im Bundestag keinen Sprechzettel für die Kanzlerin, auf dem steht, was sie in der Aussprache mit den Regierungschefs sagen darf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß sie schon selber!) In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf Island eingehen. Für jemanden, der das Thema nicht genau kennt, ist es nicht nachvollziehbar, worüber sich die SPD und die Grünen beschweren. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir auch!) Wir haben von der Bundesregierung den Auftrag bekommen, eine Stellungnahme zum Beschluss von Beitrittsverhandlungen mit Island zu erarbeiten. Zunächst war von der schwedischen und dann weiter verfolgt von der spanischen Ratspräsidentschaft geplant, heute auf dem Europäischen Rat über die Beitrittsverhandlungen abzustimmen. Es zeichnete sich seit Januar ab, dass dieser Termin von den europäischen Institutionen nicht gehalten werden wird. Wir haben im Bundestag mit unseren Anträgen dafür gesorgt, dass wir schon in der nächsten Sitzungswoche eine fundierte Stellungnahme vorlegen können, (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: 15. März!) die den Beginn von Beitrittsverhandlungen befürwortet, was wir aber mit dem konkreten Hinweis verbunden haben, dass dann ein entsprechender Beschluss gefasst werden soll. Wir werden am 22. April die zweite und dritte Lesung im Bundestag durchführen, rechtzeitig bevor irgendein Rat irgendetwas in dieser Angelegenheit entscheiden wird. Genau das fordert die Begleitgesetzgebung von uns. So werden wir das als Koalitionsfraktionen auch weiter handhaben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin? Michael Stübgen (CDU/CSU): Bitte. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Stübgen, Sie haben gesagt, Sie wüssten nicht, worüber wir uns beschweren. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen darüber beschwert, dass die Koalition eine Chance vergibt, Island ein deutliches Signal zu geben, dass wir für einen Beitritt sind, dass wir zwar kritische Fragen haben, aber in der Lage sind, schnell zu agieren, um die Verhandlungen aufzunehmen? Das heißt, wir beschweren uns darüber, dass ein positives Signal ausgelassen wird. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, bevor Sie antworten: Der Kollege Liebich will auch eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen? Dann können Sie zusammenhängend Ihre Redezeit deutlich verlängern. Michael Stübgen (CDU/CSU): Danke schön. Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Kollege, ich möchte mich der Beschwerde meines Vorredners anschließen. Denn es gab Anträge von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion im Europaausschuss, die die CDU/CSU und die FDP nicht beschließen wollten, in denen wir uns dafür ausgesprochen haben, jetzt sehr frühzeitig das Signal auszusenden, dass sich die Bundesregierung für Verhandlungen mit Island einsetzt. Sind Sie auch bereit, zuzugestehen, dass Sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass das nicht auf der Tagesordnung steht? Der Staatssekretär hat nämlich gesagt, dass es noch nicht auf der Tagesordnung steht bzw. dass man nicht wisse, ob es auf der Tagesordnung stehen werde. Ist es nicht vielmehr so, dass Sie dort gesagt haben, dass Sie, egal ob es auf der Tagesordnung steht oder nicht, nicht wollen, dass es auf die Tagesordnung kommt, weil Sie Beratungsbedarf haben, und demzufolge CDU/CSU und FDP auf der Bremse stehen, aber nicht Bündnis 90/Die Grünen, die Linke und die SPD? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Michael Stübgen (CDU/CSU): Ich werde es im Protokoll nachlesen. Vielleicht verstehe ich dann Ihre Frage. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: So schwer war es nicht! - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Kriegen wir dann eine schriftliche Antwort?) Aber ich glaube, es war so ziemlich dieselbe Frage wie die von Herrn Sarrazin. Es war ganz einfach so, dass nach der ursprünglichen Planung heute ein Beschluss gefasst werden sollte. Wir haben uns im Ausschuss mit der Frage beschäftigt, wie wir es schaffen können, heute zu beschließen. Dabei ist herausgekommen, dass wir es mit verkürzten Beratungszeiten der mitberatenden Ausschüsse, Fristverzicht und dergleichen gerade so hätten hinbekommen können. Als dann vor drei Wochen deutlich wurde, dass dieser Rat darüber nicht entscheiden kann, haben wir gesagt, dass wir es auch mit den mitberatenden Ausschüssen ausführlich beraten werden, was übrigens unsere Verantwortung als federführender Europaausschuss ist, um den Beschluss dann zu fassen, wenn er notwendig ist. Dies wird in der nächsten Sitzungswoche der Fall sein. Noch eines auf Ihre Frage, Herr Sarrazin: Die Frage, wer hier Chancen für Island verbaut, können wir in der nächsten Woche noch einmal intensiv diskutieren; denn Sie als Grüne haben einen Antrag gestellt, in dem Sie von Island fordern, das angeblich absolute Walfangverbot der Europäischen Union einzuhalten, bevor es Mitglied in der Europäischen Union werden kann. Damit fordern Sie von Island die Einhaltung von Regeln, die es in der Europäischen Union gar nicht gibt. Dort gibt es nämlich Ausnahmen für wissenschaftliche Zwecke und zur Nutzung durch die indigene Bevölkerung. Wenn Sie also glauben, Sie setzten sich besonders für Island ein, dann schauen Sie sich doch erst einmal die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union an, anstatt von mitgliedswilligen Ländern Dinge zu fordern, die wir in der Europäischen Union selber nicht erfüllen. - Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In diesem Zusammenhang weise ich noch auf Folgendes hin - das muss schon einmal gesagt werden -: Es ist doch kein Zufall, dass wir in diesem Bundestag erst seit 2006 überhaupt substanzielle Mitbestimmungsrechte in europäischen Fragen haben. Ich kann Ihnen sagen, warum das so ist: weil während der Regierungszeit von Rot-Grün Schröder und Fischer kategorisch jede substanzielle Mitberatungs- und Mitbestimmungsmöglichkeit des Bundestages verhindert haben. (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Was?) Wenn Sie sich heute als Retter der Demokratie aufspielen, dann sage ich Ihnen: Fassen Sie sich bitte an die eigene Nase; denn wenn wir in der Großen Koalition nicht mit nachhaltigem Druck im Koalitionsvertrag durchgesetzt hätten, dass wir substanzielle Rechte für den Bundestag bekommen, dann gäbe es sie erst jetzt, weil wir nun eine vernünftige Koalition haben. Aber bis zum vorigen Jahr hätte es sie noch nicht gegeben. Bitte seien Sie etwas zurückhaltender mit Ihren Vorwürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich muss noch ein Thema ansprechen; ohne es anzusprechen, kann man nicht über den Europäischen Rat sprechen. Es geht um die Finanzhilfen an Griechenland. Ohne Zweifel befindet sich Griechenland in einer sehr schwierigen Haushaltssituation. Die Situation ist ernst und wird im Übrigen von der griechischen Regierung auch nicht beschönigt. Endlich, möchte ich sagen; denn leider mussten wir an der Verlässlichkeit griechischer Zahlen in den letzten Jahren zweifeln. Wir wissen heute, dass die Zahlen viele Jahre bewusst gefälscht wurden. Das Reformprogramm der griechischen Regierung ist ambitioniert, aber nicht unerfüllbar. Darauf will ich auch einmal hinweisen. Wenn ich sehe, dass das Renteneintrittsalter in Griechenland auf 63 hochgesetzt worden ist, dann ist das gut. Aber wir sind bei 67 Jahren. Dies haben wir nicht gemacht, weil es uns Spaß macht, sondern deswegen, weil wir sonst die Rentenstruktur nicht hinbekämen. Griechenland erhöht die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte. Das ist wichtig, um die eigenen Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen. Wir haben die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht, um dies zu erreichen. Das hat auch keinen Spaß gemacht, war aber notwendig. Griechenland hat das Ostergeld und das Weihnachtsgeld für die Angestellten im öffentlichen Dienst gestrichen. Die rot-grüne Bundesregierung hat das sogenannte dreizehnte Monatsgehalt 2004 gestrichen, übrigens ausnahmsweise ein richtiger Punkt. Wir sehen, die Reformen, die Griechenland in Angriff nimmt, sind richtig; sie müssen umgesetzt werden, und Griechenland braucht unsere Unterstützung dafür. Aber es sind durchweg Reformen, die in diesem Land sehr spät in Gang gesetzt werden und bei uns in den letzten zehn Jahren schon umgesetzt wurden. Deshalb ist es wichtig, dass Griechenland diese Arbeit in erster Linie alleine macht. (Beifall bei der CDU/CSU - Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das war Rot-Grün, sehr wahr!) Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen: Bei dem, was wir eben nicht nur in Griechenland, sondern auch in Portugal und Spanien und anderen Mitgliedsländern sehen, können wir, was den Stabilitäts- und Wachstumspakt betrifft, nicht einfach weiter so machen, auch wenn wir die kurzfristigen Probleme halbwegs gelöst haben. Es hat sich gezeigt, dass der Wachstums- und Stabilitätspakt gerade dann nicht funktioniert, wenn eine Krise besonders schwer ist. Deshalb müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir den Stabilitäts- und Wachstums-pakt verändern und ihn krisenfester machen. Ich finde es zum Beispiel sehr richtig, dass der Europäische Rat wahrscheinlich schon heute darüber redet - ein Fachministerrat wird das umsetzen -, endlich die Kontrollbefugnisse von Eurostat erheblich auszuweiten. Eurostat soll künftig die Möglichkeit haben, direkt in den Ländern zu prüfen, ob die Zahlen, die sie öffentlich angeben oder nach Brüssel weitergeben, stimmen. Ich weiß: Rot-Grün hat das damals abgelehnt. Wir haben es damals, 2004, auch abgelehnt; das war ein Fehler. Jetzt ist es wichtig, diesen Fehler so schnell wie möglich zu korrigieren. Ich möchte noch eines sagen: Zukünftig können wir in den europäischen Verträgen, in der Euro-Gruppe nicht mehr ausschließlich auf finanzielle Sanktionen setzen. Wenn ein Land nämlich erst einmal kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht, dann nützt es nicht mehr viel, Sanktionen in Form einer finanziellen Strafe zu erteilen. Wir müssen uns da etwas Intelligenteres einfallen lassen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die erwogen werden sollten. Zum einen könnte man im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen eines Verstoßes gegen die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes die Stimmrechte eines Landes teilweise aussetzen. Darüber sollten wir nachdenken. Ich weiß, dass wir dafür die Verträge ändern müssen. Wir sollten zum anderen aber das, was ansatzweise im Lissabon-Vertrag schon angelegt ist, nämlich die Möglichkeit, Zahlungen - zum Beispiel Agrarsubventionen oder Mittel aus den Strukturfonds - einzufrieren, ausbauen. Im Übrigen können schon jetzt Mittel aus dem Kohäsionsfonds eingefroren werden; das wurde aber noch nie gemacht. Eines möchte ich noch sagen: Ich finde es schon merkwürdig, dass Herr Barroso, der auch schon vor fünf Jahren Kommissionspräsident war, jetzt in Interviews erklärt: Ich bin nicht schuld; ich konnte nichts machen, weil ich keine Möglichkeiten hatte. (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Den haben Sie doch haben wollen! - Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Den hat Frau Merkel durchgesetzt! Ihr Präsident! Ihr Parteigänger!) Er sollte erklären, warum er die Möglichkeiten, die er hatte, nicht genutzt hat. Das Thema Europa wird auch in Zukunft wichtig sein. Wir sind da auf dem richtigen Weg. Ich wünsche der Bundeskanzlerin für den Europäischen Rat alles Gute. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1191 soll überwiesen werden: zur federführenden Beratung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Finanzausschuss und den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Haushaltsausschuss. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1170 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1171 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1172. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss und den Finanzausschuss sowie an den Ernährungs- und den Umweltausschuss. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Überweisung ist so beschlossen, und zwar mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und der Linken gegen die Stimmen der Grünen. Wir stimmen also heute nicht über den Entschließungsantrag ab. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Rettungsschirm für Kommunen - Strategie für handlungsfähige Städte, Gemeinden und Landkreise - Drucksache 17/1152 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren - Drucksache 17/1142 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zukunft der Kommunalfinanzen - Transparenz gewährleisten und Öffentlichkeit herstellen - Drucksache 17/1143 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss d) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache 17/520 - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Aus-schuss) - Drucksache 17/869 - Berichterstattung: Abgeordnete Peter Aumer Martin Gerster Dr. Thomas Gambke - Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/872 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsatzsteuerermäßigung für Hotellerie zurücknehmen - Drucksachen 17/447, 17/869 - Berichterstattung: Abgeordnete Peter Aumer Martin Gerster Dr. Thomas Gambke Über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, Tagesordnungspunkt 5 d, werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Bernd Scheelen für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Bernd Scheelen (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Herbst 2008 haben wir in diesem Hohen Haus den Rettungsschirm für Banken in einer sehr schnellen Aktion gemeinsam aufgespannt. Er war erfolgreich und verbunden mit dem Namen des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück. Wir haben danach gemeinsam in der Großen Koalition einen Rettungsschirm für Arbeitsplätze aufgespannt, der mit dem Namen Olaf Scholz eng verbunden war. Darüber hinaus haben wir zu Zeiten der Großen Koalition gemeinsam Ansätze eines Rettungsschirms für Kommunen beschlossen; ich erinnere an das Stichwort Konjunkturpaket II. Im Rahmen dieses Konjunkturpaketes haben wir als Bund den Kommunen 10 Milliarden Euro gegeben, damit sie vor Ort Arbeitsplätze sichern und die Wirtschaft am Laufen halten können. Das örtliche Handwerk wurde durch die Maßnahmen, die wir zur energetischen Gebäudesanierung auf den Weg gebracht haben, gefördert. Jetzt wäre es an der Zeit, über einen umfänglichen Rettungsschirm für die Kommunen nachzudenken. (Beifall bei der SPD) Eigentlich wäre es Aufgabe der Regierungskoalition, Aufgabe von Schwarz-Gelb, das Thema hier aufzusetzen. Aber wir, die SPD-Fraktion, haben es aufgesetzt, weil wir dieses Thema für besonders wichtig erachten. Denn den Kommunen geht es schlecht. Landauf, landab wird diskutiert, wo man in kommunalen Haushalten einsparen kann und wie man eventuell an mehr Geld kommt. Es wird über die Schließung von Theatern, Museen, Schwimmbädern und Ähnlichem nachgedacht. Städte wie Köln denken darüber nach, ob sie eine Bettensteuer einführen. (Gisela Piltz [FDP]: Haben sie schon eingeführt!) - Ein Akt der Notwehr, Frau Kollegin Piltz, gegen die Maßnahmen, die Sie hier schon beschlossen haben. (Beifall bei der SPD) Es gibt Kommunen, Duisburg zum Beispiel, die darüber nachdenken, eine besondere Form der Gewerbesteuer einzuführen: Sie wollen das älteste Gewerbe der Welt besteuern. Das alles sind Akte der reinen Verzweiflung, weil es den Kommunen schlecht geht und sie den Eindruck haben, dass sich Schwarz-Gelb auf Bundesebene nicht um sie kümmert. (Beifall bei der SPD) Die Kommunen leiden unter der Wirtschafts- und Finanzkrise. Das gilt natürlich auch für Bund und Länder. Die Kommunen leiden zudem aber unter Schwarz-Gelb. (Beifall bei der SPD) Sie leiden unter dem Katalog der Grausamkeiten, den Sie Koalitionsvertrag nennen. Man bräuchte eine Stunde, um all das aufzuzählen, was Sie den Kommunen antun wollen. "Privat vor Staat" steht quasi über dem Koalitionsvertrag. Sie wollen, dass der Staat den Kommunen alles wegnimmt, was sie als Aufgaben sinnvollerweise für die Bürger erledigen, und es den Privaten gibt, damit diese ihre Geschäfte machen können. Das ist nicht das, was wir wollen. (Beifall bei der SPD) Sie wollen einen schwachen Staat. Wir wollen einen leistungsfähigen Staat und starke Kommunen. Denn in den Kommunen entscheidet sich das Schicksal der Menschen. Vor Ort wird gelebt, gearbeitet, Kultur erlebt, gemeinsam etwas getan. Vor Ort wird auch Politik hautnah erlebt, und vor Ort werden die Folgen von Politik unmittelbar deutlich. Aber was macht Schwarz-Gelb? Was macht zum Beispiel die CDU in Nordrhein-Westfalen? Am Wochenende gab es einen Parteitag in Münster. Da haben sich die Bundeskanzlerin und der Kollege Rüttgers für einen Satz feiern lassen, der sinngemäß lautete: Wir dürfen die Kommunen nicht ausbluten lassen, nur um Steuersenkungen durchführen zu können. - Ja, richtig! (Beifall bei der SPD) Für diesen Satz sollen die beiden auf diesem Parteitag jubelnd gefeiert worden sein. (Joachim Poß [SPD]: Im Fernsehen war es zu sehen!) Da kann man sich nur fragen: Leiden die Delegierten dort alle unter retrograder Amnesie? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Haben sie zum Beispiel Ihren Koalitionsvertrag nicht gelesen? Haben sie noch nicht mitbekommen, was Sie hier bisher getan haben, was Sie an Gesetzen beschlossen haben? Sie sind jetzt fünf Monate an der Regierung. Die Bilanz ist: drei Gesetze. (Gisela Piltz [FDP]: Vorher elf Jahre gar nichts für die Kommunen!) Das nennt man normalerweise Stillstand der Rechtspflege. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber diese drei Gesetze gehen im Wesentlichen zulasten der Kommunen. Als Erstes haben Sie im vorigen Jahr die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft abgesenkt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie wollten doch gar nichts bezahlen!) - Das ist doch völliger Unsinn, Herr Kollege; das wissen auch Sie. - Sie haben den Kommunen 3 Prozentpunkte - das sind 400 Millionen Euro - abgenommen, und das in einer Situation, wo die Kosten der Unterkunft in den Kommunen steigen. Spätestens jetzt muss auch Ihnen klar werden, dass der bestehende Abrechnungsmechanismus, so sinnvoll er im Einzelnen vielleicht sein mag, ein schwerwiegendes Problem hat: Er kommt immer zwei Jahre zu spät. Den Kommunen wird jetzt Geld erstattet auf der Basis von vor zwei Jahren, als es den Kommunen gut ging. Auf dieser Basis hatte man errechnet, sie bräuchten weniger. Jetzt geht es ihnen aber schlecht. Das heißt, zumindest hier sollten Sie uns zustimmen, wenn wir sagen: Wir brauchen für die nächsten zwei Jahre eine Überbrückung, damit die Kommunen nicht prozyklisch bestraft werden. Das heißt, wenn es mit der Wirtschaft abwärtsgeht, bekommen sie weniger; wenn es mit der Wirtschaft wieder aufwärtsgeht, dann erhalten sie mehr. Was Sie da machen, ist doch hirnrissig. Da muss eine Überbrückung her. (Beifall bei der SPD - Ingbert Liebing [CDU/ CSU]: Scholz war doch Sozialminister, als das beschlossen wurde! - Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) - Die Kollegin Hagedorn weist zu Recht darauf hin, dass die SPD-Fraktion einen entsprechenden Antrag in der vorigen Woche im Rahmen der Haushaltsberatungen eingebracht hat. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie hatten elf Jahre Zeit dazu!) Wir haben beantragt, den Kommunen 400 Millionen Euro mehr für dieses und das nächste Jahr zur Verfügung zu stellen. Diesen Antrag haben Sie abgelehnt. Zu den Schweinereien, die Sie hier veranstalten, sollten Sie auch stehen. (Beifall bei der SPD - Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Sie waren elf Jahre verantwortlich!) Die anderen beiden Gesetze, die Sie verabschiedet haben, haben Steuergeschenke an Privilegierte zum Inhalt: an Hoteliers, an reiche Erben und an Unternehmen, die ihre Gewinne lieber im Ausland versteuern. Sie haben ihnen das noch erleichtert. An den Verlusten, die als Folge dieser Gesetze entstehen, sind die Kommunen überproportional beteiligt: bei dem einen Gesetz mit 40 Prozent, bei dem anderen mit 20 Prozent, obwohl sie an den Gesamteinnahmen des Staates auf der Steuer-ebene mit nur 13 Prozent beteiligt sind. Das heißt: Sie machen konkret eine Politik gegen die Kommunen. Die Kommunen leiden unter Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Es muss Schluss sein mit Ihren weiteren Steuersenkungsplänen. Sie müssen das, was den Kommunen durch Ihre Beschlüsse an Verlusten - sie belaufen sich in etwa auf 2,5 Milliarden Euro - entsteht, kompensieren. Die Kommunen brauchen dieses Geld; sonst können sie ihre Aufgaben nicht erfüllen. (Beifall bei der SPD) Sorgen Sie also für Kompensation für die Steuerausfälle. Hören Sie auf, Steuergeschenke zu verteilen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Steuergeschenk ist ein Widerspruch in sich!) Heben Sie die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft um 3 Prozentpunkte, um 400 Millionen Euro, an. Ganz wichtig: Lassen Sie die Finger von der Gewerbesteuer. (Beifall bei der SPD) Das ist ein entscheidender Punkt. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sie haben nichts begriffen!) Die Gewerbesteuer ist kein Thema, mit dem man die Menschenmassen auf den Marktplätzen begeistern kann. Aber wenn man den Menschen sagt, dass die Einnahmen aus der Gewerbesteuer im Jahre 2008, als sie den höchsten Stand in der Nachkriegsgeschichte erreicht hatte, 41 Milliarden Euro ausgemacht haben und die Sozialausgaben der Kommunen bei 40 Milliarden Euro liegen, dann wird ihnen klar, dass in vielen Kommunen das, was an Gewerbesteuereinnahmen hereinkommt, für soziale Aufgaben benötigt wird. Lassen Sie deswegen die Finger von der Gewerbesteuer. Das ist die wichtigste Einnahmequelle, die die Kommunen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Zug der Krise sind natürlich auch die Einnahmen aus der Gewerbesteuer eingebrochen, und zwar um etwa 18 Prozent - das ist schlimm genug -; aber auch die Einnahmen aus der Einkommensteuer sind eingebrochen, um 8 Prozent. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber konjunkturell bedingt!) - Natürlich konjunkturell bedingt. - Die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer, die Sie teilweise als Ersatz anbieten, sind um 60 Prozent eingebrochen. Was ist das denn für die Kommunen für ein Ersatz, wenn sie die Einnahmen aus einer Steuer, die leicht konjunkturreagibel ist, gegen die Einnahmen aus einer anderen Steuer tauschen, die schwer konjunkturreagibel ist? Was Sie da machen wollen, ist doch hirnrissig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Warten Sie mal ab!) Sie benutzen die Krise sozusagen als Alibi, um die Gewerbesteuer abzuschaffen. Insbesondere die FDP stellt sich hierhin und erklärt: Schaut doch einmal, die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind eingebrochen. Eine solche Steuer muss abgeschafft werden; denn die Kommunen brauchen verlässliche Einnahmen. - Die Krise dient hier als reines Alibi. Was Sie als Ersatz anbieten, ist, die Einnahmen aus einer Steuer, die nur die Wirtschaft zahlt, durch die Einnahmen aus drei anderen Steuern zu ersetzen, von denen nur noch eine von der Wirtschaft gezahlt wird, nämlich die Körperschaftsteuer. Die Einnahmen aus dieser Steuer liegen manchmal bei null. Ich erinnere an das Jahr 2003: Da gab es überhaupt keine Zahlungsverpflichtungen. Die anderen beiden Steuern werden von den Menschen gezahlt, nämlich die Mehrwertsteuer - von den Verbraucherinnen und Verbrauchern - und die Einkommensteuer, von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das ist nicht unser Modell. Das werden wir auf keinen Fall mitmachen. (Beifall bei der SPD) Ein weiterer Punkt. Klopfen Sie bitte Ihren Ländern auf die Finger, (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Vor allem Rheinland-Pfalz!) damit sie das Geld, das der Bund ihnen für die Kommunen zur Verfügung stellt, weitergeben. Stichwort "Betreuung unter Dreijähriger": Das Geld für die Kommunen, das der Bund zur Verfügung stellt, versickert in den meisten Ländern mit einer CDU-geführten Regierung, bleibt also an den klebrigen Händen der dortigen Finanzminister hängen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ihr habt damals in Nordrhein-Westfalen gar nichts gemacht! - Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Vor allem in Rheinland-Pfalz!) Ein letztes Wort, und zwar zu der Einigung von letzter Nacht zu den Jobcentern. Hier haben wir gemeinsam eine gute Lösung gefunden. Aber diese hätten Sie schon voriges Jahr haben können. Das hätten Sie mit uns gemeinsam in der Großen Koalition beschließen können. Das haben Sie aus durchsichtigen Gründen nicht gewollt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ganz im Gegenteil: Sie haben in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag aufgenommen, dass Sie die bewährte Zusammenarbeit der Jobcenter mit der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen beenden wollen. Sie wollen alles wieder auseinanderreißen. Das steht so in Ihrem Koalitionsvertrag. Gott sei Dank sind Sie klüger geworden. Ich unterstreiche ausdrücklich, dass ich das gut finde; denn jetzt können Millionen Langzeitarbeitslose nach wie vor Leistungen aus einer Hand bekommen. (Beifall bei der SPD) Ich stelle fest, dass die Einigung im Wesentlichen eine sozialdemokratische Handschrift trägt. Wir wissen, wie man gute Politik macht. Wenn Sie gute Politik machen wollen, fragen Sie uns. Wir wissen, wie es geht, Sie nicht. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss auf den vorherigen Tagesordnungspunkt zurückkommen. Bei der Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1172 habe ich bei der Verlesung der vielen Ausschüsse, an die der Antrag überwiesen werden soll, den Haushaltsausschuss vergessen. Das ist ein unverzeihlicher Fehler, den wir jetzt korrigieren sollten. Ich bitte also um Ihre Zustimmung für die Überweisung des Antrags auch an den Haushaltsausschuss. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das ausdrücklich so beschlossen. Nun erteile ich der Kollegin Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einiger Zeit diskutieren wir in jeder Plenarwoche mindestens ein Mal über die Situation der Kommunen, heute sogar anhand von fünf verschiedenen Oppositionsanträgen. Das wäre gut und richtig, wenn wir mit dieser Debatte neue und problemlösende Ideen diskutierten; denn die Situation der Kommunen ist ernst. Leider steht in den Anträgen nichts, was nicht sowieso schon Gesetz ist oder durch Bundesfinanzminister Dr. Schäuble nicht bereits auf den Weg gebracht worden ist. Lieber Kollege Scheelen, in Ihrem Antrag steht nichts, was in irgend-einer Weise gegenfinanziert ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist kein Wunder, dass Sie Ihren Antrag genau in der Woche stellen, in der die Haushaltsberatungen vorbei sind. Alles, was Sie fordern, ist überhaupt nicht gegenfinanziert. Bei den Haushaltsberatungen haben Sie versäumt, entsprechende Anträge zu stellen. (Joachim Poß [SPD]: Sie sind für unfinanzierbare Steuersenkungen! Was reden Sie denn da für einen Stuss?) Sie können das bei den nächsten Haushaltsberatungen nachholen. Ich zähle einzeln auf: Sie fordern 1,6 Milliarden Euro als Kompensation für die Kommunen. Sie fordern, die Beteiligung des Bundes an den Unterkunftskosten um 3 Prozent anzuheben. Sie fordern, bewährte Programme wie die Städtebauförderung zu verstärken. Sie fordern Altschuldenhilfe für Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern. Sie fordern die Erweiterung der kulturellen Projektförderung und die Unterstützung der kulturellen Infrastruktur und, und, und. Die Umsetzung dieser Forderungen macht ohne Weiteres bis zu 20 Milliarden Euro aus. Wo war Ihr entsprechender Antrag in den Haushaltsberatungen? Fehlanzeige! Sie haben sich vor dieser Debatte bei den Haushaltsberatungen ganz bewusst gedrückt, weil Sie nämlich nicht wussten, woher dieses Geld genommen werden soll. (Joachim Poß [SPD]: KdU haben Sie in den Haushaltsberatungen abgelehnt!) - Herr Poß, ich freue mich immer, wenn Sie bei meiner Rede anwesend sind; denn dann wird es lebhaft. (Bernd Scheelen [SPD]: Ansonsten geht es nur darum, was Sie denen weggenommen haben!) Herr Kollege Scheelen, Ihre Forderung, unseren Ländern auf die Finger zu klopfen, sieht unsere Verfassung aufgrund unseres föderalen Staatsaufbaus nicht vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Machen Sie doch bitte konkrete Vorschläge, wie wir den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern verändern können. Zu dieser Debatte sind wir mit Sicherheit bereit. Das von Ihnen gewählte Beispiel Jobcenter ist nun wirklich das schlechteste Beispiel. Es geht überhaupt nicht darum, den Kommunen über viele Einzelprogramme - wie Sie sie fordern - immer dann Mittel zur Verfügung zu stellen, wenn wir uns dazu zwar bereit erklären, diese Mittel aber an eine Zweckbindung geknüpft sind. Vielmehr geht es darum, dass die Kommunalparlamente freie Einnahmen brauchen, mit denen sie eigenverantwortlich Schwerpunkte in der jeweiligen Kommune setzen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Entscheidung für Jobcenter zeigt, worauf es Ihnen ankommt: Ihnen geht es darum, die Kommunen so weit wie möglich zu gängeln. Warum sonst sollte es von einer Zweidrittelmehrheit im Kommunalparlament abhängen, ob sich eine Kommune entscheidet, zu optieren oder nicht? Wir haben Vertrauen in unsere kommunalpolitischen Kollegen. Wir glauben, dass die Kommunen eigene Einnahmequellen brauchen, damit sie besser Entscheidungen treffen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden keineswegs die Finger davon lassen. In der Kommission, die Finanzminister Schäuble einberufen hat, werden wir selbstverständlich den Finger auf jede Wunde legen, und wir werden jede Chance erörtern, die es den Kommunen ermöglicht, zukünftig über eigene und sichere Einnahmequellen zu verfügen. Die Gewerbesteuer ist sehr konjunkturabhängig. Ich habe nicht gehört, welche Einnahmequelle Sie den Kommunen anbieten, die eine Alternative zu den Einnahmen aus der Gewerbesteuer ist - abgesehen von Einzelprogrammen, bei denen wir als Bundestagsabgeordnete mit darüber entscheiden, was die Kommunen mit ihren Mitteln machen. (Bernd Scheelen [SPD]: Gucken Sie in den Antrag! Da steht alles drin! - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gemeindewirtschaftsteuer!) - Sie können sich jetzt beruhigen! Neben den SPD-Anträgen gibt es auch Anträge der Linken. Diese fordern zum Beispiel ein verbindliches Mitwirkungsrecht der Kommunen. Sie kritisieren, dass die institutionelle Garantie der Kommunen, verankert in Art. 28 des Grundgesetzes, nicht dazu führe, dass Kommunen Debatten, die sie betreffen, mitgestalten dürften. Das ist völlig daneben. Selbstverständlich sieht dieser Artikel vor, dass die Kommunen gefragt werden, wenn es um ihre Einnahmesituation geht. Das ist übrigens eine ganz alte Tradition in diesem Haus. Sowohl in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien als auch der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags sind das Beratungsrecht und die Fragepflicht der Kommunen ausdrücklich vorgesehen. Ich zitiere § 41 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien: Zur Vorbereitung von Gesetzesvorlagen, die Belange der Länder oder der Kommunen berühren, soll vor Abfassung eines Entwurfs die Auffassung der Länder und der auf Bundesebene bestehenden kommunalen Spitzenverbände eingeholt werden. Was Sie fordern, ist also längst Tatsache. Das bewährt sich in der Praxis. Ob Sie die Unternehmensteuerreform, das Zukunftsinvestitionsgesetz oder die Föderalismuskommission nehmen: Sie können selbstverständlich in jedem Protokoll der Anhörungen sachkundige Äußerungen der kommunalen Spitzenverbände lesen. In die Beschlüsse der Föderalismuskommission haben wir die Forderung der kommunalen Spitzenverbände, dass es künftig keine Bundesaufgabe mehr gibt, die den Kommunen direkt übertragen wird, sogar eins zu eins aufgenommen. Es gibt also unendlich viele Beispiele, die zeigen, dass diese Zusammenarbeit hervorragend ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich bin sicher - das ist Auftrag der Regierungskommission von Herrn Finanzminister Dr. Schäuble -, dass diese Frage in der Kommission überprüft wird, dass noch einmal überlegt wird, wie man kommunale Verbände noch besser in zusätzliche Entscheidungen einbeziehen kann. Nur eine Randbemerkung: Ihnen ist aufgefallen, dass in der Kommunalkommission der Bundesregierung die kommunalen Spitzenverbände mit Herrn Christian Schramm und Herrn Jörg Duppré vertreten sind, wir Bundestagsabgeordnete aber nicht. (Bernd Scheelen [SPD]: Die gehören doch beide Ihrer Partei an! Da haben Sie doch Drähte!) Ich sehe nicht, dass die kommunalen Spitzenverbände nicht in dem erforderlichen Umfang auch in diese Kommission eingebunden sind, sodass ich glaube, dass dieser Antrag in dem Punkt völlig überflüssig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Als reine Zeitverschwendung würde ich, liebe Kollegen von der Linken, Ihren Antrag "Zukunft der Kommunalfinanzen - Transparenz gewährleisten und Öffentlichkeit herstellen" bewerten. Sie fordern, eine breite und ergebnisoffene Debatte über Chancen der dauerhaft stabilen Einnahmesituation der Kommunen zu führen. Seit 20 Jahren tun wir nichts anderes, als darüber zu diskutieren, ob es richtig ist, den Kommunen eine Einnahmequelle neben der Gewerbesteuer und der Grundsteuer zu ermöglichen. Diese Diskussion wird immer dann besonders laut, wenn die Gewerbesteuer nicht so gut fließt wie in guten Jahren, also wie es jetzt der Fall ist. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!) Dass diese Diskussion ergebnisoffen geführt wird, können Sie daran erkennen, dass wir in den letzten 20 Jahren keine Lösung gefunden haben. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Weil der Herr Koch sie im Vermittlungsausschuss wegdiskutiert hat!) Deshalb wäre mir sehr viel lieber, wir führten sie ein bisschen weniger ergebnisoffen und dafür ein bisschen ergebnisorientierter. Das werden wir tun, und das wird auch die Gemeindefinanzkommission tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie fordern weiter, dass Vorschläge, die bisher von kommunalen Vertretungen, Wahlbeamten, Gewerkschaften und Wissenschaftlern gemacht wurden, in die Diskussion dieser Kommission einfließen. Entschuldigung, worum geht es denn sonst in dieser Kommission, außer über die Modelle, die auf dem Tisch liegen, zu diskutieren und gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden eine Lösung zu suchen? Sie fordern in demselben Antrag auch, dass die Regierungskommission regelmäßig über den Stand der Arbeit öffentlich Bericht erstattet. Der federführende Ausschuss ist gestern informiert worden, und ich bin sicher, dass er in den nächsten Monaten immer wieder informiert wird. Wie die Kommission es schaffen sollte, völlig geheim die Gewerbesteuer abzuschaffen, auszuweiten oder eine sonstige Kommunalsteuer einzuführen, ist mir nicht klar. Also, die Öffentlichkeit wird selbstverständlich hergestellt. Ihres Antrags bedarf es deshalb nicht. Ich schlage vor, wir lassen die Kommission erst einmal arbeiten. Dann hat sie auch etwas zu berichten. Ich bin sicher, dass Finanzminister Schäuble seine Zusage, die er uns gegeben hat, nämlich über die Informationen zeitnah mit uns zu diskutieren, einhalten wird. Wir werden gemeinsam mit den Städten und Gemeinden eine Lösung für das Problem der nicht vorhandenen Verstetigung der Einnahmen finden. Selbstverständlich geht das nicht gegen die kommunalen Verbände. Wir werden gemeinsam nach einer Lösung suchen, und die Kommunen werden eigenständig über eigene, konjunkturunabhängige Einnahmen beraten. Zu der Diskussion darüber lade ich Sie ein, und darauf freue ich mich. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schwäbische Stadt Nürtingen hat für dieses Jahr ihren Bürgern angekündigt, dass die Elternbeiträge für den Hort um 5 Prozent, für die Ferienbetreuung um 12 Prozent und für die Musikschulen um 5 Prozent steigen werden. Die Stadt Wuppertal denkt darüber nach, das Schauspielhaus, Schulen und Bäder zu schließen. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die Rede habe ich schon mal gehört!) Ich finde, das sind unhaltbare Zustände für eines der reichsten Länder der Erde. (Beifall bei der LINKEN) Im Jahr 2009 fehlten den Kommunen 7,1 Milliarden Euro, und im Jahre 2010 werden es wohl 12 Milliarden Euro sein. Die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, hat wie immer Verständnis für die Lage der Kommunen geäußert. Verständnis ist immer gut. Doch woher soll das Geld für die Kommunen kommen? Diese Frage muss beantwortet werden. Nun plant die Bundesregierung eine Bankenabgabe. Das hört sich erst einmal gut an. Doch diese Bankenabgabe soll lediglich 1 Milliarde Euro einbringen; das ist lächerlich. Diese 1 Milliarde Euro ist nicht einmal für die Kommunen gedacht. Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wollen nur die Banken vor der nächsten Krise schützen, nicht etwa die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger. Für sie gibt es keinen Schutz, weder in der jetzigen Krise noch vor zukünftigen Krisen. Das müssen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir in die Zukunft. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Völker, hört die Signale!) Ab dem Jahr 2011 wird Finanzminister Schäuble das Volumen des Bundeshaushalts jedes Jahr um 10 Milliarden Euro kürzen müssen, um die Schuldenbremse, die im Grundgesetz festgeschrieben wurde, einzuhalten. Wie er das machen will, hat er uns bisher nicht verraten. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Lassen Sie sich doch überraschen, Frau Kollegin!) Klar ist nur, dass angesichts der Schuldenbremse für die Unterstützung der Kommunen kein Spielraum mehr sein wird. Im Gegenteil: Er wird die Kommunen mit den Auswirkungen der Gesetze allein lassen, wie es die Kommunen seit Jahren erleben. Dieser Zustand muss endlich beendet werden. (Beifall bei der LINKEN - Gisela Piltz [FDP]: Deshalb geht es Berlin so gut, weil Sie in Berlin regieren!) Aber das ist noch nicht alles. Die Koalition hat vor allen Dingen auf Betreiben der FDP im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass weitere Steuersenkungen von 24 Milliarden Euro beschlossen werden sollen. Damit wollen Sie den Kommunen noch mehr Geld entziehen. (Zuruf von der FDP: Nein, das wollen wir ausdrücklich nicht!) Ich kann Ihnen nur sagen: Es war ein schwerer Fehler, die Banken an der Finanzierung der Kosten, die im Rahmen der Krise angefallen sind, nicht zu beteiligen. Es war ein schwerer Fehler, Bund, Länder und Gemeinden mit einer Schuldenbremse zu knebeln. Es war ein weiterer schwerer Fehler, in dieser Situation weitere Steuergeschenke zu versprechen. Das ist die falsche Politik. (Beifall bei der LINKEN) Eine Politik der Deregulierung der Märkte, der Privatisierung öffentlichen Eigentums und der Zerstörung des Arbeitsmarktes blutet die Kommunen aus. Wenn ich die Anträge der anderen Fraktionen lese, dann habe ich häufig den Eindruck, dass man dort denkt, die Finanz- und Wirtschaftskrise sei vom Himmel gefallen bzw. habe uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen und die Welt sei vorher in Ordnung gewesen. Doch die Welt war auch vorher nicht in Ordnung. Die Regierungen Kohl, Schröder und Merkel haben dazu beigetragen, dass die Haushaltsnotlage der Kommunen immer größer wurde. Ich kann es Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, nicht ersparen: Ihr Antrag ist zwar gut gemeint; doch es kommt nicht zum Ausdruck, wie Sie das strukturelle Defizit von 12 Milliarden Euro jährlich beseitigen wollen. In Ihrem Antrag wird das Problem nicht an der Wurzel gepackt. Das Problem ist die Agenda 2010, insbesondere Hartz IV. Dies hat nämlich dazu geführt, dass die Kommunen über 40 Milliarden Euro für soziale Leistungen aufbringen müssen. Das können die Kommunen nicht schultern; das wissen Sie genau. (Joachim Poß [SPD]: Unsinn en gros!) Dies war die falsche Entscheidung. Die Agenda 2010 und Hartz IV müssen abgewickelt werden. (Beifall bei der LINKEN - Joachim Poß [SPD]: Das hat doch mit der Agenda 2010 überhaupt nichts zu tun!) Wenn das SPD-Präsidium nun vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen einen Rettungsschirm für die Kommunen beschließt, dann ist das gut. Aber Sie müssen natürlich ganz genau erklären, wie Sie ihn finanzieren wollen; denn wir können nicht noch einmal einen Rettungsschirm in Höhe von 480 Milliarden Euro aufspannen. So viel Geld ist wirklich nicht vorhanden. Wir können den Kommunen nur helfen, wenn die Kräfte der Vernunft in diesem Haus bereit sind, über die Stabilisierung der Einnahmen zu reden. Bundespräsident Horst Köhler haben wir erfreulicherweise schon auf unserer Seite. Er hat nämlich erklärt, es gebe keinen Spielraum für Steuersenkungen. Ich finde, da Sie sich so gerne auf den Bundespräsidenten berufen, sollten Sie diese Aussage von ihm ernst nehmen. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die Finanztransaktionsteuer will er auch haben!) Um die aktuellen und langfristigen Probleme in unserem Land zu lösen, müssen wir endlich diejenigen zur Kasse bitten, die uns die Krise eingebrockt haben, an der Krise verdient haben und jetzt schon wieder im Kasino zocken. Wir von der Linken wollen Mehreinnahmen. Mit diesen Mehreinnahmen wollen wir eine stabile Finanzausstattung der Kommunen schaffen und diese langfristig sichern. Denn das Leben in den Kommunen ist konkret: Es geht um Schulen, es geht um Schwimmbäder, es geht um Bibliotheken, es geht um Theater. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ein reiches Land wie Deutschland auf all dies verzichten bzw. die kulturelle Landschaft ausdünnen will. Meine Damen und Herren, der SPD-Antrag enthält viele Forderungen, die wir von der Linken mittragen können. Doch der Schirm, den Sie konzipiert haben, ist leider ein bisschen zu klein. Wir brauchen einen wirklich verlässlichen Rettungsschirm für die Kommunen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Birgit Reinemund für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Birgit Reinemund (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nach diesem Rundumschlag über die allgemeine Steuer- und Verteilungspolitik zum Thema kommunale Finanzen zurückkehren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Am Dienstag dieser Woche hat das Statistische Bundesamt die aktuellen Zahlen zur Finanzsituation der Städte und Gemeinden vorgelegt. Die Finanzlage der Kommunen ist noch ernster als erwartet. Im Jahr 2009 klaffte in den Kassen der Kommunen ein Finanzloch in Höhe von 7,1 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Einnahmen im Krisenjahr um rund 2,7 Prozent eingebrochen - die Konjunktur ist übrigens um 5 Prozent eingebrochen -; die Ausgaben der Kommunen stiegen dagegen um 6 Prozent. Das macht deutlich: Wir haben ein Einnahmeproblem und ein noch wesentlich größeres Ausgabenproblem. Verursacht wurde dieses Problem einerseits durch den Einbruch der Gewerbesteuer - bundesweit um 18,4 Prozent, in einzelnen Kommunen um bis zu 40 Prozent - und andererseits durch die Explosion der Sozialausgaben. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Durch Steuersenkungen! - Bernd Scheelen [SPD]: Das Ausgabenproblem ist durch die Gewerbesteuer verursacht? Was ist das für eine Logik? - Gegenruf des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Steuersenkungen werden erst 2010 wirksam!) Diese stiegen um 4,9 Prozent auf insgesamt 40,3 Milliarden Euro. Laufende Ausgaben müssen zunehmend über Kassenkredite finanziert werden. Es ist richtig: Dadurch werden die notwendigen Gestaltungsspielräume der verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung immer geringer. Lassen Sie mich von diesen pauschalen Zahlen absehen; denn die Lage der einzelnen Kommunen stellt sich recht unterschiedlich dar: Neben schuldenfreien Kommunen gibt es solche mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von über 2 000 Euro, und das über alle Gemeindetypen, Gemeindegrößen und Regionen hinweg. Das heißt, manche Kommune muss sich fragen lassen, inwieweit sie konsequent Ausgaben- und Aufgabenkritik betreibt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Bernd Scheelen [SPD]: Also sind die selbst schuld? Man merkt, dass die FDP in den Kommunalparlamenten wenig vertreten ist!) Gleichzeitig gibt es durchaus positive Beispiele: Kommunen, die trotz aller Widrigkeiten ihren Haushalt konsolidieren konnten, zum Beispiel Dresden und Düsseldorf. Die Analyse dieser Best-practice-Beispiele wäre sicherlich lohnenswert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es besteht Konsens, dass die Kommunen eine solide, verlässlichere finanzielle Basis brauchen. Darunter verstehen wir allerdings keine plakativen Worthülsen. Wir streben möglichst schnell eine nachhaltige und tragfähige Lösung an. "Solide" bedeutet: verlässlich, konjunkturunabhängig und weniger schwankungsanfällig auf der Einnahmeseite. Genauso wichtig ist es, die Ausgabenseite zu betrachten. In diesem Zusammenhang sollten wir überprüfen, ob die Zuweisungsschlüssel im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs die Veränderungen der Bevölkerungsstrukturen noch ausreichend abbilden. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Am 4. März hat die Regierungskommission, die sich mit diesen Themenkomplexen befasst, ihre Arbeit aufgenommen. Staatssekretär Koschyk hat diese Woche im Finanzausschuss bestätigt, dass alle Beteiligten zu einer vorurteilsfreien und zielorientierten Zusammenarbeit bereit sind. Das ist schon einmal ein guter Ausgangspunkt. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ich werde aus dem Protokoll zitieren! - Bernd Scheelen [SPD]: Was sollen sie auch machen, wenn sie eingeladen sind? Dann müssen sie auch kommen!) Drei Arbeitsgruppen werden sich mit den Themen kommunale Steuern, Standards und Rechtsetzung beschäftigen. Damit sind die Weichen gestellt. Die von SPD und Linken geforderte Transparenz und Beteiligung der Kommunen sind durch die Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände seit Jahren längst gewährleistet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch vor der Sommerpause wird es einen Zwischenbericht geben, und bis zum Herbst soll das Konzept stehen. Dieser Zeitplan ist sehr ambitioniert, realistisch und dringend notwendig. Die kurzfristigen Hauruck-Aktionen, die die SPD in ihrem Antrag vorschlägt, verpuffen, wenn die strukturellen Defizite nicht behoben werden. Wie fair und solidarisch ist es denn, schlecht wirtschaftenden Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen und die, die sich schmerzhaft konsolidieren, links liegen zu lassen? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden die Grundstrukturen des Systems verbessern. Sie doktern an den Symptomen herum. (Sabine Bätzing [SPD]: Was?) Das ist populistisch und erzielt keine nachhaltige Wirkung. Als kurzfristige Maßnahmen gab es die Konjunkturpakete und die - seit langem höchsten - Zuweisungen an Kommunen. Wie Sie selbst erkannt haben, basieren die Finanzprobleme der Kommunen in erster Linie auf den strukturellen Fehlentwicklungen der letzten Jahre. Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass es die SPD war, die die letzten elf Jahre den Finanzminister gestellt hat (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) und die Kommunen jahrelang im Regen stehen ließ. Die Kommunen leiden nicht unter Schwarz-Gelb, sie leiden an den Folgen von Rot-Grün. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD) Sie selbst beschreiben in Ihrem Antrag, und zwar durchaus richtig, die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen und fordern, dass diese durch mittelfristige und langfristige Maßnahmen beseitigt werden. Da sind wir ganz auf einer Linie. Dann stellen Sie fest, dass der Umfang der kommunalen Aufgaben und Ausgaben und die zur Verfügung stehenden Einnahmen in Einklang gebracht werden müssen. Auch das ist absolut richtig. Doch ist der vorwurfsvolle Ton nicht ziemlich heuchlerisch? Es war schließlich die rot-grüne Regierung, die den Kommunen mit der fortlaufenden Übertragung von Aufgaben finanziell die Luft abgeschnürt hat, (Joachim Poß [SPD]: Was? - Bernd Scheelen [SPD]: Damit haben wir Geld geliefert!) zum Beispiel mit dem Gesetz zum Krippenausbau ohne gleichzeitige Kostenübernahme (Bernd Scheelen [SPD]: Anders als Schwarz-Gelb unter Kohl!) und mit dem Gesetz zu den Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Lassen Sie sich nicht durcheinanderbringen! Die haben keine Ahnung da drüben! - Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das müssen Sie alles einmal nachlesen!) - Das habe ich sehr wohl nachgelesen, Herr Binding. - Soll Ihr gegenwärtiger Aktionismus eventuell die Fehler Ihrer eigenen Regierungszeit kaschieren? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das müssen Sie nicht tun. Wir gehen die Themen jetzt an. (Joachim Poß [SPD]: Die von der FDP erzählen die ganze Zeit nur Unsinn!) Strukturelle Probleme müssen mit Strukturreformen gelöst werden. Ich lade Sie ein, konstruktiv, vorurteilsfrei und offen mitzuarbeiten. Diskussionsgrundlage, auch der Kommission, ist die im Koalitionsvertrag vereinbarte Strukturreform. Die in höchstem Maße konjunkturabhängige Gewerbesteuer soll aufkommensneutral ersetzt werden durch eine stabile, verlässlichere Einnahmequelle, durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit einem eigenen Hebesatzrecht für die Kommunen. Wir diskutieren ergebnisoffen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Gott, Frau Reinemund, um Ihre Vorstellung von der kommunalen Wirklichkeit sind Sie wirklich nicht zu beneiden. Ich rate Ihnen: Fahren Sie einfach einmal nach Nordrhein-Westfalen und unterhalten Sie sich mit den Menschen, die in den Kommunen Politik machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) In Ihrer Wirklichkeit kommt Kommunalpolitik nicht vor. Ihre latente Botschaft war: Es gibt Kommunen, die haben es geschafft, die haben sich aus eigener Kraft saniert, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Richtig!) und es gibt welche, die haben das nicht getan, die haben sich anscheinend nicht genug angestrengt. Meinen Sie, den Kommunen eine solche Botschaft übermitteln zu müssen? In den Kommunen gibt es 35 Milliarden Euro Kassenkredite. 15 Milliarden Euro davon gibt es allein in Nordrhein-Westfalen. Ich rate wirklich niemandem in diesem Haus, eine Botschaft nach dem Motto: "Wisst ihr, ihr habt einfach nur eine falsche Politik vor Ort gemacht, und daran liegt das Wohl und Wehe der Kommunen" zu propagieren. (Gisela Piltz [FDP]: Nicht die, Sie haben die falsche Politik gemacht!) Ich finde das ungeheuerlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vermitteln Sie das einmal Leuten, die jeden Tag Kommunalpolitik machen, und das auch noch ehrenamtlich. (Gisela Piltz [FDP]: Was ist denn unter Rot-Grün für die Kommunen gemacht worden?) Genauso unangenehm fällt eine Bemerkung der Kanzlerin auf. In Wahlkampfreden sagt sie dauernd - in Nordrhein-Westfalen tritt sie zurzeit besonders häufig auf; (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist doch schön!) ob das hilft, sei einmal dahingestellt; der CDU geht es ja schlecht; (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wieso das denn?) das wissen die CDUler hier vorne selber -: Wir müssen jetzt etwas für die Kommunen tun. Letzte Woche sagte sie noch, die Menschen müssten Spaß an Kommunalpolitik haben. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]) Wie wahr, Frau Merkel. Nur, dann muss man hier in Berlin endlich einmal mit der kommunenfeindlichen Politik aufhören. Herr Dautzenberg, das wissen Sie doch ganz genau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: 2008 waren Überschüsse in den Haushalten! Bis 2005 war es ein Minus!) Frau Reinemund, auch wenn Sie erst seit Beginn dieser Legislaturperiode dabei sind: Es ist eine Mär, dass die Situation, die heute in den Städten und Gemeinden herrscht, das Resultat von rot-grüner Politik ist. Wissen Sie eigentlich, wie lange hier schon eine andere Regierung existiert, wie lange in Nordrhein-Westfalen Schwarz-Gelb regiert und wie viele Klageverfahren die Kommunen dort gerade gegen diese schwarz-gelbe Landesregierung anstreben? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Unter Rot-Grün war ein Minus in Nordrhein-Westfalen!) Ich glaube, Sie wissen es nicht. Aber ich will mich nicht zu lange damit aufhalten. Vielleicht nenne ich Ihnen einfach einmal ein paar Fakten. Mindereinnahmen für die Kommunen seit Ende 2008 durch Bundesbeschlüsse - - (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Bis 2008, Frau Kollegin, waren Überschüsse in den Haushalten! Bis 2005 gab es ein Minus! Unter Rot-Grün! - Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ja! Und 2008 war das beste Jahr für die Kommunen!) - Seien Sie doch erst einmal ganz ruhig. Das waren Bundesbeschlüsse. Da haben Sie von der CDU mitregiert. Da können Sie nicht sagen: Rot-Grün war es! Mindereinnahmen für die Kommunen seit Ende 2008 - da gab es noch Schwarz-Rot - durch Bundesbeschlüsse: Die Mindereinnahmen durch die Konjunkturpakete I und II - sie brachten 10 Milliarden Euro zusätzlich für die Kommunen für zwei Jahre; was haben wir uns alle auf die Schultern geklopft - betrugen 2,5 Milliarden Euro. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Bürgerentlastungsgesetz: 1,7 Milliarden Euro Mindereinnahmen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wollen Sie keine Kindergelderhöhung, Frau Kollegin?) Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz: 1,6 Milliarden Euro Mindereinnahmen; dies wurde jetzt unter Schwarz-Gelb beschlossen. Über die Änderung steuerlicher Regelungen bei Funktionsverlagerungen wird ja Ende der Woche im Bundesrat entschieden. Jürgen Rüttgers reißt gerade den Mund ganz weit auf (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Braucht er gar nicht, weil das sinnvoll ist!) nach dem Motto, er stimme keinem einzigen Gesetz mehr zu, das negative Auswirkungen, sprich Steuersenkungen, für die Kommunen bedeutet. Am Freitag werden wir einmal sehen, wie Jürgen Rüttgers im Bundesrat abstimmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Er kann zustimmen!) Besteuerung von Funktionsverlagerungen: 0,65 Milliar-den Euro weniger für die Kommunen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Quatsch! - Gegenruf des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das steht im Finanztableau!) Sie wissen das alles. Das ergibt unter dem Strich - ich sage das für die, die nicht so schnell mitgerechnet haben - knapp 6,5 Milliarden Euro Mindereinnahmen seit Ende 2008 nur durch Bundesbeschlüsse. Wie sollen die Städte und Gemeinden das verkraften? Erklären Sie uns das doch einmal! (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das steht in der Antwort des Finanzministeriums!) Denn zu diesen Steuerbeschlüssen kommen noch die wahnsinnigen Auswirkungen der Krise und der aktuellen konjunkturellen Situation. Die aktuellen Zahlen liegen vor: 14,8 Milliarden Euro weniger für die Kommunen; das ist Fakt. Wir haben bei den Gewerbesteuereinnahmen Einbrüche von 19,7 Prozent und bei den Steuern ein Minus von 11,4 Prozent. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wie viel Minus hat der Bund, Frau Kollegin?) Kommen Sie doch hier nicht mit typischen Erklärungsmustern wie "man werde schon helfen" und "es werde schon besser werden", wenn die Kommunen Kritik an der Aufgabenzuweisung äußern. Wir müssen hier im Bundestag systematisch auf Steuersenkungen verzichten. Geben Sie doch endlich einmal eine Garantie dafür ab, dass Sie davon absehen, Ihre Steuersenkungspläne weiter zu verfolgen; denn Sie schaden den Kommunen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Erklären Sie den Menschen doch einmal, wie Sie die Gewerbesteuer ersetzen wollen. Die Einnahmen durch die Gewerbesteuer betragen 35 Milliarden Euro. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: In der Spitze, ja!) - In der Spitze, Herr Dautzenberg, okay. Aber Sie sprechen doch dauernd vom Wachstum und sagen, dass es besser wird. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Unter uns ist das gewachsen, Frau Kollegin!) Wenn Sie auf diese 35 Milliarden Euro verzichten wollen, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ersetzen!) was Sie ja anscheinend planen - die FDP erklärt doch dreimal pro Woche, sie wolle die Gewerbesteuer abschaffen -, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Ersetzen!) dann sagen Sie doch einmal, wer diese 35 Milliarden Euro dann zahlen soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]: Die Wirtschaft! - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist nur eine Ausrede, um nächstes Jahr die Mehrwertsteuer zu erhöhen!) Wenn die Kommunen dies über ihre Anteile an der Körperschaftsteuer, der Einkommensteuer, der Mehrwertsteuer und der Umsatzsteuer ausgleichen, bedeutet das, meine Damen und Herren - ich sage das auch an die Menschen, die heute der Debatte zuhören -, dass nicht mehr die Unternehmen vor Ort durch die Gewerbesteuer in die Verantwortung genommen werden, (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das ist doch Blödsinn!) um auch ihren Beitrag zur Daseinsvorsorge zu leisten, sondern dass die Bürgerinnen und Bürger in die Haftung genommen werden. (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das ist auch Blödsinn!) Das ist Fakt, wenn wir uns von der Gewerbesteuer verabschieden und eine Verlagerung in Richtung Einkommensteuer vornehmen. Körperschaftsteuer betrifft auch Unternehmen; darüber können wir gerne diskutieren. Aber eine Verlagerung in Richtung Einkommensteuer- und Umsatzsteueranteile zahlen - das wissen Sie ganz genau - am Ende die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb stehen Sie in der Frage schlecht da. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Haßelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dautzenberg? Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, natürlich, Herr Dautzenberg. Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Frau Kollegin Haßelmann, konstatieren Sie und stimmen Sie mir zu, dass die Gewerbesteuer durch einen betrieblichen Teil der Einkommensteuer ersetzt wird und dass die Körperschaftsteuer der klassische Teil der Unternehmensbesteuerung ist? Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Dautzenberg, wir beide wissen sehr genau, wie die Gewerbesteuer funktioniert. Deshalb glaube ich auch, dass Sie wissen, dass die Pläne der FDP, die Gewerbesteuer komplett abzuschaffen, problematisch sind. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Ersetzen!) Ich weiß, dass Sie persönlich immer "ersetzen" sagen. (Zuruf von der FDP: Ja, wir auch!) Aber Ihre Koalition sagt: Wir schaffen das Ganze ab. Da liegt der Unterschied. Wir beide wissen genau, wie es funktioniert. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Soll ich die Frage noch einmal stellen?) Ich sage Ihnen: Sie dürfen die Unternehmen nicht aus der Verantwortung für die Daseinsvorsorge ihrer Stadt und Gemeinde - sie müssen hier Verantwortung zeigen - entlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Zuruf von der FDP: Das hat niemand vor! - Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Dautzenberg, möchten Sie eine zweite Frage stellen? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja!) Lassen Sie, Frau Haßelmann, eine zweite Frage zu? Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, ich habe auf Ihre Frage hinreichend geantwortet. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein! Das finde ich nicht!) Die Detailprobleme im Hinblick auf die Gewerbesteuer werden wir in meinem Redebeitrag von noch einer Minute nicht lösen. (Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Deswegen haben wir ja eine Kommission!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich muss korrigieren: Sie haben noch eine halbe Minute, wie Ihnen auch angezeigt wird. (Vereinzelt Heiterkeit) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Okay, gut. Wir werden die Debatte über die Gewerbesteuer fortsetzen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber nichts unterstellen!) - Nein. Wir wissen doch ganz genau, wovon die Rede ist. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja, eben!) Sie arbeiten mit verteilten Rollen. Jürgen Rüttgers erklärt überall in Nordrhein-Westfalen: Es gibt keine weiteren Steuersenkungen zulasten der Kommunen, und die Gewerbesteuer bleibt bestehen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein! Das hat er so nicht gesagt! Zitieren Sie ihn bitte nicht falsch!) Gleichzeitig planen Sie hier etwas ganz anderes. Sie wollen die Gewerbesteuer abschaffen. Sie machen sich aber einen schlanken Fuß, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) indem Sie die Diskussion in die Kommission verlagern. Sie wollen am liebsten außerhalb des Parlaments, nämlich in der Kommission, darüber diskutieren. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ach! Das ist doch Quatsch!) Wir werden erst beteiligt, wenn das Ganze beschlossen ist. Dann darf auch das Parlament etwas dazu sagen. Jetzt möchte ich noch einen Satz an die SPD richten. Ich freue mich, dass Sie, wie auch wir, eine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer wollen, zum Beispiel durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aha! Hin zur Substanzbesteuerung, ja?) An dieser Stelle sage ich Ihnen: Für einen Teil der Steuerbeschlüsse tragen, wie ich gerade ausgeführt habe, auch Sie Verantwortung. (Joachim Poß [SPD]: Für die Konjunkturpakete!) Mich ärgert, dass Sie sich einen schlanken Fuß gemacht haben, als wir in der letzten Woche im Bundestag über die Kosten der Unterkunft gestritten haben. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Haßelmann, das ist ein sehr langer letzter Satz. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Ende. - Wir haben ganz klar gesagt: Die Kosten der Unterkunft müssen sich an den tatsächlichen Kosten orientieren; denn sonst zahlen die Städte und Gemeinden die Zeche. Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht, den Sie abgelehnt haben. Eine Erhöhung um 3 Prozentpunkte reicht an dieser Stelle nicht aus. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie sprechen jetzt auf Kosten Ihrer Fraktion. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wissen Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir mussten den größten Wirtschaftseinbruch seit den 30er-Jahren hinnehmen. 2009 sackte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 5 Prozent ab. 2010 ist nur mit einer leichten Erholung auf niedrigem Niveau zu rechnen. Die schwerste und gefährlichste Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg schlägt auf alle Gebietskörperschaften durch. Wir stehen vor einer Herkulesaufgabe. Die Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, unter anderem die daraus resultierenden gewaltigen Einnahmeeinbrüche der Kommunen, müssen wir möglichst schnell beseitigen. Dazu gibt es, wie diese Debatte zeigt, unterschiedliche Ansätze. Wir wollen Finanzmarktstabilität, Wachstum und Konsolidierung. Das ist unser Ziel. Wir müssen natürlich zunächst einmal über die Ausgangslage reden: Wie sah die Ausgangslage aus? 2008 hatten wir noch hervorragende Verhältnisse. Die Kommunen verzeichneten einen Überschuss in Höhe von 7,7 Milliarden Euro; (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) das ist eine Tatsache. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) 2009 sanken die Steuereinnahmen auf 62,4 Milliarden Euro. Das war ein Rückgang gegenüber dem Vorjahresbetrag um 11,4 Prozent. Letzten Endes wurde durch diese Entwicklung, die eindeutig mit der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zu tun hat, ein großes Loch in die Haushalte der Kommunen gerissen. Heute beträgt das Defizit 7,1 Milliarden Euro. Das ist die Ausgangslage, die den akuten Handlungsbedarf aufzeigt. Das kommunale Handeln ist aufgrund der Finanzkrise zweifellos stark eingeschränkt. Die Situation der Kommunen muss stabilisiert werden. Der politisch motivierte Versuch der Opposition, diese Probleme der heutigen Bundesregierung anzulasten, ist jedoch unglaubwürdig, sachlich falsch und nicht zielführend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ihre Polemik, meine Damen und Herren, hilft unseren Kommunen nicht. Nur Reformfähigkeit, Wirtschaftsförderung und Entlastung helfen unseren Kommunen. Das ist der richtige Rettungsschirm, nicht aber Steuererhöhungen, Mangelverwaltung und was Sie sonst noch auf Ihrer Agenda haben. Wir wollen unseren Kommunen konkret helfen, und zwar durch Finanzmarktstabilität, Konsolidierung und Wachstumsentwicklung. (Joachim Poß [SPD]: Durch Ankündigungen!) Die Sicherung der Kommunalfinanzen ist für uns ein wichtiges Anliegen. Die Bekämpfung der Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Kommunen wird offensiv angegangen. (Joachim Poß [SPD]: Was? Durch die Bildung einer Kommission!) Wir haben das Konjunkturpaket II geschnürt. Es ist ein Erfolgsmodell. Maßnahmen im Umfang von 8,3 Milliarden Euro wurden in die Wege geleitet. Ich verstehe nicht, dass es Länder in dieser Republik gibt - insbesondere die, die von Ihnen regiert werden -, die das Zusätzlichkeitskriterium im Zukunftsinvestitionsgesetz aufweichen wollen. Das ist kontraproduktiv. Wir wollen keine Förderung mit der Gießkanne, sondern das Gegenteil: eine gezielte Förderung der Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie das der Regierung! Das kommt doch aus Ihren Reihen! - Bernd Scheelen [SPD]: Das hat die Kanzlerin doch versprochen!) Wir haben die Einsetzung einer Gemeindefinanzkommission beschlossen. (Joachim Poß [SPD]: Mensch, Herr Michelbach, lassen Sie sich aufklären!) Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie die Umsetzung des Koalitionsvertrages jetzt schon konkret angegangen ist. Herr Bundesfinanzminister, die Einsetzung einer Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen ist in der jetzigen Zeit der richtige Weg. Dafür sind wir dankbar. Die Kommission wird auf der Basis einer Bestandsaufnahme Vorschläge zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung erarbeiten und bewerten. Im Rahmen dieser Bestandsaufnahme soll es auch um die Frage der Gewerbesteuer sowie um die Frage der anderen Finanzbeziehungen zwischen Wirtschaft und Kommunen gehen. (Bernd Scheelen [SPD]: Wir sprechen uns Ende des Jahres wieder!) Wir wollen ein stabiles Band zwischen Wirtschaft und Kommunen. Wir wollen dieses Wellental bei der Gewerbesteuer nicht mehr. Wir wollen eine Verstetigung der Einnahmen der Kommunen. Das ist ein wesentlicher Punkt. Wir wollen deutlich machen, dass in einer Finanzverfassung, wie wir sie haben, nicht nur im Falle von Steuermehreinnahmen, sondern auch im Falle von Steuermindereinnahmen alle Gebietskörperschaften beteiligt sind. Anders geht es nicht. Wir können doch keinen Verschiebebahnhof organisieren. Das wäre völlig falsch. (Bernd Scheelen [SPD]: Sie machen Steuergeschenke zulasten Dritter!) Wir betreiben in dieser Frage eine konsequente und fachlich klare Haushalts- und Steuerpolitik gemäß unserer Finanzverfassung. Wenn Sie die Einnahmeseite stärken wollen, dann müssen Sie Leistungsanreize setzen. Diese Anreize setzen wir durch unsere steuerpolitischen Maßnahmen. Für die Kommunen bedeutet das zukünftig Mehreinnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Manfred Zöllmer [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!) Es handelt sich dabei nicht um Steuergeschenke. Substanzbesteuerung ist kontraproduktiv. Das, was wir im Wachstumsbeschleunigungsgesetz gemacht haben, ist für die Kommunen hilfreich. (Bernd Scheelen [SPD]: Das sehe ich aber ganz anders!) Wir haben zum Beispiel die Verlustnutzung bei Sanierungen von Betrieben zugunsten des Erhalts von Betrieben und Arbeitsplätzen erst wieder möglich gemacht. Was nützt es unseren Kommunen, wenn die Betriebe vor Ort vor die Hunde und Arbeitsplätze verloren gehen? Es darf keine Substanzbesteuerung geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Korrektur war absolut zielführend für unsere Kommunen. Das gilt auch für die Zinsschrankenänderung und die Funktionsförderung in der Forschung. Das alles sind ganz gezielte Maßnahmen, die uns in unserer Aufgabe, die Kommunen zu stabilisieren und zu stärken, voranbringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ganz fatal ist es, wenn Sie ausgerechnet die Förderung von Familien sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, also das Kindergeld und die Tarifentlastung, geißeln. Das ist doch eine verkehrte Welt. Auch durch den Konsum entstehen Mehreinnahmen bei den Kommunen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wo denn?) Deswegen sage ich: Sie haben mit diesen Einnahmeausfällen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro für die Kommunen aus dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz den Teufel an die Wand gemalt. Die Tatsachen sehen nämlich ganz anders aus. Wir haben ein klares Konzept für Wachstum, Finanzmarktstabilität, Entlastung und Förderung der Kommunen. Das sind die richtigen Rettungsschirme, und sie werden uns zum Erfolg führen. Deswegen sind Ihre Anträge für die Kommunen absolut kontraproduktiv. Wir haben ein klares ökonomisches Konzept, wie wir in die Zukunft gehen wollen. Das wird den Kommunen letzten Endes helfen, so, wie es 2008 zum Erfolg geführt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sabine Bätzing für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sabine Bätzing (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute auch über die Mehrwertsteuerermäßigung für Hotelübernachtungen, die uns diese Koalition eingebrockt hat, (Otto Fricke [FDP]: Dieses Thema hatten wir ja schon lange nicht mehr!) mit der sie den Hotels Millionen geschenkt und den Kommunen Millionen genommen hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch aus diesem Grund ist ein Rettungsschirm für Kommunen notwendiger denn je. Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir der Union und der FDP dankbar sein; denn der schwarz-gelben Koalition ist etwas gelungen, was mit Gesetzen nicht immer gelingt: Sie hat unser Leben tief und nachhaltig beeinflusst. Den Beweis halte ich hier in meinen Händen. Ich darf aus einem Hinweis des Referates PM 2 der Verwaltung des Deutschen Bundestages zur Abrechnung von Reisekosten zitieren: Die Kosten für das Frühstück können ab sofort nur erstattet werden, wenn eine Arbeitgeberveranlassung vorliegt. Danke, liebe Regierungskoalition! Wenn wir Sie und Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz nicht gehabt hätten, hätten wir das nie erfahren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie werden mir verzeihen, wenn ich etwas sarkastisch bin; aber die Mehrwertsteuerermäßigung für Übernachtungen - wir wollen sie mit unserem Gesetzentwurf heute rückgängig machen - bietet sich geradezu dafür an, sarkastisch zu sein. Ich habe mir in der Vorbereitung auf die heutige Debatte noch einmal angeschaut, was mein Kollege Martin Gerster am 9. Februar im Finanzausschuss gesagt hat. Mein Kollege hat einfach die Äußerungen verschiedener Politiker zu diesem Thema aufgelistet. Ich sage Ihnen: Aus diesen Äußerungen könnte man ein ganzes Comedyprogramm gestalten. Kolleginnen und Kollegen, we proudly present: Herr Dr. Pinkwart von der nordrhein-westfälischen FDP will das Gesetz aussetzen; man habe ein "bürokratisches Monster" geschaffen. Herr Dr. Rüttgers findet das gut - nicht das mit dem bürokratischen Monster, sondern das, was Herr Dr. Pinkwart gesagt hat. Da frage ich mich: Wer hat dem Gesetzentwurf eigentlich im Bundesrat zugestimmt? Der Kollege von der CDU, Herr Kolbe, sagte am 25. Januar der Presse, dass die Mehrwertsteuerermäßigung der Koalition den Start vermasselt habe. Auch der Kollege Dr. Wissing von der FDP war mit dem Entwurf und der Bevorzugung von Sondergruppen nicht zufrieden. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Hört! Hört! - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Schallplatte hat einen Sprung!) Da frage ich mich: Wer hat dem Gesetzentwurf eigentlich im Finanzausschuss zugestimmt? Unser Bundestagspräsident, Herr Dr. Lammert, hielt die Mehrwertsteuerermäßigung für eine "nicht vertretbare Regelung". Da frage ich mich: Wer hat dem Gesetzentwurf eigentlich im Bundestag zugestimmt? (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie reden ja wie eine Schallplatte!) Es könnte trotzdem alles in Ordnung sein, wenn wenigstens die Hotelbetreiber dankbar und zufrieden wären. Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil, die Hotels haben plötzlich einen erhöhten Verwaltungsaufwand. Genauso geht es den Reiseunternehmen, den Wirtschaftsverbänden und den Finanzämtern. Wir halten also fest: Die Mehrwertsteuerermäßigung für Hotels ist Mist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Otto Fricke [FDP]: Ich dachte, Opposition ist Mist! - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Opposition ist Mist!) Immerhin können wir durch die Mehrwertsteuerermäßigung für Hotels viel Neues lernen: Tierpensionen sind keine Hotels; sie genießen keine Steuerermäßigung. Allerdings ist die Übernachtung des Tieres doch steuerermäßigt, wenn es mit einem Menschen in einem Hotel übernachtet. Wenn Kabinen auf Schiffen der Beförderung dienen, sind sie nicht steuerermäßigt, wenn sie dem Wohnaufenthalt dienen, schon. Der Handtuchwechsel im Hotel ist steuerermäßigt. Bahnfahrten im Schlafwagen sind es nicht. Plätze zum Abstellen von Fahrzeugen sind, selbst wenn es sich bei diesen Fahrzeugen um Campingmobile handelt, nicht steuerermäßigt - es sei denn, es handelt sich um Campingplätze. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch Tagungsräume und Stundenhotels sind nicht umsatzsteuerermäßigt - wenigstens etwas. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Vergnügungsteuer, Frau Kollegin!) Was sagt die Finanzverwaltung dazu? Sie will bei der Anwendung des Gesetzes kulant sein. Gott sei Dank, was für eine Erleichterung für den Bürger! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden das Steuerrecht spürbar vereinfachen und von unnötiger Bürokratie befreien. Wissen Sie, wer das gesagt hat? - Das waren die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN) Aus diesem Grund wollen wir eine Kommission einsetzen, die sich mit der Systemumstellung bei der Umsatzsteuer sowie dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze befasst. Wissen Sie auch, wer das gesagt hat? - Genau: Auch das steht in dem Koalitionsvertrag. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Zeit wird es, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen; denn das Einzige, was Sie zwei Monate nach Inkrafttreten Ihres Gesetzes haben sinken sehen, sind nicht die Hotelpreise, sondern Ihre Umfragewerte. (Bernd Scheelen [SPD]: Das ist das Positive an diesem Gesetz!) Die Hotelpreise sind im Gegensatz dazu gestiegen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich frage mich: Was war denn eigentlich noch einmal das Ziel, das mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz verbunden war? Wachstum? Meinten Sie das Wachstum der Gewinnmarge der einzelnen Lobbygruppen oder das Wachstum der Branche durch mehr Übernachtungen? (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben das Thema verfehlt! - Gegenrufe von der SPD: Oh!) Ob und wie viel investiert worden ist, ist eine schöne Frage, die wir uns aufheben, und Sie können sich sicher sein, dass wir sie immer und immer wieder stellen werden, es sei denn, Sie machen heute dem Spuk ein Ende (Otto Fricke [FDP]: Können Sie sich nicht weniger mit der Vergangenheit beschäftigen?) und stimmen unserem Gesetzentwurf heute zu, mit dem Sie das Thema ein für alle Mal vom Tisch hätten. Außerdem hätten Sie den großen Vorteil, politische Größe gezeigt zu haben. Das wird aber wahrscheinlich nicht passieren. (Bernd Scheelen [SPD]: Ist nicht zu erwarten!) Warum nicht? - Das wird deshalb nicht geschehen, weil es Ihrem Plan für Deutschland widersprechen würde, wenn wir ein Land hätten, in dem die Politik nicht durch die Interessen einzelner Wirtschaftsteilnehmer bestimmt wird, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Märchen gehen nicht in Erfüllung, Frau Kollegin! Das ist der Punkt!) und wenn wir ein Land hätten, in dem man einen Interessenausgleich sucht, statt nur die Interessen einer bestimmten Klientel zu vertreten. Manchmal wird von der FDP ja nicht nur das Interesse einer Branche, sondern sogar das Interesse eines einzelnen Wirtschaftsteilnehmers höher als das Allgemeinwohl gewertet. (Beifall bei der SPD) Herr Westerwelle hat uns ja immer wieder gesagt, wie er sich seine Welt vorstellt, (Joachim Poß [SPD]: Ja, seine Welt!) eine Welt mit Menschen, die ihren Lohn nicht mehr von Unternehmen, sondern als ergänzende Sozialleistung vom Staat erhalten, eine Welt mit Unternehmen, die dadurch ihre Gewinne ins Unermessliche steigen lassen, darauf aber möglichst keine Steuern zahlen müssen, (Otto Fricke [FDP]: Wann hat er das denn gesagt?) eine Welt mit Kommunen, die nicht mehr für sich selber sorgen können und nach dem Willen der FDP dann wohl auch abgeschafft werden müssen. (Otto Fricke [FDP]: Wann hat er das denn gesagt? - Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das sagt er jeden Tag! Das ist die Übersetzung, Herr Kollege!) Gott sei Dank regiert die FDP aber nicht alleine; sie hat ja noch einen Koalitionspartner. Was macht der? - Nun, die CSU mosert zwar ständig gegen die FDP, (Joachim Poß [SPD]: Mit Ausnahme von Michelbach!) macht aber nichts richtig Eigenes. Die CDU lässt jeweils eine Seite gewähren und versucht im Erfolgsfalle, das Ganze als ihre Idee hinzustellen. Das kennen wir aber schon aus der Großen Koalition. Ich und mit mir Hunderte von Kommunen in Deutschland wollen endlich einmal eine Antwort auf die Frage bekommen, wie die Regierung die finanzielle Zukunft der Kommunen sieht. (Otto Fricke [FDP]: Nachdem Sie elf Jahre lang nichts unternommen haben!) Die Antwort der Regierung lautet: Wir haben dafür eine Kommission. (Otto Fricke [FDP]: Ja! Was hattet ihr?) Meine Frage lautet: Was machen Sie denn inzwischen? Was machen Sie bis zur NRW-Wahl? Nichts? Sagen Sie den Kommunen, dass Ihnen das Wahlergebnis in NRW wichtiger ist, als es die Finanzen und damit auch die soziale und kulturelle Ausstattung der Kommunen sind? (Beifall bei der SPD) Sagen Sie ihnen, dass Sie auch weiterhin Gelder, die die Kommunen wirklich brauchen, an Wirtschaftsunternehmen verteilen wollen? Sagen Sie ihnen das wirklich? Mein üblicher Schlusssatz: Schaffen Sie die Klientelpolitik ab, stimmen Sie unserem Antrag zu, und kümmern Sie sich endlich um die Probleme in diesem Land! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gisela Piltz (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bätzing, Sie haben sich heute hier eines ernsthaft erworben, nämlich den Titel der Märchenerzählerin des Tages. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Bernd Scheelen [SPD]: Die Rede war spitze! Voll super! - Weitere Zurufe von der SPD: Oh!) Sie haben dabei nur eines vergessen: dass nämlich gerade Ihre SPD in Bayern die Mehrwertsteuersenkung für Hotels und Gastronomiebetriebe genauso gefordert hat. Weil an Ihrem Märchen etwas gefehlt hat, möchte ich das ergänzen: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann reden sie als SPD in Bayern noch immer in der Opposition. - Daran sollten Sie immer denken. (Beifall bei der FDP - Sabine Bätzing [SPD]: Schauen Sie sich einmal die aktuellen Umfragen an!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufgabenstellung ist eindeutig: Der Schieflage in den kommunalen Haushalten muss jetzt entgegengewirkt werden. Wir müssen jetzt handeln, um die immer deutlicher werdende Misere - ich glaube, das sehen wir alle im Haus so - in den Griff zu bekommen. So gesehen finde ich es gut, wenn hier im Haus Konsens herrscht. Erstaunlich ist nur, dass gerade die Kolleginnen und Kollegen von der SPD hier so auftrumpfen. Sie haben die Kommunen elf Jahre lang mit drei Finanzministern gequält. (Bernd Scheelen [SPD]: Das war eine gute Zeit für die Kommunen!) Das waren Herr Lafontaine - daran erinnern Sie sich nicht so gerne -, Herr Eichel und Herr Steinbrück. Aber keiner Ihrer Minister hat es geschafft, eine wirklich grundlegende Lösung zu finden. Von daher müssen Sie sich erst einmal selbst fragen lassen, was Sie eigentlich gemacht haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, was Sie machen wollen!) Wenn ich von Ihnen höre: "Wir brauchen eine kommunalfreundliche Politik", dann sage ich Ihnen eines: Das machen wir jetzt, weil Sie es nicht hinbekommen haben. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Scheelen, Frau Haßelmann, Sie erzählen hier ja immer von den Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Ich kann Ihnen dazu eine Geschichte erzählen. Ich darf sie erzählen, weil ich ja gelernt habe, wie man das macht. (Zuruf von der SPD: Märchen, Märchen, Märchen!) - Nein, das ist leider kein Märchen: Sie sind schuld daran, dass es Köln so schlecht geht. 1999 bei der Kommunalwahl hat es in Köln und in Düsseldorf eine deutliche Mehrheit für Schwarz-Gelb gegeben. Ich kann Ihnen sagen, was in Düsseldorf passiert ist: Wir haben dort zehn Jahre lang die kommunalen Haushalte saniert. (Zuruf von der LINKEN: Sie haben alles verkauft! - Bernd Scheelen [SPD]: Auf bester Grundlage: Landeshauptstadt, Rhein, Flughafen!) Wir sind seit Jahren schuldenfrei. Wir haben über 100 Millionen Euro in die Schulen investiert und jede Steuer gesenkt. Den Unternehmen geht es gut und den Bürgerinnen und Bürgern auch. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was ist in Köln passiert? Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Piltz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann? Gisela Piltz (FDP): Nein, im Moment nicht. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! Nicht mit Fakten kommen!) Sie kommt ja weder aus Köln noch aus Düsseldorf. Und nach einer Kurzintervention, Frau Haßelmann, habe ich drei Minuten Zeit zum Antworten; das ist noch schöner. Vizepräsidentin Petra Pau: Es gibt kein Grundrecht auf Kurzinterventionen. Insofern ist noch nicht klar, ob Sie diese drei Minuten zur Antwort überhaupt erhalten. (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr, Frau Präsidentin!) Gisela Piltz (FDP): Also: In Köln hat es Rot-Grün geschafft, dass diese Stadt wirklich am Ende ist. (Bernd Scheelen [SPD]: Da war zehn Jahre ein CDU-Oberbürgermeister!) Ich sage das nicht, weil ich Düsseldorferin bin. Ich leide wirklich mit Köln. Manchmal frage ich mich, ob wir als Düsseldorfer nicht Entwicklungshilfe leisten müssten. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das würde Köln nie akzeptieren!) Daran sehen Sie, was eine Regierung unter Rot-Grün kaputtmachen kann. Das sollten Sie sich einfach einmal klarmachen und nicht pauschal davon reden, dass die Situation in Nordrhein-Westfalen so schlimm ist. (Beifall bei der FDP) Frau Haßelmann, noch ein Wort zu Ihnen: Wenn Sie sagen, dass die schwarz-gelbe Regierung in Düsseldorf die Kommunen kaputtgespart hat, dann sage ich Ihnen: Das Land hat dieses Jahr trotz rückläufiger Steuereinnahmen den zweithöchsten Betrag aller Zeiten, nämlich 7,6 Milliarden Euro, an die Kommunen gegeben. Ich frage Sie: Was hat denn Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gemacht, solange es regiert hat? - Gar nichts! Sie haben uns verfassungswidrige Haushalte beschert, mehr nicht! (Beifall bei der FDP - Bernd Scheelen [SPD]: Sie haben 3,1 Milliarden Euro weggenommen!) Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir uns mit der Verstetigung der Kommunalfinanzen beschäftigen. Sie haben eigentlich genau das Gegenteil gemacht: Sie haben über die Substanzbesteuerung auch noch die Liquidität der Unternehmen gefährdet. Das heißt, Sie haben die Einnahmenseite nur begrenzt verbessert, die Finanzsituation der Unternehmen geschwächt und damit die Vernichtung von Arbeitsplätzen bewirkt. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vielleicht können Sie über die Steuersenkung für Unternehmen reden! Was erzählen Sie für einen Unsinn! - Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch mal, was Sie machen wollen!) Ich frage mich, ob es das ist, was Sie gewollt haben. Ich frage mich auch noch etwas anderes, wenn Sie hier immer wieder mit dem Thema Hotels anfangen: Herr Scheelen, wo waren Sie eigentlich, als die sogenannte Große Koalition 5 Milliarden Euro per Federstrich in die Autoindustrie gesteckt hat? Wo sind Sie denn da gewesen? Wo waren Sie denn, als die Kommunalpolitiker der Grünen und insbesondere der SPD gejault haben: Warum gebt ihr der Autoindustrie 5 Milliarden Euro und gebt diese Mittel nicht an die Kommunen? (Bernd Scheelen [SPD]: Hunderttausende von Arbeitsplätzen!) Das habe ich bei Ihnen vermisst. Das ist unehrlich. Aber das mag sicherlich daran liegen, dass Herr Gabriel und die SPD ordentlich Geld mit der Autoindustrie verdient haben. (Beifall bei der FDP - Bernd Scheelen [SPD]: Das ist ja unerhört! Das war zur Rettung von Arbeitsplätzen!) Ich jedenfalls bin froh, Herr Schäuble - und deshalb mein Dank an Sie -, dass Sie sich der kommunalen Finanzen so schnell annehmen. Es ist mir auch wichtig, dass wir nicht nur über die Einnahmenseite, sondern auch über die Ausgabenseite sprechen. Ich hoffe, dass sich alle Mitglieder dieser Kommission - das gilt insbesondere für die Opposition und die kommunalen Spitzenverbände - endlich von dem Gedanken befreien, dass die Gewerbesteuer, so wie sie jetzt angelegt ist, die beste Steuer in diesem Zusammenhang ist. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen das Gewerbe nicht aus seiner steuerlichen Verantwortung entlassen. Aber das muss nicht über die Gewerbesteuer erfolgen. Das müssen Sie irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen. Wenn Sie das immer wieder falsch zitieren, bringt uns das auch nicht weiter. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] - Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie dann?) Zum Schluss noch einige Sätze zu dem Antrag der Linken: Recycling ist sicherlich in der Umweltpolitik schön und richtig, aber nicht bei Ihrem Antrag. Den haben Sie schon in der letzten Legislaturperiode vorgelegt. (Bernd Scheelen [SPD]: Das ist das Modell FDP! Das haben Sie früher auch immer gemacht!) - Nicht immer; nur dann, wenn es sinnvoll war. Aber zu dem Thema dieses Antrags hat es eine Anhörung gegeben, aus der relativ deutlich geworden ist, dass das nicht der richtige Weg ist. Ich zitiere: Die Forderungen aus dem Antrag der Linken sind in der Sache bereits im geltenden Recht verankert. Wir von der christlich-liberalen Koalition wollen die Kommunen beteiligen. Auch das wird Thema der Kommission sein. Kommunen sind aber - das ist schon angesprochen worden - nicht Sache des Bundes, sondern der Länder. Ihr Antrag ist leider nicht klug und bringt uns nicht weiter. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Piltz, kommen Sie bitte zum Schluss. Gisela Piltz (FDP): Ich komme zum Schluss. - Wir glauben, dass die Kommunen unsere Hilfe brauchen. Deshalb gibt es eine Kommission, die handelt, statt nur zu reden. Das haben wir elf Jahre und damit lange genug von Ihnen ertragen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin Haßelmann das Wort. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Piltz, Sie haben über NRW geredet und mich direkt angesprochen. Ist Ihnen bewusst, dass die Stadt Düsseldorf in einer solchen Situation ist - das müsste Ihnen klar sein, weil Sie die Stadt gut kennen -, weil sie ihr gesamtes Tafelsilber verscheuert hat? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Düsseldorf hat sämtliche Beteiligungen verkauft und konnte damit seine massiven Haushaltsschulden sanieren. Das kann man aber nur einmal tun. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Sie suchen Beispiele für Ihre kommunenfreundliche Politik. Ich hoffe, Sie wissen, dass derzeit über 20 Kommunen vor dem Landesverfassungsgericht in Nordrhein-Westfalen gegen Sie, die schwarz-gelbe Landesregierung, klagen, weil Sie systematisch den Kommunen Geld entziehen und Aufgaben von der Landesebene auf die kommunale Ebene delegieren, ohne die Finanzierung dieser Aufgaben sicherzustellen. Über 20 Kommunen klagen gegen Sie. Es gibt ein weiteres Beispiel für Ihre kommunenfeindliche Politik. Sie haben unter großem Applaus Ihrer selbst die Änderung der Gemeindeordnung in Nordrhein-Westfalen gefeiert, in der Sie versucht haben, den Kommunen die wirtschaftliche Betätigung völlig zu entziehen. (Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!) Damit sind Sie jetzt absolut abgestürzt. Sie müssen die Gesetzgebung korrigieren. Die Gemeindeordnung muss geändert werden, weil die wirtschaftliche Betätigung, die unter Schwarz-Gelb beschlossen worden ist, den gerichtlichen Prüfungen nicht standgehalten hat. Das ist ein Beleg für kommunenfeindliche Politik im Land Nordrhein-Westfalen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte, Kollegin Piltz. Gisela Piltz (FDP): Frau Haßelmann, ich will kurz antworten. Erstens. Ich war Fraktionsvorsitzende im Rat einer Stadt. Sie waren Landtagsabgeordnete. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war keine Landtagsabgeordnete!) Ihr Problem ist, dass Sie hier im Bundestag Landespolitik diskutieren wollen. Das ist durchsichtig, und ich finde, das gehört so nicht hierher. (Beifall bei der FDP - Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn von Düsseldorf geredet? - Joachim Poß [SPD]: Sie haben doch von Düsseldorf und Köln gesprochen!) Zweitens. Wenn Sie davon sprechen, dass eine Stadt ihr Tafelsilber verscheuert, dann muss ich Sie darauf hinweisen, dass ich in Düsseldorf noch nie mit silbernem Besteck gegessen habe. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie wissen wohl gar nicht, dass das ein Terminus technicus ist!) Ein weiterer Punkt ist, dass das, was Sie so bedauern, der Stadt Düsseldorf jedes Jahr 50 Millionen Euro bringt, und zwar dauerhaft. Das, was Sie verscherbeln nennen, halte ich für eine gute Anlage, weil wir durch den einmaligen Verkauf von Anteilen jedes Jahr über 50 Millionen Euro an Schuldentilgung sparen. Das ist kluge Haushaltsführung und hat nichts mit dem zu tun, was Sie hier vorgetragen haben. Ich komme zum Schluss. Wenn ich das richtig sehe, ist die Klage, die Sie meinen, in dieser Woche entschieden worden. Leider hat die Landesregierung gewonnen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Ingrid Remmers das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ingrid Remmers (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Regionalverband Rhein-Ruhr hat am Montag eine Resolution gegen die Überschuldung der Kommunen beschlossen. In dieser Sitzung sagte der CDU-Oberbürgermeister aus Hamm: Ich bin seit elf Jahren Oberbürgermeister, beschissen werden wir von beiden Landesregierungen. - Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und SPD, sollte Sie tief erschüttern. (Beifall bei der LINKEN) Nach Auffassung der Linken liegt die Hauptverantwortung für die chronische Unterfinanzierung der Kommunen in der Gesetzgebung des Bundes. Hier müssen die notwendigen Weichenstellungen für die Anpassung an den Finanzbedarf der Kommunen erfolgen. Hatte aber bereits die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer Steuer- und Finanzmarktreform den Grundstein für die heutige Finanzmisere der Kommunen gelegt, sattelten und satteln die Große Koalition und die jetzige Bundesregierung noch kräftig weitere Kosten für Städte und Gemeinden obendrauf. Diese Entwicklung, noch einmal verschärft durch das krisenbedingte Wegbrechen der Gewerbesteuer, führte im letzten Jahr dazu, dass die Städte und Gemeinden insgesamt 7,1 Milliarden Euro mehr ausgegeben haben, als sie im selben Zeitraum eingenommen haben. Für dieses Jahr wird - die Genossin Gesine hat es eben schon gesagt - (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP - Otto Fricke [FDP]: "Genossin Gesine"? Sie meinen wohl die Bürgerin Lötzsch?) ein Rekorddefizit von 12 Milliarden Euro erwartet. Für mein Bundesland NRW heißt dies ganz konkret, dass sich die Haushaltspläne der Kommunen inzwischen zu reinen Sparlisten entwickelt haben, dass in Hagen und Oberhausen der Gesamtwert des städtischen Besitzes inzwischen geringer ist als ihre Verbindlichkeiten und in Städten wie Duisburg, anders als etwa eben in Düsseldorf, die Entwicklung der Gewerbesteuer zur reinen Glückssache geworden ist. Diese völlige Schieflage, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist aus Sicht der betroffenen Kommunen nicht haltbar. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Warum wohl?) Aber erst jetzt, nachdem die Kommunen beginnen, sich öffentlich zu wehren, und angesichts der anstehenden NRW-Landtagswahl sieht sich endlich auch unsere Bundesregierung gezwungen, sich in dieser Frage zu bewegen. Dazu hat sie erst einmal eine Kommission zur Erarbeitung von Reformvorschlägen eingesetzt. Wie halbherzig dieser Ansatz ist, zeigt sich, anders als Kollegin Tillmann es eben behauptet hat, darin, dass schon der Einsetzungsbeschluss der Bundesregierung keine Änderung der Finanzverteilung vorsieht. Dies führt doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die ganze Angelegenheit ad absurdum. (Beifall bei der LINKEN) Das bedeutet faktisch, dass eine echte Mitbestimmung der einbezogenen kommunalen Spitzenverbände genauso wenig vorgesehen ist wie etwa die weiterer kommunaler Verbände, Gewerkschaften oder gar der Bürgerinnen und Bürger. Auch der vorliegende Antrag der SPD geht hier völlig ins Leere. Ein verbindliches Mitspracherecht der Kommunen taucht auch hier nicht auf. Sowohl Rot-Grün als auch - - Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Remmers, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Tillmann? Ingrid Remmers (DIE LINKE): Ungern. Vizepräsidentin Petra Pau: Ja oder nein? Ingrid Remmers (DIE LINKE): Sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Rot (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) waren in den vergangenen Jahren die Belange der Kommunen augenscheinlich ziemlich egal. Die Linke fordert, die Kommunen endlich in die Entscheidungen über ihre eigenen Angelegenheiten einzubeziehen und ihnen dabei selbstverständlich reale Mitwirkungsrechte zuzugestehen. (Beifall bei der LINKEN) Darüber hinaus fordern wir die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zur sogenannten Gemeindewirtschaftsteuer. Dazu gehören unter anderem die Einbeziehung der freien Berufe; alle Schuldzinsen und Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren sollen künftig in voller Höhe bei der Ermittlung der Steuerbasis berücksichtigt werden und Gewinne und Verluste dann steuerlich geltend gemacht werden, wenn sie tatsächlich anfallen, um hier Steuerschlupflöcher zu verhindern. Um kleinere Gewerbetreibende nicht zu stark zu belasten, soll der Freibetrag für Freiberufler, kleine Unternehmen und Existenzgründer von derzeit 24 500 Euro auf 30 000 Euro erhöht werden. Nicht zuletzt muss man nach unseren Vorstellungen nicht, wie es hier eben gesagt worden ist, die Gewerbesteuer abschaffen, sondern die Gewerbesteuerumlage der Kommunen an den Bund und die Länder schrittweise, aber schnell senken. (Beifall bei der LINKEN) Diese Vorschläge, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bieten einen praktikablen Weg, um die Eigenständigkeit der Kommunen endlich wieder herzustellen. Da, wo die Kommunen einsparen müssen, braucht es meines Erachtens eine neue Debatte über die Frage, was in Zukunft eigentlich Pflichtaufgabe und was freiwillige Leistung sein soll. Zuletzt sage ich noch einmal klipp und klar, dass auch der Ausverkauf öffentlichen Eigentums - Beispiel Düsseldorf - die faktische Handlungsunfähigkeit der Kommunen mitverursacht hat. (Gisela Piltz [FDP]: Das ist doch Unsinn!) Man kann es nicht oft genug sagen: Der Verkauf von Wohnungen, Stadtwerken und Öffentlichem Personennahverkehr sowie die Einführung von Public-Private Partnerships fanden aus akutem Geldmangel statt und verschlechtern auch noch die langfristigen Aussichten. Damit wird nicht nur die politische Kontrolle über die Infrastruktur weitgehend ausgelagert; auch die möglichen Einnahmen öffentlicher Betriebe verschwinden völlig. Da drängt sich doch schon fast der Eindruck auf, die gewollte Finanznot der Kommunen hätte Methode. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich!) Die Linke hat mit ihren Anträgen, wie ich Ihnen gerade aufgezeigt habe, erfolgversprechende Vorschläge auf den Tisch gelegt. Wir fordern nun die Bundesregierung auf, endlich dafür zu sorgen, dass die Kommunen wieder handlungsfähig werden, und dabei intelligente Vorschläge auch über Fraktionsgrenzen hinweg aufzunehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage der kommunalen Finanzen, der Kommunen ist schwierig. Ich hatte bei manchen Beiträgen, die ich eben in dieser Debatte gehört habe, fast das Gefühl, dass es schon ein bisschen aus dem Blick geraten ist: Die Lage ist wirklich ungewöhnlich ernst. Wahr ist auch: 2008 haben die kommunalen Gebietskörperschaften saldiert einen deutlichen Überschuss erzielt. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!) Es ist also richtig, dass ein Teil der Probleme eine Folge der tiefgreifenden Finanz- und Wirtschaftskrise ist, die uns in den letzten zwei Jahren ereilt hat. Wahr ist aber auch, dass wir bei den Kommunalfinanzen ein grundsätzliches Problem haben, das sich über eine viel längere Zeit hinweg entwickelt hat. Es kommen also beide Dinge zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, es ist unstreitig - deswegen ist es gut, dass wir diese Debatte führen -, dass die Lebensfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Kommunen die Grundlage für die Nachhaltigkeit und Stabilität unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung bildet. Wir dürfen das nicht aus dem Blick verlieren. Ich habe schon ein paar Mal an dieser Stelle gesagt: In einer Welt der Globalisierungen, in einer Zeit, in der Bindungen aufgrund vielfältiger Entwicklungen eher schwächer werden und es schwierig erscheint, die Menschen zu erreichen, ist es umso wichtiger, dass die kommunale Selbstverwaltung - die Bindung der Bürgerinnen und Bürger an die Gemeinde, die Eigenverantwortung und die Gestaltungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in ihrer Gemeinde - vital bleibt. Das ist die Grundlage für die Stabilität und Nachhaltigkeit unserer Freiheitsordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen diese Aufgabe in unserer föderalen Ordnung erfüllen. Wir wissen spätestens seit den beiden Föderalismusreformen, dass diese Ordnung kompliziert ist. Daraus ergeben sich praktische Konsequenzen. Ich begrüße sehr, dass wir uns bei der Frage der Jobcenter darauf verständigt haben, eine gute Grundlage zu schaffen. Wir sehen an jedem dieser Punkte, welche Rahmenbedingungen unsere förderale Ordnung für die Lösung dieser Probleme setzt. Ich füge hinzu - das muss man gelegentlich den Kommunalvertretern sagen -: Unser Bundesstaat, die Bundesrepublik Deutschland, besteht aus den staatlichen Ebenen des Bundes und der Länder, nicht aus drei Ebenen. Die kommunale Selbstverwaltung bildet eine wichtige Grundlage; aber sie ist etwas anderes als eine dritte staatliche Ebene. Das muss man sich gelegentlich ins Bewusstsein rufen. Ich finde es richtig - das muss ich entgegen manch kritischem Einwand sagen -, dass wir uns dafür entschieden haben, die Kommission, in der wir die Probleme aufarbeiten und Lösungsvorschläge erarbeiten wollen - wir wollen und wir werden die Vorschläge noch in diesem Jahr dem Hohen Haus präsentieren -, mit Vertretern der Bundesländer und der Kommunen, der kommunalen Spitzenverbände, zu führen. Deswegen haben wir die Kommission so gebildet. Sie hat ihre Arbeit mit hoher Dringlichkeit aufgenommen. Daran liegt mir, weil das eine prioritäre Aufgabe ist, die wir erfüllen müssen. Ich will zwei Bemerkungen hinzufügen. Ich glaube, dass Ad-hoc-Zuweisungen an die Kommunen durch den Bund, durch Programme des Bundes bis hin zu Rettungsschirmen, wie man sie damals spannte - die aber auch nicht lange halten; sonst hätten Sie nicht so viele Rettungsschirme aus der Vergangenheit erwähnen können, und die Probleme bestehen trotzdem weiterhin -, generell allenfalls die zweitbeste Lösung sind (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Otto Fricke [FDP]: Wenn überhaupt!) - wenn überhaupt -, und zwar im Wesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen führen sie nicht gerade zur Stärkung der kommunalen Eigenverantwortung. Die Kommunen können nicht selbst gestalten; denn auch der goldene Zügel ist ein Zügel. Zweitens befördern sie natürlich nicht gerade die optimale Ressourcenallokation. Denn wenn man Zuweisungen, Zuschüsse bekommt, wendet man in dem Bereich notfalls auch Eigenmittel auf, auch wenn man das anderenfalls nicht machen würde. Deswegen ist es besser - und das ist unser grundsätzlicher Ansatz -, die Grundlagen der kommunalen Finanzen zu stärken, und zwar in zweierlei Hinsicht. Den ersten Punkt habe ich in der bisherigen Debatte ein wenig vermisst. Wir sollten gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden überlegen, ob wir den Kommunen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht größere Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume geben können. Das heißt, wir müssen prüfen: Müssen in Bezug auf die Ausgabenseite und die Leistungsstandards bundeseinheitliche Vorgaben gemacht werden, oder können wir uns zu mehr Eigenverantwortung, zu Regionalisierung, Benchmarking, Wettbewerb bekennen? Ich bin für das Zweite. Genau dafür muss diese Arbeitsgruppe Vorschläge machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir das Problem nicht von der Ausgabenseite, sondern nur von der Einnahmeseite her angehen, werden wir es nicht zureichend lösen können. Im Übrigen befördern wir auf diese Weise langfristig die Entwicklung, dass viele, die sich in der kommunalen Selbstverwaltung heute dankenswerterweise noch engagieren, keine Lust mehr dazu haben, weil sie nichts mehr entscheiden können. Das gilt übrigens auch im Zusammenhang mit der Auslagerung vieler Eigenbetriebe in manchen Kommunen; aber das ist ein anderes Thema. Wir werden diesen Trend nur stoppen, wenn wir der kommunalen Ebene selbst wieder mehr Entscheidungsspielraum und Entscheidungsverantwortung geben. Diesen Aspekt dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der zweite Punkt sind die kommunalen Finanzquellen. Es ist ein altes Thema, dass die Gewerbesteuer eine besonders konjunkturanfällige Steuerquelle der Gemeinden ist. Das kann man nicht ernsthaft bestreiten. (Joachim Poß [SPD]: Aber wir haben sie gemeinschaftlich verbessert! - Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Sie ist aber immer noch anfällig!) - Aber Sie wissen genau, Herr Kollege Poß: In dem Maße, in dem Sie sie verbessern, gehen Sie im Zweifel stärker (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: In die Substanz rein!) in Richtung Substanzbesteuerung. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) Dadurch erreichen wir genau das Gegenteil. Wir haben im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz darüber diskutiert. Ich halte die Entscheidung nach wie vor für zwingend notwendig und richtig, dass wir bei der gegebenen Lage etwa des Einzelhandels in Großstädten und Mittelstädten die begrenzten Korrekturen im Wachstumsbeschleunigungsgesetz festgeschrieben haben, die natürlich zulasten der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer gehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist wahr. Aber wenn die Unternehmen pleitegehen würden, dann wäre die Bemessungsgrundlage null. Damit wäre auch nichts gewonnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das zeigt doch nur die Reformbedürftigkeit. Das kann also nicht falsch, sondern muss richtig sein. Wir haben ja auch einen gewissen internationalen Vergleich. Wir haben uns mit dem Dualismus in der Besteuerung in Deutschland lange beschäftigt, bis hin zur Anrechnung im Rahmen der Einkommensteuer - auch darüber ist schon gesprochen worden -, um das Problem zu minimieren. Die Grundüberlegung, eine Verbreiterung der Finanzierungsgrundlage der Kommunen durch eine Verstetigung des Zuschlags - nicht nur durch die Beteiligung an der Einkommensteuer, sondern auch durch ein Zuschlagsrecht einschließlich Hebesatzrecht bei Einkommen- und Körperschaftsteuer - herbeizuführen, ist doch nichts Schlimmes, sondern dient im Ergebnis der Verankerung der kommunalen Selbstverwaltung in der Breite der Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich weiß schon, dass die Interessenlage und die Betroffenheit der Kommunen unterschiedlich sind. Ich weiß auch, dass das alles andere als einfach ist. Aber genau deswegen sagen wir: Wenn wir den Gesamtzusammenhang, Beteiligung an der Umsatzsteuer, Revitalisierung der Grundsteuer - darüber ist noch gar nicht geredet worden -, Zuschlagsrecht auf Einkommen- und Körperschaftsteuer, sehen, dann hätten wir eine Chance, die Einnahmebasis der Kommunen im Sinne einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung zu festigen. Das ist des Schweißes aller Beteiligten wert. In genau diese Richtung wollen wir arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir dies mit mehr Entscheidungsspielräumen für die Kommunen bei den Ausgaben verbinden, dann erfüllen wir unsere Aufgabe, nämlich die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Dafür bitte ich um Ihre Mitwirkung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Gambke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, ich kann es Ihnen nicht ersparen: (Otto Fricke [FDP]: Auch Sie haben keine andere Idee, als dasselbe wie die anderen zu sagen!) Das Thema ist die Umsatzsteuer. Ich weiß, Sie können es nicht mehr hören; denn die guten Argumente sind vielfach genannt (Otto Fricke [FDP]: Nur nicht von Ihnen!) und von Ihnen, wie ich immer wieder merke, gehört, von vielen auch verstanden und - das lese ich zwischen den Zeilen - für richtig befunden. Nehmen Sie sich doch mal zusammen. Der doch sehr lebendige Vortrag von Kollegin Bätzing hat es vielleicht ein bisschen in den Hintergrund gerückt: (Otto Fricke [FDP]: Das ist aber sehr freundlich formuliert! - Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das war eine Märchenstunde!) Wir reden immerhin von 1 Milliarde Euro, die dem Staat nicht mehr zur Verfügung stehen, weil Sie dieses Geld durch die Umsatzsteuerermäßigung für Hoteliers weggeben. Erkennen Sie dies als Fehler an und nehmen Ihr Gesetz zurück. Stimmen Sie dem Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen zu! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich in der knappen Redezeit, die ich habe, eine grundsätzliche Bemerkung machen. Ich will mit einem Zitat anfangen: Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Lobbygruppen zu vertreten. Aufgabe der Bundesregierung ist vielmehr, ein Steuerrecht zu schaffen, das den berechtigten Belangen der Gesellschaft ... gerecht wird. Würden Sie dem zustimmen? Das hat Kollege Wissing 2008 in der Diskussion zu einem Antrag gesagt, der den Umsatzsteuersatz für Produkte und Dienstleistungen für Kinder beinhaltete. Herr Wissing, Glückwunsch zu dieser Bemerkung und zu dieser klaren ordnungspolitischen Aussage. Aber dann machen Sie doch das, was Sie gesagt haben. Handeln Sie so, wie Sie sprechen. Auch Herr Kolbe von der CDU hat im Übrigen durch sein Abstimmungsverhalten beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz eine klare Aussage getroffen. Dabei ist Herr Kolbe kein Geringerer als derjenige, der bei Ihnen für die Umsatzsteuer verantwortlich ist. Beide Kollegen wissen nämlich, dass die Umsatzsteuer eben kein Steuerungsinstrument ist. Sie eignet sich dafür nicht. Sie wissen auch, dass es jetzt umso schwieriger sein wird, diese Sündenfälle zu stoppen. Was 2008 die Schweineohren waren, sind jetzt die Hoteliers. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Na, na, na!) Kehren Sie auf den Pfad der Ordnungspolitik zurück. Sie wollen eine Kommission zur Reform der Umsatzsteuer einsetzen. Sie verlieren doch hier Ihre Glaubwürdigkeit, wenn Sie dieses Gesetz zur Umsatzsteuerermäßigung nicht sofort stoppen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sie müssen doch die grundsätzlichen Probleme der Umsatzsteuerermäßigung anerkennen. Sie wirkt nicht zielgenau. Sie weist hohe Mitnahmeeffekte auf. Sie hat kaum eine Verteilungswirkung, weil Einkommensmillionäre genauso wie Hartz-IV-Empfänger betroffen sind. In vielen Fällen kommt sie gar nicht beim Verbraucher an. Gehen Sie einmal zu McDonald's. Kaufen Sie einen Hamburger zum Mitnehmen, dann zahlen Sie 7 Prozent Mehrwertsteuer. Kaufen Sie einen zum Verzehr vor Ort, dann sind es 19 Prozent Mehrwertsteuer. Wer profitiert von dieser Differenz von 12 Prozentpunkten? Nicht der Verbraucher, sondern McDonald's. So ist die Wirklichkeit. Die Einnahmeausfälle für den Fiskus sind enorm. Wenn Sie etwas für eine nachhaltige Entwicklung tun wollen, dann investieren Sie bitte in den Klimaschutz, dann investieren Sie bitte in Bildung, aber bitte geben Sie das Geld nicht einfach so den Hoteliers. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Bernhard Kaster für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Bernhard Kaster (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die finanzielle Situation der Gemeinden und Städte ist schlecht, sie ist dramatisch schlecht. Die Wirtschaftskrise - das haben wir in der Debatte schon mehrfach gehört - ist auf der Ebene angekommen, auf der das reale Leben vor Ort stattfindet, nämlich bei unseren Kommunen. Die Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 90 Milliarden Euro, also um 5 Prozent gesunken ist. Was ist nun zu tun? Die SPD beantragt einen Rettungsschirm. Ich sage: Nein, wir brauchen keinen Schirm. Wir brauchen für die Kommunen dauerhaft und nachhaltig gutes Wetter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bernd Scheelen [SPD]: Sie lassen sie im Regen stehen!) Sie fordern eine kurzfristige Stabilisierung, Herr Scheelen. Sie wollen auf zwei Jahre befristete Hilfen bei den Kosten der Unterkunft. So steht es in Ihrem Antrag. Das heißt nichts anders als: Schirm auf, Schirm zu. Für uns, für die Union als Kommunalpartei ist die politische und finanzielle Handlungsfähigkeit unserer Gemeinden und Städte niemals Thema für populistische Anträge. (Beifall bei der CDU/CSU) Die kommunale Ebene, die kommunale Selbstverwaltungsgarantie und die Subsidiarität sind bei uns politisches Fundament. Deshalb werden wir diese Legislaturperiode nutzen, um die politische und finanzielle Handlungsfähigkeit unserer Kommunen nachhaltig zu sichern. Die eingesetzte Regierungskommission unter Leitung von Finanzminister Dr. Schäuble und unter Beteiligung unseres Innenministers de Maizière hat drei große Aufgabenstellungen: erstens die notwendige Verstetigung der Einnahmeseite, zweitens die Begrenzung der Ausgaben und Standards sowie die Schaffung von mehr Flexibilität und drittens die stärkere Beteiligung der Kommunen bei den sie betreffenden politischen Entscheidungsprozessen. Auch auf der Einnahmeseite gehen wir im Hinblick auf nachhaltige Finanzstrukturen ohne Tabus an dieses Thema heran. Das heißt, wir reden über die Ausgestaltung der Gewerbesteuer und auch über Alternativen, über den Anteil am Umsatzsteueraufkommen und über den Anteil am Einkommensteueraufkommen. Als ehemaliger Bürgermeister sage ich Ihnen, dass es mir wichtig ist, bei der Gestaltung der kommunalen Finanzen weiterhin an drei wichtigen Beziehungen, an drei wichtigen Bezugspunkten festzuhalten. Dies sind der Bezugspunkt Gemeinde und Bürger, der Bezugspunkt Gemeinde und Grund und Boden sowie der Bezugspunkt Gemeinde und Wirtschaft. Bei der Ausgestaltung des dritten Bezugspunkts, bei der Ausgestaltung einer wirtschaftsbezogenen Steuer, müssen wir uns Gedanken machen. Aber auch auf der Ausgabenseite müssen wir zwingend über Standards nachdenken. Dies betrifft viele Bereiche und erfordert mehr Flexibilität. Dazu fällt mir ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Trier ein. Über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg befanden sich dort französische Streitkräfte und deren französische Familien. Noch kurz vor dem Abzug der französischen Streitkräfte konnten wir uns damals als Stadträte die französischen Schulen und die französischen Kindergärten ansehen. Wir haben gesehen, wie wohl sich die Kinder dort gefühlt haben. Als wir diese Schulen und Kindergärten jedoch übernommen haben, waren plötzlich Millioneninvestitionen notwendig, weil es hieß, die Scheiben seien zu dünn, der Boden sei zu hart, die Fliesen seien zu glatt usw. Wir brauchen also mehr Flexibilität. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist schon etwas dreist, wer sich heute hier als der Retter der Kommunen aufspielen will. Das muss in dieser Debatte einmal gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Wirtschaftskrise - daran gibt es nichts herumzudeuteln - hat die Kommunen in große finanzielle Schwierigkeiten gebracht. In den rot-grünen Jahren von 1998 bis 2005 hat es einer solchen Wirtschaftskrise aber nicht bedurft, um die Gemeinden finanziell abstürzen zu lassen. Das hat Rot-Grün damals ganz allein geschafft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Wahrheit!) 5 Milliarden Euro Minus im Schnitt in dieser Zeit. Das war damals so gewesen. Ich könnte mehrere Beispiele nennen, wie die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage usw. Lassen Sie mich noch etwas als Rheinland-Pfälzer sagen. Ich finde es schon gewagt, dass Sie in Ihrem Antrag Vergleiche zu Rheinland-Pfalz anstellen. Ich bitte Sie! (Bernd Scheelen [SPD]: Die kümmern sich um die Kommunen!) - Herr Scheelen, Rheinland-Pfalz kümmert sich um die Kommunen in der Weise, dass in Rheinland-Pfalz die Pro-Kopf-Verschuldung der Kommunen aufgrund eines ganz miesen Finanzausgleichs um 30 Prozent höher ist als in allen anderen westlichen Flächenländern. Ich will gar nicht davon sprechen, wofür in Rheinland-Pfalz sonst noch Geld ausgegeben wird. Nürburgring lässt grüßen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ein Finanzminister ist schon zurückgetreten. Ich sage aber auch: In dieser Gemeindefinanzkommission wird auch Rheinland-Pfalz vertreten sein. Der Finanzminister wird, solange er im Amt ist, (Otto Fricke [FDP]: Das ist aber nicht sehr lange!) auch da mitwirken können. Noch ein Wort zu Ihrer doch sehr populistischen und falschen Steuerdiskussion. Dass wir zum 1. Januar das Kindergeld, die Kinderfreibeträge und den Grundfreibetrag erhöht und den Steuertarif um 330 Euro nach rechts verschoben haben, das war richtig. (Beifall des Abg. Ingbert Liebing [CDU/ CSU]) Es war deswegen richtig, weil es nicht sein kann, dass die Finanzmisere, in der sich Bund, Länder und Kommunen befinden, ausgerechnet von den Bürgern mit mittleren und kleineren Einkommen bezahlt werden soll, die über Jahre Steuern zahlen. Es kann nicht sein, dass sie still und heimlich über die Jahre inflationsbedingt in höhere Steuersätze hineinrutschen und wir einfach zuschauen. Das ist unfair gegenüber den Bürgern. Das muss man korrigieren, und das haben wir gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir brauchen Fairness gegenüber den Bürgern und Fairness gegenüber den Kommunen. Die Koalition und die Union als Kommunalpartei (Lachen bei der SPD und der LINKEN) werden auch in schwieriger Zeit diese Fairness gewährleisten; denn unser Grundsatz gilt: Geht es den Gemeinden gut, geht es dem ganzen Land gut. Deswegen wiederhole ich: Wir brauchen keinen Schirm, sondern dauerhaft gutes Wetter für unsere Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem Kollegen Poß das Wort gebe, sei mir der Hinweis gestattet, dass wir noch zwei Redner in dieser Debatte haben und beiden ermöglichen sollten, hier zu reden. Allen, die im Saale sind, sollten wir ermöglichen, sie zu hören und zu verstehen. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die zur namentlichen Abstimmung schon herbeigeeilt sind, Platz zu nehmen, sodass wir die Debatte zu Ende führen können. Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kaster, die Kommunen brauchen jetzt keinen Schönwetterredner, sondern sie brauchen eine sofortige Hilfe, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Eine dauerhafte Hilfe!) weil sie mit den Folgen der Krise nicht mehr klarkommen, weil sie die Einrichtungen der sozialen Infrastruktur wie Kindertagesstätten nicht mehr aufrechterhalten können. Die haben nichts von Ihren Sprüchen und von den Ankündigungen von Herrn Schäuble, die er hier gemacht hat. Denen muss jetzt und wirksam geholfen werden, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und zwar nicht, um abstrakt Kommunen zu helfen, sondern um den wirklich Betroffenen, den Kindern und Jugendlichen in den Kommunen, zu helfen. Das ist die Aufgabe. Das müssen Sie doch erkennen. Diese Feststellung wird nicht einmal mit einem Vorwurf garniert. Wir alle fühlen uns doch zu Recht nicht schuldig wegen der Krise. Wir haben nicht die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise, die wir bisher in der Nachkriegszeit erlebt haben, herbeigeführt, und zwar keiner von uns. Wir müssen uns nur der Realität stellen. Sie haben einen Koalitionsvertrag gemacht, der die Realität leugnet. Das ist doch das Problem. Deswegen kommen Sie im Moment mit der Realität nicht klar. (Beifall bei der SPD) Das dürfen nicht die Kommunen ausbaden, weil Sie Schwierigkeiten haben, irgendetwas von Ihrem "Kollisionsvertrag", wie meine Kollegin gesagt hat, überhaupt umzusetzen, was kein Wunder ist. Alles, was Sie bisher durchgesetzt haben, wirkte krisenverschärfend für die Kommunen. Das ist die Wahrheit. Da helfen die schönen Reden von Frau Merkel auf dem CDU-Landesparteitag in Münster oder die von Herrn Rüttgers, der die Gemeinden beschwört, nichts. In der Realität machen Sie das Gegenteil von dem, worüber Sie reden. Bei Ihnen klaffen Reden und Handeln notorisch auseinander. Das geht zulasten der Kommunen. Das zu ändern, ist die Aufgabe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie, Herr Bundesfinanzminister, beginnen jetzt von neuem, das durchzubuchstabieren, was schon 2003 in einer großen Kommission unter Beteiligung aller Ebenen erörtert wurde, nämlich alle Modelle der letzten 30 Jahre, die Sie so gut wie ich kennen. Die Wahrheit ist: Damals, im Jahr 2003, hat die rot-grüne Koalition - ich war der Verhandlungsführer der SPD im Vermittlungsausschuss - im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben, die Gewerbesteuer gerettet; denn starke Kräfte in der Union - ich erinnere an den Leipziger Parteitag - wollten die Gewerbesteuer abschaffen. Das ist die historische Wahrheit und nicht das, was Sie gesagt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es waren die Sozialdemokraten, die in der Großen Koalition in der Koch-Steinbrück-Arbeitsgruppe dafür gesorgt haben, dass die Gewerbesteuer gefestigt wurde. Das ist die historische Wahrheit. Das war nicht die Union; von der FDP rede ich erst gar nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn es also eine Kommunalpartei in Deutschland gibt, dann können die Sozialdemokraten das für sich in Anspruch nehmen und niemand anderes. Das muss klargestellt werden. (Beifall bei der SPD - Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Die Lage der Kommunen ist desaströs! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Herr Schäuble, zu unserer gemeinsamen Vergangenheit gehört, dass Sie als Fraktionsvorsitzender der CDU/ CSU Mitte der 90er-Jahre die Aushöhlung der Gewerbesteuer als Ihr wichtigstes Anliegen begriffen hatten. Sie sind nämlich damals vehement für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer eingetreten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben damals gesagt, dies führe zu einem enormen Aufwuchs an Arbeitskräften. Die Gewerbekapitalsteuer wurde abgeschafft. Die Gewerbesteuer wurde dadurch instabiler und konjunkturanfälliger. Ein Aufwuchs an Arbeitskräften ist nicht eingetreten. Daraus sollten Sie, was Ihre Einschätzungsfähigkeit angeht, lernen, Herr Schäuble. (Beifall bei der SPD) Sie sollten den Einbruch der Wirtschaftskraft um 5 Prozent im vergangenen Jahr nicht als Alibi nutzen, um die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen - diese haben wir damals in Verhandlungen mit Ihnen in Art. 28 des Grundgesetzes gefestigt - zu beschädigen. Die FDP sagt es im Klartext: Wir wollen die Gewerbesteuer endlich weghaben. - Das ist die schwarz-gelbe Zukunft für die Gemeinden. Da können die Gemeinden nur noch schwarzsehen. Es muss, auch nach dem 9. Mai - denn Herr Rüttgers macht, was Politik für die Gemeinden betrifft, nur Sprüche -, eine stärkere Sozialdemokratie her, um das zu verhindern. In Nordrhein-Westfalen geht es am 9. Mai auch um die Zukunft der Gemeinden. (Beifall bei der SPD - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der letzte Mohikaner der Substanzbesteuerung!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Werter Herr Kollege Poß, wir hatten im Mittelteil unserer Debatte eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung über die sehr ernsthafte finanzielle Lage der Kommunen. Insbesondere als unser Minister Dr. Schäuble dazu gesprochen hat, konnten Sie feststellen, wie ernsthaft wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen. Wir debattieren nicht nur darüber, sondern wir handeln. Wir setzen konkret diese Kommission mit speziellen Untergruppen ein. Wir veranstalten keine Wahlkampfshow, wie Sie das in Ihrem Beitrag versucht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Uns geht es nämlich nicht um Wahlkampf, sondern uns geht es wirklich darum, ein schwieriges Thema in den Griff zu bekommen. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]) Es ist schon verwunderlich und ziemlich scheinheilig, wie Sie sich hier aufgeführt haben. Wer hat denn elf Jahre lang den Finanzminister in der Bundesrepublik Deutschland gestellt? Wer war denn elf Jahre verantwortlich in diesem wesentlichen Ressort? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Wer hatte die Mehrheit im Bundesrat?) Diese Regierung ist jetzt seit fünf Monaten im Amt. Sie wollen sie für das derzeitige Szenario in den Kommunen verantwortlich machen. Das ist schon ziemlich daneben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Kommunen befinden sich aus zwei Gründen - Bundesminister Schäuble hat sie eben deutlich gemacht - in einer ernsthaften finanziellen Situation. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist der starke Zusammenbruch bei der Gewerbesteuer. Das ist auch logisch; denn die Gewerbesteuer ist vor allen Dingen eine sehr wirtschaftsnahe und unternehmensnahe Steuer. Wir sehen bei den Bundessteuern, auch bei der Körperschaftsteuer, mit einem Rückgang des Aufkommens von über 50 Prozent die stärksten Einbrüche. Das deutet das Dilemma der Kommunen an. Wir müssen die Finanzierung der Kommunen auf stabilere Standbeine stellen als bisher. Das heißt, dass es eine Modifikation bei der Gewerbesteuer geben muss. Deshalb ist es richtig, diese Kommission, in die die Länder und auch die kommunalen Spitzenverbände einbezogen sind, jetzt einzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist jedenfalls weitaus intelligenter als die Schnellschüsse, die Sie uns heute per Antrag vorlegen. Sie sind kein ernsthafter Beitrag zur Lösung. Ich persönlich bin allerdings auch der Ansicht: Wir brauchen eine kommunale Steuer, die einen Bezug zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Kommunen hat. Ich denke, das sollte uns klar sein; denn sonst würden wir all die Kommunen bestrafen, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten für die Ansiedlung von Unternehmen und damit für Arbeitsplätze engagiert haben. Das wollen wir nicht tun. Das wäre der falsche Anreiz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich komme zum Thema Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Es ist Ihre Lieblingsbeschäftigung, das zu kritisieren. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz genau das Richtige gemacht haben. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]) Für die jetzige Situation kann es nicht verantwortlich sein; denn es gilt erst seit drei Monaten. Wir haben in der Tat auch bei der Besteuerung der Leasingunternehmen und bei der Frage der Funktionsverlagerung, die wir anders geklärt haben, richtig gehandelt. Das stärkt auf Dauer unseren Investitionsstandort und auch die steuerliche Basis. Das wird auf mittlere und längere Sicht die Einnahmesituation der Kommunen verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie reden sich ein, Sie hätten durch allerlei Hinzurechnungen die Gewerbesteuer und damit die Einnahmesituation der Kommunen stabilisiert. Gerade die derzeitige Krisensituation zeigt, dass das völliger Unsinn ist; (Joachim Poß [SPD]: Das zeigt sie eben nicht!) denn Sie besteuern damit die Substanz von Unternehmen, denen das Wasser ohnehin schon bis zum Hals steht. Sie würden in dieser Situation die Unternehmen und damit die Arbeitsplätze wegsteuern (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Genau!) und die steuerliche Basis vieler Kommunen vernichten. Wir haben dem Mittelstand Luft verschafft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Er braucht nämlich vor allen Dingen eines: Liquidität. Sie beschwören immer wieder die Kreditklemme. Indem wir Liquidität für den Mittelstand geschaffen haben, sind wir dieses Problem angegangen. Wir geben den mittelständischen Unternehmen mehr Möglichkeiten, über Kapital frei zu verfügen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Interessanterweise hat die SPD im Kreistag des Landkreises Emsland eine Resolution gegen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz einbringen wollen. Der dortige Landrat hat sich dezidiert mit einzelnen Punkten dieses Gesetzes auseinandergesetzt und sehr fundiert dargelegt, warum es für den Mittelstand in den Gemeinden im Landkreis Emsland nützlich ist. Letztendlich ist es nämlich ein kommunalfreundliches Gesetz. Sie werden lachen: Noch bevor es zur Debatte über diese Resolution kam, hat die dortige SPD-Kreistagsfraktion ihren Resolutionsantrag zurückgezogen. So empfehlen wir Ihnen das mit Ihrem vorliegenden Antrag auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Das setzt Einsicht voraus!) An uns - das unterscheidet uns von Ihnen - haben die Kommunen noch Erwartungen. Von Ihnen erwartet man bei diesem Thema nichts mehr. Das drückt sich auch in der Presseinformation des Deutschen Städte- und Gemeindebundes aus, die Ende vergangener Woche herausgegeben wurde. Es ging um das Thema Hartz-IV-Gesetze. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat ausgeführt, dass Ihre Korrekturvorschläge zum Thema Hartz IV unbezahlbar seien. Es gelte, die Eigenverantwortung der Bürger zu stärken, statt immer wieder den Eindruck zu vermitteln, der Staat könne weiterhin ein Rundum-sorglos-Paket finanzieren. Konkret heißt es: Wer aus eigener Arbeitskraft oder mit eigenem Vermögen seinen Unterhalt bestreiten kann, darf nicht noch zusätzliche Transferleistungen erhalten ... Weiter heißt es: Das sei auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit gegenüber Menschen, die mit ihren Steuern das Sozialsystem finanzieren. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat recht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich darf mit folgender Feststellung schließen. Sie - das machen Ihre Anträge deutlich - entfernen sich immer weiter von der Realität. Uns geht es nicht um Tamtam, sondern um einen ernsthaften Beitrag zur Lösung des Problems. Deswegen empfehle ich, dass wir Ihre Anträge ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1152, 17/1142 und 17/1143 an die an der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/869, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/520 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich ab. Vorher möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir im Anschluss daran noch eine einfache Abstimmung durchführen werden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/869 fortsetzen können. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/447 mit dem Titel "Umsatzsteuerermäßigung für Hotellerie zurücknehmen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkt 28 a bis 28 e und 28 h bis 28 j sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf: 28 a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Zukunftsreport - Ubiquitäres Computing - Drucksache 17/405 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Adulte Stammzellforschung ausweiten, Forschung in der regenerativen Medizin voranbringen und Deutschlands Spitzenposition ausbauen - Drucksache 17/908 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Verbraucherfreundliche kostenfreie Warteschleifen bei telefonischen Dienstleistungen einführen - Drucksache 17/1029 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Federführung strittig d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verhandlungen über die Aufnahme Islands in die Europäische Union eröffnen - Drucksache 17/1059 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zum Beitrittsantrag der Republik Island zur Europäischen Union und zur Empfehlung der EU-Kommission vom 24. Februar 2010 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 17/1190 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss h) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP Übergangsmaßnahmen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlamentes nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon - Drucksache 17/1179 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss i) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP Gewährleistung der Sicherheit der Eisenbahnen in Deutschland - Drucksache 17/1162 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine Kinodigitalisierung, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert - Drucksache 17/1156 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 3 a) Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Partei-Sponsoring transparenter gestalten - Drucksache 17/1169 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulrich Maurer, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parteien-Sponsoring im Parteiengesetz regeln - Drucksache 17/892 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt 28 c. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1029 mit dem Titel "Verbraucherfreundliche kostenfreie Warteschleifen bei telefonischen Dienstleistungen einführen" an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen jetzt zu den unstrittigen Überweisungen. Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b, 28 d und 28 e, 28 h bis 28 j sowie Zusatzpunkte 3 a und 3 b. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 17/1059, Tagesordnungspunkt 28 d, soll abweichend von der Tagesordnung nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 h sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 k auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 29 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 15. Dezember 1950 über die Gründung eines Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens - Drucksache 17/759 - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) - Drucksache 17/1207 - Berichterstattung: Abgeordnete Patricia Lips Nicolette Kressl Dr. Birgit Reinemund Richard Pitterle Lisa Paus Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1207, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/759 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 29 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungsurkunden vom 24. November 2006 zur Konstitution und zur Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992 - Drucksache 17/760 - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) - Drucksache 17/1197 - Berichterstattung: Abgeordneter Andreas G. Lämmel Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1197, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/760 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 29 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 17/800 - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) - Drucksache 17/1198 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Paul Ute Vogt Dr. Lutz Knopek Ralph Lenkert Dorothea Steiner Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1198, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/800 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlagnahmung von Generika in Europa stoppen - Versorgung von Entwicklungsländern mit Generika sichern - Drucksachen 17/448, 17/871 - Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Karin Roth (Esslingen) Helga Daub Niema Movassat Uwe Kekeritz Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/871, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/448 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Achtundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 17/441, 17/1136 - Berichterstattung: Abgeordneter Paul K. Friedhoff Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1136, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 17/441 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 29 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Neunundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 17/442, 17/1136 - Berichterstattung: Abgeordneter Paul K. Friedhoff Der Ausschuss empfiehlt weiterhin in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1136, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 17/442 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 29 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Einhundertneunundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - - Drucksachen 17/443, 17/1136 - Berichterstattung: Abgeordneter Paul K. Friedhoff Auch hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1136, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 17/443 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 29 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften - Drucksachen 17/862, 17/940 Nr. 2, 17/1212 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart Dr. Matthias Miersch Judith Skudelny Ralph Lenkert Dorothea Steiner Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1212, der Verordnung auf Drucksache 17/862 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvG 1/10 - Drucksache 17/1192 - Berichterstattung: Abgeordneter Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Der Rechtsausschuss empfiehlt, in dem Streitverfahren Stellung zu nehmen und den Präsidenten zu bitten, Herrn Professor Dr. Christian Seiler als Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 61 zu Petitionen - Drucksache 17/1180 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 61 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 62 zu Petitionen - Drucksache 17/1181 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 62 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 63 zu Petitionen - Drucksache 17/1182 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 63 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 64 zu Petitionen - Drucksache 17/1183 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 64 ist gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 65 zu Petitionen - Drucksache 17/1184 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 65 ist bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 66 zu Petitionen - Drucksache 17/1185 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 66 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 67 zu Petitionen - Drucksache 17/1186 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 67 ist gegen die Stimmen der Fraktion der SPD angenommen. Zusatzpunkt 4 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 68 zu Petitionen - Drucksache 17/1187 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 68 ist gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der übrigen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 4 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 69 zu Petitionen - Drucksache 17/1188 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 69 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 4 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 70 zu Petitionen - Drucksache 17/1189 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 70 ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen nun das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD "Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes", Drucksachen 17/520 und 17/869, bekannt: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben 248 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 309 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 556; davon ja: 248 nein: 308 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Aydan Özoðuz Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Daðdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Konstantin Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Wolfgang Neskovic Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Anna Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Paul Lehrieder Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Nadine Müller (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Lucia Puttrich Daniela Raab Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Sebastian Körber Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Heiko Staffeldt Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus den zahlreichen bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass das Thema Kindesmissbrauch den Deutschen Bundestag endlich im Rahmen eines ordentlichen Tagesordnungspunktes beschäftigt. Es ist schlecht, dass, obwohl wir seit Ende Januar massiv von neuen Fällen hören, die Bundesregierung sich bis heute an dieser Stelle nicht erklärt hat. Ich hätte erwartet, dass die zuständige Bundesministerin längst eine Regierungserklärung abgegeben und uns dargelegt hätte, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Vorfälle aufzuarbeiten und Kinder in Zukunft zu schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Welche Maßnahmen müssen jetzt ergriffen werden, das ist die Frage. Stattdessen bietet uns diese Regierung einen runden Tisch. Da gab es einen Vorschlag von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, dem die anderen nicht folgen wollten. Dann hat Frau Schavan - bis vor kurzem Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken - erklärt, sie wolle auch einen runden Tisch. Da waren es schon zwei. Die Bundesministerin, die eigentlich zuständig ist, kam auch irgendwann. Noch ein runder Tisch. Am Ende wurde ein runder Tisch mit zwei Untergruppen und einer Beauftragten eingerichtet. Seit Ende Januar ist das sozusagen die erste Aussage der Bundesregierung. Das hilft den Kindern nicht. Meine Damen und Herren, ich erwarte, dass die für Familie und Kinder zuständige Ministerin jeden Tag Leute vorlädt - ob aus dem Bereich Schule, ob aus dem Bereich Heimaufsicht, ob aus dem Bereich der Träger dieser Internate oder Freizeiteinrichtungen -, nach Berlin einlädt und von ihnen jetzt und hier ganz konkrete Schritte fordert, zum Beispiel die klare Aussage: Ab sofort wird bei jedem Gerücht und jedem Verdachtsfall das an unabhängige Dritte gegeben, und das geht auch sofort an Polizei und Staatsanwaltschaft. - Republikweit so etwas zu organisieren, Frau Schröder, wäre Ihre Pflicht gewesen als Reaktion auf die Hunderte von Vorfällen, die wir sehen und die wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges darstellen. Stattdessen wollen Sie es am runden Tisch diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ihre Aufgabe wäre gewesen, Vertreter der Länder vorzuladen und dafür Sorge zu tragen, dass überall - in jedem Bundesland, in jedem Regierungsbezirk - Anlaufstellen eingerichtet werden, zum Beispiel dass es im Jugendamt eine Person gibt mit getrennter Aktenführung und Schweigepflicht, an die sich Kinder, Jugendliche, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter sofort wenden können. Das muss man jetzt für alle Fälle, die noch passieren können - und das wissen wir -, einrichten. Stattdessen diskutieren Sie das an einem runden Tisch. Ich sage Ihnen eines ganz klar: Bei solchen Straftaten - den vergangenen und auch denen in der Zukunft - gibt es überhaupt keinen Grund, an einem runden Tisch zu diskutieren, weil es dort nichts zu erörtern gibt. Es gibt die moralische Pflicht, innerhalb einer Schule über Gerüchte des sexuellen Missbrauchs nicht zu diskutieren, sondern den Kindern sofort zu helfen. Ich muss sagen: An der Stelle scheinen Sie mir überfordert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wollen Sie beispielsweise mit einem Vertreter der katholischen Kirche, sozusagen dem Arbeitgeber eines Paters, der sexuellen Missbrauch betrieben hat, an einem runden Tisch diskutieren, wie die Meldepflichten sind? Das geht gar nicht. (Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär: Darum geht es doch gar nicht!) - Doch, auch darum geht es bei diesem runden Tisch, und wenn es darum nicht geht, dann muss die Bundesministerin die Vertreter der Länder und Institutionen jetzt vorladen und ganz klar sagen, was sie will. An dieser Stelle sage ich: Die Ministerin ist überfordert, und Frau Merkel hat zugelassen, dass hier am Ende mehr Rücksicht auf die Institutionen genommen wurde, als dass man tatsächlich etwas getan hat. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht!) - Doch, das stimmt. - Es gab an dieser Stelle keinerlei Grund, irgendjemanden für seine Aufklärungsarbeit zu loben, und schon gar nicht den Papst. Lesen Sie einmal, wie viele neue Fälle bei uns bekannt geworden sind. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber nicht nur in der Kirche!) Wenn Sie die internationale Presse lesen, zum Beispiel die New York Times, dann sehen Sie, welche Probleme auch die Kirche aufzuarbeiten hat. Ich sage an dieser Stelle: Ich will, dass wir wirklich ganz klare Linien ziehen. Wenn es um den aktuellen Schutz geht, dann gibt es nichts zu diskutieren. Sie können an einem runden Tisch oder in einem anderen Gremium über einen Entschädigungsfonds und über die Veränderung der Verjährungsfristen zum Beispiel im Zivilrecht reden, aber Sie sind jetzt, nachdem Wochen verstrichen sind, verpflichtet, endlich dafür Sorge zu tragen, dass das falsche Verhalten, diese Wagenburgmentalität und dieses Bestreben, die Institutionen zu schützen - egal ob katholische Kirche oder Reformpädagogik -, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aha!) endlich ein Ende findet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen eines: Der Bundestag muss Position beziehen, und die Bundesregierung muss Position beziehen. Die Kinder und nicht der Papst oder andere öffentliche Institutionen brauchen unseren Schutz und unsere Unterstützung. Die Kinder brauchen einen Anwalt. Die Opfer, die es schon gibt und die noch heute als Erwachsene leiden, brauchen einen öffentlichen Bericht, in dem ganz deutlich gesagt wird, was war. In den Fällen, in denen Verjährung eingetreten ist, erleben die Opfer nicht mehr, dass sich eines Tages ein Richter erhebt und sagt: Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. - Unsere Verpflichtung ist es, gegenüber diesen Opfern klarzumachen, dass es einen öffentlichen Bericht geben wird, in dem steht, was dort passiert ist, sodass die gesamte Gesellschaft dies aufnimmt. Sie haben das Recht, dass sich solche Dinge ab heute nicht wiederholen können. Ich bitte Sie inständig: Regeln Sie die Dinge, die heute zu regeln sind, und verschieben Sie sie nicht an irgendeinen runden Tisch oder an eine Kinderschutzbeauftragte! Heute brauchen viele Kinder in diesem Land unseren Schutz und unsere schützende Hand. Dies ist kein Delikt der Vergangenheit, sondern ein Delikt, das noch heute an Kindern begangen wird. Ich sage: Frau Ministerin, walten Sie endlich einmal Ihres Amtes, statt sich nur zu verstecken! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Bundesministerin für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schockierendes war in den letzten Wochen über sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen in kirchlichen, in weltlichen und in pädagogischen Einrichtungen zu lesen und zu hören. Nicht weniger schockierend ist das Schweigen, das diese Verbrechen über viele Jahrzehnte begleitet hat; denn durch dieses Schweigen wurden Mauern zementiert, hinter denen viele Kinder und Jugendliche Pädophilen hilflos ausgeliefert waren und hinter denen manche der Betroffenen auch heute noch gefangen sind. Ich glaube, dass wir uns nicht im Geringsten vorstellen können, welche Verletzungen Missbrauchserlebnisse Kinderseelen zufügen und wie tief diese Narben sind, die ein Leben lang bleiben. Verantwortung zu übernehmen, bedeutet deshalb zunächst einmal, den Opfern Gehör zu schenken und die Fakten klar und schonungslos zu benennen, über die viel zu lange geschwiegen wurde. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der nüchterne Begriff des sexuellen Kindesmissbrauchs bringt nur vage auf den Punkt, worüber wir hier reden: In kirchlichen und weltlichen Einrichtungen sind Kinder und Jugendliche über Jahre hinweg vergewaltigt, misshandelt und gedemütigt worden. Diese Verbrechen haben Menschen begangen, denen die Kinder vertrauten, die sie respektierten und gern hatten und von denen sie sich Aufmerksamkeit, Zuwendung und Anerkennung erhofften. Zu den Tätern gehörten Priester, Lehrer und Erzieher. Zu den Verantwortlichen gehörten aber auch diejenigen, die die Mauern des Schweigens aufgebaut und aufrechterhalten haben: durch Wegsehen, durch Vertuschen, durch Banalisieren, aber auch zum Beispiel durch die Versetzung von Tätern in die nächste Schule, in die nächste Gemeinde, in den nächsten Verein, wo sie es wieder mit Kindern zu tun hatten. Es gab aber auch couragierte Frauen und Männer, die ihre Verantwortung ernst nahmen. Stellvertretend für viele nenne ich zum einen Pater Klaus Mertes, den Rektor des Berliner Jesuiten-Gymnasiums Canisius-Kolleg. Er hat im Januar Berichte über sexuelle Übergriffe zweier Patres in den 70er- und 80er-Jahren öffentlich gemacht und damit die aktuelle Debatte erst ausgelöst. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zum anderen nenne ich Margarita Kaufmann, die Direktorin der Odenwaldschule in Hessen. Auch sie hat die Vorwürfe ehemaliger Schüler öffentlich gemacht und sich von Anfang an um Aufklärung und Aufarbeitung bemüht. Allen, die sich wie diese beiden in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit bemühen, gebührt unser Respekt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt geht es darum, so wie Margarita Kaufmann und Klaus Mertes Verantwortung zu übernehmen für das, was geschehen ist. Das sind wir den Opfern schuldig. Und es geht darum, alles in unseren Möglichkeiten Stehende zu tun, um sexuellen Missbrauch in Zukunft zu verhindern. Das sind wir den Kindern schuldig, das sind wir aber auch den Eltern schuldig. Denn jede Mutter, jeder Vater wird sich doch jetzt fragen: Wie kann ich meine Kinder vor solchen Erfahrungen schützen? Die aufrichtige Antwort muss lauten: Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht. Aber es gab in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen offenbar Schutzräume für Pädophile, in denen Kindesmissbrauch lange unbemerkt und ungestraft bleiben konnte. Solche Schutzräume dürfen wir nicht länger zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb hat das Kabinett gestern die Einrichtung eines runden Tisches beschlossen, der sich mit sexuellem Missbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen befassen wird - auch in Familien. Wir wollen unserer doppelten Verantwortung für Aufarbeitung und wirksamen Kinderschutz gerecht werden: zum einen durch die Anerkennung des Leidens der Opfer und möglicherweise notwendige rechtspolitische Folgerungen, zum anderen aber auch durch präventive Maßnahmen und effektive Interventionsmöglichkeiten. Diese Aufgaben kann kein Ressort alleine bewältigen. Deshalb danke ich meinen Kolleginnen Frau Schavan und Frau Leutheusser-Schnarrenberger herzlich für die gute und enge Zusammenarbeit. Gemeinsam haben wir Umsetzungsvorschläge erarbeitet, die wir am runden Tisch unter Beteiligung aller relevanten gesellschaftlichen Institutionen und mit Unterstützung von Kinderschutz- und Opferorganisationen zur Diskussion stellen und konkretisieren wollen. Zur Prävention schlagen wir unter anderem vor: Maßnahmen zur behutsamen Sensibilisierung und zur Stärkung von Jungen und Mädchen - sie sollen Missbrauch erkennen und klar benennen können -, Maßnahmen zur Sensibilisierung und Weiterbildung von Fachkräften und Eltern - sie sollen Indizien sexualisierter Gewalt erkennen und intervenieren können -, strukturelle Maßnahmen wie die Überprüfung von Aus- und Fortbildungen, aber auch Zulassungsbedingungen für pädagogisch tätiges Personal. Wir müssen aber auch direkt bei den Neigungen pädophiler Männer ansetzen. Vorbildlich sind hier die Projekte der Charité im Rahmen der Kampagne "Kein Täter werden.", die in den letzten Jahren - gemeinsam gefördert von Bundesjustizministerium und Bundesfamilienministerium - entwickelt wurden. Hier können sich Männer konkret beraten und therapieren lassen, bevor aus ihren pädophilen Fantasien pädophile Handlungen werden. Über diese präventiven Maßnahmen hinaus müssen wir aber auch zusätzlich zum Strafrecht wirksame Interventionsstrategien erarbeiten. Dazu gehören zum Beispiel klare Verhaltensregeln, die wir in Form von Selbstverpflichtungserklärungen festlegen wollen. All das betrifft den künftigen Schutz von Kindern und Jugendlichen. Diejenigen aber, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, haben einen Anspruch auf umfassende Anerkennung ihres Leids. Deshalb freue ich mich, dass wir mit Frau Dr. Christine Bergmann eine erfahrene Fachfrau als unabhängige Beauftragte gewinnen konnten. Sie bringt die für dieses sensible Thema richtige Mischung aus Fingerspitzengefühl und Durchsetzungsvermögen mit. Dadurch kann sie zum einen Ansprechpartnerin für die Opfer sexuellen Missbrauchs sein. Sie kann zum anderen aber auch Vorschläge erarbeiten, wie Opfern materiell und immateriell umfassend geholfen werden kann. Einen Beitrag zur Prävention wird schließlich auch die geplante Reform des Kinderschutzgesetzes leisten, auf die ich hier nur am Rande eingehen kann. Unter anderem geht es dabei um die Neuregelung der Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger, um zum Beispiel eine bessere Zusammenarbeit zwischen Kinderärzten und Jugendämtern zu ermöglichen. Die Debatte über sexuellen Missbrauch, die wir hier führen, ist eine wichtige gesellschaftliche Debatte. Wir sollten diese Debatte - darum bitte ich Sie - immer auf eine Art und Weise führen, die der Perspektive der Opfer gerecht wird. Dazu gehört auch, dass wir uns bei allen Meinungsunterschieden über den richtigen Weg gegenseitig ein aufrichtiges Interesse an Aufarbeitung, Aufklärung und Kinderschutz unterstellen. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Olaf Scholz (SPD): Meine Damen und Herren! Mir geht es wie Ihnen und vielen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland: Wir verfolgen atemlos, was alles an neuen Berichten bekannt wird. Jeden Tag, wenn man die Zeitung aufschlägt, Nachrichten hört oder im Fernsehen sieht, was berichtet wird, denkt man: Das kann und darf in unserem Land doch nicht sein. - Aber es ist so. Deshalb gehört, finde ich, zu den Feststellungen, die uns leiten sollten, eine klare Aussage: Niemand darf deshalb, weil wir über lange zurückliegende Vorfälle diskutieren, den Eindruck haben, es handele sich um ein Problem der Vergangenheit. Sexueller Missbrauch von Kindern in Schulen und Einrichtungen kirchlicher oder weltlicher Art findet auch heute statt, und wahrscheinlich in viel größerem Umfang, als jeder von uns es wahrhaben will. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns um diese Frage kümmern, und zwar nicht nur um gute Aufklärung der Vergangenheit, sondern auch um Handlungsstrategien, die jetzt notwendig sind. Ich glaube, wir sollten das, was jetzt neu herauskommt, zum Anlass nehmen, dafür zu sorgen, dass die Dunkelfeldforschung in Deutschland mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet wird, und zu versuchen, herauszufinden, wie groß das Ausmaß des Missbrauchs ist, über das wir nichts wissen, weil niemand darüber redet. Das muss jetzt dringend geschehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich finde es gut, dass nach dem vielen Hin und Her, von dem wir gehört haben, jetzt in der Regierung Einigkeit über die Bildung eines gemeinsamen runden Tisches besteht. Dabei muss eines klar sein - darin bin ich mir mit der Kollegin Künast einig -: Ein runder Tisch ist kein Ersatz für eigenes Handeln und eigene Politik. Die Regierung ist jetzt nicht suspendiert und darf warten, was der runde Tisch macht; vielmehr muss sie jeden Tag handeln. Denn die Probleme sind drängend und können nicht auf spätere Zeiten vertagt werden. Selbstverständlich ist es richtig, dass man versucht, möglichst viele einzubeziehen. Dass Sie die frühere Ministerin Bergmann als Beauftragte für diesen Prozess mit einbezogen haben, ist ein guter Schritt, und zwar deshalb, weil sie eine gute Ministerin war, von der wir alle wissen, dass sie gerade auf dem Feld der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs viele gesetzliche und staatliche Initiativen auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich glaube aber, dass man dabei nicht stehen bleiben sollte, und habe mir nun sehr sorgfältig angehört, was bei Ihren verschiedenen Bemühungen, miteinander klarzukommen, herausgekommen ist. Eine Frage scheint mir darüber aber vergessen worden sein, und deshalb stelle ich sie hier: Haben Sie auch an das Parlament gedacht? Selbstverständlich muss in diesem Kommunikationsprozess nicht nur die Regierung mit irgendwem in der Welt reden, sondern eben auch mit dem Parlament. Deshalb fordere ich Sie an dieser Stelle auf: Sorgen Sie dafür, dass auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages - aller Fraktionen in diesem Parlament - an diesem runden Tischen teilnehmen können! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe gesagt: Wir müssen heute handeln. - Dies können und müssen wir durchaus in einer Kontinuität von Gesetzgebung und Problembewältigung tun, die in den letzten Jahren, gerade in den Regierungen von Rot-Grün und der Großen Koalition, stattgefunden haben. Deshalb noch einmal zur Erinnerung: Da ist ganz schön viel passiert. Das Strafmaß ist massiv heraufgesetzt worden. Viele, die früher ganz harmlos davongekommen sind, können dies heute nicht mehr, weil sich eben der Strafrahmen verändert hat. Wir haben auch dafür gesorgt, dass diese Taten nicht mehr so einfach verjähren können, wie es in der Vergangenheit der Fall war, indem wir sowohl die zivilrechtliche als auch, was noch wichtiger ist, die strafrechtliche Verjährung erst zu einem Zeitpunkt beginnen lassen, an dem ein erwachsener Mensch darüber entscheiden kann, was er mit den schrecklichen Erlebnissen seiner Jugend in dieser Hinsicht machen will. Aber wir lernen ja auch aus den jetzigen Berichten. Wir lernen, dass es sehr lange dauert, bis manche Debatten und manche Ereignisse öffentlich und breit diskutiert werden. Das ist in einer bestimmten Hinsicht sehr bemerkenswert; denn es hat ja in großen Wellen immer wieder neue Diskussionen über sexuellen Missbrauch gegeben, die auch zu Konsequenzen sowie dazu geführt haben, dass sich flächendeckend viele melden und sagen: Ich bin ein Opfer dieser Taten gewesen und will, dass das jetzt endlich in Ordnung gebracht wird. - Aber immer wieder gibt es neue Wellen. Deshalb glaube ich, dass dies ein fortschreitender Prozess von Aufklärung, von Problembewusstsein ist, der in der Gesellschaft stattfindet, dass dieser Prozess aber bestimmt noch lange nicht abgeschlossen ist, und ich glaube auch, dass wir Handlungsinstrumente brauchen, die gerade für diese Straftaten eine andere Form von Verjährung möglich machen, als das heute schon der Fall ist. Deshalb sollte bei dem, was wir jetzt diskutieren, geschaut werden, ob wir - das wäre ein gewisser System-bruch zu dem Prinzip der Verjährung - in diesem Zusammenhang eine regelhafte zwanzigjährige Verjährung auch für solche Straftaten möglich machen, die eigentlich schneller verjähren. Denn es muss möglich sein, dass sich jemand später noch ein Herz fasst und sagt: Ich will, dass das jetzt diskutiert wird. - Auch muss für die Täter klar sein, dass sie nicht nur kurze Zeit abwarten müssen, bis Dinge nicht mehr verfolgt werden, die sie für harmlos halten, die für die Betroffenen aber eine schwere Demütigung darstellen, die sie möglicherweise ein ganzes Leben lang nicht vergessen. Deshalb sollten wir auch darüber diskutieren, speziell im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen, eine zwanzigjährige Verjährung regelhaft zu machen, die sicherstellt, dass alle Straftaten möglichst ans Tageslicht kommen und immer wieder neue Wellen dieses Prozesses dazu führen können, dass eines Tages die Dunkelziffer bei diesem Problem kleiner geworden und nicht mehr so groß ist wie heute. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. (Beifall bei der FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in Institutionen privater und kirchlicher Art sowie im familiären Umfeld muss man nicht nur sehr verantwortungsbewusst, sondern auch sorgfältig und ernst umgehen. Da helfen keine vordergründigen Vorschläge, dass jetzt die Bundesregierung anfangen solle, dass halbe Land vorzuladen und zum Rapport zu bitten. Ich denke, Frau Künast, in Hamburg werden Sie sich dafür eingesetzt haben, dass entsprechende Angebote gemacht werden, wie es gerade auch in Bayern, in der Bayerischen Staatsregierung geschieht. Es ist wichtig, dass nicht nur die Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hamburger haben es schon gemacht! Danke für den Hinweis!) - Dann hätten Sie einmal von den guten Beispielen berichten können. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit war zu kurz!) Wir sind froh über alle Anregungen und greifen sie gerne auf. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie habe ich gar nicht angegriffen! Sie sind gar nicht das Problem!) Eines ist doch auch selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der runde Tisch - es gibt ja gute Vorbilder für die Wirkungskraft runder Tische; ich erinnere in diesem Zusammenhang an die deutsche Einheit - ist die Möglichkeit, gesellschaftlich relevante Kräfte zusammenzubringen, um über zwei wichtige Bereiche zu reden (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind doch kein Land in Auflösung!) und dort zu Empfehlungen und Vorschlägen zu kommen. Nie und nimmer kann dies aber die Arbeit der Regierung und die wichtige Aufgabe des Parlaments ersetzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Diskussion unter den Beteiligten kann aber wichtige Anstöße geben. Man wird von den Vertretern der betroffenen Institutionen fordern, nicht nur alles zu tun, damit weiter aufgeklärt wird, sondern auch eine Untersuchung der Strukturen in den jeweiligen Einrichtungen vorzunehmen, damit es zu Verbesserungen kommt, damit früher aufgeklärt wird und Informationen früher an die Staatsanwaltschaft vor Ort weitergegeben werden. Wenn die Informationen möglichst früh - sobald man Anhaltspunkte hat - weitergegeben werden, wenn nicht interne Untersuchungen eine frühe Weitergabe verhindern, dann haben wir die Chance, die Verantwortlichen wirklich zur Rechenschaft zu ziehen. Es muss ein Ergebnis des runden Tisches sein, zu entsprechenden Veränderungen bei den jeweiligen internen Strukturen zu kommen. (Beifall der Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] und Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]) Herr Scholz, Sie haben die Frage angesprochen: Was ist mit dem Parlament? Natürlich muss auch das Parlament am runden Tisch vertreten sein. Die Parlamentarier ergänzen die Vertreter von Organisationen und gesellschaftlich relevanten Einrichtungen, die eingeladen werden. Meine Kollegin, Frau Schröder, hat schon eine entsprechende Liste vorgelegt und den 23. April als Termin festgelegt; eine Einladung ist bereits herausgegangen. Wir drei Ministerinnen, jeweils für einen Bereich zuständig, werden jetzt, nach dem Kabinettsbeschluss, den Teilnehmerkreis des runden Tisches erweitern, weil der runde Tisch mehr Aufgaben bekommen hat. Er wird über die Aufarbeitung der Vergangenheit - ein wichtiges zweites Standbein -, die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, rechtspolitische Folgerungen und mögliche Rechtsänderungen debattieren. Selbstverständlich muss auch das Parlament bei diesem runden Tisch vertreten sein. Wir werden hier unabhängig von dem, was der runde Tisch und die unabhängige Beauftragte zu leisten in der Lage sind, Debatten zu diesem Thema führen; denn wir wollen, dass gerade durch die Diskussion eine öffentliche Debatte erzeugt wird, die dazu führt, dass in den Institutionen selbst für Änderungen gesorgt wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um an dieser Stelle die katholische Kirche anzusprechen: Hier geht es auch um interne Richtlinien, die bisher nicht so klare Anweisungen enthalten haben; Vertreter der katholischen Kirche, gerade auch aus Bayern, haben jetzt aber Änderungen gefordert. Der runde Tisch kann hier Unterstützung geben und diesen Prozess befördern. Weder der runde Tisch noch das Parlament können aber die notwendigen Entscheidungen ersetzen, die von den Verantwortlichen in den Institutionen getroffen werden müssen. Wir können einen Beitrag leisten, indem wir Vorschläge unterbreiten, wie Strukturen so verbessert werden können, dass sich Kinder und Jugendliche, die sich in Abhängigkeitssituationen befinden, trauen, zu den Ansprechpartnern und Anlaufstellen zu gehen. In welch einer fürchterlichen Situation befinden sich diese jungen Menschen! Sie haben vielleicht Angst, sich an ihre Eltern zu wenden, weil sie befürchten, dort nicht ernst genommen zu werden. Sie trauen sich nicht, sich an einen Lehrer zu wenden, weil sie nicht wissen, wie das in der jeweiligen Einrichtung - in der Schule, im Internat, im Kloster, wo auch immer - behandelt wird. Sie brauchen also externe Ansprechpartner. Wir benötigen also vertrauensbildende Maßnahmen dieser Institutionen, damit die jungen Menschen sehen: Wenn es hier zu sexuellem Missbrauch kommt - er kann in unterschiedlichen Formen und mit unterschiedlicher Intensität stattfinden -, gibt es, wenn sich die Betroffenen nicht trauen, sich gleich an die Polizei oder an die Staatsanwaltschaft zu wenden, vertrauliche Ansprechpartner und -partnerinnen, die mit den Informationen so umgehen, wie es der Situation angemessen ist. - (Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP]) Hier eine Struktur aufzubrechen, die das bisher nicht ermöglicht hat, ist ein ganz wichtiges Anliegen des runden Tisches. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir damit wirklich etwas bewegen können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden natürlich Debatten führen, die schon in der Vergangenheit geführt worden sind. Ich war Anfang der 90er-Jahre Justizministerin, als wir im Parlament die Regelung verabschiedet haben, dass die Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch erst mit dem 18. Lebensjahr des Opfers beginnt und abgestuft nach der Höhe der Strafandrohung 10 und 20 Jahre beträgt. Ich habe in den letzten Tagen viele Gespräche geführt, sowohl mit Beauftragten von betroffenen Institutionen, zum Beispiel des Jesuitenordens, als auch mit Beauftragten und Verantwortlichen außerhalb dieser Institutionen, die sich schon jetzt mit diesem Thema befassen. In diesen Gesprächen kam immer wieder zum Ausdruck, dass es für das Opfer am allerschlimmsten ist, wenn nach 20 oder 30 Jahren Informationen an die Staatsanwaltschaft gehen, der mögliche Täter die Tat nicht zugibt, es zu einem Gerichtsverfahren und zur Beweisaufnahme kommt, man sich auf konkrete Daten nicht mehr einlassen kann, weil die Erinnerung einfach nicht mehr da ist, und dann der Sachverhalt nicht mehr aufklärbar ist. Denn was bleibt dann? Es bleibt ein Opfer, das zum zweiten Mal zum Opfer geworden ist, weil es das Gefühl hat, dass ihm trotz eines Gerichtsverfahrens keine Gerechtigkeit widerfährt. Das muss bei der Debatte über die Länge und den Beginn von Verjährungsfristen im strafrechtlichen Bereich immer mit berücksichtigt werden. Deshalb bin ich hier so zurückhaltend. Ich glaube, wir müssen vor allem alles daransetzen, dass frühzeitiger aufgeklärt werden kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber es geht um sehr viel mehr. Es geht auch um die Frage: Wie gehen wir mit den Taten um, die verjährt sind? Was können wir noch für die Opfer tun, wenn zivilrechtliche Ansprüche verjährt sind? Eine vertrauensbildende Maßnahme könnte sein, dass die Verantwortlichen laut und deutlich sagen, dass sie das Eintreten der Verjährung außer Acht lassen. Das könnte schon ein wichtiger Schritt sein. Aber natürlich sind weitere Schritte notwendig. Diese müssen zusammen mit den Institutionen und den Verantwortlichen erörtert werden. Das kann einen Weg weisen und eine Perspektive eröffnen. Ich bin fest davon überzeugt, dass mit dem runden Tisch und der Berufung einer unabhängigen Beauftragten zwei gute Entscheidungen im Kabinett getroffen worden sind. Wenn wir hier ein gemeinsames Ziel verfolgen, dann sollten wir uns darüber unterhalten, welche Maßnahmen im Einzelnen getroffen werden müssen, aber nicht darüber streiten, ob ein runder Tisch richtig ist oder nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Fraktion Die Linke hat Diana Golze das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Diana Golze (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gewalt an Kindern, auch und gerade sexuelle Gewalt, ist ein Straftatbestand, der nicht zu entschuldigen ist und der weder vertuscht noch verharmlost werden darf. Es hat mich wütend gemacht, wenn ich in den letzten Tagen gehört habe, dass die Kirche nur bei einem erhärteten Verdacht einen Staatsanwalt eingeschaltet oder irgendwie auf den Rechtsstaat zurückgegriffen hat. Das kann nicht sein. Ich sehe es so: Die Kirche ist Teil der Gesellschaft; sie will Teil der Gesellschaft sein. Dann müssen aber auch für ihre Mitglieder, für ihre Angestellten und für ihre Mitarbeiter dieselben Regeln gelten wie für alle anderen. Dazu zählt, dass man sich rechtsstaatlichen Verfahren stellt und dass Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, diesen Weg zu wählen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte, ebenso wie es die Frau Ministerin getan hat, meine Achtung vor den Menschen ausdrücken, die ein Tabu gebrochen haben, indem sie dieses Thema an die Öffentlichkeit gebracht und die ganze Gesellschaft zum Hinschauen und hoffentlich auch zum Handeln gezwungen haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viel Überwindung so etwas gekostet haben muss, wenn bisher die oberste Priorität der Schutz der Institutionen war. Jetzt endlich setzt ein Umdenken ein und der Schutz der Kinder und Jugendlichen wird zur obersten Priorität. Ich möchte diesen Menschen dafür meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte aber nicht nur über die Kirche und die jetzt zutage getretenen Fälle sprechen; denn sexuelle Gewalt an Kindern ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die jüngst bekannt gewordenen Fälle machen deutlich: Es sind Vergehen von Erziehenden gegenüber Kindern und Jugendlichen, die mit einem Missbrauch von Macht einhergehen. Hier werden Hierarchien und Strukturen genutzt, um diejenigen zu Opfern zu machen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis, in einem Vertrauensverhältnis gestanden haben und die sich aus diesen Strukturen nicht befreien konnten. Je hierarchischer und autoritärer eine solche Struktur aufgebaut ist, umso leichter fällt es den Tätern, Opfer zu finden und diese zu jahrelangem Schweigen zu bringen; denn hier ist die Macht ganz klar verteilt. Die Kinder sind die Ohnmächtigen. Sie haben in diesem Machtverhältnis die geringsten Möglichkeiten, sich zu wehren. Ich spreche ganz bewusst nicht vom "Missbrauch von Kindern", sondern von Machtmissbrauch; denn der Wortgebrauch "Missbrauch von Kindern" legt nahe, es gäbe einen richtigen "Gebrauch" von Kindern. Das macht Kinder wieder nur zu Objekten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb bitte ich gerade die Grünen, die die Aktuelle Stunde mit diesem Titel beantragt haben, diesen Sprachgebrauch zu ändern. Es geht nicht um den sexuellen Missbrauch von Kindern, sondern es geht um Machtmissbrauch und um Opfer. Mit einer solchen Formulierung werden Kinder wie Objekte behandelt, obwohl sie Subjekte sind. Das müssen wir als Gesetzgeber unterstreichen. Ich fordere an dieser Stelle noch einmal die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Wir müssen die Machtverhältnisse zugunsten der Kinder verändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kinder und Erwachsene müssen sich auf Augenhöhe und dürfen sich nicht hierarchisiert begegnen. Kinder und Jugendliche müssen dann aber auch ihre Rechte kennen. Das ist schon gesagt worden; ich möchte es aber noch einmal unterstreichen. Sie müssen ihre eigenen Grenzen und ihre Rechte kennen. Sie müssen damit umgehen lernen. Sie müssen wissen und darauf vertrauen können: Wann darf und muss ich Nein sagen, wenn meine Grenzen überschritten werden? Das muss diesen Kindern klar werden. Ganz egal, ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein - wir hören regelmäßig von Vorfällen, in denen Trainer übergriffig werden -: Kinder müssen ihre Rechte und ihre Grenzen kennen. Um sich für ihre Rechte einzusetzen, brauchen sie schnell erreichbare Hilfen: Notrufnummern, möglichst bundesweit einheitlich, die überall bekannt sind und überall veröffentlicht sind, wo am anderen Ende der Leitung gut geschultes Personal ist, wo man schnell Hilfe bekommt. Dabei geht es auch um von den Institutionen unabhängige Hilfen. Natürlich spreche ich mich für den verstärkten Einsatz von Schulsozialarbeitern aus. Aber wir brauchen auch Hilfe, die unabhängig von diesen Institutionen existiert. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Das Kind sieht auf dem Schulhof den Lehrer, von dem es sich angefasst gefühlt hat, mit dem Schulsozialpädagogen sprechen. Diesen Schulsozialpädagogen spricht es doch nicht an, um ihn um Hilfe zu bitten. - Es muss also auch außerhalb der Institutionen verlässliche und bekannte Hilfe für die Kinder und Jugendlichen geben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Klar ist: Für das gesunde Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen und ihren bestmöglichen Schutz müssen wir Ressourcen zur Verfügung stellen. Jugendämter - ich will es nur schlagwortartig ansprechen - dürfen nicht mehr nur als Feuerwehr fungieren, sondern müssen wieder agieren können. Sie brauchen Personal. Wir brauchen Jugendeinrichtungen mit geschultem pädagogischen Personal. Wir brauchen Beratungsstellen, die nicht dem kommunalen Sparzwang unterliegen. Wir brauchen schlicht und ergreifend eine Gesellschaft, die ihre Verantwortung übernimmt - auf allen Ebenen und vor allem dort, wo die Kinder sind. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die Aktuelle Stunde, beantragt von den Grünen, behandelt die Konsequenzen aus den zahlreich bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs. Ich finde, die Bundesregierung hat zügig gehandelt. Die erste Konsequenz ist dieser runde Tisch. Man kann das kritisch sehen; man kann runde Tische im Allgemeinen für unzureichend halten. In diesem speziellen Fall - das haben die Beiträge vorhin gezeigt - gibt es aber schon viele Vorschläge und viele Überlegungen, die im Vorfeld eingebracht wurden. Ich halte es sogar für eine kluge Entscheidung, dass wir uns angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas ganz bewusst auf eine andere Art, als es sonst in Gesetzgebungsverfahren üblich ist, auf einen runden Tisch mit verschiedenen Arbeitsgruppen eingelassen haben, um so zu versuchen, Lösungsvorschläge oder -ansätze dazu zu finden. Es beschäftigen sich vier starke Frauen mit diesem Thema, drei amtierende Ministerinnen und eine ehemalige Ministerin. Ich glaube, dass die Chance groß ist, dass in den Arbeitsgruppen, die vorwärtsgewandt strafrechtliche Aspekte, aber auch rückwärtsgewandt Aspekte der Wiedergutmachung im Blick haben, gute Vorschläge erarbeitet werden. Herr Kollege Scholz, natürlich bin auch ich der Auffassung, dass das Parlament dem nicht zusehen kann. Spätestens dann, wenn es darum geht, Ergebnisse bzw. Vorschläge in Gesetzesform zu gießen, muss das Parlament beteiligt werden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt "Beteiligung"? Hier wird es entschieden!) - Wir werden es natürlich entscheiden. Wir werden uns sinnvollerweise auch im Vorfeld an der Diskussion beteiligen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir beteiligen Sie auch!) Die Rechtspolitiker der CDU/CSU und der FDP haben sich schon den einen oder anderen Gedanken gemacht. Ich glaube, wir sind auf einem sehr guten Weg, uns zu einigen und uns auch daran zu beteiligen. Die Bedeutsamkeit und die schwerwiegenden Fälle von Kindesmissbrauch muss man nicht besonders erwähnen. Kindesmissbrauch findet überall statt, vorwiegend im privaten Bereich. Es ist widerlich, was Kindern teilweise angetan wird. Selbst im sogenannten Arbeiter- und Bauernparadies - so schreibt Die Welt am 21. März - hat es allein in Thüringen über 160 ehemalige Insassen von sogenannten Jugendwerkhöfen gegeben, die sich wegen sexueller Übergriffe zu ihren Lasten gemeldet haben. Wir sehen also: Diese Taten finden überall und immer statt. Deswegen ist es richtig, zu versuchen, deren Zahl zu minimieren, sie frühzeitig aufzudecken und eine langfristige Belastung der Opfer zu vermeiden. Es wurden schon gute Projekte genannt, zum Beispiel das Projekt "Kein Täter werden" der Charité. Meines Erachtens würde es sehr viel Sinn machen, dass sich nicht nur Berlin mit solchen Projekten beschäftigt, sondern auch Hamburg, Frankfurt, Köln und München. Es ist ein richtiger Ansatz, zu sagen: Wenn man Missbrauch vermeiden kann, muss man sich gar nicht erst über Bestrafung und Opferentschädigung unterhalten. Das muss man aber gleichwohl tun, wenn Missbrauch stattgefunden hat. Deswegen sind wir der Auffassung - das ist mittlerweile unstreitig -, dass es sinnvoll ist, die zivilrechtliche Verjährungsfrist zu verlängern. Es ist nicht nur sinnvoll zu wissen, dass der Täter bestraft wird, sondern es ist auch sinnvoll zu wissen, dass man eine Entschädigung für das erlittene Leid bekommt. So bekommt man vielleicht die Kosten der Therapie erstattet oder - was meines Erachtens noch wichtiger ist - sogar Schmerzensgeld aufgrund dieser massiven Eingriffe in die körperliche und seelische Integrität. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, dass man den Täter in genügendem Maße abschrecken muss. Angesichts dieser abscheulichen Form der Kriminalität halten wir es zudem für sinnvoll, diese Form des Missbrauchs endlich als das zu bewerten, was es ist, nämlich als ein Verbrechen. Das ist ein Teil der Gesamtstrategie; aber auch über den strafrechtlichen Aspekt der Abschreckung sollte nachgedacht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Aus meiner Sicht muss man über eine Verlängerung von Fristen auch im strafrechtlichen Bereich nachdenken; Herr Kollege Scholz hat das auch angesprochen. Dabei gibt es eine gewisse Diskrepanz, vielleicht auch eine gewisse Problematik, die darin besteht, dass sich manche nicht offenbaren können. Strafrechtlich gesehen gibt es das Problem der Aufklärung nach langer Zeit. Persönlich beim Opfer besteht das Problem, dass man nicht sofort in der Lage ist, sich zu offenbaren, erst recht nicht, wenn man noch ein Kind ist und missbraucht wurde. Da wir in der vergangenen Woche auch über dieses Thema diskutiert haben und die Grünen Antragsteller dieser Aktuellen Stunde sind, möchte ich abschließend Folgendes sagen: Herr Kollege Montag hat erwähnt, dass Rot-Grün nach dem Regierungswechsel 1998 nichts Eiligeres zu tun gehabt habe, als ein veraltetes und täterfreundliches Sexualstrafrecht zu verschärfen. Im Anschluss an die vergangene Sitzung habe ich mich schlaugemacht: In Wahrheit war es so, dass die Reform erst einmal gar nicht stattfand, sondern fünf Jahre nach dem Regierungswechsel, nämlich im Jahr 2003, und zwar auch deshalb, weil der Bundesrat und die CDU/CSU-Fraktion über Jahre hinweg eigene, zum Teil wesentlich schärfere Gesetzentwürfe vorgelegt haben, die zum Beispiel von den Grünen abgelehnt wurden. Ich zitiere abschließend aus der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses dazu: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hob hervor, dass die parlamentarischen Debatten um die Reform des Sexualstrafrechts als ein offener Dialog geführt worden seien. Es stimme, dass sich die Koalition in einigen Punkten nach der Anhörung und der notwendigen Abwägung der juristischen ... Argumente der Position der Union angenähert habe. Im Laufe dieser Diskussion habe es auch Positionen gegeben, die man nicht mehr vertrete. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das war in diesem Fall sicherlich sehr sinnvoll. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass wir uns auch diesmal annähern und für die Opfer gute Lösungen finden. In diesem Fall freue ich mich auf die Zusammenarbeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nächste Rednerin ist Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema "sexueller Missbrauch" oder "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" eignet sich wirklich nicht für Parteipolitik, nicht für Populismus und auch nicht für kurzfristige Schlagzeilen. Das Thema bedarf ganz großer Ernsthaftigkeit und Hartnäckigkeit; denn es geht um die Zerstörung von Kindern - ihrer Körper, ihrer Seelen und ihres ganzen Lebens. Darum geht es. Deshalb erwarte ich große Ernsthaftigkeit. Die Menschenrechte gelten überall - so sind sie festgelegt - und für jeden Menschen, auch für unsere Kinder. Niemand auf dieser Welt - das muss man sich täglich sagen - hat das Recht, die Rechte eines Kindes zu missachten. Weder in Familien noch im Bekanntenkreis, in Vereinen oder in irgendeiner Institution duldet die Demokratie Menschenrechtsverletzungen, weder in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen noch in Reformpädagogikschulen oder sonst irgendwo. Die Straftaten, über die wir derzeit öffentlich reden, wurden in Institutionen begangen, in Schulen und Internaten. Diese bildeten mit ihrem geschlossenen System den Schutzraum und den Nährboden für die Täter, die hier ihren Neigungen nachgehen und diese ausleben konnten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Das ist das System, nach innen abgeschottet. Wir alle können hier nicht versprechen, dass es nie mehr Kinderschänder geben wird. - Ich benutze bewusst dieses Wort und nicht ein griechisches oder ein sonstiges Fremdwort, weil ich denke, dass es eindeutig und klar ist. Das sind Kinderschänder, und da gibt es kein Pardon. - Was wir aber versprechen müssen, ist, dass wir alles tun werden, um den Tätern den Schutzraum zu nehmen, damit sie nicht unentdeckt bleiben. Was muss also getan werden? Wir fangen bei der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexualisierten Gewalt nicht bei null an. Das sollten wir sehen. Wir haben Aktionspläne geschrieben; wir haben eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die immer noch existiert und in der Vertreter des Bundes, der Länder und von Nichtregierungsorganisationen sind. Wir brauchen eine rückhaltlose Aufklärung aller Fälle. Ich erwarte von den Tätern und den Institutionen, dass sie sich klar und eindeutig zu ihrer Schuld bekennen und dass sie sich für dieses Unrecht entschuldigen. In der Bibel heißt es: Eure Rede aber sei: ja ja; nein nein. Was darüber ist, das ist von Übel. Diese Klarheit erwarte ich von den Institutionen, egal von welcher. Ich erwarte auch, dass sie alles unternehmen, die geschlossenen Systeme aufzubrechen, um die ihnen anvertrauten Kinder vor Gewalt zu schützen. Und: Alle Opfer brauchen die notwendige Unterstützung, um ihre Traumatisierungen zu verarbeiten. Das gilt auch für diejenigen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen. Auch diese Opfer haben ein Recht darauf. Wir müssen die seit Jahren begonnene Arbeit zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch fortsetzen. Hier ist wirklich viel getan worden. Dabei geht es nicht um Parteipolitik, nicht darum, wer was mehr gemacht hat. Das Thema ist schon lange in der Politik angekommen. Wir haben sowohl im Strafrecht und im Jugendhilferecht als auch in der Öffentlichkeit sehr viel dafür getan. Wenn der runde Tisch dazu beiträgt, die Aufgaben der Aufarbeitung und der Hilfe für die Opfer, soweit möglich, zu erfüllen - wir können die Taten nicht ungeschehen machen -, wenn wir für die Zukunft lernen, dann hat der runde Tisch einen Sinn, aber nur dann. Was wir nicht machen dürfen, sind leere Versprechungen und großes Getöse. Ich verspreche, mich im parlamentarischen Raum und außerhalb im Sinne der Betroffenen und aller Kinder ernsthaft, ehrlich und offen dafür einzusetzen, dass wir an diesem Thema arbeiten und ihnen Schutz gewähren. Das erwarte ich übrigens vom ganzen Haus. Das erwarte ich von jedem Mitglied dieser Gesellschaft. Wenn wir sehen, dass ein Kind von Gewalt betroffen bzw. Gewalt ausgesetzt ist, dann müssen wir - ich, Sie, wir alle - hinsehen, handeln und helfen. So - "Hinsehen. Handeln. Helfen!" - hieß übrigens im April 2004 die erste Kampagne in diesem Bereich. Millionen Menschen haben sie mitbekommen. Ich hoffe, dass wir sie fortsetzen können. Ich mache mich dafür stark. Wenn Sie in diesem Sinne handeln, dann haben Sie mich, sehr verehrte Ministerinnen, an Ihrer Seite. Ich kämpfe gern dafür, dass wir einen Riesenschritt im Sinne der Kinder und der Betroffenen vorwärts machen. Danke schön. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Christian Ahrendt hat das Wort für die FDP-Fraktion. Christian Ahrendt (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Rupprecht, ich glaube, dass wir alle in dieser Stunde versuchen, uns diesem Thema sehr ernsthaft zu nähern, und dass das in dieser Aktuellen Stunde gut gelungen ist. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass dieses Thema parteiübergreifend angegangen werden muss und dass es für dieses Thema keine schnellen Lösungen gibt. Als ich mich gestern Nachmittag auf diese Aktuelle Stunde vorbereitet habe, ist mir eine dpa-Meldung in die Hände gekommen, aus der ich kurz zitieren will: Die Mutter der Mädchen hatte ihren Bekannten öfter auf die Kinder aufpassen lassen. Als sie den Missbrauch bemerkte, ließ sie den Mann nicht mehr in die Wohnung, zeigte ihn aber nicht an. Das ist die Situation. - Wenn wir versuchen, nach Antworten zu suchen, dann kommt es darauf an, dass wir uns die richtigen Fragen stellen. Diese Fragen müssen uns auch im Zusammenhang mit der katholischen Kirche beschäftigen. Sie erschrecken uns. Die Fragen lauten: Wie lange dauert es, bis ein Opfer den Weg nach draußen findet? Warum liegen die Fälle des Missbrauchs 10, 20 und mehr Jahre zurück, bevor die Opfer den Mut finden, sich zu öffnen und die Tat, die an ihnen verübt worden ist, bekannt zu machen? Wenn man sich die Fragen so stellt, wird man eine Antwort in erster Linie im Bereich der Prävention suchen müssen. Das Projekt "Kein Täter werden" der Charité in Berlin ist schon angesprochen worden. Es gibt ein vergleichbares Projekt an der Universität Kiel und ein ähnliches an der Universität Regensburg. Die Projekte wenden sich an potenzielle Täter, also an Pädophile, die noch keine Tat verübt haben, um sie zu therapieren. Ich halte es deswegen für wichtig, dass sich der runde Tisch mit der Frage beschäftigt, wie wir dieses Projekt auch an anderen Universitäten, die ähnliche Lehrstühle haben, etablieren können, um ein Angebot zu schaffen; denn das Besondere an dem Angebot ist die Anonymität. Wenn wir in diese Richtung denken, dann müssen wir auch in Richtung der Opfer denken. Wir müssen - das ist eine Aufgabe, die wir als Parlament an den runden Tisch bringen müssen - uns die Frage stellen, ob wir nicht auch ein Projekt mit der Überschrift "Kein Opfer werden" brauchen. Das ist sicherlich etwas unglücklich formuliert; denn wenn ein Mensch, ob Junge oder Mädchen, in die Situation kommt, missbraucht zu werden, dann ist er schon ein Opfer. Aber die Opfer müssen einen Ausgang finden, weil sie sich in der Situation befinden - das wurde bereits angesprochen -, dass der Täter aus demselben sozialen Netzwerk kommt: Er kommt aus der Familie, er ist, wie ich es eben vorgelesen habe, der Bekannte der Mutter, er ist der Lehrer, in der Kirche der Priester oder möglicherweise auch der Lehrer. Tatsache ist auch, dass Dritte, die diese Taten beobachten, nicht unmittelbar die Kraft und den Mut finden, sich dieser Situation zu stellen. Deswegen müssen wir nach geeigneten Stellen suchen - ähnlich wie bei den Projekten der Charité, in Kiel oder in Regensburg -, an die sie sich wenden können, um ihre Beobachtungen oder möglicherweise ihren eigenen Missbrauch vortragen zu können, um Hilfe und Beratung zu erhalten. Damit öffnen wir eine Tür, damit die Menschen aus diesem Problembereich herauskommen. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was müssen wir im Strafrecht tun, um die vorhandenen Instrumente stärker auf Prävention auszurichten? Es kann doch nicht sein, dass jemand, der zum ersten Mal mit 1,6 Promille im Verkehr unterwegs ist, nach einem Jahr seinen Führerschein nicht wiederbekommt, ohne eine sogenannte MPU, eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung, gemacht zu haben, während wir im Strafrecht die Situation haben, dass - wenn niedrige Freiheitsstrafen, niedrige Geldstrafen, überhaupt Strafen unter zwei Jahren verhängt werden - die Maßregeln, die wir im Strafrecht zur Verfügung haben, um den Täter zu einer Therapie zu bewegen, nicht genügend angewendet werden. Das Strafrecht bietet gerade bei Tätern, die im Bereich der Kinderpornografie ihre "Täterkarriere" beginnen, einen durchaus sinnvollen Ansatz - eine Ordnung in der Struktur in der Maßregel, was eine therapeutische Behandlung als Auflage in einem Urteil angeht -, um zu Ergebnissen zu kommen und weiterhin einen präventiven Schutz zu gewährleisten. Ausgehend von der Frage, die ich aufgeworfen habe, sind das mögliche Antworten. Viele andere Ansätze sind heute genannt worden. Es liegt eine Diskussion vor uns, die von den Ergebnissen des runden Tisches wesentlich beeinflusst werden wird. Ich glaube, wir alle haben die Ernsthaftigkeit, um am Ende die richtigen Entscheidungen zu treffen, um auf die Frage, wie wir den Missbrauch von Kindern erfolgreich bekämpfen, eine gute Antwort zu geben. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ekin Deligöz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Missbrauch von Kindern, insbesondere in Institutionen, ist ein abscheuliches Verbrechen. Darin sind wir uns einig. Wir dürfen das nicht bagatellisieren. Wir dürfen das nicht verharmlosen, indem wir sagen: Das gab es schon immer und wird es auch immer geben. Ich glaube, auch darin sind wir einer Meinung. Das Parlament steht in der Mitverantwortung, wenn es darum geht, Kinder zu schützen. Auch darin wäre ich gerne mit Ihnen einer Meinung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn man in den vergangenen Tagen und Wochen die Berichterstattung der Medien verfolgt hat, konnte man das nicht wirklich herauslesen. Was haben die zuständigen Ministerinnen dazu beigetragen? An dem Punkt, an dem man geradezu erpicht darauf war, zu handeln, die Dinge beim Namen zu nennen, nichts zu vertuschen und schonungslos aufzuklären, haben uns die Medien ein Schauspiel von drei Ministerinnen, von drei - Zitat - "starken Frauen" geliefert. Das war ein Schauspiel, in dem sie sich gezankt haben, in dem sie Zwistigkeiten hatten und in dem nicht klar war, wer welche Kompetenzen hat. Sie haben Parteipolitik gemacht. Sie haben Ressortinteressen vertreten. Sie haben einzelne Interessengruppen geschützt und gedeckt. Sie haben uns ein Schauspiel geliefert, und Sie haben sich nicht den drängenden Fragen gestellt. Das müssen Sie sich vorwerfen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Leutheusser-Schnarrenberger, vieles von dem, was Sie gesagt haben, habe ich sehr geschätzt. Aber wenn Sie sich heute hier hinstellen und sagen: "Wir holen uns Anregungen vom runden Tisch", dann sage ich Ihnen: Sie waren doch schon einmal viel weiter. Sie waren auch bei Ihren Forderungen schon viel weiter. Warum stehen Sie nicht dazu? Sie haben doch schon einmal genau das Richtige gefordert. Sie haben gesagt: Wir brauchen eine Aufarbeitung der Verbrechen. Das brauchen wir. Dafür reicht ein runder Tisch aber nicht aus. Wir brauchen unabhängige Stellen. Auch das haben Sie einmal gefordert. Stehen Sie doch dazu. Das ist richtig. Wie soll denn der runde Tisch funktionieren? An einem runden Tisch, ohne klare Kompetenzen, sollen sich die Betroffenen selbst analysieren und sich selbst kritisieren? Sie sollen selbst schauen, was bei ihnen in die Brüche gegangen ist, was bei ihnen falschgelaufen ist? Das wissen Sie doch. Sie waren doch schon viel weiter. Setzen Sie sich doch durch. Lassen Sie sich doch nicht einlullen von Ihren Kollegen, und lassen Sie sich auch nicht einreden, ein runder Tisch sei der richtige Ort, um so etwas aufzuarbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen diese Anregungen nicht. Wir brauchen eine schonungslose Aufklärung. Wir müssen herausbekommen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass so etwas passiert ist, welche Umstände dazu geführt haben, welche Rahmenbedingungen das ermöglicht haben und was wir tun können, damit so etwas in Zukunft in dieser Form nicht wieder vorkommt; denn wir brauchen mehr als Aufklärung. Es ist immer noch nicht ganz klar, was Sie mit dem runden Tisch erreichen wollen. Einen Rechercheauftrag gibt es nicht. Einen Analyseauftrag, einen Ermittlungsauftrag gibt es nicht. Es ist überhaupt nicht klar, wer was wie veröffentlichen soll oder wird. Noch eines ist anzumerken, wenn man nach vorne schaut - das sage ich gerade der CDU/CSU-Fraktion, die immer gesagt hat: "Kinderrechte sind in der Verfassung schon verankert. Deshalb brauchen wir sie nicht noch einmal aufzunehmen" -: Nehmen Sie diesen Auftrag ernst, und sagen Sie, dass es hier auch um Kinderrechte geht, dass wir das in den Vordergrund stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Diana Golze [DIE LINKE]) Dann agieren Sie doch auch so. Nehmen Sie sich selbst beim Wort. Davon ist leider nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Frau Schröder, Sie sagen, dass es keine Schutzräume für Pädophile geben soll. Konkretisieren Sie das: Was meinen Sie damit? Wie soll das aussehen? Wie wollen Sie das verhindern? Was sind Ihre Antworten? Sagen Sie uns nicht Sachen, die sowieso jeder weiß und jeder kennt. Sagen Sie uns, wie Ihre Vorstellung aussieht, wie Sie handeln wollen. Wir wollen Sie handeln sehen. Wir wollen Sie nicht nur reden hören. Wir wollen auch nicht, dass Sie lavieren. An diesem Punkt haben wir die Verantwortung, im Parlament und in der Regierung. Wir lassen viele Opferverbände alleine. Wir können nicht nur die Charité unterstützen, sondern müssen auch Wildwasser und Zartbitter unterstützen. Das sind viele Frauen, die Tag für Tag mit den Opfern arbeiten. Auch sie kommen in unseren Debatten nicht vor. (Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Kinderschutzbund!) Auch Kinderschutzbund und Kinderschutzhäuser müssen Sie einbeziehen. Sie fühlen sich im Moment alleingelassen. Sie fühlen sich im Stich gelassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unser Auftrag lautet: schonungslose Aufklärung und konsequenter Schutz von Kindern, und das ohne Wenn und Aber, ohne Lavieren, nicht mit unverbindlichen runden Tischen, sondern mit einem klaren Handlungsauftrag. Das fordern wir von Ihnen ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Dorothee Bär hat jetzt das Wort für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dorothee Bär (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute eine Aktuelle Stunde, der es meines Erachtens nicht an Ernsthaftigkeit gefehlt hat - egal wer ans Rednerpult getreten ist, ob Herr Scholz, Frau Golze oder Frau Rupprecht. Auch die Beiträge der Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen waren sehr konstruktiv. Deswegen verstehe ich ehrlich gesagt nicht, warum Sie, Frau Künast und Frau Deligöz, so viel Redezeit dafür verwenden, zu sagen, was Sie alles nicht in Ordnung finden, warum Sie meinen, die Ministerinnen an dieser Stelle vorführen zu müssen. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es einen Anlass dafür gibt! Machen Sie es besser!) Die Debatte ist dafür viel zu ernst. Ich würde mich freuen, wenn die Grünen bei diesem Thema gemeinsam mit allen Fraktionen im Bundestag an einem Strang ziehen würden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Seitdem der Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin an die Öffentlichkeit gegangen ist - das ist auch von Ministerin Schröder angesprochen worden -, vergeht kein Tag, an dem nicht weitere Fälle bekannt werden, in denen Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch wurden. Es ist wichtig, in dieser Debatte anzusprechen, dass nicht eine einzelne Gruppierung dafür verantwortlich ist. Diese Misshandlungen, dieser Missbrauch, diese unterlassene Hilfe für die Opfer findet nicht nur in kirchlichen Einrichtungen statt, sondern auch in weltlichen, in Internaten, in Schulen, in Sportvereinen, und leider Gottes eben auch in Familien. Es ist auch angesprochen worden, dass diese Taten, die hier jetzt ans Tageslicht kommen, schon sehr viele Jahre zurückliegen, weil die meisten Opfer aus Scham geschwiegen haben. Diejenigen, die gesprochen haben, haben oft sehr schnell wieder geschwiegen, weil ihnen in vielen Fällen nicht geglaubt wurde. Durch dieses Schweigen und Wegsehen wurde großes menschliches Leid verursacht. Aus falsch verstandener Sorge um den Ruf der Schule, des Vereins, der Kirche, aber auch aus Angst vor Skandalen hat man die Opfer alleingelassen. Ich bin sehr dankbar, dass das Verschweigen und Wegsehen ein Ende hat und dass eine Enttabuisierung stattfindet, und zwar so, dass sich jedes Opfer melden und sagen kann, dass es ihm passiert ist, ohne damit rechnen zu müssen, in eine Ecke gestellt und mit komischen Begriffen tituliert zu werden, leider Gottes auch vor Gericht. Diese Enttabuisierung findet endlich statt. Frau Künast, wenn Sie die Ministerin kritisieren und sagen, sie hätte hier eine eigene Regierungserklärung abgeben müssen, dann müssen Sie doch feststellen, dass sogar die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung auf das Thema Bezug genommen und zum Thema Missbrauch Stellung genommen hat. Ich denke, höher angesiedelt als bei der Bundeskanzlerin ist das in diesem Land nicht möglich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Renate Künast [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Etwas tun! Nicht nur einen Satz sagen, der Papst sei gut!) Die Bundeskanzlerin hat gesagt - ich zitiere -: Klarheit und Wahrheit sind das, was die Opfer, aber auch die Gesellschaft als Ganzes brauchen. - Nur so können Übergriffe in der Zukunft verhindert werden. Wir alle wissen, dass es besonders perfide ist, dass es in der Regel Vertraute sind, die die Opfer angreifen. Es sind Lehrer, es sind Sporttrainer, es sind Chorleiter, nahe Verwandte und Bekannte. Mit dieser Tat werden nicht nur die Körper zerstört, sondern auch das Vertrauen, die Unbeschwertheit, die Unbefangenheit und das ganze Leben dieser Kinder. Deswegen bin ich froh, dass wir jetzt diese Transparenz und Offenheit haben. Die Idee der Bundesregierung - die drei Ministerinnen wurden angesprochen -, einen runden Tisch zu installieren, ist gut. Ich begrüße das sehr. Wir müssen den Opfern natürlich auch materiell helfen - Schmerzensgeld ist angesprochen worden -, aber Geld ist nicht das Einzige, und mit Geld kann kein Leid aufgewogen werden. Aber oft ist es so - auch das muss man hier feststellen -, dass die Berufsbiografien von Opfern, die sich nach Jahren oder Jahrzehnten melden, so zerstört sind, dass Geld wichtig ist, damit sie sich beispielsweise durch Fortbildungen oder Weiterbildungen die Möglichkeit schaffen können, eine neue berufliche Existenz aufzubauen. Das erleben wir sehr oft. Wir müssen natürlich die Kinder sehr starkmachen; das ist klar. Die Verbesserung der Möglichkeiten für Opfer, sich jemandem anzuvertrauen, ist angesprochen worden. An dieser Stelle muss eine stärkere Sensibilisierung stattfinden, sodass hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter fortgebildet werden und dass über Strategien gesprochen wird. Wir brauchen natürlich auch Rahmenbedingungen, die es den Tätern erschweren, neue Opfer zu finden. Deswegen müssen zunächst die Berufe, aber auch die Ehrenämter identifiziert werden, bei denen potenzielle Täter sehr nah an Opfer herankommen. Wir haben schon über das erweiterte Führungszeugnis für den Bereich Jugend- und Bildungsarbeit gesprochen, das künftig zur Pflicht werden soll, damit ein auffällig gewordener Lehrer, Übungsleiter oder Trainer keine weitere Anstellung bekommt, bei der er mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. Dass die Taten jetzt öffentlich werden, hat den positiven Nebeneffekt, dass jetzt mehr Opfer den Mut fassen - deswegen werden jetzt jeden Tag neue Fälle bekannt -, sich zu melden. Alle haben realisiert, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein Kartell des Wegschauens, des Schweigens und des Bagatellisierens, das diesen Missbrauch über viele Jahre erst ermöglicht hat. Der runde Tisch ist wichtig und richtig, auch aufgrund der aktuellen Debatte. Meiner Kollegin Miriam Gruß und mir ist es auch ganz wichtig - an dieser Stelle sind wir Koalitionsfraktionen uns einig -, dass wir parallel dazu weiter mit Hochdruck, wie versprochen, am Kinderschutzgesetz arbeiten. Auch das ist zum Teil der aktuellen Debatte geschuldet. Nichts darf unversucht bleiben, um im Vorfeld präventiv so tätig zu sein, dass wir in Zukunft nicht mehr so viel mit Aufarbeitung zu tun haben werden. Wir wollen verhindern, dass so viele Fälle überhaupt stattfinden können. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Herr Scholz hat bereits das Thema Verjährungsfristen angesprochen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Dorothee Bär (CDU/CSU): Ich weiß; das ist der letzte Satz. - Herr Scholz, über die Verjährungsfristen sollten wir uns wirklich in Ruhe unterhalten, weil bei vielen Betroffenen oft noch nach 20 Jahren keine Bereitschaft besteht, etwas aus ihrer Kindheit preiszugeben. Oft kommt der Missbrauch erst wesentlich später als nach 20 Jahren heraus. Ich habe in meinem eigenen Wahlkreis erlebt, dass manche Opfer erst nach 30 Jahren in der Lage sind, - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Dorothee Bär (CDU/CSU): - über den Missbrauch zu sprechen. Ich finde es gut, dass wir alle Fraktionen an unserer Seite haben, wenn wir uns dieses Themas annehmen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Sonja Amalie Steffen hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine ungeheure, ja eine ungeheuerliche Zahl von Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen, Klöstern, Schulen, Chören ist bekannt geworden, der Strom der schlechten Nachrichten reißt nicht ab, und auch ehemalige Schüler einer reformpädagogischen Schule sind betroffen. Hinter den nun aufgedeckten Missbrauchsfällen stehen Einzelschicksale, die alle eines gemeinsam haben - das ist vorhin schon angesprochen worden -: Alle Täter kamen über die Strenge und die Autorität zu ihren Taten. Zuerst wurde die hierarchische Stellung benutzt, um die Integrität der Kinderkörper durch Schlagen und Züchtigen zu verletzen, dann durch sexuellen Missbrauch. Die Hand, die schlug, wurde zur Hand, die streichelte, wo sie wollte, und sich griff, was ihr beliebte. Schließlich wurde sie zur Hand, die Jahre, oft sogar Jahrzehnte Vorwürfe abwehrte. In der Vergangenheit haben wir gerade im Sexualstrafrecht bedeutende Erfolge erzielt. Diese Erfolge sind zum größten Teil der rot-grünen Regierung zu verdanken. Mit der 2004 in Kraft getretenen Gesetzesnovelle wurden bereits erhebliche Strafverschärfungen im Bereich der sexuellen Gewalt gegen Kinder und gegen widerstandsunfähige Personen beschlossen. Aus der Praxis wissen wir jedoch, dass es oft sehr lange dauert, bis Missbrauchsopfer in der Lage sind, die Straftat anzuzeigen; die aktuellen Fälle machen dies erneut auf schockierende Art und Weise deutlich. Erst wenn die Opfer über das Geschehene reden, in Therapie gehen und verdrängte Bilder zulassen, kommen viele zu dem Schluss, dass der Missbrauch geahndet werden muss. In Ländern wie Kanada oder Großbritannien müssen Sexualstraftäter mit lebenslanger Strafverfolgung rechnen. Rechtsanwälte und Opferschutzorganisationen in diesen Ländern stellen eine erhebliche Verbesserung der Strafverfolgung fest, auch deshalb, weil der Zeitdruck bei der Beweisbeschaffung wegfällt. Auch im deutschen Strafrecht ist eine Korrektur der regelmäßigen Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch geboten. Nach unserem gegenwärtigen Recht ruht die Verjährung bei Sexualstraftaten, bis das Opfer 18 Jahre alt geworden ist; das ist, wie ich denke, eine Reform, die wirklich sehr gut war. Jedoch ist die Zeit, die dem Opfer dann bleibt, um die Straftat zur Anzeige zu bringen, zu kurz; das haben wir in den aktuellen Fällen erneut feststellen müssen. Sie beträgt bei Missbrauch von Jugendlichen nur fünf Jahre und bei Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren zehn Jahre. Das bedeutet, dass die jugendlichen Opfer mit ihrer Anzeige schon im Alter von 24 Jahren zu spät kommen, die Opfer, die als Kinder missbraucht wurden, bereits mit 29 Jahren. Hier ist eine Verlängerung der Verjährungsfrist angezeigt. Jedoch ist dieser Schritt allein nicht ausreichend. Besonders wichtig ist es, den Opfern professionelle Hilfe an die Hand zu geben, wenn sie sich nach Jahren der Verzweiflung und des Verdrängens zur Anzeige entschließen. Für zahlreiche Missbrauchsopfer werden die langwierigen Verfahren mit Vernehmungen bei Gerichten, bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft und mit Glaubwürdigkeitsgutachten zur Tortur. Den Opfern muss eine juristische und vor allem eine intensive psychologische Unterstützung gewährt werden. Der runde Tisch, der am 23. April seine Arbeit aufnehmen wird, ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Aufdeckung von sexuellem Missbrauch und zur Verstärkung der Präventionsmaßnahmen. Es wird sich jedoch nicht am runden Tisch allein entscheiden, wie Deutschland künftig mit Missbrauch umgeht. Die Tische, auf die es ankommt, sind eckig. Sie stehen in Schulen, in Vereinsbüros, in Jugendklubs, in Esszimmern, in Küchen und in Kneipen. Wie oft an diesen Tischen den Kindern zugehört und den Tätern Nein gesagt wird, davon hängt alles ab. Dass die Dunkelziffer bei Taten, die sich zu 90 Prozent im sozialen Nahbereich der Opfer abspielen, besonders hoch ist, verwundert nicht; das wissen wir alle. Die Hamburger Initiative gegen sexuelle Gewalt an Kindern hat ermittelt, dass ein Kind bis zu sieben Personen ansprechen muss, bevor ihm geholfen wird. Es muss daher auch darüber nachgedacht werden, ob die Mittäterschaft derjenigen, die wissen, schweigen und die Täter oftmals sogar noch decken, nicht stärker unter den strafrechtlichen Fokus genommen werden soll. Im Kampf gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen kommt es darüber hinaus entscheidend darauf an, den Kindern auf breiter Ebene neutrale Vertrauenspersonen in den Schulen, Internaten und Vereinen, aber auch als neutrale Anlaufstelle außerhalb dieser Einrichtungen zur Seite zu stellen, die ihre Sprache sprechen, ihnen zuhören und helfen. Besonders begrüße ich an dieser Stelle, dass mit Christine Bergmann eine im Kampf gegen den Missbrauch sehr erfahrene Sozialdemokratin von der Bundesregierung zur Missbrauchsbeauftragten bestimmt wurde. (Beifall bei der SPD) Es ist unsere Aufgabe, unsere Kinder stark zu machen. Wir müssen alles dafür tun, dass dieses Engagement auf eine breite gesellschaftliche Basis gestellt wird. Denn es ist zu bedenken: Die Opfer sexueller Gewalt bekommen immer lebenslänglich. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Steffen, für Sie war das die erste Rede hier im Plenum. Dazu gratulieren wir Ihnen alle ganz herzlich und wünschen viel Erfolg für die weitere Arbeit. (Beifall) Elisabeth Winkelmeier-Becker hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Taten, über die wir heute sprechen, sind wirklich erschütternd. Die Fallzahlen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, machen uns sehr betroffen. Solche Taten verletzen die Würde, die Integrität, die körperliche und seelische Gesundheit der Opfer. Sie bekommen in der Tat lebenslänglich. Die Verarbeitung solcher Taten dauert Jahre, und oft hört das Leid, das dadurch verursacht wurde, niemals auf. Deshalb müssen wir uns hier die Frage stellen, wie wir damit umgehen und welche Konsequenzen wir ziehen. Mir ist wichtig, an den Anfang zu stellen, dass bei der Erarbeitung möglicher Konsequenzen die Perspektive der Opfer in den Vordergrund gestellt werden muss. Die möglichen Konsequenzen müssen außerdem auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Es geht nicht vorrangig darum, Täter zu schützen und sie zu therapieren. Man muss die Sicht der Opfer berücksichtigen, wenn es darum geht, herauszufinden, was nötig ist. Es geht um Aufarbeitung, um Aufklärung, um Bestrafung der Täter. Es geht aber auch um Schadensersatz nach dem Zivilrecht. Einerseits geht es um Geld, das helfen kann, Therapien zu finanzieren. Andererseits ist damit auch eine Genugtuungswirkung verbunden, da der Täter an dieser Stelle noch einmal zur Verantwortung gezogen wird. Wir brauchen darüber hinaus Veränderungen in den Einrichtungen, bei den Trägern. Wir brauchen Hilfe für Menschen mit pädophilen Neigungen; das ist hier bereits erwähnt worden. Wir müssen bei den Kindern ansetzen, sie sensibilisieren und sie starkmachen, sodass sie sich trauen, Nein zu sagen, und sich wehren können, aber auch sich äußern können, wenn etwas passiert ist, und sich gegen weitere Übergriffe wehren können. Ich empfehle, bei den Dingen anzusetzen, die in unserem Handlungsbereich liegen. Bereits angesprochen wurden die Änderungen im strafrechtlichen Bereich. Sinnvoll ist zum Beispiel die Verlängerung der Verjährungsfrist; denn eine dreijährige Verjährung ab dem 21. Geburtstag bei zivilrechtlichen Ansprüchen ist zu kurz. Wir erleben aufgrund der bekannt gewordenen Fälle gerade jetzt, dass das Bewusstsein, dass einem massives Unrecht angetan worden ist, und die Fähigkeit, darüber zu reden, manchmal erst später eintreten. Die Opfer können meist erst in einem fortgeschritteneren Alter darüber sprechen, da die Verletzung so tief liegt. Dies soll nicht den Täter vor Strafe oder vor zivilrechtlicher Verfolgung schützen. Wir brauchen vielmehr einen Schutzraum für die Opfer. Deshalb müssen wir prüfen, was wir in Bezug auf die Verjährungsfristen tun können. Auch hinsichtlich der Straftatbestände gibt es Wertungswidersprüche. Selbst wenn man das flüchtige Berühren über der Kleidung nicht dramatisieren muss, kann man Wertungswidersprüche nicht stehen lassen. Sexuelle Nötigung bei Erwachsenen stellt ein Verbrechen dar. Eine vergleichbare Tat kann im Grundtatbestand bei Kindern nicht nur als Vergehen bewertet werden. Wir müssen näher an die Kinder herankommen. Wir müssen ihnen Ansprechpartner in ihrem Umfeld zur Verfügung stellen, zu denen sie Vertrauen aufbauen können. Das geht aber natürlich nicht per Dekret. Gerade dies ist Aufgabe des runden Tisches. Er ist unter anderem sinnvoll, weil man dort mit den betroffenen Institutionen darüber sprechen kann, welche strukturellen Veränderungen helfen, damit Kinder genau dieses Angebot vorfinden können. Meine Damen und Herren, es sind schon viele Aspekte angesprochen worden. Ich möchte nicht alles wiederholen, aber noch einmal darauf eingehen, welche Strukturen wir vielleicht verändern müssen, wie wir da herangehen müssen, und da beginnen mit einer Einschätzung von Zartbitter Köln, nämlich dass es tatsächlich einen Zusammenhang gibt zwischen der Häufigkeit von sexuellem Missbrauch und der Struktur einer Organisation. Offene, klar organisierte Strukturen, ein Mitspracherecht, Möglichkeiten, sich zu beschweren, helfen gegen Missbrauchsanfälligkeit. Wenn die Persönlichkeit des Kindes ernst genommen wird, wenn - das ist nicht wirklich überraschend - nicht zu viel Autorität herrscht, aber auch kein diffuses Laisser-faire - damit zitiere ich die Leiterin von Zartbitter Köln -, wird Missbrauch nicht begünstigt. In beiden Extremen ist den Kindern nicht geholfen. Demokratische, offene, klare Strukturen sind das, was hilft. Das muss der Maßstab sein für alle Strukturveränderungen, die in Institutionen diskutiert und in Angriff genommen werden. Erschreckend ist, dass anscheinend auch ein hoher moralischer Anspruch nicht davor schützt, dass Missbrauch passiert, sondern ihn sogar noch schlimmer machen kann. Ich möchte aber auch betonen, dass es bei dem moralischen Anspruch, mit dem die Institutionen - die Reformpädagogen, aber auch die Kirchen - wirken, gerade darum geht, das Wohl des Menschen, das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu rücken. Die Anliegen dieser Institutionen, auch die Glaubensbotschaft, dürfen nicht insgesamt dadurch diskreditiert werden, dass in ihren Einrichtungen Taten begangen worden sind, die Missbrauch darstellen. Ich schließe mich hier Heiner Geißler an, der mit seiner Kritik an den Strukturen ja nicht gerade zimperlich ist. Er hat aber auch ganz klar gesagt: Aus seiner Erfahrung als Jesuitenschüler sind die Vorfälle in den Orden keine typischen Vorfälle. Die kirchliche Botschaft besagt ganz klar: Wer einem Kind etwas antut, der wäre besser mit einem Mühlstein um den Hals im Meer versenkt worden. Deshalb glaube ich der Kirche und nehme es ernst, wenn sie jetzt sagt, dass sie neue Leitlinien entwickeln will, die verhindern, dass es zu Missbrauch kommt, die verhindern, dass verdeckt wird, die verhindern, dass der Täter geschützt wird. Genau das ist der Sinn des runden Tisches. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Ich wünsche den drei Ministerinnen viel Glück. Ich denke, dieser runde Tisch ist der richtige Rahmen, um darüber zu sprechen, wie man die inneren Strukturen so verändern kann, dass man den Kindern tatsächlich helfen kann. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Michaela Noll hat jetzt das Wort für die Unionsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michaela Noll (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Kollegin Künast ist gegangen, und das ist auch nicht schlimm; man hat sie entsprechend entschuldigt. Ich will dennoch sagen, dass ich ihren Vorwurf, wir reagierten mit Schnellschüssen, nicht angebracht fand. Ich bin sehr dankbar, dass wir heute diese Debatte führen. Ich mache den Grünen an dieser Stelle aber den Vorwurf, dass sie das Thema einengen auf sexuellen Missbrauch in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen. Es ist zwar richtig, dass gerade vermehrt Fälle von Missbrauch in solchen Einrichtungen ans Licht kommen; aber es gibt jährlich circa 20 000 Fälle von Missbrauch. Missbrauch findet überall statt. Was glauben Sie, was Opfer von sexuellem Missbrauch denken, die diese Aktuelle Stunde verfolgen? Viele Opfer werden sich fragen: Warum wird nicht auch über Opfer von sexuellem Missbrauch in der Familie gesprochen? Ich finde es wichtig, zu betonen, dass es uns darum gehen muss, sexuellen Missbrauch zu verhindern. Wir haben auch im Familienausschuss darüber gesprochen: 94 Prozent der Täter kommen aus dem unmittelbaren sozialen Nahfeld, das heißt, aus dem Familien-, Bekannten-, Verwandtenkreis. Nur 6 Prozent der Täter sind Fremde. Ich glaube, es wäre hilfreicher gewesen, wenn Sie das Thema weitergefasst hätten. Wir müssen Lösungen finden, um Missbrauch zu verhindern, egal wann und wo er stattfindet. Meiner Meinung nach wäre es wichtig, die Opfer in den Fokus zu nehmen. Deswegen bin ich den Ministerinnen dankbar, dass sie diesen runden Tisch eingerichtet haben. Das zeigt, dass sie einen breiten Lösungsansatz suchen. Viele Kollegen haben schon von Veränderungen im Strafrecht gesprochen. Dafür werden wir sorgen. Es müssen aber vielleicht auch die zivilrechtlichen Vorschriften geändert werden. Ich bin hier relativ nah auch bei Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger; denn wir haben doch eben davon gesprochen: Opfer schaffen es oft nicht, ihr Schweigen zu brechen. Sie brauchen Jahre, um sich zu öffnen und zu sagen, was passiert ist. Die Verjährungsfrist beträgt aber nur drei Jahre. Es gibt Momente, in denen man sich freut, wenn man morgens die Zeitung liest. Der Fuldaer Bischof hat gesagt, er rege an, dass die Kirche über eine freiwillige Entschädigung nachdenkt. Ich glaube, das wäre wirklich einmal eine vertrauensbildende Maßnahme für die Kinder, die in den Einrichtungen zu Schaden gekommen sind. Ich würde das begrüßen. (Beifall bei der CDU/CSU) Genauso sollten wir darüber nachdenken, wie wir das Schweigen der Täter und der Opfer durchbrechen können. Es ist hier mittlerweile meine dritte Legislaturperiode. Schon in der ersten habe ich mich vehement für "Opferschutz vor Täterschutz" eingesetzt und von dem Mainzer Modell gesprochen. Das Mainzer Modell besagt, dass ein Kind dann, wenn es zum Strafprozess kommt, dem Täter im Verfahren nicht noch einmal gegenübersitzen muss, sondern über eine Videokamera vernommen werden kann. Dadurch wird das Kind entlastet, und das Kind wird nicht erneut zum Opfer. Sie haben das damals unter Rot-Grün zulasten der Kinder aber abgelehnt. Das fand ich bitter. In der Großen Koalition haben wir die Videovernehmung dann zugelassen und das 2. Opferrechtsreformgesetz auf den Weg gebracht. Ich glaube, das war ein ausgesprochen wichtiger Schritt. Wir müssen - vor allem als Familienpolitiker - die Kinder starkmachen, sodass die Kinder selbstbewusst sind; denn die Täter suchen keine Gegner, die Täter suchen Opfer. Wir müssen das Selbstbewusstsein der Kinder dahin gehend stärken, dass sie vielleicht auch bei ihren eigenen Eltern "nein" sagen. Ich nenne auch das Projekt, das der Kollege Ahrendt vorgeschlagen hat, "Kein Opfer werden". Genauso haben Sie auch in der Presse angesprochen, dass die Therapieplätze in der Charité weiter ausgebaut werden müssen. Hier bin ich ganz bei Ihnen. Das halte ich für ausgesprochen wichtig. Man sollte vielleicht auch über eine Therapiepflicht von Sexualverbrechern nachdenken. Auch das halte ich für wichtig. Jetzt muss ich aber leider einmal mit den Grünen abrechnen. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar keine Zeit mehr dazu! - Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit ist schon um!) - Nein, die habe ich schon, nämlich 1 Minute und 17 Sekunden. - Kollegin Künast sprach: Die Kinder brauchen Schutz, aber nicht der Papst. Frau Künast appellierte an die moralische Pflicht. Sie sagte auch noch - - (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Vielleicht sollten Sie sich ein bisschen verstecken; denn ich hatte das Glück, vor zwei Tagen das Morgenmagazin zu sehen. Ihre Kollegin war dort zu Gast und wurde auf den Programmparteitag 1985 angesprochen. Das machte mich neugierig. Also habe ich angefangen zu forschen. Jetzt kurz zur Erinnerung: Die Grünen sagten damals, Sex mit Kindern sei für beide Teile - so wörtlich - angenehm, produktiv, entwicklungsfördernd, kurz: positiv. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht das Thema! - Christine Lambrecht [SPD]: Das ist doch zu billig für so ein Thema!) Es sei nicht hinzunehmen, dass Erwachsene, die sexuelle Wünsche von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen und liebevolle Beziehungen zu ihnen unterhalten, mit Gefängnis von bis zu zehn Jahren bedroht werden. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch niveaulos! - Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Propaganda!) - Nein, das hat nichts mit Propaganda zu tun. Ich finde einfach nur im Ganzen, Sie hätten das gar nicht thematisieren müssen. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben 2010!) Sie werfen uns vor, dass wir keine Schnellschüsse machen. Ich bitte Sie um eines: Bevor Sie uns und die Regierung auffordern, aufzuklären, klären Sie die Wähler in NRW darüber auf, was Sie tatsächlich wollen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Iris Gleicke [SPD]: Dieser Beitrag spricht für sich! - Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bodenlos! - Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich einmal kundig!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - Drucksache 17/1147 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothée Menzner, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Solarstromförderung wirksam ausgestalten - Drucksache 17/1144 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Hierzu ist verabredet, eine Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. - Vielleicht kann die Fortsetzung der vorherigen Debatte woanders stattfinden. Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundesumweltminister Röttgen hat gestern neue Zahlen über die Entwicklung der erneuerbaren Energien vorgelegt. 2009 machten die Erneuerbaren 10 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus. Der Anteil am Stromverbrauch steigerte sich auf 16 Prozent, und es ließ sich ein deutlicher Zuwachs des Zubaus im Bereich Biogas-, Fotovoltaik- und Windenergieanlagen verzeichnen. (Ulrich Kelber [SPD]: Das war die Vor-Röttgen-Zeit!) Die Investitionssumme ist auf insgesamt 17,7 Milliarden Euro angestiegen. Die Zahl der Beschäftigten stieg auf 300 000 an. Das sind 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Man kann tatsächlich zu Recht sagen: Die Erneuerbaren haben sich als der Stabilitätsanker in Zeiten der Krise erwiesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Damit ist das, was im Koalitionsvertrag beschrieben wird, nämlich der Weg in das regenerative Zeitalter, nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern er bietet vielmehr gewaltige Potenziale für Innovation, Wachstum und Beschäftigung beim Umbau unseres Energiesystems. Ich begrüße, dass die Bundesregierung nun Aufträge erteilt hat, die Grundlagen für das Energiekonzept durch Forschungsinstitute errechnen zu lassen, damit wir eine Grundlage für die politische Entscheidung haben, wie der dynamische Energiemix der Zukunft aussehen soll, in dem die konventionellen Energieträger mehr und mehr durch regenerative Energien ersetzt werden sollen. Im Energiemix der Zukunft wird Fotovoltaik eine sehr, sehr wichtige Rolle spielen. Wir wollen Fotovoltaik weiter ausbauen. Das zeigt sich auch daran, dass wir den Zielkorridor für den jährlichen Zuwachs nahezu verdoppelt haben, nämlich auf 3 000 Megawatt im Jahr. Das ist ein echtes Wort. Aber jetzt ist es wichtig, die Akzeptanz für die Fotovoltaik in der Bevölkerung auf dem hohen Niveau zu erhalten, auf dem sie schon jetzt besteht. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn von nichts kommt nichts: Natürlich fallen Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren an. 2009 betrugen sie 1,1 Cent pro Kilowattstunde. In 2010, in diesem Jahr, werden sie vermutlich 2 Cent pro Kilowattstunde erreichen. Das sind immerhin 6 Euro pro Monat für einen Durchschnittshaushalt - ein Betrag, dessen Höhe ohne Zweifel erträglich ist, der aber erklärt werden muss. Und es ist schwierig zu erklären, dass im Jahr 2008 der Strom aus Fotovoltaik, deren Anteil am Stromverbrauch 5 Prozent beträgt, letztendlich 45 Prozent der Umlage verursacht hat. Zweistellige Renditeerwartungen müssen zumindest erklärt werden. Deshalb musste die Bundesregierung und muss dieses Haus auf den Umstand reagieren, dass in 2009 die Systempreise - das heißt, die Preise für die Module plus Installationskosten - insgesamt durchschnittlich um 30 Prozent gesunken sind. Für dieses Jahr erwartet man noch einmal einen Preisrückgang von 10 Prozent. Das liegt daran, dass der spanische Markt nahezu zusammengebrochen ist. Das liegt auch daran, dass es einen gewaltigen Zubau an Produktionskapazitäten gegeben hat. Deshalb müssen wir jetzt moderat umsteuern. Genau das wollen wir mit der Novelle tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen die Vergütung der Preisentwicklung anpassen, und zwar durch zusätzliche Degressionsschritte zwischen 11 und 16 Prozent. In der Fotovoltaiknovelle wollen wir einen weiteren Komplex angehen, und zwar das Thema der Flächenkonkurrenz. Darüber haben wir schon in ganz anderen Zusammenhängen gesprochen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Biokraftstoffen. Flächen, gerade Ackerflächen, werden zur Produktion von Nahrungsmitteln und Futtermitteln, aber eben auch von Rohstoffen zur energetischen oder stofflichen Nutzung gebraucht. Wenn dazu noch eine Nutzung durch Fotovoltaik kommt - dazu ist es im letzten Jahr vermehrt gekommen -, dann haben wir tatsächlich ein Problem, zu erklären, wie wir diese unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten unter ein Dach bekommen und dazu noch den Flächenverbrauch, der im Moment bei 100 Hektar pro Tag liegt, realistisch und schnell zurückfahren wollen. Deshalb wollen wir die Nutzung auf Ackerflächen einschränken und stattdessen viel stärker als bislang noch Konversionsflächen in den Mittelpunkt der Nutzung durch Fotovoltaik stellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein dritter Punkt ist uns ganz wichtig, nämlich die Förderung des Eigenverbrauchs: Wie bekommen wir es hin, die Nachfrage dem volatilen Angebot anzupassen? Das ist durch intelligente Haushaltsgeräte möglich, zum Beispiel durch eine Waschmaschine oder Kühltruhe, die zu laufen beginnen, wenn der Fotovoltaikstrom entsprechend produziert wird. Wir hoffen aber auch, dadurch, dass wir den Eigenverbrauch so viel besserstellen als die Einspeisung ins Netz, einen besonderen Anreiz für Innovationen im Bereich der Speichertechnologie zu schaffen und damit das EEG nicht nur quantitativ auszubauen, sondern letztendlich auch qualitativ zu verändern. Ich glaube, dass wir damit einen sehr interessanten und ausgesprochen notwendigen Weg einschlagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden im Rahmen der Diskussionen im Ausschuss insbesondere darauf Wert legen, Planungssicherheit zu gewährleisten, und zwar für die Investoren, die bereits investiert haben und auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Regelung in finanzielle Vorleistung gegangen sind, gerade wenn sie sich in längeren Planungsphasen befinden, weil für die Realisierung ihres Projektes zum Beispiel Bebauungspläne erforderlich sind. Das wird ein Hauptteil unserer Arbeit sein und sicherlich auch im Rahmen der Anhörung eine Rolle spielen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie mit auf den Weg, das EEG qualitativ weiterzuentwickeln! Ich freue mich auf unsere Diskussionen im Ausschuss. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dirk Becker hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dirk Becker (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das alles heute als qualitative Weiterentwicklung zu verkaufen, ist ein netter Versuch. Für die qualitative Weiterentwicklung des EEG ist zwar einiges zu tun, was Sie auch erwähnt haben, was aber nicht Gegenstand der von Ihnen vorgesehenen Gesetzesänderung ist, um die es heute geht. Einen Punkt will ich für die SPD-Fraktion ganz deutlich machen: Wir haben zu jeder Zeit gesagt, dass wir auch die Akzeptanz dieses Gesetzes im Blick haben müssen. Überförderungen dürfen nicht eintreten. Wir müssen auf Überförderungen reagieren. Wir haben 2009 - Frau Dr. Flachsbarth hat das angesprochen - die Marktdynamik gerade beim Thema Fotovoltaik aufgegriffen. In der Begründung zum Gesetz heißt es, dass mit sinkenden Produktions- und Stromgestehungskosten zu rechnen ist. Deshalb wurden sowohl die Degressionsschritte erhöht als auch der flexible Korridor oder atmende Deckel, wie er auch genannt wird, eingeführt. Das zeigt, dass wir schon darauf achten, wie sich der Markt entwickelt. An der Marktentwicklung machen wir fest, ob weitere Kürzungsschritte nötig sind oder ob die Kürzungen geringer ausfallen können. Entscheidend ist für mich eine einzige Frage: Wie ermittelt man verlässlich, was im Markt geht, und wie begründet man das? An diese Frage will ich anknüpfen; denn es ist der Hauptpunkt unserer Kritik. Die Vergütungssätze werden immer wieder mit der schlechten Preisentwicklung in Verbindung gebracht. Doch angesichts der Preisentwicklung muss man zur Kenntnis nehmen, dass Preisentwicklungen nicht nur von Kostensenkungspotenzialen abhängen, sondern dass insbesondere im letzten Jahr auch der Zusammenbruch des spanischen Marktes und die Wirtschaftskrise zu einem Absinken der Modulpreise geführt haben. Das hing nicht nur mit dem Kostensenkungspotenzial zusammen. Wenn man das weiß und zur Kenntnis nimmt, dann muss man sehr sorgfältig analysieren, wie viel künftig im Markt möglich ist. An dieser Stelle gehen die Meinungen weit auseinander. Sie, die Regierungsfraktionen, schlagen uns 16 Prozent vor. Der Fachverband hat 5 Prozent genannt. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und die Verbraucherschützer?) Die SPD hat bisher bewusst noch keine Zahl in die Welt gesetzt, weil es uns wichtig ist, dass die Höhe nicht nach Gemüt oder nach Stimmung, sondern so sachverständig wie möglich ermittelt wird. Deshalb haben wir eine Sachverständigenanhörung gefordert und werden nach der Sachverständigenanhörung einen Vorschlag unterbreiten, was geht. Ich sage nur eine Hausnummer: Die Landesbank Baden-Württemberg, die nicht im Verdacht steht, der SPD nahezustehen, hat gesagt, dass sie alles über 10 Prozent als gefährlich für die Branche ansieht, was den deutschen Markt angeht. Wir haben versucht, beim Bundesminister in Erfahrung zu bringen, auf welcher Grundlage diese 16 Prozent entstehen. Wir haben, wie gesagt, die Sachverständigenanhörung beantragt. Mittlerweile hat der Kollege Kelber nach mehrfacher Rückfrage ein Gutachten bekommen, das an mehreren Punkten bemerkenswert ist. Erstens. Bisher haben Sie argumentiert, sie wollten Preisentwicklungen der Vergangenheit aufnehmen, um dann zu einer einmaligen zusätzlichen Absenkung zu kommen. Das Zitat in dem Gutachten sagt etwas anderes. Da geht man davon aus, dass Erhebungen zufolge für 2010 Preissenkungen von 10 bis 15 Prozent zu erwarten sind. Dass man aufgrund einer Prognose für das laufende Jahr bereits in das Gesetz eingreifen will, widerspricht dem bisherigen Grundsatz der Degression, wie wir ihn im Gesetz verankert haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Entscheidend ist aber auch die Frage, woher diese 10 bis 15 Prozent kommen. Da unterstellt man, dass in einer so wichtigen Frage Wissenschaftler, Wirtschaftsinstitute und wer auch immer gefragt wurden. Wenn man dann liest, woher das kommt, staunt man: Es ist eine Umfrage einer Zeitung. Auf der Grundlage von Daten einer Zeitung kommt diese Regierung zu diesen 16 Prozent. Es kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein, in einer so wichtigen Frage Ihre Entscheidung von Meinungsumfragen einer Zeitung abhängig zu machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Welche Zeitung war das denn?) - Photon. - Wir erwarten einfach, dass in diesen Fragen, bei denen es auch um 50 000 Arbeitsplätze in diesem Land geht, in der Tat eine breite wissenschaftliche Basis Gegenstand der Kürzungsschritte ist. Drittens. Diese Studie arbeitet, wie ich finde, nicht ganz fair mit anderen Studien. Man sucht ganz geschickt aus verschiedensten Studien Zahlen zusammen und vermengt sie ein wenig, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, das man - das behaupte ich - erreichen wollte. So wird die BP-Studie zitiert. Man greift Modulkosten aus dieser BP-Studie auf, argumentiert dann aber nicht im Sinne dieser Studie zu Ende. Man sagt nur: BP sagt; 1 600 Euro bis 1 700 Euro sind zu erwarten; davon gehen wir jetzt einmal aus. Unter dem Strich heißt das, dass wir um 16 Prozent kürzen können. BP kommt zu einem ganz anderen Ende. BP sagt, wie ich vorhin ausgeführt habe, dass die Preissenkungen des vergangenen Jahres noch nicht durch Maßnahmen in den Unternehmen in dem Sinne umgesetzt werden konnten, dass sie auch zu Kostensenkungen wurden, und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Kürzung über 10 Prozent den deutschen Markt nachhaltig beeinflussen würde. Das heißt, dass deutsche Unternehmen massenhaft große Probleme bekommen und wahrscheinlich sogar nicht mehr im Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Meine Damen und Herren, ich habe einfach die Bitte: Wenn Sie solche Gutachten vorlegen, dann zitieren Sie fair und gehen Sie auch auf die Ergebnisse und Argumente der anderen Studien ein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Ulrich Kelber [SPD]: Das wird Thema der Anhörung!) Ich will noch kurz auf Folgendes eingehen: Das Wirtschaftsministerium hat zu Recht festgestellt, dass die Branche, also die PV-Industrie, ihre Rolle als weltweiter Technologieführer sichern muss, indem sie an der Spitze der Bewegung steht. Das heißt technologischer Fortschritt made in Germany als besonderes Aushängeschild, was zugleich einen Wettbewerbsvorteil bedeutet. Nur sage ich noch einmal: Dazu braucht es Zeit. Das geht nicht in einem solchen Hauruckverfahren mit derartigen Kürzungen innerhalb eines Jahres. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal auf die Regierung des Freistaates Bayern Bezug nehmen muss. Ich mache dies aber gerne. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Gott sei Dank!) - "Gott sei Dank", sagt Herr Kauch. (Michael Kauch [FDP]: Ich habe gar nichts gesagt! - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nehmen Sie mal Thüringen!) - Ach so, dann kam es aus Thüringen. Es heißt hier ganz klar: Die kurzfristige Umsetzung dieser Pläne überfordert die Anpassungsfähigkeit der deutschen Solarwirtschaft. Eine zu abrupte und drastische Kürzung birgt die Gefahr schwerer Marktverwerfungen und bedeutet den Verlust wertvoller Arbeitsplätze in einer hochmodernen Branche. (Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Ich habe gehört, dass sich Frau Gönner in einem heute erschienenen Interview ähnlich geäußert hat und sich dieser Auffassung anschließt. Ich habe nur die Bitte: Seien Sie so fair, offen in diese Anhörung zu gehen, sodass wir mit einem gemeinsamen Ergebnis herausgehen! Beteiligen Sie die Branche in Gänze! Verwenden Sie nicht nur die Meinungsumfrage eines Magazins als Entscheidungsgrundlage! Das Thema ist dafür zu wichtig, sowohl im Hinblick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien als auch die vielen Arbeitsplätze in unserem Land. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dirk Becker (SPD): Herr Bundesminister, ich habe die herzliche Bitte: Werden Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst und gehen Sie auf unsere Argumente ein! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Becker hat einen richtigen Punkt angesprochen: Es ist für die Politik sehr schwer, im Bereich des EEG die richtigen Preise zu finden. Man stellt sich nur die Frage, warum es die SPD in elf Jahren Regierungszeit, davon zehn nach Verabschiedung des EEG, nicht geschafft hat, eine staatliche, unabhängige Marktbeobachtungsstelle an eine der vorhandenen Behörden anzuhängen. (Ulrich Kelber [SPD]: Eine neue Behörde!) Wir sind in dieser Diskussion immer wieder auf interessengeleitete Informationen angewiesen. Man muss sich auch bei einer Bank wie der LBBW fragen: Was haben die in ihren Investmentportfolios? Dass uns die Branche andere Zahlen nennt als die Verbraucherschützer, ist möglicherweise auch nicht überraschend. Ich ziehe eine erste Lehre aus diesem Gesetzgebungsverfahren - erstmals nicht in der Opposition, sondern als Vertreter einer Regierungsfraktion -: Wir müssen uns bei den Beratungen zum Haushalt 2011 darüber unterhalten, ob wir hier nicht eine unabhängige staatliche Beobachtung der Marktentwicklung einführen sollten. (Ulrich Kelber [SPD]: Eine neue Behörde? Da können auch Fehler eingestellt werden!) - Das sind Fehler, die Sie gemacht haben. Das FDP-geführte Wirtschaftsministerium hat die einzige unabhängige Studie, das Prognos-Gutachten, eingeholt, die diesen Beratungen zugrunde liegt. Wir sind noch hinter den Vorschlägen geblieben, die dieses Gutachten zur Degression macht. Lassen Sie mich, um dieses Thema abzuschließen, etwas aus dem Bauernblatt-Sonderdruck zitieren. Dort schreibt der Bundesverband Solarwirtschaft, vertreten durch Kai Lippert: Selbst nach einer zusätzlichen Kürzung der Einspeisevergütung zum Halbjahreswechsel werden Photovoltaikanlagen weiterhin eine attraktive und überdurchschnittlich rentable Geldanlage für Hausbesitzer und sicherheitsorientierte Investoren sein. Was gilt denn nun? Einerseits sagt der BSW, dass eine Degression um mehr als 5 Prozent die Branche ruiniert; andererseits empfiehlt er im Bauernblatt-Sonderdruck, in die Solarenergie zu investieren, weil dies eine "überdurchschnittlich rentable Geldanlage" sei. Nur eines kann richtig sein. Man muss das im Lichte dessen beurteilen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die FDP will, dass wir den Weg in das regenerative Zeitalter beschreiten. Die Solarbranche ist eine Zukunftsbranche, die wir am Standort Deutschland ausbauen wollen. Klar ist aber auch: Die ganze Förderung wird am Schluss von den Verbraucherinnen und Verbrauchern bezahlt. Wir haben als Gesetzgeber eine Verantwortung gegenüber den Bürgern, die die Rechnung zahlen. Wir sind dafür, eine Förderung zu betreiben, um die Solarenergie auszubauen, wir erhöhen sogar die Ausbauziele; aber es kann doch nicht sein, dass Anleger auf Kosten der Stromverbraucher Traumrenditen erwirtschaften. Familien mit Kindern müssen hier die größte Zeche zahlen. Die SPD redet hier einer Umverteilung von unten nach oben das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Solarkompromiss gefährdet nicht das Wachstum im Bereich der Solarenergie. Wir senken zwar die Vergütungen ab; aber wir erweitern den Ausbaukorridor. Zugleich hat die FDP in den Verhandlungen erreicht, dass die Degression im Jahr 2011 im Vergleich zum BMU-Vorschlag abgemildert wurde. Ich glaube, wir müssen uns auf diesen Punkt konzentrieren. Jetzt geht es darum, die Kostensenkungen der vergangenen Jahre nachzuvollziehen. Aber es geht in der Entwicklung der Branche auch darum, was nach dem Jahr 2010 geschieht. Ein Punkt in der Anhörung, auf den wir noch etwas Sachverstand verwenden sollten, wird sein: Was ist für die Zukunft das richtige Maß, und vor allen Dingen was ist der richtige Beobachtungszeitraum für unsere Berechnungen in Bezug auf das nächste Jahr? Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Thema ansprechen, das für die FDP von herausragender Bedeutung war und ist, nämlich das Thema Vertrauensschutz. Wir haben erreicht, auch vor dem Hintergrund des harten vergangenen Winters, dass die Fristen bei den Dachanlagen verschoben wurden und dass die Degression nicht zum 1. April, sondern erst zum 1. Juli wirksam wird. (Beifall bei der FDP) Unser Anliegen ist auch, dass Investoren, die im Vertrauen auf das EEG schon deutlich vor der Bundestagswahl in Freiflächenanlagen investiert haben, nicht plötzlich vor den Trümmern ihrer Investitionsentscheidung stehen. Auch hier haben wir Verbesserungen erreicht. Aber wir müssen in der Anhörung herausfinden, ob das in allen Fällen ausreichenden Vertrauensschutz bietet. Das ist die Offenheit, mit der wir in die Anhörung gehen. Offen sind wir beispielsweise auch in der Frage des Eigenverbrauchs. Auf die Frage, inwieweit der Eigenverbrauch vorangebracht werden kann, ohne dass es zu Mitnahmeeffekten kommt, wird die Anhörung ebenfalls eine Antwort bringen müssen. Die Diskussion darüber müssen wir ergebnisoffen führen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Frage, die wir bereits in den vergangenen Wochen intensiv diskutiert haben und bei der die Emotionen sehr stark sind, ist mir noch wichtig: Sollen Solaranlagen auf Äckern installiert werden oder nicht? Es kann aus unserer Sicht keine sinnvolle Lösung sein, wenn man großflächig auf besten Böden Solaranlagen installiert. Aber wir haben in der Koalition einen Kompromiss schließen müssen, zu dem wir auch stehen. Die FDP hat erreicht, dass im Gegenzug zum Ausschluss der Äcker die Konversionsflächen in ihrer wirtschaftlichen Nutzung deutlich ausgeweitet wurden. Aber sollte die CSU ihre Position jetzt ändern, wie es der bayerische Ministerpräsident angedeutet hat, dann wird dies an der FDP nicht scheitern. Auch das werden wir in den nächsten Wochen miteinander diskutieren müssen, um bei den Freiflächenanlagen, die der Billigmacher der Solarbranche sind, zu einem guten Ergebnis zu kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich erteile das Wort der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Bundesregierung seit Monaten mit Verlautbarungen Unruhe, Ängste und Chaos in der Branche der erneuerbaren Energien schürt und wöchentlich eine neue energiepolitische Sau durchs Dorf treibt, liegt nun ein Gesetzentwurf der Koalition dazu vor. Ich halte ihn für einen Salto rückwärts. Der Antrag, den wir vorgelegt haben, will da einiges ausbügeln. Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit einer Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken und dem Neubau von Kernkraftwerken nicht vereinbar. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung spricht von einem grundlegenden Systemkonflikt zwischen einem hohen Anteil von Strom aus Grundlastkraftwerken auf der Basis von Kohle und Uran und einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien. Das sind klare Worte. Ich frage mich: Warum ignorieren Sie eine solche Aussage? Wenn Sie die Aussagen des Sachverständigenrates immer ignorieren, bräuchten Sie sich eigentlich keinen zu leisten. (Beifall bei der LINKEN) Seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist - das wurde schon dargelegt - der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf über 16 Prozent angestiegen. Bei jährlichen Minderungen von gegenwärtig etwa 110 Millionen Tonnen Kohlendioxid leisten erneuerbare Energien damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Also müssen sie ausgebaut werden. Wesentliche Ursache dieser dynamischen Entwicklung ist die durch das EEG garantierte Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien. Die ebenfalls dort verankerte jährliche Absenkung der Einspeisevergütung - das ist die Degression - hat sich als Anreiz für technische Innovationen und die Optimierung in der Anlagenproduktion bewährt. Für Investoren und auch für die produzierenden Unternehmen brauchen wir Planungssicherheit durch mittelfristig festgelegte Vergütungssätze und Degressionsschritte. Das ist von zentraler Bedeutung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unter dem Motto "Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören" legt uns die Koalition einen Gesetzesentwurf auf den Tisch, der die positive Entwicklung im Bereich Solarstrom beenden soll; (Horst Meierhofer [FDP]: So ein Quatsch!) zumindest - so schätzen wir das ein - besteht die große Gefahr. Eigentlich könnte es uns, den Linken, egal sein, wenn Schwarz-Gelb wieder einmal Fehler macht und sich ein ums andere Mal als verlängerter Arm der Konzerne profiliert. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Um Gottes willen!) - Hören Sie doch zu! - Es ist uns aber nicht egal, wenn Sie Tausende Arbeitsplätze in Gefahr bringen und zugleich energie- und klimapolitisch zur Rolle rückwärts ansetzen. Wir halten Ihren Gesetzesentwurf für kontraproduktiv. Ich sage es noch einmal: Seine Verabschiedung gefährdet viele heimische Produzenten. Bereits jetzt mussten einige Kommunen und Privatanleger ihre Solarprojekte auf Eis legen oder absagen, weil sie die Kostenfrage nicht mehr klären können. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Welche?) Von der Koalition kamen im Januar nebulöse Ankündigungen. Zuerst hieß es, dass zum 1. April gekürzt werden soll. Jetzt soll die Kürzung zum 1. Juli erfolgen. Jedes Mal stehen andere Zahlen im Raum. Jede Woche gibt es einen anderen Sachverhalt. Niemand weiß mehr, wie es eigentlich weitergehen soll. Das ist unverantwortlich gegenüber der ganzen Branche. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie kommen mit Entwürfen, die sämtlichen Solarunternehmen die Haare zu Berge stehen lassen und den Beschäftigten den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Sie sind in diesen Fragen ziemlich beratungsresistent. Sie agieren in Rambo-Manier und gefährden - ich sage es noch einmal - Tausende Arbeitsplätze, insbesondere an Solarstandorten mit vielen kleineren Unternehmen in den strukturschwachen Regionen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Lassen Sie Thüringen mal aus dem Spiel!) Aber auch in Bayern gibt es Widerstand. Auch Herr Seehofer hat sich dazu geäußert. Mich würde interessieren, ob er die Sonderausgabe des Bauernblatts gelesen hat. Sie zerstören auch international Vertrauen in die Verlässlichkeit deutscher Umwelt- und Energiepolitik - mit unabsehbaren Folgen. Nur noch einmal als Merkposten: 300 000 Menschen arbeiten hierzulande in der Branche der erneuerbaren Energien - Tendenz stark steigend. Das sind zehnmal so viele wie in der konventionellen Energieerzeugung. Allein 60 000 Beschäftigte entfallen auf die Fotovoltaikbranche, vor allem im produzierenden Gewerbe und im Handwerk. Jetzt behauptet die Regierungskoalition, die konkreten Zahlen und Vorhaben in engem Kontakt mit Solarwirtschaft und Interessenverbänden abgesprochen zu haben. Ich weiß nicht, mit wem Sie da gesprochen haben. Wir haben viele Mails und Briefe erhalten. Wir haben auch mit dem Bundesverband Erneuerbare Energie gesprochen. Da sind uns andere Zahlen vorgelegt worden; das wurde vorher schon angedeutet. Ich meine, dass wir das in der Anhörung sehr intensiv diskutieren müssen. Wir fordern einen Austausch mit den Betroffenen aller Ebenen. Den werden wir führen. Wir fordern in unserem Antrag, die Einspeisevergütung (Horst Meierhofer [FDP]: 10 Euro!) im einstelligen Prozentbereich zu kürzen, keine Deckelung des jährlichen Leistungsausbaus vorzunehmen und vor allem keinen Axthieb auszuführen, sondern eine schrittweise Anpassung vorzusehen. (Beifall bei der LINKEN) Sowohl die Branche als auch die Verbraucher müssen sich so auf die Anpassung einstellen können. Dazu benötigt man natürlich auch Zeit. Unser Antrag wird dieser Tatsache gerecht. Die von der Koalition vorgesehene flexible Marktanpassung der Einspeisevergütung, nach der die Degression um weitere 3 Prozentpunkte angehoben wird, wenn zu viele Solaranlagen gebaut werden, widerspricht unserer Meinung nach dem eigentlichen Förderzweck des EEG. Marktwachstum ist kein Maß für die Kostenentwicklung bei der Herstellung von Solarmodulen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken zulassen? Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Nein, will ich nicht. - Im Übrigen verschweigt die Koalition elegant, dass zur Einmalabsenkung mit dem Jahreswechsel 2011 noch eine Sonderabsenkung um 2 Prozent dazukommt. Bereits in Ihrem eigenen Gesetzentwurf wird davon ausgegangen. Sie versuchen, als Leistung zu verkaufen, dass die Zielmarke des Solarausbaus hochgesetzt wird. Ich frage Sie: Was ist das für eine Zielmarke, von der Sie bereits jetzt wissen, dass sie überschritten wird? Das ist keine Zielmarke, sondern eine Schranke. Wem nützt es letztendlich, wenn der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gebremst wird? Das nützt denjenigen, die aus abgeschriebenen Kernkraftwerken Milliardenprofite machen, und den politischen Akteuren, die als Lobbyisten der Energiekonzerne auftreten und sich für Laufzeitverlängerungen starkmachen. (Michael Kauch [FDP]: Den Hartz-IV-Empfängern nützt Ihre Position nichts!) - Sie haben über Profite gesprochen, die abgeschöpft werden. Dabei haben Sie uns an Ihrer Seite. In den vergangenen Jahren haben wir dafür gekämpft, die Profite der großen Konzerne abzuschöpfen, um endlich Mittel für die Menschen zu haben, die weniger Geld verdienen. Das haben Sie aber nicht getan. Sie verfolgen Ihre Ziele jetzt in der Solarbranche, die schwach ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die großen Konzerne hingegen fassen Sie nicht an. Mit denen gehen Sie - wie es Gregor Gysi heute Vormittag schon gesagt hat - lieber zum Essen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Zuruf von der SPD: Aber die zahlen das auch!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hans-Josef Fell hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Gestern hat Umweltminister Röttgen die aktuelle Erfolgsbilanz der erneuerbaren Energien vorgestellt: Gegen den Trend der Wirtschaftskrise sind sie - Frau Kollegin Flachsbarth hat schon darauf hingewiesen - weiter gewachsen. Die Investitionen in dieser Branche sind im vergangenen Jahr auf knapp 18 Milliarden Euro gestiegen. Sie bieten bereits 300 000 Arbeitsplätze, allein 60 000 davon in der Solarwirtschaft. Kein anderer Industriezweig in Deutschland hatte in den letzten zehn Jahren eine solche Bilanz vorzuweisen. Das ist eine hervorragende rot-grüne Erfolgsgeschichte, die von Union und FDP nicht initiiert, sondern anfänglich sogar bekämpft wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sehr geehrter Herr Röttgen, Sie reden viel von erneuerbaren Energien. Wir glauben Ihren schönen Worten aber nicht mehr, weil Sie mit Ihren Handlungen offensichtlich auf die Beendigung dieser Erfolgsgeschichte abzielen. Ihr Plan einer achtjährigen Laufzeitverlängerung und Ihre Unterstützung für den Neubau von Kohlekraftwerken werden eine massive Mauer gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien aufbauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Becker [SPD]) Gleichzeitig greifen Sie heute mit der Vorlage der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz massiv in die Erfolgsgeschichte der Solarwirtschaft ein. Sie wollen nach der zum Jahreswechsel erfolgten Senkung der Solarvergütung um etwa 10 Prozent nun zum Juli erneut um bis zu 16 Prozent senken und zu Beginn des nächsten Jahres noch einmal um circa 10 Prozent zulangen. Einnahmeverluste von mehr als 30 Prozent innerhalb eines Jahres kann keine Branche schadlos überstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zusätzlich wollen Sie mit den besonders kostengünstigen Freiflächen auf den Äckern sogar ein ganzes Marktsegment völlig zum Erliegen bringen. Alle diese Vorschläge sind hochgefährlich für die deutsche Solarwirtschaft. Das sieht neben den Ministerpräsidenten der Ostbundesländer nun sogar die baden-württembergische Umweltministerin Gönner so. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Fell, Herr Kollege Hinsken würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne, Herr Hinsken. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Hinsken, bitte schön. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Fell, zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie meine Frage zulassen. Vorweg möchte ich bemerken, dass ich grundsätzlich für Solarenergie bin. Ich sage das, damit hier kein falscher Eindruck entsteht. (Ulrich Kelber [SPD]: Aber?) Halten Sie es für gerechtfertigt, dass jemand im sonnigen Regierungsbezirk Niederbayern mit 100 000 Euro Bargeld in der Tasche zu einer Bank gehen und einen Kredit in Höhe von 15 Millionen Euro beantragen kann, um sich 10 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche zu kaufen und darauf eine Solaranlage zu errichten? Das heißt, es wäre möglich, mit einem Einsatz von 0,6 Pro-zent Eigenkapital 15 Millionen Euro zu investieren und so in den folgenden 20 Jahren letztlich Millionen herauszuholen. Ist das nicht ein bisschen überzogen? Ist das noch nachvollziehbar? Ist das gerechtfertigt? Sind Sie nicht ebenfalls der Meinung, dass diese Förderung vollkommen überzogen ist und dass deshalb dringend Korrekturen erforderlich sind? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Hinsken, ich würde Ihr Bekenntnis zur Solarenergie ernster nehmen, wenn Sie dieselben Maßstäbe, die Sie hier in Bezug auf die hohen Renditen an die Solarwirtschaft anlegen, auch an die Atomwirtschaft und die Kohlewirtschaft, die überzogene Gewinne erzielen, anlegen würden. Ich habe noch nie gehört, dass Sie diese kritisiert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es sind Milliardengewinne, die in Unternehmen dieser Branche durch Strompreiserhöhungen, die unsere Kunden immer mehr belasten, erwirtschaftet werden; ich werde in dieser Rede noch darauf eingehen. Diese Gewinne thematisieren Sie nicht. In der Tat bin ich in einem Punkt ganz bei Ihnen: Auch überzogene Gewinne der Solarwirtschaft müssen gecancelt werden; dazu stehen wir. Wir reden aber erst dann ehrlich miteinander, wenn Sie endlich auch die überzogenen, weitaus höheren Milliardengewinne der Unternehmen, die mit konventionellen, klimaschädlichen Technologien produzieren, kritisieren. Genau das habe ich von Ihnen aber noch nie gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das heißt, Äpfel mit Birnen zu vergleichen!) Viele der jungen deutschen Solarfabriken haben bereits 2009 rote Zahlen geschrieben. Vielfältige Ursachen stehen hinter dem Preisverfall. Der politisch verordnete Zusammenbruch des spanischen Marktes, die massive Unterstützung Chinas für den Aufbau neuer Solarfabriken, die Probleme mit einem unterbewerteten Yuan, all das sind Randbedingungen, die die deutschen Solarfabriken aus eigener Kraft nicht ändern können. Was die Unternehmen hier brauchen, ist eine klare Innovationsunterstützung. Aber auch hier machen Sie von der Union das glatte Gegenteil, indem Sie, statt die Fotovoltaikforschungsmittel im Haushalt zu erhöhen, diese sogar noch um 4 Millionen Euro kürzen. Viele Experten befürchten, dass mit Ihren Vorschlägen zur Solarvergütung und zur Kürzung der Fotovoltaikforschungsmittel Zehntausende Jobs in den deutschen Solarfabriken gefährdet sind. Symbolische Werksschließungen und Protestkundgebungen der Belegschaften lassen Sie einfach kalt. Als Jobverluste in der Automobilwirtschaft drohten, haben Sie von der Union zusammen mit den Sozialdemokraten über die Abwrackprämie gleich 6 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, um den Kauf von spritfressenden Autos zu unterstützen, die sogar das Klima schädigen. Doch in der Branche mit der Klimaschutztechnologie Fotovoltaik produzieren Sie Arbeitslose. Wie passt das zusammen? Es gelten bei Ihnen offensichtlich unterschiedliche Gesetze. Sie folgen aufgebauschten, überzogen hochgerechneten Belastungsszenarien, die vor allem von Atom- und Kohlekonzernen vorgelegt werden oder in von ihnen finanzierten wissenschaftlichen Studien erscheinen. Sie fürchten Dutzende Milliarden Euro Markteinführungshilfen für die Fotovoltaik in den nächsten 20 Jahren. Geflissentlich verschweigen Sie in der Debatte, dass die Atomwirtschaft in Deutschland rund 165 Milliarden Euro staatliche Förderung erhalten hat, weit mehr, als die Fotovoltaik jemals benötigen wird. Sie verschweigen auch die Folgekosten der Atomwirtschaft: Mindestens 40 Milliarden Euro kostet den Steuerzahler die Entsorgung der Atomforschungseinrichtungen. Niemals wird die Fotovoltaik solche Schäden verursachen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie verschweigen auch, dass für die Atomkraft damals der Strompreis massiv erhöht wurde. Sie verschweigen zudem, dass die Steinkohlewirtschaft rund 180 Milliarden Euro an Beihilfen erhalten hat und dass sogar im schwarz-gelben Haushalt wieder 2 Milliarden Euro für Kohlesubventionen bereitgestellt werden. Wo ist die Gleichwertigkeit der Betrachtung, wenn Sie die überzogenen Kosten für die Fotovoltaik thematisieren? Ich höre nichts davon, dass Sie selber konventionelle Technologien immer noch zu stark unterstützen. Klimaschutz und Zukunftsinvestitionen sehen wahrhaftig anders aus. Sie von der Union und der FDP beklagen sich auch über die angeblich hohe Belastung durch die Strompreise und verschweigen, dass die erneuerbaren Energien schon heute zur Senkung der Strompreise über den sogenannten Merit-Order-Effekt beitragen. Schamlos streichen die Stromkonzerne die darüber erzielbaren Gewinne ein und erhöhen mit ihrer Monopolmacht die Strompreise. Allein 6 Milliarden Euro haben die Konzerne im letzten Jahr den Stromverbrauchern zusätzlich abgeknöpft, ohne dass irgendeine Gegenleistung erbracht wurde. Der Gipfel der Frechheit ist, dass sie diese Strompreiserhöhungen mit den Mehrkosten für erneuerbare Energien begründen. Herr Kauch, auch Sie haben die hohen Strompreise kritisiert. Ich habe von Ihnen bisher nichts über diese überzogenen Milliardengewinne der Konzerne gehört. Mit dem Kampf dagegen können Sie Verbraucherschutz praktizieren und nicht mit der Kürzung der Solarvergütung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie von Union und FDP verschweigen zudem wichtige positive volkswirtschaftliche Effekte, die die Strompreiserhöhungen sogar überkompensieren. Obwohl die Fotovoltaik erst in den Anfängen steckt, wurden durch sie 2009 bereits 3,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Steuereinnahmen in Höhe von über 3 Milliarden Euro wurden in der Solarstrombranche erwirtschaftet, und Kosten in Höhe von rund 400 Millionen Euro für Energieimporte, vor allem von Kohle und Erdgas, wurden durch die Fotovoltaik letztes Jahr vermieden. All diese ökologischen und volkswirtschaftlichen Vorteile spielen für Sie aber keine Rolle. Sie wollen die wichtigste Energiequelle der Zukunft, mit der die Bürgerinnen und Bürger bald kostengünstig selbst Strom erzeugen können, zum Schutz der Atom- und Kohlekonzerne ausbremsen. Längst haben wir Grüne vielfältige Vorschläge gemacht, wie die Balance zwischen Vermeidung überzogener Gewinne und einem weiteren Ausbau der Fotovoltaik gelingen kann. Wir haben Ihnen aufgezeigt, dass die Vergütung in diesem Jahr in drei gestaffelten Schritten um jeweils 3 Prozent gesenkt werden kann. Dies vermeidet überhöhte Gewinne und gleichzeitig abrupte Marktverwerfungen. Lösen Sie doch einfach den Konflikt um die Ackerflächen, indem Sie eine agrarische Nutzung der Freiflächen zulassen. Es wird keinen Konflikt zwischen Lebensmittelerzeugung und Solarstrom geben, da selbst bei einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien nicht mehr als 0,5 Prozent der deutschen Ackerflächen für Freiflächenanlagen gebraucht würden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) Mit dem Aufgreifen der grünen Vorschläge im parlamentarischen Verfahren würde auch der skurrile Streit innerhalb der CSU endlich beendet werden. In Bayern lacht man Sie doch inzwischen aus. Nur eine Stunde nach der Kabinettsentscheidung in Berlin hat Ministerpräsident Seehofer die CSU-Minister Guttenberg, Aigner und Ramsauer heftig kritisiert, indem er sagte, dieser Beschluss sei das Ende der bayerischen Solarwirtschaft. Herr Seehofer hat recht. Nur, warum hat er seine Minister nicht vorher zurückgepfiffen? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Fell, Sie müssen zum Schluss kommen. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Spiel wird immer klarer. Sie reden zwar viel von erneuerbaren Energien; in Wirklichkeit geht es Ihnen aber um den Schutz der Atom- und Kohlekonzerne. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Ach, Herr Fell!) Sie greifen so massiv ein, um den Ausbau erneuerbarer Energien auszubremsen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Bundesminister Dr. Norbert Röttgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den relativ aufgeregten Reden der Opposition will ich mich dem Versuch zuwenden, die Debatte auf ihren Kern zurückzuführen, in dem wir in diesem Hause, so glaube ich, weitgehend übereinstimmen. Ich möchte die Frage stellen: Was folgt aus der Übereinstimmung in diesem Haus für die Förderung der Fotovoltaik, der Solarenergie? Die Erfolgsgeschichte der erneuerbaren Energien - auch die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte: 300 000 Arbeitsplätze - (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Späte Erkenntnis!) ist geschildert worden. Sie ist nicht nur schön, sondern sie ist auch notwendig als energiepolitische Schlussfolgerung: Es bedarf eines Strukturwandels, den der Bundespräsident in dieser Woche beschrieben hat. Ich bin außerordentlich dankbar dafür und nutze diese Debatte bewusst, um das entscheidende und aus meiner Sicht wichtigste Zitat aus einem Interview des Bundespräsidenten in diese Debatte einzuführen, weil das der Gesamtkontext der Strategie zur Förderung der erneuerbaren Energien ist. Ich zitiere aus einem Interview des Bundespräsidenten von dieser Woche: Wir müssen jetzt den Paradigmenwechsel hin zu einer Wirtschaftsweise einleiten, die unser Planet verkraftet und die letztlich auch mehr Sinn stiftet. (Marco Bülow [SPD]: Genau! Deshalb verlängern Sie die Atomlaufzeiten und kürzen bei der Solarenergie!) Der Befund ist doch eindeutig: Die Rohstoffe werden knapper, die Energie wird knapper, die Umweltschäden werden größer. Für mich gibt es keinen Zweifel: Die Nation, die sich am schnellsten, am intelligentesten auf diese Situation einstellt, wird Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Genau so ist es. Ich finde, wir können dem Bundespräsidenten dankbar sein, dass er das in dieser Klarheit formuliert hat. Das darf eine Würdigung in diesem Hause finden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Das war eine Ermahnung an Sie, Herr Röttgen!) - Ich weiß nicht, warum Sie sich selbst dann empören, wenn der Bundespräsident etwas Richtiges sagt, von dem ich unterstelle, dass auch Sie es für richtig halten. - (Ulrich Kelber [SPD]: An Ihre Adresse hat er es gesagt! Sie sollen das endlich mal tun, nicht nur reden!) Daran sollten wir uns orientieren. Der Bundespräsident hat die entscheidende Orientierung gesetzt. Die erneuerbaren Energien sind die Strategie im Kontext des allgemeinen wirtschaftlichen Strukturwandels, den wir angehen müssen. Darum setzen wir auf die erneuerbaren Energien, übrigens auch als Teil eines globalen Trends. Heute kam die Meldung, dass China erstmals weltweit an der Spitze der Länder liegt, die am meisten in die erneuerbaren Energien investieren. Das zeigt: Wir befinden uns auf einem globalen Markt, der rund 5 000 Milliarden Dollar umfasst, und in einem globalen Wettbewerb. (Ulrich Kelber [SPD]: Ja! - Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das! - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie das unterstützen!) Es geht um die Frage, welche Strategie wir verfolgen, um die Nutzung der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein erfolgreiches Instrument. Ich habe übrigens keine Schwierigkeiten damit, zu erkennen, dass gelegentlich auch andere etwas richtig machen. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das zeichnet Sie aus!) Vielleicht könnten Sie sich in dieser Hinsicht etwas fortentwickeln. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie etwas!) Die Frage ist: Was ist die Philosophie des Erneuerbare-Energien-Gesetzes? Messen wir die Qualität dieses Gesetzes daran, dass Subventionen, die die Stromkunden finanzieren, möglichst lange und in möglichst großem Umfang fließen? Oder ist die Philosophie des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die eines Gesetzes zur Markteinführung erneuerbarer Energien, zur Technologieförderung, die umso erfolgreicher ist, je früher und je schneller sie nicht mehr der Subventionierung bedarf? Denn die erneuerbaren Energien werden entweder auf dem Markt erfolgreich sein, oder sie werden gar nicht erfolgreich sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Keine Frage!) Nebenbei bemerkt: Das ist eine Investition in die erneuerbaren Energien. Aber das betrifft nur ein Bruchteil der Strompreiserhöhungen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Es ist wissenschaftlich völlig unbestritten, dass die Strompreiserhöhungen der letzten Jahre auf den fehlenden Wettbewerb auf dem Strommarkt zurückzuführen sind. Es ist die oligopolistische Struktur dieses Marktes, die Wettbewerb verhindert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch in diesem Zusammenhang sind die erneuerbaren Energien von strategischer Bedeutung, weil sie Wettbewerb in diesen Markt bringen, der in Wahrheit noch viel zu wenig ein Markt ist. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie dann die Monopolmacht mit Laufzeitverlängerungen unterstützen?) Weil das so ist, wollen und werden wir die Solarenergie ausbauen. Auch das ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigt. Die Solarenergie hat bislang eine Nischenfunktion. Ich weise darauf hin: Die Koalition wird durch Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs die Solarenergie aus ihrer Nische herausholen und für einen relevanten Anteil der Solarenergie an der Stromversorgung sorgen. Das ist eine zentrale Aussage, die mit diesem Gesetz verbunden ist. Wenn in den letzten Jahren die Systempreise, von denen hier gesprochen worden ist, im Verhältnis zu dem Zeitpunkt, als die staatliche Vergütung festgesetzt wurde, um 30 Prozent gesunken sind und wenn wir nun für dieses Jahr erneut mit einem Preisrückgang von 10 bis 15 Prozent rechnen, also am Ende des Jahres einen Preisrückgang von 40 bis 45 Prozent im Vergleich zu dem haben, was die Stromkunden derzeit zahlen müssen, dann muss der Gesetzgeber reagieren, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht überreagieren!) wenn es bei der Markteinführung bleiben und nicht zu einer Subventionierung von Investmentfonds kommen soll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist nicht das Ziel, das wir verfolgen. Wir wollen die Markteinführung. Nebenbei bemerkt: Auf den Preiswettbewerb zwischen den Herstellern von Modulen - ob es sich um einen deutschen oder um einen chinesischen Hersteller handelt - hat die Einspeisevergütung von vornherein keine Auswirkungen. Sie wirkt sich darauf schlicht und ergreifend nicht aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Ihr Argument ist in ökonomischer Hinsicht definitiv falsch. Wir haben diesen Preiswettbewerb übrigens schon bei der heutigen Vergütung. Die Einspeisevergütung hat dabei keinerlei Auswirkungen. Herr Kollege Fell, bei aller Wertschätzung: Auch die Aussage, dass wir nicht auf Forschung setzen, ist falsch. In diesem Haushalt setzen wir vermehrt auf Forschung. Mit diesem Haushalt, der ein Spar- und Konsolidierungshaushalt ist, werden gegen die Notwendigkeit, zu sparen, zusätzlich 10 Millionen Euro in die Forschung investiert. Natürlich setzen wir auf die Forschung, weil es um die Zukunft geht. (Beifall bei der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Bei der Solarförderung?) Wir führen ein System ein, das Verlässlichkeit in die Finanzierung bringt. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ach!) Wir schaffen dadurch Verlässlichkeit, dass wir in Zukunft die Vergütung an die Marktentwicklung koppeln. Im Gesetzentwurf ist keine fixe Vergütung vorgesehen, die immer wieder angepasst werden muss, je nachdem, wie sich der Markt entwickelt. Wir führen vielmehr einen flexiblen Vergütungsmechanismus ein, der an die Marktentwicklung gekoppelt wird und Verlässlichkeit für Finanzierung und Planung bringt. Damit vermitteln wir Investitionssicherheit. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell zulassen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister Röttgen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gerade behauptet, die Mittel für die Fotovoltaikforschung würden in diesem Bundeshaushalt gegenüber dem letzten Haushalt erhöht. Ich habe gesagt - das war meine Kritik -, dass das nicht richtig ist, dass die Mittel vielmehr gesenkt werden. Die heutige Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von mir hat klar bestätigt, dass die Mittel in diesem Haushalt für die Fotovoltaikforschung von 32,9 Millionen Euro auf 28 Millionen Euro gesenkt werden. Wer hat nun recht? Ist die Antwort der Bundesregierung an mich richtig oder Ihre Aussage, die Mittel würden erhöht werden? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe gesagt, dass wir in diesem Haushalt die Mittel für die Förderung der erneuerbaren Energien von 110 Millionen Euro auf 120 Millionen Euro gesteigert haben. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Forschung!) - Wir haben die Forschungsmittel für den Bereich der erneuerbaren Energien von 110 Millionen Euro auf 120 Millionen Euro erhöht. Damit setzen wir auf Forschung. Das war meine Aussage. So einfach ist das. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei Fotovoltaik werden sie gesenkt! Das war meine Aussage!) Ich komme zu einem weiteren Element - ich will das in aller Kürze vortragen -, das diese Novelle prägt. Was wir tun, ist mehr als eine Reaktion auf den Preisrückgang; an einer Stelle fördern wir sogar stärker als bisher. Es geht um den Bereich, in dem die Solarenergie nicht eingespeist, sondern vom Haushalt selber genutzt wird. Das ist in hohem Maße sinnvoll, weil wir damit einen Anreiz für Verhaltensänderungen bieten. Wir geben einen wirtschaftlichen Anreiz, den Verbrauch nach der Erzeugung auszurichten. Wir geben einen Anreiz für Entwicklungen im Bereich Batterietechnologie. Es soll sich lohnen, diese Installationen im Privathaushalt vorzunehmen. Außerdem ist das ein Angebot an die Bürger, mitzumachen. Sie haben die Chance, sich selber zu versorgen. Das ist ein Anreiz, davon Gebrauch zu machen. Eine letzte Bemerkung: Es geht bei diesem Vorschlag auch um die Kürzung von Subventionen. Was ist der Kern? Es geht um Geld und um Interessen. Ich finde, dass das nicht die Orientierung dieser Debatte und dieser Gesetzgebung sein darf. Ich meine, wir müssen uns an dem strategischen Ziel orientieren, die Nutzung der erneuerbaren Energien durch eine verlässliche Rahmensetzung zu fördern, damit der in unserem Land eingeschlagene Weg der Energiegewinnung erfolgreich wird. Die einen sagen: Es ist viel zu viel gekürzt worden. Die anderen sagen: Es ist noch viel zu wenig gekürzt worden. Ich glaube, dass wir mit Augenmaß und einer konzeptionellen Klugheit einen Rahmen setzen, was dazu führen wird, dass die erneuerbaren Energien und speziell die Solarenergie in Deutschland weiter eine Erfolgsgeschichte schreiben. Unser Gesetz ist nicht nur gut gemeint, sondern auch richtig gut gemacht. Die Solarenergie erhält somit eine wirkliche Förderung. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dirk Becker [SPD]: Aber nicht die deutsche Solarindustrie! Ein chinesisches Wachstumsbeschleunigungsgesetz, was Sie machen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Waltraud Wolff hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erneuerbare Energien über den grünen Klee loben, Anerkennung für 300 000 Arbeitsplätze zollen, Visionen für die Zukunft der erneuerbaren Energien haben und die Zukunft schön ausmalen, das ist das eine, Herr Minister Röttgen. Aber gleichzeitig verlängern Sie die Laufzeit der Atomkraftwerke um acht Jahre. Das nenne ich wirklich konsequent! In der letzten Woche, in der Haushaltsdebatte, habe ich von einem CDU-Kollegen zum Haushalt eine Frage gestellt bekommen, nämlich: Ist es gerecht und richtig, dass die kleinen Stromkunden jemanden für seine Fotovoltaikanlage 10 Prozent Rendite zahlen sollen? Ich will heute noch einmal Bezug auf diese Frage nehmen und mit einer Gegenfrage antworten: Ist es eigentlich okay, dass Union und FDP genau diesen Stromkunden mehr als 46 Milliarden Euro Zusatzgewinne für die Atomkraftbetreiber abverlangen? (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Was?) 2009 betrugen die Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien 4,6 Milliarden Euro. (Michael Kauch [FDP]: Sie haben das nicht so ganz verstanden!) Auf mindestens 46 Milliarden Euro beziffert eine Studie des Öko-Instituts vom Oktober letzten Jahres die Gewinnmitnahme der Betreiber von Atomkraftwerken bei einer zusätzlichen Laufzeit von acht Jahren - 46 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne, die Union und FDP auslösen wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das ist doch Unfug! Auf welcher Grundlage denn?) Es ist richtig: Weder Verbraucher noch Steuerzahler sollen die Melkkuh der Nation sein. (Beifall des Abg. Horst Meierhofer [FDP]) Aber können Sie mir bitte schön erklären, wie es kommt, dass die kleinen Leute bei Ihren Entscheidungen überhaupt keine Rolle spielen, (Michael Kauch [FDP]: Das ist eine Frechheit!) wenn es zum Beispiel um Milliarden für Hotelbesitzer geht, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Eigenheimzulage!) wenn es zum Beispiel um Milliarden für die Betreiber von Atomkraftwerken geht und wenn es um Zusatzbeiträge bei der Krankenversicherung geht? (Iris Gleicke [SPD]: So ist es!) Ganz einfach - ich kann Ihnen die Frage beantworten -: Es geht Ihnen nicht um die kleinen Leute. Ihnen geht es nur um billige Begründungen und um nichts anderes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fakt ist: Die Strompreise werden immer mehr zur Belastung. Aber: Während die durchschnittlichen Strompreise für Haushalte in den letzten zehn Jahren um 9,3 Cent auf 23,2 Cent pro Kilowattstunde gestiegen sind, hat sich der Anteil der EEG-Umlage im gleichen Zeitraum lediglich von 0,2 auf 1,1 Cent pro Kilowattstunde erhöht; (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Genau!) einer von fünfzehn durch das EEG. Geht es der Regierungskoalition wirklich um die Verbraucherinnen und Verbraucher, (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Ja, natürlich!) geht es der Regierungskoalition um eine Senkung von Kosten? Nein, die Regierungskoalition setzt auf Dinosauriertechnologie statt auf Zukunft. Sie wissen doch ganz genau, dass die Investitionen in die erneuerbaren Energien heute für bezahlbare Strompreise morgen sorgen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie wissen auch ganz genau, dass sinkende Preise nur durch einen funktionierenden Wettbewerb erreichbar sind. Das alles wissen Sie. Also hören Sie doch auf, hier Nebelkerzen zu werfen. (Michael Kauch [FDP]: Können von der SPD mal die Fachleute reden? - Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind auch keiner!) Im Oktober letzten Jahres hat der damalige Kartellamtspräsident Bernhard Heitzer auf einen wichtigen Punkt hingewiesen - ich zitiere -: Wenn die Laufzeiten verlängert werden, wird die hohe Verdichtung der Erzeugungskapazitäten zementiert ... Gemeint sind die vier Energieriesen in Deutschland. (Horst Meierhofer [FDP]: Wer hat die denn geschaffen, Frau Kollegin? Wo kommen die denn her?) Auf dem Strommarkt - das wissen wir alle - herrscht kein Wettbewerb. Wir müssen die Strukturen ändern, wenn wir Wettbewerb wollen. Laufzeitverlängerungen bewirken das Gegenteil. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie zementieren die Strukturen, die seit Jahren private und gewerbliche Energiekunden mehr und mehr Geld kosten. Sie verhindern, dass in Zukunftstechnologien investiert wird. Ein großes Problem - darauf haben andere schon hingewiesen - ist, dass Sie die Fotovoltaik auf Ackerflächen beenden wollen. Wieder ist Ihre Argumentation einfach nur unehrlich. Richtig ist: Es gibt Flächenkonkurrenz. Richtig ist auch: Der Ackerboden ist begrenzt. Aber ich frage mich: Warum gehen Sie hier wieder auf den kleinsten Mitspieler los? Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat zu Ihrer Biomassestrategie festgestellt, dass bei der Biomasse die Nutzungskonkurrenzen nicht ausreichend berücksichtigt sind. Die Produktion von Biomasse - das wissen wir alle; ich komme aus dem Landwirtschaftsbereich und beschäftige mich hiermit schon seit zwölf Jahren - hat auf Ackerflächen eine wesentlich größere Bedeutung als Fotovoltaik. Das heißt, Biomasse zur Energieerzeugung hat einen vielfach größeren Flächenbedarf als Fotovoltaik. Zusammengefasst: Auch hier stimmen Ihre Begründungen vorne und hinten nicht. Im Übrigen ist die SPD explizit der Meinung, dass wir nicht in die Hoheitsrechte der kommunalen Verwaltungen eingreifen sollten. Die Kommunen haben selber genug Sachverstand, um zu entscheiden, ob sie auf ihren Äckern Fotovoltaikanlagen installieren lassen oder nicht. Das können Sie denen zutrauen. (Beifall bei der SPD) Am 12. März 2010 hat Ministerpräsident Seehofer verlauten lassen: "Die von der Bundesregierung angestrebten Senkungen der Solarförderung sind zu hoch." Ihre eigenen Ministerpräsidenten - hier sind schon andere angeführt worden - haben die wesentlichen Probleme schon benannt und Vorschläge gemacht. Hören Sie doch wenigstens denen zu! Der Ministerpräsident meines Bundeslandes Sachsen-Anhalt, Herr Professor Böhmer, ist sicherlich kein Ministerpräsident der lauten Worte. Aber selbst er hat Sie aufgefordert, "die Folgen der beschlossenen Kürzung zu überdenken." (Elke Ferner [SPD]: Unser Umweltminister hat das auch getan!) Ich glaube, dass er nur aus Gründen der Parteiräson nicht die Rücknahme Ihrer Vorschläge, sondern lediglich Ersatzlösungen durch eine stärkere Unterstützung der Solarzellenhersteller gefordert hat. Es geht um Arbeitsplätze, nur falls es Sie interessiert. Meine Damen und Herren, das Erneuerbare-Energien-Gesetz - Kollege Fell hat das vorhin deutlich gemacht - ist eine Erfolgsgeschichte. Diese Erfolgsgeschichte erkennen auch Sie an. Die Fotovoltaik ist ein sehr wichtiger Teil der Zukunft unserer Energieversorgung. Dafür steht die SPD. Ich fordere allerdings auch die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, die sich als Freunde der Sonnenenergie betiteln, auf: Helfen Sie mit! Lehnen Sie die strengen Kürzungen, die vorgenommen werden sollen, gemeinsam mit der Opposition ab! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Strenge kann manchmal auch Wirtschaftlichkeit sein!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Horst Meierhofer (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe wirklich ein Problem mit dem Politikverständnis, das der eine oder andere hier hat. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Herr Fell kommt auf die Idee, zu sagen: Die Kohle wurde im Laufe der Jahre zu stark subventioniert. Deswegen dürfen wir jetzt keine Übersubventionierungen bei der Fotovoltaik verhindern. - Welche Logik liegt dem zugrunde? (Michael Kauch [FDP]: Das frage ich mich allerdings auch!) Weil das eine gewollt und das andere ungewollt ist? (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Hören Sie doch endlich mit der Kohlesubventionierung statt mit der Solarförderung auf!) Es geht nicht darum, dass wir in diesem Bereich Arbeitsplätze schaffen oder gefährden wollen, sondern es geht um nicht mehr und nicht weniger als darum, dass staatlich garantierte Traumrenditen nicht auf Kosten des kleinen Mannes finanziert werden sollen; (Elke Ferner [SPD]: Genau dafür sorgen Sie doch!) das ist das Entscheidende. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Frau Wolff, es ist eine absurde Vorstellung, zu glauben, dass, wenn wir die Förderung pro Kilowattstunde für die Fotovoltaikindustrie in Deutschland nicht kürzen würden, Arbeitsplätze gerettet würden. Ganz im Gegenteil, das würde nämlich den Wettbewerb im Ausland verschärfen. Dort profitiert man von unserer Unterstützung nämlich genauso wie in Deutschland. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Industrie wettbewerbsfähig bleibt, dass sie forscht und selbst in Forschung investiert. Dann ist sie anderen einen Schritt voraus, nicht dann, wenn sie viel Unterstützung bekommt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ach was! Das ist doch nicht das, was Sie machen! Sie holen doch sogar noch Kohle aus China hierher!) Ein solches Verständnis führt mit Sicherheit nicht dazu, dass in Deutschland mehr Arbeitsplätze entstehen. Diese Arbeitsplätze werden in China entstehen. Es gibt ein grundsätzliches Verständnisproblem. Wer glaubt, dass es ökologisch ist, Investoren möglichst hohe Renditen zu versprechen, der denkt überhaupt nicht logisch, ökologisch schon gar nicht. Der denkt nur im Interesse derer, die es sich leisten können und genug Geld haben, um in großem Umfang zu investieren. Der denkt aber nicht im Interesse des kleinen Mannes. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]) Mir ist vollkommen unverständlich, wie es sein kann, dass gerade die Linkspartei auf die Idee kommt, zu sagen: Wer bei der Fotovoltaik kürzt, denkt nicht an den kleinen Mann. - Das genaue Gegenteil ist der Fall. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, dass Sie zu viel kürzen, nicht darum, dass Sie überhaupt kürzen!) Für dieses Jahr werden Ausbauziele von 4 bis 6 Gigawatt erwartet. Das ist toll und erfreulich. Das heißt, dass die Fotovoltaikbranche auf einem sehr guten Weg ist. Das heißt aber auch, dass sie die Kürzungen, die vorgesehen sind, gut verkraften kann. Sie haben davon gesprochen, dass der eine oder andere Vertreter eines Verbandes der Fotovoltaik- oder Solarwirtschaft gesagt hat, die Förderung sei zu hoch. Vielleicht wollen Sie ja, gerade wenn Ihnen der kleine Mann so wichtig ist, auch hören, was der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes gesagt hat. Er sagte: Wenn die Absenkung nicht noch deutlich höher erfolgen wird, werden die Kosten in Zukunft in nicht tragbare Dimensionen vorstoßen. - Vielleicht sollten Sie sich auch diese Aussage einmal zu Herzen nehmen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Was sagen denn Ihre Ministerpräsidenten dazu? - Gegenruf des Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/ CSU]: Die haben doch gar keine! Das sind alles unsere!) Das ist nämlich das Entscheidende. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. (Beifall bei der FDP) Ich meine, dass wir damit begonnen haben, einen wirklich guten Weg einzuschlagen. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt! Und das ist auch gut so, könnte man hinzufügen!) Ich bin mir sicher, dass wir in die richtige Richtung gehen. Diejenigen Unternehmen, die aufgrund dieser Kürzung nicht wettbewerbsfähig sind, müssen sich in Zukunft besonders anstrengen; das ist das Entscheidende. Wir können keinen Arbeitsplatz garantieren. Wir können nur die Rahmenbedingungen schaffen, und das passiert gerade. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ein Thema möchte ich noch ganz kurz ansprechen. Heute haben wir den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht. Nun folgt ein offenes parlamentarisches Verfahren. Wir werden zu diesem Thema auch eine Anhörung durchführen. Ich bin überzeugt, dass es noch die eine oder andere Änderung geben kann. Frau Dr. Flachsbarth hat bereits darauf hingewiesen, dass die Vergütung für Anlagen auf Ackerflächen eingeschränkt werden muss. Hier sind wir uns absolut einig, und das ist auch vernünftig. Über die Frage, ob ein Förderstopp für Anlagen auf Ackerflächen vernünftig ist, kann man durchaus diskutieren, weil Fotovoltaik dort natürlich deutlich günstiger ist als auf dem Dach. (Dirk Becker [SPD]: Wenigstens ein richtiger Satz!) Gleichzeitig müssen aber die Bedürfnisse der Landwirtschaft befriedigt werden, indem man sagt: Wir wollen keine riesigen Parks. Wir wollen keine Investorenmodelle, die von auswärts oder sonst woher kommen. Das ist klar. Die Größen zu begrenzen oder nach Bodenpunkten des Werbers zu gehen, könnte beispielsweise ein Kompromiss sein. (Beifall bei der FDP - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Dafür haben die Kommunen den Sachverstand!) Das Gleiche gilt für den Eigenverbraucher. Wir müssen aufpassen, dass wir keinen zusätzlichen Subventionstatbestand schaffen. Wenn uns das gelingt, wird es im Rahmen des Verfahrens zu einer für alle befriedigenden Lösung kommen. Die Fotovoltaikindustrie wird weiterhin wachsen. Erneuerbare Energien sind die Zukunft. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Scheer das Wort. (Zuruf von der FDP: Jetzt kommt die Lobby!) Dr. Hermann Scheer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eben gehört, dass auch seitens der Koalitionsfraktionen und der Regierung noch Überlegungsspielraum vorhanden sein soll. Außerdem wird es ein Hearing geben. Am Schluss der Debatte möchte ich aber eine Sache zu bedenken geben: Wir haben erst vor kurzem eine Debatte anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Erneuerbare-Energien-Gesetzes geführt. Im Rahmen dieser Debatte ist gelegentlich zitiert worden, welche schwerwiegenden Bedenken und Warnungen es vor diesem Gesetz vonseiten der CDU/CSU und der FDP gegeben hat. All diese negativen Voraussagen sind nicht eingetreten, und all die positiven Voraussagen bezüglich der Wirkung des Gesetzes sind eingetreten und werden heute bestätigt. Deswegen wundert mich die Selbstsicherheit, mit der all diejenigen, die sich nachweislich geirrt haben - das haben sie selbst zugegeben -, jetzt meinen, dass ihr Ansatz, wie es mit dieser Schlüsseltechnologie weitergehen soll, richtig ist. Ich möchte Sie bitten, bei der jetzt anstehenden Debatte und dem Hearing das eigene Wort ernst zu nehmen. Schauen Sie sich die Dinge ganz genau an, damit im Hinblick auf diese Frage kein wesentlicher Fehler passiert. Was von Deutschland aus aufgebaut worden ist, bis hin zu den Produktionen in China, ist eine Weltindustrie für Fotovoltaik, die es ohne das Erneuerbare-Energien-Gesetz so nicht gäbe. Ein wesentlicher Fehler wäre also, wenn ausgerechnet Deutschland auf einmal einen solchen Einbruch erleidet, dass das, was wir angestoßen haben, am Ende von anderen gemacht wird. Das kann doch wohl nicht in unserem Interesse liegen. Danke schön. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Meierhofer, bitte schön. Horst Meierhofer (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Scheer, die Angst kann ich Ihnen nehmen. Für die Anhörung wurden Experten geladen. Das haben übrigens auch der Herr Minister und die FDP-Fraktion getan. Es werden die unterschiedlichsten Interessenvertreter gehört, mit denen dann besprochen wird, worum es geht. Das Wichtigste an dieser Novellierung ist, dass man die Zukunft der erneuerbaren Energien nicht gefährdet. Wir haben vorher gehört, welche Verwicklungen es beispielsweise in Spanien gegeben hat. Dort war man irgendwann nicht mehr bereit, die Subventionen zu reduzieren, obwohl man rechtzeitig gemerkt hat, dass entsprechend große Profite gemacht werden, sodass zusätzliche Unterstützung gar nicht nötig war, um die Wirtschaft anzutreiben. Irgendwann kommen dann Politiker und sagen: Um Himmels willen, so viele Milliarden Euro, wie ihr sie hier an Steuergeldern ausgebt, können und wollen wir uns nicht mehr leisten. Deswegen ist jetzt Schluss mit diesem Wahnsinn. Genau das wollen wir verhindern. Genau das werden wir dadurch verhindern, dass wir vernünftige Kürzungen vornehmen, die die Branche nicht gefährden, die aber dafür sorgen, dass es für den Verbraucher bezahlbar bleibt. Wir werden damit den Ausbaupfad der erneuerbaren Energien, insbesondere der Fotovoltaik, immer weiter vorantreiben. Sie ist zwar im Moment noch teuer, hat aber das Potenzial, günstig zu werden. Dann wird sie ohnehin nicht mehr aufzuhalten sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Debatte über Fotovoltaik nun seit Wochen, wenn nicht seit Monaten, mit einer Emotionalität, wie ich sie in diesem Bundestag noch nie erlebt habe. (Zurufe von der SPD: Oh!) Die SPD hat heute die bayerische Staatsregierung zitiert. Die FDP hat das Bauernblatt zitiert. Dies zeigt, wie schwierig die Gefechtslage an dieser Stelle ist. Deshalb will ich einleitend versuchen, zwei grundsätzliche Dinge festzuhalten, über die es in diesem Hause einen Konsens geben sollte: Erstens. Wir wollen mit dem EEG Technologien fördern und nicht Investmentfonds. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Zweitens. Die Fotovoltaikbranche hat eine besondere Verantwortung für das EEG. 45, wenn nicht 50 Prozent der Differenzkosten gehen zulasten der Fotovoltaik. Die Fotovoltaik produziert aber nur gut 6 Prozent des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stromes. Wir haben da also noch immer ein großes Missverhältnis. Nun ist das erklärbar, weil es sich bei der Fotovoltaik um eine junge Technologie handelt, die man in den Markt einführen möchte. Aber es muss doch unser gemeinsames Anliegen sein, meine Damen und Herren, das möglichst rasch zu tun, um nicht Kritiker auf den Plan zu rufen, die am Beispiel der Fotovoltaikförderung das EEG insgesamt diskreditieren. Dieses Potenzial bietet die Fotovoltaikförderung, weil sie sehr hoch ausfällt. Der Meilenstein, den wir erreichen müssen, ist, dass der Strom, der vom Dach kommt, vergütet wird wie der Strom, der aus der Steckdose kommt. Da sind wir auf einem guten Weg. Eigentlich sollte die Branche die Vorschläge von Minister Röttgen aufgreifen, ihn unterstützen und sagen: Yes, we can; wir können das. Das wäre ein Ansatzpunkt, der die entsprechende Begeisterung für die erneuerbaren Energien unterstreichen würde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir sind dabei, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen mit Sonderabschlägen, über die man natürlich diskutieren muss. Wir führen eine Anhörung dazu durch, die ergebnisoffen sein wird, aber natürlich das Ziel hat, das, was bei der Fotovoltaik zu viel gefördert wird, abzuschöpfen. Wer wie Herr Becker von der enormen Preisentwicklung spricht, die sich deutlich abzeichnet, der muss dafür sein, übermäßige Förderung abzuschöpfen. Wie der Minister es richtig ausgeführt hat: Es hilft doch der Branche nicht, wenn man das nicht tut. Am Ende blieben nur überhöhte Renditen stehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Angesichts meiner kurzen Redezeit gern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte sehr. Ulrich Kelber (SPD): Die Absicht meiner Fragestellung, Herr Kollege Nüßlein, war auch, Ihnen mehr Redezeit zu verschaffen; Sie sind ja der vorletzte Redner insgesamt und auch Ihrer Fraktion. Wären Sie bereit, die zusätzliche Redezeit zu nutzen, um nicht mehr abstrakt über die Frage der Vergütung zu sprechen? Die Koalitionsfraktionen haben einen konkreten Gesetzentwurf eingebracht, mit dem sie die Förderung der Fotovoltaik kürzen wollen. Legen Sie einmal dar, wie ein Qualitätsprodukt wie Solarmodule unter diesen Bedingungen noch in Deutschland produziert werden und seinen Markt finden kann. Nutzen Sie die zwei Minuten, die Ihnen die Präsidentin bestimmt dafür einräumen wird. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ich nutze die Gelegenheit, das im Rahmen der Beantwortung Ihrer Frage außerhalb meiner Redezeit zu diskutieren. Ich möchte noch einmal unterstreichen, was Minister Röttgen vorhin ökonomisch präzise analysiert hat: Die Einspeisevergütung hat mit der Entwicklung der Modulpreise nichts zu tun. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich hat sie damit etwas zu tun!) Am Markt spielt die entscheidende Rolle nicht die Kostensituation der Unternehmen, sondern der Preis. Wenn, obwohl die Preise sinken, die Einspeisevergütung gleich hoch bleibt, wem wird die Differenz zugutekommen? Müssen wir nicht davon ausgehen, dass der Investor seine Rendite maximieren will? (Ulrich Kelber [SPD]: Sagen Sie es doch einmal in Euro und Cent!) Er wird die hohe Einspeisevergütung gerne kassieren, den Strom aber trotzdem mit asiatischen Modulen erzeugen, weil so seine Gewinnspanne am höchsten ausfällt. Das ist ein Problem, das wir mit dem EEG nicht lösen können. Insofern haben all diejenigen Kolleginnen und Kollegen recht, die sagen: Das EEG ist kein Instrument zur Subventionierung, das heißt, kein Instrument dazu, zielorientiert bestimmte Unternehmen der deutschen Wirtschaft zu fördern. Jemand hat vorhin gesagt, es gehe um den Weltmarkt. Meine Damen und Herren, glauben Sie denn ernsthaft, dass wir über das EEG den Weltmarkt beeinflussen können? Das glauben Sie doch sicher auch nicht, sehr geehrter Herr Kollege. (Ulrich Kelber [SPD]: Konkret!) - Da Sie es konkret haben wollen, nenne ich Ihnen die Abschläge, um die es hier geht: 15 Prozent bei Freiflächen, 16 Prozent bei Dachflächen und 11 Prozent bei Konversionsflächen, also entsprechend weniger, sind die Vorschläge, die wir an dieser Stelle jetzt gemacht haben, über die wir in der Anhörung aber durchaus noch diskutieren werden. Ich gehöre zu denen, die nicht sagen: "Das ist zementiert, das ist betoniert", sondern wir wollen das auch dort noch einmal verifiziert bekommen. (Ulrich Kelber [SPD]: Nennen Sie doch einmal einen Eurobetrag!) Das Umweltministerium hat eine Rechnung vorgelegt, die ich für plausibel halte, und diese Rechnung wird man im Rahmen der Anhörung dann auch weiter verifizieren. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind nicht in der Lage, einen Eurobetrag zu nennen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, es gibt noch einen Kollegen, nämlich den Herrn Becker, der Ihnen die Redezeit verlängern möchte. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das kann der Kollege Becker auch noch tun. (Ulrich Kelber [SPD]: Aber bitte einmal die Frage beantworten!) - Sie können doch 15 Prozent von der Einspeisevergütung berechnen. Ich erwarte, dass Sie das können. Das traue ich Ihnen zu. (Ulrich Kelber [SPD]: Euro! Das sind nur vier Buchstaben!) Dirk Becker (SPD): Herr Kollege Nüßlein, ich habe nur eine ganz kurze Nachfrage. Sie haben ja gerade ausgeführt, dass Sie den Berechnungen des Bundesumweltministers vollumfänglich folgen können. Sie haben auch seine wirtschafts- und marktpolitische Logik herausgestellt und ihm in dem, was er vorgelegt hat, recht gegeben. Da Sie ja derselben Partei wie der bayerische Ministerpräsident angehören, heißt das für mich, dass Herr Seehofer diese Voraussetzung logischerweise nicht erfüllt, weil er etwas anderes fordert. Stimmen Sie mir in dieser Deutung zu? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das ist eine wunderschöne Frage. Wir können bei Bewertungen natürlich durchaus zu anderen Ergebnissen kommen, weil insbesondere die Branche, die bestimmte Interessen verfolgt, etwas anderes behauptet. Der Minister steht zwischen dem Verbraucherschutz auf der einen Seite und den Brancheninteressen auf der anderen Seite. Ich habe nicht gesagt, dass das, was der Minister hier vorschlägt, bereits der endgültige Vorschlag ist, sondern ich habe gesagt: Wir haben jetzt einen Vorschlag auf dem Tisch, der im Rahmen dieser Anhörung, zu der auch entsprechende Experten geladen werden, noch einmal verifiziert wird und von dem wir aber glauben, dass wir damit grundsätzlich richtig liegen. Wenn wir zu einem anderen Ergebnis kommen, dann bitte gern, aber das muss an der Stelle dann auch entsprechend fundamentiert erfolgen. (Dirk Becker [SPD]: Danke für das entschiedene Sowohl-als-auch!) Was für mich an diesem Punkt ganz wesentlich und wichtig ist, ist das Thema Vertrauensschutz. Das ist nicht ein Anliegen der FDP allein. Wir werden uns noch einmal gemeinsam darüber unterhalten, ob das, was jetzt im Vorschlag steht, ausreicht. Das ist das eine. Das andere ist das Thema Ackerland. Hier muss ich die Kollegen von der FDP nun auch klar enttäuschen. Die Ackerlandauflage macht keinen Sinn. Sie hat schon zu rot-grüner Zeit keinen Sinn gemacht. Wie erklären Sie denn, dass es die Fotovoltaik auf Ackerland geben soll - neben Konversionsflächen und vorbelasteten Flächen? Damit hat sich Rot-Grün damals vor der Verantwortung gegenüber dem Natur- und Landschaftsschutz drücken wollen. Ich nehme an, dass Sie das deshalb gemacht haben. Das muss gestrichen werden, weil es nicht konsequent und nicht sinnvoll ist. (Horst Meierhofer [FDP]: Grünland!) Wir werden dann auch noch einmal darüber diskutieren, ob die Alternativen, die Flächen, die jetzt im Gesetzentwurf vorgeschlagen sind, ausreichen, um das ganze Thema entsprechend voranzubringen. Ich möchte auch noch einmal betonen: Ich hätte mir gewünscht, dass auch der Kollege Fell die flexible Vergütung - das, was Minister Röttgen mit Blick auf die Verlässlichkeit gesagt hat - in ganz besonderer Weise gewürdigt hätte. Lieber Kollege Fell, wenn ich mich recht entsinne, war das nämlich bei der letzten EEG-Novellierung ein Vorschlag der Grünen. Ich würde mir wünschen, auch einmal ein bisschen für das gewürdigt zu werden, was wir hier an der Stelle umsetzen. Das macht mehr Sinn als der Versuch, das Ganze politisch zu instrumentalisieren, die alte Leier "Kernenergie gegen erneuerbare Energien" zu spielen und so zu tun, als ob es da eine Konkurrenz gibt. Diese gibt es nicht. (Beifall des Abg. Horst Meierhofer [FDP]) Wir stehen für den Einspeisevorrang erneuerbarer Energien. Deshalb hat die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke nichts, aber auch gar nichts mit dem Thema erneuerbare Energien und Fotovoltaik und deren Ausbau zu tun. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Horrorszenarien, die gerade von der Opposition gezeichnet wurden, möchte ich die Diskussion noch einmal etwas versachlichen und betonen, dass das Gegenteil von dem der Fall ist, was Sie derzeit behaupten: Wir werden in den Bereich der Fotovoltaik nach wie vor enorm viel investieren; die Förderung wird enorm hoch sein. Kein Träger erneuerbarer Energien wird in den nächsten Jahren so stark gefördert wie die Fotovoltaik. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Da hat er recht! - Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht! Es geht um ausreichende Förderung!) Ich glaube, das wird in den nächsten Jahren auch zu einem enormen Ausbau in diesem Bereich führen. Die Zahlen zeigen ganz deutlich, dass es in diesem Jahr eine Steigerung um 3 000 bis 5 000 Megawatt geben wird. Das heißt, allein in diesem Jahr gibt es einen Aufwuchs um 30 bis 50 Prozent. Der deutsche Anteil am Weltmarkt in diesem Bereich wird nach wie vor 50 Prozent betragen, obwohl der deutsche Markt nicht gerade der Markt ist, auf dem die Sonne am meisten scheint. Auch das muss man sicherlich in der Diskussion berücksichtigen. Herr Kauch hat mir ein Zitat vorweggenommen, aber ich muss das doch noch einmal sagen, weil ich glaube, dass es in dieser Debatte enorm wichtig ist, die Positionen klarzustellen. Der Bundesverband Solarwirtschaft hat vor wenigen Tagen ganz klar gesagt: Bei einer gezielten Eigennutzung des erzeugten Stroms besteht ab 2010 durchaus Potenzial, die Vorjahresrendite noch einmal zu übertreffen. - Meine Damen und Herren, allein diese Aussage sagt doch alles. Ich glaube, sie zeigt, dass eine Anpassung dringend notwendig ist. Ich meine, wir sollten in dieser Debatte unsere Ziele noch einmal in den Mittelpunkt stellen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist es!) Das erste Ziel ist, die Träger erneuerbarer Energien schrittweise auszubauen, wo es nur geht. Dann müssen wir prüfen, an welchen Stellen wir das tun. Wir werden das im Bereich der Fotovoltaik massiv tun, aber wir müssen die Diskussion auch ehrlich führen und anerkennen, dass wir im Bereich der Fotovoltaik und Solarenergie nur ein begrenztes Potenzial haben. Selbst die größten Optimisten sagen, dass wir in den nächsten Jahren nur 5, 6, 7 oder 8 Prozent der Stromerzeugung durch Fotovoltaik erzielen können. (Ulrich Kelber [SPD]: Bis wann?) Trotzdem werden wir in den nächsten zehn Jahren 80 Milliarden Euro in diesen Bereich investieren. Ich glaube, es ist richtig, dass wir das tun. Denn die Experten sagen uns, dass es in den nächsten zwei bis drei Jahren gerade in diesem Bereich noch Technologiesprünge geben wird. Ich glaube deshalb, es ist richtig, in die Fotovoltaik zu investieren. Aber wir müssen auch das zweite Ziel verfolgen - das wurde schon angesprochen -, nämlich die Solarbranche wettbewerbsfähig zu machen, damit sie auf dem internationalen Markt bestehen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn nur so können langfristig sichere Arbeitsplätze entstehen; und nur so können wir eine Branche aufbauen, die zukunftssicher ist. Bei aller Diskussion dürfen wir nicht vergessen - es ist mir wichtig, das noch zu erwähnen -, dass wir mit gleichem Druck dafür sorgen müssen, die Energie, die wir durch Fotovoltaik erzeugen, auch speichern zu können. Die ganz große Herausforderung für die nächsten Jahre ist, Speichertechnologien zu entwickeln. Ich glaube, neben dem Netzausbau wird die große Herausforderung im Bereich der erneuerbaren Energien sein, Speichertechnologien zu entwickeln, um die Solarbranche zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist, glaube ich, der Ansatz richtig, die Eigenförderung erheblich auszubauen und zu versuchen, neue Innovationen zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, ich meine, durch die Anpassung, die wir jetzt vornehmen - und es ist eine Anpassung und keine Kürzung -, werden wir der wettbewerbsfähigen Solarbranche eher den Rücken stärken, als dass wir sie abwürgen. In diesem Sinne freue ich mich auf die kommende Anhörung und die kommenden Beratungen in den Ausschüssen. Ich glaube, wir sind in diesem Bereich auf dem richtigen Weg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1147 und 17/1144 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Schlecht, Alexander Ulrich, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Eurozone reformieren - Staatsbankrotte verhindern - Drucksache 17/1058 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Michael Schlecht (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Griechenland ist durch massiven Druck aus Brüssel bzw. aus der EU mitten in der Wirtschaftskrise gedrängt und verpflichtet worden, ein massives Sparprogramm aufzulegen, zum Beispiel durch Lohnkürzungen und Einsparungen im öffentlichen Dienst, eine Mehrwertsteuererhöhung und dergleichen mehr. Das wird das Problem in Griechenland nicht lösen. Im Gegenteil: Diese von außen aufgezwungene Politik des Sparens wird die Wirtschaftskrise in Griechenland nur noch weiter verschärfen und letzten Endes die Staatsverschuldung tendenziell weiter erhöhen. Der britische Schatzkanzler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dies eine Verrücktheit ist. Ich sage deutlich: Für Verrücktheiten steht die Linke nicht zur Verfügung. Das lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Die Verrücktheit wird sich möglicherweise noch steigern, wenn auf Intervention der deutschen Regierung der IWF auf Griechenland losgelassen wird. Was für verheerende Folgen die IWF-Politik für die Binnenstruktur von Ländern hat, konnte man in den letzten Jahrzehnten in diversen Ländern der Dritten Welt verfolgen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie haben doch keine Ahnung!) Das griechische Volk wehrt sich zu Recht gegen die massiven Verschlechterungen. Es bleibt aus unserer Sicht nur zu hoffen, dass sich das griechische Volk möglichst erfolgreich gegen diese Verschlechterungen wehrt; denn es ist im Interesse des Landes und letztlich auch im Interesse Europas, dass diese Politik nicht aufgeht. Es ist deswegen völlig klar, dass die Linke diese Auseinandersetzung unterstützt. (Beifall bei der LINKEN) Überhaupt ist festzuhalten, dass andere Bereiche, in denen man in der Tat einsparen könnte, bisher nicht ins Blickfeld geraten sind. Die Militärausgaben zum Beispiel belaufen sich in Griechenland auf mehr als 4 Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist ungefähr dreimal so viel wie in Deutschland. Es ist mir jedenfalls bisher aber nicht bekannt, dass ein einziger Politiker der deutschen Bundesregierung den Griechen vorgeschlagen hat, ihren Rüstungshaushalt herunterzufahren. Nein, man muss im Gegenteil immer wieder feststellen, dass gerade auch deutsche Minister eher darauf hinwirken, die Griechen zur Steigerung der Rüstungsausgaben zu animieren und sich zu Lobbyisten deutscher Rüstungsunternehmen zu machen. Auch das geht im Grunde nicht so weiter. Wir sind ganz klar dagegen. (Beifall bei der LINKEN) Man sieht an diesem Beispiel, dass das eigentliche Problem in Griechenland auch sehr viel mit Deutschland zu tun hat. Das eigentliche Problem ist die Entwicklung der deutschen Wirtschaftspolitik, und zwar die Politik des deutschen Lohndumpings in Europa und in der Welt. Die Lohnstückkosten sind in den letzten zehn Jahren in der Eurozone um 27 Prozent und in Griechenland um 28 Prozent angestiegen. Nur in Deutschland sind sie um gerade einmal 7 Prozent angestiegen. Dahinter steht, dass Deutschland das einzige Land ist, in dem die Reallöhne in den letzten zehn Jahren gesunken sind. Insofern kann man der französischen Finanzministerin Lagarde nur zustimmen, die letzte Woche das deutsche Lohndumping sehr stark kritisiert hat. Mir ist nach wie vor völlig unverständlich, weshalb in diesem Hause auch von Vertretern der Bundesregierung diese Kritik relativ läppisch abgetan worden ist, ohne sich damit auseinanderzusetzen. Deutschland hat von 2000 bis 2008 einen Außenhandelsüberschuss von 1,3 Billionen Euro erzielt. Interessanterweise deckt sich das Defizit der Euro-Südländer genau mit dieser Zahl. Die Euro-Südländer haben in diesen acht Jahren ein Defizit von 1,3 Billionen Euro aufgehäuft. Dieser Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in den Euro-Südländern ist auch der entscheidende Grund für das Desaster ihrer Staatshaushalte. Wenn es nicht gelingt, diese Politik umzukehren - sicherlich neben einer Reihe von Hausaufgaben, die in den Ländern selbst zu erledigen sein wird - und in Deutschland eine andere Politik durchzusetzen, die viel stärker auf die Kräftigung und den Ausbau des Binnenmarktes setzt und dadurch zu fairen Außenhandelsbeziehungen führt, dann werden diese Probleme in Europa nicht gelöst werden. Dann werden nach Griechenland noch Spanien, Portugal und weitere Länder folgen. Ich sage voraus: Dann ist die Gefahr, dass der Euro auseinanderfliegt, extrem groß, und dann könnten die Erfolge von 60 Jahren europäischer Integration am Ende in hohem Maße gefährdet sein. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ein sehr einfaches Weltbild, das muss man mal sagen!) Außerdem besteht die Gefahr, dass wir in Europa wieder zu einer verhängnisvollen Entwicklung gelangen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Aumer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag, den die Fraktion Die Linke heute hier einbringt, trägt die falsche Überschrift. Nicht "Euro-Zone reformieren - Staatsbankrotte verhindern" ist das Ziel dieses Antrags, sondern damit soll der Weg zu einer sozialistischen Staatswirtschaft in Europa geöffnet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Antrag, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, ist wohl Ausfluss des in dieser Woche vorgestellten Entwurfs Ihres neuen Parteiprogramms. Die Financial Times Deutschland bewertet die dort aufgeführten Ziele als naive Utopien. Wenn man diesen Antrag liest, dann kommt es einem zum Teil so vor, als wollten Sie die Kräfte des Marktes außer Kraft setzen, als hätte die Utopie wieder einmal Einzug in die Realpolitik gehalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Weiter schreibt die Financial Times Deutschland: Die Linke denkt nur in Schwarz-Weiß. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein, in Rot-Rot! - Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Für sie gibt es nur die da unten und die da oben, die Linkspartei und alle anderen. - Welch treffende Einschätzung, wenn man den vorliegenden Antrag liest! Wer ist schuld an der Krise Griechenlands? Da holen Sie zum Rundumschlag aus, wie wir gerade gehört haben: natürlich die EU und der Internationale Währungsfonds, weil sie von Griechenland Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst und Sozialabbau verlangen, Deutschland, weil wir für das Leistungsbilanzdefizit von Mitgliedstaaten der Euro-Zone verantwortlich sind und Steuerdumping bei Unternehmensteuern betreiben, die Ratingagenturen und wahrscheinlich viele andere mehr. Meine sehr geehrten Damen und Herren Antragsteller, hätten Sie doch einmal in die Stellungnahme des Rates zum aktualisierten Stabilitätsprogramm Griechenlands für 2010 bis 2013 geschaut, die uns in der letzten Sitzung des Finanzausschusses vorgelegen hat. Ein paar Zitate daraus zeigen, wie falsch Sie in Ihrer Einschätzung liegen: deutlich über dem Produktionswachstum liegender Anstieg der Reallöhne, Abkopplung der Löhne von Arbeitsmarktbedingungen und Produktivitätsentwicklung. Die Kerninflation wird den Prognosen zufolge rascher zunehmen als im Durchschnitt des Euro-Raums. Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands muss auch im nichtpreislichen Bereich verbessert werden; Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen müssen gefördert werden. Außerdem werden die Reform der öffentlichen Verwaltung, Qualität der Bildung und Reformen bei den Renten gefordert. All diese Dinge haben Sie in Ihrem Antrag ganz verquer dargestellt. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie auf diese Einschätzung gekommen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit Ihrem Antrag, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, würden Sie die Krise in Griechenland verschärfen. Sie vergeben die Chance, die in dieser Krise steckt, eine zukunftsfähige Entscheidung für den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu treffen. Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister haben in dieser außerordentlich schwierigen Situation das einzig Richtige getan. Sie haben durch ihre konsequente Politik dazu beigetragen, dass Griechenland in kurzer Zeit ein ambitioniertes Sparprogramm vorgelegt hat. Das ist der einzige Weg von Griechenland aus der Krise und in eine stabile Zukunft. Die Krise in Griechenland ist keine Krise des Euros, wie gestern der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung feststellte; vielmehr habe die nationale Finanz-, Wirtschafts- und Lohnpolitik einiger Mitgliedstaaten diese Probleme geschaffen. Aus diesem Grund ist der deutsche Weg, der Weg von Bundeskanzlerin Merkel, der einzig richtige. Der nötige Reformdruck auf Griechenland muss aufrechterhalten werden. Hier passt sehr gut der Satz: Hilf dir selbst, dann ist dir geholfen! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erst wenn es gar nicht mehr anders geht - das hat die Bundeskanzlerin heute dargestellt -, muss man helfen, muss die Bundesrepublik Deutschland als Ultima Ratio gemeinsam mit anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds eingreifen und so ihrer Verantwortung gerecht werden. In der ganzen Debatte dürfen wir nicht vergessen, dass Deutschland den höchsten Nettobeitrag zum Haushalt der EU leistet (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bayern auch!) - Bayern selbstverständlich auch - und somit den Aufhol- und Transformationsprozess jüngerer EU-Mitgliedstaaten fördert. Ein zentraler Punkt bei der Bekämpfung der aktuellen Krise in Griechenland ist es, die Kontrolle der Staaten auszubauen und den Stabilitäts- und Wachstumspakt mit Nachdruck durchzusetzen. Die Pflicht aller Euro-Staaten zur Einhaltung dieses Paktes muss oberstes Gebot bleiben. Es ist wichtig, in Zukunft Tricksereien in der Haushaltspolitik, wie sie in Griechenland stattgefunden haben, zu unterbinden, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kontrollen zu verstärken und wirkungsvolle Instrumente der Prävention und Sanktion zu schaffen. (Beifall des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP]) Die von den Linken eingebrachten Vorschläge sind nicht zielführend. Es ist wichtig und richtig - Minister Schäuble hat es gesagt -, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu erweitern und zu überlegen, was hier der richtige Weg ist. Die Wirtschaftsweise Weder di Mauro sagte: "Wir müssen dem Stabilitätspakt Zähne geben." Ich komme zum Schluss. Der ehemalige Finanzminister Waigel hat im vorhin angesprochenen Artikel ein Gedicht von Reiner Kunze zitiert: Wort ist währung Je wahrer, desto härter Das ist richtig. Die Worte Ihres Antrags sind nicht unterstützenswert. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Manfred Zöllmer ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wirtschafts- und Währungsunion hat viele Väter: Giscard d'Estaing, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, François Mitterrand, um nur einige zu nennen. Sie hat die Idee verbunden, die wirtschaftliche Integration in Europa mit einem einheitlichen Währungsraum zu vollenden. Dahinter stand die Vision einer politischen Union, einer gemeinsamen Währung als Ausdruck einer kollektiven europäischen Identität. Die währungspolitische Integration in Europa ist Schritt für Schritt vorangekommen. Die Einführung des Euro war ein Glücksfall, auch für Deutschland; (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn der Euro war und ist ein Hort der Stabilität. Ohne ihn müssten wir jetzt über völlig andere Krisenszenarien in Europa sprechen, als wir es jetzt tun. All dies - Integration, Einführung des Euro - ist von den Linken, damals noch PDS, konsequent bekämpft und abgelehnt worden. Gilt das jetzt eigentlich noch? Sie formulieren in Ihrem Antrag: "Die Europäische Währungsunion ist bedroht." Jetzt wollen Sie offenkundig das, was Sie vorher vehement bekämpft haben, retten, nach dem Motto: Wir wissen nicht, was wir wollen, aber das mit ganzer Kraft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Griechenland hat über einen sehr langen Zeitraum massiv über seine Verhältnisse gelebt. Es gibt eine große Wettbewerbsschwäche des Landes. Griechenland steht vor dem Problem, sein exorbitantes Haushaltsdefizit zu finanzieren. Griechenland hat ein fiskalisches Problem. Lieber Kollege Schlecht, es ist im Übrigen wirklich aberwitzig, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt als Ursache dieser Probleme zu bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Liest man den Antrag der Linken, so findet man überhaupt nichts zu der Verantwortung Griechenlands, seine Probleme zuerst selbst zu lösen. In Ihrem Antrag fordern Sie des Weiteren, die EZB, also die Europäische Zentralbank, solle Staatsschuldtitel entsprechend der Praxis in den USA erwerben dürfen, um damit Haushaltsfinanzierung zu betreiben. Ich sage Ihnen ganz klar: Das geht gar nicht. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Richtig!) Wir wollen aus der Stabilitäts- keine Inflationsunion machen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen Defizite abbauen - das sage ich auch in Richtung CDU/CSU und FDP -, im Übrigen auch in Deutschland. Schauen Sie sich das einfach einmal an. Die griechische Krise zeigt, dass das System des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes überprüft werden muss. Was ist zu tun? Griechenland hat einen glaubwürdigen Haushaltsplan vorgelegt, der schnell umgesetzt werden muss. Griechenland braucht dringend ein funktionierendes und gerechteres Steuersystem, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ein System, das sicherstellt, dass auch die Besserverdienenden sich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Griechenland braucht dringend entschiedene Maßnahmen gegen die grassierende Korruption. Wir brauchen Wahrheit und Klarheit über die Zahlen. Es darf nicht wieder passieren, dass Eurostat sozusagen hereingelegt wird, dass Entscheidungen auf einer völlig falschen Datengrundlage getroffen werden. Wir brauchen darüber hinaus ein entschiedenes Vorgehen gegen die Spekulanten, die in dieser Situation Griechenland und auch andere Länder weiter destabilisieren wollen. Wir brauchen im Euro-Raum eine stärkere Koordination der Wirtschaftspolitiken; denn eine nationale Zins- und Wechselkurspolitik steht nicht mehr zur Verfügung. Wir müssen aber auch darüber nachdenken, wie wir ein System der Bereitstellung von Notfallliquidität schaffen, das den strikten Grundsatz des No-bail-out - Artikel 125 des EU-Vertrages - nicht außer Kraft setzt, sondern durch ein Notfallsystem ergänzt wird. Das ist entscheidend. (Beifall bei der SPD) Nun schauen wir uns einmal an, wie die Bundesregierung in dieser Situation agiert hat. Statt beruhigend zu wirken, wurde Öl ins Feuer gegossen. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt wird es falsch! - Dr. Volker Wissing [FDP]: Bis dahin war es richtig! So hätte es weitergehen können!) - Nein, das ist völlig richtig. - Uns wurde ein besonderes Schauspiel der Regierungskunst vorgeführt. Es kam der Vorschlag der Kanzlerin, man möge unbotmäßige Mitglieder der Währungsunion einfach hinauswerfen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer sagt das?) Gut, darüber kann man nachdenken, aber nicht laut, wenn man deutsche Bundeskanzlerin ist. Mit wem ist dieser Vorschlag eigentlich abgestimmt worden? Wie soll das durchgesetzt werden? Welche Verbündeten gibt es? Viele Fragen, auf die die Regierung keine Antwort hatte. In der Süddeutschen Zeitung hieß es nur: "Abfuhr für Merkel". Jean-Claude Trichet von der EZB sagte, er werde solche "absurden Hypothesen" nicht kommentieren. Dann gab es den nächsten Akt, den man überschreiben kann mit "Schäuble gegen Merkel" oder "Merkel gegen Schäuble", wie auch immer. Der Bundesfinanzminister hielt es für "blamabel", wenn der Eindruck entstünde, die EU könne sich nicht selbst helfen. Er war der Meinung, der IWF sei zu stark amerikanisch dominiert und bei Hilfe durch den IWF könnten die Amerikaner in die Haushaltspolitik der EU-Länder eingreifen. Dann gab es die Befürchtung, dass die Unabhängigkeit der EZB möglicherweise beeinträchtigt sei. Das waren substanzielle, fundamentale Bedenken, und der Bundesfinanzminister hatte deshalb einen anderen Vorschlag gemacht, nämlich den eines EWF. Auf einmal kam die Kehrtwende um 180 Grad, Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Nun soll es doch der IWF sein. Ich sage sehr deutlich: Das wäre eine Möglichkeit; denn der IWF hat in Lettland, Ungarn und anderen Ländern bereits geholfen. Lieber Kollege Schlecht, die Linke lebt ja größtenteils in den 80er-Jahren - auch Sie; das haben Sie hier deutlich gemacht -; aber Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass sich der IWF unter Strauss-Kahn deutlich verändert hat. Er ist nicht mehr der neoliberale Teufel, der er früher in der Tat einmal war. Liebe Bundesregierung, was war das für ein blamables Schauspiel, das insgesamt hier gegeben wurde! "Merkel brüskiert EU-Partner", titelte die Financial Times Deutschland. Dieses Agieren der Bundesregierung ist der Situation nicht angemessen, passt aber nahtlos in die bisherige Performance, die die Bundesregierung hier abgegeben hat. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Zöllmer, Sie haben viel Richtiges gesagt. Sie haben am Ende krampfhaft versucht, noch Schuldzuweisungen gegenüber der Bundesregierung zu tätigen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das gehört zur Wahrheit dazu!) Das sei Ihnen als Opposition zugestanden. Wer heute die Regierungserklärung verfolgt hat, hat aber eine Regierungschefin erlebt, die sich mit einem hohen Maß an Verantwortungsbewusstsein dieser großen Aufgabe stellt, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die einen ganz klaren Blick hat für die Verantwortung für die Gelder der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, aber auch für unsere gemeinsame europäische Währung, für die Stabilität dieser europäischen Währung. Diese Entschlossenheit, die heute in diesem Hohen Hause zum Ausdruck gekommen ist, ist ein wichtiges Signal gewesen. Dafür sind wir der Bundeskanzlerin sehr dankbar. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Euro erlebt eine historische Bewährungsprobe. Es gibt zahlreiche Mitgliedsländer, die vor gewaltigen wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen stehen. Das ist wahrhaftig keine einfache Stunde. Wir sind gut beraten - das will ich der Linken sagen -, in dieser Situation nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern die europäischen Länder als Partner zu sehen. Wir haben ein gemeinsames Ziel, ein gemeinsames Interesse, und deswegen müssen wir auch gemeinsam nach Lösungen suchen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Euro ist nicht nur eine Währungsgemeinschaft; er ist auch eine Schicksalsgemeinschaft für uns Europäer. Derzeit wird viel über griechische Probleme geredet. Sie tun das in Ihrem Antrag. Sie machen Schuldzuweisungen. Sie zeigen mit dem Finger auf andere und sagen, was die alles falsch machen und wie schlimm da alles ist. Ich will einmal daran erinnern, dass es nicht die Griechen waren, die eine Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes betrieben haben. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Rot-Grün!) Es waren nämlich der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) und sein Finanzminister Hans Eichel, die das getan haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kollege Zöllmer, ich erinnere mich noch gut an die scheinheilige Begründung der Sozialdemokraten. Damals haben sie gesagt, Maastricht sei nicht nur ein Stabilitäts-, sondern auch ein Wachstumspakt, und es dürfe nicht immer nur um Stabilität gehen. Das war die Begründung, mit der Gerhard Schröder damals mit Unterstützung der Sozialdemokraten eine Aufweichung der Maastricht-Kriterien betrieben hat. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So war das!) Wir haben Ihnen damals gesagt, dass es falsch ist, und heute werden wir darin bestätigt. Das war ein historischer Fehler sozialdemokratischer Finanzpolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie mich auf die Situation Griechenlands zurückkommen. Wir wollen das im Geiste einer Partnerschaft und im Miteinander regeln. Wir wollen keine Besserwisserei gegenüber Griechenland betreiben. Arroganz und Überheblichkeit, wie sie in dem Antrag der Linken zum Ausdruck kommen, sind schwer erträglich und sollten in diesem Haus keine Mehrheit finden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Griechen haben Probleme. Die Linken kennen die Ursache. Sie kennen die Problemlösung. Sie wissen alles. Sie wissen, dass Steuerhinterziehung an der Situation schuld ist, dass Steuerdumping daran schuld ist, dass eine ungenügende Besteuerung von Kapital für die Lage verantwortlich ist. All das wissen die Linken. Man fragt sich manchmal, warum sich der griechische Ministerpräsident nicht mit Gregor Gysi, sondern mit der Bundeskanzlerin trifft. In Wahrheit ist es eben die Bundeskanzlerin, die den Ausweg aufzeigt und die in Partnerschaft eine Lösung für Griechenlands Probleme sucht. Sie hat klar erkannt - sie hat das auch zum Ausdruck gebracht -, dass Hilfe zur Selbsthilfe das Gebot der Stunde ist. Das unterscheidet die Bundesregierung von der Opposition: Die einen suchen nach einem Weg, wie man Hilfe zur Selbsthilfe leisten kann, und die anderen - Sie nämlich - zeigen mit dem Finger auf andere. Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister haben es von Anfang an abgelehnt, Griechenland mit deutschen Steuergeldern zu helfen, und sie haben gut daran getan. Es war ein wichtiges Zeichen, dass deutlich gemacht wurde: Griechische Schulden müssen griechische Schulden bleiben. - Deutschland kann vieles leisten - wir sind eine große Volkswirtschaft -, aber es gibt auch für uns Grenzen. Man kann den Euro nicht stärken, indem man die stärksten Volkswirtschaften des Euro-Raums schwächt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Probleme Griechenlands haben ihren Ursprung in Griechenland. Sie haben eine nationale Ursache, und deswegen können sie nachhaltig auch nur auf nationaler Ebene gelöst werden. Deutschland ist sicher ein wirtschaftlich starkes Land, aber auch starke Länder können sich übernehmen. Deswegen finde ich es verantwortungslos, wie bereitwillig Sie das Geld der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler europaweit zur Verfügung stellen wollen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Vorschläge in Ihrem Antrag sind nicht Ausdruck europäischer Solidarität; sie sind Ausdruck nationaler Verantwortungslosigkeit. Nehmen Sie nur Ihre Forderung nach einer Euro-Anleihe. Allein das zeigt doch, wie wenig Sie die Probleme des eigenen Landes im Blick haben. Wenn Sie eine Euro-Anleihe fordern, sollten Sie auch dazu sagen, dass das mit einer jährlichen Mehrbelastung in Milliardenhöhe für die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verbunden wäre. Deutschland müsste höhere Zinsen bezahlen, wenn wir uns auf so etwas einlassen würden. Damit führen Sie die Opfer, die die Bürgerinnen und Bürger bei uns erbracht haben, ad absurdum. Deutschland ist deshalb kreditwürdiger als andere Länder, weil Deutschland bereit ist, sich ernsthaft der Konsolidierungsaufgabe zu stellen. Deutschland profitiert aufgrund der Sparopfer der Bürgerinnen und Bürger von günstigeren Kreditkonditionen. Sie wollen diese Früchte nationaler Anstrengung zugunsten einer Euro-Anleihe opfern. Ihre Idee ist nicht europäisch, sie ist entsetzlich, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ihre Forderungen führen nicht etwa zu einer verantwortungsbewussteren Haushalts- und Finanzpolitik in Europa, nein, Sie zementieren Verantwortungslosigkeit mit Ihren Vorschlägen. Sie fordern tatsächlich einen Fonds, um längerfristige Defizite der Mitgliedstaaten zu finanzieren. Das wäre ein Blankoscheck für unsolide Haushalts- und Finanzpolitik nach dem Motto: Die Staaten verschulden sich, und wenn die Schulden hoch genug sind, dann werden sie aus einem großen Topf beglichen. Meine Damen und Herren, das funktioniert in keiner Familie, das funktioniert in keinem kleinen und in keinem großen Unternehmen, und das funktioniert schon gar nicht in Europa. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie verlieren auch kein Wort darüber, wer diesen Wunderfonds bestücken soll, wer die Zeche bezahlen soll. Sie tun immer so, als seien Sie diejenigen, die die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wahrnehmen. Tatsächlich wollen Sie aber die Menschen zur Kasse bitten für Ihren europäischen Fonds. Wir machen Ihre Idee des Schuldentransfers auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland aber nicht mit. Wir werden die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wahrnehmen, indem wir Ihren wirklich nicht zu verantwortenden Antrag ablehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Viola von Cramon-Taubadel das Wort. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Herr Wissing hat recht. Der Euro befindet sich in einer historischen Bewährungsprobe. Die Qualität von Bündnissen zeigt sich aber in Krisen. In Krisensituationen wird deutlich, ob sich nur Vorteilssucher zusammengefunden haben oder ob man gewillt ist, gemeinsam Probleme zu lösen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Ein weiteres Merkmal von Krisensituationen ist sicherlich der Auftritt ungewöhnlicher Ratgeber. Wenn eine europaskeptische Partei wie Die Linke sich plötzlich um die EU sorgt, dann stellt sich die Frage: Sind die Linken klüger geworden, oder ist die Lage in Europa bedrohlicher geworden? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) Den zweiten Teil der Frage beantworte ich mit einem eindeutigen Ja. Allerdings - und das muss im Zentrum dieser Auseinandersetzung stehen - hat die Politik der Bundesregierung erheblich dazu beigetragen, dass wir uns in einer derart schwierigen Situation in Europa befinden. Es ist doch offensichtlich: Wer auch immer in der aktuellen Europadebatte das Sagen hat - der Finanzminister, die Kanzlerin oder sogar einmal der Außenminister -, sie reden über Europa, aber sie denken an den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) Ich hoffe, dass diese durchsichtigen Manöver irgendwann einmal aufhören; denn das hat Europa nicht verdient. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) Wir brauchen jetzt eine starke Europapolitik. Diejenigen, die von einem gemeinsamen Europa und insbesondere von der Währungsunion stark profitieren - und dabei ist Deutschland nun einmal die Nummer 1 -, müssen auch die größte Solidarität zeigen. Solidarität heißt aber nicht Blindheit. Gute Partner müssen es ertragen, dass man sich kritisch über bestimmte Verhaltensweisen auslässt. Die Regierung Griechenlands und die Bevölkerung Griechenlands haben sicher schon erkannt: Jahrzehntelange Klientelpolitik, mangelhafte Bekämpfung von Korruption, eine weit verbreitete laxe Steuermoral und ein überdimensionierter öffentlicher Sektor, eine solche Politik hält kein Staatshaushalt der Welt lange aus. Allerdings hat die Welt, haben insbesondere die Partner in der EU viel zu lange tatenlos zugeschaut. Griechenland hat bereits am 21. Oktober des vergangenen Jahres sein Haushaltsdefizit von 12,7 Prozent offiziell bekannt gegeben. Damit hätte die Bundesregierung genügend Zeit gehabt, um ein Konzept mit den Partnern in der Euro-Zone abzustimmen und die Währungsunion mit neuen Instrumenten für die Zukunft zu stärken. Wegschauen ist keine kluge Politik. Die Bedienung nationaler Ressentiments ist sogar eine sehr dumme Politik. Aber genau so handelt diese Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was die Euro-Zone und Griechenland betrifft, muss genau hingeschaut werden. Dort hat die Regierung ein ambitioniertes Sparpaket vorgelegt. Das sollte man anerkennen. Genau hinschauen muss man aber auch auf die Rüstungsausgaben des Landes. Den Griechen sollte klar sein: Der vermeintlichen finanziellen Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, kann man nicht mit Waffen begegnen. Sie müssen alle Möglichkeiten nutzen, ihren Militärhaushalt zu reduzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei dürfen wir nicht übersehen: 35 Prozent der Rüstungsgüter Griechenlands werden aus Deutschland importiert. Dennoch konnte es Außenminister Westerwelle bei seinem Staatsbesuch am 3. Februar nicht unterlassen, für die deutsche Rüstungsindustrie zu werben. Der Außenminister hilft bei Exporten, und die Bundeskanzlerin denkt offen über einen Ausschluss aus der Währungsunion nach und blockiert anschließend auf dem Frühjahrsgipfel auch noch den dringend erforderlichen Hilfsmechanismus zur Unterstützung Griechenlands. Das ist eine kalte Verweigerungshaltung, das ist unsolidarisch, das ist im Kern antieuropäisch. Es ist antieuropäisch, weil nicht auf eine europäische Lösung gesetzt wird. Natürlich heißt europäische Solidarität nicht, Geld nach Athen zu tragen. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Eulen!) Ich habe in Griechenland mit Vertretern des Parlaments, der Gewerkschaften und der Zentralbank gesprochen. Dabei hat mich überrascht, dort nicht eine einzige Forderung nach Finanztransfers erhalten zu haben. Die Griechen erwarten lediglich ein Bekenntnis der Bundesregierung zu einer europäischen Solidarität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nein, es geht wirklich darum, Griechenland nicht dem Spiel der Spekulanten zu überlassen. Der Haushalt muss konsolidiert werden, aber die Zinsen dürfen aufgrund von Spekulationen an den Finanzmärkten nicht weiter hochgetrieben werden. Deshalb brauchen wir - das sehen Sie anders; das weiß ich - eine europäische Anleihe, die Griechenland einen niedrigen, einen tragbaren Zinssatz ermöglicht. (Zuruf von der FDP: Auf wessen Kosten?) Die Krise muss und sie kann auch nur innerhalb der Europäischen Währungsunion gelöst werden. Sie kann aber nur gelöst werden, wenn sich die Bundesregierung konstruktiv verhält. Schon jetzt sollte man die richtigen Lehren aus dieser Krise ziehen: Auch langfristig darf die Bundesregierung einer verbesserten wirtschaftspolitischen Koordination in der Euro-Zone und in der Europäischen Union nicht weiter im Wege stehen. Die EU, aber auch die Mitgliedstaaten der Euro-Zone müssen diese Krise nutzen, um die jetzt offen zutage getretenen fundamentalen Schwächen zu beseitigen. Dafür muss der Stabilitätspakt weiterentwickelt und auch das außenwirtschaftliche Gleichgewicht als Ziel mit aufgenommen werden. Anders als im vorliegenden Antrag der Linken müssen neben den Mitgliedstaaten mit hohen Überschüssen, wie Deutschland, auch jene mit hohen Defiziten verbindliche Empfehlungen zur Reduktion von Ungleichgewichten bekommen. Hier brauchen wir sicherlich mehr Kontrolle durch die EU-Kommission oder in diesem Fall Eurostat. Wir brauchen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik mehr Gemeinsamkeit. Bei der Herstellung der Gemeinsamkeit hat diese Bundesregierung bisher versagt, zum Schaden für die EU, für die Währungsunion und letztlich auch für unser Land. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Volker Wissing [FDP]: Na ja!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und Freude bei der Arbeit. (Beifall) Nun hat der Kollege Leo Dautzenberg für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man einige der Forderungen aus dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel "Euro-Zone reformieren - Staatsbankrotte verhindern" liest und die Überschrift wirken lässt, könnte man sagen: Euro-Zone reformieren - Staatsbankrotte herbeiführen. Damit haben Sie ja in der Vergangenheit durchaus Erfahrungen gemacht. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte mich auf einige Punkte konzentrieren und darstellen, was die Regierung gerade in Bezug auf Griechenland getan hat. Ich nehme an, dass Sie Ihren Antrag nicht nur aufgrund des Tatbestandes Griechenland eingebracht haben, sondern dass sich Ihr Antrag auch auf eine allgemeine Reform der Euro-Zone bezieht. Es ist festzustellen, dass diese Bundesregierung handlungsfähig ist, dass sie auf europäischer Ebene Verantwortung für die Stabilität des Euros übernommen hat und den Nachweis dafür bisher immer wieder erbracht hat. Es wäre nämlich, noch in der letzten Woche, ein Leichtes gewesen, auf den Vorschlag des Kommissionspräsidenten Barroso positiv einzugehen, der dazu geführt hätte, dass wir mit Hilfen für Griechenland den Euro geschwächt und nicht gestärkt hätten. Dass das nicht so gekommen ist, wurde durch den Einsatz unserer Regierung, der Kanzlerin Merkel und des Finanzministers, auf europäischer Ebene gewährleistet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Man muss natürlich auch feststellen, dass die Handlungsanweisungen, die wir teilweise von der europäischen Ebene bzw. von europäischen Partnern aus der Euro-Zone bekommen, nicht nur Beiträge zur Stabilisierung des Euros und des Euro-Verbundes, unseres Währungssystems auf europäischer Ebene, sind, sondern auch eine interessengeleitete Politik darstellen. Wenn man sich manche Vorstellungen unserer Freunde in Frankreich und in anderen Ländern vor Augen führt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass sie teilweise danach ausgerichtet sind, wie sehr man in diesen Ländern in der griechischen Wirtschaft, zum Beispiel bei Banken, engagiert ist. Das spiegelt sich in manchen französischen Vorschlägen wider. Wenn man darüber hinaus den südeuropäischen Bereich betrachtet, sieht man, dass man sich dort anders verhält und sich für Hilfen einsetzt und sogar danach schreit. Dies entspricht zum Teil durchaus auch dem Interesse des Kommissionspräsidenten Barroso. Das würde nichts anderes bewirken, als dass weitere Länder Hilfen beanspruchen würden und damit innerhalb des Euro-Verbundes ein Trend hervorgerufen würde, den wir nicht verantworten können. Denn die Bundesrepublik Deutschland wäre bei diesen vorschnellen Hilfen der Hauptzahler. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber in den jeweiligen Ländern würden in der Zwischenzeit nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen, sich selber zu helfen und auf den Weg der Stabilität zurückzukehren. Auch das gehört zur jüngsten Geschichte bei der Betrachtung von Stabilisierungsmaßnahmen auf europäischer Ebene. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin? Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Gerne. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben von den Interessen gesprochen, die hinter manchen Vorschlägen, manchen Aktivitäten stecken. Ich bin weit davon entfernt, beispielsweise der konservativen französischen Regierung nicht unterstellen zu wollen, dass auch sie Interessen hat, die sie zum Teil in ihren Vorschlägen untergebracht hat. Aber ich finde, es gehört zur Ehrlichkeit, dass Sie eine Antwort auf folgende Frage geben: Ist es eine nicht interessengeleitete Politik, wenn der Außenminister - Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Welcher Außenminister? Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - Außenminister Westerwelle -, wie von der Kollegin von Cramon-Taubadel dargestellt, nach Griechenland fährt und dafür sorgen will, dass dort eine unglaublich hohe Rüstungsquote durch den Export von Rüstungsgütern durch deutsche Unternehmen aufrechterhalten wird, anstatt dafür zu sorgen, dass im Interesse des Euros gespart wird? Halten nicht auch Sie das für eine schlechte, von rein nationalen Interessen getragene Politik? Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Ich glaube, jedes Land in Europa sollte so souverän sein, im Rahmen seiner Sicherheitspolitik seine Interessen wahrzunehmen und seinen Teil zur Sicherheit beizutragen. Da sollten wir auch unserem Partner Griechenland keine Vorschriften machen und sollten keine Ratschläge erteilen, sondern wir sollten, wenn unsere Wirtschaft Chancen hat, dort Produkte abzusetzen, diese auch nutzen. Da brauchen wir uns nichts vorhalten zu lassen. Wenn Sie das aus einer Ideologie der Abrüstung heraus zum Nachteil unserer Wirtschaft interpretieren, ist das Ihre Sache. Meine Fraktion und ich sehen das anders. Man sollte das politische Selbstbestimmungsrecht der jeweiligen Länder akzeptieren und sie nicht bevormunden, weil das in die falsche Richtung führt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Dautzenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick? Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Wenn es der Sache dient, ja. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das wird sich zeigen. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Haben die Grünen zu wenig Redezeit bekommen?) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, nicht zu wenig Redezeit, aber es gibt einen Anlass, noch eine weitere Frage zu stellen. - Sie sprechen sich dafür aus, dass wir es den griechischen Politikern und Politikerinnen überlassen sollten, die Probleme in ihrem Land selbst zu lösen, und dass wir uns nicht bevormundend einmischen sollten. Wie bewerten Sie dann die Stellungnahmen aus Ihrer Fraktion, dass man vielleicht auch griechische Inseln verkaufen könnte? Es gibt noch weitere wohlgemeinte Vorschläge, die gerade das sind: Sie sind bevormundend und tragen massiv zu einer Verschlechterung der Beziehungen bei. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU: Wer denn?) - Es waren Herr Schlarmann und Herr Wanderwitz, wenn Sie es genau wissen wollen. Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Kollege Schick, wir sind hier im Parlament, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein Kollege aus der CDU/CSU-Fraktion einen solchen Vorschlag unterbreitet hat. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Richtig!) Ich glaube, dass auch Sie genauso wenig die Verantwortung für eine Aussage eines Mitglieds der Grünen übernehmen können wie ich für ein Mitglied meiner Partei. Vielmehr geht es darum, was von den Abgeordneten im Plenum gesagt wird. Das sollte man ernst nehmen und nicht das, was Sie zitieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Dautzenberg, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Auch die Frau Kollegin Hendricks möchte mit Ihnen diskutieren. Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Ja. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Herr Kollege Dautzenberg, ich wollte im Prinzip dieselbe Frage stellen wie Herr Kollege Schick. Herr Schlarmann ist der Vorsitzende des Wirtschaftsrates der CDU. Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Nein, er ist Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Ja gut, dann eben der Mittelstandsvereinigung. - Sie sind stolz darauf, dass mehr Mitglieder von Ihnen in der Mittelstandsvereinigung sind, als wir Mitglieder in der ganzen Fraktion haben. Demnach müssten auch Sie alle in der Mittelstandsvereinigung sein. Das nehmen wir zur Kenntnis. Außerdem ist Herr Kollege Wanderwitz auch Mitglied Ihrer Fraktion. Zu erwähnen ist auch der Kollege Schäffler aus der FDP-Fraktion, der besonders sachkundig ist. Ich habe diesbezüglich eine Frage an die Bundesregierung gestellt. Die Bundesregierung hat immerhin darauf geantwortet, dass sie sich diese Vorschläge nicht zu eigen macht. Aber dass Bevormundung enthalten war, wollen Sie doch nicht in Abrede stellen? (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sag: nein!) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Wieso ist das eine Bevormundung? Aus Ihrer Tätigkeit als Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium wissen Sie, dass jeder für seine Aussage verantwortlich ist. Dabei sollten wir es auch belassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Privatperson!) Es wurde bereits richtigerweise angesprochen, dass wir uns als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland nicht dazu aufschwingen sollten - ich sage salopp: die Backen dick aufzublasen -, Griechenland zu erzählen, wie es sich verhalten solle. Dass wir erwarten, dass sie die angekündigten Reformmaßnahmen im eigenen Land durchsetzen, ist völlig klar. Darauf setzen wir. Griechenland ist am besten zu helfen, indem man hilft, dass es sich selber helfen kann. Aber wir sollten uns nicht - das klang schon an - aufspielen, sondern daran erinnern, dass von Herrn Schröder und von Herrn Eichel als verantwortlichem Finanzminister in der Zeit der rot-grünen Koalition das 3-Prozent-Kriterium des Stabilitätspaktes nicht eingehalten werden konnte. Gegen uns wurde ein Verfahren eröffnet, das zwischenzeitlich aufgeweicht worden ist. Da muss man sich nicht wundern, wenn dieses Handeln Schule macht und andere Länder für sich in Anspruch nehmen, ähnlich zu verfahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Man sollte behutsam mit diesem Thema umgehen und den Griechen klarmachen, dass wir erwarten, dass sie ihre Maßnahmen fortsetzen. Wir haben keine aktuelle Äußerung des griechischen Ministerpräsidenten vorliegen, die besagt, dass er finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen will. Die Griechen werden auch dieses Jahr gut ihre Schwierigkeiten meistern, wenn sie ihre Refinanzierungen für die fälligen Anleihen im April und im Mai tätigen. Wir sollten Griechenland dahin gehend unterstützen, dass diese Leistungen am Finanzmarkt möglich werden. Wenn man die Forderungen der Linken sieht, muss man fragen: Wollen Sie das Verbot von Bail-out aufheben? Wollen Sie im Grunde Finanzierungshilfen der Nationalstaaten für den Haushalt Griechenlands? Wollen Sie vielleicht sogar Anleihen auf europäischer Ebene auflegen, um damit Griechenland zu helfen? Wo wollen Sie die Einnahmen generieren, um die Anleihen bedienen zu können, wenn sie fällig werden? Wer soll das übernehmen? Die Partner, die an der Finanzierung des europäischen Haushalts beteiligt sind? Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Versuch, den deutschen Steuerzahler dazu zu bringen, dass er Ihre Auffassung teilt, dass dies ein Weg ist, um Griechenland in dieser akuten Situation zu helfen. Was noch wichtiger ist: Sie wollen das zur Grundlage einer Reform der Euro-Zone machen. Wir brauchen aber genau das Gegenteil. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aufgrund der Erfahrungen, die wir bei den jetzigen Vorgängen gemacht haben, wissen wir das. Man sollte den Schöpfern des Euros nicht vorhalten, dass sie das 1998/ 1999 und bei den Maastrichter Verträgen nicht berücksichtigt haben; denn es war damals nicht erkennbar, dass Euro-Länder in eine Situation kommen können, in der sie die Vorgaben der Stabilitätskriterien nicht einhalten können. Aber die Lehre daraus muss sein, dass wir diese Verträge weiterentwickeln. Bevor wir sie öffnen, müssen wir aber sicher sein, dass wir mit den Staaten, die das betrifft, eine Reform durchbringen können, die dafür sorgt, dass am Ende engere Maßstäbe hinsichtlich des Stabilitätskriteriums angelegt werden. Bevor man beginnt, darüber zu diskutieren, bevor man dieses Fass aufmacht, muss man sicher sein, dass es nicht dazu kommt, dass andere Länder in genau die andere Richtung gehen. Deshalb sollte man sich genau überlegen, wann man damit beginnt. Es darf keine weitere Aufweichung stattfinden, sondern es müssen Kriterien entwickelt werden, die dazu beitragen, dass der Euro stabilisiert, dass diese Währung im Grunde weiterentwickelt wird. Eines ist doch wohl klar: Wenn wir die Währung Euro nicht seit 1998 - in physischer Ausführung seit 2001 - hätten, dann hätten wir all die Krisen, die wir seitdem erlebt haben - angefangen mit 9/11 - so nicht überstanden, (Beifall des Abg. Peter Aumer [CDU/CSU]) dann wäre in Europa gegen jede einzelne Währung spekuliert worden, auch gegen die dominierende Währung in Europa, die D-Mark. Mit dem Euro haben wir schon viele Krisen überstanden. Es wäre fatal, wenn wir diese Währung jetzt nicht weiterentwickeln würden, sondern Elemente zulassen würden, die ein Aushöhlen möglich machen. Damit würden wir das Gegenteil von dem erreichen, was wir eigentlich erreichen wollen. Deshalb ist das, was bisher vonseiten der Regierung auch auf europäischer Ebene unternommen worden ist, richtig. Der Beitrag unseres Finanzministers Wolfgang Schäuble war so zu verstehen, dass auch er einen Instrumentenkasten haben will, um die Stabilität des Euros weiter festigen zu können. Ihm geht es nicht darum, unter dem Stichwort "Europäischer Währungsfonds" einen Zahlungsausgleich, im Grunde ein Funding für schwächere Länder, in Europa zu entwickeln. Diesen Ansatz sollten wir als Grundlage nehmen und uns nicht die Empfehlungen der Fraktion Die Linke zu eigen machen; denn dann würden wir in der Tat beim Staatsbankrott landen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Leo Dautzenberg hat eben Hans Eichel ins Gespräch gebracht. Ich will an etwas erinnern: Wir denken bei 13 Ländern an ein Defizitverfahren, 13 von 16 Ländern in der Euro-Zone. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das macht es doch nicht besser, Herr Kollege!) - Das macht es nicht besser, erklärt aber ein bisschen, dass es eine eingeschränkte Sicht ist, wenn man ein Land hervorhebt. Nur Finnland, Luxemburg und Zypern sind bisher nicht davon betroffen. Herr Aumer hat vorhin einen wichtigen Satz gesagt: "Sparen ist für die Griechen der einzig richtige Weg." Das zeigt einen falschen Denkansatz. Es gibt nicht den einzig richtigen Weg. Es gibt nicht den einen Parameter, den man nur ändern muss, und dann wird alles gut. Manfred Zöllmer hat einen ganzen Strauß von notwendigen Dingen aufgezählt, über die Griechenland selbst nachdenkt und möglicherweise anstoßen will. Vielleicht könnte Griechenland auch wieder auf Vertrauen setzen, vertrauensbildende Maßnahmen durchführen, um zum Beispiel den - verglichen mit deutschen Staatsanleihen - hohen Spread zu vermindern, um so die eigene Situation zu verbessern. Kollege Wissing hat vorhin ein Wort genannt; das habe ich nicht verstanden. Er hat von Konsolidierungsanstrengungen in Deutschland gesprochen. Diese müssten ja irgendwo zu finden sein. Im Moment sind sie aber nirgends zu finden. Die Staatsverschuldung ging viel stärker als nötig in die Höhe. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Wir haben weniger Schulden gemacht, als Sie machen wollten!) Es gab eine Reihe von Klientelgesetzen, die nicht dem Sparen geschuldet waren, sondern anderen Zielen. Es ist erschreckend, wie wenig eine Regierung in fünf Monaten hinsichtlich der Konsolidierung schaffen kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Volker Wissing [FDP]: Obwohl sie mehr geschafft hat als Sie!) Es gibt keine Perspektive für die Kommunen, keine Perspektive für die Länder, es gibt auch keine Perspektive für den Bundeshaushalt, geschweige denn eine Perspektive für Europa. Ich glaube, es gibt außer dem "Kollisionsvertrag", wie wir heute von Sabine Bätzing gelernt haben, jetzt auch Kommissionen; diese sind aber nicht zielführend. Ähnlich reduziert ist dieser Antrag zu betrachten. Er fängt mächtig an. Die Überschrift lautet: "Euro-Zone reformieren - Staatsbankrotte verhindern". Dann kommen zwei magere Seiten, die viele Denkfehler und Oberflächlichkeiten enthalten und dieser Überschrift überhaupt nicht gerecht werden. Der mächtigste Satz steht gleich am Anfang: Die Europäische Währungsunion ist bedroht. Einmal angenommen, der Bundestag würde so etwas beschließen - manche Länder sind ja besonders be-droht -: Was ist eigentlich wichtig, wenn man eine Bonitätseinschätzung eines Landes vornimmt, Fundamentaldaten oder auch die Stimmung? Die subjektive Erwartung und die Stimmung sind extrem wichtig. Wenn wir das machen würden, was Sie jetzt vorschlagen, könnte es zum Beispiel sein, dass der Preis für CDS, Credit Default Swaps, Kreditausfallversicherungen, plötzlich ansteigt. Das Maß der Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit von Griechenland würde ansteigen. Was würde das bedeuten? Der Preis für die CDS würde ansteigen. Was würde das wiederum bedeuten? Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland schlecht eingestuft wird, würde steigen. Was würde das bedeuten? In der Erwartung der steigenden Kosten für CDS würden viele gekauft, und wenn viele gekauft würden, würden die Kosten für die CDS weiter ansteigen. Was würde dann mit Griechenland passieren? Es würde in gigantische Probleme geraten. Deshalb ist diese Art von Sätzen extrem gefährlich. Aber wie einfältig - so will ich es nennen - dieser Antrag vorgeht, erkennt man an einem weiteren Satz: Die Probleme Spaniens ... gehen auf unzureichende Steuereinnahmen sowie die staatlichen Rettungsmaßnahmen für Banken zurück. Als ob es in Spanien keine anderen Probleme gegeben hat! Ich will nur eines nennen: Wer sich den Bauboom - er ist künstlich erzeugt - und den Wohnungsmarkt in Spanien ansieht, der bekommt eine Ahnung davon, dass es möglicherweise noch andere Ursachen gibt als die, die in diesem so mächtig daherkommenden Antrag genannt werden. In dem Antrag steht auch: Deutschland betreibt ... Steuerdumping bei den Unternehmensteuern. Jetzt frage ich mich: Warum haben wir uns eigentlich so angestrengt, die Gewinnverlagerung zu verhindern? Das haben Unternehmen in einem Steuerdumpingland doch gar nicht nötig. Warum sollten sie Gewinne verlagern, wenn es ihnen hier so gut geht? Das alles hat keinen Sinn. Das zeigt, warum wir diesem Antrag nicht folgen können. Ich will noch eine monokausale Ableitung, die der Antrag nahelegt, ansprechen. Es ist richtig: Die Reallöhne in Deutschland sollten steigen. Aber folgende Maßnahmen sind eine zu einfache Ableitung: Reallöhne erhöhen, Exportüberschuss senken, Leistungsbilanzdefizit in Griechenland ausgleichen, Verschuldung in Griechenland senken, Wohlstand in Griechenland steigern und mit den Reallöhnen auch den Wohlstand in Deutschland steigern. Dies soll nach Ihrer Vorstellung einen Wundereffekt bewirken, durch den es Europa plötzlich besser geht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) - So einfach ist es leider nicht. Dabei wird vergessen, was die anderen Staaten machen. Was machen eigentlich Unternehmen? Saniert Griechenland? Sparen die Deutschen oder investieren sie? (Zuruf von der LINKEN: Jetzt hat er es kapiert!) - Ihr habt es leider nicht kapiert, sonst hättet ihr euch gar nicht getraut, den Antrag vorzulegen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP) Man muss darauf hinweisen, dass Griechenland - das weiß es natürlich selbst am Besten - sehr viel mehr über die Lösung der eigenen Probleme nachdenken muss, als es bisher der Fall war. Ich will noch einen Satz sagen zur Idee gemeinsamer Euro-Anleihen und der Idee, einen EWF einzurichten. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass solche Maßnahmen - wenn man nur wenig neben dem liegt, was man machen müsste; Ihrem Antrag kann man allerdings nicht entnehmen, was genau das sein könnte - auch Instrumente sein können, um Schulden zu verteilen. Das kann auch dazu führen, dass Verantwortung sinkt. Warum gilt das dann nicht auch für andere Länder? Man muss sich überlegen, was man damit erzeugt. Man mindert die Eigenverantwortung, und letztendlich werden die Schulden in allen Ländern steigen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass es so ist. Die Summe der Argumente macht es notwendig, dass wir Ihren Antrag ablehnen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1058 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Ich lasse nun zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, das heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, das heißt Federführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Das heißt, die Federführung liegt beim Finanzausschuss. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Holger Haibach, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht, Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Haiti eine langfristige Wiederaufbauperspektive geben - Drucksache 17/1157 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Klaus Barthel, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunft für Haiti - Nachhaltigen Wiederaufbau unterstützen - Drucksachen 17/885, 17/1214 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Heike Hänsel Thilo Hoppe c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Daðdelen, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nachhaltige Hilfe für Haiti: Entschuldung jetzt - Süd-Süd-Kooperation stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Tom Koenigs, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haiti entschulden und langfristig beim Wiederaufbau unterstützen - Drucksachen 17/774, 17/791, 17/1099 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Heike Hänsel Thilo Hoppe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Harald Leibrecht für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP) Harald Leibrecht (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für jedes Land wäre ein Erdbeben in dem Ausmaß, wie es in Haiti geschehen ist, verheerend. Für ein Land, das zum Zeitpunkt des Erdbebens bereits ein sogenannter Failed State, also ein gescheiterter Staat, war und das bereits vor der Katastrophe zu 60 Prozent auf Nahrungsmittelimporte angewiesen war, gilt das natürlich in ganz besonderem Maße. Es hat die Ärmsten der Armen getroffen. Darum müssen wir dem Wiederaufbau des Landes eine Chance geben. Wir müssen die Menschen und das Land jetzt so unterstützen, dass ein neuer, moderner und vor allem demokratisch fester Staat entstehen kann, ein Staat, der die Menschenrechte und den Rechtsstaat achtet, der aber auch auf wirtschaftlich festen Beinen steht und seine Zukunft wieder selbst in die Hand nehmen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es ist wichtig, dass sich die vielen Hilfsorganisationen und vor allem die Geber auf der Wiederaufbaukonferenz in New York bei ihren Hilfsmaßnahmen eng abstimmen, damit der bestmögliche Effekt und somit die größtmögliche Hilfe für die Menschen in Haiti erzielt werden. Deutschland und seine europäischen Partner müssen auf der Konferenz geschlossen auftreten, und die EU muss mit einer Stimme sprechen. Meine Damen und Herren, wir debattieren heute drei Anträge, in denen es um die Frage geht, wie die deutsche Hilfe für Haiti aussehen sollte. Die Linken meinen leider, das Schicksal Haitis dafür nutzen zu müssen, um einmal mehr antiamerikanische Ressentiments zu schüren und dieses Thema damit unnötigerweise zu ideologisieren. Der Antrag der Linken impliziert, dass es sich beim amerikanischen Engagement um eine Besatzung Haitis handelt. Dabei war es die Regierung von Haiti selbst, die nach dem Beben die USA um Hilfe gebeten hat. Wir Liberale jedenfalls begrüßen das Engagement der USA in Haiti, ohne das die umfangreiche humanitäre Hilfe und die Sicherheit im Land nicht so schnell hätten gewährleistet werden können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ein Land, das schätzungsweise 300 000 Tote zu beklagen hat, braucht dringend Hilfe und keinen ideologischen Streit. Haiti braucht jetzt eine langfristige Wiederaufbauperspektive. Hilfe für die Betroffenen kommt derzeit nur von außen und kann auch nur von außen logistisch koordiniert werden. Daher begrüßen wir auch das Engagement der Vereinten Nationen. Im gestrigen Expertengespräch im Ausschuss wurden von allen Fachleuten zwei Punkte besonders unterstrichen: erstens die Notwendigkeit einer langfristigen Unterstützung für Haiti und zweitens die Zusammenarbeit mit der Regierung bei gleichzeitiger Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Wenn die Hilfe von außen nicht im Inneren des Staates und in seiner Gesellschaft verankert wird, schaffen wir nur neue Abhängigkeiten und nicht den so dringend benötigen Neuaufbau. Die Bundesregierung hat nach der Katastrophe schnell gehandelt und zunächst 17 Millionen Euro für Maßnahmen der humanitären Hilfe bereitgestellt. Unter anderem setzte die GTZ mit diesem Geld den Bau von 1 400 Einfachhäusern für etwa 7 000 Menschen um. Insgesamt unterstützt Deutschland die Maßnahmen zur unmittelbaren Nothilfe und zum Wiederaufbau mit insgesamt 179 Millionen Euro. Das ist sehr viel Geld. Auch die Menschen hierzulande haben mit ihrer Hilfsbereitschaft Fantastisches geleistet und annähernd 200 Millionen Euro gespendet. Das ist das höchste Spendenvolumen in ganz Europa. Hierfür danke ich meinen Landsleuten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wichtig ist jetzt, in Haiti kein Vakuum zwischen der humanitären Soforthilfe, der Nothilfe, dem Wiederaufbau und der nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit entstehen zu lassen. Einige wichtige Aspekte müssen beim Wiederaufbau des Landes beachtet werden. Diese möchte ich hier kurz unterstreichen: Das Wichtigste ist, die Infrastruktur wiederherzustellen. Dazu zählen die Häfen, die Flughäfen, die Hauptstraßen und die Wasserversorgung. Außerdem muss die Basis für ein funktionierendes Staatswesen gelegt werden. Dazu gehören eine gute Regierungsführung, Eigenverantwortung und die Stärkung der Zivilgesellschaft. Zu den wichtigen Aspekten gehört aber auch, Haiti zu entschulden. Deutschland hat es bereits getan. Zusammen mit den G-7-Staaten muss sich die Bundesregierung bemühen, so schnell wie möglich eine Lösung zum Erlass der noch ausstehenden Schulden beim Internationalen Währungsfonds, bei der Weltbank und bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank zu finden. Ich bin überzeugt, dass wir mit den soeben genannten Schritten den richtigen Weg einschlagen hin zu einem nachhaltigen Wiederaufbau Haitis, zu einem Haiti, das in die Weltgemeinschaft zurückfindet, zu einem Land, in dem die Menschen wieder Perspektiven haben und von ihrer Not befreit werden. Hierzu können Deutschland und Europa einen ganz wichtigen Beitrag leisten. Die Bundesregierung ist bereit, diesen Beitrag zu leisten, und hat bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen. Dafür möchte ich mich bei dieser Gelegenheit bedanken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Derzeit hören wir immer wieder von illegalen Adoptionen in Haiti. Das ist ein sehr dunkles Thema, das gerade in schwierigen Zeiten, in Zeiten der Not immer wieder aktuell wird. Ich möchte an dieser Stelle die Bundesregierung auffordern, in diesem Punkt gemeinsam mit Hilfsorganisationen tätig zu werden und nicht zuzusehen, wie Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden, was oft auf falsch verstandenen guten Willen und falsch verstandene Hilfsbereitschaft zurückzuführen ist. Wenn wir hier eine Milderung oder vielleicht sogar den Stopp dieser illegalen Adoptionen erreichen könnten, wäre viel getan. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In Haiti, einem Land mit einer Bevölkerung von 10 Millionen Menschen, gab es 230 000, vielleicht sogar 300 000 Tote. Das sind 3 Prozent der Bevölkerung. Auf Deutschland umgerechnet wären das 2,4 Millionen Tote. Das ist ein unfassbares Leid und eine Tragödie, die wir uns kaum vorstellen können, und das in einem der ärmsten Länder der Erde. Deswegen geht in der heutigen Debatte das Mitgefühl aller Fraktionen an die Angehörigen der Opfer. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich glaube, dass sich die Entwicklungspolitiker aller Parteien in diesem Haus einig in der Feststellung sind, dass das eine Tragödie ist. Normalerweise eignet sich ein solches Unglück auch nicht für eine parteipolitische Auseinandersetzung. Aber der Bundestag ist kein Kirchentag, und es reicht auch nicht aus, wenn wir uns in diesem Hohen Hause gegenseitig unserer Betroffenheit versichern - wir müssen handeln. Ich habe persönlich lange gezögert mit Kritik an der Bundesregierung, weil ich mir gewünscht hätte, dass ich als Oppositionspolitiker gemeinsam mit den Politikern der anderen Parteien ein Lob hätte aussprechen können, wie es Politiker aller Parteien gemacht haben in einer vergleichbaren Situation: als 2004 bei dem Tsunami in Südostasien 220 000 Menschen ums Leben gekommen waren. Da hat die rot-grüne Bundesregierung 500 Milliarden Euro zugesagt. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du meinst sicherlich Millionen! - Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das andere sind die Banken!) - 500 Millionen Euro. Nach dem Erdbeben auf Haiti waren es zunächst 7 Millionen Euro, dann 9 Millionen Euro, dann 17 Millionen Euro. Das sind lediglich 3,4 Prozent des Geldes, das damals bei einer vergleichbaren Katastrophe zugesagt wurde. Auch wenn zu den genannten 17 Millionen Euro noch deutsche Anteile aus multilateralen Beiträgen wie der EU-Soforthilfe kommen, ist das angesichts des Ausmaßes der Katastrophe viel zu wenig. Bei der Anhörung im Ausschuss, die am Mittwoch stattfand, haben die Vertreter der zivilen Hilfsorganisationen dies kritisiert und gesagt, dass die Bundesregierung auf diesen Beitrag nicht stolz sein kann. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Allerdings!) Stolz sein können wir hingegen auf unsere Bürgerinnen und Bürger, auf die Kinder, auf die Schülerinnen und Schüler, die insgesamt 200 Millionen Euro gespendet haben. Dieses Geld haben die Menschen von ihrem zum Teil kleinen Einkommen abgezwackt. Darauf können wir stolz sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn man das vergleicht, sieht man, wie gering das Engagement der Bundesregierung ist. Darauf können wir leider - ich sage wirklich: leider - nicht stolz sein. Die SPD-Bundestagsfraktion hat bei den Haushaltsberatungen einen Sonderfonds für den Wiederaufbau Haitis beantragt mit Barmitteln in Höhe von 150 Millionen Euro und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 130 Millionen Euro. Leider wurde dieser Sonderfonds von der Regierungskoalition, von CDU/CSU und FDP, abgelehnt. Nachdem wir diesen Antrag gestellt hatten, hat Entwicklungsminister Niebel selbst erkannt, dass die bisher zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen. Er hat in einem Brief an die Haushälter der Fraktionen um die Einrichtung eines Sonderfonds, wie wir ihn gefordert haben, gebeten, wenngleich nur ausgestattet mit Barmitteln in Höhe von 25 Millionen Euro und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 91 Millionen Euro - aber immerhin. Ich zitiere aus dem Brief von Minister Dirk Niebel: Mit möglicherweise bis zu 300 000 Toten, 250 000 Verletzten und rd. 1,2 Mio. Obdachlosen haben die Folgen dieses Erdbebens das Ausmaß der Tsunamikatastrophe des Jahres 2004 erreicht. Deutschlands internationale Glaubwürdigkeit und Hilfsbereitschaft werden an unserer Reaktion auf dieses Unglück gemessen werden. Weiter heißt es: Um sich angemessen an der internationalen Hilfe für Haiti beteiligen zu können, ist die Ausbringung zusätzlicher Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 91 Mio. _ sowie die Erhöhung der Baransätze um 24 Mio. _ erforderlich. Minister Niebel schließt mit den Worten: Um die notwendige Flexibilität im Rahmen des noch laufenden Abstimmungsprozesses in der EU und im sonstigen internationalen Geberkreis zu sichern und entsprechend der sehr guten Erfahrungen mit dem "Tsunami-Titel" empfiehlt sich die Schaffung eines eigenen "Haiti-Wiederaufbautitels". Richtig, Herr Minister. Doch was ist mit Ihrem Antrag passiert? Die Kollegen von FDP und CDU/CSU haben ihn abgelehnt. Sie sind mit Ihrem guten Vorhaben kläglich gescheitert. Ich sage an die Kollegen von CDU/CSU und FDP gerichtet: Damit haben Sie nicht nur Ihrem Minister einen Bärendienst erwiesen, da haben Sie auch den Ärmsten der Armen in Haiti einen Bärendienst erwiesen. Das war falsch und schändlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich frage mich auch: Wo war die Kanzlerin? Immer wieder hat sie sich bei Fernseh-Spendengalas für Haiti feiern lassen, schon immer hat sie auf Kirchentagen oder bei anderen Anlässen betont, wie wichtig ihr die Ärmsten der Armen seien. Aber wenn es darauf ankommt, zu handeln, dann taucht sie ab. Selbst wenn die Bundesregierung auf der internationalen Geberkonferenz Ende des Monats neue Zusagen für den internationalen Hilfsfonds für Haiti geben sollte, wären diese nicht mehr zusätzlich - das hätten wir nur im Rahmen der Haushaltsberatungen erreichen können -, sondern gingen zulasten der Zusagen gegenüber anderen Staaten, zum Beispiel afrikanischen Staaten. Wir dürfen die Ärmsten der Armen nicht gegeneinander ausspielen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jeden Tag sterben 24 000 Menschen, vor allem Kinder, an den Folgen von Hunger und Armut. Das ist alle zehn Tage ein stiller Tsunami oder ein Erdbeben vom Ausmaß des Erdbebens auf Haiti. Um diesen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ohne Hunger und Armut zu ermöglichen, müssen wir insgesamt mehr Mittel und Hilfe geben. Die Kanzlerin hatte sich ja auch dazu verpflichtet, 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Ich mache gerne einen Werbeblock für die Regierung in dem Sinne, dass ich aus einer Rede der Kanzlerin zitiere. In der Regierungserklärung 2005 sagte die Kanzlerin: Wir haben uns deshalb dazu verpflichtet, ... bis 2010 mindestens 0,51 Prozent ... des Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen. Ich weiß, was ich da sage. Das hat sie damals gesagt. Offensichtlich wusste sie nicht, was sie sagt; denn sie hat ihr Versprechen bei den diesjährigen Haushaltsberatungen eiskalt gebrochen. Wir werden mit 0,4 Prozent weit unter dem Ziel liegen. Die Steigerungen sind geringer, nämlich nur ein Viertel dessen, was in den Jahren zuvor unter unserer Ministerin zur Verfügung gestellt worden ist, und das in einem Jahr, in dem die ärmsten Länder besonders hart von der Wirtschafts- und Finanzkrise getroffen sind. Selbst das unfassbare Unglück in Haiti hat die Kanzlerin nicht zur Einhaltung ihres Versprechens bewegen können. Was muss denn noch passieren? Dazu, dass man so kaltblütig ein Versprechen bricht, sage ich: Ich bin enttäuscht von Frau Merkel. Gemessen an der Zahl der ärmsten Menschen, denen sie das Versprechen gegeben hat, nämlich 1 Milliarde hungernder Menschen, ist das für mich persönlich der größte Wortbruch einer Kanzlerin, den es je gegeben hat. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Was wollten Sie denn in Ihrem Haushalt erreichen?) Herr Fischer, es hat konkrete Auswirkungen, dass diese Mittel fehlen. Das gilt nicht nur bezogen auf die Nothilfe, sondern auch bezogen auf die Zukunft Haitis; denn wir reden hier nicht nur von irgendwelchen Zahlen. Vielmehr hat uns im Ausschuss auch der Vertreter der KfW-Entwicklungsbank gesagt, dass aufgrund der Tatsache, dass die Regierung nur so klägliche Mittel zur Verfügung stellt - zum Beispiel für die Zukunft Haitis -, Aufforstungsprogramme, die man geplant hat, jetzt gestoppt wurden, weil man das Geld für die Nothilfe gebraucht hat. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege. Dr. Sascha Raabe (SPD): Wer sich Haiti von oben angeguckt hat, der wird festgestellt haben, dass in Haiti alles abgeforstet ist. Nur noch 1 Prozent des Landes ist Wald, während in der Dominikanischen Republik noch viele Wälder sind. Dort ist quasi fast eine Mondlandschaft. Deswegen wäre es ganz wichtig, dass wir den Menschen vor Ort auch mit deutschen Hilfsmitteln - zum Beispiel mit "Cash for Work" - die Möglichkeit geben, dort Aufforstung zu betreiben. Dann würden sie - bei 80 Prozent Arbeitslosigkeit in diesem Land - auch ein Einkommen haben, und wir würden einen Beitrag für die Zukunft leisten. Deswegen sage ich: Wir müssen hier endlich mehr tun; wir müssen vorangehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Herr Günther möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Dr. Sascha Raabe (SPD): Gerne. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Herr Kollege Raabe, Sie hinterlassen hier den Eindruck, Deutschland stelle zu wenig Mittel zur Verfügung. (Andrej Konstantin Hunko [DIE LINKE]: Allerdings! - Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Ich muss Sie fragen: Waren Sie nicht in der Ausschusssitzung dabei, in der alle Fachexperten erklärt haben, dass, international gesehen, genügend Mittel für Haiti zur Verfügung stehen, dass es dort eine korrupte Regierung gibt, dass deshalb versucht werden sollte, diese Mittel effektiv einzusetzen, und dass in dieser Phase mit Sicherheit dann auch von Deutschland die Chance wahrgenommen wird, wenn es notwendig ist, weitere Mittel bereitzustellen? Etwas anderes stand nie zur Debatte, und ich glaube, dass die Mittel, die Deutschland zur Verfügung gestellt hat, in der jetzigen Situation völlig ausreichend sind. Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Kollege, es tut mir leid, dass ich Ihnen sagen muss - Sie sind ja von der FDP -, dass Ihr Minister Ihnen da weit voraus ist. Ihr Minister hat das genauso wie wir erkannt. Es geht nicht in erster Linie um die Mittel der Nothilfe. Es geht darum, dass wir für den langfristigen Wiederaufbau Mittel brauchen. Deswegen haben wir damals nach dem Tsunami ja auch nicht gesagt, dass wir 500 Millionen Euro in zwei Monaten irgendwo "verbraten" wollen, sondern wir haben damals gesagt: Wir brauchen nach so einer Katastrophe mehrere Jahre, um die Region wieder aufzubauen. Deswegen haben wir als SPD-Fraktion gesagt - darum geht es mir mit Blick auf die Mittel, die fehlen -, dass wir für die nächsten Jahre einen ähnlich hohen Betrag zur Verfügung stellen müssen. Das hat ja sogar auch Ihr Minister erkannt. Jetzt widersprechen Sie ihm; Sie fallen ihm in den Rücken. Er hat ja selbst gesagt: Es ist zu wenig Geld für die nächsten Jahre zugesagt worden. Herr Kollege, wir müssen doch jetzt die Weichen für die Zukunft stellen, und wir müssen gerade jetzt dafür sorgen, dass zum Beispiel wieder Bäume gepflanzt werden, weil wir so etwas gegen die Erosion tun können, weil Häuser ansonsten wegrutschen und weil auch die Auswirkungen eines Sturmes anderenfalls viel größer sind. Deswegen brauchen wir jetzt auch für die gute Regierungsführung, die Sie angesprochen haben, Mittel, damit man einen Rechtsstaat aufbauen kann, damit Flächen in ein Kataster aufgenommen werden können, damit es Landtitel gibt und damit wir auch die Zivilgesellschaft und die Kommunen dort mit Dezentralisierungsprojekten einbinden können. Dafür brauchen wir einen langfristigen Plan und langfristige Mittel. Darum geht es mir hier. Auch Ihr Minister sagt: Da hat die Bundesregierung zu wenig getan. - Hier stimme ich ihm ausnahmsweise zu. Das heißt aber nicht, dass sich die Regierung aus der Verantwortung dafür stehlen kann, dass sie hier bisher so kläglich versagt hat. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Raabe, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal vom Kollegen Fischer? Dr. Sascha Raabe (SPD): Gerne. Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Raabe, Sie haben darauf hingewiesen, wie sich die entwicklungspolitische Situation in Haiti bereits vor dem Erdbeben dargestellt hat und dass bereits zu diesem Zeitpunkt zu wenig getan worden ist. Können Sie mir erklären, warum Sie in der Großen Koalition nicht den Antrag gestellt haben, Haiti in die Länderliste des BMZ aufzunehmen, damit dort ganz spezielle Programme aufgelegt werden können? Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Fischer, das erkläre ich Ihnen gerne. Ich möchte Sie auch daran erinnern, (Ute Kumpf [SPD]: Dass Sie auch in der Großen Koalition waren!) dass es Ihre Fraktion war, die bei der Aushandlung des Koalitionsvertrags darauf gedrungen hat, die Liste der Partnerländer stark zu verkleinern und in diesem Zusammenhang immer darauf zu achten, dass eine gute Regierungsführung gegeben ist. (Ute Kumpf [SPD]: Der Kollege Fischer hat eine kleine Amnesie!) Im Fall Haiti war der Staat in den Jahren vor dem Erdbeben leider unstrittig fragil; es gab kaum funktionierende Verwaltungsstrukturen. Wir hatten auch keine Ansprechpartner, um eine normale staatliche Entwicklungszusammenarbeit durchzuführen. Deswegen haben wir uns dort über die zivilen Organisationen und im Rahmen unserer multilateralen Beteiligung weiter engagiert. Aber wir haben immer gesagt: Wenn eine Regierung gebildet wird, der wir vertrauen können, (Harald Leibrecht [FDP]: Es ist immer noch die gleiche Regierung!) bei der wir das Gefühl haben, dass sie die Mittel für die Menschen einsetzt, dann werden wir die entsprechenden Mittel auch zur Verfügung stellen. Herr Kollege Fischer, Sie sind ja auch ein langjähriger Experte, Sie erinnern sich sicherlich: Nach dem Tsunami gab es in Indonesien zum Beispiel in der Region Banda Aceh große Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Diese Katastrophe damals hat aber auch die Chance eröffnet, die Konfliktparteien wieder ein Stück weit zu versöhnen. Zumindest in dieser Region wurde ein positiver Versöhnungsprozess eingeleitet. Ich wünsche mir, dass wir es gemeinsam schaffen, Herr Kollege, die Regierung in Haiti vor dem Hintergrund der Katastrophe zu der Einsicht zu bewegen, dass sie mehr für die Menschen tun muss. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, eine Zivilgesellschaft mit einer Opposition aufzubauen, sodass nach freien Wahlen eine bessere Regierungsführung möglich ist. Deswegen widerspreche ich ausdrücklich der Aussage des Entwicklungsministers, der in seinem Brief schreibt, Haiti solle kein Partnerland mehr werden. Wir wollen, dass die Liste unserer Partnerländer alle zwei bis drei Jahre überprüft wird. Da wir uns nach der Katastrophe in Haiti dort mindestens vier bis fünf Jahre engagieren müssen, Herr Kollege Fischer, müssen wir Haiti auch wieder als Partnerland aufnehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass dort in Zukunft demokratische Strukturen vorherrschen. (Harald Leibrecht [FDP]: Die Regierung ist noch die gleiche!) Zu der alten Regierung, Herr Fischer, muss man sagen: Der Präsident ist nach dem Erdbeben erst einmal für zwei bis drei Monate abgetaucht. (Anette Hübinger [CDU/CSU]: Und jetzt ist er wieder da!) Einer solchen Regierung sollten wir als Partnerland keine staatlichen Mittel zur Verfügung stellen. Deswegen müssen wir jetzt gemeinsam versuchen, die Ziele zu erreichen. Denn wir wollen ja nicht einer Regierung helfen, sondern den Menschen. Deswegen glaube ich, Herr Kollege, dass wir Haiti in Zukunft wieder als Partnerland in die Liste aufnehmen sollten - allerdings nur unter der Bedingung, dass dort faire und demokratische Verhältnisse vorherrschen und unsere Mittel auch bei den Ärmsten der Armen ankommen. (Anette Hübinger [CDU/CSU]: Da können wir aber noch ein bisschen warten!) In diesem Sinne legt unser Antrag sehr viel Wert auf Dezentralisierung, Demokratisierung und den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen. Wir fordern ganz ausdrücklich, dass die Zivilgesellschaft an der Verteilung der Mittel, die der Internationale Währungsfonds verwalten wird, beteiligt wird. Nicht nur die haitianische Regierung und die Geberländer sollen beteiligt werden, sondern die Zivilgesellschaft sollte diese Mittel mitverwalten und in einem Beirat oder anderen Gremium mitbestimmen können, wohin die Mittel fließen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt unseres Antrags. Wir fordern eine langfristige Perspektive. Dazu gehört es übrigens auch, die Landwirtschaft in Haiti zu fördern, sodass die Menschen von ihren eigenen Agrarprodukten leben können. Wie war denn die Situation in Haiti? - Vor noch ungefähr 20 Jahren hat sich Haiti mit Lebensmitteln vollständig selbst versorgt. Dann kamen hochsubventionierte Importe aus den USA, und der Reisanbau und die Hühnerzucht sind zusammengebrochen. Es kam zu Abrodungen, sodass die landwirtschaftlichen Flächen schlechter geworden sind. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aber antiamerikanisch!) Diese beiden Faktoren haben dazu geführt, dass Haiti zurzeit von Lebensmittelimporten abhängig ist, obwohl es von den klimatischen Verhältnissen her durchaus möglich wäre, alle Menschen mit dort angebauten Lebensmitteln zu versorgen. Deswegen sage ich - auch an die Bundesregierung gerichtet -: Wir brauchen eine kohärente Entwicklungspolitik. Das bedeutet, dass mit den Agrarexportsubventionen und den internen handelsverzerrenden Unterstützungen Schluss sein muss. Wenn ich daran denke, dass die Landwirtschaftsministerin Aigner im letzten Jahr Agrarexportsubventionen bei Milchpulver zugestimmt hat (Zuruf von der FDP: Aus Haiti? Das hat doch damit nichts zu tun!) und wir die gleichen Fehler, die in Haiti gemacht wurden, in anderen Ländern dieser Welt wiederholen, muss ich sagen: Es muss Schluss sein mit Agrarexportdumping. Wir brauchen endlich faire Handelsbedingungen für Haiti und alle Entwicklungsländer. (Beifall bei der SPD) Ich möchte abschließend festhalten, dass wir aus meiner Sicht zum einen eine schlechte Regierungsführung in Haiti genauso wie in Afrika nicht zum Vorwand nehmen dürfen, keine Mittel zu vergeben, zum anderen aber auch - das sage ich mit Blick auf die Anträge der anderen Parteien - Anreize setzen müssen, dass dort Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Einzug halten. Ich glaube, wir haben einen umfassenden Antrag vorgelegt, der sehr stark auf Demokratisierung und Dezen-tralisierung, aber auch auf einen langfristigen Wiederaufbau setzt, damit künftig Katastrophen wie in Haiti kein so schlimmes Ausmaß mehr annehmen können. Wir werden Erdbeben nicht verhindern können, aber dass in Chile ein vergleichbar starkes Erdbeben ein paar Hundert Todesopfer gefordert hat, während es in Haiti zu 300 000 Toten geführt hat, zeigt, dass ein Großteil der Katastrophe von Menschen gemacht ist. Wir alle in diesem Hause sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, dass das in Zukunft verhindert wird. Ich lade Sie alle dazu ein, dass wir gemeinsam daran mitwirken, die Zukunft Haitis in eine gute Richtung zu lenken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Klaus Riegert von der CDU/CSU-Fraktion ist nun der nächste Redner. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klaus Riegert (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haiti wurde einmal die "Perle der Karibik" genannt. Im 18. Jahrhundert hat Haiti 60 Prozent des Kaffees und 40 Prozent des Zuckers für Europa angebaut und geliefert. Allerdings haben einige wenige Weiße die Schwarzen versklavt. Die Lebenserwartung der versklavten Bevölkerung betrug im Durchschnitt etwa 21 Jahre. Zwischen 1825 und 1947 wurden Haiti von der Kolonialmacht Frankreich Entschädigungszahlungen im Wert von umgerechnet 22 Milliarden Dollar aufgezwungen. Zwischen 1957 und 1986 haben die Duvaliers, bekannt als "Papa Doc" und "Baby Doc", ihr Unwesen getrieben und das Land geknechtet und unterdrückt. Danach kamen Wirren, Putsche, blutige Unruhen, das militärische Eingreifen der USA und regelmäßig Naturkatastrophen wie Wirbelstürme und Überschwemmungen hinzu. Dieses Land wurde im Januar von einem schrecklichen Erdbeben mit bis zu 300 000 Toten heimgesucht - die genaue Zahl der Toten konnte nicht festgestellt werden -, mit über 310 000 Verletzten und 1 Million Obdachlosen. Wir stehen in der Tat in dem Zielkonflikt, dass es in Haiti auf der einen Seite nur eine schwache bis gar nicht vorhandene Regierung und keine Zivilgesellschaft in unserem Sinne gibt, aber auf der anderen Seite die Gebergemeinschaft nicht gegen die Interessen der Menschen handeln soll. Damit haben wir ein riesengroßes Problem, das man sicherlich nur behutsam angehen kann. Das braucht seine Zeit. Der Wiederaufbauplan, der erstellt worden ist, beziffert die Kosten in den nächsten drei Jahren mit 8,3 Milliarden Euro. Ich zitiere aus der Zeit vom 21. Januar: Staatsaufbau heißt nicht, einem schwer traumatisierten Land innerhalb kurzer Zeit ein Mehrparteiensystem samt parlamentarischer Geschäftsordnung hinzustellen. Staatsaufbau bedeutet, Straßen und Krankenhäuser zu bauen, Polizisten und Richter auszubilden. Also ein Minimum an Sicherheit zu schaffen, damit eine Bevölkerung von 10 Millionen Überlebenskünstlern, Haitis einzige Ressource, sich möglichst schnell selbst helfen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So weit das Zitat aus der Zeit. Die Bundesregierung hat mit 17 Millionen Euro für humanitäre Soforthilfe schnell geholfen. Ich bin schon etwas enttäuscht, lieber Kollege Raabe, dass Sie die mittel- und langfristigen EU-Zusagen in Höhe von 84 Millionen Euro, die wir gegeben haben, nicht erwähnt haben, (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Doch, doch, ich habe gesagt: Das kommt hinzu! Trotzdem ist das viel zu wenig!) sondern mit Blick auf die 17 Millionen Euro so getan haben, als hätten wir nichts gegeben. Wir sind auch für die private Hilfe in Höhe von fast 200 Millionen Euro dankbar. Das wurde schon erwähnt; für dieses Engagement kann man unseren Bürgern nur herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ebenso vorbildlich haben wir die Entschuldung vo-rangetrieben. Bilateral hat Deutschland die Schulden erlassen. Wir fordern die anderen Länder auf, es uns gleichzutun, und wir sind der Meinung, dass der Internationale Währungsfonds, die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank ebenfalls über entsprechende Schuldenerlasse nachdenken sollten. Wie sieht jetzt die Zukunftsperspektive aus? Ich denke, mit "build back better" ist gut beschrieben, wie vorher der Zustand war und vor welcher riesigen Aufgabe wir hier stehen. Dies bedeutet zum einen eine Koordinierung der Hilfen. Deswegen setzen wir auf die Wiederaufbaukonferenz am 31. März in New York. Wir wollen, dass verlässliche Strukturen geschaffen werden. Auf der anderen Seite muss der Demokratisierungsprozess mit den Menschen und der dortigen Regierung vo-rangebracht werden. An dieser Stelle war Ihre Rede reichlich naiv, lieber Kollege Raabe, weil es im Hinblick auf ein Land, das bisher Unterdrückung und Diktatur erlebt hat, naiv ist, zu glauben, aus den Trümmern entstehe plötzlich eine demokratische Kultur. Auch da werden wir langen Atem brauchen. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das Ziel muss es sein, Herr Kollege! Langfristig!) - Das Ziel habe ich gerade so formuliert; da sind wir uns dann wieder einig. Initiativen wie "Cash for Work", Mikrokreditprogramme und Investitionen, auch private, brauchen wir in Haiti. Außerdem sollten wir schon klar sagen, dass wir die Chancen ergreifen müssen, und zwar vom Tourismus bis zum UNO-Sonderbeauftragten Bill Clinton. Es gibt, glaube ich, keine professionelleren Spendensammler als ehemalige amerikanische Präsidenten. Da sollten wir die Chancen ergreifen. Den Dank an die UNO hat der Kollege Leibrecht schon ausgesprochen. Die UNO-Hilfsmission wurde bei dem Erdbeben stark betroffen und hat deswegen einige Tage gebraucht, um die Lage in den Griff zu bekommen. Deshalb gilt der UNO erst recht der Dank für die Hilfe, die dort geleistet wird. Ich zitiere noch einmal die Zeit vom 28. Januar: Haiti könnte als positives Beispiel für Staatsaufbau in die Geschichte eingehen, wenn die Lehren aus vergangenen Fehlern beherzigt werden. Zu den wichtigsten gehören: Kurzfristige Nothilfe und langfristiger Wiederaufbau müssen gemeinsam geplant werden. Und: Nichts geht ohne die Bevölkerung ... Wenn die Zusammenarbeit zwischen Geberländern, Hilfsorganisationen, Staat und Zivilgesellschaft nicht funktioniert, dann zementiert internationale Hilfe ebenjene soziale Ungleichheit, die schon vor der Naturkatastrophe herrschte. Viel Spielraum für Irrtümer bleibt nicht - auch nicht bei der Nothilfe. Im Mai beginnt die Hurrikan-Saison. So weit die Zeit. Deshalb sind wir froh, dass es einen Wiederaufbauplan gibt, den 150 haitianische Regierungsbeamte und 90 internationale Experten gemeinsam entworfen haben. Er stellt eine gute Arbeitsgrundlage dar. So grundlegend wie jetzt in Haiti ist ein Staatsaufbau noch nie versucht worden. Aber er kann gelingen, wenn die internationale Gemeinschaft genügend langen Atem beweist. Hierzu wollen wir die Bundesregierung mit unserem Antrag ermuntern. Lieber Sascha Raabe, wenn das keine parteipolitische Rede war, die Sie gerade gehalten haben, dann bin ich gespannt, wie es sein wird, wenn Sie hier einmal eine parteipolitische Rede halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Sascha Raabe [SPD]: Ich habe doch erklärt, warum das notwendig war, Herr Kollege! Wir sind hier nicht in der Kirche, sondern wir wollen den Menschen helfen und handeln!) - Ja, Sie sind nicht in der Kirche; aber wir haben vier Anträge vorliegen. Ich habe im Ausschuss schon gesagt, dass ich es nicht verstehe, dass es uns bei den geringfügigen Unterschieden, um die es da geht - sie machen sich nur an einem Sondertitel fest; ansonsten muss man die Unterschiede ja krampfhaft suchen -, (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Zwischen 17 und 115 Millionen ist schon ein Unterschied!) nicht gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag vorzulegen, zumal wir auf der einen Seite in der letzten Woche beim Haushalt über 80 Milliarden Euro Neuverschuldung diskutiert haben - das haben Sie in der Generaldebatte kritisiert und trotzdem für jeden Einzelhaushalt neue Mittel gefordert - und auf der anderen Seite am 31. März die Wiederaufbaukonferenz haben werden. Da wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die EU mit einer Stimme spricht. Wir werden im Rahmen der internationalen Gemeinschaft unseren Beitrag leisten und die auf uns entfallenden Mittel zusätzlich zu den bis jetzt zugesagten Mitteln bereitstellen. Ich verstehe nicht, dass wir uns bei einer solch wichtigen Sache immer wieder auseinandersetzen, obwohl wir gemeinsam der Meinung sind, dass man bei einem gebeutelten Land wie Haiti einen langen Atem haben muss und man die Menschen dort nicht vergessen darf, wenn das Fernsehen, die Medien nach vier Wochen nicht mehr hinschauen. Sie können das aber noch heute heilen, indem Sie unserem guten Antrag zustimmen. Dazu darf ich Sie herzlich auffordern. In diesem Sinne danke ich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sie müssen unserem Antrag zustimmen! Dann ist alles gut!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Fraktion Die Linke hat Heike Hänsel das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei dem schweren Erdbeben in Haiti am 12. Januar sind wahrscheinlich bis zu 300 000 Menschen ums Leben gekommen; meine Vorredner haben das erwähnt. Das ist eine unvorstellbare Zahl; damit ist unvorstellbares Leid verbunden. Mehr als 350 000 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Große Teile der Infrastruktur des Karibik-Staats wurden durch die Erdstöße zerstört. Mittlerweile sind die meisten Journalisten wieder weg und die Kameras abgeschaltet, doch in Haiti beginnt ein neuer Albtraum: die Regenzeit. Ganze Landstriche haben sich bereits in Teiche verwandelt, andere Regionen sind mit aufgeweichter Erde überzogen, Erdrutsche drohen. Auch ohne Kameras und Berichterstattung steht fest: Die Menschen in Haiti brauchen noch für lange Zeit unsere Solidarität. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) Herr Kollege Riegert, hier unterscheiden sich unsere Anträge: Wir fordern mehr Geld für Haiti und einen Sondertitel, um eine langfristige Hilfe zu gewähren. Das steht in Ihrem Antrag eben nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Klaus Riegert [CDU/CSU]: Dann müssen Sie ihn richtig lesen!) Experten schätzen die Schäden auf bis zu 14 Milliar-den Dollar. Die Bundesregierung hat bisher die Bereitstellung von 17 Millionen Euro für Haiti beschlossen. Zudem gibt es im gerade verabschiedeten Haushalt keinen Sondertitel, um eine mittel- und langfristige Hilfe für Haiti zu gewährleisten. Herr Niebel, ich muss es wiederholen: Das ist ein Armutszeugnis für diese Regierung. (Beifall bei der LINKEN) Geld gäbe es genug; die Linke hat viele Vorschläge für mögliche Einsparungen gemacht. Allein der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr kostet mittlerweile mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr. Damit könnte man in Haiti mehr als 2 000 Schulen und 250 000 Lehrer und Lehrerinnen finanzieren. Am kommenden Mittwoch findet in New York eine internationale Geberkonferenz für Haiti statt. Herr Niebel, ich frage mich natürlich, welche konkrete, langfristige Hilfe Sie dort eigentlich im Namen der Bundesregierung anbieten wollen. Ich sehe nichts davon. Für die Fraktion Die Linke ist auch entscheidend - das haben wir in unserem Antrag formuliert -, dass der Aufbau Haitis in den Händen der haitianischen Regierung und der haitianischen Zivilgesellschaft liegt. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt dort viele demokratische Initiativen, selbstorganisierte Basisgruppen, Frauengruppen und Nachbarschaftshilfe, über die hier nicht berichtet wird, die aber maßgeblich zur stabilen Sicherheitslage in Haiti beitragen. Ein Protektorat Haiti, wie es sich manche vorstellen, lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Wir setzen uns auch für die Stärkung der Süd-Süd-Kooperation ein. Es gibt nämlich bereits eine langjährige, vorbildliche Entwicklungszusammenarbeit vieler lateinamerikanischer Staaten. Ich nenne als Beispiel Kuba: Mehr als 400 kubanische Ärzte und Ärztinnen arbeiten seit Jahren vor allem in ländlichen Regionen Haitis; jetzt sind über 200 Ärzte hinzugekommen. - Diese Erfahrungen und die bereits bestehende Infrastruktur wären gute Voraussetzungen für eine trilaterale Zusammenarbeit zwischen Kuba, Haiti und Deutschland oder auch der EU. Folgen Sie deshalb, Herr Niebel, dem Beispiel der norwegischen Regierung, die ein solches Abkommen mit Kuba nach dem Erdbeben unterzeichnet hat. (Beifall bei der LINKEN) Während das Geld für den zivilen Aufbau bei weitem nicht ausreicht, wird allerdings sehr viel Geld für die Präsenz von Militär in dem kleinen Land ausgegeben. Die US-Regierung hatte mehr als 20 000 Soldaten stationiert. Jetzt werden einige abgezogen; aber nach wie vor plant die US-Regierung, langfristig ein Kontingent von mehreren Tausend Soldaten in Haiti zu halten. Auch die UN-Mission MINUSTAH wurde auf jetzt über 9 000 Soldaten aufgestockt. Sie kostet über 400 Millionen Euro im Jahr. Wir lehnen diese Militarisierung von Aufbauhilfe ab, die in unseren Augen einer neuen Besatzung Haitis gleichkommt. Wir fordern den Abzug aller Truppen und eine rein zivile Aufbaumission. (Beifall bei der LINKEN) Das fordern auch über 100 Organisationen weltweit, unter anderem La Via Campesina, oder der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel; sie alle wenden sich gegen die Militarisierung der Aufbauhilfe. Für uns ist ganz klar die Armut das Hauptproblem Haitis und nicht die Sicherheit. Deshalb braucht Haiti nicht mehr Soldaten, sondern mehr Ärztinnen und Ärzte und mehr Lehrerinnen und Lehrer. (Beifall bei der LINKEN) Die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein bringt es auf den Punkt: Haiti ist eigentlich kein Schuldnerland, sondern ein Gläubigerland. Wir müssen hier endlich einmal über Wiedergutmachung für Haiti sprechen, Wiedergutmachung für die verheerenden Folgen von Sklaverei, US-Besatzung, von außen unterstützter blutiger Diktatur, von aufgezwungenem Freihandel, Schuldendienst und jetzt des Klimawandels. - Haiti gehört zu den am meisten vom Klimawandel betroffenen Ländern, obwohl es ihn nicht verursacht hat. Neue verheerende Hurrikans werden in diesem Jahr erwartet. Dafür sind wir in den Industriestaaten verantwortlich, und deshalb hat Haiti einen Anspruch auf unsere Unterstützung. (Beifall bei der LINKEN) Das ist keine Frage von Goodwill. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Heike Hänsel (DIE LINKE): Vielmehr besteht ein Anspruch auf diese Unterstützung. Dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Thilo Hoppe hat das Wort für Bünd-nis 90/Die Grünen. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele haben, als sie die Nachricht gehört haben, dass Haiti von einem verheerenden Erdbeben erschüttert worden ist, gestöhnt und gefragt: Warum wieder Haiti, ausgerechnet Haiti, ein Land, das vom Schicksal schwer geprüft ist? Klaus Riegert und Heike Hänsel haben schon einiges zur Geschichte Haitis gesagt. Ich stelle fest: In dieser Debatte gibt es einerseits sehr viele Gemeinsamkeiten. Wir alle sind tief betroffen von dem schrecklichen Leid, das den Menschen in Haiti widerfahren ist. Wir haben in vielen Reden gehört, wie schlimm die Verhältnisse sind und wie groß die Herausforderung ist. In der Tat könnte man fragen: Können wir uns nicht auf einen gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Antrag einigen? Aber leider gibt es bei all den Gemeinsamkeiten doch auch Unterschiede, die nicht so klein sind. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Der Streit fängt meistens dann an, wenn es ums Geld geht. Viele Experten haben gestern in der Anhörung gesagt, dass es bei solchen Katastrophen oft Wellenbewegungen gibt. Wenn die Fernsehbilder, schreckliche, furchtbare Bilder, um die Welt gehen, dann ist die Spendenbereitschaft groß. Alle möglichen Hilfsorganisationen und Hilfswerke werden mobilisiert. Manchmal schwappt sogar so viel Geld ins Land, dass es gar nicht sofort sinnvoll eingesetzt werden kann. Aber wenn die Scheinwerfer wieder ausgeschaltet sind, geht die Hilfsbereitschaft massiv zurück. Diese Wellenbewegungen sind - das haben uns viele Experten gesagt - sehr schlecht für eine nachhaltige Entwicklung, für den Aufbau von Institutionen und Strukturen, die auch über die Krisenzeit hinaus tragfähig sind. Gerade aus diesem Grund ist es so wichtig, langfristig, mit sehr langem Atem, zu helfen und einen Sondertitel einzustellen, wie ihn die drei Oppositionsfraktionen gefordert haben. Auch der Entwicklungsminister hat dies gefordert - einige Redner haben es schon gesagt -, ebenso, wie ich glaube, die meisten Kollegen aus dem Entwicklungsausschuss. Dennoch ist der Sondertitel leider nicht durchgekommen. Er ist an den Haushältern von CDU/CSU und FDP gescheitert. Da besteht die größte Differenz. Ich glaube, im Entwicklungsausschuss hätten wir größere Chancen, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. Ich denke, einiges kann aber noch geheilt werden. Wir wünschen uns sehr, dass die Bundesregierung die Knauserei endlich ablegt, ermutigt durch die Debatte zu der Wiederaufbaukonferenz nach New York fährt, dort deutlich mehr Geld in die Hand nimmt und sich dabei wirklich eher an dem orientiert, was Deutschland nach der Tsunami-Katastrophe geleistet hat. Eines ist nämlich schon klar: Die Zahl der Opfer ist höher als damals, und auch die Schäden sind größer; sie übersteigen bei weitem das, was die verheerende Tsunami-Katastrophe angerichtet hat. Also muss die Antwort entsprechend sein. Ich hoffe, dass es einen gemeinsamen Appell an die Bundesregierung gibt, dort wirklich mehr zu leisten und ambitionierter aufzutreten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht kann sogar noch im nächsten Haushalt ein Sondertitel eingerichtet werden. Bei der Aufbauhilfe - das Wort "Wiederaufbau" passt eigentlich nicht, weil man zu einem neuen Status kommen muss; man soll nicht den Status wiederherstellen, den es vor dem Erdbeben gegeben hat - sind drei Aspekte wichtig, die hier auch schon benannt worden sind. Zwei möchte ich ganz dick unterstreichen. Erstens: keine Entwicklung an den Menschen in Haiti vorbei! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Aufbaupläne dürfen nicht am Reißbrett von Entwicklungsagenturen entstehen. Wir haben da einen gewissen Zielkonflikt. Humanitäre Hilfe muss sofort greifen, um Menschenleben zu retten. Aber jetzt geht es um den Aufbau, und da muss ein schwieriger Prozess organisiert werden: mit der Regierung in Haiti, so schwer es auch ist. Wir haben gestern gehört, dass die Regierung das Vertrauen eigentlich verspielt hat. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, auch dort Bildungsprogramme, Capacity-Building zu machen, damit man zumindest mittelfristig auch zu tragfähigen staatlichen Strukturen kommt. Die Bevölkerung muss einbezogen werden. Es gibt sehr aktive Nachbarschaftskomitees und eine sehr aktive Zivilgesellschaft. Gebergemeinschaft, Regierung und Zivilgesellschaft müssen zusammenkommen. Dann ist ein zweiter Aspekt ganz wichtig - neben der Entschuldung; darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig -, nämlich dass der ländliche Raum endlich in den Fokus gerückt werden muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Sascha Raabe hat es gesagt: Haiti ist ein Land, das sich früher selbst versorgen konnte, das Lebensmittel sogar exportieren konnte, und zwar nicht nur in der Zeit der Sklaverei. Es ist in den 80er-Jahren durch IWF und Weltbank gezwungen worden - das ist kein Geheimnis -, Strukturanpassungsmaßnahmen durchzuführen und den Außenschutz abzubauen. Daraufhin ist es von hochsubventioniertem Reis und anderen Agrarprodukten aus den USA überschwemmt worden. Die Landwirtschaft ist durch diese verfehlte Handelspolitik und durch diese auch verfehlte Liberalisierungspolitik völlig zerstört worden. Auch dabei muss es jetzt zwei Stufen geben: Soforthilfe in Form von Nahrungsmittelhilfe, dann aber unbedingt Saatguthilfe, damit die Regenzeit für die Aussaat genutzt werden kann. Wir brauchen eine Unterstützung für den ländlichen Raum in Haiti, damit vor allem die Kleinbauern in die Lage versetzt werden, die eigene Bevölkerung auf nachhaltige Weise zu ernähren. Mittelfristig muss dann auch an einen besseren Außenschutz gedacht werden, also an eine Rücknahme von Liberalisierungsschritten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben jetzt über vier Anträge abzustimmen, die viele Gemeinsamkeiten haben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, ich glaube, Sie können jetzt nicht mehr über alle vier Anträge sprechen. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann sage ich das jetzt ganz schnell. - Wir haben den wirklich umfassenden Antrag vorgelegt, (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Aber wir haben den realistischen!) in dem auch der größte Sondertitel gefordert wird. Es wäre natürlich ein tolles Zeichen, wenn jetzt alle dem Grünen-Antrag zustimmen würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden auch dem SPD-Antrag zustimmen. Darin steht nichts Falsches, aber er bleibt ziemlich vage. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beim Antrag der Linken kann ich eines nicht verstehen, nämlich dass die Sicherheitsfrage völlig außer Acht gelassen wird. Dafür, dass Sie Skepsis gegenüber den amerikanischen Truppen haben, habe ich ein bisschen Verständnis. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nein. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber dass selbst das UN-Mandat abgelehnt wird, können wir nicht mittragen. Deshalb leider eine Ablehnung. Der Koalitionsantrag - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! (Heiterkeit) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - enthält nur Allgemeinplätze. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das wird nicht funktionieren, weil mein Verständnis jetzt ganz am Ende ist. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb bestenfalls eine Enthaltung. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Frank Heinrich hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Frank Heinrich (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt noch etwas Neues zu sagen, wäre eine sehr große Herausforderung. Das maße ich mir nicht unbedingt an. Ich möchte noch einmal die Bilder in Erinnerung rufen, die dem einen oder anderen vielleicht mehr präsent sind. Ich selbst habe Freunde, die davon direkt betroffen sind, und auch Freunde in NGOs. Wir alle haben aber noch die Bilder aus den Medien vor Augen. Ich habe aber nicht nur dieses Bild des Leides in Erinnerung. Ich habe auch das Bild in Erinnerung, das Herr Leibrecht ganz am Anfang aufgezeigt hat, das Dank bei mir hervorruft, und zwar das Bild von Deutschland, wie es reagiert hat, wie die Bürger in Deutschland reagiert haben. Vor vier Jahren standen wenige Hundert Meter von hier entfernt unsere Kicker - wir haben den dritten Platz belegt - und haben ein T-Shirt mit der Aufschrift getragen: Danke, Deutschland. - Ich möchte hier anknüpfen und "Danke, Deutschland" sagen, und zwar gerichtet an unsere Bürgerinnen und Bürger sowie an die Helferinnen und Helfer, die sich aufgemacht haben, um in die Tat umzusetzen, was viele nur bei Worten belassen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Klage, wie wenig wir aufgebracht hätten, hört sich manchmal wie eine Leier an. Dabei haben Sie vielleicht mehr die Regierung in den Fokus genommen. Ich danke aber auch der Bundesregierung. Ich danke auch den Vertretern des Auswärtigen Amtes, die koordiniert haben. Ich habe selbst an solchen Sitzungen teilgenommen und weiß, wie gut die Zusammenarbeit zwischen Technischem Hilfswerk, Welternährungsprogramm, der GTZ usw. war. Ich war begeistert, dabei sein zu können, wie das entwickelt wurde. Die gute Zusammenarbeit und die Hilfe sind einen großen Dank wert. Das heißt aber nicht - die Gefahr wurde hier realistisch festgestellt -, dass jetzt aufgehört werden darf. Das machen wir auch nicht. Vieles war gut, und vieles kann man vielleicht noch besser machen. Wir dürfen aber nicht aufhören. Wir dürfen uns jetzt nicht aus der Affäre stehlen. Das machen wir auch nicht. Das haben wir im Übrigen mit allen Anträgen auf unterschiedliche Weise bewiesen. Auch den Bürgern rufe ich zu, jetzt bitte nicht aufzuhören, sondern bei den Organisationen, bei denen sie gespendet haben, nachzuhaken: Seid ihr noch dort? Seid ihr noch dran? Braucht ihr noch weitere Hilfe? - So können wir beweisen, dass wir nicht nur kurzfristig, sondern langfristig Herz haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In der heutigen Debatte geht es darum, Haiti eine langfristige Wiederaufbauperspektive zu geben. Für mich als Novize in diesem Haus ist es schön, zu erleben, dass unsere Grundsätze und auch unsere Anträge in diesem Haus eine große Schnittmenge aufweisen. Das ist nicht in allen Politikbereichen der Fall. Manchmal wäre es wünschenswert, wenn sich das übertragen wurde. Schon vor dem Erdbeben war Haiti eines der ärmsten Länder, das ärmste Land Lateinamerikas. Nach dem Erdbeben, das nach dem Tsunami die größte Katastrophe dieses Jahrhunderts ist, haben wir jetzt die Chance - unabhängig davon, ob die Medien davon berichten -, das Thema nach einigen Wochen noch einmal aufzugreifen. Noch nimmt die Weltöffentlichkeit Haiti wahr. Teilweise nimmt die Weltöffentlichkeit Haiti deshalb noch wahr, weil sich Amerika in diesem Prozess so stark engagiert hat. Die Hilfe ist aber auch mit einem politischen Auftrag verbunden. Dem kommen wir heute ein Stück weit nach. Wir wollen - das steht auch in unserem Antrag - neue Strukturen schaffen, und zwar sowohl im politischen Bereich als auch in den Bereichen der Gerichte, der Polizei und im militärischen Bereich, aber auch in anderen Bereichen der Gesellschaft bis hin zur Infrastruktur. Ich denke, politische Fehler und gegenseitige Vorwürfe sind genügend ausgetauscht worden. Die vier politischen Notwendigkeiten, die wir auch in unserem Antrag beschrieben haben, betreffen unter anderem die Koordinierung des Wiederaufbaus. Deshalb verstehe ich nicht, weshalb Sie unsere Forderung hinsichtlich der UNO ablehnen. Wir wollen abwarten - deshalb gibt es diesen Titel bei uns noch nicht explizit -, was zum Beispiel die Geberkonferenz beschließt und was die Recherchen ergeben, die dann zusammenfließen. Wir wollen auch abwarten, welchen Bedarf die Geberkonferenz im Juni zusammenträgt. Jetzt Schnellschüsse zu machen, ist die Sache meines Erachtens nicht wert. Dafür ist das Problem zu groß. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre jetzt kein Schnellschuss!) Die Entschuldung ist vergessen worden. Deutschland hat im vergangenen Jahr entschuldet. In unserem Antrag haben wir die Forderung aufgenommen, andere aufzufordern - insbesondere die Inter-American Development Bank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung -, diesem Beispiel zu folgen. Das wäre der zweite Bereich. Der dritte Bereich bezieht sich auf den Finanzbedarf, bei dem wir uns noch nicht hundertprozentig festlegen, wie viel das am Schluss sein wird. Da kursieren viele Zahlen. Wir sind uns einig, dass es sich um viel Geld und um eine langfristige Investition über mehrere Jahre handelt. Der vierte Bereich betrifft den Aufbau eines Rechtsstaates. Die Verwaltung soll bei der UNO bleiben. Die Sofortmaßnahmen zu Beginn waren positiv. Die Neuausrichtung der Mission MINUSTAH ist ebenfalls positiv. Es soll innerhalb der EU konzertiert gearbeitet werden. Die NGOs sollen selbstverständlich wie auch die vor Ort arbeitenden Bürgerbewegungen - das geschah schon bei der Soforthilfe - einbezogen werden. Natürlich sollen auch die Wahlen, die Ende des Jahres stattfinden sollen und ganz entscheidend sein werden, begleitet und kontrolliert werden. Maßnahmen gegen Kinderhandel und illegale Adoption habe ich in dem einen oder anderen Antrag vermisst. Ich denke, es steht uns an, darauf ein Auge zu werfen. Lassen Sie uns die Medien und die Bürger auffordern, weiterhin den Fokus auf Haiti zu richten. Stimmen Sie auch für den Antrag der CDU/CSU und der FDP, damit das Signal, das mehrfach angesprochen wurde, ausgesendet werden kann. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Druck-sache 17/1157 mit dem Titel "Haiti eine langfristige Wiederaufbauperspektive geben". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen angenommen. Dagegen haben die SPD und die Fraktion Die Linke gestimmt. Die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel "Zukunft für Haiti - Nachhaltigen Wiederaufbau unterstützen". Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1214, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/885 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke angenommen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 17/1099. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/774 mit dem Titel "Nachhaltige Hilfe für Haiti: Entschuldung jetzt - Süd-Süd-Kooperation stärken". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Ablehnung durch die Fraktion Die Linke angenommen. Zugestimmt haben alle anderen Fraktionen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/791 mit dem Titel "Haiti entschulden und langfristig beim Wiederaufbau unterstützen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke angenommen. Dagegen hat das Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Fraktion der SPD hat sich enthalten. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Hermann Ott, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzmärkte ökologisch, ethisch und sozial neu ausrichten - Drucksache 17/795 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Verabredet ist, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort als erster Redner hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht in dem Antrag, den wir vorlegen, um ein Thema, das mir persönlich sehr wichtig ist, weil ich davon überzeugt bin, dass Menschen nicht nur nach ihrem wirtschaftlichen Vorteil streben, sondern durchaus bereit sind, auch ökologische, soziale und ethische Erwägungen zu berücksichtigen, und wir deswegen unser Finanzwesen nicht nur auf die Rendite ausrichten dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man von diesem Menschenbild ausgeht, dann sieht man, dass in der bisherigen Diskussion darüber, was an den Finanzmärkten neu gemacht und verändert werden muss, eine Dimension völlig fehlt. Das ist die Dimension: Wie schaffen wir es, dass die Menschen Verantwortung für das übernehmen können, was mit ihrem Geld geschieht? Wir sollten nicht nur die Frage beantworten, warum Banken pleitegegangen sind und Anleger viel Geld verloren haben, sondern auch die Frage: Warum fließt so viel Geld in Investitionen, die volkswirtschaftlich wertlos oder sogar schädlich sind? Denken Sie nur an die vielen Gelder, die zur Zerstörung des Regenwaldes beitragen, oder an andere umweltschädliche Investitionen. Deutsche Anleger haben über Fonds - in dem Film Let's make Money ist deutlich geworden, dass die Anleger nicht wissen, wohin ihr Geld fließt - völlig sinnlose Immobilienprojekte in Spanien mitfinanziert, die dort auch noch in Umweltschutzgebieten gesetzeswidrig durchgeführt worden sind. Wir wollen eine Neuausrichtung an den Finanzmärkten. Die Menschen und die Märkte sind weiter als der Gesetzgeber. Deswegen müssen wir nachlegen. Dies fordern wir in unserem Antrag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach einer Studie der DZ Bank vom Herbst 2009 sagen 55 Prozent der Menschen, dass sie bei ihrer Anlageentscheidung ökologische Aspekte berücksichtigen wollen, das sei ein wichtiges Kriterium. 74 Prozent der Menschen sagen, es gebe zu wenige Informationen, vieles sei intransparent. Es ist ja auch wenig erklärlich, warum in Großbritannien bei über 20 Prozent der Anlagegelder solche Kriterien mitberücksichtigt werden und darüber informiert wird, in Deutschland aber nur bei einem Prozent der Anlagegelder. Ich glaube nicht, dass die Deutschen weniger ethisch denken als die Briten, sondern ich glaube, dass es hier einen Mangel in der deutschen Gesetzgebung gibt, den wir korrigieren müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nehmen Sie ein weiteres Beispiel, das Carbon Disclosure Project. An diesem Projekt sind 475 institutionelle Investoren beteiligt. Sie fragen bei den Unternehmen ab, in welcher Höhe sie CO2-Emissionen ausstoßen und wie sie in Bezug auf den Klimawandel dastehen. Das Projekt krankt daran, dass es keine vergleichbaren standardisierten Informationen aus den Unternehmen gibt. Wir müssen jetzt die gesetzliche Grundlage dafür schaffen, dass Investoren, die Klimarisiken berücksichtigen wollen, dies auch tun können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen. Die evangelische Kirche hat ein Projekt gestartet, das ich sehr gut finde. Man hat gesagt: Wir legen unsere Gelder zusammen und werden in Zukunft schauen, dass die Kriterien, die wir auch sonst anlegen, nämlich ethische und soziale Aspekte, auch bei unseren Investitionen berücksichtigt werden. Wir werden unsere Stimmrechte bündeln und als aktive Aktionäre dafür sorgen, dass sich in den Unternehmen etwas ändert. - (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wie haben sie sich dann bei der Mikrofinanzierung verhalten? Abgelehnt!) Die katholische Kirche will sich dem anschließen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz sagt, es sei für Anleger außerordentlich schwierig, erfolgreiche und ethisch zuverlässige Unternehmen von anderen mit zweifelhaftem Ruf zu unterscheiden. Es ist daher die Aufgabe des Gesetzgebers, dafür zu sorgen, dass die Menschen, die ethisch handeln wollen, dies auch tun können und die dafür notwendigen Informationsgrundlagen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein letztes Beispiel, das zeigt, dass es nicht darum geht, etwas völlig Neues zu machen, sondern dass wir als Gesetzgeber im Rückstand sind und aufholen müssen: Die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management, DVFA, sagt, dass es notwendig ist, dass der Gesetzgeber Standardisierungen im Bereich der nichtfinanziellen Indikatoren der Unternehmensleistung vornimmt. Auch das sollten wir aufgreifen. Meine Bitte ist: Greifen Sie dieses Anliegen, diese fehlende Dimension in unserer bisherigen Finanzmarktdiskussion, auf. Lassen Sie uns die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen in dieser Hinsicht Verantwortung übernehmen können, zumindest diejenigen, die das schon heute wollen. Da sind wir als Gesetzgeber in der Pflicht. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Klaus-Peter Flosbach. (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nachfrage nach Geldanlagen, die ethische, soziale und ökologische Dimensionen berücksichtigen, nimmt zu. Das begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herr Schick, ich frage Sie: Warum werben Sie nicht stärker für nachhaltige Anlagen und legen uns stattdessen diesen unausgereiften Antrag vor? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ihr Antrag schießt weit über das Ziel hinaus. Er ist ein Sammelsurium von Vorschriften und Berichtspflichten, das nicht das Bewusstsein für nachhaltige Anlagen schärft, sondern eine Bürokratie ungeahnten Ausmaßes verursacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ein "typischer Schick"!) Lassen Sie mich verschiedene Punkte ansprechen. Erstens. Sie fordern, dass bei allen Altersvorsorgeprodukten und Investmentfonds - ich bitte, zuzuhören - jährlich von allen Aktien, Unternehmensanteilen, Unternehmensfinanzierungen und Unternehmensanleihen die direkten Treibhausemissionen im Verhältnis zum Portfoliowert ausgewiesen werden müssen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Wer macht das? Mit welchem Aufwand? Mit welchen Kosten? Mit welchem Effekt? Wo ist die Bemessungsgrundlage? Wie kann man dieses wichtige Thema der nachhaltigen Geldanlage so ins Abseits führen? (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Die Grünen machen sich lächerlich!) Meine Damen und Herren, die Konsequenz wäre eine Bürokratie ungeahnten Ausmaßes. Bei der letzten großen Debatte zum Investmentänderungsgesetz am 13. Juni 2007 sagte Herr Kollege Dr. Schick im Deutschen Bundestag - ich zitiere -: Wenn also durch den Gesetzentwurf bürokratische Hemmnisse abgebaut werden und die Investmentbranche dadurch entlastet sowie im Wettbewerb gestärkt wird, dann ist dies auch ein Anliegen der Grünen. Warum halten Sie sich nicht daran? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist halt kein Selbstzweck, Herr Flosbach!) Herr Kollege Schick, Die Wirtschaftswoche schrieb am 24. Juli 2009 zu Ihrem achtseitigen Wahlkampfpapier, das nahezu identisch mit dem vorliegenden Antrag ist: (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kein Wahlkampfpapier!) "Die Grünen entdecken die Finanzkrise" und setzen "die ordnungspolitischen Daumenschrauben an". - In der Tat waren Sie 2003 bei der Deregulierung der Finanzmärkte dabei. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ach!) Jetzt suchen Sie den Platz an der Sonne und sind für alles Nachhaltige, aber nicht, weil Sie für Windkraftanlagen sind, sondern weil Sie Ihr Fähnchen nach dem Wind richten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir begrüßen es, dass sich das Angebot an nachhaltigen Anlageformen erweitert. In Deutschland gab es 2008 76 Publikumsfonds, deren Anlagepolitik dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet ist. Allerdings sank das Volumen von 6,6 Milliarden Euro in 2007 mit dem Ausbruch der Finanzkrise und dem Einbruch der Wertpapierbörsen auf 3,9 Milliarden Euro. Viele Anlagen sind also nicht unabhängig von den sonstigen Marktentwicklungen. Zweitens. Es ist sehr problematisch, wenn Sie bei Kapitallebensversicherungen oder Rentenversicherungen Ihren Blick einseitig auf die Verwendung der Versicherungsbeiträge unter ökologischen, sozialen und ethischen Gesichtspunkten richten. Die aufsichtsrechtlichen Ziele lauten: Sicherheit, Rendite, Liquidität und Streuung. Selbstverständlich kann die Nachhaltigkeit ein weiteres Kriterium sein, aber es darf nicht im Widerspruch zu den anderen Zielen stehen. In diesem Zusammenhang sollten wir uns die Riester-Rente noch einmal genauer anschauen. Es gibt bereits Berichtspflichten, aber sie sind in der jetzigen Form wirkungslos, wie Sie selbst in der Begründung Ihres Antrages schreiben. Sie könnten Ihre Auffassung zu diesem Thema noch einmal überdenken; denn wer fördert, kann auch Auflagen machen. Drittens. Sie wollen die Vertriebsvorschriften für alle Finanzdienstleistungsprodukte so ändern, dass nicht nur schriftlich auf die ethische Dimension der Kapitalanlage hingewiesen wird; vielmehr soll in jedem Beratungsgespräch auch die sozial-ökologische Interessenlage des Kunden abgefragt werden. Meine Güte! Offensichtlich halten Sie die Bürgerinnen und Bürger für unmündig. Ihr Antrag entfacht in der Tat eine wahre Regulierungswut und bevormundet den Bürger in seiner freien Entscheidung, wie er sein Geld anlegen will. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Versuchen Sie nicht, mit der Keule nachhaltige Geldanlagen unters Volk zu bringen. Die Nachfrage und das Bewusstsein für solche Geldanlagen steigen, und das sollten wir unterstützen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es doch genau! Wie wollen Sie es denn machen?) Herr Dr. Schick, entscheidend ist doch, dass ausreichend Produkte zum Verkauf und zum Kauf zur Verfügung stehen. Ihr Hinweis auf Großbritannien ist nicht in Ordnung, Herr Dr. Schick. Bei den 20 Prozent handelt es sich ausschließlich um institutionelle Anleger bei Pensionsfonds. Das sind nicht private Anleger. Da sollten Sie noch einmal genau nachsehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es geht in unserem Antrag auch um die institutionellen!) In 2007 haben wir das Investmentgesetz geändert und unter dem Begriff "sonstige Sondervermögen" die Möglichkeit eröffnet, in Deutschland Mikrofinanzfonds aufzulegen; (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) darüber wurde auch in der vorangegangenen Debatte diskutiert. Wir können also auch in Deutschland Mikrofinanzfonds auflegen, Fonds für Kleinkredite zur Bekämpfung weltweiter Armut. Ein Hinweis: Herr Dr. Schick und die Grünen haben das abgelehnt, als wir das vor drei Jahren hier vorgeschlagen haben. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist die ethische Norm! - Zuruf von der FDP: Unfassbar!) Leider wurden die Bedingungen im Gesetz durch unseren damaligen Koalitionspartner, die SPD, so eingeschränkt, dass in Deutschland nicht ein einziger Fonds aufgelegt wurde und das Geld nach wie vor ganz offiziell nach Luxemburg und in die Schweiz fließt, Frau Dr. Hendricks. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Diese Anlagen waren übrigens, sofern sie im Ausland waren, nicht von der Finanzkrise betroffen. Ich fordere Sie auf - die Grünen, aber auch die SPD -: Unterstützen Sie uns, wenn wir im Sommer vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Bereich Entwicklungshilfe und der Erfahrungen der kirchlichen Banken und Investmentgesellschaften - um die geht es vor allem - einen neuen Vorschlag zum Thema Mikrofinanzfonds vorlegen. Die Bereitschaft der Anleger, hier Geld zu investieren, ist da. Versuchen Sie es ganz einfach einmal mit sozialer Marktwirtschaft. Das ist und bleibt unser Erfolgsrezept. Ihr Antrag ist vielleicht gut gemeint, aber sehr schlecht gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Kerstin Tack das Wort. (Beifall bei der SPD) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Finanzmärkte nachhaltig auszurichten, ist unser aller Anliegen; das ist ganz selbstverständlich. Die heutige Debatte bietet aber auch die Chance, noch einmal insgesamt über nachhaltige Maßnahmen infolge der Finanzkrise zu reden. Wenn es um Nachhaltigkeit auf den Finanzmärkten geht, dann geht es nicht nur um die ökologische, ethische und soziale Ausrichtung von Produkten, sondern es geht insbesondere auch um die Frage, welchen Schutz wir Verbraucherinnen und Verbrauchern auf dem Finanzmarkt bieten. Auch das ist ein Aspekt von Nachhaltigkeit und Teil einer nachhaltigen Strategie und muss berücksichtigt werden, wenn wir über Auswirkungen auf den Finanzmarkt reden wollen. (Beifall bei der SPD) Im Juli des letzten Jahres wurde im Deutschen Bundestag ein umfangreicher Katalog mit Maßnahmen vorgelegt. Die CDU/CSU, die damals gemeinsam mit der SPD Antragsteller war, will heute kaum bis gar nicht mehr wissen, welchen Antrag sie damals beschlossen hat. Deshalb will ich darauf hinweisen, dass diese Bundesregierung die Umsetzung einiger bereits beschlossener Maßnahmen noch schuldig ist. Das ist selbstverständlich nachzuholen; denn es geht explizit um die Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn wir über die Frage reden, welche Form an Beratung und welche Angebotspalette ihnen in Zukunft zur Verfügung stehen werden. Welche Vorlagen erwarten wir also? Welche Lehren sollen bezüglich des Schutzes von Verbraucherinnen und Verbrauchern aus der Krise gezogen werden? Alles wurde beschlossen von der Großen Koalition - die FDP hat sich damals enthalten -: Erstens. Die Bundesregierung wollte und will sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass Regelungen im Finanzmarktbereich getroffen werden, die eine deutlich stärkere Regulierung zur Folge haben. Wo stehen wir heute? Nichts ist passiert. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Doch! Haben Sie das mit den Ratingagenturen zur Kenntnis genommen?) Zweitens. Nationale Maßnahmen sind zu ergreifen, um alle Finanzprodukte einer Regelung und einer Kontrolle zu unterziehen, was selbstverständlich auch für die Finanzberaterinnen und -berater gilt. Was ist geschehen? Nichts. (Beifall bei der SPD) Das Eckpunktepapier von Herrn Schäuble ist in diesem Punkt völlig unzureichend. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Na, haben Sie es gelesen, Frau Kollegin?) Drittens: Mindeststandards für alle Finanzvermittler und Finanzvermittlerinnen sowie Finanzberater und Finanzberaterinnen. Es geht dabei um Berufsqualifikation, um Weiterbildung, um Registrierung und um die Frage einer Berufshaftpflicht. Was ist bis heute passiert? Nichts. Viertens. Es geht um die Unabhängigkeit von Beratung für Verbraucherinnen und Verbraucher, und zwar auch zu alternativen Produkten und deren Wirkungsgrad. Damals ist beschlossen worden, dass man den Verbraucherzentrale Bundesverband personell und finanziell ausbaut und verstärkt und dass man die Verbraucherzentralen der Länder beim Ausbau unterstützt. Eine Finanzierung über vier Jahre wollte man ihnen zubilligen. Was ist passiert? Nichts. Kein einziger Cent ist geflossen. Verbraucherschutzministerin Aigner hatte vor Weihnachten großspurig angekündigt, man wolle im Verbraucherschutz Kartellstrafen einführen. Sie ist erbärmlich gescheitert. Nichts ist passiert. Die Verbraucherzentralen gucken weiter in die Röhre. Das wäre eine Maßnahme gewesen, um auch Finanzprodukte nachhaltig in die Beratung aufzunehmen. (Beifall bei der SPD) Fünftens. Eine Aufklärungskampagne für die Verbraucherinnen und Verbraucher sollte es geben. Was ist geschehen? Nichts. (Zuruf von der FDP: Ja, ehrenamtlich muss man das machen!) - Ehrenamtlich muss man das machen? Also wirklich! (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Sechstens. Zusammen mit den Ländern, mit Verbänden und Organisationen sollte ein Forum initiiert werden, um gemeinsam Konzepte und Maßnahmen zur Verbesserung der ökonomischen Bildung und der Finanzkompetenz zu erarbeiten. Diverse Regierungskommissionen sind eingerichtet worden, damit die Koalition darüber reden kann, was sie überhaupt will. Aber dieses Forum konnte bisher nicht eingerichtet werden. Das Thema war anscheinend nicht wichtig genug. Nichts ist passiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Frank Schäffler [FDP]: Das ist aber ein bisschen hart!) Zusammenfassend lässt sich die Tätigkeit der Bundesregierung bei der Nachhaltigkeit und der Regulierung der Finanzmärkte folgendermaßen beschreiben: nichts, nichts und noch mal nichts. (Zuruf von der SPD: Gar nichts!) Stattdessen soll es eine Bankenabgabe geben, wodurch letztendlich die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Pflicht genommen werden. Das kann es nicht sein. Deswegen sagen wir: Ziehen Sie die richtigen Konsequenzen. Sorgen Sie dafür, dass eine Aufsicht für alle Finanzprodukte gewährleistet wird. Sorgen Sie dafür, dass Vermittlerinnen und Vermittler erstens eine vernünftige Berufsqualifikation haben (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!) und zweitens eine Berufshaftpflicht. (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]) Sorgen Sie dafür, dass Kostentransparenz für alle Bereiche besteht (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Machen wir!) und den Verbrauchern deutlich signalisiert werden kann. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Machen wir auch!) Sorgen Sie dafür, dass die Verbraucherverbände eine Beschwerdemöglichkeit erhalten und Musterklagen durchführen können. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und was machen Sie?) Sorgen Sie dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Zugang zu einer unabhängigen Beratung haben, zu Menschen, die beraten und nicht verkaufen wollen. Sorgen Sie dafür, dass die beschlossenen Produktinformationsblätter einheitlich und insbesondere verständlich sind. (Beifall bei der SPD - Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]: Auf das Produkt bezogen!) Sorgen Sie dafür, dass auch in Europa einheitliche Finanzregeln gelten. Sorgen Sie dafür, dass Leerverkäufe verboten werden. Für diese nachhaltigen Maßnahmen haben Sie alle Zeit der Welt gehabt. Legen Sie endlich los! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Tack, das war Ihre erste Rede hier im Haus. Dazu gratulieren wir Ihnen und wünschen alles Gute. (Beifall) Für die FDP hat der Kollege Frank Schäffler das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schäffler (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schick, Sie haben hier einen Schönwetterantrag vorgelegt. Er passt zum heutigen Wetter, aber er löst nicht die Probleme, die wir auf den Finanzmärkten und bei der Vermittlung von Finanzprodukten in Deutschland haben. Vielmehr bedient er grüne Klientel. Das mag auch der aktuellen Situation geschuldet sein; aber ich glaube, wirkliche Probleme löst Ihr Antrag nicht. Was ist in Deutschland wie in allen modernen Volkswirtschaften das Problem bei der Altersvorsorge und der Geldanlage? (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Dass es kein solidarisches System ist!) Das Problem ist, dass es immer mehr ältere Menschen gibt - glücklicherweise werden wir immer älter - und dass es immer weniger junge Menschen gibt. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch jetzt nicht das Thema!) Das heißt, der Altersquotient, also das Verhältnis der über 65-Jährigen zu Personen im erwerbsfähigen Alter, wird in den nächsten 25 Jahren von 35 Prozent auf 65 Prozent ansteigen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein anderes Thema! Falsche Rede!) Deshalb müssen wir uns Gedanken über die Frage machen: Wie kann man die junge Generation in die Lage versetzen, sich eine eigene Altersvorsorge aufzubauen? Es wäre gut, wenn Sie sich einmal angeschaut hätten, was Sie selbst in der Vergangenheit, nämlich in der rot-grünen Koalition, auf diesem Gebiet getan haben. Damals war - das muss man sagen - nicht alles schlecht. Das, was Sie mit der Riester-Rente geschaffen haben, war sicherlich ein Paradigmenwechsel in Deutschland. Es wäre gut, wenn Sie auf diese Grundlage zurückkehren würden. Diesen Bereich müssen wir weiter ausbauen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wollen wir tun. Beispielsweise wollen wir Riester-Verträge auch für Selbstständige öffnen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das ist ein anderes Thema!) Denn auch die Altersarmut von Selbstständigen ist ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Außerdem wollen wir zum Bürokratieabbau beitragen; auch dies ist ein zentrales Thema. Die Durchführungswege im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge sind sehr undurchsichtig. Sie müssen entschlackt und vereinfacht werden, damit sie für Arbeitnehmer und Arbeitgeber verständlicher werden. Auch die Regelungen der sogenannten Rürup-Rente müssen flexibilisiert werden. Unter anderem muss das wichtige Thema Berufsunfähigkeit im Rahmen von Rürup- und Riester-Rente stärker berücksichtigt werden. Ich glaube, dass der Antrag, den Sie vorgelegt haben, zwar gut gemeint ist, dass er unter dem Strich aber nicht hilft. Die Praxis, die Sie beschreiben, macht deutlich, welch "nachhaltige" Wirkung Ihre Konzepte haben. Sie weisen in Ihrem Antrag darauf hin, dass bei Riester-Renten eine Prüfung sozialer, ethischer und ökologischer Gesichtspunkte erfolgt. Gleichzeitig stellen Sie fest, dass nur 1 Prozent der Riester-Verträge tatsächlich nach sozialen, ethischen oder ökologischen Gesichtspunkten abgeschlossen wird. Man muss sich fragen: Wenn das am Markt nicht nachgefragt wird, wieso sollte man es erzwingen? Wer soll am Ende die Kriterien festlegen: ein paritätisch besetzter Beirat aus Arbeitnehmervertretern, also Gewerkschaften, und Arbeitgebervertretern? Ein Beamter im Ministerium oder bei der BaFin? Wer soll das letztlich machen? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Herr Schick macht das!) Entscheidend ist, dass wir auf die Altersvorsorge setzen und Anreize schaffen, damit die Menschen für ihre Altersvorsorge sparen. Dafür brauchen wir eine nachhaltige wirtschaftliche Dynamik. Sie ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, für ihre Altersvorsorge zu sparen. Die Steuerreform ist für die christlich-liberale Koalition die Mutter ihrer Reformen. Wir haben uns die Ziele Steuersenkung und Steuervereinfachung auf die Fahnen geschrieben. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nichts mit dem Thema zu tun! Das ist alles nicht zum Thema!) Es ist zu einfach, wenn Sie auf der letzten Seite Ihres Antrags schreiben - das passt allerdings zu diesem Antrag -: Grüne Rhetorik allein wird den Klimawandel nicht aufhalten können. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU - Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Wir brauchen Regulierung und Taten!) Sie sollten sich, statt solche Anträge in den Bundestag einzubringen, um die wirklichen Probleme in diesem Land kümmern. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können unserem Antrag ja zustimmen!) Die Menschen müssen wieder mehr Geld in der Tasche haben, um für ihre Altersvorsorge sparen zu können. Der Staat darf ihnen nicht immer mehr Geld aus der Tasche ziehen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Barbara Höll hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was sagt Ihr Antrag aus? Sie wollen durch mehr Berichte und klare Kriterien Klarheit in die Finanzmärkte bringen. Sie wollen nicht mehr und nicht weniger, als sie neu auszurichten. Herr Schick, Ihr Anliegen in allen Ehren. Aber glauben Sie allen Ernstes, dass durch veränderte Kriterien in alten Strukturen ein erneutes Marktversagen verhindert werden kann? Ich sage Ihnen ganz klar: Sie setzen an der falschen Stelle an. Sie behalten Ihre Marktgläubigkeit bei und handeln nach dem Motto: Der Markt wird es schon richten. Der Markt macht, was er will. Das Profitstreben steht über allem anderen. Dass Sie in Ihrem Antrag Schweden, Frankreich und Großbritannien als Beispiel für Länder nennen, in denen entsprechende Maßnahmen bereits funktionieren, spricht eine beredte Sprache. Denn diese Länder sind genauso von der Finanzkrise betroffen wie wir. Wir müssen endlich die Spielregeln auf den Finanzmärkten ändern. Die Finanzmärkte tatsächlich neu auszurichten, bedeutet nach Meinung der Linken unter anderem (Zuruf von der FDP: Abschaffen!) eine Stärkung ihrer Funktion, (Beifall bei der LINKEN) die Absicherung der unternehmerischen Tätigkeit, die Absicherung von Krediten und ihren Risiken, Anlagefunktionen für Sparerinnen und Sparer sowie die Absicherung des Zahlungsverkehrs. Das sind die entscheidenden und eigentlichen Funktionen der Finanzmärkte. Die Märkte sind nur Mittel zum Zweck. (Beifall bei der LINKEN - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und das in einem Fünfjahresplan!) Wenn die Mittel nicht dem öffentlichen Interesse, sondern den Interessen Einzelner dienen, und zwar auf Kosten der Mehrheit, muss die Politik eingreifen und regulieren. Das könnten Sie endlich einmal tun. (Beifall bei der LINKEN - Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und dann eine Mauer drumherum bauen!) Wir fordern deshalb ein Verbot von Spekulationen. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern zum Beispiel ein Verbot der Leerverkäufe. Wir fordern die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Diese Maßnahmen würden nämlich dafür sorgen, die Märkte zu entschleunigen und tatsächlich regulierend einzugreifen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren von den Grünen, ich vermisse bei Ihrem Anliegen leider einen wichtigen Punkt: Es muss doch darum gehen, die Finanzmärkte in ihrem Volumen zu verringern. Denn die Masse frei schwebenden Kapitals auf den Finanzmärkten führt automatisch zu Spekulationsblasen. Es gab bereits eine Dotcom-Blase. Damals suchten zahlreiche Anleger nach Renditemöglichkeiten. Wir erinnern uns noch daran, dass Anfang dieses Jahrtausends die Technologieblase geplatzt ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Höll, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick zu? Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Höll, damit wir nicht in die Gefahr kommen, aneinander vorbeizureden, wäre es vielleicht gut - daher meine Nachfrage -, wenn Sie Folgendes zur Kenntnis nähmen: Wir Grünen sind für eine Finanzumsatzsteuer, die natürlich auch eine Volumenreduktion beinhaltet. (Frank Schäffler [FDP]: Wir nicht!) Wir haben in den letzten Debatten zahlreiche Beiträge geliefert. Wir haben auch Anträge vorgelegt, in denen wir uns für eine Regulierung aussprechen, damit die Finanzmärkte stabiler werden. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Alles kumulativ!) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es hier um eine andere Dimension geht, die wir in dieser Debatte zusätzlich brauchen? Der vorliegende Antrag sagt also nicht aus, dass wir die gesamte Regulierungsdiskussion ersetzen wollen. Wir wollen vielmehr eine zusätzliche Dimension schaffen. Wenn man in seinem Menschenbild den Menschen als ethisches und soziales Wesen wahrnimmt, muss man an den Finanzmärkten die entsprechenden Voraussetzungen für Wahlmöglichkeiten schaffen. Denn viele Menschen interessieren sich nicht nur für die Rendite; das geht aus Umfragen hervor. Sie wollen auch anderes berücksichtigen. Sie bekommen aber die dafür notwendigen Informationen nicht. Darum geht es in dem Antrag. Er soll nicht anstelle einer Finanzumsatzsteuer oder anderer regulatorischer Maßnahmen treten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das klarstellen könnten. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Schick, ich danke Ihnen für die Frage. Ich hoffe, dass wir im Bundestag gemeinsam - sogar gemeinsam mit der SPD - Vorschläge für die Regulierung der Finanzmärkte erarbeiten werden. (Frank Schäffler [FDP]: Gott bewahre!) Ich finde es schade, dass sich die Koalitionsfraktionen weigern, zeitnah darüber zu diskutieren, wie wir künftig mit der Frage der Besteuerung des Kapitalverkehrs umgehen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wir wollen die Kleinsparer nicht belasten!) Das ist diese Woche nämlich passiert: Sie von der CDU/ CSU haben eine zeitnahe Anhörung zur Transaktionsteuer abgelehnt. Da sind wir uns einig. So, wie Ihr Antrag formuliert ist, erwecken Sie aber den Anschein - das steht auf Seite 1 Ihres Antrages -, die Finanzmärkte könnten der zentrale Hebel für eine Neuausrichtung werden. Das ist Marktgläubigkeit, die Bände spricht. Die Kriterien, die Sie formuliert haben, sind gut, und wir werden uns sicherlich an etlichen Stellen einigen können. Das Grundproblem - dass die Finanzmärkte diesen enormen Umfang haben - haben Sie jedoch nicht erkannt. Das liegt natürlich auch ein bisschen an den politischen Entscheidungen, die Sie in der rot-grünen Regierung getroffen haben. Die Grünen haben gemeinsam mit der SPD eine absolute Ausweitung der privaten Altersvorsorge verabschiedet. Das steht in einem scharfen Gegensatz dazu, dass das Umlageverfahren gestärkt werden müsste. Wenn das Geld, das heute eingezahlt wird, gleich morgen ausgegeben wird - die Rücklage ist ja sehr gering -, dann muss gar nicht erst nach Anlagemöglichkeiten gesucht werden. Die ganzen Alterssicherungsfonds weltweit sind ein wesentlicher Motor des Aufblähens der Finanzmärkte gewesen, weil natürlich all diese Fonds mit möglichst hohen Renditen geworben haben. Deshalb ist es eine entscheidende Frage, wie man es erreicht, dass das Kapitalvolumen insgesamt wieder geringer wird. Das bedeutet für die Linke - wir haben die Ausweitung der privaten Altersvorsorge von Anfang an abgelehnt -: Wir müssen das solidarische Rentensystem stärken, indem wir zurückkommen zu einer tatsächlich paritätischen Finanzierung, zu einem System, in das alle einzahlen und bei dem die Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben wird. (Frank Schäffler [FDP]: Haben wir schon: 80 Milliarden Euro Steuerzuschuss!) Dann hätten die wirklich Vermögenden in diesem Lande wesentlich weniger Geld, für das sie nach ökologisch, ethisch und sozial sauberen Anlagemöglichkeiten suchen könnten. Wenn Sie für niedrige Steuersätze kämpfen - der Spitzensteuersatz soll, wenn es nach Ihnen geht, ganz weit unten liegen -, führt das dazu, dass Spitzenverdiener nach Anlagemöglichkeiten suchen. Jemand, der über ein sehr hohes Einkommen verfügt, kann dann für ein ruhiges Gewissen leicht auf 1 oder 2 Prozent Rendite verzichten. Wir fordern - Sie wissen das - einen wesentlich höheren Spitzensteuersatz. 53 Prozent halten wir für angemessen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Früher waren es 90 Prozent!) Wir halten es auch für angemessen, dass bei der Rentenversicherung die Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben wird. (Beifall bei der LINKEN) Dann hätten die Millionäre wesentlich weniger Geld, für das sie nach sauberen Anlagemöglichkeiten suchen könnten. Wenn ich den Antrag der Grünen im Gesamtzusammenhang betrachte, muss ich angesichts des Anspruchs, der ausgedrückt wird, leider sagen: Das ist ein Tarnmäntelchen. Der Antrag ist nett und unschädlich; aber er wird das Grundproblem nicht ändern. Bei den einzelnen Punkten werden wir mit Ihnen gemeinsam schauen, auf welche Kriterien wir uns einigen können. Das Grundproblem wird nicht geändert; da müssen wir noch streiten. Ich hoffe, dass sich das im Plenum auf andere Fraktionen ausweitet. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Ralph Brinkhaus hat jetzt das Wort für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Abwechslung zum Thema, nämlich zu dem Antrag, reden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich halte diesen Antrag für wichtig, Herr Dr. Schick. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, der Erhalt unserer Umwelt ist ohne Zweifel die große Herausforderung unserer politischen Generation. Umso bedauerlicher ist es, dass diese Frage anscheinend in den Hintergrund gerückt ist. Wir reden sehr viel über die Bewältigung der Finanzkrise und über Arbeitsplätze, aber zu wenig über die Umwelt und über ethische Fragen. Insofern ist es richtig, wenn wir gerade jetzt prüfen, wie wir an die großen ökologischen Herausforderungen herangehen. Genau in diesem Kontext sehe ich Ihren Antrag und nehme ihn durchaus ernst. Trotzdem hatte ich beim Lesen dieses Antrags ein Störgefühl. Ich musste lange überlegen, warum ich dieses Störgefühl hatte. Eine erste schnelle Antwort war: Die Grundidee ist gut; aber muss es dieses riesige bürokratische Paket von zwölf Maßnahmen, Regulierungen und Bestimmungen sein? Das hat mich an unser Steuersystem erinnert: Genau durch eine solche Regelungswut haben wir unser Steuersystem nachhaltig verwüstet und dadurch bei den Bürgerinnen und Bürgern diskreditiert. Das hat mein Unbehagen aber noch nicht ganz erklärt. Ich habe mich dann gefragt: Wer soll eigentlich festlegen, was ökologisch, ethisch oder sozial richtig und was falsch ist? Ich denke, bei der Produktion von Landminen sind wir uns schnell einig. Bei der Kernkraft - Sie sehen das an den Diskussionen in der einen oder anderen Partei - wird das schon schwieriger. Bei Mindestlöhnen wird es recht kontrovers. Ich will damit sagen, dass die Bewertungen, die Sie fordern, immer subjektiv sind, von den Kriterien des jeweiligen Bewertenden abhängen. Ich halte es für sehr gefährlich, ein Unternehmen, das sich im Rahmen der geltenden Gesetze bewegt, nach den subjektiven moralischen Vorstellungen derjenigen, die aktuell über die politische Deutungshoheit verfügen, in gut und schlecht einzuteilen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber das war es ehrlich gesagt auch noch nicht, was mich an Ihrem Antrag letztlich besonders irritiert hat. Ich glaube, das war vielmehr der Geist, den ich hinter Ihren Formulierungen vermute, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Geist?) ein Geist, der geprägt ist von mangelndem Zutrauen in die Urteilsfähigkeit der Menschen in diesem Land, ein Geist - und dies ist jetzt bei allem Respekt vor Ihrem Antrag meine subjektive Deutung - der Bevormundung. Ich möchte das auch erläutern. Wir haben in Deutschland eine Bevölkerung, die für ökologische und ethische Fragen hochsensibel ist - niemand trennt so viel Müll wie wir Deutschen, und es gab, das haben wir gerade in der Diskussion vorher gehört, eine unglaubliche Spendenbereitschaft für Haiti -, eine Bevölkerung, der ich also sehr wohl zutraue, die Entscheidung zu treffen, mehr in nachhaltige Finanzprodukte zu investieren. Die Wachstumszahlen bei derartigen Produkten zeigen dies auch. Wir sollten diese Menschen für die ethische und vor allem ökologische Weiterentwicklung unserer Gesellschaft gewinnen und vielleicht sogar begeistern. Begeistern, Herr Schick, funktioniert aber weder durch ein Paket aus zwölf neuen Vorschriften noch durch jährliche schriftliche Berichte und auch nicht durch Stimmrechtsübertragungen bei Hauptversammlungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das ist es, was mich an der Vorlage wirklich stört: Es ist neben der Kleinteiligkeit der ein bisschen über allem schwebende erhobene Zeigefinger. Wir sollten uns wirklich überlegen, ob das der richtige Weg ist, um für die Menschen in Deutschland, die an den von Ihnen aufgeworfenen Fragen, glaube ich, wirklich interessiert sind, eine innovative, motivierende Politik zu machen, eine Politik, die dazu führt, dass die Verbraucher aus eigener Entscheidung und aus eigener Überzeugung mehr ökologische und ethische Produkte nachfragen. Wir haben hier im Übrigen nicht nur im Finanzbereich einen erheblichen Nachholbedarf. In unserer sozialen Marktwirtschaft hat es eigentlich immer ganz gut geklappt, durch Nachfrage, also durch den Verbraucherwillen, auch das entsprechende Angebot zu generieren. Warum soll das also nicht auch bei nachhaltigen Finanzprodukten funktionieren? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Begeisterung und den Willen, etwas zu ändern, können wir aber nur befördern, wenn wir als Politiker die Dinge beim Namen nennen und die Menschen für unsere Ideen gewinnen. Genau das ist unsere Aufgabe. Insofern ist Ihr Antrag nicht ganz falsch; denn ausbeuterische Kinderarbeit ist genauso ein Skandal wie die Produktion von Streumunition. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]) Den Raubbau an unseren Ressourcen und den Klimawandel dürfen wir nicht mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. Herr Schick, es ist richtig: Viele dieser Dinge würden nicht passieren, wenn sich nicht jemand finden würde, der das finanziert. Insofern bin ich Ihnen grundsätzlich sehr dankbar, dass Sie das Thema der ökologischen und ethischen Ausrichtung der Finanzmärkte auf die Agenda gesetzt haben. Wir haben vielleicht unterschiedliche Ansätze, aber wir sollten gerade in dieser Zeit gemeinsam weiter an diesem Projekt arbeiten. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD hat der Kollege Dr. Carsten Sieling das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem letzten Beitrag ist in der Tat ein bisschen stärker auf den Geist und die Grundidee, die hinter diesem Antrag stehen, eingegangen worden. Dass wir im Rahmen unserer vielen Diskussionen über die notwendige Regulierung der Finanzmärkte, über viele Bestimmungen und über quantitative Steuerungen reden müssen, ist die eine Sache. Ich glaube, das ist auch das Vorrangige. Ich finde es aber ganz angenehm - das muss ich wirklich sagen -, hier auch einmal eine Debatte zu führen, die sich auch darum rankt, wie die qualitativen Orientierungen und Prozesse eigentlich gesteuert werden können und wohin wir mit unserer Gesellschaft gehen wollen. Das ist doch ein klarer Punkt. Ich teile natürlich die Auffassung, dass wir einen überschäumenden Reichtum auch durch Besteuerung und andere Dinge sicherlich in stärkerer Weise als bisher gemeinwohlorientierten Finanzierungen zuführen müssen. Wir müssen aber auch immer im Kopf haben - das habe ich in dem Redebeitrag von Frau Höll von den Linken nicht verstanden -, dass wir Gott sei Dank ein wohlhabendes Land sind und dass wir natürlich dafür sorgen müssen, dass in dieser sozialen Marktwirtschaft, die natürlich ökologische und ethische Komponenten braucht und auch hat, auch das Nachfrageverhalten entsprechend gesteuert wird, sodass nachhaltige, vertretbare und gut gestaltbare Produkte und Anlageformen nachgefragt werden. Das ist das, was der Antrag thematisiert und was sozusagen als Idee dahintersteht. Ich wäre froh, wenn wir alle sagen würden: In diese Richtung müssen wir weiterdenken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nachhaltigkeit ist eine Aufgabe, der wir uns in Deutschland stellen müssen. An dieser Stelle möchte ich sagen: Die Finanzkrise ist entstanden, weil kurzfristiges Denken und profitorientiertes Handeln im Vordergrund standen. Ich kann niemanden verstehen, der sagt - Kollege Flosbach und Kollege Schäffler haben das gemacht -: Es gibt zu viele Regularien, hier werden zu viele Leitplanken gezogen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Es müssen die richtigen Regularien sein!) Wir brauchen eine langfristige Orientierung, eine langfristige Ausrichtung, eine langfristige Politik. Das hat viel mit Nachhaltigkeit zu tun. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das hat nur mit Nachhaltigkeit zu tun!) Diese Kriterien gehen dann auch in den sozialen, ökologischen und ethischen Bereich hinein. Dabei gibt es Verbindungen, die auch unterstützt werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich weiß ja, warum sich die Regierungskoalition immer so aufregt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir regen uns doch nicht auf!) Denn wenn man den Nachhaltigkeitstest einmal bei den Maßnahmen, die Sie in den Raum stellen, durchführt, dann wird man feststellen, wie wenig davon vorhanden ist. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Elf Jahre SPD als Fazit!) Wir haben in diesem Hause viel darüber diskutiert - auch die Regierung hat lange darüber geredet -, dass die Verbraucherseite durch Produktinformationen, Vertriebsvorschriften und viele andere wichtige Dinge, die in dem Antrag auch genannt werden, gestärkt werden muss. Aber außer Papier kommt nichts dabei heraus; es folgt kein Handeln. Dazu kann ich nur sagen: beim Nachhaltigkeitstest durchgefallen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]: Das ist doch Quatsch!) Ebenso sind doch die Maßnahmen zur Regulierung - wir haben es jüngst diskutiert - von Ratingagenturen, Hedgefonds und anderen Dingen nicht auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit ausgerichtet. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Dann überzeugen Sie doch Gordon Brown, dass er zustimmt, Herr Kollege!) Genau das, Herr Dautzenberg, brauchen wir aber. Zum Schluss möchte ich gerne sagen: Ihr Paradepferd ist ja ganz plötzlich die Bankenabgabe. Auch dabei muss man vielleicht einmal den Nachhaltigkeitstest machen. Man muss sich einmal fragen, ob die Bankenabgabe eigentlich geeignet ist, die gewaltige Belastung der öffentlichen Haushalte und der Steuerzahler zu mindern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Carsten Sieling (SPD): Ich komme zum Ende. - 100 Milliarden Euro für die HRE, 18 Milliarden Euro allein für die Commerzbank - und Sie kommen mit einer Abgabe, die 1 Milliarde Euro erbringen soll. (Zuruf von der CDU/CSU: Das eine war eine Bürgschaft, das andere eine Garantie!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie müssen dringend zum Ende kommen. Dr. Carsten Sieling (SPD): Das ist Symbolik, das ist wirkungslos. Wir brauchen erheblich weiter reichende Maßnahmen. Ich finde, der Antrag spricht diese Punkte an. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Carsten Sieling (SPD): Ich teile nicht alle Aspekte des Antrags, halte das aber für eine unterstützenswerte und richtige Diskussion. Ich bedanke mich bei der Präsidentin für ihre Geduld und bei Ihnen, meine Damen und Herren, fürs Zuhören. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 17/795 an die Ausschüsse zu überweisen, die in der Tagesordnung vorgeschlagen sind. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Freie und faire Wahlen im Sudan sicherstellen, den Friedensprozess über das Referendum 2011 hinaus begleiten sowie die humanitäre und menschenrechtliche Situation verbessern - Drucksache 17/1158 - Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Johannes Selle für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Selle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diesen interfraktionellen Antrag zum Sudan gibt es, weil dieses Land vor einer historischen Chance steht. Nach über zwei Millionen Toten und vier Millionen Vertriebenen im Süden des Sudan - der Sudan hat insgesamt 38 Millionen Einwohner - und einem mühevollen Prozess von 2002 bis 2005 in Naivasha überwanden die Bürgerkriegsparteien Feindseligkeit und Misstrauen und schlossen einen Friedensvertrag: das Comprehensive Peace Agreement. Dieser Vertrag hat es in sich; denn es geht um verabredete Machtteilung, um Ressourcenteilung, um Grenzziehung in ölreichen Gebieten, um Entmilitarisierung und gesetzliche Grundlagen zur Vorbereitung der Wahlen. Dabei waren circa 40 Kommissionen und Überwachungsgremien zu bilden. Nach der kurzen Übergangszeit von fünf Jahren finden im April dieses Jahres Wahlen auf allen parlamentarischen Ebenen statt. Das sind acht Wahlvorgänge in einem Jahr. In unserem Superwahljahr 2009 hatten wir vier Wahlen zu drei Terminen. Die Menschen stehen vor einer großen Herausforderung, und die Analphabetenquote ist hoch. Es wird zu Recht hinterfragt, ob die Vorbereitungen umfassend und ausreichend sind. Aber ich kann Ihnen aus eigener Anschauung versichern, dass die erste Wahl nach 20 Jahren Aufbruchstimmung erzeugt. Die Parteien wollen jetzt die Erfahrung einer freien Wahl machen, auch wenn die regierenden Parteien ungleich mehr finanzielle und publizistische Vorteile haben. Unser Antrag richtet sich an die Bundesregierung mit dem Ansinnen, in dieser entscheidenden Phase zusammen mit der internationalen Gemeinschaft alles zu tun, dass diese Wahlen frei von Gewalt, unter Wahrung der Versammlungs- und Pressefreiheit und mit entsprechender logistischer Unterstützung stattfinden können und das Ergebnis von den Parteien akzeptiert wird. Denn schon in einem Jahr soll in einem Referendum darüber entschieden werden, ob sich Südsudan abtrennt und aus dem Sudan zwei Staaten entstehen. Das wichtigste Überwachungsgremium ist die Assessment and Evaluation Commission. Die Kommission ist aus Vertretern der beiden Konfliktparteien, der Unterzeichnerstaaten und weiteren internationalen Vertretern zusammengesetzt. Sie soll die Implementierung überwachen und nach der Hälfte der Interimsperiode den Prozess evaluieren. Die Kommission hat sich entschieden, entsprechend der Bedeutung der Situation im Januar dieses Jahres eine ausführliche Bewertung des CPA-Prozesses durchzuführen. Der Bericht zeigt auf, was alles erreicht wurde - der Frieden hat gehalten -, aber auch, welche Mängel bestehen. Sorgen machen die nicht abgeschlossene Grenzziehung, die fehlende Friedensdividende für den kleinen Mann, die Vervollständigung der Entmilitarisierung, die Vorbereitung des Referendums und der Maßnahmeplan für die Zeit nach dem Referendum. Trotz allem macht der Bericht der Kommission Hoffnung, und er macht deutlich, dass die Zeit knapp und die internationale Gemeinschaft gefordert ist. Auch deshalb haben wir diesen Antrag vorgelegt. Ein Scheitern würde die Konflikte wieder aufflammen lassen und wahrscheinlich ganz Afrika destabilisieren. Es ist großartig, dass dieser Vertrag geschlossen werden konnte, und es ist großartig, dass er bis heute gehalten hat. Mit dem CPA wird aber nur ein Konflikt angesprochen. Ungelöst sind die Krisenherde in Darfur und im Ostsudan. Mit unserem Antrag wollen wir einfordern, dass eine gesamtsudanesische Strategie notwendig ist. Das CPA könnte dabei das Modell werden, wie es auch Mohamed Adam, der Generalsekretär der Übergangsbehörde in Darfur, vorschlägt. Ziel dieses Antrags ist außerdem, die Beachtung der Menschenrechte im Sudan zu fördern. Insbesondere Organisationen, deren Ziel es ist, eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Minderheiten und die Einhaltung von Menschenrechten in Darfur, aber auch im Südsudan zu bewirken, erhalten unsere volle Unterstützung. Es gilt, gemeinsam mit unseren EU-Partnern ein kohärentes Konzept für den Umgang mit dem Sudan zu entwickeln, das die unterschiedlichen Rollen und Interessen der Nachbarländer Sudans beachtet und die Demokratiedefizite sowie die schwachen staatlichen Strukturen im Sudan selbst berücksichtigt. Der Sudan ist eigentlich reich. Das größte Land Afrikas ist neunmal so groß wie die Bundesrepublik. Es gibt Wasser, Sonne, Bodenschätze und Öl. Die Chinesen haben das erkannt. Sie sind präsent und nutzen die Ressourcen des Landes. Am 1. März übergaben sie 1 Million von insgesamt 10 Millionen Dollar für demokratische Wahlen. Der chinesische Beauftragte für den Sudan erklärte, dass China mit zehn Wahlbeobachtern und weiterer technischer Hilfe die Wahlen unterstützen wird. Deutschland und Europa sollten sich in Sachen Demokratie nicht von China übertreffen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Deutschland sollte auch die Chancen einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit in den Blick nehmen. Deutschland wird zugetraut, den Aufbau fair, partnerschaftlich und ökologisch zu unterstützen. Hilfsorganisationen tragen seit Jahren dafür Sorge, dass diese für den Sudan historische Situation erfolgreich bewältigt wird. Ich erinnere an den Appell vom Juni letzten Jahres. Im Januar 2010 hatten Amnesty International, World Vision, das Bonn International Center for Conversion, die Gesellschaft für bedrohte Völker, Media in Cooperation and Transition und Oxfam zu einer Podiumsdiskussion zum fünften Jahrestag des CPA eingeladen. Dafür möchte ich danken. Denn der vorliegende gemeinsame Antrag ist auch ein Ergebnis dieser Veranstaltung. Die Fraktionen haben lange daran gefeilt und Gedanken ausgetauscht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ein gemeinsamer Antrag ist der sudanesischen Situation angemessen. Wir haben das gemeinsame Ziel eines dauerhaften Friedens im Blick, und das erwarten wir auch von den Konfliktparteien. Man kann den Fortschritten misstrauen; man kann die zweifellos vorhandenen Gefahren immer wieder vorschieben. Ich plädiere dafür, die Parteien beim Wort zu nehmen und zu den noch fehlenden Vertragselementen zu ermutigen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wir sollten das tatkräftig unterstützen, was wir gewollt haben. Heute brauchen Afrika und der Sudan unsere Unterstützung. Bei all den globalen Problemen, vor denen wir stehen, werden wir ziemlich bald Afrika und den Sudan brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD spricht der Kollege Christoph Strässer. Christoph Strässer (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst schließe ich mich dem Dank an, den der Kollege Selle zum Ausdruck gebracht hat. Ich glaube, die Initialzündung für diesen Antrag ist der Arbeit vieler Nichtregierungsorganisationen zu verdanken. Dass vier Fraktionen es hingekriegt haben, sich fraktionsübergreifend zu verständigen, ist auch ein gutes Signal. Deshalb beginne ich meine Rede auch mit einem Zitat aus einer Schrift von zehn Nichtregierungsorganisationen aus dem Januar: Die nächsten zwölf Monate werden für die Zukunft des Sudans entscheidend sein. Während das Land den fünften Jahrestag der Unterzeichnung des Nord-Süd-Friedensabkommens von 2005 begeht, das einen mörderischen Bürgerkrieg beendete, hat im Südsudan die Gewalt erheblich zugenommen. Im Jahr 2009 wurden rund 2 500 Menschen getötet, und 350 000 mussten fliehen. Bevorstehende historische Wahlen und ein späteres Referendum werden das brüchige Friedensabkommen auf eine harte Probe stellen. Es ist zu befürchten, dass die Gewalt eskaliert - es sei denn, die dringend benötigte internationale Unterstützung wird gewährt. Wegen des letzten Satzes habe ich dieses Zitat vorgelesen; denn wir alle wissen, dass die Lage im Sudan - nicht nur im Sudan, sondern in der kompletten Region - außerordentlich fragil ist. Es gibt die eine oder andere positive Nachricht, beispielsweise über eine angebliche Annährung zwischen der Zentralregierung des Sudans und dem Tschad. Es gibt Meldungen über Friedensabkommen, die in Darfur, einer der großen Krisenregionen, zwischen der größten Rebellenorganisation und der Regierung geschlossen worden sind. Aber all dies ist mit Vorsicht zu genießen; das wissen wir. Meldungen über Friedensabkommen aus dieser Region haben selten die Zeit überlebt, in der man in diesem Hohen Hause überhaupt darüber diskutieren konnte. Deshalb ist in dieser fragilen Situation natürlich auch die Frage zu stellen, ob es gut und richtig ist, Wahlen anzuberaumen. Das ist aber auch die Wahrheit, die hinter diesem Wahlprozess steht: Wir haben über das CPA, über das Friedensabkommen zwischen Nord und Süd, gesprochen, und wir haben auch festzustellen, dass die Wahlen und das anschließende Referendum im Jahr 2011 tragende Elemente und wichtige Pfeiler dieses Friedensabkommens sind. Deshalb müssen wir trotz der schwierigen Situation in den Krisenherden in Darfur, im Osten des Sudans und insbesondere im Süden klarmachen, dass wir, der Westen, die Staatengemeinschaft, die Afrikanische Union und alle anderen, hinter diesem Prozess stehen. Wir müssen die Menschen ermutigen und dürfen sie nicht erneut enttäuschen und ihnen die Friedensdividende, die sie erwarten, nicht länger vorenthalten. Das ist, glaube ich, die Kernbotschaft unseres heutigen Antrages. Ich bin wirklich der Meinung, dass dieser Antrag eine breite Unterstützung in diesem Hohen Hause verdient hätte. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen auch, wenn wir über Friedensdividende reden, was im Land wirklich los ist. In den letzten fünf Jahren bin ich sechsmal im Südsudan gewesen. Wir haben einfach festzustellen: Der Fortschritt ist dort langsamer als eine Schnecke. Wir wissen, dass fast jeder zweite Mensch im Südsudan keinen Zugang zu Wasser hat. Es gibt dort keine funktionierende Infrastruktur. Hunger, Elend und Gewalt bestimmen nach wie vor den Alltag. Deshalb mehren sich ja nun auch die Stimmen, die die Frage stellen, ob es unter diesen Umständen wirklich sinnvoll ist und einen Fortschritt bedeutet, hier Wahlen abzuhalten. Ich habe es eben schon gesagt: Eine Botschaft von hier, von den Vereinten Nationen und anderen Institutionen, diese Wahl jetzt, wenige Wochen, bevor sie stattfinden soll, abzubrechen, wäre trotz all der Schwierigkeiten das absolut falsche Signal. Es gibt dort viele Menschen, gerade junge Leute, die noch nie in ihrem Leben wählen konnten, die noch nie über ihre eigene Zukunft mitbestimmen konnten. Sagten wir ihnen, weil es schwierig ist, helfen wir euch nicht, enttäuschten wir diese jungen Leute und verspielten ihre Zukunft. Das kann und darf an dieser Stelle nicht sein. Wir haben - das ist der einzige Punkt, bei dem ich auch etwas größere Kritik an den Formulierungen im Antrag habe - mittlerweile gehört, dass der amtierende Präsident des Sudans, Herr Baschir, Wahlbeobachtern die Einreise verweigern und sie des Landes verweisen will. Das muss man hier zur Kenntnis nehmen. Ich bin definitiv der Meinung - ich kritisiere die Nachgiebigkeit an diesem Punkt -, dass die internationale Staatengemeinschaft, die im Weltsicherheitsrat den Auftrag erteilt hat, zum Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Herrn Baschir stehen muss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) So schwierig das außenpolitisch ist - ich weiß, dass die Gespräche sehr schwierig sind -: Es kann nicht sein, dass Herr Baschir - er leugnet alles, weist alles von sich und schiebt anderen die Schuld zu - bei der ersten Bewährungsprobe des Internationalen Strafgerichtshofes - zum ersten Mal gibt es einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatspräsidenten - ungeschoren davonkommt. Das wäre eine Niederlage für den internationalen Rechtsschutz; das kann sich die internationale Staatengemeinschaft nicht leisten. Deshalb geht es darum, weiterhin den Wahlprozess zu forcieren, aber auch alle Mittel und Instrumente zur Verfügung zu stellen, damit das internationale Recht bei Herrn Baschir angewendet werden kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marina Schuster [FDP]) Wir sollten an dieser Stelle der Auseinandersetzung auf das CPA zurückkommen, das Abkommen, das diesen Konflikt regelt. Viele von uns - Kollege Fischer war auch dabei - waren im Jahr 2004 im Sudan. Damals waren wir der Meinung, in jenem Jahr würde in Naivasha der Prozess beendet und das Abkommen unterschrieben. Wir waren bereit, einen Bus zu chartern und dorthin zu fahren, um das zu feiern und die Menschen zu beglückwünschen. 2004 hat es nicht geklappt; aber das macht nichts. 2005 ist es dann zum Abschluss des Vertrages gekommen. Man sollte zwei Feststellungen machen: Erstens. CPA, das umfassende Friedensabkommen, hat seine Mängel. Es hat strukturelle Mängel: Beispielsweise haben nur zwei große Konfliktparteien verhandelt, auf der einen Seite die herrschende Partei NCP im Norden, auf der anderen Seite die Befreiungsbewegung des Südens. Viele kleinere Gruppen, zivile Gruppen, waren nicht daran beteiligt. Zweitens. In der Konsequenz handelte es sich nur um eine Befriedung des Nord-Süd-Konflikts; der Konflikt in Darfur wurde nicht geregelt, nicht gelöst, der Zustand im Osten ist sehr fragil. Man muss also bei der Bewertung dieses Friedensabkommens vorsichtig sein. Viele Menschen, die dort arbeiten, vertrauen aber auf die Wirkung dieses Vertragswerkes. Ich möchte etwas überspitzt zum Friedensprozess im Sudan, insbesondere zum Konflikt zwischen Süd und Nord, sagen - in Abänderung eines Zitats von Willy Brandt; irgendwie finde ich den Vergleich zutreffend -: Dieser Friedensschluss, dieses umfassende Friedensabkommen ist nicht alles; aber ohne diesen Friedenschluss wäre alles nichts. Das sollten wir bedenken. Wir müssen die Sudanesen unterstützen, damit der Friedensprozess gelingt. Ich finde es ganz wichtig, dass sich die internationale Staatengemeinschaft einmischt, dass sie insbesondere - das hat Gerhart Baum in einem Interview in der heutigen Financial Times Deutschland bekräftigt - die Forderung nach einer UN-Konferenz zum Sudan endlich umsetzt, um einen umfassenden Friedensprozess zu gewährleisten. Ich schließe mit einem Zitat derselben Nichtregierungsorganisation, die ich schon zu Beginn meiner Rede zitiert habe: Die Bevölkerung im Südsudan hat außergewöhnliche Ausdauer bewiesen, als es darum ging, nach den Kriegsjahrzehnten neu anzufangen. Wenn die Menschen Hoffnung auf eine Zukunft haben sollen, benötigen sie dringend spürbare Entwicklungsfortschritte und Schutz vor Gewalt. Der Sudan steht vor vielen miteinander verknüpften Herausforderungen, die jedoch gemeistert werden können, wenn die internationale Gemeinschaft jetzt handelt. Ich hoffe und wünsche, dass heute vom Bundestag für diese Handlungsfähigkeit ein deutliches Signal ausgeht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Marina Schuster hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Marina Schuster (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich einen Dank vorausschicken. Ich denke, wir haben sehr konstruktive Antragsberatungen erlebt. Dafür gilt mein Dank den beteiligten Fraktionen. Ich danke aber auch den NGOs - manche sind heute auf der Tribüne vertreten -, die sich so engagiert beteiligt haben und wichtige Informationsgeber waren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Außerdem freue ich mich, dass ich gestern im Auswärtigen Ausschuss vernommen habe: Auch die Bundesregierung begrüßt diesen Antrag vollumfänglich. Ich freue mich noch mehr, wenn ich sehen kann, dass unsere Bundesregierung die Forderungen dieses Antrages Schritt für Schritt umsetzt. Da setze ich große Hoffnungen auf Staatsministerin Cornelia Pieper, Dirk Niebel und natürlich auch den Außenminister. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Mit dem interfraktionellen Antrag senden wir ein sehr starkes Signal, was die Wahlen betrifft; das ist heute schon angesprochen worden. Es geht darum, dass freie und faire Wahlen stattfinden. Diesbezüglich haben wir in unseren Antrag verschiedene Forderungen aufgenommen: Es muss Wahlbeobachter geben. Bei der Vorbereitung der Wahlen ist logistische Unterstützung erforderlich. Wichtig ist auch, dass sowohl die Konfliktparteien als auch die politischen Parteien alles in ihrer Macht Stehende tun, vor Ort für gewaltfreie und faire Wahlen zu sorgen. Der Antrag legt den Fokus aber auch auf die kritische Phase danach und auf die Abstimmungen, die 2011 beim Referendum stattfinden werden. Das ist sozusagen das Herzstück des Antrages. Wir wissen nicht, wie das Referendum ausgehen wird, wie sich die Bürgerinnen und Bürger entscheiden werden. Aber eines ist klar: Die Konfliktparteien müssen mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft dafür Sorge tragen, dass es nicht zu einem neuen Krieg kommt. Das heißt, es muss klare Vorgaben für den Fall geben, dass sich der Südsudan für eine Abspaltung entscheidet. Es muss geregelt werden, wie es dann in Bezug auf die Staatsangehörigkeit und die Aufteilung der Öleinnahmen weitergeht. Ich denke, es ist eine ganz, ganz wichtige Forderung, dass das im Rahmen der Konferenz umgesetzt wird. Der Antrag nimmt sich aber nicht nur des Konfliktes zwischen Nord und Süd an, sondern auch der anderen Regionen. Denn vieles ist miteinander verwoben und hängt voneinander ab. Die entscheidende Frage ist: Sind die jeweiligen Regionen und die jeweiligen Stämme genügend eingebunden? Haben sie ihren Anteil an der politischen Mitwirkung und an der Wirtschaftsentwicklung? Ohne die Einbindung der Zivilgesellschaft vor Ort ist kein tragfähiger Frieden möglich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch dürfen wir nicht die unterschiedlichen Rollen der Nachbarstaaten außer Acht lassen, die mit sehr verschiedenen Agenden ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen. Nach wie vor sehe ich die Gefahr eines Flächenbrandes. Deshalb ist auch die Berücksichtigung der Interessen der Nachbarländer als Forderung in unserem Antrag enthalten. Denn man kann den Sudan nicht losgelöst von den Problemen der Nachbarn sehen. Zwei Punkte möchte ich noch erwähnen. Wir werden natürlich Debatten zu den Mandaten UNAMID und UNMIS führen; sie werden im Sommer kommen. Ich habe bei der ersten Mandatierung von UNAMID schon davor gewarnt, die Gegebenheiten vor Ort falsch einzuschätzen. Erst wurde laut nach dem UN-Hybrid-Mandat gerufen, und dann standen die Truppen auf verlorenem Posten, ohne volle Truppenstärke und ohne ausreichende Transportkapazitäten. Ich denke, wir tun gut daran, wenn wir uns im Rahmen der Vereinten Nationen wirklich für eine Anpassung der Mandate an die Gegebenheiten vor Ort einsetzen. (Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Das Gleiche betrifft das UNMIS-Mandat. Wir legen den Fokus auf die Konfliktprävention. Ein Schlüssel dazu ist die Polizeiausbildung im Rahmen des Mandates, die wir verstärken möchten. Ich komme zum letzten Punkt des Antrages, zu den Menschenrechten. In einer wegweisenden Entscheidung hat der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof mandatiert, Kriegsverbrechen im Sudan zu verfolgen. Für mich ist vollkommen klar, dass es - das haben wir auch im Koalitionsvertrag niedergeschrieben - keine Kultur der Straflosigkeit geben darf. Die massiven Menschenrechtsverletzungen müssen geahndet werden, und deswegen unterstützen wir die Haftbefehle gegen Baschir, Kony und Weitere, die angeklagt sind. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Baschir hat in einem Interview im Spiegel erklärt, dass der Haftbefehl seine Popularität gesteigert habe. Diese persönliche Schlussfolgerung darf uns nicht beirren. (Christoph Strässer [SPD]: Das stimmt auch nicht!) Wir dürfen nicht zulassen, dass der Internationale Strafgerichtshof belächelt oder seine Autorität untergraben wird. Es ist an uns, geschlossen gegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzutreten und die Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Mit dem Antrag, der heute vorliegt, halten wir Wort. Wir haben bei der Podiumsdiskussion am 7. Januar das Versprechen gegeben, uns zu einem interfraktionellen Antrag zusammenzufinden, und wir haben unser Versprechen gehalten. Wir tun mit diesem Antrag aber noch viel mehr: Wir beweisen den hoffnungsvollen Menschen im Sudan, dass wir ihre Unterstützer sind auf einem Weg zu einem Leben in Frieden, Freiheit und Menschenwürde. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Niema Movassat hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute schon deutlich geworden: Bei dem Sudan handelt es sich um eines der ärmsten Länder der Erde. Laut einem Bericht von Nichtregierungsorganisationen hat im Südsudan weniger als die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu Trinkwasser; jedes siebte Kind stirbt vor dem sechsten Lebensjahr. Es ist also dringend notwendig, in Gesundheit, in Bildung und in den Zugang zu sauberem Wasser zu investieren, (Beifall bei der LINKEN) und zwar nachhaltig; denn die häufig geleistete Nothilfe ist selten entwicklungsorientiert. Sie trägt vielmehr dazu bei, die lokale Selbstversorgung zu behindern. Allerdings ist die Art, wie man sich hierzulande mit dem Sudan beschäftigt, höchst bedenklich; denn dabei geht es weniger um die Herstellung von sozialer Sicherheit als vielmehr um die Vorbereitung auf die Abspaltung des ölreichen Südsudan vom Norden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das Friedensabkommen sieht zwar ein Referendum über die Frage "Abtrennung oder Autonomie?" vor, betont aber ausdrücklich, dass die Einheit des Sudan attraktiv gemacht werden soll, auch weil eine Abtrennung die Gefahr eines neuen Krieges um die Ölressourcen birgt. In dieser Hinsicht ist in den letzten Jahren nichts geschehen. Im Gegenteil: Wenn die GTZ im Südsudan ein Programm zum Staatsaufbau durchführt, wenn sie Straßen baut, die den Südsudan vor allem mit Kenia anstatt mit der Hauptstadt Khartoum verbindet, und wenn gleichzeitig der Nordsudan in der Entwicklungszusammenarbeit vernachlässigt wird, dann trägt Deutschland dazu bei, dass die Abspaltung vorangetrieben wird. (Beifall bei der LINKEN) Wozu das alles? Damit Deutschland und die EU beste Kontakte zur zukünftigen südsudanesischen Regierung aufbauen und damit das notwendige Klima dafür geschaffen wird, dass deutsche und europäische Firmen beim künftigen Poker um Aufbauverträge und Erdöl auf der Gewinnerseite stehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) So hat heute in Berlin ein Planspiel des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft stattgefunden - und zwar in einer Einrichtung des Verteidigungsministeriums -, Titel: "The Day After - Planspiel für Unternehmer in Konfliktregionen". Ziel des Planspiels ist es, am Beispiel des - Sie ahnen es - Südsudan die Handlungsmöglichkeiten deutscher Unternehmen bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu diskutieren. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Pfui!) Deutschland trägt also zur Abtrennung bei und plant schon jetzt die Beteiligung deutscher Firmen an sich ergebenden zukünftigen Geschäftsmöglichkeiten. (Beifall bei der LINKEN) Das ist geschmacklos und kommt Naomi Kleins Schockstrategie gefährlich nahe. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Die Rede ist geschmacklos! Jetzt ist aber langsam gut! Was soll das?) Diese neokolonialistische Herangehensweise schlägt sich auch in Ihrem Antrag nieder; (Beifall bei der LINKEN) denn Sie schreiben, dass im Rahmen einer Sudan-Konferenz ein größtmöglicher Konsens zwischen der EU, den USA, der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga und China über die zentralen politischen Ziele hergestellt werden soll. Dreimal dürfen Sie raten, wer bei dieser Aufzählung fehlt: Die dann neugewählte sudanesische Regierung und damit die sudanesische Bevölkerung. Wie wäre es, sie zu fragen, was ihre zentralen politischen Ziele sind? (Beifall bei der LINKEN) Ich finde in Ihrem Antrag auch keinerlei Kritik an der Aufrüstung und Ausbildung südsudanesischer Milizen durch Kenia und Äthiopien, obwohl diese Aufrüstung dem Friedensabkommen widerspricht und obwohl - oder gerade weil - Äthiopien wichtigster Partner Deutschlands in der Region ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Movassat, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schuster zulassen? Niema Movassat (DIE LINKE): Nein, ich möchte meine Rede gern zu Ende führen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr sympathisch!) Ein letzter Punkt. Im Rahmen von UNMIS wollen Sie die Polizeiausbildung personell und materiell intensivieren. Sie waren doch bei dem Treffen mit den Nichtregierungsorganisationen hier im Bundestag und haben ihre Kritik an diesem Programm gehört: Die Polizeiausbildung stärkt vor allem eine bestimmte Bevölkerungsgruppe im Südsudan und stellt somit ein Potenzial für zukünftige Spannungen dar. Die Mehrzahl der Polizisten in spe kann außerdem weder lesen noch schreiben. Hier muss man ansetzen; sonst hat man schlechte Voraussetzungen für eine an Rechtsstaatlichkeit gebundene Polizei. (Beifall bei der LINKEN - Christoph Strässer [SPD]: Bis dahin schaffen wir die Polizei ab, oder was?) Alles in allem haben wir es mit einem Antrag zu tun, der wieder einmal vorgibt, Frieden und Entwicklung durch Militärmissionen zu erreichen, und durch den der deutsche Einfluss im Südsudan sichergestellt werden soll. So einem Antrag wird die Linke auf keinen Fall zustimmen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das kann nicht wahr sein, was man hier ertragen muss! - Weitere Zurufe von der FDP: Das kann nicht wahr sein!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat Kerstin Müller für Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will zunächst einmal sagen, dass ich es sehr begrüße und mich freue, dass es gelungen ist, einen interfraktionellen Antrag einzubringen; denn dieses Thema ist wichtig. Dieser Antrag beinhaltet einen klaren Arbeitsauftrag an die Bundesregierung. Die Sudankrise ist nicht irgendeine Krise; ihre Überwindung stellt eine der größten außenpolitischen und menschenrechtlichen Herausforderungen dar. Das muss in der künftigen Außenpolitik stärker deutlich werden. Ich finde es bedauerlich, dass die Linke nicht eingebunden war. Ich fände es gut, wenn die Union ihre Position an dieser Stelle überdenken würde. So vorzugehen, wie sie es tut, ist politisch einfach nicht klug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege Movassat, anhand Ihres Beitrags und auch im Ausschuss durch Herrn van Aken ist klar geworden, dass Sie an einer bestimmten Stelle ausgestiegen wären, nicht zuletzt wegen UNMIS und UNAMID. Das, was Sie hier deutlich gemacht haben, zeigt, dass Ihre Position zu den Mandaten außenpolitisch schlichtweg abenteuerlich ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wenn Sie einen Einsatz, der nachweislich zur Stabilisierung der Lage im Südsudan entscheidend beigetragen hat und zu dem Deutschland Beobachter und zivile Mitarbeiter, die unter größten Anstrengungen ihren Beitrag leisten, entsendet, als Kampfeinsatz bezeichnen, dann ist das einfach nur abenteuerlich und außenpolitisch nicht seriös. Sie stellen sich damit ins Abseits. Ich glaube, die Klugen bei Ihnen wissen das. Sie werden da sicherlich zu einer Veränderung ihrer Position kommen; denn sonst brauchen Sie sich an dieser Stelle gar nicht mehr einzumischen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Gerade jetzt, im letzten Jahr der Umsetzung des CPA, muss deutlich werden, dass wir es ernst meinen mit der Krisenprävention und der internationalen Schutzverantwortung, der R2P, gegenüber den Menschen im Sudan. Ein solches Signal ist bitter nötig; denn der Sudan steht am Scheideweg, zum einen wegen der Wahlen im April, zum anderen wegen des Referendums im nächsten Jahr. Der Friedensprozess ist ins Stocken geraten. Wenn das CPA auf den letzten Metern scheitert, dann könnte der Sudan erneut zum größten Katastrophenfall Afrikas werden, und zwar mit einem neuen Krieg, der das gesamte Horn von Afrika mit in den Abgrund zieht und der Folgen für Europa und Deutschland hätte. Die Wahlen im April sind in Gefahr, weil die al-Baschir-Partei durch Tricksereien, falsche Wahlregister und repressive Sicherheitsgesetze keinen fairen Wahlkampf und keine freie Wahlen zulässt. Wer diese Probleme beim Namen nennt, dem droht al-Baschir mit Rausschmiss. Sie haben alle das Zitat gelesen: "Wenn sich andere in unsere Angelegenheiten einmischen, dann werden wir ihnen die Finger abschneiden und sie unter unseren Schuhen zerquetschen." Das ist eine unakzeptable Äußerung des Präsidenten al-Baschir. Wir werden nicht zulassen, dass die Wahlen eine Wahlshow für al-Baschir werden, aus der er wieder Legitimation ziehen will. Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen ihn bleibt bestehen. Er muss sich Den Haag stellen. Das machen wir alle gemeinsam mit diesem Antrag noch einmal deutlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Die Wahlen sind aber nur der Auftakt. Die eigentliche Zäsur, und zwar für ganz Afrika, steht mit dem Referendum bevor. Es wird wahrscheinlich zum ersten Mal passieren, dass sich die postkolonialen Grenzen durch Abstimmung verändern. Die Frage ist, ob das die Geburtsstunde eines neuen Failing State ist, und zwar mit dramatischen Folgen, oder ob es die Chance auf eine friedliche Abspaltung gibt. Ich glaube, nichts wird gut sein im Sudan, wenn wir uns jetzt nicht intensiv engagieren, wenn es nicht eine große internationale Kraftanstrengung gibt. Genau deshalb fordern wir eine UNO-Konferenz zum Thema Sudan, bei der alle an einem Strang ziehen. Die Europäische Union, die UNO, China, aber auch die Arabische Liga und die AU müssen eingebunden werden; das ist die Lehre aus dem CPA. Das CPA kam nach mehr als 25 Jahren Bürgerkrieg zustande, weil alle an einem Strang gezogen haben, weil man Druck auf die Konfliktparteien ausgeübt hat. Es müssen jetzt genauso große Anstrengungen unternommen werden, eine Sudan-Konferenz durchzuführen, damit dort ein Fahrplan zur Bearbeitung der strittigen Fragen ausgearbeitet werden kann, und zwar für die Zeit vor und nach dem Referendum. Wenn diese Konferenz nicht zustande kommt, dann besteht die große Gefahr, dass ein Krieg ausbricht, und den müssen wir unbedingt verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende bitte. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. - Bei der Sudan-Krise reicht es nicht aus, bloß mitzuschwimmen, sondern wir müssen zeigen, dass wir es mit der Krisenprävention ernst meinen. Das ist der wichtige Arbeitsauftrag an die Bundesregierung. Sie können sicher sein, dass wir Sie an diesem Auftrag messen und dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben ein großes außenpolitisches Interesse daran, einen neuen Krieg im Sudan zu verhindern. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hartwig Fischer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein herzliches Dankeschön an alle, die durch die Mitarbeit an diesem Antrag gezeigt haben, dass sie es mit dem Frieden für den Sudan ernst meinen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben eine Chance. Ob diese Chance aber Realität wird, hängt auch davon ab, wie man sich als Parlament international präsentiert, ob man diese Chance ernst nehmen will und was man aus dieser Chance macht. Die Menschen dort sind geschunden. Ich kann nur sagen: Herr Movassat, was Sie hier gesagt haben, grenzt an Realitätsverweigerung. Hier sind Kollegen, auch aus Ihrer Fraktion, die Menschen haben sterben sehen. Herr Leutert war mit in Darfur und hat miterlebt, was dort mit den Menschen vorgeht. Herr Leutert aus Ihrer Fraktion weiß, dass die Helfer ohne UNAMID und ohne UNMIS überhaupt keine Chance hätten, den Menschen dort zu helfen. Ich finde es deprimierend, wenn dennoch von Neokolonialismus gesprochen wird. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie zeigen hier auf, dass die Hälfte der Menschen im Südsudan keinen Zugang zu Wasser hat, verweigern sich aber der Realität, dass über 400 000 südsudanesische Flüchtlinge in den vergangenen anderthalb Jahren aus Kenia und aus Uganda in den Südsudan zurückgekehrt sind. Unter anderem hat dies die GTZ möglich gemacht, weil sie eine Infrastruktur für diese Rückkehrer aufgebaut hat, weil sie Wasserlöcher gebohrt und den Menschen eine Chance gegeben hat, aus den Flüchtlingslagern in ihre Heimatgebiete zurückzukehren. Auch das wäre ohne eine entsprechende Hilfestellung der UN nicht möglich gewesen. Auch bei dem Wahlprozess stehen wir in der Verantwortung, auch wenn wir das in den Antrag nicht expressis verbis aufgenommen haben; denn es muss auch diplomatische Auseinandersetzungen geben. Al-Baschir ist ein Straftäter, auf den ein internationaler Haftbefehl ausgestellt ist. Dies muss man in einer Debatte offen sagen. Das muss auch für die Zukunft gelten; sonst glauben Machthaber, einen Freibrief für Völkermord zu haben, wie wir ihn an vielen Stellen auf dieser Erde immer wieder erlebt haben. Wenn wir diesen Friedensprozess und auch den Wahlprozess im Sudan vorantreiben wollen, dann dürfen wir, die Weltgemeinschaft, nicht zulassen, dass Wahlbeobachter aus diesem Land vertrieben werden. Wir wissen, dass die Wahlvorbereitungen einigermaßen anständig abgelaufen sind. Aber die letzten Tage müssen genutzt werden, um die deutliche Aufbruchstimmung, die es in der Bevölkerung gibt, zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass die Menschen über diese Wahlen eine Chance bekommen. Unser Außenministerium und unser Entwicklungsministerium müssen sich darauf vorbereiten, dass wir, wenn dieser Wahlprozess in einer vernünftigen Form abläuft und sich dann eine Regierung bildet, dazu beitragen, dass dort in Zukunft ein Aufbau erfolgt. Das heißt, Herr Movassat, dass wir den Aufbau nicht nur über Entwicklungszusammenarbeit organisieren; vielmehr müssen wir als Deutsche ein Interesse daran haben, dass es Unternehmen gibt, die bereit sind, dort partnerschaftlich aufzubauen. Man muss diesem Land beim Übergang vom informellen zum formellen Sektor helfen, um den Menschen im Sudan eine nachhaltige Teilhabe zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Menschen im Südsudan, in Darfur oder in anderen Regionen handelt. Der nächste Schritt wird dann sein, dass sich dieses Volk eigenständig auf der Grundlage von Regeln, die man getroffen hat, entscheidet, ob es sich teilt oder ob es sich nicht teilt. Diese Entscheidung wird nicht in internationalen Gremien getroffen, (Marina Schuster [FDP]: So ist es!) sondern durch ein Referendum. Wenn diese Entscheidung getroffen ist, geht es darum, entweder einem oder zwei sudanesischen Staaten eine Friedensdividende zu geben. In diesem Sinne bitte ich Sie alle - ich fordere die Linke auf, dem Appell von Herrn Movassat nicht zu folgen -, für Frieden und Gerechtigkeit im Sudan zu stimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich beende die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1158 mit dem Titel "Freie und faire Wahlen im Sudan sicherstellen, den Friedensprozess über das Referendum 2011 hinaus begleiten sowie die humanitäre und menschenrechtliche Situation verbessern". Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag angenommen bei Zustimmung durch die einbringenden Fraktionen. Die Fraktion Die Linke hat dagegengestimmt. Enthaltungen gab es keine. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mobilität nachhaltig gestalten - Erfolgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fortentwickeln - Drucksache 17/1060 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit grüner Elektromobilität ins postfossile Zeitalter Drucksache 17/1164 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrte Herren und Damen! Bald ist es so weit: Die Osterferien kommen auch für uns näher und mit ihnen zahlreiche Staus auf unseren Straßen. Kilometerlang rollen gewaltige Blechlawinen - meist gen Süden -, und so mancher Urlaub beginnt mit Stress. Von der erhofften Erholung sind die, die im Stau stehen, im wahrsten Sinne des Wortes kilometerweit entfernt. Was wir wollen, ist, schnell, bequem und sicher sowie preisgünstig von A nach B zu kommen. Unsere Wirtschaft braucht für eine immer spezialisiertere, hocharbeitsteilige Produktion Rohstoffe und Fertigteile just in time in ganz Europa. Eine gut ausgebaute Infrastruktur ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine funktionierende Wirtschaft. (Beifall bei der SPD) Die Globalisierung hat die Fahrstrecken verlängert. Diese von uns allen gewollte Mobilität aber hat ihren Preis, nicht nur in Form von Tarifen und Treibstoffkosten, sondern auch in Form von Verkehrslärm, Luftverschmutzung, Flächenverbrauch und Zerschneidung von Städten und Landschaften. Der Energieverbrauch, der mit der Verkehrsleistung verbunden ist, verursacht erhebliche Umweltbelastungen. So geht ein Fünftel aller CO2-Emissionen auf das Konto des Verkehrs. Wir stehen vor der Herausforderung, Mobilität zu ermöglichen, gleichzeitig aber die Belastung für Menschen und Umwelt zu senken. Die Bewältigung der künftig noch wachsenden Verkehrsprobleme setzt eine integrierte Verkehrspolitik voraus. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sehr richtig!) Teillösungen und das Fokussieren auf einzelne Verkehrsträger sind der falsche Weg. Nötig ist eine zukunftsfähige Verkehrspolitik aus einem Guss. (Beifall bei der SPD) Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen haben dies bereits früh erkannt und haben schon im Jahr 1999 im SPD-geführten Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen eine Arbeitsgruppe "Integrierte Verkehrspolitik" einberufen, die das damals noch neuartige Konzept in einem breiten Dialog weiterentwickeln sollte. Im Verkehrsbericht 2000 und im Rahmen der Mobilitätsoffensive des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Jahr 2002 wurde diese Integrationsidee aufgegriffen und zur Grundlage unseres Regierungsarbeitens in den vergangenen Jahren gemacht. Die zentrale Aufgabe einer nachhaltigen, integrierten Verkehrspolitik ist es, die gesellschaftlich notwendige Mobilität möglichst umweltverträglich zu gestalten. Dieser Ansatz hat nicht nur eine bessere Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger zum Ziel, sondern muss auch die städtebauliche Entwicklung berücksichtigen. Meine Herren und Damen von der Regierungskoalition, Sie können froh sein, dass Sie mit der nationalen Stadtentwicklungspolitik, dem Programm der Städtebauförderung, dem Investitionspaket und dem Programm zur energetischen Gebäudesanierung wirkungsvolle Instrumentarien zur Gestaltung der Zukunftsaufgaben in unseren Städten und Gemeinden von Ihrem Vorgänger übernehmen konnten. (Beifall bei der SPD) Ich hoffe, Sie wissen dies auch zu schätzen. Zumindest haben Sie den Haushaltsentwurf von Herrn Tiefensee bei der Städtebauförderung fast - aber leider eben nur fast - unverändert übernommen. Dennoch frage ich mich: Wo sind Ihre neuen Impulse? Sie schreiben in Ihrem Koalitionsvertrag, dass die Hinterlassenschaften von Rot-Grün in der Verkehrspolitik endgültig der Vergangenheit angehören. (Beifall des Abg. Gero Storjohann [CDU/CSU]) Wie sieht Ihre neue Verkehrspolitik aus? Das würde ich gerne wissen. Ein planvolles Handeln kann ich nicht erkennen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern Sie auf, endlich ein Gesamtkonzept vorzulegen. Wie zum Beispiel wollen Sie die Herausforderungen eines wachsenden Güterverkehrs bewältigen? Wir hören immer, dass Sie die Verlagerung auf die Schiene wollen. Aber wie? Indem Sie die Bahn aushungern? Um die Maßnahmen umzusetzen, die bereits im vordringlichen Bedarf stehen, werden jährlich 1,8 Milliarden Euro benötigt. Tatsächlich stehen der Bahn nach den Planungen des Bundesverkehrsministers in den kommenden Jahren jährlich 600 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Der Bahnchef persönlich ist mit Mitgliedern des Verkehrsausschusses die sogenannte Streichliste durchgegangen und hat erklärt, was kommt, was vielleicht kommt und was mit der Politik der schwarz-gelben Bundesregierung gar nicht kommen kann. Dabei konnte man feststellen, dass zum Beispiel die Y-Trasse nicht finanziert ist und bei den geplanten Transaktionsvolumina auch nicht finanzierbar ist. Wie soll da der Güterverkehr auf die Schiene gebracht werden? Das müssen Sie mir bitte erklären. (Beifall bei der SPD) Gleichzeitig kürzen Sie die Mittel für den kombinierten Verkehr um 64 Millionen Euro. Das bedeutet, dass in diesem Bereich mehr als die Hälfte der Zuschüsse für Investitionen privater Unternehmen gestrichen wird, und dies in einem Jahr, in dem die Branche nach der Wirtschaftskrise wieder Fuß fassen will. Damit lassen Sie Unternehmen mit ihren Logistikproblemen im Stich. Sie enthalten der Bahn wichtige Neukunden für den Güterverkehr vor. Ihr Vorhaben, verkehrsträgerbezogene Finanzkreisläufe zu stärken, bedeutet konkret, dass die Lkw-Maut nur noch in den Erhalt und den Ausbau der Straße fließen soll und dass damit die Weiterentwicklung der Schienen- und Wasserwege geschwächt wird. Das heißt doch, dass Sie vorne Löcher stopfen, indem Sie hinten neue, größere Löcher aufreißen. Meine Frage ist: Wo bleibt der Blick auf das Ganze? (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Gustav Herzog [SPD]: So ist es! - Uwe Beckmeyer [SPD]: Recht hat sie!) Wir möchten, dass der unter der rot-grünen Bundesregierung angestoßene Prozess zur Entwicklung eines Gesamtkonzepts für eine integrierte Verkehrspolitik konsequent fortgeführt und weiterentwickelt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nur damit werden wir einem zukunftsfähigen Verkehrssystem gerecht. Damit befasst sich unser Antrag, in dem wir unsere Forderungen an die Bundesregierung in elf Punkten zusammengefasst haben. Wir fordern Sie auf, der zentralen Rolle des Ausbaus und der Optimierung des umweltfreundlichen Verkehrsträgers Schiene gerecht zu werden. Dazu bedarf es eines umfassenden, transparenten und langfristig stabilen Finanzierungskonzeptes. Außerdem beantragen wir, dass Sie für die ehemalige Gemeindeverkehrsfinanzierung ein Konzept für die Förderung des ÖPNV vorlegen. In Ihrer Koalitionsvereinbarung bekennen Sie sich zum öffentlichen Personennahverkehr als unverzichtbarem Bestandteil der Daseinsvorsorge auch in der Fläche. Dann sagen Sie aber bitte auch, was Sie dafür tun wollen. Ihr Bekenntnis wird zur leeren Sprechblase, wenn Sie zugleich ankündigen, dass Sie den kommerziellen Verkehr vorrangig bedienen wollen. Sorgen Sie dafür, dass die Wettbewerbsbedingungen im öffentlichen Nahverkehr und vor allem die Gestaltungsspielräume der Kommunen so ausgestaltet werden, dass sich Mobilität nicht zu einem Exklusivprodukt entwickelt. (Beifall bei der SPD) Mobilität muss bezahlbar bleiben, auch im ländlichen Raum. Nur auf diese Weise können sich Menschen wirklich an der Arbeitswelt, an Bildung und Kultur sowie am Gesellschaftsleben insgesamt beteiligen. Wir fordern dazu auch barrierefreie Mobilität. Bedürfnisse von behinderten Menschen, von Familien und von älteren Bürgern und Bürgerinnen müssen Bestandteil der Stadtentwicklung und der Verkehrspolitik sein. Wir wollen ein Konzept für die aussterbenden Städte im Osten wie im Westen. Der demografische Wandel sitzt uns im Nacken, und alles, was Sie machen, ist abwarten und an den falschen Stellen sparen. (Beifall bei der SPD) Sie machen Klientelpolitik zulasten der Menschen, zulasten einer zukunftsorientierten Mobilität, zulasten von Umwelt und Natur und zulasten von Arbeitnehmenden in wichtigen Bereichen von Transport und Logistik. Das lehnen wir ab. Ich hoffe, dass Sie in den Beratungen des Antrages den nötigen Mut aufbringen und sich unseren Vorschlägen anschließen, damit Mobilität in Deutschland nachhaltig gestaltet wird und der erforderliche Ansatz der integrierten Verkehrspolitik weiterentwickelt werden kann. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Lühmann, hier im Haus war das Ihre erste Rede. Dazu gratulieren wir Ihnen alle herzlich und wünschen für Ihre Arbeit Erfolg. (Beifall) Der nächste Redner ist der Kollege Gero Storjohann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Gero Storjohann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sozialdemokraten vollführen mit ihrem Antrag heute einen verkehrspolitischen Rundumschlag. (Sören Bartol [SPD]: Habt ihr auch verdient!) Bei der Lektüre stößt man auf viele schöne Worte und eine Vielzahl von Allgemeinplätzen. (Gustav Herzog [SPD]: Und viele gute Gedanken!) Zur Verdeutlichung möchte ich gerne einiges zitieren: "Mobilität ... hat einen sehr hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft", heißt es dort. Dem stimmen wir alle hier sicherlich uneingeschränkt zu. Sie machen weiterhin aufmerksam auf negative Folgewirkungen des Verkehrs: auf Lärm, Luftverschmutzung, Benzinkosten für den Einzelnen, Flächenverbrauch. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Warum lehnen Sie das dann ab?) Auch hier sind wir Verkehrspolitiker uns eigentlich alle einig. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Was regen Sie sich dann auf?) Schließlich leiten Sie daraus eine Schlussfolgerung ab: Die strategische Ausrichtung einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik muss "aus einem Guss" erfolgen. Das nennen Sie dann integrierte Verkehrspolitik. Wir brauchen in der Tat ein verbessertes Gesamtverkehrssystem. Dafür zu sorgen, ist die ständige Aufgabe von uns Verkehrspolitikern und der Politik allgemein. Ich nehme stark an, dass darüber in allen Fraktionen Einigkeit besteht. Was soll mit diesem Antrag also erreicht werden? Sie bleiben im Allgemeinen; Sie verweisen wiederholt auf längst bekannte Handlungsfelder; Sie bieten nicht unbedingt Lösungen an, sondern fordern die Regierung auf, Lösungen zu bieten. Nichts an Ihrem Antrag ist wirklich neu, nichts ist innovativ. Schon der Titel entlarvt Sie: (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie sind rückwärtsgewandt! Das ist das Problem!) Den "... Erfolgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fortentwickeln". Das machen wir doch. Verlassen Sie sich darauf! (Lachen des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD]) Dazu hätte es dieses Antrages der SPD nicht bedurft. (Beifall bei der CDU/CSU) Eines ist ganz klar: Dieser Antrag kommt viel zu spät. Sozialdemokratische Verkehrspolitiker hatten elf Jahre Zeit, all das umzusetzen, was Sie hier aufgeschrieben haben. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Richtig!) In Oppositionszeiten formulieren Sie schöne Anträge. Sie hätten handeln und agieren können. Dieser Antrag überrascht mich doch sehr. (Beifall bei der CDU/CSU - Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie ruhen sich doch auf den Leistungen von Tiefensee aus!) Ihr Antrag kommt also zu spät. Die Verkehrspolitik der christlich-liberalen Koalition enteilt Ihnen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich jetzt wirklich nicht!) Union, FDP und der neue Bundesverkehrsminister, Peter Ramsauer, haben für eine neue Dynamik und Vitalität in der Bundesverkehrspolitik gesorgt. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) - Es ist erstaunlich, dass Sie das noch nicht merken. - (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Mief der sozialdemokratischen Führung im Verkehrsministerium ist jetzt weg. Wir können nach vorne schauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Uwe Beckmeyer [SPD]: Ist das eine Spaßdebatte heute?) CDU/CSU und FDP haben die angesprochenen Handlungsfelder selbstverständlich angenommen. Wir entwickeln eine zukunftsfähige, ökologische und sozial ausgewogene Verkehrspolitik. Für uns in der CDU/CSU-Fraktion gilt: Mobilität besitzt eine Schlüsselfunktion in unserer Gesellschaft. Mobilität schafft die Voraussetzungen für Beschäftigung, Wohlstand und persönliche Freiheit. Wir wollen mit einer effizienten Verkehrspolitik die Mobilität für die Zukunft sichern. Das ist unser eigenes vitales Interesse. Unsere Verkehrspolitik wird den Anforderungen des Klima-, Umwelt- und Lärmschutzes gerecht. Aus diesem Grund hat der Bundesminister in seinem Haus eine eigene umweltpolitische Abteilung geschaffen. Es geht darum, zwei Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in Einklang zu bringen: auf der einen Seite das Bedürfnis nach Mobilität und Verkehr - die Menschen wollen mobil sein -, auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Klimaschutz, nach Lärmschutz und nach verantwortungsvoller Verkehrspolitik mit Blick auf die nachfolgenden Generationen. Die Abteilung für Umweltfragen bringt diese Bedürfnisse in Einklang. Es war keine rot-grüne Bundesregierung, kein sozialdemokratischer Bundesverkehrsminister, der diese Abteilung eingerichtet hat. Das heißt, Umweltfragen haben ihren festen Platz in unserem Bundesverkehrsministerium. Das ist schön, und das können Sie nur begrüßen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Uwe Beckmeyer [SPD]: Eine Luftnummer!) Ein weiterer Punkt Ihres Antrages betrifft die soziale Ausgestaltung der Bundesverkehrspolitik. Mobilität soll ein Gemeingut bleiben. Sie fordern die besondere Berücksichtigung der Interessen von Menschen mit Behinderung, von Familien und älteren Bürgerinnen und Bürgern. Auch hier rennen Sie bei uns offene Türen ein; das wissen Sie. Wir sagen: Mobilität sichert die Teilhabe des Einzelnen am gesellschaftlichen Leben. Deshalb muss es unser Ziel sein, Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen zu garantieren. Um dieses Ziel zu erreichen, orientieren wir uns an folgenden Grundsätzen: Mobilität muss bezahlbar sein, sie muss vielfältig angeboten werden, und sie muss flächendeckend angeboten werden. Wir bekennen uns zum öffentlichen Personennahverkehr. Der ÖPNV ist ein fester Bestandteil der Daseinsvorsorge. (Beifall bei der CDU/CSU - Kirsten Lühmann [SPD]: Den Sie gerade zerstören!) Wir setzen uns für die Verbesserung des ÖPNV ein. Das ist eine Daueraufgabe. Wenn der ÖPNV attraktiv ist und eine durchgängige Reisekette möglich ist, wird er auch vermehrt von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen. Hierdurch wird die soziale Aufgabe von Verkehrspolitik gewahrt. Wir leisten auch einen Beitrag zum Klimaschutz, wenn immer mehr Bürgerinnen und Bürger die Vorteile des ÖPNV für sich persönlich erkennen. Mobilität in Deutschland wird immer vielfältiger. Dies hat auch die Bundesregierung erkannt. Wie Sie in Ihrem Antrag richtig festgestellt haben - jetzt kommt ein Lob -, ändert sich das Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger. Um auf diese Entwicklung zu reagieren, setzen wir in einem vernetzten Verkehrssystem auf die spezifischen Stärken eines jeden einzelnen Verkehrsträgers. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Und führen die Pkw-Maut ein!) Die Vielfalt der Mobilität ist unser Leitprinzip. Zur Vielfalt der Mobilität gehört, dass wir innovative Verkehrskonzepte fördern und neue Mobilitätsoptionen schaffen. (Gustav Herzog [SPD]: Da sind wir gespannt!) Elektrofahrzeuge, Carsharing und öffentliche Fahrradverleihsysteme sind die Stichworte, mit denen wir uns jetzt beschäftigen. Das wollen wir voranbringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der SPD) In vielfältigen Initiativen wie dem Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität oder dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie wirkt die Bundesregierung aktiv an der zukünftigen Verkehrsgestaltung mit. Die Verkehrspolitik der Koalition ist modern, nachhaltig, vielfältig und orientiert sich an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger. Wir arbeiten mit aller Kraft daran, die Verkehrspolitik für Deutschland und Europa optimal zu gestalten. Sie sind aufgefordert, sich aktiv daran zu beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Herbert Behrens. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hörten eben einen Bericht der Großen Koalition, die ihre vierjährige gemeinsame Verkehrspolitik kurz hat Revue passieren lassen. Ich meine, diese müsste man noch ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen. In dem Antrag der SPD geht es darum, dass der erfolgreiche Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fortentwickelt werden soll. Das setzt erstens voraus, dass es diesen erfolgreichen Ansatz gibt, (Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Gustav Herzog [SPD]: Den hat es gegeben!) und zweitens, dass man ihn wirklich fortsetzen will. Beides kann ich im Unterschied zu Ihnen, Frau Lühmann, so nicht erkennen. Sie haben eben dargestellt, welche konkreten Aussagen dieser Antrag beinhaltet. Ich erkenne diese inhaltlichen Forderungen nicht. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie sind mit Ihrer Politik ja auch überhaupt nicht konsistent! Sie haben ja bis heute noch keine gemacht! Das ist doch das Problem!) Ich finde vielmehr, Herr Beckmeyer, Ihr Antrag ist eine Ansammlung von verkehrspolitischen Phrasen und Widersprüchen. (Beifall bei der LINKEN) Sie schreiben, die CO2-Belastung habe, bedingt durch den Autoverkehr, seit 1990 zugenommen. Hier von erfolgreicher Verkehrspolitik zu sprechen, das geht nun wirklich nicht. Mobilität habe ihren Preis, heißt es an anderer Stelle in Ihrem Antrag. Dazu gehöre Verkehrslärm, Luftverschmutzung und Flächenverbrauch. Sie führen aber auch an, dass im Straßenverkehr in Deutschland jährlich 4 000 Menschen getötet und 70 000 schwer verletzt werden. Das ist eine Bilanz. Das ist aber keine Bilanz einer erfolgreichen Verkehrspolitik, sondern, im Gegenteil, die Bilanz einer erfolglosen und kontraproduktiven Verkehrspolitik. (Beifall bei der LINKEN - Uwe Beckmeyer [SPD]: Da merkt man wieder, dass Sie sich mit diesem Thema noch nicht intensiv beschäftigt haben!) Das ist auf jeden Fall kein erfolgreicher Ansatz. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ja Hohn, was Sie erzählen!) - Wenn Sie sagen, dass das Hohn ist, sollten Sie Ihren eigenen Antrag lesen. Das steht nämlich so in diesem Antrag drin. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie wissen doch, von welchen Zahlen bei den Verkehrstoten wir kommen? Das ist unglaublich!) Sie machen in Ihrem Antrag Ausführungen zur sozialen Dimension der Verkehrspolitik. Doch auch hier machen Sie keine konkreten Lösungsvorschläge. Sie bleiben bei der Beschreibung und vermeiden beispielsweise die Aussage, dass ärmere Menschen durch Fahrpreiserhöhungen beim ÖPNV ausgeschlossen werden. Sie können nicht spontan eine Fahrt unternehmen und haben Schwierigkeiten, mit dem öffentlichen Personennahverkehr zu ihrer schlecht bezahlten Arbeitsstelle zu kommen. Wenn Sie das jetzt so sehen, frage ich mich: Warum haben Sie unseren Anträgen, beispielsweise zur Einführung einer Sozial-Bahncard, nicht zugestimmt? (Beifall bei der LINKEN) Sie haben es auch abgelehnt, Sozialticketinitiativen vor Ort zu unterstützen. Immer dann, wenn es konkret wird, entziehen Sie sich der Verantwortung. Das werden wir nicht akzeptieren. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist alles Schwätzerei, was Sie erzählen!) - Herr Kollege Beckmeyer, da Sie gerade "Schwätzerei" gesagt haben, (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja! Mehr kann ich dazu nicht sagen!) nenne ich Ihnen einige Beispiele. Ein Vorschlag, den wir eingebracht haben, um für mehr Verkehrssicherheit zu sorgen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren, ist die Einführung eines Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen. Diesen Antrag haben wir vor zweieinhalb Jahren eingebracht. Sie haben ihn abgelehnt, obwohl der Parteitag der SPD nur zwei Wochen zuvor festgestellt hat: Wir brauchen ein Tempolimit, und die Bundestagsfraktion soll diese Forderung aufgreifen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie waren noch nie in einer Koalition! Ich merke schon: Politisch erfahren sind Sie nicht!) Ein weiteres Beispiel ist die Umstellung der Kfz-Steuer hin zu einer Bemessung nach dem CO2-Ausstoß. Auch diese Forderung haben Sie nicht vernünftig umgesetzt. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja, ja! Reden Sie nur!) Im Gegenteil, Ihr damaliger Umweltminister Sigmar Gabriel hat diese Umstellung blockiert. Umweltverbände haben ihn deshalb schon damals als Autominister bezeichnet; ich meine, zu Recht. (Beifall bei der LINKEN - Uwe Beckmeyer [SPD]: Arbeiten Sie sich nur weiter an den Sozialdemokraten ab! Dann haben Sie Ihren gesellschaftlichen Auftrag erfüllt! Machen Sie nur weiter so!) Es wurde schon erwähnt: Sie hatten als Regierungspartei elf Jahre Zeit, vier davon in der Großen Koalition. Sie haben es aber nicht geschafft, die Konzepte, die Sie heute fordern, umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt wollen Sie Ihre Versäumnisse erneut auf die Tagesordnung setzen. Sie bringen einen Antrag ein, in dem Sie formulieren, was Sie in den vergangenen elf Jahren nicht durchsetzen konnten. So darf man mit innovativen Verkehrskonzepten nicht umgehen. Ich denke, mit diesem Antrag tun Sie sich selbst keinen Gefallen. (Gustav Herzog [SPD]: Mit dieser Rede tun Sie der Sache keinen Gefallen!) Sie müssen konkreter werden. Denn integrierte Verkehrspolitik ist eigentlich intelligente Verkehrspolitik, und die erwarten wir von Ihnen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Werner Simmling für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Werner Simmling (FDP): Verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! In den vorliegenden Anträgen geht es darum, wie ein Industrieland wie Deutschland seine wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Zukunft im Bereich der integrierten Mobilität gestalten kann: mit Friktionen oder ohne Friktionen. Auf die vielen Selbstverständlichkeiten, die Sie in den vorliegenden Anträgen formuliert haben, möchte ich jetzt gar nicht eingehen. Mobilität hat in unserer Gesellschaft eine Schlüsselfunktion - das wurde vorhin schon gesagt -: Sie schafft die Voraussetzungen für Beschäftigung, Wohlstand und persönliche Freiheit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das soll nach unserem Willen auch in Zukunft so sein. Uns geht es darum, langfristig für jedermann - das betone ich ausdrücklich - eine umweltfreundliche und integrierte Mobilität zu ermöglichen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wo es sinnvoll ist, wollen wir die Verlagerung von der Straße auf die Schiene fördern. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Da bin ich mal gespannt!) Gleichzeitig müssen wir den Verkehrssektor auf den Abschied vom Zeitalter der fossilen Energien vorbereiten. Zur kurzfristigen Verbesserung der Klimabilanz werden wir die Optimierung von fossilen Antriebstechnologien verstärken. An dieser Stelle können wir noch sehr schnell Einsparungen von bis zu 30 Prozent realisieren, und zwar ohne Einbußen bei Komfort, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Parallel dazu wollen wir hin zur Elektromobilität. Die Weichen für diesen Strategiewechsel stellen wir jetzt. Wir wollen Deutschland zu einem Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität machen. Bis zum Jahr 2020 wollen wir 1 Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen bringen. Das ist eine Anstrengung bzw. ein Versuch - je nachdem, wie Sie wollen - in einer Größenordnung, die es in Deutschland bisher noch nicht gegeben hat. Wir handeln schnell. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Was?) Aber wir werden uns trotzdem die nötige Zeit nehmen, um diesen Paradigmenwechsel einzuleiten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Immer alles auf einmal: schnell und langsam!) Dieser Strategiewechsel hat Konsequenzen. Er bedeutet nicht nur völlig neuartige Mobilitätssysteme, sondern auch eine vollkommen neue Wirtschaftsstruktur, und zwar weltweit; das muss Ihnen einmal klar werden. Dieser Systemwechsel muss zukunftsfest sein. Die Stabilität unserer Wirtschaft darf dabei zu keinem Zeitpunkt in Gefahr geraten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn er zum Erfolg führen soll, müssen wir in diesem Prozess alle Beteiligten rechtzeitig mitnehmen, um die Zukunft verantwortungsvoll gestalten zu können. Dabei sollen aber nicht ein Strukturbruch in Wirtschaft und Gesellschaft mit vielen Tausenden Arbeitslosen oder ein Zusammenbruch von unzähligen mittelständischen Unternehmen riskiert werden. Das gilt besonders für die Automobilindustrie und die Zulieferer, die derzeit 750 000 Menschen einen Arbeitsplatz bieten. Es gilt, diese Arbeitsplätze zu erhalten und sogar noch auszubauen. Unter Berücksichtigung des eben Gesagten ist die Strategie der christlich-liberalen Koalition nur folgerichtig. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Schwarz-Gelb heißt das!) Am 3. Mai 2010 wird im Kanzleramt ein Elektrogipfel stattfinden, der gleichzeitig den Startschuss für die nationale Plattform zukünftiger Elektromobilität darstellt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Einen Elektrogipfel haben Sie! Auch nicht schlecht! - Gustav Herzog [SPD]: Passen Sie lieber auf, dass es keinen Kurzschluss gibt!) Elektromobilität ist für uns das Zukunftsthema. Es ist eine nationale Herausforderung. Wir brauchen dazu unsere besten Wissenschaftler und Forscher. Wir brauchen ein enges Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Unser Ziel muss es sein, unseren Bürgerinnen und Bürgern in der Zukunft ein integriertes Mobilitätsangebot zu unterbreiten, welches ihren Anforderungen und Wünschen gerecht wird und ihnen die freie Entscheidung lässt. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das steht in unserem Antrag!) Das zukünftige Mobilitätsangebot muss mehr bieten. Es muss umweltfreundlicher, sicherer und komfortabler sein als heutige Lösungen. Dabei muss es für alle bezahlbar und jederzeit verfügbar sein. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Richtig! Das haben Sie gut abgelesen!) - Schön, dass Sie mir da zustimmen. - Der Fortschritt muss sichtbar werden. Nur dann werden wir weltweit weiter an der Spitze bleiben und den gewünschten Erfolg haben. Ein führendes Industrieland wie Deutschland lebt eben nun einmal von seinen technischen Innovationen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Richtig!) Die hier zur Debatte stehenden Anträge vom Bünd-nis 90/Die Grünen und von der SPD beinhalten leider Eingriffe in den Markt und setzen nicht nur Rahmendaten. Sie geben keine zukunftsfähigen Antworten im Hinblick auf die vor uns liegenden Herausforderungen, (Gustav Herzog [SPD]: Sie haben die Anträge doch gar nicht gelesen!) sondern wiederholen nur Altbekanntes. Es wurde vorher bereits auf Verkehrstote und anderes eingegangen. Das wissen wir alles. Heute schon über finanzielle Anreize beim Kauf oder die Größe von Kraftfahrzeugen zu spekulieren, ist absolut verfrüht. Der Elektrogipfel am 3. Mai 2010 wird ein wichtiger Meilenstein (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ein Kurzschluss! Sind Sie sicher, dass das ein Elektrogipfel ist?) unserer durchdachten, verantwortungsvollen und damit überzeugenden Strategie auf dem Weg zur Zukunft der Elektromobilität sein. Sie können sich gerne daran beteiligen und den Erfolg dann mit uns gemeinsam feiern. In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das war jetzt ein Kurzschluss!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat die Kollegin Dr. Valerie Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu dem Antrag der SPD ist fast alles gesagt worden; dem brauche ich eigentlich nichts hinzuzufügen. Von einer Partei, die elf Jahre die für die Verkehrspolitik verantwortlichen Minister gestellt hat, muss mehr kommen, als nach dem großen Gesamtentwurf zu verlangen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN - Uwe Beckmeyer [SPD]: Haben Sie sonst noch etwas zu bieten?) Die Menschen in unserem Land wollen Antworten, sie wollen von uns ganz konkret wissen, mit welchen Vorschlägen wir unser Land voranbringen wollen, zum Beispiel bei dem wichtigen Zukunftsthema Elektromobilität. (Gustav Herzog [SPD]: Da bin ich gespannt!) Noch enttäuschender als der Antrag der SPD ist nur die Regierung: Sie macht ihre Arbeit schlecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der FDP: Sie haben so gut angefangen!) Erinnert sei nur an das Gutachten der Expertenkommission "Forschung und Innovation". Es besagt ganz deutlich: Deutschland ist kein Leitmarkt für Elektromobilität. Jetzt bestätigt Ihnen auch noch der Bundesrechnungshof - Sie bekommen es schriftlich -: Die vorhandenen Mittel für Elektromobilität werden "zu langsam, zu bürokratisch und zu unkoordiniert" eingesetzt. Das kennen wir schon von der Hotelbesteuerung: Eine schlechte Idee wurde auch noch bürokratisch umgesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ist das der Maßstab der neuen Regierung? Wir Grüne halten dagegen: Mit unserem Antrag zur Elektromobilität zeigen wir, dass Politik aus einem Guss möglich ist. Vier Punkte sind für uns entscheidend: Erstens sorgen wir langfristig dafür, dass der CO2-Ausstoß des Verkehrs endlich reduziert wird. Bislang kennt der Verkehr nur eine Steigerung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase. Zweitens können wir Deutschland auf einem wichtigen Zukunftsmarkt nach vorne bringen und dafür sorgen, dass wir bei Forschung und Entwicklung nicht den Anschluss verlieren. Mit einem umfassenden Forschungs- und Entwicklungsprogramm wollen wir den technologischen Rückstand aufholen. Drittens schaffen wir die Voraussetzungen für eine neue Mobilität, die unabhängig von den zur Neige gehenden fossilen Ressourcen ist. Viertens können wir mit intelligenten Systemen zur Stabilität des Stromnetzes beitragen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN - Uwe Beckmeyer [SPD]: Was ist daran neu?) Klar ist jedoch: Von allein wird hier wenig passieren. Wenn wir jetzt untätig bleiben, werden Elektrofahrzeuge in Deutschland wie in den letzten 20 Jahren neugierig bestaunte Prototypen auf Automobilmessen bleiben. Es wäre der absolut falsche Weg, wenn wir bei dieser Ankündigungspolitik blieben. Die Menschen würden sich von der Politik immer mehr abwenden, und die Arbeitsplätze würden dorthin abwandern, wo heute Milliarden in die Elektromobilität fließen: nach China, Korea und Japan. Das kann nicht in unserem Interesse sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen müssen wir heute investieren. Mit einem Marktanreizprogramm wollen wir besonders saubere Fahrzeuge wie Elektromobile oder Plug-in-Hybride mit einer Barprämie von 5 000 Euro fördern, und zwar kostenneutral; wir müssen nur die Kfz-Steuer endlich reformieren und zu einem Bonus-Malus-System umgestalten. Werte Kolleginnen und Kollegen, im postfossilen Zeitalter wird sich unsere Mobilität ändern. Es wird darauf ankommen, die Stärken der einzelnen Verkehrsträger aufeinander abzustimmen. Elektromobilität bedeutet nicht einfach ein paar neue Autos mit anderem Antrieb, Elektromobilität muss in ein umfassendes grünes Mobilitätskonzept integriert sein. Müssen wir denn immer alle Strecken mit dem eigenen Auto fahren? Die junge Generation macht es uns vor, Sie ist nicht mehr so autofixiert: Die Bahn für die Langstrecke, ÖPNV oder Carsharing vor Ort. Auf eines will ich explizit hinweisen: Das alles ist nur sinnvoll, wenn erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. Unser Antrag zeigt deutlich, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen, um einer Zukunftstechnologie zum Durchbruch zu verhelfen. Hier werden nicht - wie bei der Abwrackprämie - für veraltete und umweltschädliche Ideen Milliarden verplempert, sondern Ökonomie und Ökologie sinnvoll verbunden. Die Bundesregierung hat eine nationale Plattform für Elektromobilität bisher nur angekündigt. Geschehen ist nichts. Wir fordern Sie auf, endlich zu handeln und breite gesellschaftliche Gruppen einzubeziehen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) denn eines ist doch klar: Nur mit einem breiten Bündnis ist der Rückstand aufzuholen, und die Zukunft des Verkehrs ist grün. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt ist die Ampel aber auf Rot geschaltet!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Steffen Bilger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antriebsart für den motorisierten Individualverkehr der Zukunft ist der Elektromotor. In dieser Form der Fortbewegung stecken viele Chancen für die Lebensqualität der Bevölkerung, für die deutsche Wirtschaft und insbesondere auch für die Umwelt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit der Nutzung von erneuerbaren Energien für die Elektromobilität - und hierfür stehen wir als Union - werden Luftverschmutzung, Lärmbelastung, CO2-Emissionen, Treibstoffkosten und die Abhängigkeit vom Öl verringert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Thema Elektromobilität ist eines der großen Zukunftsthemen, wie auch heute Morgen im Plenum in Bezug auf die europäische Agenda 2020 noch einmal verdeutlicht wurde. Weil die Elektromobilität so viele Chancen bietet, dürfen wir dieses Thema nicht verschlafen, und das tun wir auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung hat mit ihrem Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität und mit ihrem klaren Bekenntnis im Koalitionsvertrag die Weichen gestellt. Kollege Simmling hat darauf hingewiesen: Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität werden. - Es ist richtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Elektromobilität zur Chefsache erklärt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dass im Grünen-Antrag ausdrücklich ein Programm "Anwendbare nächste Generation von Energiespeichern und Leistungselektronik in Automobilen" - kurz: ANGELA - gefordert wird, habe ich durchaus erfreut zur Kenntnis genommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dadurch wird doch unterstrichen, dass auch die Grünen das Engagement der Bundeskanzlerin anerkennen. Am 3. Mai 2010 findet jedenfalls der Kanzlergipfel zur Elektromobilität statt. Wir begrüßen diese Initiative der Bundesregierung ausdrücklich. Wenn ich mir den SPD-Antrag anschaue, dann muss ich schon sagen: Die Bedeutung des Themas Elektromobilität ist zwar unbestritten - alle reden davon -, nichtsdestotrotz kommt die Elektromobilität in Ihrem Antrag weder inhaltlich noch vom Wort her vor; Frau Dr. Wilms hat bereits darauf hingewiesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE] - Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir haben gestern eine Pressekonferenz dazu durchgeführt, Herr Kollege!) Dabei geht es Ihnen doch angeblich um nachhaltige Mobilität. Dass Nachhaltigkeit gerade bei der Mobilität wichtig ist, wird hier im Hause wahrscheinlich keiner bestreiten. Wer von Nachhaltigkeit in der Verkehrspolitik spricht, der darf die Elektromobilität nicht verschweigen. Wir als Union reden über beides und handeln auch. (Beifall bei der CDU/CSU) Weil wir nachhaltige Mobilität wollen, haben wir im Koalitionsvertrag mit der FDP festgelegt, ein umfassendes Entwicklungsprogramm aufzustellen. Außerdem haben wir das Ziel, bis zum Jahr 2020 1 Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen zu bringen. Ein zukunftsweisendes, ganzheitliches Verkehrskonzept steht ebenfalls auf dem Programm, von der Weiterentwicklung der Brennstoffzelle und der Wasserstofftechnologie und vom Aufbau eines Ladestellennetzes für Elektrofahrzeuge in Ballungsräumen ganz zu schweigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dabei ist unser Ziel von 1 Million Elektrofahrzeugen auf deutschen Straßen bis 2020 bereits ambitioniert. Eine glatte Verdopplung auf 2 Millionen, wie es die Grünen in ihrem Antrag fordern, ist nach allem, was uns Experten sagen, unrealistisch und lehnen wir daher ab. Auch die Grünen-Forderung der direkten Marktanreize durch eine 5 000-Euro-Barprämie beim Kauf eines Elektroautos ist für uns nicht tragbar, (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Abwrackprämie war es!) zumal derzeit nicht erkennbar ist, dass die Prämie den deutschen Unternehmen zugutekommen würde. Viel sinnvoller wäre beispielsweise eine direkte Förderung bei Taxis, Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs, Carsharing-Wagen, öffentlichen Fuhrparks oder bei Kurierdiensten im Innenstadtbereich, (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr guter Vorschlag!) sobald eben die nötigen Kapazitäten vorhanden sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Investiertes Geld ist besser in Forschung und Entwicklung angelegt. Hier gilt es, besonders die Speichertechnologie und Batterieproduktion weiter voranzutreiben. Wir müssen hier an die Weltmarktspitze aufschließen. Jetzt aber bereiten wir uns auf den Kanzlergipfel am 3. Mai vor und warten seine Ergebnisse ab. Nach dem Gipfel müssen und werden wir die Diskussion im Verkehrsausschuss und im Parlament weiterführen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Bilger, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen weiterhin viel Freude und Erfolg. (Beifall) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1060 und 17/1164 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Menschenrechte weltweit schützen - Drucksachen 17/257, 17/1135 - Berichterstattung: Abgeordnete Ute Granold Christoph Strässer Marina Schuster Annette Groth Volker Beck (Köln) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Strässer, Angelika Graf (Rosenheim), Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Menschenrechtsverteidiger brauchen den Schutz der Europäischen Union - Drucksache 17/1048 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Schutz für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger - Drucksache 17/1165 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Serkan Tören für die Fraktion der FDP das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Serkan Tören (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, wie sehr ich mich über die Ernennung von Markus Löning zum neuen Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe freue. Gerade für meine Kollegen war Markus Löning immer ein sehr geschätzter Parlamentarier in persönlicher wie fachlicher Hinsicht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Zuruf von der FDP: Eine sehr gute Wahl ist das! - Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso ist er eigentlich kein Bundestagsabgeordneter geworden?) - Deshalb habe ich auch "war" gesagt, Herr Beck. Konzentrieren Sie sich doch bitte! (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das hat er gemacht!) Kommen wir nun zu den Anträgen. Zur Bewertung der Anträge der Opposition ist zu sagen, dass der EU-Ministerrat Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern verabschiedet hat, um das langfristige Handeln der EU gegenüber Drittstaaten zu verbessern. Die von Deutschland nachdrücklich unterstützten Leitlinien sehen zum Beispiel den Aufbau und die Pflege systematischer Kontakte zu Menschenrechtsverteidigern durch die EU-Auslandsvertretungen vor. Deutschland setzte sich während der Dauer der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 für die konsequente Umsetzung der Leitlinien zu Menschenrechtsverteidigern ein und ergriff die Initiative zur weltweiten Erarbeitung lokaler Implementierungsstrategien der EU. Die derzeitige Bundesregierung fördert die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern weltweit nach Kräften. Sie setzt sich insbesondere für ihren verbesserten Schutz und die umfassende Anerkennung ihrer Tätigkeit im menschenrechtlichen Sinne ein. Die christlich-liberale Koalition ist sich dessen bewusst, dass ohne das mutige Wirken von Menschenrechtsverteidigern die weltweite konsequente Durchsetzung der Menschenrechte undenkbar wäre. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Unterstützung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigern stellt daher auch einen Schwerpunkt der Projektförderung des Auswärtigen Amtes im Bereich der Menschenrechte dar. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die meisten Forderungen in dem SPD-Antrag als überflüssig gelten können, da sie bereits Bestandteil der Leitlinien der aktuellen Bundesregierung sind und, insbesondere was die Forderung in Punkt 7 des SPD-Antrages angeht, durch unseren Antrag "Menschenrechte weltweit schützen" abgedeckt werden. (Christoph Strässer [SPD]: Eben nicht!) Wir lehnen daher die Anträge der Opposition ab. Ich bitte hier im Hohen Hause um Zustimmung zu unserem Antrag "Menschenrechte weltweit schützen". Die christlich-liberale Koalition hat einen sehr ausgewogenen und in sich stimmigen Antrag eingebracht. Punkt für Punkt werden in diesem Antrag Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Für uns als FDP ist klar, dass alle Menschen schon allein aufgrund ihres "Menschseins" die gleichen universellen, unveräußerlichen und unteilbaren Grundrechte besitzen. Nicht zuletzt steht die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland in direktem Zusammenhang mit dem konsequenten Eintreten für die Menschenrechte in der Innen- und Außenpolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch setzen wir uns für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe sowie für das absolute Folterverbot ein. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber mutig!) Regime, die ihre Bürger steinigen und ihren Kindern Bildung verweigern, die das Internet zensieren und Journalisten ermorden lassen und die Glaubensfreiheit mit Füßen treten, müssen unseren Druck spüren. All dies ist in unserem Antrag eindrucksvoll dargelegt und wird das Fundament unserer Menschenrechtspolitik für die nächsten vier Jahre sein. Lassen Sie mich abschließend auf zwei konkrete Beispiele eingehen, die die Wichtigkeit unseres Antrages "Menschenrechte weltweit schützen" noch einmal dokumentieren, nämlich zum einen die Menschenrechtslage im Iran und zum anderen die Menschenrechtslage in Kuba. Deutschland und seine Partner stehen hinsichtlich des Irans vor der doppelten Herausforderung, einerseits eine konstruktive Lösung im Streit um das iranische Nuklearprogramm zu finden und gleichzeitig einen Beitrag zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran zu leisten. Mit wachsender Sorge verfolgen wir als FDP die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate im Iran. Ich möchte ausdrücklich die schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran scharf verurteilen. Die blutige Niederschlagung von Demonstrationen, die Unterdrückung von Meinungen und die unerträgliche Missachtung weiterer elementarer Menschenrechte können und dürfen wir nicht ignorieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch vor dem Hintergrund des iranischen Nuklearprogramms muss die internationale Gemeinschaft ein deutliches Signal an Teheran senden. Dabei wird entscheidend sein, dass sich Sanktionen nicht gegen die Bevölkerung, sondern gezielt gegen die das Regime tragenden Kräfte richten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Außenwirtschaftsbeziehungen zum Iran?) Es bleibt zu hoffen, dass die iranische Regierung bald erkennt, dass sie durch ihre provokative Außenpolitik nicht von ihrer Unfähigkeit, die materiellen und freiheitlichen Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen, ablenken kann. Der Mut der Opposition in den Monaten seit der Präsidentschaftswahl hat gezeigt, dass der Wille zur Veränderung ungebrochen ist. Die Menschen im Iran sollten wissen: Wir sind fest an ihrer Seite. Auch in Kuba ist die Menschenrechtslage mehr als prekär. Als FDP-Bundestagsfraktion möchten wir unsere Bestürzung über die Nachricht vom Tod des kubanischen Menschenrechtsaktivisten Orlando Zapata Tamayo zum Ausdruck bringen. Als Mitglied der Oppositionsgruppe Republikanische Alternative starb Zapata Tamayo nach 85-tägiger Leidenszeit aufgrund eines Hungerstreiks in einem kubanischen Gefängnis. Die Vorstellung, dass Herrn Tamayo vorsätzlich zu lange ärztliche Hilfe vorenthalten wurde, ist unerträglich. Als FDP protestieren wir ausdrücklich gegen diese menschenverachtende Unterlassung von lebenserhaltenden Maßnahmen und fordern die rückhaltlose Aufklärung der Geschehnisse um den tragischen Tod. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von der LINKEN) - Dass Sie das stört, ist mir klar. Ferner sind wir tief besorgt über den körperlichen Zustand des unabhängigen kubanischen Journalisten Guillermo Fariñas, den wir als FDP in seiner Forderung, alle kranken politischen Häftlinge aus kubanischen Gefängnissen freizulassen, ausdrücklich unterstützen. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und fordern von der Republik Kuba, alle politischen Gefangenen unverzüglich und bedingungslos freizulassen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte die kubanische Regierung mit Nachdruck daran erinnern, dass die Inhaftierung von politischen Gegnern sowie die Vorenthaltung von deren medizinischer Versorgung schwerwiegende Menschenrechtsverstöße sind, die die politische Glaubwürdigkeit der Republik Kuba schwer erschüttern. Lassen Sie Fariñas nicht dasselbe Schicksal erleiden wie Tamayo und beenden Sie die menschenrechtswidrige Inhaftierung von politischen Oppositionellen! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An einer Stelle schließe ich mich Ihren Ausführungen an, Herr Tören. (Zuruf von der FDP: Sie können sich ganz anschließen! - Erika Steinbach [CDU/CSU]: Nur an einer Stelle?) - Ja, schon das ist eigentlich übertrieben, aber ich mache es trotzdem. - Dem Glückwunsch an den neuen Menschenrechtsbeauftragten schließe ich mich ausdrücklich an. Ich weiß zwar noch nicht, welche Politik er in diesem Bereich verfolgen wird, weil ich bisher noch nichts von ihm dazu gehört habe, aber das muss nicht schlecht sein. Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn es zu einer guten und konstruktiven Zusammenarbeit kommen würde. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU - Dr. Rainer Stinner [FDP]: Und Kuba?) Allem anderen, was Sie gesagt haben, Herr Kollege, muss ich ernsthaft widersprechen, zumindest Ihrer Aussage, Sie hätten einen guten Menschenrechtsantrag vorgelegt, mit dem Sie etwas umgesetzt hätten, das Sie irgendwo anders niedergeschrieben haben. Das, was ich in Ihrem Antrag lese, ähnelt Ihrem Koalitionsvertrag: erstens nichts Neues, zweitens alte Kamellen, und drittens wird nichts umgesetzt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Umgesetzt wird gar nichts. Er enthält eine Reihe von massiven Ankündigungen, aber damit ist es auch gut. Ich werde noch auf einzelne Punkte eingehen. Denn in Ihrer Überschrift über diesem Antrag fehlt ein entscheidender Satz. Der Titel lautet "Menschenrechte weltweit schützen", und wenn man Ihren Antrag weiterliest, dann wird klar: aber nicht in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Serkan Tören [FDP]: Da sind wir gespannt!) - Ja, darauf können Sie gespannt sein. Auch wir haben einen Antrag vorgelegt. Sie haben völlig recht. Der Antrag ist gut, und er ist richtig. Wir haben ihn deshalb formuliert, weil Sie bei Ihren Ausführungen etwas vergessen haben, nämlich dass es eine spanische EU-Ratspräsidentschaft gibt, die festgestellt hat, dass das, was die EU-Richtlinie zu diesem Thema umfasst, nicht ausreicht. Sie hat dafür eine Kommission eingesetzt. COHOM hat die Arbeit bereits aufgenommen. Die aktuellen Schlussfolgerungen des Rates zur Änderung der EU-Richtlinie über Menschenrechtsverteidiger enthalten 64 Empfehlungen. Die Schlüsselrolle bei diesen Empfehlungen spielen Punkte, die gerade auch in Deutschland in den Umsetzungsrichtlinien noch nicht ausreichend verwirklicht worden sind. Sie enthalten zum Beispiel so etwas wie Koordinierungsstellen oder Kontaktstellen in allen EU-Botschaften, in den Botschaften aller Länder. Da geht es nicht, wie Sie es ganz verschämt in Punkt 17 Ihres Antrags schreiben, darum, dass es da gute Beziehungen gibt, dass man das unterschreibt und gegebenenfalls unter den Bedingungen des Ausländerrechtes auch bedrohten Menschenrechtsverteidigern Zugang zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gewährt. Dies, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist pure Ankündigungspolitik. Das hat noch nicht einmal etwas mit den Richtlinien der OSZE zu tun, sondern das ist schlicht und ergreifend viel zu wenig und entspricht nicht dem Stand in vielen anderen EU-Ländern, die uns in diesem Bereich etwas vormachen. (Beifall bei der SPD) Noch zwei Anmerkungen zu den Menschenrechtsverteidigern, die mir wichtig sind und die mich dann auch dazu bringen, noch einmal zu Ihrem Antrag Stellung zu nehmen: Ich will jetzt gar nicht abstrakt darüber reden, was in den entsprechenden Beschlüssen der VN-Generalversammlung von 1998 steht, sondern nur einmal zwei Namen nennen, die Menschenrechtsverteidiger im Moment aktuell betreffen und auch bei uns diskutiert werden. Der eine ist Kamal al-Labwani; er wird Ihnen wahrscheinlich aus den menschenrechtlichen Debatten bekannt sein. Herr Labwani ist 53 Jahre alt, er ist Arzt und Künstler, er ist mehrfacher Familienvater. Er ist wegen "Schwächung des Nationalgefühls", wegen "Kommunikation mit einem ausländischen Staat zur Anstachelung eines Angriffs auf Syrien" und wegen Verleumdung eines Staatsoberhauptes verurteilt. Herr Labwani sitzt seit 2005 im Adra-Gefängnis in Damaskus im Flügel Nr. 5; auch er ist unter Menschenrechtlern bekannt, weil dort die Gewaltkriminellen sitzen, weil dort gefoltert wird und weil dort medizinische Behandlung für die Gefangen nicht stattfindet. Ich nenne Anwar el-Bunni; ihn kennen Sie wahrscheinlich auch. Er hat im Dezember 2009 den Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes verliehen bekommen. Er ist seit 2007 inhaftiert. Der Vorwurf: Verbreitung staatsgefährdender Falschinformationen. Seine Tat: Anprangerung systematischer Folter in syrischen Gefängnissen. Das ist jetzt der Übergang zu dem, was aus meiner Sicht in Ihrem Antrag fehlt: die komplette innenpolitischen Dimension der Menschenrechtsfrage. Deshalb habe ich Syrien genannt. Wir haben ja nun mit großer Verbitterung und Empörung vernommen, dass das, was Ihre Bundesregierung im Dezember noch für richtig befunden hat, nämlich die Aussetzung des Rückführungsabkommens mit Syrien, jetzt wieder eingeführt worden ist. Meine Damen und Herren, ich kenne die Argumente mit Einzelfallprüfung und allem, was damit zusammenhängt. Aber wenn selbst die Bundesregierung, wenn selbst der Innenminister, wenn ein Völkerrechtler wie Herr Tomuschat bei der Verleihung des Preises an Herrn al-Bunni sagt, Syrien sei ein Folterstaat, dann kann ich doch bitte schön nur darauf hinweisen, dass es der Menschenwürde widerspricht, wenn man in einen solchen Staat, in dem systematisch gefoltert wird, Menschen zurückführt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das heißt aus meiner Sicht völlig klar und eindeutig: In diesem Fall geht es nicht um Einzelfallprüfung, sondern in diesem Fall geht es um das Verbot der Rückführung in einen solchen Staat. - Das ist ein Punkt, um den wir uns zu kümmern haben. Ein zweiter Punkt ist dann, wie ich finde, schon eine sehr bemerkenswerte Geschichte: An keiner Stelle des Antrags "Menschenrechte weltweit schützen" befassen Sie sich mit der Situation von Flüchtlingen, an keiner Stelle! Ich kann Ihnen nur sagen - wir haben das in unserem Ausschuss und in anderen Ausschüssen massiv diskutiert -: Was an den Grenzen der Europäischen Union mit Unterstützung der Bundesregierung abläuft, ist ein menschenrechtlicher Skandal. Diesen Skandal in einem solchen Antrag nicht zu benennen, ist ein weiterer Skandal. Diesen Skandal werden wir auch immer und immer wieder benennen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Serkan Tören [FDP]: Das hat Steinmeier alles ausgehandelt! Das müssen Sie Steinmeier sagen!) - Da können Sie empört sein, wie Sie wollen, da können Sie auch sagen, wer das früher alles gemacht hat. Sie behaupten in diesem Antrag, Sie machten eine konsequente und kohärente Menschenrechtspolitik. Aber Sie tun es an dieser Stelle nicht nur nicht, sondern machen sogar noch das genaue Gegenteil. Dafür werden wir Sie auch in allen öffentlichen Diskussionen stellen; das ist völlig klar. (Beifall bei der SPD - Serkan Tören [FDP]: Was sagt dazu Herr Schily?) Es gibt noch eine andere Geschichte, die aus meiner Sicht sehr wichtig ist: Sie fordern in Ihrem Antrag - wie ich finde: zu Recht - die Einhaltung, die Umsetzung und die Ratifizierung völkerrechtlicher Abkommen durch andere Staaten, die dies noch nicht getan haben. Auf der anderen Seite tun Sie aber so, als hätten wir das alles schon erledigt. Ich frage Sie: Wo sind denn die Feststellungen zum Beispiel zum Zusatzprotokoll zum WSK-Abkommen? Wenn es darum geht, einmal exakt zu sagen, dass es in diesem Bereich ein Beschwerderecht gibt, kneifen Sie. Nichts kommt, nichts steht in Ihrem Antrag. Ich halte dies für ein eklatantes Versagen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Gespräche, in denen Sie anderen Ländern vorhalten, etwas zu tun oder zu unterlassen. Sie selber tun nichts, und das ist Doppelstandard in der Menschenrechtspolitik. Das ist gefährlich, und das halten uns andere Länder zu Recht vor. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber es gibt nicht nur diesen Part. Es geht auch noch um ein paar andere Dinge. Ich will darauf hinweisen, wo in Ihrem Antrag nach meiner Meinung ebenfalls ein Doppelstandard zum Ausdruck kommt - Frau Steinbach, Sie werden das wahrscheinlich relativieren -: bei der Religionsfreiheit. Ich kann nur sagen: Jeder Satz zur weltweiten, universellen Religionsfreiheit ist richtig. Herr Tören, Sie haben gerade die Situation im Iran angesprochen. (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Die Bahai!) Die am meisten gefährdeten Menschen im Iran sind wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit angeklagt und von der Todesstrafe bedroht: die Bahai. Jetzt sagen Sie einmal den Bahai: Die Menschenrechtspolitik in Deutschland ist darauf ausgerichtet, die Religionsfreiheit unter besonderer Berücksichtigung des Christentums durchzusetzen. Das ist ein doppelter Standard; das geht nicht. Die Religionsfreiheit muss für alle Religionen auf dieser Welt gleichermaßen gelten, nicht besonders für bestimmte Religionen. Wenn Sie das nicht vertreten, verabschieden Sie sich von einer glaubwürdigen Menschenrechtspolitik. Deshalb können wir Ihrem Antrag auf keinen Fall zustimmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Erika Steinbach ist nun die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. Erika Steinbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Menschenrechte sind universell, unteilbar und unveräußerlich. (Christoph Strässer [SPD]: Das gilt für alle gleich, oder?) Herr Strässer, für Sie mögen das olle Kamellen sein; aber man kann das nicht oft genug wiederholen. Nur steter Tropfen höhlt den Stein; das möchte ich deutlich hinzufügen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte etwas zu Ihren Ausführungen sagen. Ich war doch schon ein wenig verblüfft: (Christoph Strässer [SPD]: Das glaube ich!) Bis vor kurzem haben Sie all das, was zu den EU-Außengrenzen geregelt wurde, als Regierungsfraktion mitgetragen. (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) Heute, ein paar Monate später, stellen Sie das an den Pranger und klagen es an. Da ist irgendwo etwas Schizophrenie im Spiel. Sie sind da zu sich selber nicht ganz ehrlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Manfred Grund [CDU/CSU]: Das Sein bestimmt das Bewusstsein! - Gegenruf des Abg. Christoph Strässer [SPD]: Ja, da liegen Sie bei Frau Steinbach richtig!) Die Menschenrechte sind leider in vielen Teilen der Welt nicht einmal ansatzweise Realität. Wir können das beklagen, wir wollen das beklagen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen etwas tun, nicht nur klagen!) Wir müssen alles tun, damit es sich bessert. In einigen Regionen befinden sich Menschenrechte sogar auf dem Rückzug; das kann man leider nicht verkennen. Die Einforderung des besonderen Schutzes von Minderheiten und der Einsatz gegen jegliche Benachteiligung aufgrund von Religion und ethnischer Herkunft sind aktueller denn je. Herr Strässer, da haben Sie recht: Im Iran sind die Bahai die am intensivsten verfolgte Religionsgruppe. Wir haben erst vor wenigen Tagen mit dem Vorsitzenden der Bahai hier in Deutschland gesprochen; das wissen Sie genauso gut wie ich. Natürlich gehört es bei der Religionsfreiheit dazu, dass wir uns hinter die Bahai stellen; das ist doch selbstverständlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christoph Strässer [SPD]: Nein, eben nicht!) In der vergangenen Woche drohte der türkische Ministerpräsident Erdoðan, bis zu 100 000 im Lande lebende Armenier auszuweisen. Das sind Drohgebärden, die den Umgang der Türkei mit ihren christlichen Minderheiten schlaglichtartig und massiv erhellen. Sie bewirken noch etwas anderes: Sie erinnern beklemmend an den Genozid des Osmanischen Reiches an den Armeniern und den anderen Christen damals in den Jahren 1915 und 1916. So nimmt es auch nicht Wunder, dass der türkische Staat bis zum heutigen Tage nicht bereit ist, diese traurige Erblast auch nur ansatzweise aufzuarbeiten. Das halte ich bei einem Land, das Mitglied der Europäischen Union werden will, schon für einen Skandal. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es ist gut und richtig, dass sich der Deutsche Bundestag für Menschenrechte weltweit einsetzt. Ich halte es für genauso unverzichtbar, dass wir - Herr Kollege Strässer, da gebe ich Ihnen recht - auch vor unserer eigenen Tür kehren, dass wir uns mit Defiziten im eigenen Lande auseinandersetzen. Da muss ich schon sagen: Die bundesweiten Berichte der letzten Wochen und Monate über sexuellen Missbrauch von Kindern schrecken zutiefst auf. Es ist gut, dass seitens der Bundesregierung intensiv über weitergehende Prävention nachgedacht wird. Es ist gut, dass dabei alle gesellschaftlichen Gruppen eingebunden werden sollen. Allerdings registriere ich in den Debatten der letzten Wochen über die Vergehen mit tiefem Befremden eine Fokussierung auf die katholische Kirche. Hier ist die Gewichtung, bezogen auf die Anzahl der Täter, inzwischen schlicht und ergreifend vollständig verschoben. Auch in katholischen Einrichtungen hat es Missbrauchsfälle gegeben. Auch dort sind nicht in jedem Einzelfall die richtigen Maßnahmen getroffen worden. Aber der katholischen Kirche den Willen zur Aufklärung und das Mitgefühl für die Opfer abzusprechen, das halte ich für schlichtweg infam. Dahinter steckt Methode. Als Nichtkatholikin sage ich das in aller Deutlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Tatsache ist: Die überwiegende Zahl, nämlich rund 99 Prozent dieser scheußlichen Vergehen spielen sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen ab. Der prozentuale Anteil aus dem Bereich katholischer Einrichtungen liegt bei nicht einmal einem Prozent. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das macht die Vorfälle aber nicht besser!) Wenn ich nun die Stimmen aus dem Bereich der Grünen in Richtung katholische Kirche vernehme, so erinnert mich das sehr drastisch an den Täter, der anderen in die Hosentasche greift und ruft: "Haltet den Dieb!" Die Äußerungen der Grünen sind pures Ablenkungsmanöver von sich selbst. (Christoph Strässer [SPD]: Hört! Hört!) Es waren Grüne in der Bundesarbeitsgemeinschaft "Schwule und Päderasten" - so hieß diese Bundesarbeitsgemeinschaft -, die 1985 den Schutz Minderjähriger, den Schutz von Kindern, vor sexuellem Missbrauch insgesamt aufheben wollten. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau dasselbe haben Sie doch schon mal erzählt!) - Es ist eine Menschenrechtsfrage. - Es waren Sie, Herr Kollege Beck, der 1988 eine Entkriminalisierung der Pädosexualität als nächsten Schritt nach der Mobilisierung der Schwulenbewegung einforderte. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch schon einmal gebracht und eine Antwort bekommen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Erika Steinbach (CDU/CSU): Ich will den Gedanken nur zu Ende führen; dann kann er gerne eine Frage stellen. - (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine furchtbare Unterstellung, Frau Steinbach!) Ihre strategischen Überlegungen, Herr Beck, sind nachlesbar als Beitrag in dem Buch "Der pädosexuelle Komplex", das übrigens bis zur Stunde in der Bundestagsbibliothek vorhanden und ausleihbar ist. Es ist gut, Herr Beck, dass Sie sich inzwischen davon distanziert haben. Vielleicht erübrigt sich damit Ihre Frage. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich mache mir große Sorgen um Ihr Erinnerungsvermögen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) da Sie die gleiche Schote schon in der letzten Menschenrechtsdebatte gebracht haben. Da habe ich Ihnen erklärt, dass das damals ein verfälschter, nichtautorisierter Artikel von einem unter Pseudonym veröffentlichten Herausgeber war. Angelika Graf hat unseren Schlagabtausch damals korrekt bewertet. Hätten Sie Anstand, würden Sie sich für Ihre Äußerung entschuldigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass weder ein Verband der Bundespartei der Grünen noch die Bundespartei der Grünen sich jemals die Forderung, die Sie gerade zitiert haben, zu eigen gemacht hat? Wären Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auf meinen Antrag hin der Bundeshauptausschuss, meiner Erinnerung nach im Jahre 1986, die Nichtanerkennung dieser Bundesarbeitsgemeinschaft beschlossen hat und daraufhin eine neue Arbeitsgemeinschaft gegründet wurde? Wenn Sie aus Ihren Political-incorrect-Seiten hier solche Falschbehauptungen zusammenkramen, finde ich das wirklich unanständig, und wenn Sie es zum zweiten Mal tun, dann zeigt das, dass Sie nicht bereit sind, dazuzulernen. Das ist nicht mehr Kollegialität unter Demokraten, und das ist Ihrer nicht würdig, Frau Kollegin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sollten sich vielleicht einmal mit der Vergangenheit Ihres Verbandes auseinandersetzen, wenn Sie schon meinen, für die katholische Kirche hier Entlastungsvorwürfe vorbringen zu müssen. Ich habe das Gefühl, die Deutsche Bischofskonferenz ist da wesentlich weiter als Sie. Sie setzt sich nämlich an die Aufarbeitung, und das ist auch gut so, wenn auch nicht alle Bischöfe gleichermaßen die richtige Tonlage gefunden haben. Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Beck, ich habe eben gesagt, es ist gut, dass Sie sich von diesem Beitrag distanziert haben. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Letztes Mal haben Sie das auch gesagt!) Allerdings muss ich hinzufügen: Wie ich Sie kenne, Herr Beck - Sie sind ein guter Jurist -, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Na ja!) hätten Sie, wenn Sie die Möglichkeit gehabt hätten, dieses Buch längst verboten, wenn es so gewesen wäre, wie Sie hier behaupten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde doch keine Bücher verbieten!) Ich glaube, es ist nötig, zu schauen: Wer hat damals die grüne Bundesarbeitsgemeinschaft "Schwule und Päderasten", Schwup, mitgetragen und ist heute noch bei den Grünen aktiv? Den Vorstellungen auch Grüner entsprach doch das pädosexuelle Binnenleben in der Reformschule im Odenwald. Dieses Eldorado für Kinderschänder unter dem Deckmantel von Fortschritt und moderner Erziehung galt doch als erstrebenswertes Modell. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Unsinn, was Sie da erzählen!) Es ist heute nötig, dass die Grünen einmal in sich gehen, in ihren eigenen Reihen forschen und ihre eigene Vergangenheit aufarbeiten, ehe sie mit dem Finger auf andere zeigen. Ich habe die jüngsten Presseerklärungen gelesen, die vonseiten Ihrer Fraktion dazu abgegeben worden sind. Aber bei der Vergangenheitsbewältigung, so scheint mir, ist Ihnen wohl ein bisschen mulmig zumute. (Frank Schwabe [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!) Anders kann ich die Äußerungen Ihres Kollegen Jerzy Montag, der gerade eingetroffen ist, (Zuruf von der SPD: Er ist schon die ganze Zeit da!) nicht interpretieren. Herr Montag, Sie haben zur Frage der Verlängerung der strafrechtlichen Verjährung gesagt, das sei fundamentalistische Rachsucht. Das kann ich nun wirklich nicht nachvollziehen. Fundamentalistische Rachsucht ist das mit Sicherheit nicht. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, der Herr Montag würde gern eine Zwischenfrage stellen. Erika Steinbach (CDU/CSU): Ja, aber gern. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Kollegin, wenn Sie schon zitieren, wozu Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Erika Steinbach (CDU/CSU): Aber selbstverständlich! Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - dann benennen Sie bitte die Fundstelle und zitieren Sie richtig und vollständig. Ich habe mich in dem in der Zeitung veröffentlichten Artikel ganz konkret und sachlich mit der Frage ausei-nandergesetzt, was für und was gegen die Verlängerung von Verjährungsfristen in bestimmten Bereichen des Zivilrechts und des Strafrechts spricht. Dabei habe ich auch ausgeführt, was nach meiner Überzeugung hinter bestimmten Forderungen steht. Dazu stehe ich und sage es heute noch einmal: Hinter dem, der die Forderung aufstellt, für bestimmte Straftaten - außer Völkermord und Mord - jegliche Verjährungsfristen aufzuheben, vermute ich tatsächlich statt einer rationalen Kriminalitätspolitik eine Strafsucht, die in einem demokratischen Rechtsstaat nichts zu suchen hat. Benennen Sie also bitte die Fundstelle genau und zitieren Sie mich richtig, statt hier solche Verfälschungen vorzutragen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Erika Steinbach (CDU/CSU): Aber Herr Montag, Sie haben das doch im Grunde genommen gerade bestätigt. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kinder über Vorfälle gerade in diesem Bereich häufig nicht reden können, sondern erst darüber reden können, wenn sie erwachsen sind. Deshalb braucht man eine längere Spanne. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum beginnt die Verjährung auch erst später!) Das als eine bestimmte Art zu qualifizieren, macht schon deutlich, dass man das eigentlich wegschieben möchte. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Fundstelle kennen Sie also offensichtlich nicht!) - Das habe ich gerade heute in der Hand gehabt; das war in einem Bericht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja, die Mitarbeiter haben es herausgesucht!) Wenn die Grünen sich seinerzeit mit dem durchgesetzt hätten, was sie im Bereich Pädophilie angedacht haben - in Teilen, natürlich nicht alle -, dann hätten wir heute diese Debatte nicht, weil all das, was wir heute debattieren, überwiegend straffrei gewesen wäre - zulasten von Kindern. Das, meine Damen und Herren, ist massiv gegen Menschenrechte gerichtet. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU - Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich, was Sie da erzählen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Daðdelen für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selten hat man solch unseriöse Reden hier gehört, Frau Steinbach. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Serkan Tören [FDP]: Doch, von Ihnen haben wir schon genug gehört!) Dabei haben Sie auch noch auf falschen Behauptungen beharrt, etwa bezüglich Herrn Beck. Er ist ein guter und engagierter Abgeordneter. Das sage ich, auch wenn ich politisch nicht alle seine Positionen teile. Er ist kein Jurist. Das muss man schon sehen. Selten ist mehr Heuchelei im Deutschen Bundestag zu hören als dann, wenn es um das Thema Menschenrechte geht. Die kurzfristig zeitweilige Aufnahme von Menschenrechtsverteidigern ziehen Sie aus der Koalition in Ihrem Antrag unter den entsprechenden Vorschriften des geltenden Ausländerrechts gegebenenfalls in Erwägung. Angesichts der Tatsache, dass das Ausländerrecht kaum noch Schutz für politisch Verfolgte bietet, ist das eigentlich zynisch. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jahr für Jahr erreichen weniger Flüchtlinge überhaupt den Geltungsbereich dieses Ausländerrechts, weil sie von der Europäischen Union und auch von der Bundesregierung mit martialischen Mitteln wie der Grenzschutzagentur FRONTEX an der Flucht und an der Einreise gehindert werden und im Mittelmeer sterben müssen. Ein wertvoller Beitrag zum Schutz der Menschenrechte ist für die Linke ein freier Zugang für Flüchtlinge und ein umfassendes Asylrecht. (Beifall bei der LINKEN) Doch davon ist in den vorliegenden Anträgen natürlich keine Rede; denn Menschenrechtsverletzungen findet man leider immer nur bei anderen. Glaubwürdig ist man bei Menschenrechten aber nur dann, wenn man bei sich selbst beginnt. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Kuba!) Beim Rüstungsexport haben Sie eine Politik zu verantworten, die Sie unglaubwürdig macht. Wie sonst erklären Sie es sich, staatlich finanzierte Ausstattungshilfe für die Armeen in Georgien, in Nigeria, im Jemen und in Marokko zu leisten? Wie sonst ist zu erklären, dass die deutsche Rüstungsindustrie mittlerweile im internationalen Vergleich auf Platz drei liegt und das weltweite Geschäft mit dem Tod in Deutschland derart boomt? Wie sonst ist es zu erklären, dass Sie zu der monarchistischen Diktatur in Saudi-Arabien einfach immer nur schweigen, aber exzellente Handelsbeziehungen zu ihr pflegen? (Beifall bei der LINKEN) Wie ist die Partnerschaft mit Marokko menschenrechtlich für Sie vereinbar, zumal die Westsahara weiterhin völkerrechtswidrig besetzt ist und ständig Menschenrechte der Saharauis verletzt werden, wie jüngst die Verhaftung von sieben Menschenrechtsaktivisten, die im Hungerstreik sind? Wie sieht es mit Ihrer Menschenrechtspolitik hinsichtlich der Menschenrechtsverteidiger aus Honduras aus? Jesús Garza und Bertha Oliva waren hier im Bundestag und haben über die Menschenrechtssituation in Honduras gesprochen. Der Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung denunziert diese Menschen in der honduranischen Zeitung und nennt sie Spalter. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Jetzt reden wir aber über Kuba!) Ist es mit Menschenrechten vereinbar, dass deutsche Konzerne wie ThyssenKrupp - unterstützt durch Zuschüsse und Steuererleichterungen durch die Regierung - Milizen als Werkschutz anheuern, die mit Morddrohungen gegen protestierende Fischer vorgehen? Warum schweigen Sie dazu, dass alle fünf Sekunden in der Welt ein Kind unter zehn Jahren verhungert, 50 000 Menschen täglich an Hunger sterben (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wer schweigt dazu?) und eine Milliarde Menschen permanent unterernährt ist, während Nahrungsmittel zur Gewinnung von Treibstoffen für Industrieländer verbrannt werden? Was sagen Sie dazu, dass Ende 2008 allein in Europa in wenigen Tagen 1,7 Billionen Euro für Banken und Konzerne bereitgestellt wurden und gleichzeitig das Welternährungsprogramm von 6 Milliarden auf 3,8 Milliarden Euro reduziert wurde, weil Industriestaaten die Mittel für humanitäre Soforthilfe gekürzt haben? Das hat nichts mehr mit Menschenrechten zu tun. Wer Menschenrechte sagt und Rohstoffe wie im Südsudan meint, wer politische Rechte für Bürger in anderen Staaten einfordert und Menschen in Länder abschiebt, in denen ihnen Folter droht, wer Meinungsfreiheit anderswo einklagt und mit Lügen Angriffskriege führt oder vorbereitet, wer öffentliche Dienstleistungen, das Rentensystem und die Gesundheitsvorsorge privatisiert, der verwandelt den Kampf um Menschenrechte in ein Instrument von Sozialraub, Krieg und imperialer Politik. (Beifall bei der LINKEN) Wir, die Linke, verstehen Menschenrechte als Widerstandsrechte gegen Neoliberalismus, entfesselten Kapitalismus und Krieg. (Zuruf von der FDP: Nennen Sie bitte noch die Hotelnummer!) - Es ist klar, dass das von der FDP kommt. Menschenrechte sind nur dann von Dauer, wenn sie auf einer Wirtschafts- und Sozialordnung beruhen, die die strukturellen Ursachen der andauernden Menschenrechtsverletzungen beseitigt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Deshalb treten wir für eine neue, für eine gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung ein. Deshalb setzen wir uns für ein Exportverbot von Rüstungsgütern ein. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wenn Sie in der Menschenrechtsdebatte in diesem Hohen Haus noch einmal ernst genommen werden wollen, dann ziehen Sie bitte nach dem heutigen Auftritt die menschenrechtspolitische Sprecherin Steinbach aus dem Ausschuss zurück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Diese Art, mit Falschbehauptungen die Menschenrechtsdebatte zu bestreiten, obwohl man es besser weiß, ist angesichts der Vorlagen, die hier auf dem Tisch liegen, unglaublich. Wir haben uns um sexuellen Missbrauch von Kindern schon 1984 mit einer Großen Anfrage hier im Bundestag gekümmert. Damals waren wir erst ein Jahr im Parlament. Wir brauchen uns bei diesem Thema nichts vorwerfen zu lassen. Dass es bestimmte Diskussionen gab, die abwegig waren, sei dahingestellt. Das war nie Beschlusslage. (Zurufe von der CDU/CSU) - Sie hatten Diskussionen mit Leuten, die Sie ausgeschlossen hatten. Das waren jede Menge Personen. Wenn ich Sie mit den Positionen dieser Leute identifizieren würde, würden Sie sich das zu Recht verbitten. Also bitte, lassen Sie die Kirche im Dorf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte jetzt zu den Menschenrechten sprechen und mich nicht von Ihren Nebenkriegsschauplätzen ablenken lassen. Es liegen Anträge vor, die die spanische Ratspräsidentschaft unterstützen und das Ziel haben, Menschenrechtsverteidigern besser zu helfen. Die spanische Präsidentschaft schlägt vor, einen Liaison-Offizier, also einen Verbindungsbeamten, für die Menschenrechtsverteidiger einzusetzen, wie ihn die Spanier bereits haben. In Spanien ist es Praxis, dass gefährdete Menschenrechtsverteidiger von Spanien, ohne dass ein Asylantrag gestellt werden muss, für zwölf Monate aufgenommen und anständig mit 1 200 Euro im Monat finanziell unterstützt werden. Wer es mit der Unterstützung von Menschenrechten und Menschenrechtsverteidigern im Ausland ernst meint, muss Konsequenzen ziehen und ihnen Schutz gewähren, wenn sie ernsthaft gefährdet sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dazu steht in Ihrem Antrag kein Sterbenswörtchen. Wenn Sie jetzt schon wissen, dass Sie das alles ablehnen, und wenn Sie sich gegen die Ratspräsidentschaft wenden, dann ist das europapolitisch und außenpolitisch ein Armutszeugnis. Lassen Sie mich zu Ihrem Antrag kommen. Wir haben uns zum Erstaunen der SPD ernsthaft Mühe gemacht und gedacht, dass wir, auch wenn die Themenzusammenstellung ein bisschen nach "copy and paste" aussieht, versuchen sollten, das Beste daraus zu machen; denn am Ende wird es womöglich beschlossen. Aber mit dem Antrag verhält es sich wie mit dem Anfang Ihrer Rede: allgemeine Worte, ein Blick ins Ausland; aber Konsequenzen sucht man in diesem Antrag bei jedem Punkt vergebens. Bei Ihnen ist es wie im Kino: Je weiter die Menschenrechtsverletzungen weg sind, desto besser sehen Sie sie. Wenn sie direkt vor Ihnen stattfinden oder da, wo man etwas tun könnte, dann können Sie sie nicht mehr erkennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Erika Steinbach [CDU/ CSU]: Das war ja nun wirklich daneben!) Stichwort Guantánamo. Wer Guantánamo kritisiert und auflösen will, muss dazu bereit sein, auch hier Menschen aufzunehmen, die offensichtlich unschuldig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn Sie den uigurischen Gefangenen sagen, sie sollten nach Amerika gehen, in das Land, das sie zu Unrecht gefangen gehalten hat, dann ist das genauso, als wenn wir 1945 zu den deutschen Vertriebenen gesagt hätten, sie sollten sich in Sibirien ansiedeln. Das ist einfach eine Unverschämtheit. So kann mit Menschen in Not nicht umgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!) Wenn Sie über Menschenhandel schimpfen und Frauen- handel kritisieren, dann müssen Sie schauen, wie es funktioniert. Wir stellen hier einen Antrag, dass Sie Konsequenzen aus Ihren großen Worten ziehen. Diese Opfer brauchen ein Bleiberecht. (Zuruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ CSU]) - Herr Grindel, Sie müssen ertragen, dass im Moment überwiegend ich das Wort habe. - Den Opfern des Menschenhandels kann man nur dadurch helfen, dass sie, wenn sie in Deutschland zur Polizei gehen, aussagen und Strafanzeige erstatten, nicht in das Land abgeschoben werden, in dem die Banden sitzen, die sie verschleppt haben. Jeder, der hier aussagt und nach dem Prozess zurück muss, muss um Leib und Leben fürchten; er muss nicht den Staat fürchten, sondern die kriminellen Banden, die so etwas machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Nennen Sie doch mal ein Beispiel!) Im heutigen Zeitalter, in dem Wirtschaftskonzerne international eine immer stärkere Bedeutung bekommen und mächtiger als manche Staaten sind, müssen wir uns auch über das Thema "Menschenrechte und Wirtschaft" unterhalten. Wir wissen, dass gerade in Afrika viele Bürgerkriege und Menschenrechtsverletzungen nur wegen des Rohstoffhungers in der Welt stattfinden. Es muss klar sein: Wer Opfer von Menschenrechtsverletzungen wird, auch unter Beteiligung von Firmen, die hier Töchter oder Muttergesellschaften haben, dem muss es auch noch nach Jahren möglich sein, unabhängig von den engen Verjährungsregelungen des jetzigen Zivilrechts, hier Schadensersatz von diesen Firmen einzuklagen. Ansonsten ist das Thema "Wirtschaft und Menschenrechte" mit all den wunderbaren freiwilligen Vereinbarungen, die Sie in Ihrem Antrag aufgezählt haben, leeres Geschwätz; denn sie helfen den Opfern nicht, sie wirken nicht generalpräventiv, und Menschenrechtsverletzungen zahlen sich weiter aus. Es fehlt Ihnen in allen Punkten an der Konsequenz. Deshalb ist dies eine in Antragsform gegossene Schönwetter- und Sonntagsrede zum Thema Menschenrechte. Mehr ist aber notwendig, wenn man ernsthafte Menschenrechtspolitik machen will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der Kollege Dr. Egon Jüttner hat seine Rede zu Protokoll gegeben.3 (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dankenswerterweise!) Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen. Zunächst zum Tagesordnungspunkt 12 a. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP mit dem Titel "Menschenrechte weltweit schützen". Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1135, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/ 257 in der Ausschussfassung anzunehmen. (Beifall des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP]) Nun liegen dazu sechs Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Zunächst zum Änderungsantrag auf Drucksache 17/1227. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. - Besteht Einverständnis darüber, dass wir ab 22 Uhr bei den Änderungsanträgen pauschal Ablehnung und Zustimmung signalisieren, oder möchten Sie im Protokoll die genauen Abstimmungsvoten der Fraktionen haben? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Fraktionen nicht unterschiedlich abstimmen, ist es mir egal!) - Dann stelle ich das Ergebnis fest: Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Änderungsantrag auf Drucksache 17/1228. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit dem gleichen Stimmenverhältnis. Änderungsantrag auf Drucksache 17/1229. Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 17/1230. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Änderungsantrag auf Drucksache 17/1231. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 17/1232. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Nun kommen wir zur Beschlussempfehlung des Ausschusses. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen. Tagesordnungspunkte 12 b und 12 c. Hier wird interfraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1048 und 17/1165 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 Absatz 1) - Drucksache 17/1047 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 Absatz 1 - Kommunales Ausländerwahlrecht) - Drucksache 17/1150 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Daðdelen, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen - Drucksache 17/1146 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion möchte sich heute Abend mit einem - aus ihrer Sicht jedenfalls - alten und lieben Bekannten befassen. Es handelt sich um die Grundgesetzänderung im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 Satz 3. Es geht darum, die Möglichkeit zu schaffen, dass Länderparlamente darüber entscheiden können, dass ausländische Mitbürger, die aus Drittstaaten kommen, an Kommunalwahlen teilnehmen können. Das hat der Bundesrat übrigens schon 1997 auf Antrag der SPD beschlossen. In diesem Haus hat er bisher noch keine Mehrheit gefunden. Ich sage ganz offen: Ich war wenig begeistert davon, dass wir im vorletzten Jahr nach einer Anhörung im Parlament dem Antrag, der von anderer Seite gestellt worden war, aus Gründen der Koalitionsräson nicht zustimmen konnten. Ich halte zunächst einmal zufrieden fest, dass wir heute einen Antrag beraten, der aus unserer Feder stammt, der identisch mit dem Wortlaut des Bundesratsbeschlusses ist und der auch wortgleich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und sinngemäß, jedenfalls in der Begründung, von der Fraktion Die Linke eingebracht worden ist. Weil das alles schon recht bekannt ist und die Diskussion schon viele Jahre geführt wurde, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja!) kann ich verstehen, dass der eine oder andere es nicht gerade als sensationell empfindet, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie sagen es!) dass er sich heute Abend noch damit befassen muss, Herr Kollege Grindel und Herr Kollege Mayer. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist immer wieder nötig!) Ich kann Ihnen das aber nicht ersparen; (Beifall bei der SPD - Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Doch, das können Sie!) denn wir sprechen von ungefähr 4 Millionen Menschen, die in Deutschland leben und die weder den deutschen Pass noch einen Pass aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben. Es handelt sich um Ausländerinnen und Ausländer aus sogenannten Drittstaaten, also aus Staaten außerhalb der Europäischen Union. Um deren Mitwirkungsmöglichkeit im kommunalen Bereich - wir wollen ihre Teilhabe an der Gesellschaft, wir wollen eine Mitmachgesellschaft - geht es. (Beifall bei der SPD) Die genannte Zahl ist nicht klein. Berlin hat, wie ich heute gelesen habe, aufgrund des Bevölkerungswachstums derzeit 3,4 Millionen Einwohner zu verzeichnen. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn eine solche Zahl an Deutschen auf diese Art und Weise von der Wahl ausgeschlossen ist. Im Übrigen: Wenn wir uns die Situation bei kommunalen Wahlen genau anschauen, dann stellt man fest, dass es praktisch drei Gruppen gibt. Es gibt dort, wo viele Menschen mit ausländischem Pass leben, ungefähr ein Drittel, das nicht wählen darf, ein Drittel, das nicht wählen will, und ein Drittel, das wählen geht. Sie sind es, die über die Zusammensetzung der Kommunalparlamente entscheiden. Man kann nicht sagen, dass das eine zufriedenstellende demokratische Legitimation ist. Wir wünschen uns mehr Beteiligung von allen, die hier leben. Deswegen haben wir diesen Antrag gestellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Warum nur auf kommunaler Ebene?) - Herr Kollege, das will ich Ihnen gleich erklären. Vorher will ich Ihnen aber eine Frage stellen - dazu ist die Stunde nun doch noch nicht zu spät -: Was haben der Freiherr vom Stein, die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP und die CDU-Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt gemeinsam? Alle drei sind für das kommunale Ausländerwahlrecht: Der Freiherr vom Stein schon 1808 im Bereich seiner Städteordnung, die er damals geschaffen hat. Frau Roth hat damals anlässlich der Oberbürgermeisterwahlen geäußert: Wir hatten bis jetzt etwa 50 000 wahlberechtigte EU-Ausländer. Wenn alle Ausländer wählen dürften, hätten wir rund 140 000 Wahlberechtigte. Ich hätte gerne, dass diese übrigen 90 000 Frankfurter ebenfalls wählen dürften. - Das finde ich richtig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat am 21. August 2009 gesagt, dass sie die Kampagne "Demokratie braucht jede Stimme" für ein kommunales Ausländerwahlrecht in Bayern unterstütze. Die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Bayerns hat sie dafür ausdrücklich gelobt. (Serkan Tören [FDP]: Das hat nichts mit Ihrem Antrag zu tun!) Meine sehr verehrten Damen und Herren der Koalition, fassen Sie sich ein Herz und überlegen Sie, ob Sie dieser Verfassungsänderung nicht doch zustimmen sollten. Was spricht denn dagegen? Gerade aus Ihrem Bereich wird immer wieder geäußert: Wahlrecht setzt Staatsbürgerschaft voraus. Sie sind aber nicht konsequent und ehrlich genug, um zu sagen: Dann lassen Sie uns bitte einmal die Voraussetzungen für die Einbürgerung erleichtern, damit wir wenigstens annähernd solche Zahlen haben wie beispielsweise Schweden oder die Niederlande. (Beifall bei der SPD) Deutschland hinkt bei den Einbürgerungszahlen im EU-Vergleich weit hinterher. (Serkan Tören [FDP]: Sie haben die Einbürgerungsvoraussetzungen erschwert!) Wenn, dann seien Sie bitte auch konsequent: Stimmen Sie den Veränderungen im Bereich des Staatsbürgerschaftsrechtes zu. Dann kann ich Ihr Argument ernst nehmen, sonst nicht. Ich vermag nicht einzusehen, warum jemand die deutsche Staatsbürgerschaft braucht, um auf kommunaler Ebene beispielsweise zu entscheiden, ob in einem Bebauungsplan genügend Freiraum für Spielflächen für Kinder vorgesehen ist. Ich vermag nicht zu erkennen, warum man die deutsche Staatsbürgerschaft braucht, um verantwortungsvoll entscheiden zu können, in welcher Weise und mit welchen Finanzmitteln Kindergärten oder Schulen gebaut werden sollen. Man braucht die deutsche Staatsbürgerschaft auch nicht, um auf kommunaler Ebene zu entscheiden, dass man ein städtisches Krankenhaus nicht an irgendjemanden verhökert und verkauft. So ließe sich die Reihe der Beispiele ohne weiteres fortsetzen. Wir haben - dieses Argument von Ihnen kenne ich schon - anlässlich der Expertenanhörung im Innenausschuss des Bundestages sieben Experten gehört. Sechs davon waren Juristen. Nun gibt es ja das böse Sprichwort: Zwei Juristen, drei Meinungen. Ich sage Ihnen aber einmal: Unter diesen sieben Sachverständigen - wie gesagt, sechs Juristen darunter - gab es nur zwei mit einer abweichenden Meinung. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das waren aber die maßgeblichen!) Sie haben gesagt: Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken, Ausländern, die aus Drittstaaten kommen, das kommunale Wahlrecht einzuräumen. Kollege Mayer, die ganze Diskussion knüpft an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Ländergesetzen von Schleswig-Holstein und Hamburg aus dem Jahr 1990 an. Damals gab es noch nicht, was dann zum 31. Dezember 1992 beschlossen worden ist, nämlich die Bestimmung, dass alle EU-Ausländer bei Kommunalwahlen wahlberechtigt sind. Nun weiß ich auch, dass man nicht jeden Sachverhalt über einen Kamm scheren kann. Es gibt sicherlich Unterschiede - das verkenne ich nicht -, aber ich bestreite entschieden - so hat es auch die Mehrheit der Sachverständigen getan -, dass es eine unüberwindbare verfassungsrechtliche Hürde für die Einführung des Kommunalwahlrechts für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt. Das setzt eine Verfassungsänderung voraus. Wir Sozialdemokraten wollen das schon sehr lange. Wir wollen das auch weiterhin. Wir werben bei Ihnen allen um entsprechende Unterstützung. Ich darf meinen Appell wiederholen: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Frau Roth, der Oberbürgermeisterin von Frankfurt. Sie hat Erfahrung im Umgang mit Migrantinnen und Migranten. Frankfurt hat einen sehr hohen Ausländeranteil. Nehmen Sie sich auch ein Beispiel an unserer jetzigen Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. (Gisela Piltz [FDP]: Jederzeit! Gute Frau!) Dann bekommen wir in diesem Haus und in der zweiten Kammer vielleicht eine Verfassungsänderung hin. Das würde ich mir wünschen. Wir wollen das. Wir wollten das schon immer. Es bleibt dabei. Wir werden dieses Projekt weiter intensiv verfolgen. Danke sehr. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzte Debatte über das Thema "Kommunalwahlrecht für Ausländer" haben wir, Herr Veit, vor zehn Monaten, am 28. Mai 2009, geführt. An der Sachlage hat sich seitdem nichts geändert. Ihre Argumente haben sich auch nicht geändert. Insofern werden Sie nicht böse sein, dass sich an der Position der CDU/CSU-Fraktion auch nichts geändert hat. Ich würde mich aber freuen, Herr Kollege Veit, wenn die Opposition hier einmal mit neuen, weiterführenden Ideen kommen würde, wie man die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund weiter verbessern kann, anstatt hier immer wieder die gleichen Anträge zu stellen, mit denen Sie den Menschen tatsächlich in ihrer konkreten Lebenssituation überhaupt nicht helfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten, dass die Integration von Migranten in den Ländern, in denen es ein Kommunalwahlrecht für Ausländer gibt, signifikant besser gelungen ist. Nein, unsere ausländischen Mitbürger wollen Angebote zur Verbesserung ihrer Sprachkompetenz. Sie wollen gute Perspektiven für ihre Kinder im Kindergarten und in der Schule. Außerdem wollen sie, dass die Arbeitslosigkeit bei Ausländern nicht immer deutlich höher ist als bei den deutschen Arbeitnehmern. In all diesen Feldern echter Integrationspolitik sind wir unter der Verantwortung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der im Kanzleramt angesiedelten Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, gut vorangekommen. Das ist konkrete Integrationspolitik. Davon haben unsere ausländischen Mitbürger etwas, aber nicht von Ihren relativ sinnentleerten Anträgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Vertreter der Oppositionsparteien wissen ganz genau, dass es gravierende verfassungsrechtliche Gründe gibt, die gegen ein Kommunalwahlrecht für Ausländer sprechen. Diese Bedenken können, wie uns Verfassungsrechtler bei der bereits angesprochenen öffentlichen Anhörung im Jahre 2008 erklärt haben, auch nicht durch eine Verfassungsänderung ausgeräumt werden. Eine Erweiterung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige über den Kreis der EU-Bürger hinaus wird von einer Reihe von Verfassungsrechtlern als Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Ordnung schlechthin betrachtet. Der Grundsatz, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, unterliegt der Ewigkeitsgarantie des Art. 20 Grundgesetz und kann selbst durch eine Verfassungsänderung nicht außer Kraft gesetzt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Staatsvolk in der Bundesrepublik Deutschland das deutsche Volk und wird von den deutschen Staatsangehörigen gebildet. Eine Ausnahme - das ist wahr - kann es insoweit nur für die Staatsangehörigen anderer Länder der Europäischen Union geben, weil ihnen nach dem Vertrag von Maastricht die Unionsbürgerschaft zukommt, die auch das kommunale Wahlrecht umfasst. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen Sie!) Bei den Kommunalwahlen regeln die Bürger einer Gemeinde, einer Stadt oder eines Landkreises ihre örtlichen Angelegenheiten. Es geht um das Wohl der Kommune, die die Menschen im Blick haben. (Zuruf des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Die Frage ist, Herr Kollege Veit, ob ein ausländischer Mitbürger, der nicht der Unentrinnbarkeit der deutschen Staatsgewalt unterliegt, weil er nicht zum deutschen Staatsvolk gehört und sich dementsprechend jederzeit der Wirkung der Staatsgewalt entziehen könnte, bei seiner Wahlentscheidung auch nur das Wohl der Kommune im Blick hat. Daran - das sage ich Ihnen ganz offen - wird man Zweifel haben dürfen, wenn man die jüngsten Reden des türkischen Ministerpräsidenten Erdoðan nachliest. Erdoðan hat seine Landsleute in Deutschland aufgerufen, die deutsche Staatsbürgerschaft in Form der doppelten Staatsbürgerschaft zu erwerben, um mehr Einfluss für türkische Interessen ausüben zu können. Wenn also schon bei doppelten Staatsbürgern zu befürchten ist, dass aus dem Loyalitätskonflikt ein Loyalitätsverzicht gegenüber dem deutschen Staat wird, dann ist eine solche Befürchtung erst recht angebracht, wenn es sich um Personen handelt, die ausschließlich nur die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, obwohl sie zum Teil viele Jahre in unserem Land leben. Herr Veit, Sie haben gesagt: Lass sie doch entscheiden, ob Schulen gebaut werden. - Ich will, dass sie darüber entscheiden, wie die Schulen für die Schüler inhaltlich gut gemacht werden. Ich will nicht, dass sie über türkische Gymnasien entscheiden, um das ganz klar zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatsvolk sind die drei Säulen, auf denen die Staatlichkeit eines Gemeinwesens ruht. Unklarheiten führen dabei - das lehrt uns die Geschichte in vielen Ländern - nur zu Konflikten. Deshalb bin ich für Klarheit: Wer als Ausländer sich gut integriert hat, auf Dauer bei uns leben möchte und wer auf die Gestaltung seines Gemeinwesens, von der Gemeinde bis hin zur Bundesebene, Einfluss nehmen will, der ist herzlich eingeladen, die deutsche Staatsbürgerschaft unter Verzicht auf seine bisherige Staatsangehörigkeit zu erwerben. Dann kann er auf allen staatlichen Ebenen durch ein aktives und passives Wahlrecht Einfluss nehmen. Es bleibt bei unserem Grundsatz: Die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft und der Erwerb des aktiven und passiven Wahlrechts stehen am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses und sind keine Eintrittskarte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ein Wahlrecht für alle staatlichen Ebenen macht auch insoweit Sinn, als viele Fragen, die die Menschen mit Migrationshintergrund in besonderer Weise betreffen, eben im Landtag oder Bundestag entschieden werden. Ein Kommunalwahlrecht für Ausländer würde den Antrieb, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, weiter erlahmen lassen. Im Ergebnis würde es die Integration also nicht befördern, sondern behindern. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Daðdelen für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Grindel, ich frage mich wirklich, von wo Sie immer Ihre Argumente hervorzaubern. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Aus dem Grundgesetz! - Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Ganz einfach: aus dem Kopf!) Sie sagen, Drittstaatsangehörigen oder ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern könne man kein kommunales Wahlrecht geben. Diese Menschen sind nach Ihrer Auffassung offenbar nicht in der Lage, im Interesse bzw. zum Wohle der Kommune zu entscheiden. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was sagen Sie denn zu Erdoðan?) Seit 1992 gibt es das kommunale Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die nicht deutsche Staatsangehörige sind. Wollen Sie jetzt behaupten, dass Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die in Deutschland das kommunale Wahlrecht haben, nicht zum Wohl der Kommune entscheiden, sondern für irgendetwas anderes? Ich finde, das sollten Sie sich sparen. Sie möchten die Integration mit der sozialen Frage verbinden; auch das ist für meine Ohren neu. Aber bei diesem Thema geht es nicht nur um Integration. Hier geht es um Gleichstellung, hier geht es auch um Partizipation, und hier geht es um das Kernstück der Demokratie: Wir wollen mehr als 4 Millionen Menschen das Recht einräumen, sich an Wahlen zu beteiligen. Dieses Recht möchten wir diesen Menschen nicht vorenthalten. Deshalb unterstützen wir diese Initiative selbstverständlich. Es geht bei diesem Thema um Gleichstellung. In 16 der 27 EU-Mitgliedstaaten wurde das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige, wenn auch mit unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen, bereits realisiert. Es kann also keine Rede davon sein, dass diese Menschen nicht im Interesse der Kommune entscheiden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber die Integration ist dadurch auch nicht besser!) Es wurde deutlich: Das Verständnis, das Schwarz-Gelb von Integration hat, ist offenkundig gleichbedeutend mit Ungleichheit; denn Sie wollen die bestehende Ungleichheit zementieren. Ich möchte mich auch an Herrn Veit und die SPD wenden. Es ist nicht zu verhehlen - da hat Herr Grindel recht -: Es ist Wahlkampf. Ich frage Sie, Herr Veit: Was ist innerhalb der letzten zehn Monate passiert? Noch vor zehn Monaten haben Sie hier im Bundestag bei einer namentlichen Abstimmung gegen das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige gestimmt. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ach was! So ist das also! Das ist ja interessant!) Aber jetzt, kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, meinen Sie Ihr vermeintliches Herz für Migrantinnen und Migranten entdecken zu müssen. Auch in diesem Kontext ist zu sehen, dass Sie heute eine Pressekonferenz einberufen haben, und zwar nur deshalb, um zu Ihrem heute zu beratenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Das macht Sie nicht glaubwürdiger. Sie haben es in Ihren elf Regierungsjahren nicht geschafft, bei diesem Thema eine Initiative auf den Weg zu bringen. Herr Veit, wo war die SPD in diesen elf Regierungsjahren? Warum haben Sie keine Initiative ergriffen, um Drittstaatenangehörigen das Wahlrecht zumindest auf der kommunalen Ebene zu geben? Sie haben nichts getan. Jetzt, kurz vor der Landtagswahl in NRW, wollen Sie etwas tun. Das ist für die SPD schändlich, Herr Veit. (Beifall bei der LINKEN - Christian Lindner [FDP]: Ihr habt das doch in 40 Regierungsjahren nicht hinbekommen!) Sie sagen - insbesondere von der Union, aber auch von der FDP hört man das immer wieder -, die Menschen sollen sich einbürgern lassen und deutsche Staatsangehörige werden; dann können sie auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Ich frage mich: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Sie haben das Staatsangehörigkeitsgesetz in den letzten Jahren immer weiter verschärft. Im September 2008 haben Sie den Einbürgerungstest eingeführt. Die vorherige rot-grüne Regierung hat das Staatsangehörigkeitsgesetz im Jahre 2000 reformiert. Auch diese Reform hat übrigens zu einem Rückgang der Zahl der Einbürgerungen geführt. Der Einbürgerungstest, den Sie im Jahr 2008 eingeführt haben, hatte zur Folge, dass die Zahl der Einbürgerungen im Jahr 2009 im Vergleich zu 2008 um 19 Prozent gesunken ist. Seit dem Jahr 2000, also seit der großen Reform unter Rot-Grün, beträgt der Rückgang 55 Prozent. Es ist also Quatsch, zu sagen: Die Leute sollen sich einbürgern lassen. - Vielmehr müssen wir Einbürgerungen massiv erleichtern, (Beifall bei der LINKEN - Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wir müssen die Integration verbessern!) damit die Menschen überhaupt eingebürgert werden und bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen können. Wir brauchen aber auch ein kommunales Wahlrecht, damit wir - aus demokratietheoretischen Gründen sage ich das, Herr Grindel - in Deutschland weniger demokratiefreie Zonen haben. Wie können Sie in den Kommunen Stadträte legitimieren, wenn dort 30 oder 35 Prozent der Bevölkerung an den Wahlen nicht teilnehmen können? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. Wir als Linke fordern demokratische und soziale Rechte für alle in Deutschland lebenden Menschen - und das, liebe SPD, nicht nur dann, wenn sie uns gerade mal wahltaktisch genehm sind. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat der Kollege Serkan Tören für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP) Serkan Tören (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wichtigsten Orte der Integration sind jene, in denen das alltägliche Leben stattfindet. Das ist dort, wo unsere Kinder zur Schule gehen, wo wir Mitglied in Sportvereinen sind und wo es um Bebauungspläne für Wohngebiete geht. Gerade vor Ort ist es von besonderer Bedeutung, dass sich Migranten politisch einbringen und die Entscheidungen mitgestalten können. Es existieren dort bereits einige Modelle, so zum Beispiel Ausländerbeiräte und Integrationsräte. Ich spreche aber ein offenes Geheimnis an, wenn ich sage, dass deren Sinnhaftigkeit zweifelhaft ist. Denn diese Gremien werden de facto nur sehr schlecht angenommen. (Rüdiger Veit [SPD]: Die haben ja auch nichts zu sagen! Kein Wunder!) Ich will nur auf die letzten Integrationswahlen in NRW verweisen. Da lag die Wahlbeteiligung bei nur 11 Pro-zent. Hören Sie sich das genau an: nur 11 Prozent. Ein Gremium zu wählen, das die wirklich entscheidungsberechtigten Kommunalvertretungen nur berät, ist nun einmal nicht sonderlich attraktiv. Die FDP hat sich schon immer für eine Ausweitung demokratischer Mitbestimmung und für eine Verbesserung politischer Teilhabe von Migranten eingesetzt, allerdings immer unter bestimmten Voraussetzungen und unter dem klaren Leitbild eines mündigen Bürgers, der sich in die öffentlichen Belange einmischt und auch einmischen kann. Die Linke und die SPD fordern als einzige Voraussetzung dafür, das Kommunalwahlrecht zu erlangen, den ständigen Wohnsitz. Ich sage Ihnen ganz klar: Das ist nicht ausreichend. Das ist schwammig. Das zeigt auch, dass Sie sich mit Ihrem eigenen Antrag überhaupt nicht beschäftigt haben. (Beifall bei der FDP) Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, führen benachbarte Länder wie Belgien, Schweden oder auch Irland als glänzende Beispiele an. Dann möchte ich Ihnen auch mal erzählen, wie es dort tatsächlich aussieht: Erstens. Die Wahlbeteiligung der Migranten ist in diesen Ländern stets niedriger als die der Staatsbürger ohne Migrationshintergrund. (René Röspel [SPD]: Mövenpicker!) Zweitens. Besonders niedrig ist dabei die Wahlbeteiligung in Gemeinden mit einem hohen Migrantenanteil. Drittens. Migranten in diesen Ländern nehmen das passive Wahlrecht - wenn überhaupt - nur sehr selten wahr. Das hat natürlich Gründe: Dazu zählen eine mangelnde Kenntnis der jeweiligen politischen Systeme, oft auch ein anderes kulturelles Verständnis von Interessenvertretungen, teilweise auch die geringe Bereitschaft der Parteien, sich zu öffnen, oder einfach ein genereller Politikverdruss, wie man ihn auch bei Deutschen hier in Deutschland kennt. (René Röspel [SPD]: Halten Sie die Teilnahme an Demokratie nicht für ein Grundrecht?) All diese Punkte zeigen: Das Wahlrecht ist nicht - so behaupten es die Damen und Herren der Linken - die entscheidende Komponente erfolgreicher Integrationspolitik. Es sollte auch bitte nicht als solche verkauft werden. Damit machen Sie es sich viel zu einfach. (Beifall bei der FDP) Auch das Argument der Ungleichbehandlung gegenüber EU-Bürgern halte ich für nicht tragfähig, und ich wundere mich darüber immer wieder. Anscheinend kennen Sie die EU-Verträge und das, was damit verbunden ist, nicht. Deutschland ist in die EU integriert. Es gibt diese Verträge nun einmal. Sie müssen sie sich einmal genau durchlesen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) Wir als FDP können uns durchaus vorstellen, dass ein Ausländerwahlrecht in bestimmten Kommunen sinnvoll ist. Es muss dann allerdings an Bestimmungen geknüpft sein. Wenn sich ein Drittstaatenausländer mindestens fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland aufhält, sollte es den Kommunen grundsätzlich ermöglicht werden, ihm das Wahlrecht zu verleihen. Dazu darf es aber keine starre Vorschrift im Grundgesetz geben. Denkbar wäre an dieser Stelle zum Beispiel eine Länderöffnungsklausel nach dem Subsidiaritätsprinzip, die es den Ländern in ihrer Hoheit ermöglicht, den Kommunen die Entscheidung über ein solches Ausländerwahlrecht und dessen Voraussetzungen zu überlassen und es zu gestalten. (Beifall bei der FDP - René Röspel [SPD]: Mit welcher Begründung eigentlich?) Worum es in dieser Debatte tatsächlich geht, ist das Ziel einer verbesserten Integration. Es geht um das Ziel einer vollen gesellschaftlichen und politischen Teilnahme von Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Dazu ist das kommunale Wahlrecht sicherlich nicht das geeignete Mittel. Der Königsweg ist und bleibt die Einbürgerung. Gleichwohl: Wir alle kennen die ernüchternde Situation, dass sich von 45 möglichen Personen nur eine tatsächlich einbürgern lässt. Das ist nicht befriedigend. Wir müssen für die deutsche Staatsangehörigkeit werben. Lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich sagen: Ein paar warme Worte reichen nicht aus. Wir müssen konkrete Anreize schaffen. Ein Ansatzpunkt kann die zügigere Einbürgerung für besonders erfolgreich integrierte Migranten sein. Indem die Einbürgerung von bestimmten Integrationsleistungen abhängt, gibt sie nämlich allgemeine Zielstellungen vor. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Und Linke dürfen nicht eingebürgert werden, nicht?) Diese sind wichtig und unabdingbar für die Motivation der Migranten, insbesondere aber für unser Gemeinwesen. Ein Beispiel: Studiert ein junger Mensch erfolgreich in Deutschland, lernt er Land und Leute kennen und lernt er die Sprache, ist er hochqualifiziert, so sind dies die Integrationsleistungen, die bei der Wartezeit Berücksichtigung finden sollten. Meine Damen und Herren, man kann sich darüber streiten - wir tun dies, auch heute -, ob die Einbürgerung am Anfang oder am Ende einer erfolgreichen Integration stehen sollte. Lassen Sie es mich so formulieren: Die Einbürgerung ist ein Meilenstein im Integrationsprozess. Die Zahl der Einbürgerungen zu steigern, muss in unser aller Interesse sein. (Rüdiger Veit [SPD]: Schöne Grüße an die CDU/CSU!) Ein kommunales Wahlrecht für Ausländer ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Sorgen wir dafür, dass Migranten voll und ganz teilhaben an Staat und Gesellschaft! Sorgen wir dafür, dass Migranten sich voll und ganz zu Staat und Gesellschaft als deutsche Patrioten bekennen! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Memet Kilic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die Unionsparteien eine Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auf Drittstaatler für verfassungswidrig halten (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da haben Sie aber nicht zugehört!) und unsere Kollegen von der FDP eine Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auf Drittstaatler für nicht erforderlich halten, sich vielmehr dafür aussprechen, dass die Kommunen das über eine Öffnungsklausel gestalten können. (René Röspel [SPD]: Aber nur, wenn es deutsche Patrioten waren! - Gisela Piltz [FDP]: Da haben Sie auch bei uns nicht zugehört!) Das zeigt, dass die Koalitionsparteien noch einiges zu klären haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bereits in der letzten Wahlperiode haben wir Grüne einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auf Angehörige von Drittstaaten in den Bundestag eingebracht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In jeder Wahlperiode!) Unser Entwurf wurde bedauerlicherweise mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD abgelehnt. Es ist erfreulich und macht Hoffnung, dass die SPD unsere Meinung in dieser wichtigen Frage nun doch teilt. (Rüdiger Veit [SPD]: Das tun wir eigentlich schon immer!) Ein großer Teil unserer Bevölkerung, nämlich über 4 Millionen Menschen in Deutschland, darf an Wahlen nicht teilnehmen. Der Ausschluss dieser Menschen aus Drittstaaten von der politischen Teilhabe ist weder mit dem Demokratieprinzip vereinbar noch mit einer erfolgreichen Integrationspolitik. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer im Jahr 1990 betont, dass es der demokratischen Idee entspricht, eine Übereinstimmung zwischen der Wohnbevölkerung und der Wahlbevölkerung herzustellen. Folgerichtig hat es die Politik aufgefordert, möglichst viele dauerhaft in Deutschland lebende Bürgerinnen und Bürger in das Wahlrecht einzubeziehen. Solange Bürgerinnen und Bürger aus Drittstaaten das kommunale Wahlrecht nicht erhalten, wird ein erheblicher Teil unserer Gesellschaft von der wichtigsten politischen Teilhabe in einer Demokratie ausgeschlossen. In einigen Kommunen mit einem hohen Anteil an Immigrantinnen und Immigranten entstehen so demokratiefreie Zonen. Die Ausübung des kommunalen Wahlrechts ist aber auch für die Integration der in Deutschland lebenden Immigrantinnen und Immigranten von großer Bedeutung. Eine erfolgreiche Integration lässt sich nur durch Teilhabe, also die Einräumung von Rechten, erreichen. Ein wesentliches Recht in der Demokratie ist das Wahlrecht. Die Notwendigkeit der politischen Teilhabe von Immigrantinnen und Immigranten haben wir Deutsche und Europäer bereits 1992 erkannt und mit dem Vertrag von Maastricht das kommunale Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und -Bürger eingeführt. Seitdem haben jede Unionsbürgerin und jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht bei kommunalen Wahlen. Die Erfahrungen damit sind äußerst positiv. Dass das Demokratieprinzip und der Integrationsgedanke für Nicht-EU-Immigranten nicht gelten soll, ist sachlich nicht gerechtfertigt und verfassungsrechtlich höchst bedenklich; denn die Lebenssituation von Drittstaatsangehörigen unterscheidet sich nicht von der Lebenssituation von EU-Bürgern und Deutschen. Es geht um Menschen, die seit Jahren legal in Deutschland leben, hier arbeiten und Steuern zahlen. Ihre Kinder besuchen gemeinsam mit unseren Kindern die Schule oder den Kindergarten. Der einzige Unterschied ist, dass diese Bürgerinnen und Bürger die Angelegenheiten ihrer Kommune nicht mitbestimmen dürfen. Diese Einteilung in Ausländer erster und zweiter Klasse ist ungerecht und stellt eine institutionelle Diskriminierung dar. (Beifall der Abg. Sevim Daðdelen [DIE LINKE]) In vielen anderen europäischen Ländern ist das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige eine Selbstverständlichkeit. In Finnland, Schweden, Dänemark, Estland, Luxemburg, Irland, Belgien und den Niederlanden traut man den Drittstaatsangehörigen längst mehr zu, als zu arbeiten, Steuern zu zahlen oder Fußball zu spielen. Dort dürfen sie mitbestimmen, wenn es um das Schicksal ihrer Kommune geht. Deshalb fordern wir, das Grundgesetz dahin gehend zu ergänzen, dass auch Nicht-EU-Bürgerinnen und -EU-Bürger, die ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland haben, das Kommunalwahlrecht erhalten. Ich bedanke mich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr verehrte Kollegen! Ich möchte zunächst einmal eines feststellen: Seit die CDU/CSU wieder in Regierungsverantwortung ist, seit dem Jahr 2005, steht das Thema Integration endlich wieder ganz oben auf der politischen Tagesordnung. (Rüdiger Veit [SPD]: Das habt ihr von uns gelernt!) Wir reden nicht nur von Integration, wir machen auch etwas für Integration. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn? - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das träumen Sie doch nur!) Es gibt eine außerordentlich engagierte und sehr erfolgreiche Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Staatsministerin Professor Böhmer. Wir als CDU/ CSU haben klargemacht, dass es nicht an den finanziellen Ressourcen scheitern darf, Ausländern oder auch Aussiedlern die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse beizubringen. Das gilt sowohl für Ausländer und Aussiedler, die schon länger in Deutschland sind, als auch für die, die neu in unser Land kommen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn eingeführt?) Wir haben auch in den Ländern einiges dafür getan, dass wirklich praktische Integrationsarbeit vor Ort geleistet werden kann. Ich möchte nur noch daran erinnern: Bevor Jürgen Rüttgers Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen wurde, bevor die CDU dort in Regierungsverantwortung kam, haben türkische Hauptschulabsolventen aus Bayern im Fach Mathematik besser abgeschnitten als deutsche Hauptschulabsolventen aus Nordrhein-Westfalen. Daran sieht man: Es gibt auch in den Bundesländern ganz hervorragende und herausragende Beispiele für erfolgreiche Integration. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, hinsichtlich der jetzt zu behandelnden Gesetzentwürfe und des jetzt zu behandelnden Antrages gilt es festzuhalten, dass ein Wahlrecht für Drittstaatsangehörige im kommunalen Bereich gegen die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes, gegen Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz, verstoßen würde. Ebenso kann ich mich nur dem renommierten Staatsrechtler Josef Isensee anschließen, der der Auffassung ist, dass ein Wahlrecht für Drittstaatsangehörige im kommunalen Bereich auch gegen das Homogenitätsgebot gemäß Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes verstoßen würde. Es ist nun einmal so, dass das Staatsvolk einheitlich ist. Man kann das Staatsvolk bei einer Kommunalwahl nicht anders definieren als bei einer Landtags- oder bei einer Bundestagswahl. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist es nun einmal so, dass das Staatsvolk gemäß Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz so definiert wird, dass die Grundvoraussetzung dafür die deutsche Staatsangehörigkeit ist. Deswegen ist es auch richtig, dass das aktive Wahlrecht sowohl im kommunalen Bereich als auch im überregionalen Bereich an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden ist. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den EU-Bürgern?) Darüber hinaus würde ein Wahlrecht für Drittstaatsangehörige im kommunalen Bereich gegen das Völkerrecht verstoßen. Im Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass eine Rechtsposition eines Landes nur gewährt wird, wenn gemäß dem Prinzip der Gegenseitigkeit das andere Land die gleiche Rechtsposition dem ersteren Land auch gewährt. Dieser Grundsatz des Völkerrechts wäre also nicht eingehalten. Darüber hinaus möchte ich auch klarmachen, dass das Kommunalrecht und der kommunale Bereich keine Versuchsfelder sein können. Es geht hier auch um elementare Entscheidungen, die die Menschen vor Ort teilweise unmittelbarer betreffen als manche Entscheidungen, die auf Landes- oder Bundesebene getroffen werden. Ich warne davor, das Kommunalwahlrecht hier als Versuchskaninchen zu betrachten. Abgesehen davon bitte ich schon, sich noch einmal deutlich vor Augen zu führen, dass in den EU-Ländern, in denen Drittstaatsangehörigen das Wahlrecht im kommunalen Bereich eingeräumt wurde, die Wahlbeteiligung durch die Bank bei weit unter 30 Prozent liegt. Man sieht also ganz konkret: Es wird von diesem kommunalen Wahlrecht für Drittstaatsangehörige nicht Gebrauch gemacht. Ich glaube, eines sollte auch in aller Deutlichkeit festgehalten werden: Eine erfolgreiche Integration kann nicht mit dem Gewähren des aktiven und passiven Wahlrechts im kommunalen Bereich erreicht werden. Die Möglichkeit, sich im kommunalen Bereich aktiv und passiv an Wahlen zu beteiligen, kann erst am Ende einer erfolgreichen Integration stehen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) Darauf gilt es meines Erachtens auch in aller Deutlichkeit hinzuweisen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Daðdelen? (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber hier keine Nachtgedanken!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Ich bin auch zu später Stunde selbstverständlich noch gerne bereit, die Frage zu beantworten. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, das ist der bayerische Charme. - Ich habe wirklich nur eine ganz kurze Frage. Sie haben auf die niedrige Wahlbeteiligung der Drittstaatsangehörigen in den EU-Ländern hingewiesen, in denen es das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige gibt. Herr Kollege Mayer, in Deutschland - sowohl auf kommunaler Ebene als auch bei Landtagswahlen oder bei der Bundestagswahl - beklagen sehr viele Organisationen, selbst die Parteien, dass die Wahlbeteiligung immer geringer wird. (Gisela Piltz [FDP]: Ich dachte, das ist eine kurze Frage!) Immer mehr Menschen bleiben zu Hause. Würde man Ihrer Logik folgen, müsste man eventuell auch den Deutschen das Wahlrecht wieder entziehen, weil sie sich an den Wahlen nicht beteiligen. (Zuruf von der FDP: Also bitte! Es ist zwar schon sehr spät, aber ...!) Sehe ich das richtig? (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die Frage war jetzt unverzichtbar! Die musste sein! - Zuruf von der FDP: Das müssen Sie nicht beantworten!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Kollegin, Sie sehen das eklatant falsch. Es ist vollkommen richtig, dass wir mehr dafür tun müssen, Ausländer in Deutschland dafür zu interessieren, sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, insgesamt mehr Interesse an einer Partizipation an der Gesellschaft an den Tag zu legen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie mal Vorschläge!) Aber ich bin dezidiert der Auffassung, dass dieser richtige Wunsch nicht dadurch erfüllt wird, dass man ausländischen Mitbürgerinnen oder Mitbürgern das kommunale Wahlrecht gibt. Ganz im Gegenteil: Wenn ich bei mir im Wahlkreis mit Ausländerinnen und Ausländern spreche, dann sagen sie nicht, dass es ihr hehrster Wunsch ist, endlich an Kommunalwahlen teilzunehmen. Sie sagen, dass sie ordentlich geleistete Integrationsarbeit an den Schulen wollen. Sie wollen natürlich auch einen Job; sie wollen Arbeit, mit der sie auch ihre Familie ernähren können. Sie wollen, was das gesellschaftliche Leben insgesamt anbelangt, gleich behandelt werden. Aber ich habe noch von keinem ausländischen Mitbürger den Wunsch gehört, endlich an einer Kommunalwahl teilzunehmen zu können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In meinem Wahlkreis ist das anders!) Vor diesem Hintergrund sehe ich dieses Thema derzeit als absolut am unteren Ende der politischen Agenda angesiedelt an. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, mir fehlt in Ihren Anträgen bzw. Gesetzentwürfen vor allem auch ein Hinweis darauf, welche Mindestaufenthaltszeit erfüllt sein sollte, damit ein Ausländer sein aktives und passives Wahlrecht im Kommunalbereich wahrnehmen kann. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das Ihre Meinung ist, dann konkretisieren Sie das mal!) Nach Ihren Anträgen bzw. Gesetzentwürfen dürfte ein Ausländer, auch wenn er sich nur drei oder sechs Monate in Deutschland aufhält, in seiner Heimatgemeinde an der Kommunalwahl teilnehmen. Das ist doch in jeder Hinsicht absurd und vollkommen illusorisch. (Beifall bei der CDU/CSU - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: EU-Bürger dürfen das!) Wenn dann immer wieder gesagt wird: "Wir haben doch jetzt seit den 90er-Jahren auch das kommunale Wahlrecht für EU-Ausländer", dann bitte ich dabei zu bedenken, dass in Deutschland der Grundsatz gilt: Gleiches muss gleich und Ungleiches muss ungleich behandelt werden. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben eben vom Staatsvolk geredet, zu dem man gehören muss, um teilnehmen zu können! Sie sind widersprüchlich!) Es besteht nun einmal ein Unterschied zwischen einem EU-Ausländer und einem Drittstaatsangehörigen. In der Präambel unseres Grundgesetzes gibt es den ganz klaren Hinweis, dass es unser Ziel ist, uns in die Europäische Union zu integrieren. Es gibt den Art. 23 des Grundgesetzes. Es gilt festzuhalten, dass ein elementarer Unterschied zwischen EU-Ausländern und Drittstaatsangehörigen besteht. Deswegen ist es meines Erachtens nur folgerichtig und sachgerecht, dass EU-Ausländern sehr wohl das aktive und passive Kommunalwahlrecht eingeräumt wird, Drittstaatsangehörigen hingegen nicht. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen sich unbeliebt bei Ihren Leuten, wenn Sie hier endlos reden! Das waren gefühlt schon 16 Minuten!) Es ist schon auf die meines Erachtens sehr bemerkenswerte Rede des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoðan vom 27. Februar in Istanbul hingewiesen worden. Manche Passagen daraus - ich zitiere nur: Wir sind alle Geschwister; wir sind Kinder desselben Stammes - zeigen meines Erachtens schon, wes Geistes Kind Tayyip Erdoðan ist. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja kein Vorbild für uns! Jetzt grenzen Sie sich mal davon ab!) Letzten Endes geht es ihm darum, ein Pantürkentum zu schaffen. Demzufolge besteht meines Erachtens die eklatante Gefahr, dass, wenn es das kommunale Ausländerwahlrecht für Drittstaatsangehörige gäbe, offenkundig die Möglichkeit bestände, dass auf die in Deutschland lebenden Türken bei Kommunalwahlen entsprechend eingewirkt werden würde. Die Möglichkeit der Instrumentalisierung ist meines Erachtens beileibe nicht von der Hand zu weisen. Das ist meiner Meinung nach auch ein entscheidender Grund, sich vehement gegen ein aktives und passives kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige auszusprechen. Deswegen kann ich zum Schluss nur in aller Deutlichkeit festhalten: Es ist sowohl dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion als auch dem der Grünen-Fraktion sowie dem Antrag der Linkspartei die Absage zu erteilen. Ich bitte Sie, endlich die Argumente zur Kenntnis zu nehmen und die Debatte über ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige in Deutschland zu beenden. Lassen Sie uns die Zeit lieber darauf verwenden, uns damit zu befassen, was wir machen können, um die in Deutschland lebenden Ausländer noch besser und intensiver in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1047, 17/1150 und 17/1146 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Unterrichtung der Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten (Text von Bedeutung für den EWR) (inkl. 11063/09 ADD 1 und 11063/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) KOM(2009) 267 endg.; Ratsdok. 11063/09 - Drucksachen 17/136 Nr. A.94, 17/1218 - Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Dr. Bärbel Kofler Dr. Lutz Knopek Ralph Lenkert Dorothea Steiner Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Damit sind Sie einverstanden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Ingbert Liebing, Josef Göppel, Dr. Bärbel Kofler, Dr. Lutz Knopek, Ralph Lenkert und Dorothea Steiner.4 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1218, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Gleichwohl müssen wir auch über diese Beschlussempfehlung abstimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Heidrun Dittrich, weiterer Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE Zur Stabilisierung des Rentenniveaus: Riester-Faktor streichen - Keine nachholenden Rentendämpfungen vornehmen - Drucksache 17/1145 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Sie sind damit einverstanden. Folgende Kolleginnen und Kollegen haben dies getan: Peter Weiß, Max Straubinger, Anton Schaaf, Dr. Heinrich Kolb, Matthias Birkwald und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.5 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1145 an die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern - Drucksache 17/1028 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier wurde interfraktionell vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Auch hier sind Sie damit einverstanden. Es sind folgende Kolleginnen und Kollegen: Carola Stauche, Josef Rief, Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Kirsten Tackmann und Ulrike Höfken.6 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Modernisierungspartnerschaft mit Russland - Gemeinsame Sicherheit in Europa durch stärkere Kooperation und Verflechtung - Drucksache 17/1153 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch hier die Reden zu Protokoll zu geben. - Auch damit sind Sie einverstanden. Es sind folgende Kolleginnen und Kollegen: Karl-Georg Wellmann, Franz Thönnes, Dr. Bijan Djir-Sarai, Wolfgang Gehrcke und Marieluise Beck.7 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1153 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 18 sowie Zusatzpunkt 6: 18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Altschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmen streichen - Drucksache 17/1148 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Altschuldenentlastung für Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern - Drucksache 17/1154 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Parlamentarischer Staatssekretär Jan Mücke, Volkmar Vogel, Hans-Joachim Hacker, Petra Müller, Heidrun Bluhm und Stephan Kühn. Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): 20 Jahre nach der Wiedervereinigung haben wir leider immer noch mit den Altlasten der DDR-Vergangenheit zu kämpfen - auf vielen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Eines der wichtigsten Felder war ein menschenwürdiges Wohnumfeld, und zwar überall. Ein intakter, bezahlbarer und sozial ansprechender Wohnungsmarkt ist unser Ziel. Gerade ostdeutsche Wohnungsunternehmen stehen vor großen Herausforderungen, die sie meistern müssen. Dazu gehören die zu DDR-Zeiten aufgebürdeten Altschulden und gleichzeitig hoher Leerstand durch Wegzug und demografischen Wandel. Um es klar zu sagen: Alle Akteure am ostdeutschen Wohnungsmarkt haben Hervorragendes geleistet in den letzten Jahren. Die christlich-liberale Koalition wird das weiterentwickeln, was sie bereits 1993 mit dem Altschuldengesetz auf den Weg brachte. Auch das Programm Stadtumbau Ost wird fortgesetzt und durch weitere Felder ergänzt. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag festgehalten, dass "beim Stadtumbau Ost die Aufwertung von Innenstädten und die Sanierung von Altbausubstanz gestärkt und der Rückbau der technischen und sozialen Infrastruktur besser berücksichtigt werden soll. Der Erfolg des Programms soll nicht durch ungelöste Altschuldenprobleme einzelner Wohnungsunternehmen beim Abriss von Wohnungsleerstand gefährdet werden." Damit haben wir einen klaren Arbeitsauftrag formuliert, den die Koalitionsfraktionen und die Regierung sorgfältig, überlegt und zielführend umsetzen. Zugleich möchte ich auch noch mal deutlich die bisherigen Leistungen hervorheben. Denn im Rahmen des Solidarpaktes I von 1993 - nach dem Altschuldengesetz (AHG) vom 23. Juli 1993 - wurden bereits 14 Milliarden Euro an Teilentlastungen und 2,6 Milliarden Euro an Zinshilfen gezahlt. Den Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften, deren Existenz infolge Leerstands gefährdet ist - und dies ist ab einer Leerstandsquote von 15 Prozent der Fall -, erhalten zusätzlich eine Altschuldenentlastung nach der Härtefallregelung des Paragrafen 6 a AHG, soweit diese ihren Antrag bis zum 31. Dezember 2003 bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau eingereicht haben. Hans-Joachim Hacker (SPD): Mit dem seit 2002 laufenden Förderprogramm Stadtumbau Ost konnte ein Meilenstein für die Entwicklung ostdeutscher Städte gesetzt werden. Das milliardenschwere Programm hat es ermöglicht, städtebauliche Fehlentwicklungen zu korrigieren und Quartiere aufzuwerten. Das Programm geht auf eine Initiative der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2001 zurück und war nach Vorlage des Berichts einer Expertenkommission zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Ländern ergriffen worden. Neben der Stabilisierung von Stadtteilen sollten auch besonders wertvolle innerstädtische Altbaubestände mit überdurchschnittlichen Leerständen gerettet werden. Von Anfang an waren zwei Dinge in dem Programm klar: Abriss und Aufwertung sind zwei Seiten derselben Medaille. Es ging nicht nur darum, überschüssigen Wohnraum zu entfernen, sondern gleichzeitig Wohnbedingungen in Quartieren durch Sanierungen zu verbessern. Und zweitens: Das Programm war und ist ein "lernendes Programm", das sich ständig weiterentwickeln sollte. Es war damit im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden bestens geeignet, Lösungen für die Probleme bei der Stadtentwicklung in den neuen Ländern umzusetzen. Die Städte und die Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern standen nach der Wiedervereinigung vor gewaltigen Herausforderungen. Durch Abwanderung und Wegzug ins Städteumland war ein immer größer werdender Wohnungsleerstand zu beklagen. Die wenigsten Wohnungen waren auf modernen Standard saniert. Die Wohnungsunternehmen standen in den letzten zwei Jahrzehnten also vor enormen Aufgaben. Sie hatten noch eine weitere Last zu tragen: Altschulden. Im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit wurden die Altschulden aus dem DDR-Wohnungsbau auf die Wohnungsunternehmen übertragen und belasten sie bis heute. Aufgrund der Qualität der Wohnungen und durch hohe Leerstände konnten die Unternehmen nur wenig Mieteinnahmen erzielen. Hinzu kam die gesetzliche Begrenzung von Mietsteigerungen im Interesse der Mieter. Damit drückten die Altschulden besonders. Das Altschuldenhilfe-Gesetz ermöglichte den Abriss von Wohnungen bei gleichzeitiger Befreiung von Altschulden. 250 000 Wohnungen wurden auf diese Weise bis Ende 2009 zurückgebaut. Die Unternehmen wurden dadurch in die Lage versetzt, in einem Milliardenumfang Modernisierungs- und Verbesserungsmaßnahmen für das Wohnumfeld zu finanzieren. Der Wohnungsleerstand konnte damit aber noch nicht gänzlich beseitigt werden. Jetzt droht aufgrund der demografischen Entwicklung eine zweite Leerstandswelle in den neuen Ländern. Zu der einen Million leerstehender Wohnungen könnten Schätzungen zufolge bis 2020 weitere 430 000 hinzukommen. Neue finanzielle Belastungen drohen den ostdeutschen Wohnungsunternehmen: weitere Mietrückgänge und höhere Betriebskosten in der alten Gebäudesubstanz. Mit etwa 4 000 Euro Restschuld pro Wohnung stehen die ostdeutschen Wohnungsunternehmen noch in der Kreide. Sie müssen davon dringend entlastet werden, um den Spielraum dafür zu gewinnen, weiter ihren Beitrag zu einer Aufwertung der Quartiere leisten zu können. Viele nach 1990 instandgesetzte Wohnungen müssen bald wieder saniert werden. Bei vielen Wohnungen ist dringend eine energetische Sanierung notwendig. Leerstehende Wohnungen müssen zu einem großen Teil zurückgebaut, das Wohnumfeld verbessert werden. Dafür brauchen die ostdeutschen Wohnungsunternehmen Luft, die sie durch eine Entlastung bei den Altschulden erhalten können. Bei der Evaluation des Programms Stadtumbau Ost im vergangenen Jahr waren wir uns einig, dass dieses Programm erfolgreich war und fortgesetzt werden muss. Wir haben uns dazu mit einem Beschluss des Bundestages bekannt. Ein Teil des Beschlusses beinhaltete die Prüfung, wie eine weitere Entlastung der Wohnungsunternehmen von Altschulden ausgestaltet werden könnte. Hier setzt der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion an. Wir fordern eine abschließende Regelung der Altschuldenproblematik, die es den Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern ermöglicht, durch Umbau bzw. Abriss und Wohnumfeldmaßnahmen Quartiere zu stabilisieren und aufzuwerten. Uns geht es darum, allen Wohnungsunternehmen gleichermaßen die Chance für Investitionen in Rückbaumaßnahmen, energetische Sanierung und altersgerechten Umbau zu geben. Die Altschulden müssen bedient werden. Sie dürfen aber nicht Hindernis für die dringend erforderlichen Investitionen sein. In diesem Sinne sollten wir gemeinsam den Antrag beraten und danach beschließen. Petra Müller (Aachen) (FDP): Beim Stadtumbau Ost soll die Aufwertung von Innenstädten und die Sanierung von Altbausubstanz gestärkt und der Rückbau der technischen und sozialen Infrastruktur besser berücksichtigt werden. Der Erfolg des Programms soll nicht durch ungelöste Altschuldenprobleme einzelner Wohnungsunternehmen bei Abriss von Wohnungsleerstand gefährdet werden. So steht es im Koalitionsvertrag, und genau so werden wir auch mit dieser Frage umgehen. Das Altschuldenhilfe-Gesetz trat 1993 in Kraft. Die ostdeutschen Wohnungsunternehmen wurden dadurch etwa um die Hälfte ihrer noch aus DDR-Zeiten stammenden Altschulden entlastet. Ende 1993 betrugen die Altschulden einschließlich aufgelaufener Zinsen circa 30 Milliarden Euro. Im Rahmen des Solidarpaketes I erhielten die ostdeutschen Wohnungsunternehmen eine Teilentlastung von rund 14 Milliarden Euro zulasten des Bundes und 2,6 Milliarden Euro Zinshilfe von Bund und Ländern. Im Jahr 2001 wurde das Gesetz dahin gehend ergänzt, dass Wohnungsunternehmen, deren Existenz infolge Leerstands ab 15 Prozent gefährdet ist, zusätzliche Altschuldenentlastung nach der Härtefallregelung in § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetz erhalten. Der entsprechende Antrag musste bis zum 31. Dezember 2003 bei der KfW eingegangen sein. Es erfolgte somit eine Förderung des Abrisses, verbunden mit dem Erlass der Altschulden. Bei einem Abriss bis Ende 2013 wird durch die KfW ein Tilgungszuschuss bis zu 77 Euro pro Quadratmeter gewährt. Der Stadtumbau Ost unterstützt die Kommunen bei der Bewältigung der städtebaulichen Folgen des demografischen und wirtschaftlichen Strukturwandels durch Maßnahmen der städtebaulichen Aufwertung und des städtebaulich bedingten Rückbaus von dauerhaft nicht mehr benötigten Wohnungen. Es geht um eine nachhaltige Aufwertung und Stabilisierung von Stadtquartieren mit dem Ziel, den Strukturwandel der ostdeutschen Städte zu unterstützen und eine Konsolidierung des Wohnungsmarktes zu bewirken. Der Stadtumbau Ost ist eine Erfolgsgeschichte. Der Schrumpfungsprozess der Städte geht meist einher mit hoher Arbeitslosigkeit sowie geringer Steuereinnahmen und Kaufkraft. Deshalb müssen im Mittelpunkt die Quartieraufwertung, der bedarfsgerechte Umbau und der Wohnungsrückbau stehen. Neben dem Abriss müssen wir uns auch um die Sanierung von historischen und stadtbildprägenden Altbauten kümmern und so den Erhalt und die Sanierung historischer Quartiere weiter vorantreiben. Seit 2008 können Mittel der Altschuldenhilfe in Einzelfällen statt zum Abriss auch zur Sanierung von stadtbildprägenden Altbauten verwendet werden. Wir stehen vor der Herausforderung, unsere Städte und Gemeinden fit zu machen für die Zukunft. Als stadtentwicklungspolitische Sprecherin meiner Fraktion lege ich großen Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz und nicht nur auf die Lösung von Detailproblemen einzelner Stadtteile. Diesen ganzheitlichen Ansatz verfolgt auch mein Zukunftsprojekt, die energetisch-dynamische Stadtentwicklung, die bereits im FDP-Landeswahlprogramm NRW verankert ist. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer abschätzbar, inwieweit die Fortführung des Programms von einer Weiterführung der Altschuldenhilfe abhängt. Unbestritten ist, dass es durch einen behutsamen Rückbau zu einer Aufwertung der betroffenen Quartiere gekommen ist. Allein deshalb hat der Bund mit der Ersten Verordnung zur Änderung der Altschuldenhilfeverordnung vom 14. November 2008 zum Beispiel die Abrissfrist von 2010 auf 2013 verlängert. Wir erwarten, dass die Wohnungsunternehmer und Kommunen über die integrierten Stadtentwicklungskonzepte und die Flexibilisierung der Stadtumbauprogramme eine noch engere Zusammenarbeit in Betracht ziehen. Die Länder haben über die Verwaltungsvereinbarung 2010 sowie über die Bauministerkonferenz die Möglichkeit, sich auszutauschen. Wir werden prüfen, ob es bezüglich § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes eine Anschlussregelung für die Härtefallregelung geben wird. Die heutigen Anträge der SPD und der Linken lehnen wir deshalb ab. Insgesamt hat sich die wirtschaftliche Situation der Wohnungsunternehmen und Kommunen durch unsere Städtebauförderprogramme und die KfW-Förderprogramme wesentlich verbessert. Das Evaluierungsgutachten zum Stadtumbau Ost aus 2008 hat gezeigt, dass sich bei fast allen sogenannten §-6-a-Unternehmen die wirtschaftliche Situation verbessert hat. Ob in Zukunft weiter die Altschuldenhilfe notwendig ist, werden wir eingehend prüfen. Dabei wird die Haushaltskonsolidierung nicht aus dem Blick verloren. Ab dem Jahr 2011 stehen wir vor einer finanzpolitischen Herausforderung, für die es bislang in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik kein Beispiel gibt. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): So oft, wie dieses Thema schon in diesem Haus zur Debatte stand, sollten Sie alle hier eigentlich genug davon haben und endlich der längt überfälligen Streichung der Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen zustimmen. Dass Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, das ja eigentlich und unter bestimmten Voraussetzungen vielleicht sogar wollen würden, haben Sie doch im Koalitionsvertrag - wenn auch ein wenig verschämt - zum Ausdruck gebracht. Frei nach Karl Valentin: "Möchten hätten wir schon gewollt - aber dürfen ham mer uns nicht getraut." Nur "eigentlich" und "vielleicht" reichen - wie so oft - auch dieses Mal nicht. Geben Sie sich endlich einen Ruck! Handeln Sie jetzt, und tun Sie es gründlich! Aussitzen lässt sich dieses Problem ohnehin nicht, und je länger Sie warten, umso dramatischer und kostspieliger wird die Lage vieler ostdeutscher Wohnungsunternehmen am Ende für uns alle. Ich werde, da können Sie sicher sein, in dieser Angelegenheit hartnäckig bleiben, bis Sie Ihre eigenen Ankündigungen ernst nehmen. Altschulden nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz waren von Anfang an ein willkürliches politisches Konstrukt und bleiben eine schreiende Ungerechtigkeit. Fernab von jeder wirtschaftlichen Verantwortung der Wohnungsunternehmen für die Staatsschulden der DDR und um einen unliebsamen Mitbewerber in der Wohnungs- und Immobilienbranche dauerhaft zu schwächen, sind denen in einem historisch wohl einmaligen politischen Willkürakt Milliardenlasten aufgebürdet worden, wegen der sie sich bis heute nicht zu der treibenden Kraft beim Stadtumbau Ost entwickeln konnten, die sie eigentlich sein müssten. Diese Ungerechtigkeit und wirtschaftspolitische Unvernunft werden nicht gerechter oder vernünftiger, wenn Sie sie bis zum bitteren Schluss durchhalten wollen und in der Konsequenz schließlich uns allen damit schaden. Wir stehen mit unserer Forderung nach Altschuldenentlastung ja auch längst nicht allein. Auch der GdW, der Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen, hat jüngst - zum wiederholten Mal - gemeinsam mit ostdeutschen Mitgliederverbänden in seiner Leipziger Erklärung gefordert: "Wir brauchen eine Lösung der Altschuldenfrage, um das erfolgreiche Fortschreiten des dringend notwendigen Stadtumbaus in Ostdeutschland und damit die weitere positive Entwicklung der ostdeutschen Städte nicht zu gefährden." Es geht bei der Entscheidung "Altschulden streichen oder nicht" längst nicht mehr nur um die Existenz und wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Wohnungsunternehmen, sondern, auch das hat der GdW richtig erkannt, um die Zukunftsfähigkeit der ostdeutschen Städte. Deshalb wollen wir ja auch gar nicht, dass die noch mit Schulden belasteten Unternehmen den Erlass zum Nulltarif bekommen. Wir wollen, dass die Wohnungsunternehmen, statt noch weitere 25 bis 30 Jahre Kapitaldienst an die Banken zu leisten, die frei werdenden Mittel in die Kofinanzierung der Gebäudesanierungs- und Stadtumbauprogramme stecken, die Sie hier gerade vor wenigen Tagen mit dem Haushalt 2010 beschlossen haben. Dazu benötigen sie Eigenkapital, das diese Unternehmen nicht in ausreichendem Maße haben, weil Sie es ihnen vorenthalten. Wir wollen die entlasteten Unternehmen verpflichten, frei gewordene Mittel in die Umsetzung des CO2-Gebäudesanierungsprogrammes zu leiten und dabei die Kaltmiete für einige Jahre stabil zu halten, damit Segregation und Entmischung des sozialen Gefüges ganzer Stadtteile entgegengewirkt werden kann. Das wäre ökologisch und sozial. Wir wollen die Unternehmen in die Lage versetzen - und zwar auch das verbindlich -, Mittel aus den Programmen zum Stadtumbau in Anspruch zu nehmen und in den Beginn von Stadtumbau hin zur "Sozialen Stadt" zu investieren. Das wäre konjunkturbelebend und politisch verantwortlich. Es geht nämlich schon lange nicht mehr nur darum, rückwärtsgewandt Fehler zu korrigieren und Schaden zu begrenzen, sondern es geht trotz des dramatischen Wohnungsleerstandes in einigen Regionen Ostdeutschlands darum, dem drohenden strukturellen Wohnungsmangel, der auf wachsende Städte zukommt, rechtzeitig und programmatisch entgegenzuwirken. Der Altschuldenerlass für die ostdeutschen Wohnungsunternehmen - das ist uns selbstverständlich bewusst - ist nicht der Zauberschlüssel zur Lösung aller wohnungspolitischen Probleme. Aber er würde wirken wie der Einstieg in ein neues Konjunkturpaket und könnte signalisieren, dass auch die Bundesregierung allmählich eine Ahnung davon bekommt, was uns auf dem Gebiet von Wohnungs- und Städtebau in den nächsten Jahrzehnten bevorsteht. Nur so können wir unsere stärksten Partner im Stadtumbau erhalten. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum wiederholten Male wird die Problematik der Altschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmen in diesem Hause debattiert. Ich bin auch durchaus der Meinung, dass die Altschuldenproblematik einen Konstruktionsfehler der deutschen Einheit darstellt, der die ostdeutsche Wohnungswirtschaft nachhaltig belastet. Deswegen haben Bündnis 90/Die Grünen sich in der Kleinen Anfrage "Fortführung und inhaltliche Ausrichtung des Programms Stadtumbau Ost", Drucksache 17/974, auch nach verlässlichen Zahlen zur Problematik erkundigen wollen, um überhaupt einmal die Dimension des Problems realistisch einschätzen zu können. Wir mussten feststellen, dass der Bundesregierung auf die Frage der Höhe der Altschulden der kommunalen und genossenschaftlichen Unternehmen anscheinend keine Informationen vorliegen. Auf unsere Frage, ob denn weitere Entlastungen für die Wohnungsunternehmen oder ein Erlass der Altschulden geplant seien, wurde etwas wortkarg geantwortet: "Dies wird zur Zeit geprüft. An einen Erlass der Altschulden ist nicht gedacht." Meinen Sie nicht, dass es an der Zeit ist, diese Informationen einzuholen und an die Bundestagsfraktionen weiterzugeben? Der aktuelle Kenntnisstand des Ministeriums dient jedenfalls nicht einer lösungsorientierten Debatte. Wir benötigen verlässliche Zahlen als Grundlage für die politische Diskussion. Diese bekommen wir auch beim Antrag der Linken übrigens nicht dargestellt. Sie übernehmen ohne weiteres Hinterfragen des GdW-Bundesverbands die Angabe 4 000 Euro durchschnittliche Belastung pro Wohnung zur Beschreibung des Problems, schweigen sich aber über die Anzahl der belasteten Wohnungen aus, sodass wir wiederum keine Erkenntnis zur finanziellen Dimension des Themas erhalten. Woher nimmt die Linke die Erkenntnis, dass "ohne Altschuldenentlastung sich Wohnungsunternehmen nicht oder nur in Ausnahmefällen am Stadtumbau beteiligen können"? Sie wissen, dass es diese Entlastung durch die Altschuldenhilfe bereits gibt. Sie wissen auch, dass sehr viele Unternehmen die Unterstützungen wahrnehmen. Laut der Beantwortung unserer Anfrage sollen 78 Prozent der abgerissenen Wohnungen dank der Altschuldenhilfe abgerissen worden sein. Bis 2013 stehen laut Ministerium noch 230 Millionen Altschuldenhilfemittel zur Verfügung. Die Frage ist gegenwärtig, ob diese Mittel für den bevorstehenden Stadtumbau ausreichen werden oder nicht? Laut unserer Anfrage "wird dies zurzeit geprüft". Wir sind gespannt auf die Antwort und die Zeit, die das Ministerium für diese Antwort benötigt. Ich sage Ihnen schon einmal: Wir von Bündnis 90/Die Grünen sind auch nicht zufrieden mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz. Wir fördern Abriss mit Finanzhilfen, die eigentlich für den Aufbau Ost vorgesehen sind. Die Altschuldenhilfe wird aus dem Korb II des Solidarpakts II finanziert. Diese Mittel sind absehbar endlich. Und ein Behelf ist keine nachhaltige Lösung. Sollte eine Neuauflage der Altschuldenhilfemittel notwendig werden, dann muss über eine ganzheitliche, nachhaltige Lösung der Altschuldenfrage nachgedacht werden. Dafür fordern wir von der Bundesregierung verlässliche Zahlen. Ansonsten führen wir noch 2020 Debatten über Altschulden, die ans Fischen im Trüben erinnern. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nach dem Koalitionsvertrag soll der Erfolg des Programms Stadtumbau Ost nicht durch ungelöste Altschuldenprobleme einzelner Wohnungsunternehmen beim Abriss von Wohnungsleerstand gefährdet werden. Dies bedeutet, wir werden genau prüfen, ob eine Anschlussregelung für die Härtefallregelung nach § 6 a Altschuldenhilfe-Gesetz - Kosten von circa 800 Millionen Euro bis 2016 - notwendig ist, damit sich die Wohnungsunternehmen weiter am Abrissteil des Programms Stadtumbau Ost beteiligen können. Die Altschuldenregelung ist kein wohnungswirtschaftliches, sondern vielmehr ein städtebauliches Instrument. Eine vollständige Altschuldenentlastung aller von Altschulden betroffenen Wohnungsunternehmen unabhängig von der Leerstandsquote wie im Antrag der Linken gefordert lehnen wir ab. Dies ist angesichts der Kostenbelastung von mehreren Milliarden Euro völlig illusorisch und wäre auch sachlich nicht zu rechtfertigen. Im Einzelnen: Altschulden sind aus der Zeit der DDR übernommene Wohnungsbaudarlehen. Die Finanzierung des Wohnungsneubaus erfolgte aus dem Staatshaushalt sowie aus Krediten, die aus den Spareinlagen der Bürger der DDR bei den Sparkassen refinanziert wurden. Vor der Währungsumstellung hatte die Staatsbank der DDR rund 75 Milliarden Mark offene Forderungen für Wohnungsbaukredite. Diese wurden wie alle Schulden im Verhältnis 2:1 umgestellt. Die Deutsche Kreditbank AG - DKB - sowie die Berliner Stadtbank AG - BSB - hatten diese Schulden übernommen. Nach Art. 22 Abs. 4 des Einigungsvertrages wurden die Kommunen oder die Wohnungsgenossenschaften Schuldner der Baukredite. Wohnungen und Schulden wurden in der Regel von den Kommunen auf neu gegründete kommunale Wohnungsunternehmen übertragen. Die Wohnungen der Wohnungsgenossenschaften sind einschließlich der Verbindlichkeiten in deren Eigentum verblieben. Die Altschulden betrugen am 31.Dezember 1993 einschließlich aufgelaufener Zinsen circa 30 Milliarden Euro. Die ostdeutschen Wohnungsunternehmen erhielten im Rahmen des Solidarpaktes I von 1993 bisher nach Altschuldenhilfe-Gesetz - AHG - vom 23. Juli 1993 eine hälftige Teilentlastung in Höhe von 14 Milliarden Euro zulasten des Bundes und 2,6 Milliarden Euro Zinshilfe zulasten von Bund und Ländern. Diese Teilentlastung senkte die Altschulden auf durchschnittlich 77 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Über die bei den Wohnungsunternehmen verbliebenen Altverbindlichkeiten haben diese neue Kreditverträge mit Banken ihrer Wahl geschlossen. Darüber hinaus erhalten die Wohnungsunternehmen, deren Existenz infolge Leerstands ab 15 Prozent gefährdet ist, seit 2001 zusätzliche Altschuldenentlastung nach Härtefallregelung § 6 a Altschuldenhilfe-Gesetz, soweit ihr Antrag bis zum 31. Dezember 2003 bei der KfW eingegangen ist. Bei Abriss der entsprechenden Wohnfläche bis spätestens Ende 2013 wird den Unternehmen durch die KfW ein Tilgungszuschuss bis zu 77 Euro pro Quadratmeter gewährt. Rechtsgrundlage ist die Altschuldenhilfeverordnung - AHGV - vom 15. Dezember 2000, die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 6 a AHG beruht. Die Härtefallregelung ergänzt die umfassende Altschuldenentlastung für ostdeutsche Wohnungsunternehmen von 1993. Mit einem Entschuldungsvolumen von insgesamt 1,1 Milliarden Euro wird so der Abriss von circa 280 000 Wohnungen bis 2013 gefördert - zusätzlich zu den Abrisshilfen des Programms Stadtumbau Ost. Bisher wurden davon 80 Prozent - 885 Millionen Euro - ausgezahlt. Die tatsächlich erfolgten Abrisse blieben 2007 und 2008 hinter den ursprünglichen Abrissplänen der Unternehmen zurück - 50,7 Millionen Euro Ausgabereste. Mit der Ersten Verordnung zur Änderung der AHGV vom 14. November 2008, die unter anderem die Abrissfrist von 2010 auf 2013 verlängert, hat der Bund auf zunehmende Probleme der Wohnungswirtschaft beim Freiziehen für den Abriss vorgesehener Gebäude reagiert. Der Leerstand betrifft häufig nur noch Gebäudeteile, sodass die Wohnungsunternehmen in langwierigen Verfahren vor Abriss Gebäude freiziehen oder die weitere Leerstandsentwicklung abwarten müssen. Im Übrigen können mit dem 2008 eingeführten Haushaltsvermerk Mittel der Altschuldenhilfe statt zum Abriss auch zur Sanierung von stadtbildprägenden Altbauten verwendet werden. Diese Regelung dient zusammen mit den Sicherungs- und Aufwertungsmaßnahmen des Programms Stadtumbau Ost dem Erhalt von Altbauten. Insgesamt hat sich die wirtschaftliche Situation der Wohnungsunternehmen durch die Städtebauförderungen - unter anderem Abrisspauschale und Aufwertungsmittel im Programm Stadtumbau Ost - sowie durch die Altschuldenhilfe, aber auch durch die sehr günstige Zinsentwicklung wesentlich gebessert. Entsprechend dem Gutachten zur Evaluierung des Programms Stadtumbau Ost in 2008 ist bei fast allen sogenannten §-6-a-Unternehmen eine Konsolidierung der wirtschaftlichen Situation zu verzeichnen. Nach Erhebungen des GdW hat sich die Leerstandsquote von 16,2 Prozent 2002 auf circa 10 Prozent Ende 2009 reduziert. Außerdem sind eine Steigerung der Gesamt- und Eigenmittelrentabilität sowie ein besseres Rating bei den Gläubigerbanken zu verzeichnen. Wohnungsunternehmen zahlen inzwischen zum Teil Dividenden an ihre Kommunen. Inwieweit der Erfolg des Programms Stadtumbau Ost, zu dem auch der bedarfsgerechte Abriss von leerstehenden Wohnungen gehört, der von der Programm-evaluierung mit 200 000 bis 250 000 Wohnungen bis 2016 ermittelt wurde, tatsächlich von der Weiterführung der Altschuldenhilfe abhängt, ist vor diesem Hintergrund schwer abschätzbar. Einerseits erfolgten knapp 80 Prozent der bisherigen Abrisse durch Wohnungsunternehmen mit Altschuldenentlastung. Andererseits haben die Unternehmen durch die grundsätzlich kostendeckenden Abrisshilfen des Stadtumbaus, auch ohne Altschuldenhilfe, starke Anreize zum Abriss, um ihre Leerstandskosten weiter zu reduzieren. Ob und inwieweit zusätzlich dabei die Altschuldenhilfe notwendig ist, bedarf der eingehenden Prüfung. Dabei sind die schwierige Situation des Bundeshaushalts und die verfassungsrechtlichen Konsolidierungsvorgaben zu berücksichtigen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1148 und 17/1154 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 7: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Tierversuchsrichtlinie muss ethischem Tierschutz Rechnung tragen - Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Grundgesetz - Drucksachen 17/792, 17/1208 - Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Süßmair Undine Kurth (Quedlinburg) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Damit sind Sie einverstanden. Es sind folgende Kolleginnen und Kollegen: Dieter Stier, Heinz Paula, Dr. Christel Happach-Kasan, Alexander Süßmair und Undine Kurth.8 Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/1208, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/792 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kooperationsverbot in der Bildung unverzüglich aufheben - Drucksache 17/785 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sollen die Reden auch hier zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Tankred Schipanski, Marianne Schieder, Swen Schulz, Patrick Meinhardt, Dr. Rosemarie Hein und Priska Hinz. Tankred Schipanski (CDU/CSU): "Rütteln am Grundgesetz", so die "Süddeutsche Zeitung" am 1. März 2010, "Schavan für Bund-Länder-Bund", so die "FAZ" am 17. März 2010, "Bildung macht immer Ärger", so die "Zeit" vom 10. Dezember 2009. Die Berichterstattungen befassen sich alle mit Äußerungen unserer Bundesministerin Schavan, die zu einem Nachdenken über das sogenannte grundgesetzlich verankerte Kooperationsverbot anregen sollen. Unsere Ministerin gibt Denkimpulse und hinterfragt die gegenwärtige strikte Aufgabentrennung im Bildungsbereich von Bund und Ländern in einem Bundesstaat. Das ist legitim und richtig. Im Unterschied zur Opposition fordert die Ministerin aber nicht die sofortige Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich. Vielmehr hat die Ministerin klargestellt: Föderalismus beinhaltet eine klare Verteilung von Aufgaben und Verantwortung. An dieser für moderne föderale Systeme kennzeichnenden klaren Verteilung sollten wir festhalten. Ich verweise auf die Rede von Bundesministerin Schavan vor dem Deutschen Bundestag am 18. März 2010. Diese Einschätzung teilt auch die christlich-liberale Koalition. Für uns sind Bund, Länder und Kommunen Bildungspartner, genauso wie Studenten, Professoren und Hochschulleitungen Bildungspartner sind. Bei einer Partnerschaft braucht es keine verfassungsrechtliche Diskussion über sogenannte Kooperationsverbote. In einem föderativ gestalteten Staat wie der Bundesrepublik Deutschland stehen die Aufgabenbereiche von Bund und Ländern grundsätzlich nebeneinander. Das Grundgesetz geht daher in Art. 30 in Verbindung mit Art. 83 sowie Art. 104 a Abs. 1 grundsätzlich von einer strikten Aufgaben- und Ausgabentrennung zwischen Bund und Ländern und einem Verbot der Mischverwaltung und -finanzierung aus. Diese verfassungsrechtliche Trennung der Zuständigkeiten ist also staatsstrukturell bedingt und für einen Bundesstaat elementar. Von dem Grundsatz der Aufgabentrennung gibt es Ausnahmen, die ausdrücklich im Grundgesetz geregelt sind. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die Gemeinschaftsaufgaben, Art. 91 a bis d GG. Auch für den Bildungs- und Forschungsbereich verlangt das GG Zusammenarbeit und somit Kooperation, wie Art. 91 b Abs. 1 GG ausdrücklich kodifiziert. Nach Art. 91 b Abs. 1 Nr. 1 GG können Bund und Länder bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen zusammenwirken. Beispielhaft dafür steht der Pakt für Forschung und Innovation. Art. 91 b Abs. 1 Nr. 2 GG ist die Grundlage für den Hochschulpakt 2020 sowie für die Exzellenzinitiative. Art. 91 b Abs. 1 Nr. 3 GG besagt, dass Bund und Länder bei Forschungsbauten an Hochschulen, einschließlich Großgeräten, zusammenwirken können. Die Ausgestaltung des Art. 91 b Abs. 2 GG zeigt, dass der Bund eine begrenzte Rolle im Bildungsbereich hat. Hier wünscht sich unsere Ministerin die Möglichkeit eines stärkeren Engagements. Art. 104 b GG enthält und enthielt auch vor den Föderalismusreformen keine generelle Befugnis zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungs- und Forschungsbereich. Der Bund scheint danach nicht befugt zu sein, über Investitionshilfen hinaus inhaltlich Einfluss auf die Bildungspolitik der Länder zu nehmen. Wir dürfen aber eines nicht vergessen: Die klare Aufgabenzuweisung im Bundesstaat ist eingebettet in unsere Verfassung. Unsere Verfassung ist gekennzeichnet von verschiedenen Verfassungsprinzipien. So ist im Bund-Länder-Verhältnis der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, die sogenannte Bundestreue, elementar. Dieses Prinzip ist - als ungeschriebene Generalklausel - als staatsrechtliche Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu verstehen. Es verpflichtet den Bund und die Länder, "bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder zu nehmen" (BVerfGE 92, 203 [239]). Zwar eröffnet die Bundestreue keine gesetzgeberische Kompetenz des Bundes. Dennoch lässt er sich meines Erachtens im Zusammenhang mit der Kritik am sogenannten Kooperationsverbot ins Feld führen: Soweit die Kritiker befürchten, dass ein Kooperationsverbot zu weit auseinanderklaffenden Differenzen in der Bildungslandschaft führt, dürfte dem die Bundestreue entgegenstehen. Sie wirkt nämlich als Verpflichtung zur Zusammenarbeit, Abstimmung, Koordination, gegenseitigen Information und Rücksichtnahme, die insbesondere bei Ausübung an sich gegebener Kompetenzen zu beachten ist. Im Einzelfall kann sie dabei als Kompetenzschranke wirken. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Bundestreue verlangt von den Ländern eine Gesamtverantwortung für Deutschland. Dies gilt auch für den Bereich der Bildung. Das heißt: Bei der Herstellung von Bildungsgerechtigkeit müssen die Länder eine gesamtstaatliche Verantwortung wahrnehmen. Aktuell betrachtet bedeutet dies: Der Bund hat durch die Bundesregierung der christlich-liberalen Koalition umfangreiche Finanzmittel für unsere Bildungsrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt bzw. zugesichert. Wir brauchen klare rechtliche Grundlagen, damit wir diese Gelder sinnvoll in unserer Bildungsrepublik einsetzen können. Ziel der christlich-liberalen Koalition ist es, Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Allen Kindern und Jugendlichen in unserem Lande soll - unabhängig von ihrer sozialen Herkunft - der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung offen stehen. Zudem geht es uns darum, Deutschland zu einem attraktiven und international wettbewerbsfähigen Wissenschafts- und Forschungsstandort weiterzuentwickeln. Diese Ziele haben für uns absolute Priorität. Das von ihnen vorgetragene sogenannte Kooperationsverbot gibt es in dieser Form nicht; Kooperationen sind nicht per se verboten. Eine gesamtstaatliche Verantwortung lässt sich nicht verbieten. Gute Bildung ist in Deutschland nicht verboten. In den Bereichen, in denen eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nicht ausdrücklich kodifiziert ist, haben wir den Grundsatz der Bundestreue zu beachten, der ein Zusammenwirken von Bund und Ländern erfordern kann. Wir sind dabei, unsere Erfahrungen der Föderalismusreform I zusammenzutragen. Unsere Ministerin hat mit Blick auf Art. 91 b Abs. 2 GG ihre Erfahrungen in die Diskussion eingebracht. Die Bundesländer werden nunmehr ihre Erfahrungen kommunizieren. Wir Parlamentarier werden eine Gesamtbetrachtung der Ergebnisse vornehmen und die unterschiedlichen Interessen abwägen. Erst dann kann sich ein Parlamentarier eine abschließende Meinung bilden, allen voran in einem so sensiblen Bereich wie einer Grundgesetzänderung. Unser Meinungsbildungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Ich darf Ihnen jedoch bereits jetzt versichern, dass im Zentrum unseres Meinungsbildungsprozesses die Frage stehen wird, wie wir als Bund mit den Ländern und Kommunen zusammenwirken können, um unseren Kindern und Jugendlichen die bestmöglichen Bildungschancen zu eröffnen und den Wissenschaftsstandort Deutschland voranzubringen. Dabei werden wir auch überlegen, in welcher Form wir die Zusammenarbeit weiterentwickeln können. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Bildung ist ein wichtiges Gut, insbesondere für Deutschland als innovatives Land der Dichter und Denker. Wir tun gut daran, unser Bildungssystem ständig weiterzuentwickeln, zu optimieren und allen Menschen unserer Gesellschaft einen gerechten Zugang zu ermöglichen. Kontraproduktiv wäre es, die Sorge um das Bildungswesen dem Diskurs um Kompetenzen zu unterwerfen. In der Bundesrepublik Deutschland hat sich in den letzten 60 Jahren der Bildungsföderalismus grundsätzlich bewährt. Daher macht es auch Sinn, an ihm festzuhalten. Die aktuellen Herausforderungen im Bildungswesen haben jedoch gezeigt, dass die Absolutheit, mit der der Bildungsföderalismus derzeit zementiert und von den Bundesländern verteidigt wird, infrage zu stellen ist. Daher macht es Sinn, das im Grundgesetz festgeschriebene Kooperationsverbot zu überarbeiten. In diesem Punkt gehe ich mit dem Antrag der Fraktion Die Linke noch d'accord. Schwierig wird es allerdings mit dem Wie. In erster Linie soll der Bund zum Finanzhilfengeber für die Länder im Bereich Bildung mutieren. Und das ist mir zu wenig, wenn es darum gehen soll, unser Bildungswesen für den internationalen Vergleich fit zu machen und vor allem für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Wir brauchen eine enge Kooperation in verschiedensten Bereichen des Bildungswesens, wenn wir weiterkommen wollen. Wir brauchen eine Kooperation zwischen Bund und Ländern. Wir brauchen eine Kooperation unter den Bundesländern. Derzeit haben wir leider die Situation, dass mit jeder Kultusministerkonferenz in Deutschland neue Unterschiede zwischen den Bundesländern entstehen. Da muss sich etwas ändern. Hier sind der Bund und insbesondere das Bundesbildungsministerium gefordert, moderierend einzugreifen und sich darum zu kümmern, die Legitimation dafür zu haben. Bisher haben wir leider nur leere Ankündigungsreden von Frau Ministerin Schavan, dass sich hier etwas ändern müsse. Ich fordere die schwarz-gelbe Regierung auf, die noch vorhandenen Mehrheiten zu nutzen und den Worten endlich Taten folgen zu lassen, um eine effektive Kooperation zwischen Bund und Ländern im Bildungswesen zu ermöglichen. Zusammenarbeit beinhaltet auch, aufeinander zu hören, miteinander zu reden und im Dialog Vereinbarungen zu treffen. Dies, meine Damen und Herren von der Linken, vermisse ich in Ihrem Antrag, wenn es hier heißt, dass: "der Bund die Kompetenz erhält, in allen Bereichen der Bildung bei Aufgaben von überregionaler Bedeutung, insbesondere durch die Gewährung von Finanzhilfen, beim Ausbau des Bildungssystems mitzuwirken". Wenn das Kooperationsverbot im Bildungswesen fällt, dürfen wir nicht neue Problemstellungen schaffen, indem wir den Bund entweder zur Finanzmelkkuh verkommen lassen oder den Bund auf Bereiche mit sogenannter überregionaler Bedeutung begrenzen. Qualifizierte Bildungspolitik für die Herausforderungen von morgen braucht mehr. Genauso fatal wäre es, dem Bund einseitig die Kompetenz zu geben, ohne Rückkopplung mit den Ländern in die Bildungspolitik hineinagieren zu können. Ich halte daher fest, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken: Im Grunde ist ihr Anliegen unterstützenswert, doch in der Ausgestaltung bleiben viele Fragen offen, und es droht eine Engführung, die neue Probleme provoziert. Die letzten Jahre haben zur Genüge gezeigt, dass blinder Aktionismus in der Bildungspolitik überhaupt nicht hilft. Bleibt zu hoffen, dass wir in diesem Hohen Haus baldmöglichst über einen konkreten und ausgereiften Gesetzentwurf zur Frage des Kooperationsverbotes im Bildungswesens abstimmen können und uns nicht weiter an Willenserklärungen abarbeiten müssen. Abschließend kann ich für meine Fraktion sagen, dass wir daran arbeiten, diesem Anspruch gerecht zu werden. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Der Radikalföderalismus in der Bildungspolitik hat sich überlebt. Leider haben das aber noch nicht alle erkannt. Dabei liegt auf der Hand, dass die Herausforderungen im Bildungswesen, die Notwendigkeiten zu Verbesserungen zur Erreichung optimaler Bildung für alle - egal welcher Herkunft sie sind und welchen familiären Hintergrund sie haben - eine Zusammenarbeit aller Ebenen nötig machen. Die Ergebnisse des Bildungsföderalismus sind ausweislich der PISA-Studien und anderer wissenschaftlicher Erhebungen auch nicht so ermutigend, dass alle anderen Nationen mit Neid auf unseren schönen Föderalismus schauen. Das hat inzwischen sogar Bundesministerin Schavan erkannt. Dabei hatte sie sich als Bildungsministerin Baden-Württembergs noch ganz anders geäußert. Inzwischen freuen wir uns aber über ihren Erkenntnisgewinn. Sie möchte den Bund als Akteur auch in der Schulpolitik sehen, um etwa Grundschulen in sozialen Brennpunkten unterstützen zu können. Darüber kann man im Einzelnen reden - wenn es denn eine Grundgesetzänderung gäbe und das sogenannte Kooperationsverbot abgeschafft würde. Leider vermissen wir bis heute bei allen schönen Reden und Wolkenschiebereien der Frau Schavan eine konkrete, handfeste Initiative zur Grundgesetzänderung. Die kommt nun von der Fraktion Die Linke, aber leider nur halbherzig. Der Bund soll bei Aufgaben von überregionaler Bedeutung beim Ausbau des Bildungssystems mitwirken, insbesondere durch die Gewährung von Finanzhilfen. Was ist von überregionaler Bedeutung und was nicht? Ist die Einrichtung von Ganztagsschulen von überregionaler oder regionaler Bedeutung? Und die Hilfe für besonders belastete Schulen? Und warum nur Finanzhilfen? Warum soll der Bund nicht auch pädagogisches Personal stellen können? Nein, die optimale Lösung liegt doch wohl eher in der Schaffung einer echten Kooperationsmöglichkeit von Bund und Ländern für die Bildung ohne einschränkende Bedingungen, die dann sowieso nur juristischen Streit provozieren. Ich habe, wie in der Haushaltsdebatte bereits angekündigt, Bundesministerin Schavan in einem Brief angeboten, dass wir eine gemeinsame, überparteiliche Initiative zur Grundgesetzänderung ergreifen. Man darf gespannt sein auf die Antwort. Natürlich gibt es viele Widerstände gegen eine Grundgesetzänderung. Das hat mit Eitelkeiten einiger Akteure zu tun, die schlicht nicht zugeben möchten, dass die Föderalismusreform ein Fehler war, und mit Verlustängsten: Die Bundesländer sehen den wichtigsten Kern ihrer Kompetenz - und damit ihrer Existenzberechtigung - bedroht. Doch das sind Debatten, über die wir alle nur den Kopf schütteln werden, wenn sie einmal überwunden sind. Denn erstens wollen wir den Ländern doch nichts wegnehmen, sondern nur bei der Bewältigung von Problemen zusammenarbeiten. Und zweitens: Kann sich heute noch jemand vorstellen, dass bei der Föderalismusreform auch jede Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Hochschulpolitik grundgesetzlich verboten werden sollte? Es war die SPD-Bundestagsfraktion, die mit der Androhung der Ablehnung der gesamten Reform eine Öffnung des Grundgesetzes zur Kooperation in der Wissenschaft erzwungen hat. Und dann gab es in Windeseile große und erfolgreiche Kooperationen von Bund und Ländern für die Hochschule, etwa den Hochschulpakt. Man stelle sich nur für einen Moment vor, jemand wollte jetzt das Grundgesetz ändern und diese Kooperation verbieten wollen. Er würde ausgelacht. So, genau so wird es auch beim Thema Schule gehen. Wir müssen nur endlich einmal durchsetzen, dass die lebende Leiche Radikalföderalismus auch endlich beerdigt wird. Patrick Meinhardt (FDP): Der hier vorliegende Antrag der Linken zeigt ganz klar, dass es hier nicht um eine seriöse bildungspolitische Diskussion geht, sondern ausschließlich um ideologische Vorurteile. Die Linke zeigt wieder einmal, dass sie ein grundsätzliches Problem mit der föderalistischen Ordnung des Grundgesetzes hat. Sie verstehen das Prinzip des Föderalismus nicht und deshalb haben sie ein Problem damit. Wie in vielen Bereichen hat sich die Linke auch in dieser Frage bis heute nicht von ihrer Vergangenheit lösen können. Sie streben weiterhin ein zentralistisches Einheitssystem an, eine zentralistische Bildung möglichst einheitlich an jedem Ort dieser Bundesrepublik. Wir Liberale setzen dagegen auf einen bürgernahen Staat, auf Selbstverantwortung vor Ort und Entscheidungsfreiheit der Betroffenen. Über 1 Billion Euro hat die öffentliche Hand in dreißig Jahren für Bildung ausgegeben. Und mit welchem Ergebnis? Die PISA-Studie und andere Studien haben uns nicht das beste Zeugnis ausgestellt. Und nur um eines klarzustellen: Wir reden dabei über die Zeit vor der Föderalismusreform. Wir reden über die Zeit, als die Kooperation zwischen Bund und Ländern bestand und nicht gegriffen hat. Hören Sie also auf, das unsinnige Märchen zu verbreiten, ohne das Kooperationsverbot hätten wir ein besseres Bildungssystem in Deutschland. Hören Sie auf, den Eindruck zu erwecken, dass man nur mehr Geld für Bildung ausgeben muss und so alle Probleme lösen könnte. Und hören Sie auf, die föderalen Strukturen für Probleme verantwortlich zu machen, die durch diese föderale Ordnung überhaupt erst zu Tage treten. Die Bundesländer, die sich modernen Konzepten in der Bildungs- und Hochschulpolitik geöffnet haben, haben in allen Vergleichsstudien gut oder sehr gut abgeschnitten. Die Landesregierungen, die an ihren ideologischen Vorstellungen festgehalten haben, wurden mit den entsprechenden Ergebnissen abgestraft. Und schließlich muss man sich auch noch die Frage stellen, welche angeblichen Reformen Sie denn durch bundeseinheitliche Maßnahmen fördern möchten. Etwa die staatliche Monopolisierung von Bildung, wie sie in Mecklenburg-Vorpommern oder Bremen betrieben wird? Oder doch lieber das Tombolasystem ihrer rot-roten Parteifreunde in Berlin, wo die Chancen auf einen Platz an einem Gymnasium und damit die Zukunftschancen eines Kindes vom Losglück abhängen, und zwar nur deshalb, weil Sie ideologische Probleme mit dieser Schulform haben. Nein, meine Damen und Herren, diese Ostalgie in der Bildungspolitik machen wir nicht mit. Sie setzen auf jene Konzepte, mit denen Sie schon in der Vergangenheit gescheitert sind. Wir wollen moderne Ideen und Kreativität fördern. Deshalb hat sich die Koalition der Mitte auch klar für eine Bildungspartnerschaft von Bund, Ländern und Kommunen unter Wahrung der jeweiligen staatlichen Zuständigkeit ausgesprochen. Wir glauben an das Prinzip der Subsidiarität auch in der Bildungspolitik, und zwar nicht deshalb, weil wir es vor Jahrzehnten einmal beschlossen haben - das wäre der Weg, den Sie mit Ihrer Zentralismusgläubigkeit gehen. Wir halten am Prinzip der Subsidiarität deshalb fest, weil es sich als der richtige Weg erweist, als der richtige Weg gegen Bürokratie, gegen Innovationsfeindlichkeit und für eine moderne Bildungspolitik, die nahe bei den Menschen ist. Der Wettbewerb um die beste Bildung ist auch ein Wettbewerb der Länder um die beste Bildungspolitik. Wir haben hier also einen Antrag vorliegen, der ganz klar an der Sache vorbeigeht. Wir brauchen keine endlosen Debatten über Zuständigkeiten. Wir brauchen Debatten über die besseren Bildungskonzepte. Doch bei dieser Frage versagen Sie regelmäßig, meine Damen und Herren von den Linken. Wo haben wir denn die wirklichen Probleme in der Bildungspolitik? Nicht in Baden-Württemberg, nicht in Hessen und auch nicht in Schleswig-Holstein. Die großen Probleme haben wir dort, wo Linke oder SPD oder Grüne regieren und regiert haben. Wenn Sie der Ansicht sein sollten, dass wir diesen Länderregierungen wirklich die Kompetenz für die Bildungspolitik entziehen sollten, dann könnte ich dies sogar nachvollziehen. Weil die Länder, in denen linke Bildungspolitik gemacht wird, den Vergleich weder national noch international standhalten, wollen Sie den Zentralismus. Und damit wollen sie letzen Endes nur vertuschen, dass Sie keine sinnvollen Ideen in der Bildungspolitik bieten können. Wissen Sie, Sie sollten endlich verstehen, dass es einzig und alleine um die Kinder und Jugendliche in der Bildungspolitik geht. Wir brauchen in Deutschland eine klare Zuordnung der Kompetenzen als Voraussetzung für ein modernes und effizientes Bildungssystem. Zu lange haben wir Debatten über Zuständigkeiten geführt, die uns von wichtigen inhaltlichen Diskussionen abgehalten haben. Dass Sie diese Debatte erneut aufgreifen, zeigt einfach nur, dass es Ihnen nur um populistische und ideologische Parolen geht und nicht um die beste Bildung für unsere Kinder und Jugendlichen. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vier Jahre ist es her, dass mit der Föderalismusreform die Kooperation und damit die gemeinsame Finanzierungsverantwortung von Bund und Ländern im Bereich der Bildung unmöglich gemacht wurden. Heute findet man kaum noch jemanden, der diesen Schritt von damals verteidigt. Hätte man bei der Anhörung im Bundestag genau hingehört, wäre das Kooperationsverbot wohl nicht verhängt worden. Dort erklärten mehrere Sachverständige in großer Deutlichkeit, dass sie diesen Schritt für einen Fehler halten. So hob der Föderalismusexperte Professor Dr. Schneider vom deutschen Föderalismusinstitut Hannover hervor, dass sich - ich zitiere aus dem Protokoll der Anhörung im Deutschen Bundestag - "das Erziehungs- und Bildungswesen am allerwenigsten zu einer strikten Trennung von Bundes- und Landeskompetenzen" eigne. Damals bestanden vor allem die Bundesländer darauf, die alleinige Verantwortung auf dem Gebiet der Bildung übernehmen zu wollen. Heute hört man in Ost wie West Forderungen nach mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen, und es scheint so etwas wie eine Gegenbewegung zu geben. Inzwischen sind sich alle Parteien einig, dass Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein muss. Wir als Linke sprechen von einer Gemeinschaftsaufgabe und verstehen darunter die gemeinsame Verantwortung der öffentlichen Hand auf allen Ebenen. Doch heute darf der Bund sich grundsätzlich nicht mehr an den Investitionen in den Bau von Schulen beteiligen, und so erfinden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien fleißig Programme, mit denen dieses Verbot der Zusammenarbeit und gemeinsamen Verantwortungsübernahme diskret unterlaufen werden kann. Ohne dies wären auch die lokalen Bildungsbündnisse nicht zu fördern. Von "Bildungspartnerschaften" ist dann die Rede und von "Sicherung der Nachhaltigkeit" früherer Programme. Aber eigentlich geht auch das alles nach dem Grundgesetz nicht. Darum musste erst das Grundgesetz in der Föderalismusreform II geändert werden, sodass wenigstens in Katastrophenfällen geholfen werden kann. Sonst hätten Schulen und Kultureinrichtungen vom Konjunkturpaket II gar nicht profitieren können. Tatsächlich leistet der Bund für das Ziel, künftig 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung auszugeben, nicht viel. Der Bildungsanteil in den Länderhaushalten beträgt im Durchschnitt heute bereits mehr als 32 Prozent; der in den Kommunen dürfte, je nach Berechnung, bei 20 Prozent liegen. Der Bildungsanteil im Bundeshaushalt liegt deutlich unter 5 Prozent. Dabei formuliert der Bund ständig Erwartungen und setzt sogar gesetzliche Rahmen, die Konsequenzen für bildungspolitische Entwicklungen haben müssten: die Erwartung, die starke Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft zu mindern, die UN-Konvention über inklusive Bildung umzusetzen und einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung zu verwirklichen. Die Maßnahmen dazu reichen zwar längst nicht aus, sind aber schon jetzt auf allen Ebenen unterfinanziert. Das Ganztagsschulprogramm wurde initiiert, um ein flächendeckendes Ganztagsschulangebot zu entwickeln. Das Ziel ist richtig. Aber das vom Bund bezuschusste Bauprogramm war nur der Startschuss und löste bei den Ländern und Kommunen massive Folgekosten aus. Ganztagsschulen müssen nicht nur unterhalten, sondern auch mit Leben erfüllt werden. Dazu gehört nicht nur die dauerhafte materielle Ausstattung der Schulen, sondern auch die Bezahlung von Lehrkräften und anderem pädagogischen Personal. Es geht um die Sicherung der inhaltlichen Qualität des Ganztagsschulbetriebs. Dafür aber reichen Bauprogramme nicht aus. Oder nehmen wir den frühkindlichen Bereich: Hier hat die Bundesregierung sogar einen Rechtsanspruch festgeschrieben - auch das ist richtig -, wenngleich nur halbherzig, weil kein Ganztagsanspruch formuliert wurde. Dass aber für frühkindliche Bildung mehr als gut aufgeschriebene Programme nötig sind, nämlich massenhaft gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher, ist im Eifer der guten Tat untergegangen. Nach den jüngsten Zahlen der Bundesregierung über den Ausbaustand fehlen schon für das Erreichen des angestrebten Ziels für die unter Dreijährigen bis 2013 noch immer 78 000 Erzieherinnen und Erzieher in der frühkindlichen Bildung. Für den Ausbau der Kinderbetreuung ist von der Bundesregierung aber bis auf ein kleines Bauprogramm aus dem Jahre 2007 von 2,15 Milliarden Euro nichts geleistet worden. Für alle anderen Kosten sind die Länder und Kommunen zuständig. Nicht umsonst mehren sich heute die Klagen, dass die Aufgabe bis 2013 nicht zu schaffen ist. Alleine die Stadt Magdeburg, aus der ich komme, gibt über 49 Millionen Euro pro Jahr für Kinderbetreuung aus. Wenn künftig Bildung als Gemeinschaftsaufgabe verstanden werden soll, muss auch der Bund seiner Verantwortung nachkommen können für mehr Vergleichbarkeit in der Bildung, für die Überwindung sozialer Ausgrenzung, für die Sicherung einer hohen Bildungsqualität und für eine gute Ausstattung der Bildungsinstitutionen. Darum muss als erster Schritt das Kooperationsverbot fallen. Dafür soll unser Antrag den Aufschlag geben. Sie alle wissen, dass das Kooperationsverbot bildungspolitisch nicht zu begründen ist. Darum springen Sie einmal über Ihren Schatten. Stimmen Sie unserem Antrag einfach zu. Mittelfristig muss man weiter gehen. Die Gemeinschaftsaufgabe Bildung ist im Interesse einer modernen Ausgestaltung des Föderalismus durch alle Bildungsbereiche hinweg neu zu definieren. Die Abteilung "Programmerfindung" im BMBF kann dann künftig anderweitig beschäftigt werden. Dazu aber bedarf es einer umfangreichen Debatte zwischen Bund, Ländern und Kommunen, die heute begonnen werden muss. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich eines gleich zu Beginn sagen: Mit der Einführung des Kooperationsverbots im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahre 2006 haben sich Bund und Länder einen Bärendienst erwiesen. Dies ist keine neue Erkenntnis, musste aber offensichtlich so lange wiederholt werden, bis auch Bundesministerin Schavan so langsam zu der Erkenntnis kam, dass man wohl damals einen Fehler gemacht hat. Denn was ist die Konsequenz? Der Bund kann seinen Teil der gesamtstaatlichen Verantwortung für Bildung nicht wahrnehmen. Stattdessen wird viel Energie verschwendet, Umwege dafür zu suchen, wie der Bund die Länder doch unterstützen kann. Das Konjunkturprogramm II ist ein Beispiel dafür. Weil die Finanznot von Ländern und Kommunen groß ist, der Bund aber keine direkte Unterstützung beim Schulbau leisten darf, wurde die Begründung "energetische Sanierung" bemüht, um den Schulen dennoch Geld zukommen lassen zu können. Viel sinnvoller wären aber gemeinsam von Bund und Ländern ausgehandelte und finanzierte Programme, die zu einer Qualitätssteigerung im Bildungsbereich führen: ganztägige gute Bildung, längeres gemeinsames Lernen, ein inklusives Schulsystem, die Förderung von Migrantenkindern, ein besserer Übergang von der Schule in die Ausbildung. Die Liste ist lang. Seit einiger Zeit spricht Bundeskanzlerin Merkel ja gerne von der "Bildungsrepublik Deutschland". Doch was ist bisher daraus geworden? Zwei gescheiterte Bildungsgipfel 2008 und 2009. Der nächste steht im Juni dieses Jahres an. Doch warum soll das Ergebnis besser sein als bei den vorangegangenen? Wenn die Bundesregierung nicht endlich anfängt, eine Initiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes einzuleiten, dann wird auch dieser Gipfel zu einer Farce. Selbst Frau Schavan, einst Kämpferin für eine "Nichteinmischung" des Bundes in Bildungsfragen, gibt inzwischen zu, dass das Kooperationsverbot ein Fehler war. Es sei 2006 aus einer "momentanen Missstimmung" zwischen Bund und Ländern, in erster Linie auf Drängen der Ministerpräsidenten, beschlossen worden. Ich frage Sie: Sollen wir jetzt weitere Jahre wegen einer "Missstimmung" das Kooperationsverbot weitertragen, das verhindert, dass wir gerade in einem so wichtigen Bereich wie der Bildungspolitik eine Stagnation erleben? Das Kooperationsverbot ist eine selbstverordnete Einschränkung der politischen Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern. Der sogenannte Wettbewerbsföderalismus hat das Bildungsniveau insgesamt nicht gesteigert, die Qualität der Schulen nicht verbessert. Initiativen wie das Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" für mehr Ganztagsschulen haben gezeigt, dass es wichtig ist, Programme gemeinsam aufzulegen, durchzuführen und zu finanzieren. Sehr geehrte Ministerin Schavan, ziehen Sie die folgerichtige Konsequenz aus Ihrer späten Erkenntnis, dass das Kooperationsverbot ein Fehler war. Ergreifen Sie die Initiative für eine Grundgesetzänderung, damit die Kooperation von Bund und Ländern im Bereich der allgemeinen Bildung wieder möglich wird. Wir unterstützen Sie dabei gerne. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/785 an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verpflichtung zur Registrierung aller klinischen Studien und zur Veröffentlichung aller Studienergebnisse einführen - Drucksache 17/893 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Federführung strittig In der Tagesordnung wurde schon ausgewiesen, dass auch hier die Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Rolf Koschorrek, René Röspel, Dr. Marlies Volkmer, Lars Lindemann, Dr. Petra Sitte und Birgitt Bender. Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Mit der Redewendung "Eulen nach Athen tragen" bezeichnet man gemeinhin eine überflüssige Tätigkeit. "Eulen nach Athen tragen" wäre auch eine passende Überschrift für den hier vorgelegten Antrag der Linken zur Registrierung und Veröffentlichung aller klinischen Studien und ihrer Ergebnisse, denn die Bundesregierung ist längst dabei, die zentralen Forderungen des hier vorgelegten Antrags auf den Weg zu bringen. Auf europäischer Ebene: Innerhalb der Europäischen Union besteht bereits eine Registrierungspflicht für alle hier durchgeführten klinischen Studien in der - zurzeit allerdings noch nur behördenintern zu nutzenden - EudraCT-Datenbank. Die Bundesregierung setzt sich auf europäischer Ebene dafür ein, dass die Daten der klinischen Studien für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und engagiert sich dementsprechend bei der Erarbeitung der erforderlichen EU-Richtlinien. Konkret geht es dabei um die Festlegung der Datenfelder, die der Öffentlichkeit sinnvollerweise bereitgestellt werden sollen. Als maßgebliches Kriterium hierfür sieht die Bundesregierung, dass die zugänglich zu machenden Informationen für die Öffentlichkeit von Nutzen sein müssen. In Deutschland: An der Universität Freiburg befindet sich mit Förderung des Bundesforschungsministeriums ein nationales Studienregister für klinische Studien im Aufbau, das Deutsche Register Klinischer Studien, DRKS. Es umfasst neben Arzneimittelstudien und Studien zu Medizinprodukten Studien zu medizinischen, physiotherapeutischen und psychotherapeutischen Verfahren. Es wird in enger Zusammenarbeit mit der WHO - speziell mit der International Clinical Trials Registry Platform, ICTRP - konzipiert. Das DRKS ist seit Oktober 2008 als WHO-Primärregister anerkannt und erfüllt damit die Anforderungen des International Committee of Medical Journal Editors, ICMJE, dessen Mitglieder bereits im September 2004 die prospektive Registrierung klinischer Studien als Voraussetzung für eine Veröffentlichung beschlossen haben. Es zählt zu den derzeit weltweit zehn Primärregistern, die in die WHO-Plattform "International Clinical Trial Registry Platform", ICTRP, mit einem internationalen Standard für die Registrierung klinischer Studien integriert ist. Das DRKS bietet die Möglichkeit, Informationen zu laufenden und abgeschlossenen klinischen Studien in Deutschland zu suchen oder eigene Studien über die Registrierung anderen zugänglich zu machen. Im Geschäftsbereich des BMBF ist die Registrierung klinischer Studien Voraussetzung für eine Förderung, zum Beispiel in der Fördermaßnahme "Klinische Studien". Eine verpflichtende Registrierung aller klinischen Studien beim DRKS lässt sich derzeit gesetzlich nicht verankern. Allerdings wird auf untergesetzlicher Ebene darauf hingewirkt, dass möglichst viele Studien im Rahmen des Antragsverfahrens bei den Ethikkommissionen freiwillig beim DRKS registriert werden. Dies ist der aktuelle Sachstand der laufenden Bemühungen und des aktiven Einsatzes der Bundesregierung hinsichtlich der Registrierung von klinischen Studien und zu den Neuregelungen, wie der Zugang für Ärzte, Patienten und die Wissenschaft zu den Daten der klinischen Studien national und international optimiert wird. Anstelle weiterer Ausführungen dessen, was aus unserer Sicht zu dem hier eingebrachten Antrag darzulegen wäre, ist hier auf die ausführliche Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Fraktion Die Linke, Drucksache 17/349, hinzuweisen, die dem Parlament vorliegt und darüber hinaus allgemein zugänglich ist. René Röspel (SPD): Klinische Studien sind ein wichtiger Baustein moderner Gesundheitsforschung. Jedoch leidet auch dieser Forschungszweig unter einem Problem, das zwar menschlich verständlich, in diesem Bereich aber überhaupt nicht angebracht ist: positive Ergebnisse werden überbetont, negative Ergebnisse hingegen zu oft verheimlicht. Dies gilt insbesondere, wenn die klinischen Studien durch Unternehmen finanziert werden und das eigentliche Ziel der Studie nicht der Wissensgewinn, sondern der Nachweis positiver Wirkungen etwa eines Arzneimittels, ist. Dieser sogenannte "Publication Bias" ist ein vielfach nachgewiesenes und seit langem bekanntes Problem. Kritisch wird dieser Sachverhalt vor allem dort, wo es um eine gute und finanziell dem Nutzen angemessene medizinische Versorgung kranker Menschen geht. Die Probleme, vor denen etwa das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in der Vergangenheit stand und bis heute steht, sind korrekt im Antrag der Fraktion Die Linke beschrieben. Wir müssen uns fragen, ob wir als Gesellschaft wirklich akzeptieren wollen, dass, wie im vorliegenden Fall für drei Antidepressiva, bei insgesamt rund 5 100 Testpersonen nur Daten von 1 600 Probanden transparent verfügbar sind und publiziert wurden. Die beste Lösung für dieses Problem kann nur sein, dass wir eine Verpflichtung zur Registrierung aller klinischer Studien, die in Deutschland durchgeführt werden, einführen. Es war und ist gut und richtig, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung knapp 2,3 Millionen Euro aufgewandt hat, um das "Deutsche Register klinischer Studien", DRKS, aufzubauen. Man muss sich aber fragen, ob die Schaffung von Anreizen für eine freiwillige Registrierung der Studien beim DRKS ausreicht. Die Bundesregierung vertritt laut Bundestagsdrucksache 17/349 die Auffassung, dass diese Anreize ausreichen. Wir als Fraktion der SPD teilen diese Bewertung ausdrücklich nicht. Man muss sich fragen, wer einen Nutzen aus dem Verzicht auf eine allgemeine Registrierungspflicht hat und hier kommen einem sicherlich weder die Probanden noch die Kranken noch unsere Gesellschaft allgemein in den Sinn. Nicht nur aus Gründen der Verbesserung der Versorgung, sondern auch aus forschungspolitischer Sicht ist eine Verpflichtung zur Registrierung aller klinischer Studien wünschenswert. So steht zu hoffen, dass eine umfassende Registrierung etwa dazu führt, dass es Personen, die an seltenen Krankheiten leiden, leichter möglich sein wird, sich an einer Studie zu beteiligen. Ohne Registrierungspflicht hätte die Mehrzahl dieser Personen vermutlich nie von der Studie erfahren. Forschung und Wissenschaft leben vom freien Austausch von Informationen. Ohne eine allgemeine Registrierungspflicht kann man jedoch nie sicher die Frage beantworten, welche Studien zur Krankheit X oder zum Arzneimittel Y bereits durchgeführt wurden. Doppelstudien, die durchaus auch Gefahren für die Probandinnen und Probanden beinhalten können, sind die Folge. Ohne Not werden hier Ressourcen verschwendet, die man besser in zusätzliche Studien investieren sollte. Wer gegen eine allgemeine Registrierungspflicht argumentiert, der sollte sich bewusst sein, dass offenkundig in Deutschland größere Bedenken bestehen als in anderen Ländern. So haben etwa die USA eine solche Verpflichtung bereits in geltendes Recht übernommen - und die USA gelten wahrlich nicht als Land, in dem Forschung und Freiheit durch bürokratische Fesseln gehemmt werden. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsam mit der Fraktion der CDU/CSU einen guten Antrag zur Förderung nichtkommerzieller klinischer Studien, Bundestagsdrucksache 16/6775, auf den Weg gebracht. Diese kollegiale Zusammenarbeit im Sinne der Patientinnen und Patienten sollten wir fortsetzen. Wir werden daher ebenfalls einen Antrag in die parlamentarische Beratung einbringen. Dieser wird unter anderem, ausgehend von der genannten Drucksache, Vorschläge unterbreiten, um den öffentlichen Zugang zu Informationen über klinische Studien umfassend sicherzustellen. Im Gegensatz zum Vorschlag der Fraktion Die Linke werden wir aber auch stärker darauf Rücksicht nehmen, dass die Sponsoren klinischer Studien ebenfalls berechtigte Interessen haben. So darf etwa eine Registrierungspflicht nicht zum Einfallstor für den Diebstahl von Ideen und Forschungsdesigns werden. Dieser Aspekt wird im Antrag der Fraktion Die Linke leider nicht ausreichend berücksichtigt. Daher sehen wir den Antrag der Linken als interessanten Impuls für unsere parlamentarische Debatte; aber wir werden einen besseren Vorschlag zur Lösung der im vorliegenden Antrag beschriebenen Probleme unterbreiten. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Bereits seit Jahren diskutieren wir darüber, wie die Transparenz über laufende, beendete oder abgebrochene klinische Studien erhöht werden kann. Heute kann es keinen Zweifel mehr darüber geben: Die Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtungen ist vorbei. Registrierungen und Veröffentlichungen auf freiwilliger Basis werden niemals zu einem vollständigen Überblick über die Studien zu einem Arzneimittel oder einem therapeutischen Verfahren führen. Seit den ersten Diskussionen um die Einführung von Studienregistern hat sich einiges getan. Heute bezweifelt niemand mehr ernsthaft den Sinn einer Registrierung von Studien. Register sind unter anderem notwendig, weil die Berichterstattung über Studienergebnisse, positive und negative, vollständig sein muss. Dies ist wichtig bei der Bewertung des Nutzens einer Therapie. Zudem ist überflüssige Forschung am Menschen unethisch und muss vermieden werden. Darüber hinaus müssen Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit erhalten, sich über laufende Studien zu einzelnen Erkrankungen zu informieren, aber auch über die besten Behandlungsmöglichkeiten in bestimmten klinischen Situationen. Mittlerweile gibt es international eine ganze Reihe von Registern, die allerdings unterschiedlich zugänglich und bekannt sind. Das europäische Register EudraCT dürfte eines der umfangreichsten Register in Europa sein, da jede klinische Prüfung mit Arzneimitteln dort registriert sein muss, bevor die Prüfung begonnen wird. Allerdings beinhaltet EudraCT ausschließlich Arzneimittelstudien und ist weder Ethikkommissionen noch Ärzten oder gar der Öffentlichkeit zugänglich. Es gibt Register in anderen Ländern wie das Register des National Institute of Health in den USA, www.clinicaltrials.gov. Leider ist der Anteil der Studien, die Firmen mit Sitz in Deutschland dort registrieren, nach Aussagen von Experten äußerst gering. Es wird davon ausgegangen, dass lediglich 10 bis 30 Prozent aller in Deutschland durchgeführten Studien dort registriert werden. Es ist bekannt, dass die Mehrheit der deutschen Ärzteschaft nicht einmal regelmäßig englischsprachige Artikel in Fachzeitschriften zur Kenntnis nimmt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch nur einer Minderheit das amerikanische Register überhaupt bekannt ist - was zudem nichts über seine Nutzung sagt. Argumentiert wird häufig, dass für die Publikation in einer großen Fachzeitschrift eine Registrierung ohnehin notwendig sei. Nur: Nicht jede klinische Prüfung wird publiziert. Vor allem von abgebrochenen Studien und von Studien mit negativen Ergebnissen, zum Beispiel, wenn das Arzneimittel nicht die erhoffte Wirkung hatte, erfahren in der Regel nur die zuständige Bundesoberbehörde und die Ethikkommission, sonst niemand. So kommt es dazu, dass die Wirksamkeit zum Beispiel von Arzneimitteln systematisch überschätzt wird, die Risiken hingegen unterschätzt werden. Das kann fatale Folgen bei der Behandlung von Patienten haben; denn das bestehende Risiko durch nutzlose oder schädliche Behandlungen kann kein Arzt aus eigener Kraft recherchieren. Aber auch Institutionen wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, IQWiG, stoßen an Grenzen. Das IQWiG hat die Aufgabe, den Nutzen von Arzneimitteln und anderen Therapien und das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu bewerten, und zwar durch Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen. Die Bewertung ist dabei maßgeblich von der Vollständigkeit der publizierten Literatur abhängig. Um das Problem der lückenhaft publizierten Studien aus der Welt zu schaffen, hat das IQWiG mit den pharmazeutischen Herstellern bereits 2005 eine grundsätzliche Einigung zur Übergabe solcher Daten vereinbart. Allerdings ist auf diese Ankündigungen kein Verlass. Nach Aussagen des IQWiG gab es in den letzten Jahren wiederholt Fälle, in denen es Firmen abgelehnt hatten, dem Institut Unterlagen zu Studien zur Verfügung zu stellen, die es für die Nutzenbewertung von Arzneimitteln benötigte. Das IQWiG schildert konkret eine Bewertung von Arzneimitteln zur Behandlung von Depressionen. In diesem Fall fehlten in der öffentlich zugänglichen Literatur die Ergebnisse von etwa zwei Dritteln der behandelten Pa-tienten. Dabei suggerierten die veröffentlichten Ergebnisse einen Nutzen, der sich letztlich bei Betrachtung aller Daten nicht belegen ließ. Vor diesem Hintergrund braucht es dringend eine Registrierungs- und eine Veröffentlichungspflicht klinischer Studien. Die Registrierungspflicht muss sich auf das Deutsche Register für Klinische Studien, DRKS, beziehen, das seit 2007 mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung aufgebaut wird. Anders als andere Register, zum Beispiel auch das geplante europäische EudraPharm-Register, umfasst das DRKS über Arzneimittelstudien hinaus Studien zu Medizinprodukten und Studien zu medizinischen, physiotherapeutischen oder psychotherapeutischen Verfahren. Anders als andere Register bietet es durch die deutsche Sprache Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzten einen einfachen Zugang. Zudem soll es - auch das ist nicht unbedingt Usus - eines Tages Studienergebnisse verzeichnen können. Deshalb braucht das DRKS langfristig eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung. Sie sehen, dass ich die Hauptargumente des vorliegenden Antrags teile. Im Detail sehe ich Verbesserungsbedarf vor allem hinsichtlich der konkreten Umsetzung der Registrierungspflicht. Deshalb wird die SPD-Fraktion einen eigenen Antrag vorlegen. Lars Lindemann (FDP): Die Linke hat uns hier einen Antrag vorgelegt, in dem sie eine uneingeschränkte und undifferenzierte Regis-trierungs- und Veröffentlichungspflicht für klinische Studien fordert. Als Begründung wird eine "systematische Verzerrung in der Bewertung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren" im gegenwärtigen Forschungsbetrieb genannt. Dabei umfasst der Geltungsbereich des Antrages Studien forschender Unternehmen ebenso wie öffentlicher Institute. Ziel soll es sein, falsche Wirksamkeits- und Risikobewertungen zu verhindern. Dieses Ziel teilen wir. Wir haben ein Interesse daran, dass nur solche Arzneimittel auf den Markt kommen, die wirksam und sicher sind. Und wir haben ein Interesse an einer guten Verfügbarkeit von Daten und einer verständlichen Kommunikation der relevanten Ergebnisse. Sie allerdings nutzen selbst dieses Thema dazu, Ideologie zu transportieren, statt sachdienliche Vorschläge zu machen; denn von der Sache haben Sie ganz offensichtlich nicht viel Ahnung. So zeichnen Sie einmal mehr das düstere Bild von Forschung, als wäre sie nicht Hoffnung und Heilsbringer kranker Menschen, sondern das Reich des Bösen. Sie stellen die Forschergemeinde unter den Generalverdacht der Manipulation und schießen scharf auf ihren Klassenfeind. Gleichzeitig beweisen Sie Ihre Realitätsferne, indem Sie die qualitativen Selbstregulationsmechanismen des Wissenschaftsbetriebes ignorieren und keinerlei Differenzierung etwa zwischen Phase-I- und Phase-III-Studien vornehmen. Forscher sollen bei Androhung von Strafe gezwungen werden, ihre sämtlichen Ergebnisse nicht nur für Fach-adressaten zu formulieren, sondern stets auch laienverständlich. Aber was heißt das eigentlich in der Wirklichkeit? Können Sie mir sagen, welcher Bürger sich für die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Daten einer Substanz interessiert, die bereits in dieser Phase aus dem Prozess fliegt und niemals in der Klinik landet? Wie kann man ohne Fachausbildung überhaupt die Relevanz dieser Parameter beurteilen? Und haben Sie eine Vorstellung, welche zusätzliche bürokratische Belastung sie den Forschergruppen zumuten? Das ist wirklich nicht Ihre Welt; das merkt man in jeder Zeile Ihres Antrages. Wissenschaftliche Fragestellungen sind differenziert, Studienpublikationen haben bestimmte Adressaten, und nicht jede Studie hat Fragestellungen, die sich auf eine einfache Aussage reduzieren lassen. Und wollen Sie ernsthaft sagen, dass ein Laie die statistische Signifikanz einer Korrelation mathematisch nachvollziehen will? Für den Bürger ist wichtig, dass ein Mittel wirksam und sicher ist und für die richtige Indikation verwendet wird. Die Aufgabe, dies sicherzustellen, hat die Zulassungsbehörde, in der die Fachleute sitzen, die Studien in ihrer wissenschaftliche Tiefe beurteilen und alle Informationen auch einordnen können. Dem bürokratischen Aufwand stünde gerade bei Phase-I-Studien keinerlei Nutzen gegenüber. Deshalb setzt übrigens auch die amerikanische Food and Drug Administration, FDA, den Filter bei Studien, die sich auf zugelassene Arzneimittel beziehen. Darüber hinaus schüren Sie Ängste, es würden in großem Stil gefährliche Medikamente, Hilfs-, Heilmittel und Verfahren zugelassen. Dabei ignorieren Sie völlig die gute Arbeit des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, IQWiG, der europäischen Arzneimittelagentur, EMEA, des Paul-Ehrlich-Institutes, der Forschungsinstitute selbst, der wissenschaftlichen Fachzeitschriften, der medizinischen Fachgesellschaften, der forschenden Pharmaunternehmen, der Krankenkassen, der Ärzte und Therapeuten. Damit sind nur einige genannt, die einen international extrem hohen Standard der Qualitätssicherung in Deutschland sicherstellen. Niemand wird in Abrede stellen, dass Untersuchungsergebnisse wissenschaftlicher Studien in Ausnahmefällen gefälscht oder auch zielorientiert erstellt werden. Dass dies möglich ist, liegt vor allem daran, dass der stetig wachsenden Masse von Publikationen - abgesehen von solchen, die Teil von Zulassungsverfahren sind, kaum Ressourcen zur Überprüfung gegenüberstehen. Aber was ändert Ihr Vorschlag daran? Wer die kriminelle Energie aufbringt, Protokolle zu fälschen oder Messwerte zu schönen, der wird nicht dadurch abgeschreckt, dass er seine Studie registriert hat und sie neben dem Fachjournal noch in einer zusätzlichen Datenbank veröffentlicht. Kommt es zu einem Zulassungsverfahren, müssen die Daten spätestens den strengen Kriterien des Verfahrens standhalten. Und hier sind dann auch die Ressourcen. Wir befürworten eine bessere Verfügbarkeit wissenschaftlicher Daten aus medizinischen Studien. Deswegen begrüßen wir die Selbstverpflichtung zur Registrierung und Publikation sämtlicher Studien, die sich der Verband Forschender Arzneimittelhersteller, vfa, auferlegt hat. Diese ist so angelegt, dass ein vollständiger Überblick über die in einem bestimmten Indikationsgebiet durchgeführten Studien ermöglicht wird. Hier ist die europäische Datenbank für klinische Studien, EUDRACT, eingebunden. Aktivitäten auf europäischer Ebene, die eine Erweiterung der Zugänglichkeit der EUDRACT-Daten anstreben, halten wir für sinnvoll. Der Aufbau eines zusätzlichen nationalen Registrierungs- und Publikationssystems liegt aber eindeutig nicht im Interesse einer einfacheren Zugänglichkeit von Daten. Punktum: Ihr Antrag ignoriert die bestehenden Mechanismen und enthält nichts, was Sicherheit und Qualität von Arzneimitteln erhöhen würde. Stattdessen wollen Sie die Forschergemeinde durch kontraproduktive Bürokratie noch mehr belasten. Das schadet nicht nur der Forschung, sondern schließlich auch den kranken Menschen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Gestern hat US-Präsident Obama das größte innenpolitische Projekt der Legislaturperiode, eine Gesundheitsreform samt Versicherungspflicht für alle Bürger, auf den Weg gebracht. Das amerikanische Gesundheitssystem ist bekanntermaßen das teuerste der Welt, auch die Arzneimittelkosten liegen an der globalen Spitze. Obama hat mit der Versicherungspflicht einen ersten richtigen Schritt getan. Nun folgen die Mühen der Ebene: Das Versicherungssystem darf kein Selbstbedienungsladen für die Leistungserbringer und Pharmafirmen werden, sondern muss die bestmögliche Versorgung zu vertretbaren Kosten im Blick haben. Ein Teil dieser Debatte wird sich um die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln drehen. Während den USA viele Bewertungsinstrumente fehlen, haben sie Deutschland jedoch eines voraus: eine gesetzliche Pflicht zur Registrierung und Veröffentlichung der Daten aus klinischen Studien. Seit 2008 enthält der Food and Drug Administration Amendment Act, FDAAA, die Vorschrift, dass alle Registrationsdaten klinischer Studien, aber auch die Ergebnisse der Untersuchungen im Internet zu veröffentlichen sind. Warum hat sich dieses industriefreundliche Land zu solch einem radikalen Schritt entschlossen? Weil es der Publikationspraxis industriegeführter Pharmaforschung nachweislich an Transparenz mangelt. Dies verwundert nicht. Schließlich sind positive Studienergebnisse ein Push-up für Absatz und Börsenkurs, während die Nachricht von Unwirksamkeit oder gar Komplikationen und Nebenwirkungen von Wirkstoffen Milliardenumsätze verhindern können. Auch die Frage, ob ein neues Medikament besser wirkt als ein bereits am Markt befindliches, hat Auswirkungen auf den Umsatz der Pharmakonzerne. Wenn die Kassen das neue Medikament nicht erstatten, dann entsteht unter Umständen gar kein Markt dafür. Aber nicht nur die sogenannten Sponsoren der Studien, also die Industrieunternehmen, haben ein Interesse an positiven Ergebnissen. Auch der wissenschaftlichen Reputation von Forscherinnen und Forschern und von Redaktionen der Journales helfen Erfolge in der Wirkstoffentwicklung eher als deren Risiken und Nebenwirkungen. Es gibt also handfeste Interessenlagen, die den sogenannten Publikations-Bias hervorrufen. Studienergebnisse mit positivem Inhalt werden dreimal so häufig publiziert wie solche mit negativem Inhalt. Viele Studien bleiben nach Abschluss oder Abbruch in der Schublade der Sponsoren, auch wenn sie vorher ordentlich bei den europäischen Behörden registriert worden sind. Verschiedene Untersuchungen haben festgestellt, dass zwischen den angemeldeten Studien und den dann in der Fachliteratur publizierten Ergebnissen häufig eine große Lücke klafft. Eine 2008 erschienene Untersuchung verglich Studienergebnisse, die der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA gemeldet wurden, mit denen, die dann in der Fachliteratur auftauchten. Ergebnis: Die Daten der FDA können keinen signifikanten therapeutischen Nutzen der zwölf untersuchten Antidepressiva nachwiesen; lediglich 51 Prozent der Studienergebnisse waren positiv. In der Fachliteratur hingegen wurden Prüfungen mit 94 Prozent positivem Ergebnis dargestellt. Der Rest fiel zumindest für die Augen von Ärztinnen und Ärzten, Patientinnen und Patienten und Krankenversicherungen einfach unter den Tisch. Der Publikations-Bias ist kein amerikanisches Problem. Gerd Antes, Leiter des renommierten Cochrane-Zentrums in Heidelberg, geht davon aus, dass etwa die Hälfte der in Deutschland angekündigten Studien nie veröffentlicht wird. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG, das den Nutzen neuer Medikamente bewerten soll, muss sich zum Teil mit noch schlechterer Datenlage begnügen. So verweigerte der Pharmahersteller Pfizer trotz gegenteiliger Vereinbarung die Einsicht in die Patientendaten zum Antidepressivum Edronax, das bereits seit zwölf Jahren auf dem Markt ist. Lediglich 1 600 Datensätze wurden dem Institut zur Verfügung gestellt; die 3 000 weiteren seien nicht zur Bewertung des Medikaments geeignet - so die lapidare Aussage des Konzerns gegenüber dem IQWiG. Von den 17 Studien, die zu Edronax durchgeführt worden sind, tauchten nur sieben in wissenschaftlichen Publikationen auf - natürlich die mit positivem Ergebnis. Wir finden, dass dieser Zustand der Intransparenz und Vertuschung ein Ende haben sollte. Erkenntnisse aus klinischen Studien sind keine "Geschäftsgeheimnisse" und auch keine Privatsache der Financiers. Zum einen wurden diese Studien fast immer unter Nutzung öffentlicher Infrastrukturen und öffentlicher Grundlagenforschung durchgeführt. Zum anderen haben viele Akteure ein Recht auf diese Ergebnisse: zuerst die Probandinnen und Probanden selbst, die sich der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Aber auch die wissenschaftliche Community, deren Diskurs auf Transparenz und Validität gründet. Und nicht zuletzt sind alle Akteure in der Gesundheitsversorgung auf die Daten angewiesen. Patientinnen und Patienten wollen die verschriebenen Therapien überprüfen können, Ärztinnen und Ärzte die wirksamsten Medikamente verschreiben und die Selbstverwaltung des Gesundheitswesens auf effizienten Mitteleinsatz der Versichertenbeiträge und Steuermittel achten. Wir fordern die Bundesregierung auf, nicht nur auf europäischer Ebene um eine Veröffentlichungspflicht zu ringen, sondern hier in Deutschland mit gutem Beispiel voranzugehen. In Heidelberg wird, unterstützt durch das Bundesforschungsministerium, seit 2007 das Deutsche Register für Klinische Studien - kurz DRKS - aufgebaut. Obwohl einige namhafte Forschungszeitschriften die Registrierung der Studie in einem zertifizierten Register zur Voraussetzung einer Publikation machen, wächst der Datenbestand auf freiwilliger Basis nur äußerst schleppend. Mit Stand von gestern waren 203 Studien registriert. 1 300 klinische Tests werden jedoch nach Aussage der Bundesregierung pro Jahr durchgeführt. Das zeigt: Freiwilligkeit löst das Problem nicht. Wir brauchen eine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung aller Daten aus klinischen Studien. Das DRKS, offiziell von der WHO anerkannt, bietet für solch ein Vorhaben die passende Infrastruktur. Sie müssen nur den Mut haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dem renditestärksten Industriezweig Grenzen zu setzen und die Interessen der Öffentlichkeit in den Vordergrund zu rücken. Dass zu den ersten Amtshandlungen des Gesundheitsministers der sanfte Druck zur Absetzung des renommierten IQWiG-Leiters Peter Sawicki gehörte, stimmt mich in dieser Hinsicht zwar pessimistisch. Wir setzen jedoch auf den sanften Druck der öffentlichen Debatte, die in den letzten Monaten immer deutlicher eine Veröffentlichungspflicht für klinische Studien gefordert hat. SPD und Grüne, selbst Herr Spahn von der Union und der Staatssekretär im Gesundheitsministerium Herr Bahr von der FDP zeigten sich einer solchen Regelung gegenüber aufgeschlossen. Dann sollte sie doch auch umzusetzen sein. Zugleich, das soll hier zum Schluss angemerkt sein, kann die Debatte um Transparenz und Freiheit der medizinischen Forschung mit diesem Vorhaben nicht abgeschlossen werden. Eine Studie hat im Auftrag des deutschen Ärztetages im vergangenen Jahr festgestellt: "Veröffentlichte Arzneimittelstudien erzielen häufig ein für pharmazeutische Unternehmen günstiges Forschungsergebnis, wenn diese Studien vom Herstellerunternehmen finanziert wurden oder sich ein Autor in einem ökonomischen Interessenkonflikt befindet." Ergo: Es muss um die Ermöglichung von mehr industrieunabhängiger Forschung gehen. Wir brauchen objektives Wissen über den Nutzen und Schaden der immer komplexer werdenden therapeutischen und diagnostischen Möglichkeiten. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die fehlende Transparenz über bestehende Studien und der fehlende Zugang zu deren Ergebnissen sind nicht hinnehmbar und schaden letztlich allen Beteiligten im Gesundheitswesen. Seit Jahren setzen wir Grüne uns für ein öffentlich zugängliches, verpflichtendes Arzneimittelstudienregister und die Veröffentlichung aller Studienergebnisse ein. Daher stößt der Antrag der Linken, der dieses Thema parlamentarisch aufgreift, auf unsere ungeteilte Zustimmung. Ein öffentlich zugängliches und verpflichtendes Studienregister ist notwendig, da es erstens Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Forschungsvorhaben vor unnötigen und gegebenenfalls schädlichen Studien schützt, da es zweitens Forschende unterstützt, sich tatsächlich neuen, bisher noch nicht erforschten Gebieten zu widmen, statt Redundantes zu erforschen oder sich in den gleichen Sackgassen zu verlaufen wie andere zuvor, da es drittens Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit bietet, auf einer möglichst sicheren Basis Therapieempfehlungen und Leitlinien zu entwickeln, und da es viertens Patientinnen und Patienten nicht - im Extremfall tödlichen - Nebenwirkungen aussetzt, die unter Umständen den Herstellern bekannt waren, von ihnen aber verschwiegen werden. Wie notwendig ein solches Vorgehen ist, zeigen Arzneimittelskandale der letzten Jahre. Genannt seien aus dem Jahr 2000 Vioxx, wo Hinweise auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko der Öffentlichkeit offenbar systematisch vorenthalten wurden, und aus dem Jahr 2007 das Antidepressivum Seroxat. Hier wurde dem Hersteller vorgeworfen, Forschungsergebnisse, die eine erhöhte Selbstmordgefahr bei Teenagern zeigten, zurückzuhalten. Auf den aktuellen Fall, die Vorenthaltung von Studien gegenüber dem IQWiG - auch hier handelte es sich um Antidepressiva -, weist der Antrag ja bereits hin. Seit Jahren bohren wir Grüne an diesem dicken Brett. Dass dies nicht immer einfach ist, davon kann ich ein Lied aus den letzten Wahlperioden im Bundestag singen. 2003/2004 stand die 12. Novelle zum Arzneimittelgesetz auf der Tagesordnung. Wir gingen damals mit zwei Forderungen, die einen engen Bezug zur heutigen Debatte haben, in die Verhandlungen mit dem Koalitionspartner SPD. Zum Ersten mit der Forderung nach einem nationalen Register aller genehmigten klinischen Prüfungen, das regelmäßig evaluiert werden sollte. Zum Zweiten mit der Forderung nach expliziten Auskunftsrechten von Probandinnen und Probanden zu den Ergebnissen der Studie, an der sie selbst teilgenommen haben. Mit beiden Anliegen sind wir gescheitert. Damals fehlte es an einer Unterstützung aus der SPD-Fraktion. Immerhin ist ein Teil der SPD kurz danach aufgewacht. Ende 2004 nach einer Anhörung der Enquete-Kommission Ethik und Recht in der modernen Medizin schrieben sie sich ein verpflichtendes Studienregister plötzlich auf die Fahne. Erreicht haben wir Grüne damals nur einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Den Ethik-Kommissionen wurde ein indirekter Zugang zur europäischen Datenbank EudraCT ermöglicht. Mit § 42 Abs. 2 a AMG wurde das BfArM oder PEI verpflichtet, die zuständigen Ethikkommissionen zu unterrichten, wenn Informationen insbesondere zu abgebrochenen oder vorzeitig beendeten klinischen Prüfungen vorliegen, die für die Bewertung der beantragten Studie von Bedeutung sind. In der letzen Wahlperiode forderten dann Abgeordnete der Regierungskoalition, versteckt im Antrag "Nichtkommerzielle klinische Studien in Deutschland voranbringen", von ihrer eigenen Regierung ein nationales Register und eine Erleichterung des öffentlichen Zugangs zu nationalen und europäischen Registern für klinische Studien. Der politische Wille einiger Koalitionsabgeordneten war da, aber es fehlte ihnen die politische Macht zur Durchsetzung. Im Interesse der Patientinnen und Patienten, der Ärztinnen und Ärzte und der Forscherinnen und Forscher sollten wir als Parlament geschlossen fordern, dass diese Bundesregierung endlich wirklich aktiv wird und längst Überfälliges umsetzt. Sie sollte sich nicht mit dem Verweis darauf, dass für Arzneimittel die europäische Datenbank EudraCT in Zukunft in Teilen öffentlich zugänglich ist, drücken. Denn EudraCT hat ein zentrales Manko: Es fehlen Informationen zu den Studienergebnissen. Für Medizinprodukte und alle anderen medizinischen Studien sieht die Situation viel düsterer aus. Ein erster Silberstreifen am Horizont ist das freiwillige Deutsche Register Klinischer Studien. Jedoch deuten die ersten Zahlen der dort registrierten Studien darauf hin, dass mit einer Freiwilligkeit, selbst wenn die Registrierung eine Voraussetzung für eine Publikation in Fachorganen ist, bei weitem keine Vollständigkeit erzielt werden kann. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/893 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Gesundheit, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke ab, das heißt Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Er ist damit abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, nämlich Federführung beim Ausschuss für Gesundheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Das heißt, die Federführung liegt beim Ausschuss für Gesundheit. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entfristung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung - Drucksache 17/1141 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige entfristen und ausbauen - Drucksache 17/1166 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, werden die Reden von folgenden Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben: Paul Lehrieder, Gabriele Lösekrug-Möller, Johannes Vogel, Sabine Zimmermann und Brigitte Pothmer. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Bevor ich auf den Gesetzentwurf der Linken und den Antrag der Grünen eingehe, möchte ich kurz etwas zum Gegenstand der Initiativen sagen, die wir heute hier debattieren, der freiwilligen Arbeitslosenversicherung. Seit dem 1. Februar 2006 können sich bestimmte Gruppen von Selbstständigen nach § 28 a SGB III freiwillig in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung weiterversichern. Voraussetzung dafür ist, dass die selbstständige Tätigkeit mehr als 15 Stunden wöchentlich umfasst, dass der Antragsteller innerhalb der letzten 24 Monate vor Beginn der Selbstständigkeit mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden oder eine Entgeltersatzleistung bezogen hat. Wichtig ist auch, dass unmittelbar vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ein Versicherungspflichtverhältnis bestanden hat oder eine Entgeltersatzleistung bezogen wurde und dass der Antrag auf freiwillige Weiterversicherung spätestens innerhalb eines Monats nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gestellt wird. Für die einen erhöht sich dadurch die Dauer eines möglichen Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Für die anderen wird der Antrag auf ALG II und die damit verbundene unangenehme Bedürftigkeitsprüfung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Zweck der freiwilligen Weiterversicherung ist es, Arbeitslosen, die sich selbstständig machen, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden, die Angst zu nehmen, bei einem Scheitern der Existenz sozial schlechter zu stehen als zuvor. § 28 a SGB III stellt deshalb sicher, dass sie den bereits erworbenen Versicherungsschutz durch eine Weiterversicherung aufrechterhalten können. Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III endet das Versicherungspflichtverhältnis von Selbstständigen und Arbeitnehmern, die vorübergehend im Ausland außerhalb der EU oder EU-assoziierten Staaten tätig sind, spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2010. Dann stünde ab 2011 nicht nur Neugründern die Möglichkeit der freiwilligen Arbeitslosenversicherung nicht mehr zur Verfügung, sondern auch bereits Versicherte nach § 28 a SGB III könnten in der Folge die Arbeitslosenversicherung nicht weiterführen. In ihrem Gesetzentwurf fordern die Linken deshalb, die bestehende Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung schnell zu entfristen und diese auch für die langjährig Selbstständigen zu öffnen und für solche, die vorher Leistungen nach dem SGB II bezogen haben. Wie schade, dass Sie nicht gründlich recherchiert haben, bevor Sie Ihren Entwurf zu Papier brachten! Dann würden Sie nämlich die Antwort der Bundesregierung vom 18. Februar dieses Jahres auf eine Kleine Anfrage der Grünen kennen, Drucksache 17/749. Dort teilte die Bundesregierung mit, dass sie "prüft, ob die freiwillige Weiterversicherung über den 31. Dezember 2010 hinaus fortgeführt werden soll. Bei dieser Prüfung wird sie auch die bisherigen Erfahrungen mit der freiwilligen Weiterversicherung berücksichtigen. Die Beratung innerhalb der Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen." "... Vor dem Hintergrund der Veränderung in den Erwerbsbiographien beurteilt die Bundesregierung die bisherige Wirkung der freiwilligen Arbeitslosenversicherung positiv." Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass "die Förderung und Absicherung selbständig Tätiger ... eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft und nicht nur der Beitragszahler zur Bundesagentur für Arbeit" sei. Meine Damen und Herren von den Linken, ich denke, diese Aussage spricht für sich. Sie hätten sich also wirklich viel Arbeit sparen können. Die Grünen wiederum haben einen reinen Schaufensterantrag abgeliefert. Die Antwort der Bundesregierung, datiert vom 18. Februar 2010, ist deutlich genug und zufriedenstellend. Trotzdem preschen die Grünen vor und unterstellen der Bundesregierung gewissermaßen Untätigkeit. Redlich ist das nicht. Ein einfacher Anruf im Bundesarbeitsministerium oder in unserer Fraktion hätte ausgereicht. Dann hätten wir Ihnen gerne noch einmal bestätigt, dass innerhalb des Ministeriums in Abstimmung mit anderen Ressorts an einer schnellstmöglichen Lösung gearbeitet wird. Im Laufe des normalen Gesetzgebungsverfahrens können Sie dort dann Ihre Vorstellungen einbringen. Ihrem Vorwurf, die Bundesregierung versäume es, die Versicherungsoption zu verlängern, und nehme so die Verunsicherung der betroffenen Bevölkerung in Kauf, widerspreche ich entschieden. Er ist durch nichts belegt. Im Gegenteil: Am 1. März dieses Jahres teilte das Bundesarbeitsministerium dem Onlinewirtschaftsportal "ad-hoc-news" auf Anfrage mit: "Die entsprechenden Rechtsänderungen, die auch die bisherigen Erfahrungen mit der freiwilligen Weiterversicherung berücksichtigen, werden zurzeit erarbeitet". Eine Leserin hat diese Nachricht daraufhin wie folgt kommentiert: "Das sind wirklich gute Neuigkeiten ... aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass diese Möglichkeit der Weiterversicherung ein wichtiger unterstützender Faktor bei der Entscheidung ist, die Arbeitslosigkeit durch den Schritt in die Selbständigkeit zu beenden - vor allem, wenn es Familienväter und -mütter sind, die eine Gründung erwägen. Das ist ein wichtiges Stück Basis-Absicherung für Selbständige!" Eine weitere Leserin schreibt: "Auch ich bin erleichtert, dies zu hören! Die Arbeitslosenversicherung gibt mir die nötige Sicherheit, mir keine Sorgen machen zu müssen, was passiert, wenn das Geschäft einmal am Ende sein sollte und man darüber nachdenken muss, aufzugeben." Verunsicherung sieht anders aus. Wie Sie alle wissen, messen wir, misst die Bundesregierung der unternehmerischen Selbstständigkeit und der Gründung von Unternehmen einen sehr hohen Stellenwert für unsere Volkswirtschaft bei. Es ist deshalb auch unser Ziel, die steuerlichen und investiven Rahmenbedingungen für Selbstständige und mittelständische Unternehmen zu verbessern, deren Finanzierungsmöglichkeiten zu erweitern, bürokratische Hemmnisse systematisch und nachhaltig abzubauen und eine neue Gründerdynamik anzustoßen. Deshalb hat die Bundesregierung am 25. Januar 2010 die Initiative "Gründerland Deutschland" gestartet, um einen Mentalitätswandel und ein gesellschaftliches Klima zu fördern, das Unternehmergeist und die Lust auf Selbstständigkeit fördert. Gründungen stehen für die Schaffung von Neuem, für Kreativität und unternehmerische Freiheit. Sie tragen wesentlich zum Innovationsgeschehen und zum Strukturwandel unserer Volkswirtschaft bei. Lassen Sie mich dazu aus dem Koalitionsvertrag zitieren:"Wir werden die Förderprogramme für Gründungen und Gründungsfonds sowie für die Betriebsnachfolgen zusammen mit der Wirtschaft stark ausbauen, bessere Rahmenbedingungen für Chancen- und Beteiligungskapital schaffen und für ein Leitbild der unternehmerischen Selbständigkeit werben. Wir wollen junge, innovative Unternehmen von unnötigen Bürokratielasten befreien, um Gründungen zu erleichtern und intensiv zu fördern. Wir werden einen High-Tech-Gründerfonds II als Public-Private Partnership auflegen, der auf den Erfahrungen des ersten Fonds aufbaut. Darüber hinaus wollen wir dringend benötigtes privates Kapital für deutsche Venture Capital Fonds mobilisieren, indem wir institutionellen Investoren eine anteilige Garantiemöglichkeit zur Risikoabsicherung ihrer Fondseinlagen anbieten. Wir werden das Umfeld für die Tätigkeiten von Business Angels in Deutschland verbessern. Wir wollen das Angebot von Mikrokrediten ausweiten, insbesondere für Gründer und Kleinunternehmer. Wir wollen Gründern nach einem Fehlstart eine zweite Chance eröffnen. Dazu wird die Zeit der Restschuldbefreiung auf drei Jahre halbiert. Der Pfändungsschutz für die private Altersvorsorge im Insolvenzfall verringert das Risiko der Altersarmut für Selbständige deutlich. Wir werden deshalb die Pfändungsfreigrenzen für die Altersvorsorge Selbständiger regelmäßig anpassen." Last, but not least werden wir die Aufgeschlossenheit der Schulen für Projektarbeit zum Thema "Selbstständigkeit" und zum Üben des "Gründens und Führens" eines Unternehmens erhöhen. Hierfür werden wir unter Federführung des BMWi die Initiative "Unternehmergeist in die Schulen" weiter stärken. Wir werden die BMWi-unterstützten Maßnahmen JUNIOR und Deutscher Gründerpreis für Schüler zusammen mit den Projektverantwortlichen weiter ausbauen. Beschäftigungspolitisch tritt eine Sologründung an die Stelle einer abhängigen Beschäftigung oder bietet einen Weg aus der Arbeitslosigkeit. Damit trägt sie zur Entlastung des Arbeitsmarktes bei und bietet mittelfristig die Chance auf das Angebot zusätzlicher Arbeitsplätze. Vor allem innovative Gründungen schaffen zahlreiche neue und nachhaltige Arbeitsplätze. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanzkrise und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt ist eine verstärkte Nachfrage nach dem Gründungszuschuss, der Mitte 2006 den Existenzgründungszuschuss und das Überbrückungsgeld abgelöst hat, nicht unwahrscheinlich. Die Gründung einer selbstständigen Existenz ist als Alternative zur Arbeitslosigkeit nach bisherigen Erfahrungen durchaus attraktiv. Aus der Perspektive der Sozialversicherungsträger ist es wünschenswert, dass Gründerinnen und Gründer auch als Arbeitgeber tätig werden - dies gilt besonders für Gründungen, die mit Mitteln der Arbeitslosenversicherung unterstützt werden. Von Ludwig Erhard stammen die Worte: "Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür, daß ich dazu in der Lage bin." In diesem Sinne hat meine Fraktion immer Politik im Sinne der Selbstständigen gemacht. Darin bleiben wir uns treu. Deshalb lehnen wir Ihre Initiativen, liebe Kollegen von den Grünen und den Linken, guten Gewissens ab. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): "Eine Arbeitslosenversicherung für Selbstständige gab es bisher nicht. Ab dem 1. Februar 2006 können Existenzgründer einen freiwilligen Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zahlen. Somit besteht die Möglichkeit, im Falle der Aufgabe des Unternehmens einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten oder aufzubauen," so können es Gründungswillige auf der Homepage www.gruenderlexikon.de lesen. Ja, vor dem 1. Februar 2006 gab es diese Möglichkeit gar nicht! Also schon vor fünf Jahren haben die Sozialdemokraten erkannt, dass wir Selbstständigen vom Start an ein solidarisches Angebot zu Risikoabsicherungen machen müssen. Und wir haben entsprechend gehandelt. Wenn Gelb-Schwarz heute das Lied "Deutschland muss wieder ein Gründerland werden" intoniert, dann wissen die Kundigen: Neu ist weder die Melodie noch der Text. Warum ist die Weiterentwicklung dieses Grundgedankens der solidarischen Risikoabdeckung für Gründer und Selbstständige uns Sozialdemokraten so wichtig? Für abhängig Beschäftigte kämpfen wir für einen gesetzlichen Mindestlohn. Für Frauen streiten wir für "equal pay". Für Leiharbeit fordern wir das Ende des Missbrauchs. Und für jene, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, brauchen wir das Angebot eines umfassenden Konzeptes der solidarischen Absicherung. Daran arbeiten wir Sozialdemokraten. Vier Fallbeispiele zeigen die Notwendigkeit: Beispiel eins: der junge Freelancer! Kreativ, engagiert und in der Zukunft zu Hause. Kurze Zeit war er angestellt, und dann wurde ihm der Rahmen zu eng. Dank unserer Initiative kann er freiwillig die Arbeitslosenversicherung nutzen. Das ist gut, und deshalb sind auch wir Sozialdemokraten, wie Grüne und Linke, für die Entfristung dieser Regelung. Beispiel zwei: Die junge Soloselbstständige! Mutig und erfolgreich. Sie geht in die Selbstständigkeit, nachdem mit Ablauf der Elterngeldzeit faktisch keine Perspektive für angestellte Tätigkeit und Familienarbeit bestand. Auch für sie besteht die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in der Arbeitslosenversicherung. Auch für sie wird es richtig sein, wenn wir die Befristung dieser Regelung aufheben. Beispiel drei: Der Langzeitarbeitslose! Viele Jahre hart gearbeitet. Dann ging die Firma baden. Jahrelang beworben und abgelehnt, qualifiziert und doch fünf Jahre lang keinen Job bekommen, will er nicht länger Grundsicherungsempfänger sein und hat sich für Selbstständigkeit entschieden. Mit guter Beratung, solidem Businessplan und viel Tatkraft legt er los - und hat keinen Anspruch auf freiwillige Versicherung in der Arbeitslosenversicherung. Seine Pflichtversicherungszeiten liegen zu lange zurück! Beispiel vier: Hochschulabsolventin Umwelttechnologie, möchte sich als Beraterin selbstständig machen, Gründerin, wie wir das alle möchten. Sie hat derzeit keine Möglichkeit, Beitragszahlerin in der Arbeitslosenversicherung zu werden; denn sie hat noch nie in einem "Pflichtversicherungsverhältnis nach SGB III" gestanden, wie es § 28 a SGB III verlangt. Wie auch? Diese gegriffenen vier Beispiele zeigen, dass es um mehr gehen muss als um die Entfristung des § 28 a SGB III. Wir wissen, die Bundesregierung "prüft". Das könnte eine gute Nachricht sein, wüssten wir nicht, wie viele Prüfaufträge bei Gelb-Schwarz auf dem Tisch liegen. Allein bei der Frau Ministerin für Arbeit und Soziales stapeln sie sich in gefährlicher Höhe. Deshalb begrüßen die Sozialdemokraten Antrag und Gesetzesentwurf als Merkposten für die Regierung, den Prüfauftrag unten aus dem Stapel zu ziehen und zu handeln. Also nicht über das Gründerland Deutschland philosophieren, sondern konkret Verbesserungen erarbeiten. Dann würde zügig aus der "Nichtregierungsorganisation Merkel" ein handlungsfähiges Kabinett. Ich höre allerdings den berechtigten Einwand: Würde denn die FDP mitmachen? Wir wissen es nicht. Zumindest lässt sich feststellen, dass der "Kollisionsvertrag" hier keine Kommission ins Leben gerufen hat. Es könnte also klappen. Zurück zur freiwilligen Weiterversicherung Selbstständiger in der Arbeitslosenversicherung. Nicht nur dank der minutiösen Vorarbeit der Grünen zu ihrem Antrag - sie haben sich die Details dafür über die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage geholt - wissen wir, dass seit 2006 die Zahl der Anträge - und Bewilligungen - stetig gestiegen ist: Waren es 2006 erst 88 000 Anträge, so sind es 2009 schon über 94 000. Dieser Aufwuchs spiegelt sich auch in den Einnahmen der Arbeitslosenversicherung wider: Waren es 2006 circa 18 Millionen Euro, so flossen 2009 bereits mehr als 33 Millionen Euro. Ich lade Sie von den Grünen und Linken ebenso wie Sie als Mitglieder der Mehrheit zu mehr Mut ein, mehr Mut, so wie wir es von jenen "Gründern" erwarten. Unser Mut kann sich entfalten an einem umfassenden Angebot solidarischer Risikoabdeckung. Über Arbeitslosigkeit hinaus müssen unsere Angebote an diesen immer größer werdenden Personenkreis besser werden. Gebrochene Erwerbsbiografien, Wechsel zwischen selbstständiger und abhängiger Beschäftigung, Phasen von Qualifizierung und Weiterbildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Absicherung von Übergängen: Von uns fordert das, Brücken über Lücken zu bauen. Wir arbeiten deshalb an einem umfassenden Konzept, das Gründerinnen und Soloselbstständige in Alterssicherung, Krankenversicherung und Arbeitsversicherung einbezieht. "Nur wer verlässliche Perspektiven in seinem Leben hat, kann seine Talente und seine Leistungsfähigkeit voll entfalten." So haben wir Sozialdemokraten in unserem Hamburger Programm die von uns gewollte Sicherheit im Wandel beschrieben, daran richten wir unsere Politik aus. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Wir debattieren heute zwei so gut wie inhaltsgleiche Vorlagen, einen Antrag der Fraktion der Grünen und einen Gesetzentwurf der Linken. Sie beziehen sich jeweils auf den § 28 a SGB III, also auf die Möglichkeit der freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige. Das ist gerade für uns Liberale ein wichtiges Thema, weil wir stärker als alle anderen im freien, unternehmerischen Handeln einen Stützpfeiler unseres Wohlstands sehen und einen wichtigen Ausdruck der freien Persönlichkeitsentfaltung. Ich bin froh, dass es FDP und CDU/ CSU seit dem Regierungsantritt gelungen ist, bereits einige wichtige gesetzliche Erleichterungen für Selbstständige und mittelständische Unternehmen vorzunehmen. Allerdings sind wir hier noch nicht am Ziel. Steuerliche Rahmenbedingungen und bürokratische Behinderungen erschweren nach wie vor den Eintritt in die Selbstständigkeit. Das Ziel, Deutschlands Gründerkultur mit neuen Impulsen zu versehen, verlieren wir nicht aus den Augen. Gerade in der Jahrhundertkrise, in der wir uns befinden, müssen wir uns Gedanken machen, die auch den Wandel am Arbeitsmarkt reflektieren. Dabei steht völlig außer Frage, dass der Schritt in die Selbstständigkeit ein individuelles Risiko beinhaltet, das wir als Gesetzgeber achten sollten. Die bestehende Regelung zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung läuft nun Ende des Jahres aus, sodass zweifellos ein gewisser Handlungsdruck gegeben ist. Allerdings befinden wir uns im März, und da stellt sich schon die Frage, ob der Alarmismus, der mitunter aus ihren Anträgen spricht, wirklich angezeigt ist. Schauen wir uns die Gesetzeslage doch einmal etwas genauer an. Momentan muss der Antrag auf Aufnahme in die Arbeitslosenversicherung binnen Monatsfrist nach Beginn der Selbstständigkeit erfolgen. Mit Interesse nehme ich zur Kenntnis, dass weder die Linke noch die Grünen an dieser bestehenden Fristenregelung etwas ändern wollen. Ja, da frage ich Sie doch: Warum müssen wir dann jetzt, also im ersten Quartal des Jahres 2010, etwas an einer Regelung ändern, die ohnehin immer nur im Folgemonat Wirkung entfaltet. Es besteht doch überhaupt kein Grund zur Hast. Niemand, der jetzt oder auch noch im nächsten halben Jahr in die Selbstständigkeit geht, muss dies in Rechtsunsicherheit tun. Ebenfalls ist es wichtig, nicht leichtfertig den Zeitraum zu beschränken, in dem wir als Gesetzgeber Erfahrungen mit der jetzigen Regelung machen können. Erst seit Februar 2006 besteht überhaupt die Möglichkeit der freiwilligen Arbeitslosenversicherung. Handelten wir schon jetzt, würden wir - ich betone es noch einmal - die aktuelle Situation der Bürgerinnen und Bürger überhaupt nicht verbessern oder verschlechtern. Wir würden uns aber die Möglichkeit nehmen, im Verlauf des Jahres weitere Erfahrungen mit der Regelung zu sammeln, und wir würden uns die Möglichkeit nehmen, die bisherigen Erfahrungen mit der nötigen Sorgfalt aufzuarbeiten. Zum Beispiel sollte man abwarten, ob die zwischen 2008 und 2009 nach oben geschnellte Zahl der Antragsteller im Jahresverlauf wieder abnehmen wird oder nicht und die Ursachen der Schwankungen analysieren. Ein zentrales Element der aktuellen Regelung ist in meinen Augen jedoch die Freiwilligkeit. Es kann nämlich gerade nicht darum gehen, ein neues Zwangsinstitut zu begründen. Genau dies scheinen aber Sie, verehrte Mitglieder der Linksfraktion, im Sinn zu haben. Beinahe unschuldig schildern Sie in der Problemanalyse Ihres Gesetzentwurfs, dass "die vorhandene Regelung ein erster Schritt hin zu einer Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung" sei. Nein, genau das ist es nicht. Um es ehrlich zu sagen: Bei Ihnen habe ich so meine Zweifel, ob es Ihnen mehr um die spezifische Situation der Selbstständigen geht oder ausschließlich um die Arbeitslosenversicherung an sich. Der Antrag der Grünen wiederum geht über die Initiative der Linken hinaus. Während die Linke allein eine Entfristung vorsieht, also das Gesetz in seiner bestehende Form unverändert lässt, schlagen Sie eine inhaltliche Änderung vor. Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung sollen auch diejenigen Selbstständigen erhalten, die sich unmittelbar nach Ende ihrer Ausbildung oder ihres Studiums unternehmerisch betätigen, wie auch alle die, die aus der Grundsicherung heraus ihr Unternehmen gründen. Gerade Ihnen müsste es also einsichtig sein, dass eine genaue Evaluation des Gesetzes und seiner Folgen unablässig ist, wollte man den Kreis der Anspruchsberechtigten so weit ausdehnen, wie sie es vorhaben. Um es abzukürzen: Die FDP-Fraktion hält wenig von Ihrem Gesetzentwurf bzw. Ihrem Antrag. Das heißt nicht, dass wir nicht grundsätzliche Sympathie für das Instrument der freiwilligen Arbeitslosenversicherung hegen würden. Gerade weil dies aber so ist, verbieten sich Schnellschüsse. Es ist noch ausreichend Zeit vorhanden, um die Entfristung oder auch eine Modifikation vorzunehmen. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die jetzige Regelung stark an den alten Ich-AGs orientiert war und dass wir auch hier prüfen müssen, ob sie sich auch unter gewandelten Bedingungen einfach so fortführen lässt. Abschließend möchte ich aber noch einmal ausdrücklich festhalten, dass wir die freiwillige Arbeitslosenversicherung positiv bewerten. Für uns geht es darum, den Menschen den Schritt in die eigene Existenzsicherung so leicht wie möglich zu machen. Die freiwillige Arbeitslosenversicherung kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Deshalb prüft die Koalition äußerst wohlwollend ihre Fortführung und wird rechtzeitig handeln. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Um es Zehntausenden Selbstständigen zu ermöglichen, sich weiterhin freiwillig in der Arbeitslosenversicherung zu versichern, bringt die Linke heute den vorliegenden Gesetzentwurf ein; denn die geltende Regelung läuft zum Jahresende aus. Worum geht es? Wer heute den Schritt in die Selbstständigkeit macht, kann sich unter bestimmten Bedingungen freiwillig in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung weiter versichern. Diese Regelung gilt für diejenigen, die zuvor einen bestimmten Zeitraum in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt oder eine Versicherungsleistung wie das Arbeitslosengeld I bezogen haben. Um es gleich zu sagen: Die Linke könnte sich eine weitergehende Lösung vorstellen, etwa dass auch langjährige Selbstständige Zugang zur Arbeitslosenversicherung bekommen, Menschen, die sich nach dem Studium selbstständig machen, oder Menschen, die zuvor Leistungen nach dem SGB II bezogen haben. Dennoch: Die vorhandene Regelung ist ein erster Schritt hin zu einer Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung. Allein im letzten Jahr sind Anträge von fast 90 000 Selbstständigen zur freiwilligen Weiterversicherung bewilligt worden. Es ist umso schlimmer, dass die Bundesregierung kein klares Signal für die Verlängerung dieser Regelung gibt. Wenn die Politik nicht handelt, läuft nach vorliegender Rechtslage die derzeitige Regelung zum 31. Dezember dieses Jahres aus. Im letzten Monat hat die Arbeitsministerin Frau von der Leyen eine Verlängerung in Aussicht gestellt. Nun heißt es von der Bundesregierung lediglich, sie prüfe eine Verlängerung, keine Aussage darüber, wann sie ihre Entscheidung treffen will, geschweige denn nach welchen Kriterien. Offensichtlich gibt es Teile dieser Regierung, die es nicht gerne sehen, dass die Arbeitslosenversicherung ausgebaut wird. Menschen machen sich aus sehr unterschiedlichen Motiven selbstständig. Wenn die Politik sie dazu ermuntert, kann sie die Frage nach ihrer sozialen Absicherung nicht unbeantwortet lassen. Eine Arbeitslosenversicherung für Selbstständige ist hier zentral. Denn Selbstständigkeit ist auch geprägt von unterbrochener Erwerbstätigkeit. Wenn es nicht möglich ist, sich gegen Arbeitslosigkeit zu versichern, droht der sofortige Absturz in Hartz IV. Nicht allen Selbstständigen ist es möglich, für den Fall der Arbeitslosigkeit finanzielle Rücklagen zu bilden. Nicht wenige Soloselbstständige, also Selbstständige ohne Beschäftigte, arbeiten zu prekären Bedingungen, unsicher und mit Einkünften an der Armutsgrenze. Seit Jahren wächst die Zahl der Selbstständigen, die auf das Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Die Linke bringt den vorliegenden Gesetzentwurf ein, weil es gilt, schnell zu handeln. Die Betroffenen brauchen Planungssicherheit. Menschen rufen bei mir im Büro an, weil sie wissen wollen, wie es weitergeht. Ich weiß, dass Gleiches für die Bundesagentur für Arbeit gilt. Die zögerliche Haltung der Bundesregierung ist nicht vertretbar. Die Linke plädiert darüber hinaus, in einem nächsten Schritt zu prüfen, wie der Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeweitet werden kann. Nun ist die Bundesregierung gefragt. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Unternehmen zu gründen, sich selbstständig zu machen, das erfordert Mut, Kreativität und Tatkraft. Trotz der Krise haben 2009 wieder mehr Menschen in Deutschland den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Das ist auch gut so; denn so können neue Geschäftsfelder und zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Aber der Gründungsboom in Deutschland erfolgte vor allem durch die wachsende Zahl der Soloselbstständigen. Von den über 4 Millionen Selbstständigen beschäftigen mehr als zwei Millionen keine Angestellten. Im letzten Jahr wurden 293 000 solcher Kleinunternehmen gegründet. Diese neuen Selbstständigen sind meist keine Ärzte oder Juristen, sondern es sind Medien- und Kulturschaffende, Hausmeister oder Raumpflegerinnen. Auch im Bausektor nimmt der Trend zur Soloselbstständigkeit rasant zu, seitdem es in etlichen Handwerksberufen auch für Gesellen möglich wurde, als Einzelunternehmer zu arbeiten. Viele dieser neuen Selbstständigen sind nach den Kriterien des Statistischen Bundesamtes armutsgefährdet. Während 2008 circa 6 Prozent aller Erwerbstätigen von Armut bedroht waren, lag die Armutsgefährdung der Soloselbstständigen mit 10,4 Prozent deutlich darüber. Diese Zahlen müssen uns ein Ansporn dafür sein, die soziale Absicherung all derjenigen, die den Weg in die Selbstständigkeit wählen, zu verbessern und sie bei ihrem Wagnis so gut wie möglich zu schützen. Sie schreiben sich immer ganz groß auf die Fahnen, dass Sie die Gründerinnen und Gründer in Deutschland unterstützen wollen. "Deutschland muss wieder zum Gründerland werden", so lautet Ihr Slogan. Wenn man Ihre Politik für die neuen Unternehmerinnen und Unternehmer aber nicht an Ihren Worten, sondern an Ihren Taten misst, dann ist das Ergebnis mehr als dürftig. Sie wissen doch genau, dass die Option für die Selbstständigen, sich in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung freiwillig weiterzuversichern, am 31. Dezember dieses Jahres endet. Und Sie wissen doch auch, dass es diese Option bisher nur für einen bestimmten Kreis von Gründerinnen und Gründern gibt. Für diejenigen, die nach ihrem Hochschulabschluss oder aus dem Grundsicherungsbezug heraus gründen, gibt es diese Möglichkeit nicht. Zwar erklärt das Arbeitsministerium auf Presseanfragen seit neuestem, dass etwas getan werden soll, um den Selbstständigen auch über 2010 hinaus einen Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung zu ermöglichen. Aber wo bleiben die Initiativen, dies rechtzeitig gesetzlich neu zu regeln? Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur freiwilligen Weiterversicherung für Selbstständige in der Arbeitslosenversicherung macht doch klar: Die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige ist ein voller Erfolg. Hunderttausende Selbstständige zahlen inzwischen in die Arbeitslosenversicherung ein. Das Beitragsvolumen der Selbstständigen lag 2009 bei nahezu 33 Millionen Euro. Lediglich 4 968 Menschen haben im November 2009 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für Selbstständige in Anspruch genommen. Angesichts dieser Zahlen kommt sogar die Bundesregierung selbst nicht umhin, die bisherige Wirkung der freiwilligen Arbeitslosenversicherung positiv zu bewerten. Positiv bewerten reicht nicht. Sie müssen dazu auch Beschlüsse fassen. Wir Grüne jedenfalls fordern Sie auf, diese Arbeitslosenversicherungsoption für Selbstständige zu entfristen und auch für diejenigen zu öffnen, die nach einem Hochschulabschluss oder aus der Grundsicherung heraus ein Unternehmen gründen. Das ist ein wirksamer Beitrag, um die neuen Selbstständigen besser vor Armut zu schützen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1141 und 17/1166 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Daðdelen, Alexander Ulrich, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts in der Türkei - Drucksache 17/1101 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier wurde bereits in der Tagesordnung ausgewiesen, dass die Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen und Kolleginnen Dr. Wolfgang Götzer, Uta Zapf, Serkan Tören, Sevim Daðdelen und Claudia Roth. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Bereits in der letzten Wahlperiode hat die Linkspartei einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt. Auch wenn der heute zur Debatte stehende Antrag demgegenüber leichte Änderungen aufweist, hat auch dieser einen gravierenden Mangel: Er greift bewusst nur ein einzelnes Problem der Türkei auf und blendet weiterhin gezielt andere aus. Auch der jetzige Antrag ist deshalb zu einseitig und zu kurzsichtig - so wie es schon der Antrag der Linkspartei in der letzten Wahlperiode war. Es ist zwar zutreffend, dass in der Türkei die Rechte der Gewerkschaften unzureichend und die gewerkschaftliche Betätigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach wie vor eingeschränkt sind. So gibt es für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer praktisch keine Vereinigungsfreiheit. Streikrecht und Tarifverhandlungsrecht sind für zahlreiche Arbeitnehmergruppen stark beschnitten, insbesondere für Angestellte im öffentlichen Dienst. Zudem wird die Mitgliedschaft in einer türkischen Gewerkschaft gegenüber vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als Kündigungsgrund seitens des Arbeitgebers benutzt. Die Situation der türkischen Gewerkschaften ist aber kein isoliertes Problem. Vielmehr müssen wir konstatieren, dass in der Türkei noch immer große Demokratiedefizite auf vielen Gebieten auch nach fast 5-jährigen Beitrittsverhandlungen bestehen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU nach wie vor nicht gegeben sind und wir diese deshalb unverändert ablehnen. Die politischen Bedingungen, die nach dem Beschluss des Europäischen Rates vom Dezember 1993 eigentlich vor der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erfüllt sein müssten, liegen im Falle der Türkei noch immer nicht vor. So ist in der Türkei nicht nur das Gewerkschaftsrecht unterentwickelt, sondern es gibt gravierende Defizite in der Gewährung von Grundrechten, insbesondere im Bereich der Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit sowie bei der Unabhängigkeit der Justiz. Ich möchte noch einmal betonen: Die Antragsteller greifen ein einzelnes Problem auf, ohne die Lage der Türkei insgesamt zu beleuchten. Eine isolierte Behandlung eines Aspektes greift aber zu kurz. Dass in der Türkei nach wie vor in vielen Bereichen gravierende Demokratiedefizite bestehen, möchten die Linken aber nicht klar beim Namen nennen. Ich habe allerdings auch nicht erwartet, dass ausgerechnet die Partei, in der nach wie vor ehemalige SED-Mitglieder tonangebend sind, für die umfassende Durchsetzung demokratischer Rechte eintreten würde. Dabei könnte der Zeitpunkt dafür kaum besser sein. Denn derzeit ringen die Türken um eine Verfassungsreform. Die Verfassung von 1980 wurde zwar seit ihrem Inkrafttreten 1982 mehrfach überarbeitet, ist aber noch immer in ihrem Rechts- und Freiheitsverständnis von europäischen Normen weit entfernt. Zwar finden sich in dem aus 177 Artikeln bestehenden Werk alle üblichen Grundrechte, wie etwa die Meinungs- und Pressefreiheit, die Religionsfreiheit oder der Schutz des Privatlebens. Doch viele dieser Grundrechte werden im Text eingeschränkt oder in widersprüchliche Zusammenhänge gestellt. Faktisch ist es auch heute noch in der Türkei so, dass - falls türkische Journalisten beispielsweise über den Völkermord an den Armeniern oder kritisch über den Ministerpräsidenten berichten - sie mit harten Konsequenzen rechnen müssen. Laut Art. 2 der türkischen Verfassung ist die Türkei zwar ein demokratischer Rechtsstaat. De facto sind aber beispielsweise einige Gruppen von Staatsbürgern nicht einmal wahlberechtigt. Darüber hinaus liegt die Sperrklausel bei Wahlen bei 10 Prozent. Auch Direktmandate können nur wahrgenommen werden, wenn eine Partei insgesamt 10 Prozent der Stimmen erhält. Darunter leidet insbesondere die kurdische Minderheit. Grundsätzlich herrscht in der Türkei Wahlpflicht, die jedoch gegen eine Strafgebühr von circa 13 Euro umgangen werden kann. All diese Regelungen widersprechen grundlegend unserem Demokratieverständnis. Ein weiterer Punkt: Rein rechtstheoretisch gesehen herrscht in der Türkei Gleichberechtigung. Doch auch die Geschlechtergleichheit findet sich in der türkischen Verfassung in einem ungewöhnlichen Zusammenhang: "Die Familie ist die Grundlage der türkischen Gesellschaft und beruht auf der Gleichheit von Mann und Frau". Die Gleichheit von Mann und Frau wird also primär als Teil des türkischen Familienverständnisses und nicht als eigenständige Rechtnorm betrachtet. Solche Formulierungen sind nicht mit unserem europäischen Rechtsverständnis in Einklang zu bringen. Vor allem aber rechtstatsächlich kann man kaum von einer Gleichstellung von Mann und Frau sprechen. In vielen Regionen gibt es eine eklatante Benachteiligung, ja teilweise Unterdrückung von Frauen. Einen weiteren wichtigen Punkt möchte ich nennen: In der Türkei ist bis heute das Recht auf freie Religionsausübung nicht gewährleistet. Nach wie vor haben Christen und andere religiöse Minderheiten mit äußerst schwierigen Bedingungen zu kämpfen. Nicht nur, dass man sie allein aufgrund ihrer Religion oft als Feinde der Türkei und des Türkentums betrachtet, die AKP verweigert den Kirchen weiterhin die Anerkennung eines öffentlich-rechtlichen Status. Christliche Kirchen bangen in der Türkei um ihre Existenz. Ministerpräsident Erdoðan fordert mehr Rechte für Muslime in Deutschland - Christen in der Türkei aber können ihre Religion nicht frei und ohne Furcht vor Repressalien ausüben. Schon nach ihrem ersten Wahlsieg 2002 hatte die AKP unter Erdoðan eine neue Verfassung versprochen. In diesem Zusammenhang erklärte der Ministerpräsident wiederholt, dass die Bewerbung um die Mitgliedschaft in der EU nur mit einer modernen Verfassung zum Erfolg führen könne. Es wurden daraufhin zwar rasch auf dem Papier Reformen des Zivil- und Strafgesetzbuches durchgeführt, eine neue Verfassung gab es jedoch nicht. Eine von der Regierung bei Staatsrechtlern in Auftrag gegebene liberale Neufassung verschwand 2007 in den Schreibtischen der Regierung. Stattdessen versandete die Verfassungsreform 2008 in einem Streit über das islamische Kopftuch. Zurzeit ringt man in Ankara erneut um eine liberalere Verfassung. Die beiden Oppositionsparteien haben jedoch schon angedeutet, dass sie auf keinen Fall der neuen Verfassung zustimmen werden - und die AKP verfügt mit ihren 337 Sitzen im Parlament nicht über die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Deshalb soll die Verfassungsänderung nun mit einer Dreifünftelmehrheit verabschiedet und anschließend per Volksabstimmung gebilligt werden. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich Zweifel habe, ob die Regierung wirklich einen grundsätzlichen Wandel anstrebt oder ob es sich vielmehr nur um "Kosmetik" handelt, um bei der EU den Eindruck zu erwecken, die Türkei habe den ernsthaften Willen, eine Demokratie zu werden so wie wir sie haben und verstehen. Fest steht: Die Regierung Erdogan hat keines ihrer vielen Reformversprechen eingehalten. Bei aller Kritik an der innenpolitischen Situation der Türkei möchte ich an dieser Stelle aber nicht versäumen zu erwähnen, dass die Türkei für die gesamte Europäische Union ein wichtiger Partner ist. Die Türkei ist nicht nur ein wichtiger Handelspartner und Investitionsstandort, sondern sie ist auch unverzichtbar als Bindeglied zwischen den europäischen Märkten und den Energie exportierenden Ländern im Mittleren und Nahen Osten. Darüber hinaus ist die Türkei ein wichtiges NATO-Mitglied und unverzichtbarer Mittler zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Mit dem heutigen Antrag hat Die Linke wieder einmal bewiesen, dass sie keinerlei Interesse an einer seriösen Europa- und Außenpolitik hat. Schon in der letzten Legislaturperiode haben wir den Antrag abgelehnt, weil er zu einseitig war und nicht auf die Lage in der Türkei insgesamt, so wie ich sie eben angesprochen habe, einging. Der neue Antrag weist die selben Mängel auf. Haben die Antragsteller nichts dazugelernt? Verschließen sie einfach die Augen vor der Gesamtlage in der Türkei? Ganz verborgen geblieben sind aber auch der Linken die Probleme in der Türkei nicht, denn in dieser Woche hat die Kollegin Sevim Daðdelen von der Fraktion Die Linke einen Reisebericht vorgelegt, in dem sie zu dem Ergebnis kommt, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei 2009 im Vergleich zum Jahr 2008 verschlechtert habe. Dennoch sieht sich Die Linke nicht in der Lage, dies auch in ihrem Antrag klar und deutlich anzusprechen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Uta Zapf (SPD): Der Antrag der Linken spricht einen sensiblen Punkt der türkischen Gesetzgebung bei den Gewerkschaftsrechten an. Dass es um die Gewerkschaftsrechte und die Erfüllung der ILO-Standards, also die Einhaltung der Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, in der Türkei nicht zum Besten steht, ist zwar bekannt, gerät aber immer mehr außerhalb der Aufmerksamkeit der EU. Hatte noch im Oktober 2006 der damalige EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn kräftige Worte gewählt, herrscht heute eher kleinmütiges Schweigen. Rehn damals: "Die Türkei muss sicherstellen, dass die vollen Gewerkschaftsrechte respektiert werden und im Einklang stehen mit EU-Standards und der ILO-Konvention, insbesondere in Bezug auf das Recht, sich zu organisieren, zu streiken und kollektive Verhandlungen zu führen. Deshalb muss die Türkei bestehende Einschränkungen beseitigen und eine völlig revidierte Gesetzgebung in diesem Bereich für den öffentlichen und privaten Sektor vorlegen." Rehn forderte die Türkei in diesem Zusammenhang auf, die entsprechende Gesetzgebung unverzüglich einzuleiten. Das ist bis heute nicht geschehen. Die Türkei erfüllt in diesem Bereich die Kopenhagener Kriterien nicht. Die türkischen Gewerkschaften haben nur einen sehr geringen Handlungsspielraum. Die Rechte der Interessenvertreter der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind äußerst begrenzt. In der Verfassung von 1982 und in den Gewerkschaftsgesetzen von 1983 wurde eine Vielzahl von Hürden für die gewerkschaftliche Organisation gesetzt, die weder mit den Standards der EU noch mit der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation kompatibel sind. Das Recht, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu gründen, ist geregelt. Aber Gewerkschaften können nur auf Branchenebene gegründet werden. Von den 93 existierenden Gewerkschaften sind nur 53 tariffähig. Sie sind stark kontrolliert. Streiks können nur im Zuge von Tarifverhandlungen angewendet werden; Warn- und Unterstützungsstreiks sind unzulässig. Für das Recht zum Abschluss eines Tarifvertrages müssen 50 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eines Betriebes in derselben Gewerkschaft sein. Mindestens 10 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eines Wirtschaftssektors müssen der betreffenden Gewerkschaft angehören. Mitglieder müssen ihre Mitgliedschaft notariell beglaubigen lassen, was Kosten verursacht - ebenso bei Austritt aus der Gewerkschaft. Mitbestimmung in den Betrieben gibt es nicht; Betriebsräte stellen eher die Ausnahme dar. Die ILO-Kernarbeitsnormen - Vereinigungsfreiheit, Beseitigung von Zwangsarbeit, Abschaffung von Kinderarbeit - werden nur rudimentär erfüllt. Insbesondere die mangelnde Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ist ein großes Hindernis. Es gibt keine nennenswerten Fortschritte bei den Arbeitnehmerrechten. Die Fortschrittsberichte der EU zur Türkei haben dies immer wieder beklagt, aber mit abnehmender Lautstärke. Die Eröffnung des Verhandlungskapitels 19 zu Sozialpolitik und Beschäftigung stagniert, weil die türkische Regierung die Befassung des Parlaments mit den schwierigen Fragen von Streikrecht in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst sowie Zugangshürden für neue Gewerkschaften scheut. Die Verabschiedung ILO-konformer Gesetze ist allerdings Voraussetzung für die Eröffnung des Kapitels. Nun wird der Türkei zwar eine funktionierende Marktwirtschaft bescheinigt, aber das Gleichgewicht, das in einer sozialen Marktwirtschaft erforderlich ist, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf gleicher Augenhöhe verhandeln können, fehlt. Dies ist umso bedenklicher, als die Privatisierung fortschreitet. Fehlende Rechte der Arbeitnehmer führen zu sozialen Spannungen, zu Auseinandersetzung und zu Gewalt. Der Antrag der Linken zielt auf den konkreten Fall der ehemals staatlichen Monopolfirma Tekel ab. Mit erpresserischen Dumpingforderungen sollten die Arbeitnehmer unter Fristsetzung das Angebot der neuen privaten Besitzer annehmen oder ihren Arbeitsplatz verlieren. Ein Gericht hat jetzt die Frist für ungültig erklärt. Aber es geht eben nicht nur um diesen Fall, sondern um ein gravierendes soziales Problem. Eine weitgehend rechtlose Arbeitnehmervertretung steht einem Prozess gegenüber, der von sinkenden Löhnen und einem wachsenden informellen Sektor gekennzeichnet ist. Über die Hälfte der Arbeitnehmer arbeitet nicht in einem registrierten Arbeitsverhältnis. Auch die Gewerkschaften haben einen Anteil an der desolaten Situation. Untereinander zerstritten und misstrauisch, ziehen sie nicht an einem Strang. Ihre Kontakte zur internationalen Arbeitsorganisation, ILO, bleiben zwiespältig und oberflächlich. DISK, eine eher linke Gewerkschaft, zum Beispiel unterstützt offiziell den EU-Beitritt, ist aber 2006 aus dem tripartistischen Dialog der ILO ausgestiegen und hat sich aus Gremien wie dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialrat zurückgezogen. Die Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Gewerkschaften untereinander und mit der Regierung ist durch ideologische Unterschiede und Konkurrenzdenken extrem erschwert. Auch die Kommunikation mit anderen, neuen EU-Ländern zu diesen Fragen kommt nicht in Gang. Infolge eines zunehmend durch andere politische Fragen gekennzeichneten Diskurses wird die EU nicht als Anwalt von Arbeitnehmerrechten wahrgenommen. Die EU wird als "Europa des Kapitals" angesehen, was nationalistischen Ressentiments Auftrieb gibt. Auch die Wirtschafts- und Finanzkrise und ihre Folgen tragen dazu bei. Die EU sollte sich auf ihren Anspruch als "Europa der Bürger" besinnen und ihre Verantwortung für die Arbeitnehmerschaft ernst nehmen. Serkan Tören (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag der Fraktion die Linke "Für die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts in der Türkei" ab. In diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, sich für die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in der Türkei einzusetzen und die Einhaltung der ILO-Konventionen für den EU-Beitrittsprozess einzufordern. Konkret wird die Bundesregierung dazu angehalten, sich gegen eine angebliche Kriminalisierung der Tekel-Arbeiter einzusetzen, die seit geraumer Zeit gegen Massenentlassungen, Privatisierungen und für existenzsichernde Mindestlöhne protestieren. So sollen rund 12 000 Beschäftigte des staatlichen türkischen Tabak-Monopols Tekel gegen ihre betriebsbedingte Entlassung als Folge der Privatisierung protestieren. So sollen, nachdem die Tekel-Produktionsstätten an British American Tobacco verkauft wurden, landesweit 40 Lagerhäuser geschlossen werden. Hierbei seien gemäß dem Antrag geltende Gesetze und ILO-Bestimmungen über Betriebsübernahme missachtet worden. Ferner wird in dem Antrag betont, dass am 15. Dezember aus vielen Teilen des Landes Tausende Tekel-Arbeiter mit Bussen nach Ankara angereist seien. Die Tekel-Mitarbeiter würden ihre Rechte als Beamte verlieren, weil der ehemals staatliche Tabakkonzern British American Tobacco verkauft werde. Die Beschäftigten hätten dann keinen Kündigungsschutz mehr und müssten mit der Hälfte des bisherigen Lohnes auskommen. Die Beschäftigten müssten nun innerhalb einer Frist beantragen, in ein Angestelltenverhältnis übernommen zu werden. Täten sie das nicht, drohe die Entlassung. Der Großteil der Tekel-Arbeiter lehne den Angestelltenstatus weiterhin ab, so der Antrag der Linken. Aus folgenden Gründen wird von der FDP der Antrag der Linken abgelehnt: Der Deutsche Bundestag ist nicht der verlängerte Arm dafür, das Gewerkschaftsrecht in der Türkei zu reformieren. Schon allein der sprachliche Duktus, in dem eine Verstaatlichung gegen eine Privatisierung von Unternehmen vorzuziehen ist, kann für die FDP-Bundestagsfraktion nicht gelten. Der Antrag ist von einem Gedankengut getragen, der sich fundamental vom dem der FDP unterscheidet. Dem Deutschen Bundestag steht es nicht zu, Wertungen über die Gewerkschaftsfunktion und die demokratischen Reifeprozesse im Gewerkschaftsrecht der Türkei vorzunehmen. Es kann auch nicht sein, dass der Deutsche Bundestag die türkische Regierung auffordert, wie sie ihre sozial- und arbeitsrechtlichen Normen anzuwenden hat, so wie es in dem Antrag gefordert wird. Auch auf EU-Ebene steht es dem Deutschen Bundestag nicht an, der Europäischen Kommission reinzureden, wie sie Ihren EU-Fortschrittsbericht bezüglich der Türkei zu gestalten und welche Punkte die EU-Kommission in den Mittelpunkt zu stellen hat. Aus Sicht der FDP ist es sicherlich nicht das alleinige Gewerkschaftsrecht, was in den Mittelpunkt der EU-Fortschrittsberichte über die Türkei zu stehen hat. Der Antrag der Linken ist aus Sicht der FDP völlig überflüssig und wird daher abgelehnt. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Nachdem die SPD zu fast allen Forderungen, die sie in der letzten Wahlperiode abgelehnt hat, jetzt plötzlich eigene Anträge einbringt, habe ich schon fast damit gerechnet, dass sie auch zur Stärkung der Gewerkschaftsrechte in der Türkei einen Antrag vorlegen wird. Verwunderlich waren die Gründe, die zur Ablehnung unseres ähnlichen Antrages in der 16. Wahlperiode führten. So hätten wir die Zersplitterung der Gewerkschaften nicht hinreichend berücksichtigt. Aber wobei eigentlich und weshalb hätten wir das tun sollen? Auch in unserem neuen Antrag kritisieren wir, dass die türkischen Gewerkschaften, egal ob nun staatsnah, islamisch oder revolutionär, aufgrund restriktiver gesetzlicher Regelungen nur über einen sehr eingeschränkten bzw. kaum vorhandenen legalen Handlungsspielraum verfügen. Hinzu kommen institutionelle und rechtliche Hürden wie kostenverursachende Beglaubigungs- und Registrierungspflichten von Gewerkschaftsmitgliedern oder strenge Voraussetzungen für die Zulassung der Tariffähigkeit. Die Kritik, dass weder die Standards in der EU noch die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, in Bezug auf die uneingeschränkte Achtung der Gewerkschaftsrechte erfüllt sind, gilt formal für alle diese Gewerkschaften und deren Mitglieder. Die Einschränkungen und Verbote beim Organisations- und Streikrecht und beim Recht auf Tarifverhandlungen gelten rechtlich erst einmal für alle Gewerkschaften. Nach Angaben des Internationalen Gewerkschaftsbundes, ITUC, ist rund einer halben Million Beschäftigten in der Türkei aufgrund gesetzlicher Beschränkungen der Eintritt in Gewerkschaften untersagt. ITUC stellt in seinem Jahresbericht 2009 über die Türkei fest: "Das Koalitionsrecht, das Streikrecht und das Tarifverhandlungsrecht müssen an die EU-Standards und ILO-Übereinkommen angepasst werden. Die Bemühungen der Gewerkschaften, sich zu organisieren, werden noch immer vereitelt bzw. sind von massiven Entlassungen der Mitglieder und dubiosen Gerichtsverhandlungen und Verhaftungen der Gewerkschaftsführer begleitet. Streikende und friedliche Demonstranten sahen sich exzessiver Polizeigewalt ausgesetzt." Eine ähnliche Bilanz zog auch die Europäische Kommission im Fortschrittsbericht über den Beitritt der Türkei vom November 2008. Darin wird die Lage hinsichtlich der umfassenden Garantie der Gewerkschaftsrechte als "problematisch" bezeichnet. Und das betrifft nicht nur nichtstaatliche Gewerkschaften. Bestes Beispiel sind die Tekel-Beschäftigten. Ihre Gewerkschaft Tekgida-Is ist nämlich Mitglied im Dachverband Türk-Is, die die SPD für offensichtlich weniger unterstützenswert hält. Wir solidarisieren uns mit den Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrem Kampf um gewerkschaftliche Rechte unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in einer genehmen Gewerkschaft. Deshalb hat die Linke auch den Arbeitskampf der Tekel-Beschäftigten unterstützt. Im Rahmen einer Auslandsdienstreise besuchte ich die streikenden Tekel-Arbeiter in der türkischen Hauptstadt. Auch während des Generalstreiks am 4. Februar 2010 stand ich an der Seite der Tekel-Beschäftigten. Der Fall Tekel ist exemplarisch für die Notwendigkeit der Stärkung gewerkschaftlicher Rechte in der Türkei. Die türkische Regierung versucht nämlich, nachdem im Jahr 2006 das staatliche türkische Tabak- und Alkoholmonopol Tekel an den Lucky-Strike-Produzenten British American Tobacco verkauft wurde, die Arbeiterinnen und Arbeiter im Rahmen eines sogenannten Sozialplans zum Verzicht auf tarifliche Rechte wie Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu zwingen, und bietet auf zehn Monate befristete Arbeitsverträge an, die eine Lohnkürzung um mehr als die Hälfte vorsehen. Und um organisierten Widerstand möglichst von vornherein auszuschließen, sieht das türkische Recht vor, Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern das Recht auf Entlassung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgrund einer Gewerkschaftsmitgliedschaft bei Zahlung von Entschädigungen einzuräumen. Das verstößt klar und eindeutig gegen das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, Nr. 98, Art. 1, Abs. 2, Satz b. Und das geht auch die Bundesrepublik an. Denn die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen und ihre Entwicklung bilden eine tragende Säule der bilateralen Beziehungen. In den letzten Jahren nahm das bilaterale Handelsvolumen in beide Richtungen deutlich zu. 2008 blieb es trotz der internationalen Finanzkrise mit 24,8 Milliarden Euro nur geringfügig unter dem Rekordwert von 2007 mit 24,9 Milliarden Euro. Deutschland stellt die größte Zahl der ausländischen Firmen, die in der Türkei Direktinvestitionen getätigt haben. Die Zahl deutscher Unternehmen bzw. türkischer Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei ist in den vergangenen Jahren auf knapp 3 955 gestiegen. Die Betätigungsfelder deutscher Unternehmen reichen von der industriellen Erzeugung und dem Vertrieb sämtlicher Produkte bis zu Dienstleistungsangeboten aller Art. Darüber hinaus wird die Türkei auch für Deutschland immer wichtiger als Energiekorridor. Das betrifft zum Beispiel die RWE-Beteiligung am Konsortium für den Bau der Nabucco-Pipeline. Damit hat die Bundesrepublik nicht nur große Verantwortung, sondern auch eine entsprechende Pflicht hinsichtlich der Einforderung von Arbeits- und Einkommensbedingungen sowie die Rahmenbedingungen für die gewerkschaftliche Arbeit gemäß den in den EU-Staaten gültigen Standards und denen der ILO. So gehört zu den zahlreichen deutschen Unternehmen das Motorenwerk Mahle, das in seinem Betrieb im westtürkischen Izmir rund 500 Mitarbeiter beschäftigt. Diese Beschäftigten führen seit Wochen einen erbitterten Arbeitskampf gegen die Firmenleitung, die Druck auf sie ausübt und mit Betriebsschließung droht, wenn sie nicht aus der dort organisierten Gewerkschaft aus- und in eine andere, als unternehmerfreundlich bekannte Gewerkschaft, eintreten. Kein Einzelfall! Nach Informationen von türkischen Gewerkschaften und auch der IG Metall versuchen deutsche Firmen, in der Türkei mit allen Mitteln beschäftigtenfeindliche Möglichkeiten, die ihnen das türkische Arbeitsrecht bietet, um gewerkschaftliche Aktivitäten in Betrieben zu verhindern, weitestmöglich auszunutzen Die Linke fordert von der Bundesregierung nicht nur, auf die türkische Regierung hinsichtlich der Einhaltung bzw. Einführung international verpflichtender gewerkschaftlicher Standards einzuwirken. Es gilt auch, den Einfluss auf deutsche Unternehmen auszuüben, die im Ausland investieren und/oder produzieren. Angesichts der zahlreichen Beispiele, die wir aus Deutschland kennen, in denen aufgrund ihres gewerkschaftlichen Engagements "unbequeme" Beschäftigte kurzerhand vor die Tür gesetzt werden, hat man jedenfalls keinen Grund zu der Annahme, dass die deutschen Unternehmen dies freiwillig machen würden. Dies scheint aber bei einem Trio infernale aus einem FDP-Außenminister, einem FDP-Wirtschaftsminister und einem FDP-Minister für Entwicklungszusammenarbeit wie die Quadratur des Kreises. Kein Wunder! Denn Außenminister Westerwelle reist offenbar besonders nicht nur lieber mit solchen, die der FDP viel Geld gespendet haben, sondern vertritt auch lieber deren Interessen. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gehören da wohl weniger zum Reisetross. Und so hat der Außenminister auf seiner Antrittsreise in die Türkei Anfang Januar 2010 auch nicht die Gelegenheit gefunden, sich entsprechend für die seit Mitte Dezember 2009 protestierenden Tekel-Beschäftigten insoweit einzusetzen, dass er die Einhaltung international verankerter gewerkschaftlicher Rechte als Grundlage für wirtschaftliche Kooperationen zur Voraussetzung machte. Die Linke fordert, im Rahmen der bilateralen Beziehungen mit der Türkei und auf EU-Ebene die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts nach den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation als Voraussetzung für einen EU-Beitritt einzufordern. Uns geht es auch darum, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die Probleme der Gewerkschaften in der Türkei in künftigen Fortschrittsberichten ausführlicher thematisiert und noch deutlicher in den Mittelpunkt gestellt werden. Insbesondere die mangelnde Versammlungs- bzw. Vereinigungsfreiheit sollte hierbei im Vordergrund stehen. Im bilateralen Rahmen muss darauf hingewirkt werden, dass die türkische Regierung gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Lösung findet, die gewährleistet, dass die Versammlungsfreiheit respektiert wird. Und das sollte bereits zum 1. Mai durchgesetzt werden, damit auf dem Taksim-Platz in Istanbul friedliche Demonstrationen stattfinden. Die Polizeigewalt gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und andere Demon-strantinnen und Demonstranten im Rahmen von Streiks muss die Bundesregierung deutlich kritisieren und klarmachen, dass diese ganz erheblich Einfluss auf wirtschaftliche Kooperationsprojekte haben kann. Die beste Gelegenheit, um auf die große Bedeutung gewerkschaftlicher Rechte aufmerksam zu machen, ist die Reise der Bundeskanzlerin in die Türkei. Auf dem Programm stehen politische und Wirtschaftsgespräche. Ich jedenfalls werde namens der Linken sowohl gegenüber den türkischen Regierungsvertretern als auch gegenüber den in Begleitung mitreisenden deutschen Unternehmerinnen und Unternehmern diese Themen ansprechen. Ich hoffe Sie auch! Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Zeiten des Kalten Krieges standen die Gewerkschaften im NATO-Land Türkei unter einem fortwährenden Generalverdacht. Dies führte zu lähmenden Restriktionen und Einschränkungen von selbstverständlichen und fundamentalen Rechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Entrechtung und Kriminalisierung von Arbeitnehmervertretungen fanden ihre traurigen Höhepunkte in der brutalen Unterdrückung und dem blutigen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Aktivistinnen und Aktivisten der Gewerkschaften. Mittlerweile hat sich die Lage zum Besseren verändert. Seit fast fünf Jahren führt die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU. Es ist richtig, wenn die EU die türkische Regierung auffordert, den Gewerkschaften mehr Rechte einzuräumen und Reformen fortzusetzen, die das Gewerkschaftsrecht in der Türkei an die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation und die Standards der EU angleichen. Es ist nicht nur im Interesse der EU, sondern vor allem im Interesse der Türkei und der türkischen Demokratie, dass die Türkei ein modernes Gewerkschaftsrecht bekommt. Denn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind ohne Beteiligungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ohne Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten nicht vorstellbar. Die türkische Politik, aber auch die Wirtschaft, die multinationalen und europäischen Konzerne und die EU müssen in ihren Wirkungsbereichen, ihren Einrichtungen und Betrieben die Einhaltung moderner Arbeits- und Sozialstandards garantieren. Nach dem hoffnungsvollen Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU hat die Reformdynamik in der Türkei stark nachgelassen. Aus unserer Sicht gab und gibt es keine Entschuldigung für den anhaltenden Reformstau, der in den letzten drei Jahren so viel politischen Schaden angerichtet hat. Hinzu kommt aber auch eine EU-Politik, die ihrer Verantwortung gegenüber der Türkei nicht gerecht wird. In drei Tagen besucht die Bundeskanzlerin die Türkei. Für ihre Gespräche in Istanbul und Ankara könnte sie einige Anregungen aus dieser Debatte im Parlament gut gebrauchen. Denn die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei laufen weiterhin sehr schleppend und unbefriedigend. Seit fast fünf Jahren sind Verhandlungen insgesamt in zwölf Kapiteln eröffnet. Wir beobachten ein großes Desinteresse der Bundesregierung an den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - und folglich auch an der Demokratisierung des Landes. Das weiterhin nebulöse Konzept der Kanzlerin von einer "privilegierten Partnerschaft" der Türkei paralysiert das Denken und Handeln der Bundesregierung. Das Haupthindernis bei den Verhandlungen ist offiziell die Nicht-Umsetzung des sogenannten Ankara-Protokolls durch die Türkei gegenüber Zypern. Die alten Konflikte aus der Zeit des Kalten Krieges zwischen der Türkei und Zypern wirken in die Gegenwart hinein und lähmen wichtige Entwicklungen in Europa. Bei aller berechtigten Kritik an der türkischen Haltung im Zypernkonflikt ist es nicht hinnehmbar, wie Zypern als Mitglied im EU-Klub alle Register zieht, um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - eine Frage von enormer strategischer Bedeutung - zu blockieren. Die EU hat eine abwartende Haltung eingenommen, anstelle selbst aktiv zu werden und eine gestaltende Rolle zu spielen. Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Zypern wird ohne eine aktive und glaubwürdig vermittelnde Rolle der EU nicht gelingen. Deutschland hat maßgeblichen Anteil an der passiven Rolle der EU. Die Bundesregierung sollte ihre Bremserrolle in den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei dringend korrigieren. In bilateralen Gesprächen und Beziehungen kann sie auch wesentlich dazu beitragen, eine Modernisierung des Gewerkschaftsrechts in der Türkei voranzutreiben. Denn die Rechte der Gewerkschaften in der Türkei entsprechen weder den EU- noch den ILO-Standards. Dies betrifft insbesondere die Rechte, Gewerkschaften zu gründen, zu streiken oder Tarifverträge abzuschließen. Gerade diese Rechte sind ein Schwerpunkt der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die Bundesregierung kann sich im Sinne der europäischen Politik und der in der EU geltenden Rechtsnormen für die Anpassung und Weiterentwicklung des türkischen Gewerkschaftsrechts einsetzen. Angesichts der Bedeutung von deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen und der Rolle der deutschen Wirtschaft in der Türkei dürfen wir auch die Wirtschaft aus ihrer Verantwortung nicht entlassen. Denn Gewerkschaftsrechte und die Verankerung von demokratischen Mit- und Selbstbestimmungsrechten sind wichtige Voraussetzungen für eine nachhaltige und produktive Wirtschaftspolitik. Im vorliegenden Antrag sind viele richtige Forderungen formuliert. Dennoch werden viele weitere Reformen außerhalb des Gewerkschaftsrechtes außer Acht gelassen, die auf dem Weg der Türkei in die EU wichtig sind. Dazu gehören Erneuerungen und Anpassungen im Sozialbereich, im Bereich der Minderheitenrechte oder bei den Rechten der Frauen. Ein modernes und fortschrittliches Gewerkschaftsrecht kann seine Wirkung nur im Zusammenspiel mit weiteren Rechten im sozialen und gesellschaftspolitischen Bereich entfalten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/1101 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen. Wir sind bereits am Schluss unserer Tagesordnung angelangt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen, dass Sie so lange an diesen Beratungen teilgenommen haben. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. März 2010, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen restlichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 23.00 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bernschneider, Florian FDP 25.03.2010 Burchardt, Ulla SPD 25.03.2010 Burkert, Martin SPD 25.03.2010 Dr. Danckert, Peter SPD 25.03.2010 Dreibus, Werner DIE LINKE 25.03.2010 Erdel, Rainer FDP 25.03.2010 Gabriel, Sigmar SPD 25.03.2010 Götz, Peter CDU/CSU 25.03.2010 Golze, Diana DIE LINKE 25.03.2010 Gottschalck, Ulrike SPD 25.03.2010 Granold, Ute CDU/CSU 25.03.2010 Groth, Annette DIE LINKE 25.03.2010 Hempelmann, Rolf SPD 25.03.2010 Hintze, Peter CDU/CSU 25.03.2010 Keul, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.03.2010 Klöckner, Julia CDU/CSU 25.03.2010 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.03.2010 Kunert, Katrin DIE LINKE 25.03.2010 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 25.03.2010 Lötzer, Ulla DIE LINKE 25.03.2010 Pflug, Johannes SPD 25.03.2010 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 25.03.2010 Pronold, Florian SPD 25.03.2010 Roth (Esslingen), Karin SPD 25.03.2010 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 25.03.2010 Ulrich, Alexander DIE LINKE 25.03.2010* Werner, Katrin DIE LINKE 25.03.2010 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.03.2010* Zimmermann, Sabine DIE LINKE 25.03.2010 * für die Teilnahme an der 122. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 3) CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Nadine Müller (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Lucia Puttrich Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Petra Crone Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Aydan Özoðuz Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Heiko Staffeldt Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Konstantin Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neskovic Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Anna Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Ute Koczy (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (33. Sitzung, Drucksache 17/1107, Frage 87): Wie begründet die Bundesregierung die Zusage der Exportbürgschaft in Höhe von knapp 2,5 Milliarden Euro für Zulieferungen des Siemens-Konzerns für den Weiterbau des Atomkraftwerkes Angra 3 in Brasilien? Das Geschäft hält internationale Standards ein und hat für den Exporteur eine hohe beschäftigungspolitische Bedeutung. Hinzu kommt die Bedeutung des Auftrages für die Auslastung der am Projekt beteiligten kleinen und mittleren Zulieferanten aus ganz Deutschland. Dies sichert auch in den jetzigen Krisenzeiten hochqualifizierte Arbeitsplätze. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Herman Ott (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (33. Sitzung, Drucksache 17/1107, Frage 91): Warum fördert die Bundesregierung den Export deutscher Atomtechnologie nach Brasilien und nicht den Export deutscher Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien? Deutsche Exporte sind von außerordentlicher wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Bedeutung. Daher sichert die Bundesregierung auch Exporte im Bereich der erneuerbaren Energien mit dem Instrument der Exportkreditgarantien unter anderem für das Zielland Brasilien ab. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Indeckungnahme müssen hierfür jeweils vorliegen. Außerdem fördert die Bundesregierung den Export deutscher Technologien speziell für erneuerbare Energien im Rahmen der Exportinitiative Erneuerbare Energien insgesamt und auch auf Brasilien bezogen. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (33. Sitzung, Drucksache 17/1107, Fra-ge 92): Befürwortet die Bundesregierung die Pläne der polnischen Regierung, den Bau von Atomkraftwerken in Polen zuzulassen, und schließt die Bundesregierung generell deutsche oder europäische Finanzhilfen für polnische Atomkraftwerke aus? Nach Auffassung der Bundesregierung steht es jedem Staat frei, über die Zusammensetzung seines Energiemixes einschließlich des Einsatzes der Kernenergie selbst zu entscheiden. Dies gilt auch für die Pläne Polens zur Nutzung der Kernenergie. Anträge auf Finanzhilfen für den Bau von Kernkraftwerken in Polen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (33. Sitzung, Drucksache 17/1107, Frage 114): Inwieweit sieht die Bundesregierung durch die mit der Pflegeteilzeit angestrebte Verlagerung der Pflege in die Familien und der damit einhergehenden Privatisierung und Entsolidarisierung eine angemessene Lösung bezüglich der immer größer werdenden gesellschaftlichen Herausforderungen in der Pflege, und welche Lösungsvorschläge hat die Bundesregierung bei der Konzeption einer Pflegeteilzeit bezüglich der bekannten psychischen und physischen Überlastung pflegender Angehöriger? Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag folgendes vereinbart: "Um den Familien die Chance zu geben, Erwerbstätigkeit und die Unterstützung der pflegebedürftigen Angehörigen besser in Einklang zu bringen, wollen wir mit der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst bei Pflege- und Arbeitszeit verbesserte Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf entwickeln." Die derzeitigen Regelungen des Pflegezeitgesetzes sind ein wichtiger und richtiger Schritt auf diesem Weg. Danach haben Beschäftigte für eine Dauer von bis zu sechs Monaten einen Anspruch, vollständig oder teilweise von der Arbeitsleistung freigestellt zu werden, um Angehörige zu pflegen. Die Regelungen werden im nächsten Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung evaluiert. Die Bundesregierung prüft vor dem Hintergrund der Koalitionsvereinbarung das Familien-Pflegezeitkonzept von Frau Bundesministerin Dr. Kristina Schröder. Nach Ende der Prüfung wird unter Einbindung der Ressorts im September 2010 ein Eckpunktepapier vorgelegt. Anlage 7 Erklärung der Abgeordneten Dr. Ursula von der Leyen (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 5 d) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet "Nein". Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: - Beschlussempfehlung und Bericht: Menschenrechte weltweit schützen - Antrag: Menschenrechtsverteidiger brauchen den Schutz der Europäischen Union - Antrag: Mehr Schutz für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): "Menschenrechte weltweit schützen". So lautet der Titel des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und FDP. Der Antrag bringt zum Ausdruck, dass wir uns uneingeschränkt zu den Menschenrechten bekennen und dass wir sie auch einfordern - bei uns und überall in der Welt. Der Antrag benennt die zentralen Handlungsfelder der Menschenrechtspolitik der christlich-liberalen Koalitionen. In den 17 Forderungen unseres Antrags an die Bundesregierung kommt zum Ausdruck, dass es uns ernst ist, alles zu tun, um die Menschenrechte weltweit durchzusetzen. Die Forderung nach Einhaltung der Presse- und Meinungsfreiheit ist uns ebenso wichtig wie die Forderung nach Stärkung der Menschenrechtsschutzsysteme, die weltweite Abschaffung von Todesstrafe und Folter ebenso wie die Bekämpfung von Sklaverei, Ausbeutung und Menschenhandel. Aber auch der Schutz von Frauen und Kindern ist uns ein wichtiges Anliegen. Bei Menschenrechtsverletzungen dürfen wir nicht schweigen. Wir müssen uns einmischen und in einen ständigen Dialog mit den Verantwortlichen jener Staaten treten, die Menschenrechte verletzen. Die Menschenrechte haben deshalb in unserer Außenpolitik einen hohen Stellenwert. Im Koalitionsvertrag wird die Einhaltung der Menschenrechte ausdrücklich als eine Grundlage deutscher Außenpolitik bezeichnet. "Interessengeleitete Außenpolitik muss auch wertegeleitete Politik sein", sagte die Bundeskanzlerin beim Tag der Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahre 2008 anlässlich der damals 60 Jahre zuvor von den Vereinten Nationen verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Sie machte zu Recht deutlich, dass zu einer wertegeleiteten Außenpolitik auch die Anmahnung der Menschenrechte gehört. Wenn wir Menschenrechte einklagen, dann darf es sich nicht um Lippenbekenntnisse handeln. Eine wertegeleitete Außenpolitik darf sich nicht scheuen, auch wirtschaftlichen Druck auf ein Land auszuüben, wenn dieses die Menschenrechte massiv verletzt. Aber auch in der Entwicklungspolitik müssen wir menschenrechtliche Anforderungen stärker in den Vordergrund stellen. Wir dürfen in der Entwicklungszusammenarbeit nicht nur Menschenrechtsprojekte fordern. Wir müssen die Entwicklungszusammenarbeit auch als Instrument zur Einhaltung von Menschenrechten einsetzen. Ich nenne das Beispiel Uganda. Dort konnte dank massiven Drucks seitens der Europäischen Union, aber auch auf Druck des deutschen Ministers für Entwicklungszusammenarbeit zumindest vorläufig ein Gesetzesverfahren gestoppt werden, das die Todesstrafe für Homosexuelle vorsieht. Handfeste wirtschaftliche Interessen dürfen nicht dazu führen, menschenrechtliche Prinzipien zu vernachlässigen oder gar aufzugeben. Gerade in einer globalisierten Welt mit ihren wirtschaftlichen Interessen müssen wir uns energisch für die Einhaltung menschenrechtlicher Prinzipien einsetzen. Sie müssen für uns eine besondere Herausforderung sein. Wirtschaftlicher Erfolg und Werte wie Demokratie und Menschenrechte dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Deshalb stehen wir klar zu unseren Forderungen, zu denen auch die weltweite Abschaffung der Todesstrafe gehört. Allein im Jahre 2008 wurden mindestens 2 390 Menschen hingerichtet. Todesstrafe und Menschenrechte sind unvereinbar. Diese Haltung müssen wir Ländern wie China oder dem Iran, aber auch demokratischen Ländern wie den USA oder Japan deutlich machen. Unser Respekt gilt jenen, die sich oft unter Gefahr für das eigene Leben beharrlich für die elementaren Menschenrechte anderer einsetzen: den Menschenrechtsverteidigern und -verteidigerinnen. Wir müssen sie überall dort, wo uns dies möglich ist, unterstützen, sie schützen und ihre Arbeit fördern. Ohne ihr Wirken wäre die weltweite Durchsetzung von Menschenrechten nicht denkbar. Mit unserem Antrag wollen wir die Bundesregierung nicht nur auffordern, sondern ihr auch den Rücken stärken in ihrem Bemühen, sich weltweit für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Anlage 9 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten (Text von Bedeutung für den EWR) (inkl. 11063/09 ADD 1 und 11063/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) (Tagesordnungspunkt 14) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Wir beraten heute über den Entwurf einer EU-Verordnung zu Biozidprodukten. Biozidprodukte sind wichtig, sie dienen dem Schutz des Menschen und seiner Umwelt. Biozide haben - bei sachgerechter Anwendung - einen positiven Nutzen, sie sind unverzichtbar für einen hohen Gesundheits- und Hygienestandard. Aber sie provozieren auch Kritik; denn sie verfügen auch über Eigenschaften, von denen eine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgehen kann. Deshalb muss ihrem Einsatz stets eine sorgfältige Abwägung des individuellen Risikos und des zu erwartenden Nutzen vorausgehen. Nun wird der vorliegende Verordnungsentwurf, den die Europäische Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament am 12. Juni 2009 präsentierte, von allen Seiten kritisiert, von Verbraucherschützern genauso wie von der chemischen Industrie. Auch wir sehen Handlungsbedarf, den Verordnungsentwurf noch zu verbessern. Die europäische Biozidrichtlinie von 1998, die 2002 mit dem Biozidgesetz in deutsches Recht umgesetzt wurde, hat sich einfach nicht bewährt. Sie ist viel zu bürokratisch. Aufwand und Kosten stehen in keinem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Ein konkretes Beispiel: Derzeit beträgt die Bearbeitungsdauer für die Aufnahme eines Wirkstoffes ganze vier Jahre - mit der Folge, dass bis 2008 überhaupt nur 14 Wirkstoffe bearbeitet wurden und Biozidwirkstoffe und -produkte, die noch benötigt werden, vom Markt verschwinden. Die wesentliche Ursache dieses unbefriedigenden Zustandes ist das parallele Zulassungsverfahren auf der nationalen Ebene, das eine zu lange Bearbeitungsdauer erfordert und zu bürokratisch ist. Aus diesem Grund verfolgt die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag folgendes Ziel: Harmonisierung der Regelungen und Vereinfachung der Verfahren für Biozide in der EU. Diese Zielsetzung findet unsere Unterstützung - auch weil die Kommission mit ihrer Initiative eine Richtung einschlägt, die im Einklang steht mit den Bestimmungen des Koalitionsvertrages der neuen christlich-liberalen Bundesregierung. Dieser legt fest, dass die bürokratischen Hürden für die Zulassung von Biozidprodukten abgebaut werden sollen. Bürokratische Erleichterungen dürfen allerdings nicht mit der Absenkung von Inhalten einhergehen. Es muss sichergestellt sein, dass die bestehenden, insbesondere hohen deutschen Sicherheits- und Umweltstandards in vollem Umfang aufrechterhalten und ebenfalls auf europäischer Ebene verankert werden. Kurz gefasst: Hohe Sicherheitsstandards bei Verfahrenserleichterungen. Obwohl die Zielsetzung der Europäischen Kommission unsere Unterstützung findet, sind die Ausführungen des Verordnungsvorschlags nicht zufriedenstellend. In unserem Entschließungsantrag haben wir daher in zwei wesentlichen Bereichen, den Ausschlusskriterien und dem gemeinschaftlichen Zulassungsverfahren, konkrete Verbesserungsvorschläge formuliert: Erstens. Gemeinschaftliches Zulassungsverfahren. Wir unterstützen den Vorschlag der Europäischen Kommission, eine Gemeinschaftszulassung einzuführen; denn die bislang genutzten nationalen Zulassungsverfahren sind zu aufwendig - mit den zuvor beschriebenen Folgen, also der Nicht-Anmeldung von Produkten, weil sich der Aufwand nicht lohnt. Nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission soll die Gemeinschaftszulassung nur für zwei Fallgruppen, die der neuen Wirkstoffe und die der Niedrig-Risiko-Wirkstoffe, eingeführt werden. Das bringt uns zu der Forderung, dass die Gemeinschaftszulassung gegenüber dem vorliegenden Vorschlag ausgeweitet werden soll. Das Ziel muss darin bestehen, die Gemeinschaftszulassung grundsätzlich auf alle Produktkategorien auszudehnen. Die aktuelle Beschränkung des Verfahrens ist unsachgemäß, löst nicht das Problem und macht das Verfahren für die Praxis de facto bedeutungslos. Darüber hinaus unterstützen wir ausdrücklich den Vorschlag der Bundesregierung für die Einführung eines Verfahrens der sogenannten "Gleichzeitigen gegenseitigen Anerkennung". Die bisherige aufwendige Praxis paralleler eigenstaatlicher Zulassungsverfahren muss in jedem Fall beendet werden. Zweitens. Ausschlusskriterien. In Art. 5 des Verordnungsvorschlages der Europäischen Kommission werden sogenannte Ausschlusskriterien definiert, wonach karzinogene, mutagene oder reproduktionstoxische Stoffe bzw. Stoffe mit endokrinschädigenden Eigenschaften nur dann in die Positivliste aufgenommen werden, wenn sie eine der Voraussetzungen erfüllen. Wir begrüßen ausdrücklich die Einführung von Ausschlusskriterien, denn dieses Instrument dient der Verbesserung des Schutzniveaus für Mensch und Umwelt. Und weil wir es ernst meinen mit der Stärkung des Gesundheits- und Umweltschutzes, enthält unser Entschließungsantrag die Forderung, die Ausschlusskriterien sogar um wichtige Umweltaspekte zu erweitern, die im Verordnungsentwurf bisher außer Acht bleiben: bioakkumulative, persistente und toxische Stoffe sowie persistente organische Verbindungen. Allerdings ist in Zusammenhang mit der Einführung von Ausschlusskriterien sicherzustellen, dass zu jeder Zeit alle notwendigen Biozidprodukte in ausreichender Anzahl auf dem Markt zur Verfügung stehen, um auch weiterhin hohe Gesundheits- und Hygienestandards zu garantieren. Dieser Zielsetzung widerspricht jedoch Art. 5, der von vorneherein "Wirkstoffe für die Produkt-arten 4 sowie 14 bis 19" ausnimmt. Diese Regelung hätte möglicherweise zur Folge gehabt, dass beispielsweise die für Schädlingsbekämpfungsmittel benötigten Wirkstoffe nicht mehr auf die Positivliste aufgenommen und Produkte mit diesen Wirkstoffen dann nicht mehr hätten hergestellt werden können. Eine nicht hinnehmbare Einschränkung des bestehenden Schutzniveaus. Aus dieser Problematik resultiert unsere Forderung an die Bundesregierung, sich auf europäischer Ebene für eine entsprechende Präzisierung des unkonkreten Art. 5 einzusetzen. Die Präzisierung dient dazu, Ausnahmeentscheidungen an klare Kriterien zu binden und den generellen Ausschluss von Produktarten überflüssig zu machen. Wenn wir die Ausnahmen so klar und stringent formulieren, dann brauchen wir nicht den generellen Ausschuss von Produktarten. Hinsichtlich der Problematik "Ausschlusskriterien" sind wir zusammenfassend der Ansicht, dass wir durch die Erweiterung der Ausschlusskriterien um wichtige Umweltbelange auf der einen Seite und die Erleichterung, die sich auf der anderen Seite durch die Umformulierung des Art. 5 ergibt, eine Ausrichtung der Verordnung erzielen, die in ihrer Ausgewogenheit überzeugt. Neben der Einführung eines gemeinschaftlichen Zulassungsverfahrens und der Präsizierung der Ausnahmemöglichkeiten von Ausschlusskriterien, möchte ich zudem noch auf den Punkt "Transparenz für den Verbraucher" zu sprechen kommen. Um eine Verbesserung der Bereitstellung von Informationen auf europäischer Ebene zu erzielen, welche meiner Meinung nach angestrebt werden sollte, könnte man sich auf EU-Ebene an den Regelungen der deutschen Gesetzgebung im Bereich Biozide orientieren. Hier weise ich auf das im deutschen Biozidrecht verankerte Produktverzeichnis hin, das als Vorbild dienen kann. Damit habe ich den aus unserer Sicht bestehenden Nachbesserungsbedarf am vorliegenden Verordnungsentwurf umfassend beschrieben. In diesem Zusammenhang freut es mich, dass mit dem Bericht der Berichterstatterin des Europäischen Parlaments, Christa Klass, EVP, eine gute Stellungnahme vorliegt, die verschiedene Aspekte ausgewogen behandelt. Unser Antrag benennt klare Ziele und Maßnahmen: Erhaltung des hohen Schutzniveaus, das wir in Deutschland kennen; Harmonisierung des europäischen Biozidrechts mit dem Ziel der Erleichterung der Verfahren bei der Zulassung sowie damit verbunden die Anforderung an den positiven Nutzen einer sicheren Anwendung von Biozidprodukten. Dabei will ich auch darauf hinweisen, dass bei der Ausformulierung dieser Ziele es nicht die Aufgabe des Bundestages sein kann, ins letzte Detail zu gehen und sich so zu überheben. Das übergeordnete Ziel der Formulierung der oben genannten Ziele in Form eines Entschließungsantrages, verbunden mit einem entsprechenden Votum des Deutschen Bundestages, besteht darin, die Bundesregierung in den Verhandlungen durch die Vorgabe klarer Ziele auf europäischer Ebene den Rücken zu stärken. Das ist uns mit diesem Entschließungsantrag gelungen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. Josef Göppel (CDU/CSU): Schon der Begriff "Biozide" unterstreicht die Notwendigkeit einer strengen Zulassungsregelung. Der Begriff für Materialschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel ist abgeleitet vom griechischen Wort für Leben "bios" und dem lateinischen Wort für töten "caedere". Desinfektionsmittel, Holzschutzmittel und Insektengifte bergen für Mensch und Natur erhebliche Gefahren. Viele Biozide sind langlebig, reichern sich in den natürlichen Kreisläufen an und können Erbgut verändern. Entsprechend hoch ist das Gesundheitsrisiko für den Menschen. Besonders die schleichende Wirkung einiger Biozide ist äußerst tückisch, Krebs die Langzeitfolge. Ich erinnere hier nur an die leidvollen Erfahrungen aus früheren Zeiten mit PCP, DDT und Lindan in Holzschutzmitteln. Der Staat steht hier ganz besonders in der Pflicht, Vorsorge für die Gesundheit der Bürger zu treffen. Deshalb steht für die Regierungsfraktionen an vorderster Stelle, dass eine europäische Harmonisierung und der Abbau bürokratischer Hürden keinesfalls zu einer Aufweichung des hohen deutschen Schutzniveaus führen dürfen. Grundsätzlich begrüße ich den Ansatz der EU-Kommission, die zehn Jahre alte Biozidrichtlinie nach dem Vorbild der europäischen Chemikalienpolitik zu überarbeiten. Strengere Regeln für mit Bioziden behandelte Kleidung, Teppiche und Möbel oder Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, sind mehr als überfällig. Durch den europaweiten Austausch von Test-ergebnissen werden weniger Tierversuche notwendig sein. Im Detail gibt es aber noch Nachbesserungsbedarf. Wenn die Bewertung eines Wirkstoffes positiv abgeschlossen worden ist, begann bisher auf der Basis von Anträgen bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten das nationale Produktzulassungs- oder Registrierungsverfahren für Biozidprodukte, die diesen Wirkstoff enthalten. Bei dieser zweiten Verfahrensstufe werden die produktspezifischen Risiken bewertet. Die Regierungsfraktionen unterstützen die Bundesregierung in ihrer Verhandlungsposition, dass künftig auch die Zulassung aller Produkte auf europäischer Ebene möglich sein soll. Die Kommission sieht dies in ihrem Entwurf nur für neue Produkte und Produkte mit geringem Risiko vor. Dieser Ansatz entlastet die Unternehmen von Bürokratie. Ich halte es aber für unabdingbar, auch künftig Zulassungen mit Auflagen zur Eindämmung regionaler Risiken verbinden zu können. Diese Unterschiede können für den Schutz der regionalen Bevölkerung oder empfindlicher Ökosysteme erforderlich sein. Die Bundesregierung muss bei den Verhandlungen in Brüssel außerdem darauf achten, dass die grundsätzlich sinnvolle Ausweitung des Verfahrens zur gegenseitigen Anerkennung nationaler Zulassungen auf alle Produkte nicht so weit geht, dass Deutschland sein höheres Schutzniveau nicht mehr durchsetzen kann. Standardabsenkungen lehnen wir ab. Auch die Transparenz des Verfahrens und die Information der Öffentlichkeit sind verbesserungswürdig. Die Daten zu Zulassung, Vermarktungsmengen, Anwendungsintensität, den Regeln der guten fachlichen Praxis, zu Vergiftungsfällen und Umwelt- und Gesundheitsbelastungen müssen den Bürgern zugänglich sein. Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang auch, dass die zuständigen Behörden über alternative Methoden zur Schädlingsbekämpfung und zum Materialschutz informieren. Bei der Komplexität natürlicher Kreisläufe bleibt auch beim sorgfältigsten Zulassungsverfahren ein Restrisiko. Der beste Schutz vor den Risiken von Bioziden ist, wenn sie erst gar nicht zum Einsatz kommen. CDU/CSU und FDP wollen mehr Transparenz im Zulassungsverfahren. Wir fordern deshalb in unserem Antrag ein europaweites, öffentliches Produktverzeichnis nach dem Vorbild des deutschen Biozidrechts. Zum Vorsorgeprinzip gehört, dass besonders gefährliche Stoffe, die zum Beispiel Krebs erregen können, von der Anwendung ausgeschlossen werden. Der Verordnungsentwurf sieht hier Kriterien vor, die noch nicht ausreichen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb in unserem Antrag auf, sich für einen Ausschluss von Stoffen einzusetzen, die sich in der Natur anreichern, besonders langlebig oder giftig sind. Das ist ich für mich ein ganz wesentlicher Punkt, warum ich den Antrag unterstütze. Solche Stoffe bergen die Gefahr, die natürlichen Kreisläufe nachhaltig zu stören. Wir reden hier von Eingriffen, die nicht einfach durch einen Stopp der Anwendung rückgängig zu machen sind. Als Förster weiß ich um die dramatischen Folgen für das biologische Gleichgewicht. Als christlicher Politiker erinnere ich hier ganz besonders an unsere Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung. Deshalb halte ich unsere Forderung für richtig, dass die Ausnahmeregelungen in Art. 5 des Verordnungsentwurfs für diese besonders gefährlichen Biozide präziser gefasst werden müssen. Mir ist es zum Beispiel zu schwammig formuliert, wenn der Ausschluss von Wirkstoffen ohne bekannten Ersatz aufgehoben werden kann, wenn sich - ich zitiere - "verglichen mit dem Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Um-welt ... nachweislich unverhältnismäßig negative Folgen" ergeben. Das ist nicht nur ein Schlupfloch, sondern eine riesige Bresche, mit der letztendlich auch der krebserregendste Stoff noch zugelassen werden kann. Die Bundesregierung muss hier dringend auf einer Nachbesserung bestehen. In diesem Zusammenhang will ich aber auch auf einen Punkt hinweisen, in dem ich mir im Antrag der Regierungsfraktionen eine zurückhaltendere Formulierung gewünscht hätte. Die Kommission sieht im Verordnungsentwurf vor, dass für bestimmte Produktgruppen keine Ausnahmeregelungen für besonders gefährliche Stoffe möglich sind. Für mich haben selbst bei einer eng gefassten Präzisierung der Ausnahmeregelungen krebserregende Stoffe als Desinfektionsmittel im Lebensmittel- und Futtermittelbereich nichts zu suchen. Dieses eindeutige Verbot sollte in der Verordnung erhalten bleiben. Zum Abschluss meiner Rede möchte ich aber noch auf etwas wirklich Erfreuliches hinweisen: Die Biozidverordnung ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass der Deutsche Bundestag nun durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den Vertrag von Lissabon schon zu einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit hat, Entscheidungen auf europäischer Ebene zu beeinflussen. Das deutsche Parlament unterstreicht mit diesem Antrag, dass es beim Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren von Bioziden keine Rückschritte zulässt. Das Signal ist klar: Unser Recht auf Mitsprache bei europäischen Entscheidungen werden wir selbstbewusst wahrnehmen. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Die Revision der europäischen Biozidrichtlinie, unser heutiges Thema, ist ein weites Feld für naturwissenschaftliche Experten. Im Umweltausschuss haben wir Fachpolitiker den vorliegenden Entwurf mehrfach und auf hohem Niveau beraten. In der heutigen Plenardebatte geht es darum, nicht in eine Chemievorlesung zu verfallen, sondern für die Bürgerinnen und Bürger verständlich zu machen, worum es eigentlich geht: Um Produkte, die sich in jedem Haushalt finden, wie antibakterielle Putzmittel, Mückensprays und Holzschutzmittel. Die Verbraucher haben also im Alltag direkten Kontakt mit Bioziden, das heißt mit Substanzen, die unerwünschte Organismen vernichten und die zum Teil dieselben Wirkstoffe wie Pestizide enthalten. Wichtig für die Verbraucher ist dabei, dass Produkte wie Holzschutzmittel, Desinfektionsmittel und Rattengift aber auch das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt haben. Sie können Wirkstoffe enthalten, die Krebs erzeugen, das Erbgut verändern, die Fruchtbarkeit herabsetzen oder das Hormonsystem stören. Daher gibt es in Deutschland eine Zulassungspflicht für Biozidprodukte vor deren erstmaligem Inverkehrbringen. Auf europäischer Ebene wird der Umgang mit Biozidprodukten bisher durch eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1998 geregelt, die jetzt überarbeitet werden soll. Das ist auch dringend notwendig; denn diese Produkte sind auf dem Vormarsch. Der Absatz von Insektensprays und Haushaltsdesinfektionsmitteln steigt in Deutschland und Europa ungebrochen an. Auf dem Markt sind innerhalb der EU derzeit etwa 400 000 Tonnen Wirkstoffe in insgesamt 50 000 Produkten. Deutschland nimmt mit rund 20 000 verschiedenen Biozidprodukten einen Spitzenrang unter den Mitgliedstaaten ein. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass wir handeln müssen, wenn wir unser Leitprinzip für Reformen - die Idee der nachhaltigen Entwicklung - ernst nehmen. Nachhaltigkeit heißt, dass wir einen fairen Interessenausgleich zwischen Ökonomie, Sozialem und Ökologie suchen. Nachhaltigkeit heißt, dass wir Verantwortung für das Leben künftiger Generationen übernehmen. Insofern ist sie nicht vereinbar mit der heutigen Kurzfristigkeit, die betriebswirtschaftliche Entscheidungen prägt. Das bedeutet für unser heutiges Beratungsthema: Bei der Revision der europäischen Biozidrichtlinie müssen wir sicherstellen, dass die angestrebten Vereinfachungen und ein gewünschter Bürokratieabbau nicht auf Kosten des Umwelt- und Verbraucherschutzes gehen. Der Hauptzweck der Verordnung sollte der Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit vor den möglichen negativen Folgen der Verwendung von Bioziden sein. Wenn man sich den vorliegenden Entwurf aber genau ansieht, scheint das vorrangige Ziel der EU-Kommission bei der neuen Verordnung zu sein, den freien Verkehr von Biozidprodukten innerhalb der Gemeinschaft zu steigern. Im Gesetzestext finden sich zahlreiche Änderungen, die die Zulassung und das Inverkehrbringen von Biozidprodukten vereinfachen sollen. Auch laut Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung soll die Zulassung von Bioziden erleichtert werden. Auch wir von der SPD setzen uns für einen modernen Industriestandort Deutschland, für Forschung und Innovationen ein. Aber wir sagen auch deutlich: Es darf keinen einseitigen Blick auf die Förderung der Biozidvermarktung geben. Unser Hauptaugenmerk muss weiterhin auf einen vorsorgeorientierten Schutz von Mensch, Umwelt und Tier gerichtet sein. Das ist aus unserer Sicht auch der Hauptzweck bei der Revision der europäischen Biozidrichtlinie. Aber leider wird er durch den heute zu beratenden Vorschlag nicht erfüllt. Lassen Sie mich konkret auf die Beratungsvorlage eingehen. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt grundsätzlich die Revision der europäischen Biozidrichtlinie. Im vorliegenden Vorschlag werden etliche zutage getretene Schwachstellen der vorherigen Regelung beseitigt und eine Reihe von Elementen, insbesondere zum Umgang mit Daten und Verfahrensvorschriften, verbessert und harmonisiert. Wir freuen uns, dass wichtige Prinzipien aus der neuen Verordnung zur europäischen Chemikalienpolitik, REACH, übernommen wurden. Beispielsweise wurde der Geltungsbereich auf Gegenstände und Materialien erweitert, die mit Biozidprodukten behandelt wurden. Das heißt konkret, dass Erzeugnisse wie Farben, Textilien, Teppiche oder Lederwaren mit Bioziden ausgerüstet sind und durch den Import aus Drittländern in die EU gelangen. Durch die Revision wird endlich eine relevante Lücke im bisherigen Biozidrecht geschlossen. Wir begrüßen ausdrücklich, dass zukünftig in der EU nur Erzeugnisse vermarktet werden dürfen, deren Biozidausrüstung auch in der EU zugelassen ist. Das ist vor allem für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher eine erfreuliche Verbesserung des Schutzes vor gefährlichen Stoffen. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht jedoch noch einen deutlichen Änderungsbedarf des vorliegenden EU-Entwurfs, da in der bisherigen Fassung dem vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutz noch nicht genügend Rechnung getragen wird. Mit dieser Forderung stehen wir nicht alleine da. Ein breites Bündnis von Umwelt-, Naturschutz- und Verbraucherschutzverbänden haben Vorschläge und Forderungen für ein besseres Biozidrecht vorgelegt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher einen Entschließungsantrag in die Beratungen im Umweltausschuss eingebracht. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich bei den Verhandlungen im Umweltministerrat für folgende Änderungen einzusetzen. Das Vorsorgeprinzip muss auch in dieser neuen Regelung zur Anwendung kommen, wie bei der Chemikalien- und Pestizidgesetzgebung. Dieses Prinzip bedeutet, vorsorglich Schutzmaßnahmen zu ergreifen, auch wenn der Umfang der Gefahr noch nicht vollständig abzuschätzen ist. Nur so können wir das hohe Schutzniveau für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier auch weiterhin gewährleisten. Die geplante Biozidverordnung muss mit geltenden Umweltschutzgesetzen und Umweltschutzstandards verknüpft werden, zum Beispiel die Umweltqualitätsziele der Wasserrahmenrichtlinie. Auch die Definition des sogenannten Schadorganismus muss enger gefasst werden. Es muss klargestellt werden, dass Biozide nur zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden dürfen - und nicht auch gegen sogenannte unerwünschte Lebewesen, die nicht schädlich sind. Wir fordern darüber hinaus einen strikten Ausschluss von besonders gesundheits- und umweltgefährlichen Stoffen. Wir unterstützen den Vorschlag, dass künftig Biozidwirkstoffe mit krebserregenden, fortpflanzungsschädigenden, erbgutverändernden oder hormonell wirksamen Eigenschaften ausgeschlossen werden sollen. Diese Regelung sollte aber erweitert werden. Es gibt noch zahlreiche Stoffe, die von der Regelung noch nicht erfasst sind, aber eine besonders gefährdende Wirkung haben, wie die sogenannten PBT-Stoffe, vPvB-Stoffe und POPs-Stoffe. Auch die Anwendung des Substitutionsprinzips, also der Ersatz von gefährlichen Chemikalien durch sichere Alternativen, sollte konsequenter durchgeführt werden. Innovationen für Alternativen sollten gefördert werden. Die Zulassung, Vermarktung und Verwendung von Bioziden muss transparent sein. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen aktiv über die Vorsorgemaßnahmen und unbedenkliche neue Alternativverfahren informiert werden. Auch aus Tierschutzsicht besteht dringender Nachbesserungsbedarf. So sollten zum Beispiel tierversuchsfreie Alternativen - als Ersatz für die in den Datenanforderungen vorgeschriebenen Tierversuche - für die Antragsteller attraktiver werden. Für die SPD steht der Mensch im Mittelpunkt. Deshalb geht es uns bei der Revision der europäischen Biozidrichtlinie auch in erster Linie um den gesundheitlichen Schutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher und nicht vorrangig um den Schutz der Unternehmen, die Biozidprodukte herstellen, wie es die Regierungsfraktionen in ihrem Entschließungsantrag darlegen. Es ist den Regierungsfraktionen leider nicht gelungen, mit ihrem Entschließungsantrag an unser Niveau heranzukommen. In der heute zur Abstimmung stehenden Beschlussempfehlung gibt es keinen Satz zur Vorsorge, keinen Satz zur Substitution, keinen Satz zum Tierschutz. Für die weiteren Beratungen auf europäischer Ebene bedeutet das, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung leider ihre Chance verspielt, sich für das hohe Schutzniveau für die Umwelt, die Gesundheit der Menschen und den Tierschutz als Hauptzweck der Verordnung einzusetzen. Aus diesem guten Grund lehnt die SPD-Bundestagsfraktion auch den vorliegenden Entschließungsantrag der CDU/ CSU und FDP ab. Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar grundsätzliche Gedanken zum heutigen Thema formulieren. Wir alle können froh sein über unseren heutigen hohen Standard im Bereich der Hygiene und Gesundheit. Auch in Deutschland produzieren Unternehmen Produkte, die für unser tägliches Leben eine echte Bereicherung darstellen. So fortschrittlich die Innovationen im Bereich der Biozidprodukte heutzutage auch sind, stellt sich doch für die Verbraucher trotzdem häufig die einfache Frage: Muss das alles sein? Ob keimfrei sprühen, wischen oder waschen, ob Badewannen, Müllsäcke oder Socken mit antibakterieller Ausstattung - wer will, kann den Kampf gegen Keime an jeder Front im Haushalt aufnehmen. Aber wie wirksam die Produkte sind und inwieweit Infektionskrankheiten dadurch vereitelt werden, das bleibt dem Hoffen der Verbraucher überlassen. Das Umweltbundesamt, das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin sowie das Robert Koch-Institut bewerten die chemische Entkeimung im Haushalt als "überflüssig" und extrem schädlich. Es gibt natürlich eine Existenzberechtigung für echte Desinfektionsmittel - in Krankenhäusern, Lebensmittelbetrieben, in der Veterinärmedizin. Aber dort sollten Biozide nur von ausgebildeten Personen angewendet werden, die sich mit Konzentration, Wirkungsspektrum und Einwirkzeiten auskennen. Ein Wissenschaftler des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Uniklinik Freiburg hat es auf den Punkt gebracht: "Das Szenario der allgemeinen Bedrohung durch Keime ist Panikmache und eine Erfindung von Marketingstrategen." Die Bundesregierung sollte bei den Beratungen auf europäischer Ebene das nicht aus dem Auge verlieren. Sie handeln im Auftrag der Konsumentinnen und Konsumenten unseres Landes und nicht im Auftrag der Wirtschaftsverbände. Dr. Lutz Knopek (FDP): Biozide sind Stoffe oder Zubereitungen, denen bestimmungsgemäß die Eigenschaft innewohnt, Lebewesen abzutöten oder zumindest in ihrer Lebensfunktion einzuschränken. Aufgrund dieser potenziell gefährlichen Eigenschaften von Bioziden ist die Begrenzung des mit der Verwendung von Biozidprodukten einhergehenden Risikos für den Menschen und für Organismen von besonderer Bedeutung. Der am 12. Juni 2009 vorgelegte Verordnungsentwurf der Kommission zur Revision der Biozid-Produkte-Richtlinie strebt dazu eine Vereinfachung und Harmonisierung der Biozidgesetzgebung in der Europäischen Union an. Ziel der Verordnung ist es, der laufenden technischen Entwicklung Rechnung zu tragen sowie die in der bisherigen Anwendung der Biozid-Produkte-Richtlinie festgestellten Schwächen und Probleme zu beheben. Der Kommissionsentwurf wird diesen Zielen leider nicht gerecht. Die Koalition aus CDU, CSU und FDP hat daher einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorgelegt, mit dem die Bundesregierung beauftragt wird, sich für eine Überarbeitung auf europäischer Ebene einzusetzen. Uns geht es dabei vor allem um zwei Punkte: Erstens. Die bisherige aufwendige Praxis paralleler eigenstaatlicher Zulassungsverfahren ist zu teuer und zu bürokratisch. Wir machen uns daher stark für eine Ausweitung und Stärkung der neuen Gemeinschaftszulassung. Die vorgesehene Beschränkung des Verfahrens auf zwei Fallgruppen, Produkte mit neuen Wirkstoffen und Niedrig-Risiko-Produkte, ist unsachgemäß und macht das Verfahren für die Praxis bedeutungslos. Mit der Ausweitung der Gemeinschaftszulassung erhalten die Unternehmen Anreize zur Produktinnovation, da sie ihre Produkte dann europaweit vermarkten können. Kleine, national segmentierte Märkte haben ein zu geringes Umsatzpotential, um eine solche Wirkung zu entfalten. Neue, weniger gefährliche Wirkstoffe werden aber nur dann entwickelt werden, wenn es betriebswirtschaftlich Sinn macht. Zweitens. Da wir Liberale grundsätzlich einen ganzheitlichen Bewertungsansatz verfolgen, ist eine Erweiterung der Ausschlusskriterien um Umweltkriterien, namentlich bioakkumulative, persistente und toxische Stoffe sowie um persistente organische Verbindungen, wichtig und sinnvoll. Damit wird den vielfältigen ökotoxikologischen Risiken, die beim Einsatz von Bioziden entstehen können, Rechnung getragen. Jedoch lehnen wir das faktische Verbot bestimmter Produktgruppen, wie sie in Art. 5 des Verordnungsentwurfs vorgesehen sind, ab. Die Nichtaufnahme von Wirkstoffen in die Positivliste auf Anhang 1 der Verordnung kann nur dann begründet werden, wenn eine individuelle, expositionsbasierte Risikoabwägung zu dem Schluss kommt, dass Risiko und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Gerade bei den Schädlingsbekämpfungsmitteln, die aufgrund ihrer Stoffeigenschaften pauschal ausgeschlossen werden sollten, muss bedacht werden, dass ihre Verwendung immer im Rahmen eines integrierten Schädlingsbekämpfungskonzeptes erfolgt. Der Einsatz von Giften ist immer nur Ultima Ratio. Die meiste Schädlingsbekämpfung kommt heute ohne sie aus. Erst wenn der Einsatz von Köderboxen nicht zum Erfolg führt, kommen Biozide zum Einsatz. Eine Kontrolle im Anschluss und ein Einsammeln der Kadaver und nicht gebrauchter Köder sind Teil des sachgerechten Einsatzes, der der Risikominimierung dient. Zum Abschluss meiner Rede will ich noch kurz auf einen Kritikpunkt der Opposition eingehen. SPD, Linkspartei und Grüne haben - auf Zuruf des Tierschutzverbandes - im Ausschuss und in ihren Entschließungsanträgen suggeriert, dass der Verordnungsentwurf den Tierschutz nicht ernst genug nimmt und dass auf Tierversuche praktisch ganz verzichtet werden könnte. Diesem Eindruck will ich an dieser Stelle entschieden entgegentreten. Der Einsatz von Tierversuchen ist - leider - auch weiterhin unvermeidlich. Zur Feststellung von Reproduktionstoxizität und Teratogenität reichen In-vitro-Versuche grundsätzlich nicht aus. Schädigungen, die am Ende eines Lebenszyklus oder sogar erst nach mehr als einer Generation auftreten, können nur am lebenden Organismus festgestellt werden. Deshalb sind Forderungen nach einem zu weitgehenden Verbot von Tierversuchen deplatziert. Zudem sind die Bestimmungen zur Minimierung von Tierversuchen und zum Austausch von Versuchsdaten im Verordnungsentwurf bereits ausreichend. In Art. 51 heißt es dazu: "Versuche an Wirbeltieren werden nur als letzter Ausweg durchgeführt. Versuche dürfen nicht mehrfach ausgeführt werden." Der Datenaustausch ist bei Tierversuchen außerdem ohnehin obligatorisch. Für uns ist die Kritik der Opposition an dieser Stelle daher nicht nachvollziehbar. Sie dient offensichtlich nur als vorgeschobener Grund, um einen ausgewogenen und differenzierten Antrag ablehnen zu können. Wir machen lieber konstruktive Politik. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Mit der Biozidrichtlinie stellen EU und Bundesregierung Industrieinteressen über Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Biozide sind Gifte, die Lebewesen töten oder massiv beeinträchtigen. Der notwendige, auch unvermeidbare Einsatz von Bioziden zur Bekämpfung von schädlichen Insekten und Nagern, Pilzen, Bakterien, Viren und auf anderen Gebieten muss deshalb mit Vorsicht erfolgen und auf das notwendige Mindestmass begrenzt werden. Rattengifte töten auch Menschen, Insektengifte schädigen die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen und Männern, und Anti-Pilzmittel lösen Atemwegserkrankungen und Krebs aus. Eine strenge Reglementierung der Zulassung von Bioziden, Einsatz von gut geschultem Personal bei der Nutzung von Bioziden sowie klare Verwendungsrichtlinien wie bei der Pestizidverordnung wären erforderlich. Statt den bestmöglichen Schutz von Mensch und Natur sichert diese Richtlinie eine einfache EU-weite Zulassung dieser gefährlichen Stoffe. In Kopplung mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie wird das erwähnte Fachkräftegebot jedoch zur Farce. Die Einhaltung von Anwendungsvorschriften und Einsatzbeschränkungen wird kaum überprüft. Hier handeln EU und Bundesregierung grob fahrlässig. So kann Maries Opa weiter nach dem Motto "Viel hilft viel" gegen Mehltau spritzen, Oma sprüht gegen Essigfliegen, Papa pinselt gegen Schimmel, und Mama wäscht die Haare ihres Kindes mit Lindan, als Pestizid wegen der Giftigkeit verboten, gegen Kopfläuse in der Bundesrepublik bis 2007 noch zugelassen. 20 Jahre später braucht Marie keine Verhütungsmittel - sie wurde durch diese Biozide unfruchtbar -, weil ihre Eltern und Großeltern der staatlichen Zulassung vertrauten - skandalös. Gefährliche Biozide müssten schnellstmöglich ersetzt werden. Was passiert jedoch? Ausnahmeregelungen für altbekannte Wirkstoffe werden so lange verlängert, wie es keine alternativen Wirkstoffe gibt. Da die Hersteller bei fehlenden ungefährlicheren Bioziden problemlos und ohne Kosten die Zulassung ihrer vorhandenen Biozide verlängert bekommen, haben sie kein Interesse an Neuentwicklungen zur Verminderung von unerwünschten Nebenwirkungen der Biozide. 50 000 Biozide gibt es in der EU - 20 000 in der Bundesrepublik, die meisten mit Bestandsschutz. Die Zahl möglicher Wechselwirkungen ist höher als die möglichen Kombinationen beim Lotto. Der sachgerechte Einsatz dieser Mittel würde herausragend geschultes Personal benötigen. Wie das bei einem Fachvortrag bei einem Apotheker in Portugal oder bei einem zweiwöchigen Crashkurs in der Bundesrepublik vermittelt werden soll ist fraglich. Die Linke sieht die Notwendigkeit einer Biozidverordnung. Wir fordern, die Ausnahmeregelungen aufzuheben. Die Industrie wird, wenn unter Druck gesetzt, neue Wirkstoffe mit geringerem Gefahrenpotenzial entwickeln. Beim FCKW-Kühlschrank konnten nach dem Durchbrechen der Blockade durch die kleine Firma Foron die Marktführer Siemens und Miele dann in nur sechs Monaten auch FCKW-frei produzieren, was vorher laut Industrie nicht möglich war. Wir fordern, den Beruf des Schädlingsbekämpfers mit den hohen bundesdeutschen Standards europaweit verbindlich zu machen. Nur so kann das notwendige Fachwissen bei dem Biozideinsatz gesichert werden. Um den regionalen Besonderheiten entsprechen zu können und damit jeder EU Staat das Recht hat, über die Mindestschutzstandards für seine Bürger hinauszugehen, fordern wir, dass jedes Land das Recht hat, Zulassungen von Bioziden zu verweigern. Diese Richtlinie erfüllt leider umfänglich den Anspruch der Industriefreundlichkeit, statt den Anspruch zu erheben, den bestmöglichen Schutz von Mensch und Natur zu sichern. Das ist nicht der Weg für die Linke. Für uns stehen Mensch und Natur an erster Stelle. Deshalb lehnen wir diese Vorlage ab. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorgelegte Vorschlag zur EU-Biozidverordnung schützt Mensch, Tier und Umwelt nicht ausreichend. Vielmehr ist er ein weiterer Beweis dafür, dass die Regierungskoalition den Schutz der Herstellerinteressen über den Schutz der Verbraucher und Verbraucherinnen stellt. Die Regelung zum Einsatz von Biozidprodukten muss zum Ziel haben, Mensch, Tier und Umwelt wirksam vor giftigen Biozidprodukten zu schützen. Das Motto kann nicht sein: Alle notwendigen Biozidprodukte, gleich wie risikobehaftet, müssen jederzeit auf dem Markt verfügbar sein. Die Marktverfügbarkeit und die Verfahrensvereinfachung stehen im Mittelpunkt ihres Vorschlages, der vorsorgende Schutz der Verbraucher spielt jedoch eine sehr geringe Rolle. Ich muss schon sagen: Die Schädlingsbekämpfungslobby hat sich durchgesetzt. Wenn man den Vorschlägen vonseiten der FDP zuhört, bekommt man den Eindruck, dass es wichtiger sei, Bürgerinnen und Bürger vor Rattenplagen zu schützen als vor besonders gesundheits- und umweltgefährdenden Stoffen. Für meine Fraktion hingehen ist unabdingbar, dass die Anwendung von besonders risikoreichen Substanzen, wie beispielsweise PBT- und POP-Stoffe, ausgeschlossen wird und problematische Biozidprodukte nicht generell, sondern nur in Ausnahmen zugelassen werden können. Das wird die erfolgreiche Bekämpfung von Rattenplagen nicht verhindern, die Menschen aber wirksam vor Risikoprodukten schützen. Wir hören, dass insbesondere die FDP einen Innovationsschub für den deutschen Biozidmarkt fordert. Das sehen wir auch so. Allerdings heißt Innovation für uns: Entwicklung von Niedrigrisikoprodukten. Die von Ihnen geforderte gemeinschaftliche Zulassung für alle Produkte in der EU schafft Anreize ab, Niedrigrisikoprodukte auf den Markt zu bringen. Wir fordern Sie auf: Privilegieren sie Niedrigrisikoprodukte und fördern Sie damit Innovationen, die zum Schutz von Umwelt und Mensch beitragen. Wir kritisieren, dass mit diesem Entwurf der EU-Verordnung die Bevölkerung nicht ausreichend vor Risikoprodukten geschützt wird. Wenn Sie der Verordnung so trotzdem unverändert zustimmen wollen, dann sollten Sie zumindest alles tun, um die Verbraucher über mögliche Risiken von und Alternativen zu Biozidprodukten zu informieren. Aber auch hier vermissen wir weitergehende Forderungen. Sorgen Sie für Transparenz, setzen Sie sich dafür ein, dass die Bevölkerung europaweit über die Risiken von Biozidprodukten, über Vorsorgemaßnahmen und über unbedenkliche Alternativverfahren informiert wird. Als Letztes noch ein Wort zum Tierschutz. Sie sagen, grundsätzlich sei es richtig, Tierversuche weitgehend zu reduzieren. Leider findet sich davon wenig in ihrem Verordnungsvorschlag. Klare Leitlinien zur Verhinderung von Tierversuchen und Anreize zur Verwendung von Alternativmethoden fehlen. Und wenn sie sagen, wie die Kollegen von der FDP das im Ausschuss getan haben, dass der Verzicht auf Tierversuche mit massiven Risiken für den Menschen verbunden ist, dann sage ich Ihnen: Nehmen Sie den Tierschutz endlich ernst und setzen Sie für die Anwendung bereits bestehende zuverlässige und EU-weit anerkannte Alternativmethoden ein. Der vorgelegte Verordnungsvorschlag und der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP schützen Mensch, Tier und Umwelt nicht wirksam vor gefährlichen Biozidprodukten. Nicht zum ersten Mal stellt die Koalition ihre Umweltpolitik unter das Motto Entbürokratisierung, Marktfreiheit und Schutz der Hersteller. Der Verbraucherschutz hingegen bleibt auf der Strecke. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zur Stabilisierung des Rentenniveaus: Riester-Faktor streichen - Keine nachholenden Rentendämpfungen vornehmen (Tagesordnungspunkt 15) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das System der gesetzlichen Rentenversicherung erbringt in diesem Jahr eine großartige Solidarleistung zugunsten der 20,2 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Da die jeweils zum 1. Juli eines Jahres vorzunehmende Rentenanpassung gemäß der seit der Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957 geltenden Regeln der Lohnentwicklung des Vorjahres folgt, müssten eigentlich die Renten zum 1. Juli 2010 gesenkt werden. Denn die Auswirkungen der Finanz- und Kapitalmarktkrise haben 2009 dazu geführt, dass wir leider eine insgesamt in Deutschland negative Lohnentwicklung hatten, nämlich um minus 0,4 Prozent. Die für die Rentenanpassung maßgebliche Lohnentwicklung beträgt für das Jahr 2009 in den alten Ländern minus 0,96 Prozent. In den neuen Ländern sind diese geringfügig um 0,61 Prozent gestiegen. Doch schon in der Großen Koalition haben wir für diese Situation vorgesorgt. Mit der neu ins Rentenrecht aufgenommenen Rentengarantie haben wir eine klare und eindeutige Botschaft an die Rentnerinnen und Rentner ausgesandt: Was auch immer an der Lohnfront geschehen mag, eine Rentenkürzung gibt es nicht. Deshalb gibt es trotz negativer Lohnentwicklung im Jahr 2009 zum 1. Juli 2010 keine Rentenkürzung, sondern eine Garantie, dass alle Renten auf der bisherigen Höhe bleiben. Auch für die Rentnerinnen und Rentner haben wir einen zusätzlichen Schutzschirm aufgespannt, der vor den negativen Auswirkungen der Krise schützt. Diese großartige Solidarleistung der Rentenversicherung muss natürlich auch finanziert werden. Und diese Finanzierung erbringen die rund 35 Millionen aktuellen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zur gesetzlichen Rentenversicherung. Solidarität ist aber keine Einbahnstraße. Deshalb ist es mehr als recht und billig, dass in künftigen Jahren, wenn die Renten trotz positiver Lohnentwicklung wieder steigen können, Stück für Stück diese zusätzliche Solidarleistung wieder ausgeglichen wird. Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland ist grundlegend auf die Solidarität der Generationen aufgebaut. Wer diese Solidarität zerstört, zerstört die Rentenversicherung. Was die Fraktion Die Linke beantragt, bewirkt aber genau dieses: Die Solidarität zwischen den Generationen wird einseitig aufgekündigt. Die Rentenversicherung wird ihrer Basis beraubt, und das machen wir im Interesse der Rentnerinnen und Rentner wie der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler nicht mit. Nicht Entsolidarisierung, nein, mehr Solidarität ist notwendig, wenn das Rentensystem auch in Zukunft funktionieren soll, wenn die Zahl der Älteren im Verhältnis zur Zahl der Jüngeren deutlich zunimmt. Wer entsolidarisiert, zerstört die gesetzliche Rentenversicherung. Wir dagegen wollen die Rentenversicherung auch für die Zukunft leistungsfähig und sicher machen. Das Solidaritätsprinzip in der Rente war und ist auch der Grund für die Einführung sogenannter Dämpfungsfaktoren in der Rentenformel, also Altersvorsorgefaktor, Riester-Faktor, und Nachhaltigkeitsfaktor. Es ist daher höchst problematisch, auf die Nachholung der wegen der Anwendung der Rentenschutzgarantie nicht realisierten Anpassungsdämpfungen auf alle Zeiten einfach zu verzichten. Gerade bei der Rentenanpassung müssen die Belange der Rentnerinnen und Rentner mit denen der künftig Versicherten vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ausgelotet werden. Hier ist zu berücksichtigen, dass künftig - bedingt durch die geringe Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung - immer mehr Rentner immer weniger Beitragszahlern gegenüberstehen, sodass die Beitragsbelastung ohne gegensteuernde Maßnahmen erheblich steigen würde. Um eine generationengerechte Verteilung der mit einer älter werdenden Gesellschaft verbundenen Ausgaben zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber die Anpassungsformel in den vergangenen Jahren ergänzt: Der Faktor für die Veränderung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung und des Altersvorsorgeanteils sowie der Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigen sowohl die steigenden Aufwendungen der Jüngeren für ihre private zusätzliche Vorsorge als auch Veränderungen beim zahlenmäßigen Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern. Eine Abschaffung der Dämpfungsfaktoren hätte demnach erhebliche Mehrausgaben zur Folge. Deren Finanzierung würde die Betragszahler überfordern und die Rentnerinnen und Rentner nicht mehr angemessen an einer generationengerechten Rentenpolitik beteiligen. Ohne Wirkung der Dämpfungsfaktoren würde der Beitragssatz zur Rentenversicherung weit über die gesetzlich festgelegten Obergrenzen von höchstens 20 Prozent bis 2020 bzw. höchstens 22 Prozent bis 2030 hinaus ansteigen. Wegen der geltenden Fortschreibungsvorschriften wäre dies nicht nur mit einer erheblichen Belastung der Versicherten und Arbeitgeber, sondern auch der Steuerzahler verbunden, weil mit einem höheren Beitragssatz auch höhere Bundesmittel verbunden sind. Auch der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Dr. Herbert Rische, hat in einem Interview mit dem Tagesspiegel am 22. März 2010 darauf hingewiesen: "Ich muss aber darauf hinweisen: Wenn die unterbliebenen Rentenanpassungen nicht nachgeholt werden, dann wird es nicht möglich sein, das angestrebte Beitragssatzziel von 22 Prozent im Jahr 2030 - das übrigens auch im Gesetz steht - einzuhalten." Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass diese Faktoren nicht ausschließlich anpassungsdämpfend wirken; der Nachhaltigkeitsfaktor hat bei den Rentenanpassungen der Jahre 2007 und 2008 mit rund plus 0,2 Prozent und im Jahr 2009 mit rund plus 0,3 Prozent rentensteigernd gewirkt. Eine Schutzklausel verhindert jedoch, dass es zu Rentenkürzungen kommt. Schließlich existieren klare, gesetzlich festgeschriebene Vorgaben zur Rentenniveauhöhe, die nicht unterschritten werden dürfen und - wie der Rentenversicherungsbericht vom November vergangenen Jahres zeigt - auch nicht unterschritten werden. Im Übrigen ist der Antrag der Linken ein Nullantrag. Selbst wenn der Antrag der Linken angenommen würde, wäre nach der dann geltenden Rentenformel die Rentenanpassung 2010 bei null. Also, einen Antrag vorzulegen, der suggeriert, es gäbe für die Rentnerinnen und Rentner mehr, der aber in Wahrheit nicht mehr bringt als null, das ist eine bewusste Rentnertäuschung, die hier die Linken inszenieren. Dass wir als Gesetzgeber die Interessen der Rentnerinnen und Rentner dennoch stets im Blick haben, zeigt sich an den Rentenanpassungen der Jahre 2008 und 2009, bei denen die stufenweise Erhöhung der Riester-Treppe ausgesetzt wurde, um die Rentnerinnen und Rentner stärker am Wirtschaftsaufschwung teilhaben zu lassen. Dadurch fielen die Rentenanpassungen zum 1. Juli 2008 sowie zum 1. Juli 2009 um jeweils rund 0,65 Prozentpunkte höher aus. Und eben auch in Zeiten der Krise schützen wir mit der Rentengarantie die Rentnerinnen und Rentner umgekehrt vor Rentenkürzungen. Generationengerechtigkeit und Generationensolidarität sind die Basis einer funktionierenden und zukunftsfesten Altersvorsorge. Generationengerechtigkeit und Generationensolidarität sind das Markenzeichen der Altersvorsorgepolitik der Bundesregierung. Und deshalb werden wir jeden Anschlag auf diese Prinzipien im Interesse der Rentnerinnen und Rentner wie der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler mit aller Entschiedenheit abwehren. Max Straubinger (CDU/CSU): Ich möchte herausstellen: Die gesetzliche Rentenversicherung ist die beste Grundlage dafür, dass es in Deutschland keine Altersarmut gibt. Deutschland verfügt dank der rentenpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre mit den drei Säulen gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche Altersvorsorge und private Altersvorsorge über ein stabiles und zukunftsfähiges Altersvorsorgesystem. Gerade diese Bundesregierung hat die wesentlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass die Menschen zukünftig nicht mit Altersarmut konfrontiert sein werden. Deutschland hat derzeit die geringste Altersarmut aller europäischen Länder zu verzeichnen. Die Riester-Förderung gibt es gezielt für Geringverdiener: Die Förderquote für Niedrigverdiener beträgt 92 Prozent. Die staatliche Förderung kommt gerade Geringverdienern zugute. Außerdem hat es die kluge Politik dieser Bundesregierung ermöglicht, dass viele Menschen in Arbeit und Brot gekommen sind. Dies bedeutet auch mehr Schutz vor Altersarmut. Grundlage für die Finanzierung der Altersversorgung ist die Erwerbstätigkeit. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist das Verdienst der von Dr. Angela Merkel geführten Bundesregierung und eine Grundlage dafür, dass die Altersversorgung weiterhin sicher ist. In den letzten Jahren mussten einige notwendige Veränderungen im Rentensystem durchgeführt werden. Man muss sehen, dass man in der Rentenpolitik aufgrund neuer Gegebenheiten immer wieder Veränderungen herbeiführen muss. Unsere Rentenpolitik, die auf Dauer angelegt ist, sichert die Renten in Deutschland. Es bleibt dabei auch bei der Leistungsorientierung in der Rente. Letztlich folgt sie den Löhnen. Und - das ist eine wichtige Botschaft für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland - die Rente ist auch in der Krise verlässlich. Wir sind uns unserer sozialen Verantwortung bewusst und werden ihr gerecht. Obwohl die Löhne aufgrund der Wirtschaftskrise im vergangenen Jahr gesunken sind, müssen die Rentnerinnen und Rentner keine Rentenkürzung hinnehmen. Dies verhindert die gesetzliche Schutzklausel. Entscheidend für die Rentenentwicklung 2010 ist die Effektivlohnentwicklung, Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer, 2009. Durch die massive internationale Finanz- und Wirtschaftskrise sind die Bruttolöhne und -gehälter in Deutschland im Jahr 2009 erstmals seit über 50 Jahren gesunken. Die Wirtschaftskrise hat zu sinkenden Pro-Kopf-Löhnen geführt. Dies ist der Preis für den Erhalt Tausender Arbeitsplätze gewesen. Neben den Konjunkturprogrammen war der entscheidende Stabilisator am Arbeitsmarkt die Kurzarbeit. Sie hat einerseits Arbeitsplätze gesichert bei drastischem Rückgang von Produktion und Arbeitsvolumen. Andererseits hat die Kurzarbeit, die sich durch einen Teillohnausgleich für nicht geleistete Arbeit auszeichnet, in der Summe zu Lohneinbußen für Beschäftigte geführt. Damit die Rentengarantie nicht zulasten der jüngeren Generationen geht, werden unterbleibende Rentenminderungen in den Folgejahren mit künftigen Rentenerhöhungen verrechnet. Die finanzielle Stabilität der Rentenversicherung bleibt damit auch künftig gewahrt. Das Ziel der Beitragssatzstabilität dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. Die jungen Beitragszahler dürfen nicht Beitragssätze zahlen müssen, unter denen ihr Leistungswille zusammenbricht. Es ist eine Beitragssatzstabilität von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und von 22 Prozent bis zum Jahr 2030 vorgesehen. Damit soll nicht nur Leistungsgerechtigkeit, sondern auch Beitragsgerechtigkeit gewährleistet werden, besonders für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Rentenkonzept, das es angeblich bei der Linken gibt, würde dazu führen, dass die Beitragszahler mit bis zu 28 Prozent belastet würden. Angesichts der derzeitigen Höhe der Beiträge zur Krankenversicherung, zur Arbeitslosenversicherung, zur Pflegeversicherung und der Höhe der Steuerbelastung wäre dies eine ungeheure Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Daher lehne ich Ihren Antrag ab. Anton Schaaf (SPD): Mit Ihrem Antrag wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, den Eindruck erwecken, die Dämpfungsfaktoren seien verantwortlich dafür, dass die Renten in diesem Jahr nicht steigen. Bewusst konstruieren Sie einen falschen Begründungszusammenhang, um Verwirrung zu stiften. Obwohl wir bereit sind, Ihre Sorge um die zukünftige Entwicklung der Rente nachzuvollziehen, können wir Ihre Forderungen, den Riesterfaktor zu streichen, auf nachholende Rentendämpfungen zu verzichten und die Ziele der Beitragssatzdeckelung aus dem SGB VI ebenfalls zu streichen, nicht unterstützen. Unzweifelhaft waren und sind die Belastungen für die Rentnerinnen und Rentner hoch. Die wenig erfreulichen Aussichten auf geringe Rentenanpassungen oder Nullrunden verstärken diese noch. Ich kann mir deshalb vorstellen, in unsere Überlegungen für ein Gesamtkonzept einer nachhaltigen Alterssicherungspolitik auch die Verträglichkeit des Altersvorsorgeanteils in eine Prüfung einzubeziehen. Allerdings sehen wir die Hauptgefahr für das Alterssicherungssystem an anderer Stelle: Unsichere Arbeitsverhältnisse und zu niedrige Löhne bedrohen die Rente. Die Medienberichte über Pläne aus dem BMAS, den Kündigungsschutz zu schleifen, bieten Anlass zur Sorge. Wir warnen die Koalition aus CDU/CSU und FDP eindringlich davor, weiter Hand an den Kündigungsschutz zu legen - mit fatalen Folgen für die Alterssicherung: für die Rentenhöhe und das Renteneintrittsalter. Unsichere Arbeitsverhältnisse führen unweigerlich zu einem früheren Ausstieg aus dem Arbeitsleben. Gerade ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben es schwer, eine neue Beschäftigung zu finden. Auch der Gesundheit sind befristete Arbeitsverhältnisse nicht gerade zuträglich. Außerdem verhindern Sie weiterhin flächendeckende Mindestlöhne. Sie sind auf dem falschen Weg. Mehr Flexibilität bringt nicht automatisch mehr Arbeitsplätze. Und wie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, gedenken Sie denn nun mit der angekündigten Angleichung der Renten in Ost und West umzugehen? Eine kürzlich erschienene DIW-Studie prognostiziert gerade für die Menschen in den neuen Bundesländern ein dramatisches Absinken der Renten. Es droht massenhaft Altersarmut. Von Ihrer Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die Renten in Ost und West anzugleichen, rücken Sie nun aber doch wieder ab. Dies haben Sie zumindest auf Ihrem Parteitag Anfang dieser Woche erklärt. Vor dem Ende der Legislaturperiode können die Rentnerinnen und Rentner also weder mit einem schlüssigen Konzept noch mit einer tatsächlichen Angleichung rechnen. War also alles nur Wahlkampf? Für die Rentenfinanzen gilt: Es ist weitgehend Planungssicherheit zu gewährleisten. Rentnerinnen und Rentner, Beitragszahlerinnen und Beitragszahler müssen davon ausgehen können, dass sie auch in 10, 20, 30 und in 40 Jahren eine angemessene Rente bekommen und diese auch finanzierbar bleibt. Das Umlageverfahren hat viele Vorteile, verlangt aber auch Disziplin von denen, die verantwortlich sind. Werden nur Verbesserungen im Rentensystem verlangt, wie die Fraktion Die Linke mit dem vorliegenden Antrag, ist noch nichts gegen die grundsätzlichen Probleme unserer sozialen Sicherungssysteme getan. Machen Sie Vorschläge, wie sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gestärkt werden kann, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Wir sind davon überzeugt, dass der Modus der Rentenanpassung kein Dogma sein darf. Auch bisher haben wir schon dementsprechend gehandelt, wenn wir es für erforderlich hielten. Die von uns durchgesetzte Rentengarantie oder die Aussetzung der Veränderung des Altersvorsorgeanteils - auch Riester-Treppe oder Riester-Faktor - für die Jahre 2008 und 2009 belegen dies. Tatsache ist: Den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland steht in diesem Jahr nach einer deutlichen Rentenerhöhung im vergangenen Jahr um ansehnliche 2,41 Prozent in den alten Bundesländern und 3,38 Prozent in den neuen Bundesländern eine Nullrunde bevor. Tatsache ist aber auch: Wir haben mit der im vergangenen Jahr noch verabschiedeten Rentengarantie verhindert, dass auf sinkende Löhne auch sinkende Renten folgen. Ich bedaure für die rund 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner, dass ihre Bezüge nicht steigen. Allerdings würde eine Rentensteigerung zum jetzigen Zeitpunkt die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler über Gebühr belasten. So viel nur zu Ihrer Forderung, die Beitragssatzdeckelung zu streichen. Ich will Ihnen erklären, warum die stagnierenden Renten in diesem Jahr zunächst nichts mit den Dämpfungsfaktoren zu tun haben. Erstens. Die Rentenanpassung folgt - wie die meisten von uns wissen - der jeweiligen Entwicklung der Löhne und Gehälter. Steigen diese nicht oder sinken sogar, so verharren die Renten auf dem alten Niveau. Wegen der von uns eingebauten Schutzmechanismen können die Dämpfungsfaktoren die Renten nicht vermindern. Zusätzlich bewirkt die Rentengarantie, dass auch eine negative Lohnentwicklung keine kürzende Wirkung entfalten kann. Dies ist in diesem Jahr der Fall. Zweitens. Zugleich gilt: Die Dämpfungsfaktoren wirken nicht immer nur in eine Richtung. Sie sind keine Kürzungsmechanismen per se. So hat sich der Nachhaltigkeitsfaktor schon mehrere Male 2007 wie auch 2008 positiv ausgewirkt - zuletzt noch im vergangenen Jahr mit 0,31 Prozent. Immer wenn sich die Zahl der Rentner zugunsten der Beitragszahler im Verhältnis verschiebt, hat dies einen positiven Einfluss auf die Rentenanpassung. Weil Ihnen das bewusst ist, geehrte Damen und Herren von der Linksfraktion, fordern Sie vermutlich nicht die Streichung des Nachhaltigkeitsfaktors, verschweigen aber wissentlich dessen Funktionsweise. Er passt offenbar nicht zu ihrer Argumentation. Drittens. Eine Beitragssatzdeckelung ist notwendig, weil wir Richtmarken brauchen. Neben dem Ziel, ein angemessenes Rentenniveau zu halten, sind auch stabile Beitragssätze wichtig. Das Alterssicherungssystem besonders in einem Umlageverfahren muss im Gleichgewicht gehalten werden. Ursache der bevorstehenden Nullrunde ist die Entwicklung der Löhne und Gehälter. Diese sind zum ersten Mal seit über 50 Jahren gesunken. Dies stellt uns vor ungeahnte Probleme. Auch in der Alterssicherung bekommen wir dies zu spüren. Löhne und Gehälter sind krisenbedingt geschrumpft bzw. im Osten nur gering gestiegen. Die für die Rentenanpassung maßgebliche Lohnentwicklung beträgt für das Jahr 2009 in den alten Ländern minus 0,96 Prozent. In den neuen Ländern ist eine geringe Steigerung von 0,61 Prozent zu verzeichnen. Auch bei Aussetzung der Veränderung des Altersvorsorgeanteils in diesem Jahr wäre - zumindest im Westen - keine Rentensteigerung möglich. Im Gegenteil: Die Renten müssten trotzdem um 1,46 Prozent gekürzt werden. In den neuen Bundesländern wäre eine Rentensteigerung von 0,1 Prozent möglich. Nur die von der SPD durchgesetzte Rentengarantie - erweiterte Schutzklausel - verhindert eine Kürzung. Nach Berücksichtigung aller Elemente der Rentenformel müssten die Renten um insgesamt 2,1 Prozent im Westen und 0,55 Prozent in Osten abgesenkt werden. Die Verschiebung des Riester-Faktors, die wir in der Großen Koalition 2008 beschlossen haben, hat ermöglicht, die Rentnerinnen und Rentner in den Jahren 2008 und 2009 am Wirtschaftsaufschwung zu beteiligen, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht deutlich wurde, ob und wie stark sich dieser in steigenden Löhnen und Gehältern niederschlagen würde. Die nächsten Stufen der Riester-Treppe, die für die Rentenanpassungen 2008 und 2009 ausgesetzt wurden, sollten dann in den Jahren 2012 und letztmalig 2013 berücksichtigt werden. Ein guter Zeitpunkt aus damaliger Sicht, weil dann die Beitragssätze sinken sollten und damit auch Rentensteigerungen wahrscheinlicher wurden. Damit hatten wir nach mehreren Nullrunden und einer Minierhöhung im Jahr 2007 wieder deutliche Rentenerhöhungen erreicht, ohne die Beitragssatzziele aufzugeben. Durch die Aussetzung des Riester-Faktors im Zusammenspiel mit der überraschend hohen Lohnsteigerung für 2009 hat sich auch das Rentenniveau wieder erhöht. Ergab sich aus den Modellrechnungen im Rentenversicherungsbericht 2008 noch ein absinkendes Rentenniveau auf 50,5 Prozent, lag es nach dem Bericht 2009 bei 52 Prozent. Zu bedenken aber bleibt: Sollten in den nächsten Jahren die Löhne nicht deutlich steigen, sind kaum Rentensteigerungen möglich. Dies bedeutet darüber hinaus, dass der Ausgleichsbedarf - die aufgelaufenen Dämpfungen, die bisher wegen der Schutzklausel nicht mindernd wirken konnten - nicht abgebaut werden kann, sondern noch weiterer Kürzungsbedarf entsteht. Dies kann dazu führen, dass auch weiter in der Zukunft liegende Rentenanpassungen geringer ausfallen werden. Neben den für das jeweilige Jahr geltenden Dämpfungsfaktoren wird der Ausgleichsbedarf die Rentenanpassungen zusätzlich schmälern. Der Sozialbeirat rechnet bis 2016 mit nur geringen Rentenanpassungen als auch mit Nullrunden. Daher müssen wir uns mit der Frage ausei-nandersetzen, ob und in welchem Umfang der Altersvorsorgeanteil bei zukünftigen Rentenanpassungen zu berücksichtigen ist. Mit dem Faktor für die Veränderung des Altersvorsorgeanteils soll sichergestellt werden, dass die steigenden Aufwendungen der Jüngeren für ihre geförderte private Altersvorsorge bei der Anpassung berücksichtigt werden. Die Aussetzung des sogenannten Altersvorsorgeanteils in der Rentenanpassungsformel in Höhe von jährlich 0,5 Prozentpunkten war jedoch berechtigt, auch weil die Inanspruchnahme der geförderten Altersvorsorge zwar gut vorangekommen ist, aber immer noch nicht alle Menschen hiervon Gebrauch machen. Im Jahr 2009 stieg die Zahl der Riester-Policen weiter um gut 1,1 Millionen auf nun 13,2 Millionen. Dies sind aber weiterhin nur etwas über ein Drittel der tatsächlich Berechtigten; deren Zahl kann aber nur näherungsweise geschätzt werden. Unklar ist auch, mit welchem Beitrag die Sparer tatsächlich privat für das Alter vorsorgen, und eine ebenfalls nicht zu vernachlässigende Frage lautet: Bleiben die Sparer über die Jahre dabei bis zur Rente? Jeder Berechtigte kann frei entscheiden, ob er über die Riester-Rente für das Alter vorsorgen will. Rentnerinnen und Rentner hingegen müssen den jeweiligen Altersvorsorgeanteil voll mittragen, profitieren selbst aber nicht mehr vom geförderten Sparen. Rentenbezieher sind schon in hohem Umfang an den Lasten, die die Beitragszahler zu leisten haben, beteiligt worden. Die Frage, inwiefern sie weiterhin bei sinkendem Rentenniveau die private Altersvorsorge mittragen sollen, muss deshalb neu gestellt, die Fakten neu bewertet werden. Ein dogmatisches Festhalten am Altersvorsorgeanteil wäre falsch; das Aussetzen bzw. eine dem tatsächlichen Aufwand entsprechende Berücksichtigung dieses Dämpfungsfaktors ist der richtige Weg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die Linke startet unter dem Vorwand einer vermeintlich sozialen Politik einen Generalangriff auf unser stabiles Gemeinwesen. Sie redet Konflikte herbei und dramatisiert Entwicklungen, wo immer es geht, weil sie ihr parteipolitisches Süppchen nur dann kochen kann, wenn es ihr gelingt, jede von einzelnen Gruppen der Bevölkerung empfundene Ungerechtigkeit hochzuspielen und zu instrumentalisieren. Die große Linie des neuen Grundsatzprogramms der Linken beinhaltet vergesellschaftete, also "volkseigene" Betriebe, eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Räte und runde Tische, mit denen die parlamentarische Demokratie unterwandert werden soll und jetzt auch den Test hinsichtlich der Belastungsfähigkeit unseres stabilen Rentensystems. Das ist ein Irrweg, der nicht zum Erfolg führen wird. "Reichtum für alle" kann man nicht beschließen. Genauso wenig kann man die demografische Entwicklung per Beschluss verändern. Sie verlangen von uns in Ihrem Antrag die Aufhebung des dringend notwendigen demografischen Faktors bei der Rentenberechnung. Das ist schlicht und einfach unseriös. Sie fordern den Verzicht auf die zur Stabilisierung des Rentenbeitrags erforderliche Nachholung unterbliebener Dämpfungen der Rentenanpassung. Kein Wort zur Finanzierung! Das sind völlig unseriöse Versprechungen! Wir dürfen aber die Fakten nicht ignorieren: Die von den Linken vorgeschlagenen Eingriffe in die Rentenformel haben eine Gesamtwirkung von mehr als 10 Milliarden Euro; denn es besteht folgender Nachholbedarf: 6,1 Milliarden Euro durch die unterbliebenen Rentendämpfungen 2005, 2006 und 2010 - davon übrigens 85 Prozent bei den Rentnern in den westlichen Bundesländern, um die ständigen Andeutungen der Linken von Benachteiligungen für Rentner in den neuen Ländern mal zu relativieren -, 1,7 Milliarden Euro aufgrund der Rentengarantie - wirksam ausschließlich im Westen - und 2,9 Milliarden Euro durch Aussetzen der Riester-Treppe - betrifft zu 79,3 Prozent den Westen. Aus Sicht der FDP wäre es besser gewesen, den Riester-Faktor nicht auszusetzen. Die Folge des Nachholens ist jetzt eine bedauerliche Dämpfung der Rentensteigerungen, die sich über Jahre hinziehen wird. Haben die Antragsteller der Linken eigentlich auch nur ansatzweise berechnet, was die Umsetzung ihres Antrags für die Beitragszahler bedeuten würde? Sie denken nie an die Arbeitgeber. Sie denken aber auch nie an die einzahlenden Arbeitnehmer. Wir hören immer nur Ihre Versprechungen zu höheren Sozialleistungen, höheren Renten usw. Was ein Beitrag zur Rentenversicherung von weit über 20 Prozent für den durchschnittlichen Einzahler bedeutet, interessiert Sie überhaupt nicht. Sie sägen an vielen Ästen, auf denen die Bürger sitzen, und zerstören die Wurzeln unseres Sozialstaats. Von Generationengerechtigkeit haben Sie offensichtlich noch gar nichts gehört. Das ist schon zu viel Weitblick für Ihr einfach gestricktes Weltbild. Das Weltbild der christlich-liberalen Koalition ist differenzierter und sozialer. Eine Regierungskommission wird sich mit dem Risiko der Altersarmut befassen. Die FDP-Vorschläge dazu sind altbekannt: ein anrechnungsfreier Grundfreibetrag von 100 Euro für die private und betriebliche Altersvorsorge, darüber hinaus gehende Beträge werden nur zu 60 Prozent angerechnet, Verträge zum Schutz gegen Erwerbsminderung werden voll Riesterförderungsfähig gemacht, Verbesserung der Altersvorsorge von Selbstständigen in Form einer Pflicht zur Versicherung bei weitgehendem Gestaltungs- und Wahlrecht. Im Übrigen liegt die Lösung des Strukturproblems bei der Alterssicherung sicher nicht allein in der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese muss nachhaltig stabil gehalten werden. Der vorliegende Antrag tut aber das Gegenteil. Aus unserer Sicht ist es darüber hinaus wichtig, dafür sorgen, dass Vermögenseinkommen und betriebliche Renten einen größeren Anteil an der Altersvorsorge erhalten. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die Rentenreform von Walter Riester wird als Jahrhundertreform in die Geschichtsbücher eingehen, doch nicht als Erfolgsgeschichte. Wir werden leider nichts lesen können vom Wohlstand der vielen. Aber wir werden lesen müssen, dass die rot-grüne Bundesregierung Armut im Alter zum Programm erhoben hat. Zum Schulwissen wird ebenfalls gehören, dass auch die nachfolgenden Bundesregierungen - ob schwarz-rot oder schwarz-gelb - wider besseres Wissen und offenbar ohne schlechtes Gewissen den Lebensabend der Meisten den Kräften des Marktes, den Banken und Versicherungen, ausgeliefert haben. Kommende Generationen werden uns fragen: Warum habt Ihr das alles nicht verhindert? Die Altersarmut von morgen ist die direkte Folge der falschen Rentenpolitik von heute. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir verteilen morgen Trostpflaster an arme Rentnerinnen und Rentner, oder wir handeln heute und beugen der Altersarmut vor. Die Linke ist für den zweiten Weg. Wir wollen schwerwiegende Fehler in der Rentenpolitik von Rot-Grün bis heute beseitigen. Mit den Riester-Reformen wurde das Niveau der gesetzlichen Rente bewusst massiv gesenkt. Das war ein gravierender Einschnitt. Das Ziel, den im Berufsleben erreichten Lebensstandard auch im Ruhestand halten zu können, wurde aufgegeben. Als Ausweg gebar Rot-Grün Zwillinge: staatliche Fürsorge und private Vorsorge, also die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, und die sogenannte Riester-Rente. Die "Grundsicherung" sollte die gesetzliche Rentenversicherung von unten stützen, auf Sozialhilfeniveau; denn es war klar, dass die gesetzliche Rente für viele nicht mehr die Existenz würde sichern können. Diese "Grundsicherung" von im Schnitt 664 Euro im Monat bedeutet für viele Menschen einen sozialen Abstieg. Denn Armut verhindert sie nicht, und wer durchschnittlich verdient, muss nun für eine Rente in dieser Höhe bereits heute 28 Jahre Beiträge gezahlt haben. Im Jahre 2030 werden es schon 34 Jahre sein. Und wer nur die Hälfte des Durchschnittseinkommens hat, also heute rund 1 300 Euro brutto verdient, muss heute 56 Jahre und 2030 dann 68 Jahre Beiträge gezahlt haben, um das Grundsicherungsniveau überhaupt zu erreichen. Das ist doch absurdes Theater. Die Riester-Rente soll die gesetzliche Rente aufstocken. Das funktioniert vor allem für die Versicherungswirtschaft. Was als Ausgleich für den Abbau der gesetzlichen Rente vorgesehen war, hat sich als ein riesiges Subventionsprogramm für die private Versicherungsbranche entpuppt. Seit 2009 sind so knapp 9 Milliarden Euro Steuergelder in die Kassen der Versicherer geflossen, 9 Milliarden, die der solidarischen Rentenversicherung fehlen. Für die Menschen funktioniert Riester nicht. Gerade mal 37 Prozent derjenigen, die einen Anspruch auf Förderung hätten, haben einen Vertrag abgeschlossen. Und von denen haben 60 Prozent nicht einmal die vollen Zulagen erhalten, weil sie die Eigenbeiträge nicht aufbringen konnten oder wollten. Von niedrigen Löhnen lassen sich eben nur schwer Beiträge zahlen. Das zeigt: Die Mehrheit der Beschäftigten wird von "Riester" nichts haben. Ihnen droht Altersarmut, und das ist unverantwortlich! Zur Wahrheit gehört auch: Das aktuelle Gerede von einer Nullrunde ist pure Schönfärberei. Zwar werden die Renten nicht direkt gekürzt, aber sie verlieren dennoch an Wert, Stichwort Inflation, oder denken Sie an die Zusatzbeiträge der Krankenkassen und die drohende Kopfpauschale. Außerdem gilt für die Kürzungen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sobald eine Erhöhung der Renten möglich wäre, werden die Kürzungen nachgeholt. Aktuell beträgt der so angehäufte "Ausgleichsbedarf" im Westen 3,8 Prozent und im Osten 1,8 Prozent. Das heißt: In den nächsten fünf bis sechs Jahren gibt es für die Rentner und Rentnerinnen keinen Cent mehr. Die Schutzklausel von heute frisst also die Rentenerhöhung von morgen. Die Rentnerinnen und Rentner werden mit der Nullrunde keineswegs verschont; sie werden dreist verschaukelt. Das darf nicht so bleiben. Wir Linken fordern eine radikale Abkehr von dem Irrweg der Riester-Privatisierung. Denn die Rentnerinnen und Rentner von heute und die von morgen sind sich einig: Sie wünschen sich nach einem langen Arbeitsleben einen Ruhestand ohne Armut und ohne große finanzielle Sorgen. Mit der drastischen Kürzung der Rente für alle und Riester nur für einen Teil wird das nichts. Die solidarische gesetzliche Rentenversicherung hat gerade in der Finanzkrise gezeigt, wie stabil sie ist. Darum fordere ich Sie auf: Stärken Sie die Rentenversicherung, streichen Sie den Riester-Faktor, löschen Sie das Minuskonto in der Rentenanpassung und mit ihm die Dämpfungsfaktoren! Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Ende der 80er-Jahre gab es Prognosen des Prognos-Instituts, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung bis 2030 ohne Veränderungen auf über 35 Prozent ansteigen würde. Seitdem gab es in relativ breitem Konsens beschlossene Reformmaßnahmen, um dies zu vermeiden: Angefangen mit der Umstellung von der Bruttolohn- auf die Nettolohnanpassung 1992, die Debatte um den demografischen Faktor Ende der 90er-Jahre und dann unter Rot-Grün die Umstellung von der Nettolohnanpassung zur modifizierten Bruttolohnanpassung sowie die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors. Dadurch ist es gelungen, die Beiträge auf absehbare Zeit weitgehend stabil zu halten. Und das ist auch gut so. Allerdings müssen wir auch gestehen, dass dadurch eine Rentenformel entstanden ist, die kaum noch jemand versteht. Hinzu kommt, dass diese Rentenformel in den letzten Jahren kaum zur Geltung gekommen ist und diverse Male ausgesetzt wurde, weil sie zu einer Absenkung der Rente geführt hätte. Dadurch ist eine Bugwelle von mehreren Milliarden Euro entstanden, die in den nächsten Jahren abgebaut werden müssen. Bezahlen sollen das über die Nachholfaktoren die Rentnerinnen und Rentner, die deswegen in den nächsten Jahren - wenn überhaupt - nur mit geringen Rentensteigerungen zu rechnen haben. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns in der Tat Gedanken über eine Reform der Rentenformel machen. Ein Verzicht auf das Ziel der Beitragsstabilisierung und die Abschaffung aller Dämpfungsfaktoren - also die Rückkehr zur Rentenformel aus den 80er-Jahren - wären allerdings falsch. Letzteres wird in dem Antrag der Linken - im Gegensatz zu sonstigen Verlautbarungen - aber gar nicht gefordert, sondern nur die Abschaffung des Riester-Faktors. Ich finde, dass dies durchaus eine Option ist, über die wir nachdenken sollten; denn das, was wir erreichen wollen, nämlich eine weitgehende Beitragsstabilität und einen gerechten Ausgleich zwischen den Generationen, wird durch den Nachhaltigkeitsfaktor ausreichend gewährleistet, sodass der Riester-Faktor in der Tat verzichtbar erscheint. Ich finde allerdings auch, dass wir uns für diese Frage, die ja letztlich einen wesentlichen Teil der Bevölkerung entweder als Beitragszahlende oder als Rentenbeziehende betrifft, Zeit nehmen und intensiv beraten sollten, zumal eine neue Rentenformel auf Dauer Bestand haben und von einer breiten Mehrheit getragen werden sollte. Ohne ein Festhalten an dem Ziel der Beitragssatzstabilität wird dies nicht gelingen, und es wäre auch falsch, dieses Ziel aufzugeben. Aber ebenso wichtig ist, dass sich die Menschen darauf verlassen können, eine ordentliche Rente zu erhalten, die vor Armut schützt und die nicht von der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards abgekoppelt ist. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern (Tagesordnungspunkt 16) Carola Stauche (CDU/CSU): Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages hat sich immer dafür ausgesprochen, die Entscheidung über den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ausschließlich auf der Basis wissenschaftlicher Bewertungen durchzuführen. Wir sind uns der Risiken von genveränderten Organismen bewusst. Vor allem sind wir uns jedoch darüber im Klaren, welche Chancen genveränderte Organismen für die Landwirtschaft bieten, angefangen von verbesserten Eigenschaften wie bei Amflora, Einsparungen beim Pflanzenschutz bis hin zu höheren Erträgen. Wir reden heute über die Amflora-Kartoffel, die erste gentechnisch veränderte Pflanze, die seit 1998 in der EU für den Anbau zugelassen wurde. Tatsächlich stellt sich aber die Frage, ob wir heute über den Amflora-Anbau diskutieren oder eine eher ideologisch geführte Grundsatzdiskussion zum Thema Grüne Gentechnik führen. Zur grundsätzlichen Debatte möchte ich mich eigentlich nicht äußern. Vielleicht nur so viel: Als ich mich auf die heutige Debatte vorbereitet habe, bin ich auf einen Artikel gestoßen, welcher sich mit der Geschichte der Kartoffel in Europa beschäftigt. Aus diesem möchte ich kurz zitieren: "Anfangs begegnete man der Kartoffel vielerorts in Europa mit Misstrauen. Ab dem frühen 17. Jahrhundert stand sie sogar im Verdacht, Lepra zu verursachen ..." Ich will Ihnen dadurch deutlich machen, dass es schon immer Ängste hinsichtlich neuer, unbekannter Pflanzen oder Organismen gab. Diese Ängste gilt es ernst zu nehmen. Wir von CDU und CSU nehmen diese Ängste ernst. Auch die Hinweise der Kollegen von den Grünen nehmen wir ernst, teilen die im Antrag geschilderten Darstellungen allerdings nur bedingt. Wir diskutieren heute über den Antrag der Grünen, den Anbau der gentechnisch veränderten Kartoffel Amflora in Deutschland zu verbieten. Wir als CDU/CSU werden diesem Antrag nicht zustimmen. Sie werfen uns dies als Kniefall vor BASF und der Wirtschaftslobby vor. Das ist es jedoch nicht. Vielmehr ist es eine bewusste Entscheidung, die wir im Sinne unserer Landwirte treffen. Wir machen mit dieser Entscheidung unseren Bauern Folgendes deutlich: Der deutsche Gesetzgeber lässt euch die Chancen wahrnehmen, die euren Kollegen in den europäischen Mitgliedstaaten auch zur Verfügung stehen. Der deutsche Gesetzgeber lässt es nicht zu, dass euch Wettbewerbsnachteile durch Verschärfungen europäischer Regelungen entstehen. - Genau dies wäre die Folge, wenn wir dem Ansinnen des Grünen-Antrages folgen würden. Landwirte in Holland, Tschechien oder Schweden dürfen die Amflora-Kartoffel anbauen, Landwirte beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern dürften sie nicht anbauen. Wir setzen uns für eine Gleichbehandlung aller europäischen Landwirte ein. Die Kommission hat aufgrund mehrerer Unbedenklichkeitsbescheinigungen der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA die Amflora-Kartoffel für den Anbau zugelassen. Da die Neubeantragung im Jahr 2003 erfolgte, wurden die Sicherheitsbewertung und das Zulassungsverfahren nach den Maßgaben der 2001 deutlich verschärften Freisetzungsrichtlinie durchgeführt. Man kam zur Erkenntnis, dass die Gefahr eines Transfers des antibiotikaresistenten Markergens von einer gentechnischen veränderten Pflanze auf Bakterien extrem unwahrscheinlich sei und die Wirksamkeit von Antibiotika dadurch nicht gefährdet ist. Dieses Markergen wird allerdings in der Diskussion immer wieder angeführt, um Stimmung gegen einen Anbau von Amflora-Kartoffeln zu machen. Die Antragsteller weisen auf Art. 23 der Freisetzungsrichtlinie hin. Die hier geforderten neuen oder zusätzlichen Informationen, die es Mitgliedstaaten ermöglichen, gentechnisch veränderte Organismen in ihrem Hoheitsgebiet vorübergehend einzuschränken oder gar zu verbieten, liegen nach mehrmaliger Prüfung wie eben erwähnt nicht vor. Ob ein Landwirt Amflora anbauen möchte, sollte nach unserer Überzeugung seine eigene Entscheidung sein und nicht durch die Politik oder eine Verwaltung getroffen werden. Das ist ein Punkt der uns deutlich von den Grünen abgrenzt. Wir möchten niemanden bevormunden. Natürlich sind wir uns über eventuelle Gefahren bewusst. Deshalb stehen wir auch hinter den in der Freisetzungsrichtlinie genannten Grenzwerten, die selbstverständlich nicht überschritten werden dürfen. Die größte Gefahr beim Amflora-Anbau besteht bei Durchwuchskartoffeln. Da nach dem Anbau der Amflora-Kartoffeln ein Jahr lang keine konventionellen Kartoffeln angebaut werden dürfen, ist hier eine Vermischung kaum möglich. Die bei der Ernte nicht erfassten, im Boden verbliebenen Kartoffeln keimen im Folgejahr aus, sind auf dem Feld deutlich zu erkennen, und man kann sie dann mit geeigneten Mitteln bekämpfen. Anders als im Antrag geschildert, gehen wir jedoch davon aus, dass es den anbauenden und weiterverarbeitenden Betrieben gelingt, die geforderten Maßnahmen zum Schutz gegen Verunreinigungen der Lebens- und Futtermittelkette ordnungsgerecht auszuführen. Für mich stellt sich dennoch die Frage, ob es für einen Landwirt überhaupt infrage kommt, die Amflora-Kartoffel anzubauen. Denn die vertraglichen Verpflichtungen, die Landwirte und weiterproduzierende Betriebe einzuhalten haben, fördern die Attraktivität des Anbaus nach meinem Erachten nicht: das bereits erwähnte Anbauverbot konventioneller Kartoffeln für ein Jahr nach dem Amflora-Anbau, die komplette räumliche Trennung der Amflora-Produktion von der konventionellen Kartoffelerzeugung - angefangen von der Pflanzkartoffel bis zur Verarbeitung in der Stärkeindustrie. Diese Punkte werden in jedem wirtschaftlich geführten Betrieb beachtet und wirken sich, so denke ich, nicht gerade förderlich auf den Anbau von Amflora aus. Abschließend noch ein Zitat des von mir sehr geschätzten Albert Einstein. Ich glaube, es passt ganz gut zur Gentechnik-Debatte: "Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom." Josef Rief (CDU/CSU): Wir lehnen den Antrag der Grünen ab. Selbstverständlich ist die europäische Zulassung der Amflora-Kartoffel ein sensibles Thema, über das man diskutieren kann. Mir scheint aber doch eine ideologische Sichtweise der Grund für den Antrag der Grünen zu sein. Betrachtet man die Meinung von Fachleuten zum Thema, warnt der eine Teil der Wissenschaftler vor der Grünen Gentechnik. Der andere Teil sieht große Chancen in Forschung und Entwicklung. Ich bin sicher, dass in Zukunft die Wissenschaft viele neue Erkenntnisse hervorbringen wird. Für die diesjährige Anbauperiode ist für Amflora eine Fläche von 20 Hektar angemeldet. Hier sollen in Mecklenburg-Vorpommern lediglich Saatkartoffeln vermehrt werden. Eine weitere Verwertung der Amflora zu industriellen Zwecken ist in diesem Jahr in Deutschland nicht geplant. Die Debatte sollte sachlich geführt werden. Am Ende werden wir hier im Parlament nicht entscheiden, ob die Amflora angebaut wird oder nicht. In erster Linie wird dies der Verbraucher, aber auch der Landwirt tun. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und ihnen die Freiheit lassen, zu entscheiden, ob sie gentechnisch veränderte Produkte wünschen oder nicht. Gleiches muss auch für die Landwirte gelten. Genauso wichtig wie die Wahlfreiheit muss die Sicherheit sein, nicht irrtümlich genveränderte Lebensmittel zu erhalten, wenn jemand dies nicht wünscht. Genau das tun wir mit unserer Politik. Wir wollen wissenschaftliche Grundlagen für die Einschätzung einer Technologie und nicht die ideologische Befeuerung oder Verteufelung. Ideologen haben Deutschland in der Vergangenheit hundertmal mehr geschadet als genützt. Die Menschen in meiner Heimat und auch ich selber plädieren dafür, neben der wissenschaftlichen Prüfung der Grünen Gentechnik auch immer nach der Sinnhaftigkeit der Einführung der Sorten zu fragen. Es nützt uns nichts, wenn wir mit genveränderten Pflanzen höhere Erträge erzielen und gleichzeitig der Produktionsaufwand höher ist und der Marktpreis sehr viel geringer als bei konventionellen Sorten. Ich rate, die EU- und US-Körnermaispreise zu vergleichen. Letztendlich werden wir aber erleben, dass die Entscheidung über den Erfolg von genveränderten Sorten wie der Amflora auf dem Markt fällt. Der Verbraucher soll entscheiden, welche Produkte er kauft. Die europäische Zulassung gibt jetzt Gegnern und Befürwortern die Gelegenheit, zu ergründen, in welcher Weise sich die Argumente bewahrheiten und in der Praxis sich heute formulierte Vor- und Nachteile bei Anbau, Vermarktung und Verbraucherakzeptanz zeigen. Der Erfolg der Amflora ist auch nach Expertenmeinung fraglich. Die Kartoffel, die zur industriellen Stärkeproduktion angebaut werden soll, gilt als veraltet, und als Saatgut ist sie teuer. Es gibt heute schon aus konventioneller Zucht bessere Sorten. Wir haben alles dafür getan, die Möglichkeit einer Koexistenz sicherzustellen. Auch für die Amflora gelten die gesetzlichen Bestimmungen aus Gentechnikgesetz und Koexistenzverordnung, was Anbauabstand und verschuldensabhängige Haftung angeht. Das sollte so bleiben. Der Kommissionsbeschluss sieht eine räumliche Trennung der genveränderten Kartoffel von konventionellen Kartoffeln über den gesamten Weg von Anpflanzung, Ernte, Transport und Verarbeitung vor. Ein Anbau von konventionellen Kartoffeln ist im Folgejahr auf diesen Flächen ebenfalls verboten. Ich komme aus einem Landstrich, wo wir gentechnikfreie Anbauzonen haben, weil die Verbraucher und die überwiegende Mehrheit der Bauern daran glauben, mit gentechnikfreier Aussaat und Ernte die heimischen Märkte besser und nachhaltiger bedient werden können. Mir ist wichtig, dass eine Ablehnung oder Zustimmung aus sachlichen oder wissenschaftlichen Gründen im Einzelfall geschieht und nicht aus ideologischen Gründen. In der Medizin akzeptieren wir seit vielen Jahren ganz selbstverständlich Medikamente, die aus der Gentechnik stammen und bei vielen Therapien den Menschen helfen können. Jede Technologie muss aber den Vorteil für die Menschheit nachweisen. Die Menschen werden richtig entscheiden, weil wir den Menschen vertrauen und letztendlich an die Vernunft glauben. Es stimmt die These Lenins eben nicht, dass Vertrauen gut und Kontrolle besser ist. Umgekehrt ist's richtig! Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Keiner will sie, keiner braucht sie: die Amflora. Und wenn man sonst den Eindruck gewinnt, dass diese Bundesregierung die Belange und den Schutz der Verbraucher den wirtschaftlichen Interessen einzelner Industrievertreter unterordnet, so stimmt hier nicht einmal das. Denn an der extra für die Stärkeindustrie entwickelten Kartoffel hat die Stärkeindustrie kein Interesse. So sagt der Geschäftsführer der Firma Südstärke gegenüber der taz: "Für uns kommt Amflora definitiv nicht infrage". Südstärke beliefert auch die Lebensmittelindustrie und bekennt ganz offen: "Wir könnten die konventionellen und die Genkartoffeln im Werk kaum trennen." Auch der größte deutsche Kartoffelstärkeproduzent Emsland Stärke GmbH erklärt: "Wir sehen zurzeit keine Möglichkeit, Amflora anzupflanzen. Die Konsequenzen wären zu groß." Die Emsland-Gruppe hat stattdessen gemeinsam mit der Firma Europlant, mit klassischen Zuchtmethoden eine Alternative entwickelt: eine Amylopektinkartoffel ohne Gentechnik. Die Amflora biete keine attraktiven Chancen vom Ertrag und von der Anbautechnik her, sagt der sonst nicht gerade gentechnikkritische Deutsche Bauernverband. Vom deutschen Kartoffelhandelsverband DKHV ist zu hören, dass kein Bedarf an GVO-Kartoffeln bestehe, weil die gewünschten Stärkeeinträge und Qualitäten auch von anderen Sorten erbracht werden. Und der Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie BOGK sieht keine Notwendigkeit für GVO-Kartoffeln als Futtermittel oder gar Lebensmittel, weil die Verbraucher das ablehnen. Diese Liste ist nicht vollständig, soll aber zur Illustration des angeblich so großen Interesses an der Amflora reichen. Sie ist unnötig und unerwünscht. Aber das Dilemma der Bundesregierung ist offensichtlich. Denn eine der wenigen präzisen Aussagen im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP ist folgende: "Der Anbau der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Verwertung wird unterstützt." Ehrlicherweise sollte man hinzufügen: Koste es, was es wolle. Eine sehr ungewöhnliche, wenn nicht gar ungeheuerliche Verpflichtung ist die Koalition da eingegangen. Aber wie sagte Peer Steinbrück: "Niemand ist vor Erkenntniszuwachs gefeit." Ich hoffe, auch Sie sind dagegen nicht gefeit, Frau Ministerin Aigner, und ziehen die nötigen Konsequenzen. Statt an diesen einen Satz im Koalitionsvertrag, den Ihnen wahrscheinlich die FDP abgerungen hat, sollten Sie sich besser an die Erklärung gebunden fühlen, die die deutsche Delegation am 16. Juli 2007 bei der Abstimmung im EU-Rat über die Zulassung der Amflora zu Protokoll gegeben hat. Darin war die Zulassung an einige Bedingungen geknüpft worden: Erstens. Sie sollte weder die Verwendung als Futtermittel noch als Lebensmittel beinhalten. Zweitens. Das Fernhalten des in der Amflora enthaltene Antibiotikaresistenz-Markergens aus Lebensmittel- und Futtermittelkette sollte oberste Priorität haben. Drittens. Aus sorgfältigen Untersuchungen, an denen alle interessierten Kreise beteiligt werden sollten, sollten in Deutschland konkrete Anforderungen für Anbau, Lagerung, Transport und sonstigen Umgang sowie Weiterverarbeitung der Amflora erarbeitet werden, die jegliche Vermischung von Amflora mit konventionellen Kartoffeln und Einträge in die Futtermittel- und Lebensmittelkette zuverlässig vermeiden. Viertens. In einem Monitoring sollten die Auswirkungen auf die Bodenökologie genau beobachtet werden, damit keine Resistenzgene in nachfolgend angebaute Pflanzen und darüber in die Nahrungskette gelangen. Keine einzige dieser Bedingungen ist erfüllt. Im Gegenteil: Die EU-Zulassung sieht ausdrücklich die Verwendung der Abfälle zu Futterzwecken vor und beinhaltet sogar einen Toleranzwert von 0,9 Prozent für Lebensmittel. Hier sichert man sich im Vorfeld gegen Verunreinigungen ab; das ist eine Lizenz zum Verschmutzen. Wir sehen darin einen eklatanten Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip. Wie Sie wissen, ist die Amflora mit einem Antibiotikaresistenz-Markergen ausgestattet: Dagegen hatten auch offizielle Organisationen wie die EU-Arzneimittelbehörde und die Weltgesundheitsorganisation WHO Bedenken. Solche Antibiotikaresistenzgene dürften eigentlich gar nicht mehr eingesetzt werden. Wir haben hier schon mehrfach über die Amflora debattiert. Den meisten ist bekannt, dass es inzwischen gentechnikfreie Alternativen gibt und die Amflora eine veraltete Entwicklung ist. Sie ist aber nicht nur eine "olle Knolle" ohne wirtschaftliche Erfolgsaussichten, weil sie keiner will und keiner braucht. Sie birgt möglicherweise auch gesundheitliche Risiken. Und die konventionellen Kartoffelhersteller kann sie teuer zu stehen kommen, weil ihr Einsatz erhebliche Mehrkosten für Tests und Kontrollen verursachen könnte. Sie lässt sich aus der Nahrungskette kaum raushalten, auf die Schwierigkeiten bei Überwachung und Kontrolle hat der SPD-Agrarminister Mecklenburg-Vorpommerns Backhaus bereits mehrfach hingewiesen. Frau Ministerin, das sind mehr als genug Gründe. Werden Sie tätig! Setzen Sie sich für das Vorsorgeprinzip ein! Prüfen Sie die Möglichkeiten der "Schutzklausel" und verhindern Sie den Anbau in Deutschland! Wir werden Sie gern dabei unterstützen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Zulassung des Anbaus der Stärkekartoffel Amflora durch die neue EU-Kommission am 2. März diesen Jahres ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Umgangs der EU mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Seit dem Moratorium in den Jahren 1998 bis 2004 ist dies die erste Zulassung des Anbaus einer gentechnisch veränderten Pflanze. Die Zulassung folgt der Empfehlung der Europäischen Behörde für die Sicherheit der Lebensmittel, EFSA. Damit wird einem wichtigen Anliegen der christlich-liberalen Koalition Rechnung getragen: Entscheidungen über die Zulassung neuer Sorten sollen entsprechend den Empfehlungen der Wissenschaft erfolgen. Nur so ist ein maximaler Schutz von Mensch, Natur und Umwelt sichergestellt. Es gibt keinen Grund, den Anbau der Stärkekartoffel Amflora zu verhindern. Mir ist bewusst, dass Menschen Vorbehalte gegen die Gentechnik haben. Diese Skepsis beruht nicht auf negativen Erfahrungen weder bei uns noch in anderen Ländern. Sie beruht auf gezielt verbreiteten Fehlinformationen. Die mit dieser Methode gezüchteten Sorten sind sicherer als mit anderen Methoden gezüchtete Sorten. Außerhalb Europas steigt die Zahl der Landwirte, insbesondere der Kleinbauern, die diese Sorten anbauen. Zunehmend engagieren sich Schwellenländer in der Entwicklung eigener Sorten wie China, Indien, Brasilien und auch Kuba. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Ende des letzten Jahres herausgegebene Broschüre "Grüne Gentechnik" informiert sachlich und gut verständlich über die Methode und ihre Anwendung weltweit. Die Nachfrage ist hoch und zeigt das Interesse der Menschen nach verlässlicher Information. Die Stärkekartoffel gehört zu den Sorten, die noch vor dem von der EU erlassenen Moratorium entwickelt wurden. Der erste Zulassungsantrag wurde bereits 1996 gestellt. Sie enthält einen sogenannten Antibiotikaresistenzmarker. Dieses Antibiotikaresistenzgen nptll vermittelt eine Resistenz gegen die beiden Antibiotika Kanamycin und Neomycin. Beide haben wegen ihrer toxischen Wirkung für Mensch und Tier nur eine sehr geringe Bedeutung als Antibiotikum. Das Gen kommt natürlicherweise in verschiedenen Bakterienarten sowohl in der Darmflora als auch im Boden vor. Der Transfer eines Gens von einem Bakterium in eine anderes Bakterium ist extrem unwahrscheinlich, der Transfer von einer Pflanze in ein Bakterium ist noch unwahrscheinlicher. Der Anbau von Pflanzen mit diesem Gen trägt somit nicht zur Verbreitung der Resistenz bei Bakterien bei. Nicht nur die EFSA, auch die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit, ZKBS, hat diese Bewertung abgegeben. In der vergangenen Legislaturperiode ist insbesondere von den Grünen die Anwendung der Gentechnik in verschiedenen Anträgen thematisiert worden. Die Tendenz war immer gleich und setzte darauf, die vorhandene Skepsis zu verstärken, statt über Information und Aufklärung die eigene Entscheidungskraft der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Die schwarz-rote Koalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, Anbau und Forschung fördern zu wollen. Diese Vereinbarung ist völlig wirkungslos geblieben. Deshalb haben wir in unserem Koalitionsvertrag für die christlich-liberale Koalition sehr viel genauer festgeschrieben, was wir in unserer Regierungsarbeit erreichen wollen. Wir haben bereits erreicht, dass die Stimme Deutschlands in der EU in den verschiedenen Abstimmungen dem Grundsatz folgt, die Entscheidung über die Zulassung neuer Produkte an deren wissenschaftlicher Bewertung ausrichten zu wollen. Dies ist ein entscheidender Fortschritt, der Deutschlands Anspruch als Wissenschaftsstandort endlich gerecht wird. Die Vorteile biotechnologischer Züchtungsverfahren sind überzeugend. Professor Dr. Josef Glößl, Vizerektor der Universität für Bodenkultur in Wien hat kürzlich in der überregionalen österreichischen Tageszeitung Die Presse in seinem Beitrag "Gentechnik hat großen Nutzen" einen Überblick über den Kenntnisstand der biotechnologischen Forschung gegeben. Die künftigen globalen Herausforderungen wie die Ernährung von bald 9 Milliarden Menschen, die Anpassung unserer Kulturpflanzen an die durch den Klimawandel hervorgerufenen Veränderungen, die verstärkte Nutzung von Pflanzen als nachwachsende Rohstoffe erfordern den Einsatz dieser inzwischen bewährten Züchtungsmethode. Sigmar Gabriel hat in seiner Zeit als Umweltminister in einer Plenarrede auf die positiven Umweltwirkungen der Stärkekartoffel hingewiesen. Sie produziert reine Amylopektin-Stärke. Dadurch ist es nicht erforderlich, in einem aufwendigen Prozess, die in sonstigen Kartoffeln vorhandene Amylose zu entfernen. Dadurch wird Wasser und Energie gespart. Dies ist ein echter Beitrag zur Nachhaltigkeit. Es gibt seit langem Züchtungsanstrengungen zur Züchtung einer solchen Kartoffel. Es gibt auch mit herkömmlichen Methoden gezüchtete Stärkekartoffeln. Sie liefern jedoch einen geringeren Hektar-ertrag und haben sich bis jetzt nicht am Markt durchgesetzt. Der Antrag der Grünen reiht sich nahtlos ein in die zwölf Anträge zum Thema Grüne Gentechnik, die wir in der vergangenen Legislaturperiode diskutiert haben. Alle zielen in dieselbe Richtung, alle liefern Fehlinformationen und versuchen, unbegründete Ängste zu schüren. Die christlich-liberale Koalition steht für Aufklärung und Wissenschaftlichkeit, für eine Versachlichung der emotional geführten Debatte über die Grüne Gentechnik. Mit der fundamentalen Ablehnung einer weltweit etablierten Züchtungsmethode werden wir den zukünftigen Aufgaben nicht gerecht werden können. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Ich wohne in einer traditionellen Kartoffelregion, der Prignitz im Nordwesten des Bundeslandes Brandenburg. Aber unterdessen macht sich auch dort die Kartoffel immer mehr vom Acker, weil sich die Rahmenbedingungen verschlechtert haben. Unterdessen freut man sich selbst in meiner Heimat über jedes Feld, auf dem mal nicht Mais, Raps oder Roggen, sondern Kartoffeln angebaut werden. Und wir freuen uns in dieser schon immer armen Region über die Arbeitsplätze mit existenzsichernden Einkommen, die es immer noch in der Verarbeitung, zum Beispiel in zwei Stärkefabriken, gibt. Es sind jedoch deutlich weniger als früher. Es gibt also gute Gründe, für die Kartoffel zu kämpfen. Ein Weg ist die erfolgreiche Entwicklung neuer Nutzungsmöglichkeiten für die Kartoffel selbst und die Nebenprodukte ihrer Verarbeitung. Bei meinem letzten Besuch in der Kyritzer Stärkefabrik vergangenen Sommer habe ich sehr interessante Ansätze kennengelernt. Ein zweiter Weg ist die Vereinfachung der Verarbeitung. Denn die Kartoffel enthält natürlicherweise zwei verschiedene Stärkeformen mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften. Die eine Stärke heißt Amylopektin. Sie bindet und klebt, wird also zum Beispiel zu Papier, Textilien oder Klebstoff verarbeitet. Die andere Stärke namens Amylose geliert. Beide müssen zur Verarbeitung mit großem Wasserverbrauch und Energieaufwand getrennt werden. Eine Kartoffel, die fast nur Amylopektin enthält, ließe sich also effektiver und kostengünstiger verarbeiten. Außerdem würde Wasser und Energie gespart. Die Idee, eine solche amylopektinreiche Kartoffel zu entwickeln, ist also schlau, aber längst keine Utopie mehr. Unterdessen gibt es zwei solche Kartoffelsorten, die auf konventionellem Weg gezüchtet wurden. Die ersten 100 000 Tonnen einer dieser beiden Kartoffeln wurden im vergangenen Herbst in Kyritz verarbeitet. Das Problem ist also auf einem unproblematischen Weg bereits gelöst. Dabei wird der Evolution eben nicht ins Handwerk gepfuscht wie mit der Agrogentechnik. Der Evolution wurde nur quasi ein Zeitraffer eingebaut. Die BASF ist einen anderen Weg gegangen. Sie hat die Kartoffel agrogentechnisch verändert, um die amylopektinreiche Kartoffelsorte Amflora zu erzeugen, deren Verbot die Grünen heute beantragen. Bei der Amflora wurde zum einen das kartoffeleigene Gen ausgeschaltet, das für die Amyloseproduktion verantwortlich ist. Zum anderen wurde ein Bakteriengen als Marker eingebaut, das die Kartoffel unempfindlich gegen mehrere Antibiotika macht. Dazu gehören Kanamycin und Neomycin, zwei Antibiotika, welche von der Weltgesundheitsorganisation als höchst bedeutsam eingestuft werden. Kanamycin ist beispielsweise ein Reserveantibiotikum gegen multirestistente Tuberkulose. Resistenzen gegen diese Antibiotika wären in der Humanmedizin eine Katastrophe. Einigen Menschen könnte bei einer Krankheit unter Umständen nicht mehr wie gewohnt geholfen werden. Deshalb hatte die EU ja 2004 beschlossen, keine gentechnisch veränderten Pflanzen mehr zuzulassen, die resistent sind gegen Antibiotika, die bei Menschen oder Tieren angewandt werden. Über diesen Beschluss hat sich die EU-Kommission jetzt mit der Zulassung der Amflora, also einer Lex BASF, hinweggesetzt. Für die Linke stellt sich sehr ernsthaft die Frage: Ist das damit verbundene Risiko wirklich verantwortbar, selbst wenn die EFSA mehrheitlich Entwarnung gegeben hat? Was ist, wenn die zwei Wissenschaftler in diesem Gremium mit ihrer Minderheitenmeinung dennoch Recht haben? Die Zweifel an der Unabhängigkeit des Gremiums von der Agrogentechniklobby existieren ja, und es war immerhin das erste Mal, dass es überhaupt kritische Positionen dokumentiert wurden. Risikoverstärkend kommt hinzu, dass die Amflora nicht nur für den Anbau und die industrielle Verarbeitung zugelassen wurde, sondern auch als Futtermittel. Und das ist keine theoretische Verwendung; denn der Reststoff der Stärkeverarbeitung - die sogenannte Pulpe - wird oft als Futtermittel verwendet. Damit aber gelangt die gentechnisch veränderte Kartoffel indirekt auch in die Nahrungsmittelkette. Und die Kartoffel ist ohnehin nicht kontrollierbar. Zum Beispiel können nach Schätzungen je nach Witterungsbedingungen 10 000 bis 35 000 Kartoffeln auf dem Acker zurückbleiben. Und was passiert eigentlich, wenn Wildscheine diese Kartoffeln fressen? Es gibt ein weiteres untrügliches Zeichen, dass selbst die EU-Kommission unterdessen weiß, dass eine Trennung zwischen konventionellen und gentechnisch veränderten Kartoffeln auf Dauer entweder nicht sicher ist oder zu teuer wird. Sie hat gleich noch die Verunreinigung von Lebensmittelkartoffeln mit der Amflora bis zu 0,9 Prozent erlaubt. Also 9 von 1 000 Kartoffeln dürfen gentechnisch verändert sein, und trotzdem kann die Ware als gentechnikfrei verkauft werden. Ob das im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher ist? Ich wage es zu bezweifeln. Noch kritischer ist, dass die Bundesregierung nicht einmal bereit ist, die nötigen - und gesetzlich vorgeschriebenen - Regeln für den Anbau zu erlassen, die wenigstens ein Minimum an Schutz für die gentechnikfrei wirtschaftende Landwirtschaft herstellen könnten. Das zumindest hat mir die Bundesregierung gestern in der Fragestunde geantwortet. Fazit: Die Koalition und die EU-Kommission gehen ein hohes Risiko ein für eine gentechnich veränderte Kartoffel, die niemand braucht und niemand will. Das ist vermutlich sehr gut für die BASF, aber schlecht für die gentechnikfrei wirtschaftende Landwirtschaft. Damit ist aber auch klar: Der Wille der Verbraucherinnen und Verbraucher ist für diese Koalition in dieser Frage ohnehin irrelevant. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung muss den Anbau der Genkartoffel Amflora stoppen, weil die Verschmutzung von Lebens- und Futtermitteln nicht wirksam ausgeschlossen werden kann. Auch der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, fordert ein Anbauverbot. Obwohl Amflora Anfang März zugelassen und ihr Anbau auf 20 Hektar in Mecklenburg-Vorpommern vor Monaten angemeldet wurde, hat die Bundesregierung keine gesetzlichen Regeln zum Schutz der gentechnikfreien Produktion erlassen. Damit wird die Zusage gebrochen, welche die Bundesregierung 2007 in einer Protokollnotiz bei der Zustimmung zur Amflora im Ministerrat abgeben hat. In der Protokollerklärung der deutschen Delegation vom 16. Juli 2007 anlässlich der Abstimmung im Rat der EU - Landwirtschaft und Fischerei - über die Zulassung von Amflora heißt es unter anderem: Deutschland wird unter Beteiligung aller interessierter Kreise sehr sorgfältig analysieren, welche konkreten Anforderungen für den Anbau, die Lagerung, den Transport und den sonstigen Umgang sowie die Weiterverarbeitung dieser gentechnisch veränderten Kartoffel aufgestellt werden müssen ... Dazu werden wir in Deutschland Regeln der Guten fachlichen Praxis entwickeln, um in jedem denkbaren Fall beim Anbau die Koexistenz mit nicht gentechnisch veränderten Kartoffeln zu sichern ... sowie Kontaminationen von Futtermitteln und Lebensmitteln in der weiteren Vermarktungskette zuverlässig zu vermeiden. Wir verlangen von der Bundesregierung und Ministerin Aigner, dass sie diese Zusage einhalten und umgehend entsprechende Regeln zur guten fachlichen Praxis vorlegen. Statt ihren Schutz- und Vorsorgepflichten nachzukommen, hat die schwarz-gelbe Regierung die Zulassung von Amflora begrüßt. Schon im Koalitionsvertrag hat Schwarz-Gelb kostenloses Product Placement für das BASF-Produkt gemacht. Während Ministerin Aigner in Sonntagsreden die gentechnikfreien Regionen unterstützt, tut sie nichts, um deren rechtliche Position zu stärken. Wie ein Gutachten der Grünen-Bundestagsfraktion aus dem Sommer 2009 zeigt, wäre dies mit einer einfachen Änderung des deutschen Gentechnikgesetzes möglich. Über die nationalen Verbote hinaus fordern wir Grüne die Bundesregierung auf, gegen die Zulassung von Amflora vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen; denn ihre Zulassung widerspricht dem EU-Recht. Amflora enthält Resistenzgene gegen die Antibiotika Kanamycin und Neomycin, die laut der Weltgesundheitsorganisation WHO und der EU-Arzneimittelbehörde EMEA von therapeutischer Bedeutung für Menschen sind. Nach der EU-Freisetzungsrichtlinie dürfen aber seit 2009 keine Gentechniksorten mit Antiobiotika-Markern mehr zugelassen werden. Und selbst nach Meinung einiger Experten der - sonst nicht gerade gentechnikkritischen - europäischen Lebensmittelzulassungsbehörde EFSA sind Verbreitungen dieser Antibiotikaresistenzen in der Umwelt und damit schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt nicht auszuschließen. Das Bundesamt für Naturschutz hat sich in den letzten Jahren mehrmals gegen Amflora-Freisetzungen ausgesprochen. Auch Italien, Frankreich, Österreich und Griechenland haben die Zulassung kritisiert und prüfen Möglichkeiten, den Anbau zu unterbinden. Zudem ist es unverantwortlich, dass Amflora eine Verschmutzungslizenz von 0,9 Prozent für Lebensmittel erhalten hat, obwohl für diese Verwendung keine Sicherheitsbewertung existiert - ein fragwürdiges Novum im EU-Gentechnikrecht. Eine Vermischung mit gentechnikfreien Kartoffeln bei Anbau, Transport und Verarbeitung ist in der Praxis kaum zu vermeiden. Bundesregierung und EU-Kommission bleiben dazu Antworten auf wichtige Fragen schuldig: Wer stellt sicher, dass auf Amflora-Äckern nicht aus Unwissenheit "gestoppelt" wird und damit Amflora direkt verzehrt wird? Wie sollen die bereits jetzt überlasteten Kontrollbehörden in der Praxis denn lückenlos überprüfen, ob in den Produktionsprozessen Verschmutzungen auftreten? Und wer haftet, wenn der Schwellenwert von 0,9 Prozent überschritten wird? Wie groß sind die Abstände und welche Sorgfaltspflichten bestehen? Die Zulassung der Genkartoffel schadet der heimischen Wirtschaft und verteuert für Produzenten und Verbraucher die Speisekartoffeln als wichtiges Grundnahrungsmittel. Aktuell werden Kosten in Milliardenhöhe durch Maßnahmen zur Vermeidung von gentechnischen Kontaminationen und durch weltweite Schäden aufgrund von Verunreinigungen mit illegalen Gentechnikpflanzen verursacht, wie beispielsweise gerade bei Reis sowie Leinsamen in Müslimischungen. Wir fordern, dass diese Kosten von den Verursachern getragen und nicht den Landwirten, Verarbeitern, Steuerzahlern und Verbrauchern aufgebürdet werden. Auch die Stärkeindustrie hat nach eigenen Angaben kein Interesse an Amflora, weil es zwei konventionelle Alternativen von den Firmen AVEBE und Bioplant/Emsland Group gibt. Anders als bei der Amflora drohen hier der Stärkeindustrie keine Mehrkosten durch Überwachungsanforderungen, getrennte Lagerung und erhöhte Transportkosten. Sogar der Bauernverband bezeichnet Amflora als "sehr alte Sorte". Die Zulassung von Amflora ist nichts als ein Kniefall der EU-Kommision und der Bundesregierung vor der BASF. Amflora ist keine dolle, sondern eine olle Knolle aus der Gentechnikmottenkiste, die niemand braucht. Anlage 12 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung des Antrags: Modernisierungspartnerschaft mit Russland - Gemeinsame Sicherheit in Europa durch stärkere Kooperation und Verflechtung (Tagesordnungspunkt 13) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Deutschland und Russland stehen heute vor Herausforderungen, die neue Wege zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft erfordern. Es gibt inzwischen eine gute Basis für eine erfolgreiche Intensivierung der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland bzw. zwischen Russland und der Europäischen Union. Der amerikanische Präsident verfolgt die Lösung globaler Probleme mit einem neuen, kooperativen Ansatz; dazu gehört auch die Wiederbelebung der strategischen Partnerschaft mit Russland. Der Vertrag von Lissabon macht die EU handlungsfähiger und lässt uns eine Modernisierungspartnerschaft mit Russland anstreben. Die NATO sieht neue Kooperationsfelder mit Russland, die das Verhältnis zu Russland grundlegend erneuern können. Mit Interesse nehmen wir die Initiativen von Präsident Medwedjew wahr, der die Modernisierung Russlands in den Mittelpunkt seiner Politik gerückt hat. Mit viel Mut zur Offenheit hat er gezielt Schwachstellen aufgezeigt, die die Stabilität und den Erfolg der russischen Gesellschaft bedrohen. Zugleich hat er an die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger appelliert, sich nicht ins Private zurückzuziehen. Eine Änderung zum Besseren kann aber nur eintreten, wenn die Möglichkeit besteht, Probleme offen zu diskutieren. Dies setzt Meinungs- und Pressefreiheit voraus. Wir werden ihn dafür beim Wort nehmen. Wir bieten Russland eine Partnerschaft an. Russland hat in seiner Geschichte einen langen und schwierigen Weg hinter sich gebracht. Wenn es heute unseren europäischen Wertekanon teilt, können wir ein neues Niveau in der Zusammenarbeit erreichen. Dabei können wir auf guten Grundlagen aufbauen. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind eng und vertrauensvoll. Deutschland und Russland sind heute gegenseitig die wichtigsten Handelspartner. Deutschland ist der wichtigste ausländische Investor in Russland. Über 4 000 deutsche Unternehmen sind in Russland aktiv. Der russische Präsident hat sich zu einer WTO-Mitgliedschaft Russlands bekannt und damit gezeigt, dass ihm die Integration in die internationalen wirtschaftlichen Strukturen wichtig ist. Dies ist ein richtiger Schritt in Richtung Diversifizierung der russischen Wirtschaft. Die Annäherung zwischen Russland und Deutschland und zwischen Russland und der Europäischen Union muss fortgeführt werden. Von seiner Geschichte, seiner Geografie und seiner Kultur her ist Russland ein Teil Europas. Auch Russland betont seinen Anspruch, Teil der europäischen Familie zu sein. Fakt ist: Russland und Europa gehören zusammen. In der Zwischenzeit müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die uns durch unsere enge Nachbarschaft gegeben sind. Deutschland hat mit Russland bereits 2008 eine Modernisierungspartnerschaft vereinbart. Der Präsident der Europäischen Kommission, Barroso, hat das jetzt aufgegriffen. Spanien will dies zu einem Schwerpunkt seiner EU-Präsidentschaft machen. Wir unterstützen dieses Ansinnen nachdrücklich. Es geht aber nicht nur um eine engere Integration unserer Wirtschaftsräume, sondern auch um einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. In diesem Kontext spielt die Politik der östlichen Partnerschaft der EU eine wichtige Rolle. Sie birgt Potenzial für die künftige Zusammenarbeit mit den Ländern unserer gemeinsamen Nachbarschaft, an deren Stabilität Russland und die EU-Mitgliedstaaten ein dringendes Interesse haben. Zugleich hoffen wir, dass die russischen Eliten den notwendigen Willen zur Veränderung aufbringen werden. Dabei setzen wir auf drei Faktoren: den Pragmatismus der Eliten, das Potenzial der russischen Gesellschaft und die Einsicht, dass alles andere Russland keine Zukunftsperspektive bietet. Die zunehmend differenzierte und offen geführte Debatte über die Ausrichtung der russischen Politik zeugt von einer wachsenden Bereitschaft, den Realitäten ins Gesicht zu sehen: den Grenzen der "Rohstoffmacht" Russland, den Defiziten und Strukturmängeln der russischen Wirtschaft und der Notwendigkeit marktwirtschaftlicher Reformen. Nüchternheit und Realismus sprechen auch aus der neuen Sicherheitsstrategie; sie sind die beste Basis für neues und pragmatisches Denken. Immer mehr Menschen scheinen zu verstehen, dass Russland als "einsame Macht" seine Stellung in der Welt nicht behaupten kann. Es ist an dieser Stelle wichtig hervorzuheben, dass sich die bisherige Erweiterung der Europäischen Union und der NATO nicht gegen Russland richtet. Im Gegenteil: Die neuen Mitgliedstaaten erfahren einen Zuwachs an Stabilität, der sich auch für Russland positiv auswirkt: als Nachbar, als Investor und als Handelspartner. Zudem haben wir nützliche Instrumente für den strategischen Dialog mit Russland entwickelt: den NATO-Russland-Rat und das neu zu verhandelnde Partnerschaftsabkommen mit der EU. Dabei müssen wir uns dringend von der Denkweise der vergangenen Jahrhunderte lösen. Das gilt nicht nur für Russland, sondern auch für die EU. Ein solches Schubladendenken ist falsch und gefährlich. Der Vorschlag Präsident Medwedjews für einen europäischen Sicherheitsvertrag ist ein wichtiges Signal und zeigt uns: Russland möchte bei Fragen, die seine Sicherheitsinteressen berührt, von uns gehört werden. Deutschland hat Interesse an einer kooperativen europäischen Sicherheitsarchitektur, in der Russland ein Partner ist. Deshalb sollten wir die Vorschläge von Präsident Medwedjew konstruktiv aufgreifen. Es geht darum, die europäische Sicherheit und das gegenseitige Vertrauen umfassend zu stärken. Die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat im vergangenen Dezember war ein wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung. Weitere vertrauensbildende Maßnahmen für die Zukunft sollten folgen, so zum Beispiel die Aufwertung des NATO-Russland-Rates oder gemeinsame Übungen der NATO-Partner mit Russland. Wir wollen den Dialog mit Russland intensivieren und unsere Zusammenarbeit ausweiten, wo gemeinsame Interessen berührt sind. Ganz konkret zeigt sich das bereits beim gemeinsamen Kampf gegen die Piraterie an der afrikanischen Ostküste und im NATO-Einsatz zur Stabilisierung Afghanistans. Aber auch hier gibt es noch Raum für eine weitere Verstärkung unserer Zusammenarbeit. Ein weiteres wichtiges Thema bei der Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russland ist der Bereich der Raketenabwehr. Die Bedrohungen, die von der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen in manchen Regionen des Nahen Ostens ausgeht, betreffen Russland und Europa gleichermaßen. Um dieser Bedrohung effektiv zu begegnen und unsere gemeinsame Sicherheit zu stärken, bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO. Insbesondere im Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstung sind drängende Probleme zu lösen. Die Bemühungen der USA und Russland, zu einem neuen - deutlich niedrigeren - strategischen atomaren Gleichgewicht zu finden, sind begrüßenswert. Die Präsidenten der USA und Russlands haben bereits zu erkennen gegeben, dass sie das Nachfolgeabkommen für den im Dezember ausgelaufenen START-I-Vertrag sogar noch im April 2010 in Prag besiegeln werden. Dies wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Wir unterstützen diese Bemühungen nachdrücklich. Es bleibt zu wünschen, dass der Abschluss der Verhandlungen zwischen Russland und den USA über die weitere Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen den Auftakt für weitere Abrüstungsschritte im substrategischen Bereich bildet. Es wäre ein wichtiger Impuls für ein Jahrzehnt der Abrüstung und könnte langfristig eine tragende Stütze für eine globale Sicherheitsarchitektur sein. Dazu gehört auch, dass wir das substrategische Nuklearpotenzial in Deutschland abbauen. 20 Jahre nach dem Mauerfall muss es erlaubt sein, ein Relikt des Kalten Krieges abzuschaffen. Dies darf selbstverständlich nicht einseitig, sondern nur in enger Konsultation mit unseren Partnern in der NATO und mit Russland erfolgen. Genauso bedeutend ist es, im Bereich der konventionellen Abrüstung weiter voranzukommen. Der KSE-Vertrag ist ein wesentlicher, völkerrechtlich verbindlicher Eckpfeiler der europäischen Sicherheit. Er ist eine wichtige Vertrauensbasis für eine langfristige Vertiefung der sicherheitspolitischen Partnerschaft mit Russland. Ein umfassende Rüstungskontrolle funktioniert aber nur, wenn alle betroffenen Staaten ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen. Mehr Transparenz kann hier das nötige Vertrauen schaffen. Es ist unsere Aufgabe, neue Lösungsansätze zu finden, um einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise des KSE-Vertrages zu finden. Die Weiterentwicklung des KSE-Vertrages auf der Grundlage des noch zu ratifizierenden Anpassungsabkommens ist alternativlos. Hier bildet die OSZE das wichtigste Forum für die Entwicklung neuer Lösungsansätze. Es ist zu begrüßen, dass sich Minister Lawrow klar zum Korfu-Prozess bekannt hat. Die substanzielle Stärkung der Konfliktlösungsmechanismen in der OSZE muss offen diskutiert werden. Der Korfu-Prozess schafft zwar mehr Zusammenarbeit, bringt aber noch keinen echten Sicherheitsgewinn für Europa. Diese Defizite der europäischen Sicherheitsordnung gilt es nun zu benennen und auszuräumen. Es muss uns gelingen, den Korfu-Prozess auf eine konkrete Agenda zu fokussieren, ohne den OSZE-Acquis zu unterhöhlen. Die Wiederbelebung der konventionellen Rüstungskontrolle ist hier ein längst fälliges Thema, das im Zuge der amerikanischen Reset-Politik gegenüber Russland dringend weiter verfolgt werden muss. In diesen Kontext gehört auch die Debatte über eine strategische Neuausrichtung der NATO. Wir sollten uns die Frage stellen, welche Rolle Russland in Europa spielt. Auf absehbare Zeit ist nicht mit einem Aufnahmeantrag zu rechnen. Die Zukunft der NATO hängt maßgeblich von der Frage ab, wie Russland eingebunden werden kann. Die NATO ist dieser Herausforderung in ihren jetzigen Strukturen nicht gewachsen. Das Bündnis könnte hier die Chance ergreifen, das Primärforum für die Behandlung aller krisenhaften Entwicklungen zu sein, weil nur dort Amerika, Europa und Russland an einem Tisch sitzen. Voraussetzung dafür ist, dass die NATO die Tür zum Beitritt Russlands nicht dauerhaft verschließt. Russland wiederum müsste bereit sein, die Pflichten und Rechte eines NATO-Mitglieds als Gleicher unter Gleichen wahrzunehmen. In den vergangenen Jahren hat die NATO ihre Tore für den Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten geöffnet. Russland wiederum hat das "Feindbild" NATO gern gepflegt und Chancen vertan. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bereitschaft der NATO-Staaten, mit Russland kooperative Ansätze in der Sicherheitspolitik zu entwickeln, immer mehr verlorengegangen ist. Nach wie vor gibt es im Bündnis keinen Konsens in der Frage, wie mit Russland umzugehen ist. Für uns gilt: Sicherheit in und für Europa gibt es nur mit und nicht gegen Russland. Die transatlantische Gemeinschaft braucht Russland. Die Gründe dafür sind vielseitig: für Energiesicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle, für die Verhinderung von Proliferation, für Lösungen der Probleme in Iran, Afghanistan und im Nahost-Konflikt, aber auch für die Meinungsbildung und Entschlussfassung im UN-Sicherheitsrat. Die NATO wird sich darüber klar werden müssen, wie und welchen Platz Russland in der euroatlantischen Gemeinschaft einnehmen soll. Die Bündnispartner müssen sich darüber auseinandersetzen und konkrete Zwischenschritte definieren. Der Abzug amerikanischer Nuklearwaffen aus Europa und die Rücküberführung aller russischen Nuklearwaffen in zentrale Lagerstätten könnten ein erster gemeinsamer Schritt sein. Der Aufbau eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems zum Schutz des NATO-Vertragsgebietes und Russlands könnte ebenfalls eine Option sein. Der Weg zur Beitrittsperspektive für Russland ist lang, aber logisch. Am Anfang stehen das Ziel der Außenpolitik, der gemeinsame Blick auf Bedrohungen und die geteilten Werte. Unsere Offenheit gegenüber Russland ist ebenso notwendig wie Russlands eigenes Engagement. Die transatlantische Bindung zwischen Europa und Amerika ist unersetzlich und wertvoll. Die NATO steht als Garant für Sicherheit und Werte gegen Herausforderungen, die nicht an Grenzen gebunden sind. Es bleibt zu wünschen, dass der bevorstehende Abschluss der Verhandlungen zwischen Russland und den USA über die weitere Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen den Auftakt für weitere Abrüstungsschritte im substrategischen Bereich bildet. Es wäre ein wichtiger Impuls für ein Jahrzehnt der Abrüstung und könnte langfristig eine tragende Stütze für eine globale Sicherheitsarchitektur sein. Bilateral und als Mitglied der EU wird Deutschland seinen Beitrag dazu leisten. Franz Thönnes (SPD): Im vergangenen Jahr haben wir 20 Jahre deutsche Einheit gefeiert. Dieses Jubiläum hat uns an die "friedliche Revolution" des Jahres 1989 und an die Wiedervereinigung Deutschlands in vielen würdevollen Veranstaltungen erinnert. Dieses Resultat der Wiedervereinigung ist natürlich zuallererst den Menschen zu verdanken, die sich mit ihrer ganzen Kraft friedlich für Freiheit und Demokratie mit einer Vielzahl von Aktivitäten damals in den verschiedensten Bürgerbewegungen eingesetzt haben. Aber sie ist auch das Ergebnis eines historischen Prozesses, den die Bundesregierungen unter Bundeskanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl maßgeblich mit gestaltet und beeinflusst haben. Unstrittig ist es, so glaube ich unter uns, dass ohne die Westalliierten, aber eben doch noch stärker ohne die Zustimmung Russlands, diese Einheit nicht zustande gekommen wäre. Und ebenso unstrittig ist es, glaube ich, dass die Weiterentwicklung der europäischen Einigung ohne die positive Haltung Russlands nicht vorstellbar ist. Und auch die Bewältigung unserer gemeinsamen Herausforderungen in Europa ist ohne Russland nicht vorstellbar. Es geht um die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, es geht um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, die Bekämpfung von Drogen- und Menschenhandel. Es geht um eine sichere und nachhaltige Energieversorgung, es geht um den Schutz unserer Umwelt und um wirksame politische Entscheidungen und Maßnahmen zum Klimawandel. Kurzum, es geht um Sicherheit, Frieden und eine nachhaltige Entwicklung in unserem gemeinsamen Arbeits- und Lebensbereich auf der Erdkugel. Russland und Deutschland sind durch zahlreiche gemeinsame Erfahrungen und Traditionen eng miteinander verbunden. Da sind die schrecklichen Kriege auf unserem Kontinent. Da sind aber auch die bedeutenden Abschnitte und gemeinsam eingeschlagenen Wege zu einem geeinten und friedlichen Europa. Und darauf aufbauend wächst mehr und mehr die Erkenntnis, dass die gesellschaftlichen Verflechtungen und die vorherrschenden Konflikte in unseren Nachbarregionen nur gemeinsam beantwortet werden können. Wer Sicherheit und Stabilität in Europa will, der muss dafür arbeiten, dass es konstruktive und kooperative Beziehungen zu Russland gibt. Im Rahmen der "strategischen Partnerschaft", die von Deutschland und der EU angestrebt wird, steht daher die gemeinsame Lösung globaler Fragen und die Zusammenarbeit auf allen Feldern von Politik, Recht, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft ebenso wie die friedliche Bewältigung regionaler Krisen und Konflikte im Zentrum. Auch Russland selbst steht vor großen Herausforderungen. Präsident Dmitrij Medwedjew hat dies erkannt. Seit Beginn seiner nun knapp zwei Jahre bestehenden Amtszeit hat er neue Markierungen in der Innen- und Außenpolitik dargestellt. Bereits im November 2008 hat er ein umfassendes und ambitioniertes Programm innerer Reformen präsentiert. Die Bürokratie stand dabei im Mittelpunkt seiner Kritik. Wie ein Hemmschuh wirke sie, wenn es auf effektiven Wandel in Staat und Gesellschaft ankäme. Freiheiten des Einzelnen und autonomes Handeln würden massiv eingeschränkt werden und behinderten damit die künftige Innovations- und Entwicklungsfähigkeit Russlands. Er kündigte eine Kampagne zur Korruptionsbekämpfung und gegen "Rechtsnihilismus" an. Als seine politischen Schwerpunkte nannte er die Reform der russischen Justiz sowie der Verwaltung und die Durchsetzung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Schon davor im Juni 2008 suchte der russische Präsident die Unterstützung Westeuropas und der USA für seine Reformen. Hier, in unserer Hauptstadt, machte er den Vorschlag für Gespräche über eine neue "Europäische Sicherheitsordnung". Diese mündeten schließlich in eine Debatte über die Reform der OSZE. Im weiteren Verlauf der politischen Entwicklungen legte der russische Präsident schließlich im November 2009 einen Textvorschlag für einen "Europäischen Sicherheitsvertrag" vor. Neben der Bekräftigung völkerrechtlicher Grundprinzipien der UN-Charta und der KSZE-Charta von Paris enthält der Vorschlag einige Ideen für Konsultationsverfahren in Krisensituationen. Wir sollten ihn als Einladung für zielgerichtete Verhandlungen über effektivere Formen kooperativer Sicherheit in Europa verstehen und dies auch so zu praktischem Handeln bringen. Beim ersten Gipfeltreffen von US-Präsident Obama und dem russsichen Präsidenten Medwedjew wurde deutlich, dass die amerikanische Regierung nach einem konstruktiven Neuanfang in den bilateralen Beziehungen sucht. In London wurde im April 2009 neben den gemeinsamen Aktivitäten zur Bewältigung der internationalen Finanzkrise im Rahmen der G 20 eine anspruchsvolle Agenda für nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle vereinbart. Und im Sommer 2009 folgte in Moskau die Festlegung von Parametern eines START-I-Nachfolgeabkommens. Leider war es trotz engagierter Bemühungen nicht möglich, ein Folgeabkommen vor dem Auslaufen des Vertrages Ende 2009 zu vereinbaren. Aktuelle Auseinandersetzungen über die Raketenabwehr stellen sogar eine Unterzeichnung vor Beginn der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages, NVV, im Mai 2010 infrage. Und dennoch bildet die beschriebene Entwicklung eine gute Basis für die Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika. Seit langem drängt die EU auf einen qualitativen Ausbau der Zusammenarbeit mit Russland. Vier "Gemeinsame Räume" sollen geschaffen werden: Wirtschaft; äußere Sicherheit; Recht und innere Sicherheit sowie Forschung, Bildung, Kultur. Seit Herbst 2008 wird wieder über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen verhandelt. Bereits kurz nachdem Medwedjew Anfang 2008 deutlich gemacht hatte, wie wichtig ihm die Stärkung des Rechtsstaates, die Verwaltungsreform, die Unterstützung wirtschaftlicher Entwicklung und umfassende Bildungsinitiativen sind, hat der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit dem Angebot einer umfassenden "Modernisierungspartnerschaft" geantwortet. Wenn Russland die bestehenden und künftigen Herausforderungen bewältigen will, muss der Staat seine wirtschaftliche, soziale und politische Leistungsfähigkeit steigern. Da werden in verschiedenen Themenfeldern weitere ermutigende Fortschritte gemacht. So legte Medwedjew im April 2009 einen Vorschlag für eine potentiell weltweit anwendbare Energiecharta vor. Bezüge zu der von der EU und den USA favorisierten Europäischen Energiecharta, die die russische Vorgängerregierung noch ablehnte, sind klar erkennbar. Nach der Wahl von Wiktor Janukowitsch zum Präsidenten der Ukraine steht nun ein Plan zur Bildung eines trilateralen Konsortiums zur Leitung und Modernisierung des ukrainischen Gastransportwesens auf der Tagesordnung. Wenn es gelingt, eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Russland, der Ukraine und der EU in diesem zentralen Sektor zu etablieren, wäre dies ein wichtiger Pfeiler der europäischen Sicherheit. In der russischen Innenpolitik ist ebenfalls einiges in Gang gekommen, das bereits in verschiedenen Bereichen zu ersten positiven Veränderungen geführt hat. Dazu gehören die von Medwedjew veranlasste Überprüfung der Strafgesetze gegen Spionage sowie der Mediengesetze. Und ebenso die Ratifizierung des Zusatzprotokolls 14 zur Europäischen Menschenrechtskonvention durch Duma und Präsident am 15. Januar 2010. Im letzten Monat haben Wissenschaftler aus dem dem Präsidenten nahestehenden "Institut für moderne Entwicklung", INSOR, eine Studie mit dem Titel "Russland im 21. Jahrhundert - eine Vision für die Zukunft" vorgestellt. In Berlin erfolgte dies bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. In Russland ist über diese Studie bereits eine kontroverse innenpolitische Debatte entstanden, denn die Autoren unter Leitung des Direktors Igor Jürgens werben darin für grundlegende Reformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: unter anderem für die Zulassung echter politischer Konkurrenz, Wahlrechtsreformen, Direktwahl der Gouverneure, Entbürokratisierung der Wirtschaft und eine Umstrukturierung und Dezentralisierung der Sicherheitsorgane einschließlich der Auflösung des Innenministeriums und des Geheimdienstes FSB in seiner heutigen Form. Außenpolitisch wird gar die russische Mitgliedschaft in NATO sowie EU ins Auge gefasst. Deutschland hat ein großes Interesse am Gelingen der inneren Reformen in Russland und an einer vertrauensvollen Kooperation. Wir sind in vielen außenpolitischen Fragen sowie vor allem bei der Bewältigung der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Zusammenarbeit mit Russland angewiesen. Die Regulierung der internationalen Finanzmärkte, wie sie im Rahmen der G-20-Verhandlungen betrieben wird, spielt dabei ebenso eine Rolle wie die innere Stabilisierung in Russland. Deshalb fordert die SPD eine umfassende Modernisierungspartnerschaft mit Russland. Sie wird gleichzeitig ein Prüfstein für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, der Europäischen Union sein. Darum ist auch eine EU-Ostpolitik "aus einem Guss" nowendig, in der die Initiativen "östliche Partnerschaft" und die Schwarzmeer-Synergie sowie die Ostsee- und Zentralasienstrategie abgestimmt sind. Vor diesem Hintergrund hat die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag zur Modernisierungspartnerschaft mit Russland 15 Forderungen an die Bundesregierung zusammengefasst. Sie erstrecken sich von der Aufforderung, im Rahmen von EU, NATO und OSZE Initiativen für eine ernsthafte Debatte und eine gemeinsame Stellungnahme zum Vorschlag des russischen Präsidenten für einen "Europäischen Sicherheitsvertrag" vom November 2009 zu ergreifen, über die Auseinandersetzung mit dem russischen Vorschlag für eine weltweite Energiecharta vom April 2009, der Reform der OSZE, der Intensivierung der Arbeiten im NATO-Russland-Rat, dem Drängen nach Unterzeichnung des START-I-Nachfolgeabkommens sowie der Aufforderung zur Werbung für eine kooperative und vertragsgestützte Lösung bei der Errichtung eines Raketenabwehrsystems in Europa und die Begrenzung solcher Systeme auf globaler Ebene, verschiedener vertrauensbildender politischer Verträge im militärischen Bereich bis hin zu Forderungen, die den wirtschaftlichen Bereich und die Ratifizierung des 6. Protokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Verbot der Todesstrafe durch Russland betreffen. Alles berechtigte Forderungen für den Aufbau einer umfassenden Modernisierungspartnerschaft mit Russland, die gerade für uns Deutsche von einem zentralen Interesse sein muss. Ein stabiles Russland wird letztendlich auch ein Partner für unser Land und die EU sein, der sich durch Zuverlässigkeit und Verantwortung für Sicherheit und Stabilität in Europa auszeichnet. Deshalb bitte ich um Unterstützung für unseren Antrag. Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP): Wir sind uns als FDP der wachsenden Notwendigkeit einer weiteren zukunftsorientierten Entwicklung der bilateralen Beziehungen sowohl zwischen Russland und der Bundesrepublik Deutschland als auch zwischen Russland und der Europäischen Union bewusst. Die Ausweitung und Vertiefung der Partnerschaft im Bereich der Modernisierung ist von zunehmender politischer und praktischer Bedeutung. Wir freuen uns, dass die SPD hier das Thema mit der Absicht aufgreift, zusätzliche Impulse zu einer verstärkten Zusammenarbeit zu vermitteln. Wir sind uns, denke ich, auch einig, dass der Dialog und das gegenseitige Verständnis gefördert werden sollen. Daher müssen wir die Fortschritte und Hindernisse in den Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union im Deutschen Bundestag offen diskutieren. Der Antrag der SPD enthält zahlreiche sinnvolle Forderungen, um die Zusammenarbeit mit Russland auf dem Weg zur Modernisierung weiterzubringen. Jedoch sehe ich folgende klare Defizite: Zum einen enthält der Antrag leider keine klare Beschreibung der derzeitigen Zustände in Russland. Schon in seiner letzten Jahresbotschaft im November 2009 ging der russische Präsident mit den Zuständen in seinem eigenen Land und mit den verantwortlichen Akteuren hart ins Gericht. Er selbst hat schon die russische Bevölkerung in klaren, in unmissverständlichen Worten mit den beklagenswerten Defiziten in vielen Bereichen konfrontiert. Davon möchte ich beispielhaft nur einige nennen: So kritisierte er den ungenügenden politischen Pluralismus im Parteiensystem und warf den Behörden die Schikane der Opposition vor. Die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Koalitionsfreiheit werden in Russland unterdrückt. Es herrschen Korruption und fehlende Rechtssicherheit. Die Polizei fällt durch Gewalt und Willkür auf. Und diese erschreckende Bestandsaufnahme nehme nicht ich persönlich vor. Sie wurde vom obersten russischen Repräsentanten verfasst. Und er fährt exakt so fort: Die Wehrpflichtigen in den Streitkräften werden missbraucht; die Infrastruktur ist veraltet. Wir sehen große Defizite in den militärischen Fähigkeiten der Armee. Zudem gibt es rassistisch motivierte, offiziell als "Hooliganismus" abgetane Übergriffe, insbesondere gegen aus dem Kaukasus stammende Bevölkerungsteile. Diese Entwicklung macht vor keinem Bereich halt. Wirtschaftlich ist Russland übermäßig abhängig von Rohstoffexporten. Der Dienstleistungs- und Industriesektor sind schlecht entwickelt. Der Mittelstand ist äußerst schwach ausgeprägt. Sie finden in Russland wenig Unternehmergeist. So können sich nicht ausreichend international wettbewerbsfähige Produkte entwickeln. Die Umweltverschmutzung ufert aus. Das Gesundheitssystem ist mangelhaft, und Alkoholismus ist immer noch weit verbreitet. Diese Faktoren führen zu sinkender Lebenserwartung der Menschen. Genau eine solche Zustandsbeschreibung müssen wir in einem Antrag zu einer Modernisierungspartnerschaft mit Russland doch aufgreifen. Zum anderen fehlen in dem Teil des Antrages, der die Forderungen des Antragstellers enthält, klare Vorschläge zur Verbesserung. Insbesondere erwarte ich Forderungen zur Verbesserung der politischen Defizite. Wir müssen klar artikulieren, wie wir uns eine Partnerschaft vorstellen, damit diese nicht einseitig wird. Es ist wichtig für die Partner, dass interne Missstände der Partnerländer beseitigt werden. Zumindest muss als solide Grundlage einer Zusammenarbeit der Wille vorhanden sein, die aufgezeigten Probleme auch anzupacken. Sie fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, lediglich die Unterstützung des russischen Präsidenten bei seinem Bemühen. Das ist zu wenig für solch einen Antrag. Denn so werden die internen Zustände in Russland nicht verbessert. Nicht nachvollziehen können wir Ihre Forderung nach Ergreifung von Initiativen im Rahmen von EU, NATO und OSZE und die Forderung nach einer gemeinsamen Stellungnahme zum Vorschlag für einen "Europäischen Sicherheitsvertrag". Dieses Vorgehen erinnert mich ein wenig an die Arbeitsvorgänge in meiner eigenen Küche. Sie kennen das inzwischen geflügelte Wort von den "vielen Köchen" doch. Ergebnis: Sie verderben den Brei. So wird es zu äußerst unnötigen Reibungen und zur Lähmung des gutgemeinten Vorschlages kommen, wenn sich diese Organisationen alle mit dem Thema befassen. Der Vorstoß von Medwedjew sollte im Rahmen des Korfu-Prozesses innerhalb der OSZE beraten werden. Dort gehört er hin. Alles andere ist nicht sinnvoll. In diesem Antrag wird gefordert, dass sich der Westen mit einer weltweiten Energiecharta befasst. Das ist der zweite Schritt, den Sie hier vor dem ersten setzen. Zunächst sollte Russland die mit der EU ausgehandelte Energiecharta ratifizieren. Dazu müssen wir erst einmal auffordern. In Ihrem Einleitungstext suggerieren Sie, dass nur die russische Vorgängerregierung diese Ratifikation ablehne. Lieber Herr Steinmeier, Sie sollten es doch besser wissen. Das ist nicht der Fall. Die amtierende Regierung lehnt dies genauso ab. Zum KSE-Vertrag: Russland hat diesen einseitig ausgesetzt. Das ist nicht in Ordnung. Der Vertrag muss ganz im Gegenteil gestärkt werden. Daher muss an dieser Stelle Russland besser aufgefordert werden, sich wieder zu den Verpflichtungen des geltenden KSE-Vertrags zu bekennen. Erstens ist eine Revision zum jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig. Zweitens sollten wir als Deutscher Bundestag nicht Russland auffordern, eigeninitiativ und einseitig ein neues Vertragswerk vorzuschlagen. Wir fordern Russland nicht auf, hier noch ein weiteres neues Fass aufzumachen. Ich komme nun zu meinem letzten Punkt, an dem die FDP von der im Antrag aufgezeigten Meinung stark abweicht. Hier wird gefordert, für eine Lösung bei der Errichtung eines Raketenabwehrsystems zu werben. Solange die USA und Russland selbst kein Interesse an einem Nachfolgeabkommen zum gekündigten ABM-Vertrag zeigen, müssen wir uns in diesem Hause und seitens der Regierung auch nicht äußern. Die Bundesrepublik Deutschland sollte sich - das ist meine feste Meinung - bei dem Thema eines globalen Raketenabwehrsystems zurückhalten. Sie sehen, trotz seiner zahlreichen Stärken hat dieser Antrag deutliche Defizite. Einige davon habe ich hier dargelegt. Darüber wird nun in den Ausschüssen zu beraten sein. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag der SPD ist weder Fisch noch Fleisch. Er benennt ein richtiges und wichtiges Thema, aber seine Vorschläge und Konsequenzen sind ideenlos. Insofern steht dieser Antrag in der Tradition der Regierungspolitik von Schwarz-Rot - auch diese war in der Russlandpolitik nicht besonders ideenvoll. Das ist nicht nur eine Feststellung von mir. Damit könnten Sie gut leben; das weiß ich. Aber blicken Sie einmal in die Spiegel-Ausgabe 10/ 2010: Volker Rühe, Ex-Verteidigungsminister, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, und weitere konservative Außen- und Sicherheitspolitiker engagieren sich dort für einen Beitritt Russlands zur NATO. Ich teile auch diese Konsequenz nicht, aber der Artikel ist schon aufsehenerregend. Die Autoren greifen auf Altbundeskanzler Helmut Schmidt zurück und referieren seine Feststellung, "dass viele der heute handelnden Politiker nur geringe Geschichtskenntnisse haben", und fügen selbst hinzu, "dass es einen erschreckenden Kompetenzverlust für sicherheitspolitische und strategische Fragen gibt". Ihre Auffassung ist es, dass von Berlin "weder Meinungsführerschaft noch Impulse für die internationale Debatte" ausgehen. Und sie fragen sich und die Öffentlichkeit, ob "die Deutschen" - wer immer das auch sein mag - "nicht mehr fähig sind, zukunftsweisende Beiträge einzubringen". Wenn nicht Rühe, Naumann und die anderen Autoren ihren Artikel weit vor dem SPD-Antrag veröffentlicht hätten, so würde ich jetzt spotten, Sie müssten den SPD-Antrag gelesen haben. Spott allein reicht nicht aus. Ich will Ihnen meine Kritik an einem Punkt durchbuchstabieren. Der Antrag spricht zu Recht von einer strategischen Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland. Das ist auch meine Position. Er erklärt aber an keiner Stelle die Inhalte dieser strategischen Partnerschaft. Wenn die Vorstellung über diese vertiefte Zusammenarbeit eine Blackbox bleibt, wird sie politisch nicht greifen. Strategische Partnerschaft ist mehr und vor allem etwas anderes als die Strickjackenfreundschaft zwischen Kohl und Gorbatschow oder die hemdsärmelige Kooperation zwischen Schröder und Putin. Keine Frage, das persönliche Verhältnis zwischen Regierungspolitikern Russlands und Deutschlands ist wichtig. Es ersetzt aber keine Politik. Der heutige Außenminister Westerwelle benutzt zwar ebenfalls gern den Begriff "strategische Partnerschaft" - im Übrigen nicht nur für Russland -, aber er hat offensichtlich weder ein politisches noch emotionales Verhältnis zu diesem europäischen Land. Strategische Partnerschaft muss sich in dem empirischen Verständnis gründen, dass Deutschland im vergangenen Jahrhundert zweimal gegenüber Russland bzw. der Sowjetunion Kriege vom Zaune gebrochen hat, die in einer Menschheitskatastrophe endeten. Wer Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa will, wird das nur mit Russland und nicht gegen Russland erreichen können. Von daher hätte ich mir gewünscht, dass die Vorschläge des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew für ein neues System der Sicherheit in Europa positiver und diskussionsoffener aufgenommen worden wären. Der Vorschlag von Volker Rühe und Kollegen, dass sich die NATO für eine Mitgliedschaft Russlands öffnen solle, ist gleichbedeutend damit, dass die NATO sich grundlegend umwandelt. Das halte ich für wenig wahrscheinlich, aber ein Geflecht verschiedenster Verträge zwischen Russland und den NATO-Staaten in Europa könnte eine neue Art von Sicherheit mit sich bringen. Eine solche Sicherheitsarchitektur müsste auch im Interesse von Ländern wie der Ukraine, Belarus, Moldawien und den baltischen Staaten wie auch anderer liegen. Russland muss ein Interesse haben, gerade gegenüber kleineren Ländern in Osteuropa Furcht und Sorgen, die historisch begründet sind, abzubauen, und solche Länder wie die Ukraine oder auch Polen gewinnen mehr Sicherheit, wenn sie sich als Brücke, nicht als Grenze zu Russland verstehen könnten. Noch immer gilt: Es soll nicht zu einer neuen Blockbildung in Europa kommen, bzw. die Grenzen zwischen Russland und den EU-Staaten müssen durchlässig gemacht werden. Das EU-Europa oder meinethalben die euroatlantische Gemeinschaft braucht Russland aus vielen Gründen: Energiesicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle, Lösung solcher Konflikte wie der Nahostauseinandersetzung, die Beendigung des Krieges in Afghanistan, Verbesserung der Beziehungen zum Iran und vieles mehr. Solche Punkte inklusive des gegenseitigen wirtschaftlichen Interesses begründen eine strategische Partnerschaft und schaffen dafür einen denkbaren bzw. möglichen Rahmen. Wir begehen 2010 mehrere wichtige Jahrestage, die das deutsch-russische Verhältnis berühren, und zwar - und das zu allervorderst - den 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Der Sieg der Anti-Hitler-Koalition über den deutschen Faschismus und der Beitrag der Sowjetunion dafür bleiben ein historisches Verdienst. Wir begehen den 35. Jahrestag der Konferenz von Helsinki. Die dort gefundene Sicherheitsarchitektur gäbe auch für das Heute viele Denk- und Handlungsanstöße. Weiterhin haben wir es mit dem 20. Jahrestag der deutschen Einheit zu tun, und es wird niemand bestreiten können, dass auch die deutsche Einheit ohne Russland nicht zustande gekommen wäre. Diese Jahrestage sollten Denkanstoß für die Ausgestaltung des deutsch-russischen Verhältnisses sein. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Russland steht vor der Notwendigkeit einer ebenso tiefgreifenden wie dringenden Modernisierung. Diese kann nicht nur die Wirtschaft, ihre Struktur und ihre Mechanismen betreffen. Sie muss die ganze Gesellschaft, darunter Justiz, Armee, Sicherheitsapparate, Parteien- und Medienlandschaft, erfassen. Scheitert sie, drohen dramatische Folgen von wirtschaftlicher Lethargie über politischen Extremismus bis hin zum staatlichen Zerfall. Das Problem ist nicht neu. Schon vor 100 Jahren stand das Zarenreich vor einer ähnlichen Situation, als das Land, zusätzlich geschwächt vom Wüten des Ersten Weltkriegs, weder wirtschaftlich noch politisch den Weg aus dem Feudalstaat hin zu einer modernen Industriegesellschaft fand. Schließlich kam es zum Stalinismus als einer Methode der nachholenden Modernisierung, die ausschließlich durch den Staat und mit brutalen Mitteln betrieben wurde. Der Preis, den das russische und alle anderen Völker der Sowjetunion für die Herrschaft einer terroristischen Modernisierungsdiktatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlen mussten, war extrem. Zwar wurde die Sowjetunion mit dem Sieg über den Nationalsozialismus zur Weltmacht. Aber diese Macht stand auf tönernen Füßen und brach schließlich wirtschaftlich zusammen. Das politische System war nicht nur dem Industrialismus, es war dem Leben nicht gewachsen. Die offensichtlichen Defizite der heutigen, schon nicht mehr sozialistischen russischen Wirtschaft sind allgemein bekannt und auch in der russischen Führung anerkannt. Doch wieder stellt sich die Frage nach dem Weg der Modernisierung und ihrem Ziel. Nach den Jahren der Jelzin'schen Reformexperimente, die zu massiven sozialen Verwerfungen und einer breiten Verunsicherung in Russland geführt hatten, wurde Putins Konzept der starken Hand fast einhellig begrüßt. Sein Ziel, der Aufbau eines in den Worten der Welt vom 24. März "autoritären Machtsystems slawophiler Prägung mit marktwirtschaftlichen Elementen" war durchaus populär. Was dabei ins Hintertreffen geriet, waren die enormen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen, die eine gelingende Wandlung zu einem global wettbewerbsfähigen Gemeinwesen begleiten müssen, soll es diese Wandlung erfolgreich vollziehen. Inzwischen sind die Mängel im politischen System Russlands nicht nur erkennbar zu einem Hindernis der wirtschaftlichen Modernisierung geworden. Sie sind auch im Alltag derart spürbar, dass immer weniger Betroffene sie klaglos hinnehmen und niemand sie mehr übersehen kann. Wenn - um nur ein Beispiel zu nennen - der Innenminister der Bevölkerung öffentlich ein Selbstverteidigungsrecht gegen die brutalen und kriminellen Übergriffe der Polizei einräumt, ist dies kaum anders denn als Kapitulation des Rechts vor der Willkür zu bezeichnen. Aber nicht nur im Bereich der Polizei ist das staatliche Gewaltmonopol moderner Staaten pervertiert. Ähnliches gilt für den Strafvollzug, für die Armee, abgewandelt, nämlich in Form flächendeckender Korruption, für die Verwaltungsbürokratie. Und natürlich gilt es auch für die Justiz und den größten Teil der Medien. In keinem dieser Bereiche herrschen transparente Regeln, herrscht Rechtssicherheit. Einzige, wenn auch nicht immer gleichermaßen anwendbare Regel ist die Herrschaft des Staates und seiner Vertreter. Ein moderner Staat, der qua Mitgliedschaft im Europarat den Anspruch erhebt, europäischen Werten zu entsprechen, und der weltweit respektiert werden will, kann so nicht funktionieren. Russlands Anspruch an sich selbst droht durch seine innere Verfasstheit erstickt zu werden. Präsident Medwedjew scheint dies erkannt zu haben, und mit ihm immer mehr Menschen in Russland. Das Unbehagen an der autoritären Herrschaft Putins und seiner Umgebung nimmt erkennbar zu, die Opposition, fast schon verstummt, wird wieder lauter. Einer der Ersten außerhalb der demokratischen Opposition, die dem Widerstand gegen das erstarrte und anachronistische System des autoritären Staates eine Stimme gaben, war Michail Chodorkowskij. Mit seiner wirtschaftlichen Macht unterschied er sich von den mutigen Menschenrechtlern und Journalistinnen, die immer für demokratische Werte eingetreten waren. Er drohte zur ernsthaften Gefahr für Putins System zu werden. Deshalb wurde sein Konzern zerschlagen, und deshalb wird ihm jetzt schon der zweite Prozess gemacht. Diese Jusitizfarce, nach allem Anschein gespeist von irrationalem Rache-drang seiner Gegner in der russischen Führung, ist zum Symbol für die Willkür und Repression in Russland geworden. Chodorkowskij vertritt zugleich eine umfassende Modernisierung, deren Behinderung in Russland eine jahrhundertealte Geschichte hat. Paradoxerweise hat gerade der Umgang des Staates mit ihm Chodorkowskijs Bedeutung gestärkt. Sollte er ein weiteres Mal verurteilt werden, wäre das ein Zeichen andauernden Rückschritts in Russland. Ihn freizusprechen, würde einen Sieg der Modernisierer bedeuten. Der Ausgang des Falls Chodorkowskij kann nach Einschätzung der international bekannten und anerkannten Veteranin der russischen Opposition Ludmilla Alexejewa die russische Geschichte verändern. Deutschland und die EU brauchen ein modernes Russland als Partner, ein modernes Russland braucht uns. Das ist der Sinn der angestrebten Modernisierungspartnerschaft. Deshalb sind wir für jede Form der Zusammenarbeit, die uns gemeinsam diesem Ziel näherbringt. Dazu aber gehört eine klare Analyse der Hindernisse auf diesem Weg. Und dazu gehören klare Worte unter Partnern, die diese Hindernisse benennen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Europäische Tierversuchsrichtlinie muss ethischem Tierschutz Rechnung tragen - Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Grundgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dieter Stier (CDU/CSU): In den vergangenen Tagen sind Tausende von Mails mit der Forderung einer Nachbesserung des derzeit vorliegenden Entwurfs einer EU-Tierversuchsrichtlinie in meinem Abgeordnetenbüro eingegangen. Da alle diese Schreiben den gleichen Wortlaut haben und zeitweise exakt im Minutentakt eingingen, drängt sich mir der Eindruck auf, hier werde ganz gezielt und zentral gesteuert Panikmache betrieben. Derartige Massenmails sind nicht hilfreich, weder bei der parlamentarischen Willensbildung, noch dienen sie dem Wohl von Tieren, geschweige denn dem Verbraucher und schon gar nicht dem Forschungsstandort Deutschland. Ich denke, wir sollten uns rational mit diesem Thema auseinandersetzen und nicht die Menschen in Deutschland und Europa auf eine derart polemische Art und Weise aufwiegeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, Ihre Kritik richtet sich gegen den jetzt vorliegenden Entwurf der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. Bevor ich im Einzelnen auf die Kritikpunkte Ihres heute vorliegenden Antrages an der EU-Tierschutzrichtlinie eingehe, möchte ich einen ganz zentralen Punkt hervorheben, der mir sehr am Herzen liegt. Deutschland war bisher eines der EU-Länder mit den höchsten Tierschutzstandards innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und wird es auch in Zukunft bleiben. Unbestritten ist die dringende Notwendigkeit einer Harmonisierung der EU-Tierschutzstandards. Die derzeit geltende Richtlinie aus dem Jahre 1986 muss dringend novelliert werden, weil sich im Lauf der vergangenen zwei Jahrzehnte sehr unterschiedliche Tierschutzniveaus in den einzelnen EU-Mitgliedsländern herauskristallisiert haben. Verschiedene Kulturkreise und Traditionen definieren darüber hinaus auch den Tierschutz unterschiedlich. Erfreulicherweise kommen wir insbesondere im Tierschutz zu immer mehr Gemeinsamkeiten unter den Ländern. Somit ist es uns nun möglich, europaweit ein vergleichsweise höheres Schutzniveau für Versuchstiere herbeizuführen. Das ist eine positive Entwicklung, und die sich daraus ergebende Chance gilt es zu nutzen. Kurz gesagt: Wir haben jetzt die Gelegenheit in Europa ein insgesamt höheres Schutzniveau zu erreichen, welches auf der Grundlage von freiwilligen einzelstaatlichen Regelungen und auf der Grundlage der derzeit noch bestehenden Richtlinie nicht zu erzielen ist. Der kleinste gemeinsame Nenner in Sachen Tierschutz könnte auf ein höheres Niveau gehoben werden. Das wäre ein wichtiges Etappenziel hin zu einem verbesserten Tierschutz in der EU. Der Weg dorthin war schwierig. Nach zähen, langwierigen und höchst kontrovers geführten Diskussionen zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten im Rat konnte man sich im Dezember 2009 endlich auf einen Kompromissvorschlag einigen. Dieser derzeit feststehende Kompromiss hat mühsam eine qualifizierte Mehrheit sowohl im Rat als auch im Parlament gefunden. Diese Kompromisslösung ist jedoch derart fragil, dass eine minimale Änderung sehr schnell zu einer Auflösung der Mehrheitsverhältnisse führen und eine Gesamteinigung auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben würde. Der jetzt vorliegende neue Richtlinienentwurf geht insgesamt gesehen über die Mindestanforderungen der derzeit gültigen Rechtslage hinaus. Im heute zur Beratung vorliegenden Antrag fordern Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung einer Ethik-Kommission, die Genehmigungsprozesse von Projekten begleiten und dahin gehend prüfen soll, ob Forschungsprojekte unerlässlich und ethisch vertretbar sind. Die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hat sich gegen eine solche Ethik-Kommission ausgesprochen. In Art. 26 der Richtlinie wird stattdessen die Einrichtung eines Tierschutzgremiums festgeschrieben, welches das Personal zu allen Fragen des Tierschutzes berät. Positiv zu bewerten ist, dass der Kompromisstext in einigen Regelungen über das derzeit im Tierschutzgesetz festgelegte Schutzniveau von Versuchstieren hinausgeht. Strengere Einschränkungen gelten bei der Verwendung gefährdeter Arten und von Primaten sowie beim grundsätzlichen Verbot von Versuchen mit länger andauernden schweren Schmerzen. Leider konnte sich Deutschland in den Verhandlungen nicht mit dem Vorschlag durchsetzen, dass Mitgliedstaaten in Zukunft auch freiwillig national strengere Vorschriften durchsetzen können. Dies kollidiert mit der Zielvorgabe einer EU-weiten Harmonisierung. Politik bedeutet eben auch das Akzeptieren von Kompromissen, wenn sie einem gemeinsamen europäischen Ziel dienen. Ich gebe zu bedenken: Wenn man die Messlatte in Europa zu hoch hängt, das heißt, die Anforderungen an einige EU-Länder praktisch unerreichbar hoch sind, dann wird die Forschung an Tieren in Drittländer, beispielsweise nach China, abwandern. Damit ist weder den Tieren noch den in der Forschung beschäftigten Menschen gedient. Insbesondere in Sachen Tierschutz müssen wir über die Parteigrenzen hinweg an einem Strang ziehen. Es bringt uns in der Sache nicht weiter, wenn wir uns in ideologische Grabenkämpfe verstricken. Auch wenn Bündnis 90/Die Grünen sich gerne als die alleinigen Fürsprecher der Tiere sehen, möchte ich darauf verweisen, dass gerade die CDU/CSU-geführte Bundesregierung den Tierschutz an oberster Stelle sieht. Die folgenden Beispiele zeugen von einer erfolgreichen und nachhaltigen Tierschutzpolitik. Mit der klaren Entscheidung, den Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen, haben wir Parlamentarier eine ganz klare Position für den Schutz der Tiere bezogen. Tierschutz in Deutschland ist zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema geworden. Ich denke, es ist uns allen ein Anliegen, den Tierschutz voranzubringen. Auch wenn auf EU-Ebene nicht immer deutsche Maximalforderungen durchzusetzen sind und Kompromisse in Kauf genommen werden müssen, so kommen wir doch Schritt für Schritt weiter. Deutschland hat wichtige Positionen im Tierschutz, zum Teil auch gegen den Widerstand anderer Mitgliedstaaten, einbringen können. Diesen Erfolg verdanken wir dem Verhandlungsgeschick der Parlamentarier in Brüssel. Sollte Deutschland dem jetzt vorliegenden Kompromissvorschlag nicht zustimmen, würde dies bei den anderen EU-Staaten auf völliges Unverständnis stoßen und Deutschland in der Frage des Tierschutzes isolieren. Deutschland hat in der Vergangenheit bereits erheblich dazu beigetragen, dass auch auf europäischer Ebene der Schutz von Tieren und die Forschung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Es müssen tierethische und wirtschaftliche Belange in Einklang gebracht werden. Deutschland hat sich im Bereich Tierschutz auf EU-Ebene für international gültige Mindeststandards eingesetzt, wie zum Beispiel bei der Richtlinie zur Haltung von Masthühnern. Wir haben uns für eine einheitliche europäische Tierschutzkennzeichnung stark gemacht. Ein weiteres positives Beispiel für eine europäische Lösung ist das Einfuhrverbot von Hunde- und Katzenfellen. Die Bekämpfung illegaler Fischerei ist ebenfalls ein zentrales Anliegen Deutschlands. Warum sollte man Schutzquoten aushandeln, wenn diese dann letztlich doch nicht bindend sind und unterlaufen werden? Hier bedarf es einer weiteren Kraftanstrengung aller EU-Staaten, dass diese Praktiken endlich beendet werden. Diese Beispiele zeigen, wie wichtig die enge Zusammenarbeit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten ist. Tierschutz ist aber auch eine globale Aufgabe geworden, und Deutschland nimmt seine Verantwortung für Tiere weltweit sehr ernst. Die unionsgeführte Bundesregierung hat beispielsweise in der vergangenen Wahlperiode den globalen Schutz der Walbestände durch das Verbot des kommerziellen Walfangs durchgesetzt. Wir stehen hier vor der schwierigen Aufgabe, Forschung und Tierschutz miteinander in Einklang zu bringen. Derzeit sind wir leider noch auf tierexperimentelle Forschung angewiesen, um Fortschritte in der Medizin erzielen zu können. Millionen Menschen verdanken ihr Leben und ihre Gesundheit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die durch Tierversuche gewonnen wurden. Dies müssen wir uns auch vor Augen halten, wenn wir über Tierversuche debattieren. Krankheiten treten übrigens auch parteiübergreifend auf und verschonen nicht die eine oder andere Couleur. Eines möchte ich deutlich herausstellen: Als Fernziel in der Zukunft streben wir die weitestgehende Abschaffung von Tierversuchen an. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir verstärkt die Förderung und Weiterentwicklung von alternativen Versuchsmethoden voranbringen. Dazu ist beispielsweise biologische Forschung an Modellorganismen denkbar, um Grundlagenerkenntnisse zu gewinnen. Denkbar ist auch die Entwicklung von Impfstoffen aus pflanzlicher Produktion. Die Zahl der Tierversuche muss so gering wie möglich gehalten werden. Die Union setzt auf möglichst artgerechte Haltung in Bezug auf Zucht, Unterbringung und Pflege sowie auf einen sensiblen Umgang mit Versuchstieren. Damit sollen Leiden und Ängste der Tiere vermieden werden bzw. auf ein Minimum reduziert werden. Das ist nicht nur unter ethischen Gesichtspunkten zwingend notwendig, sondern auch eine wichtige Grundvoraussetzung für die Qualität tierexperimenteller Forschung. Hervorragende Forschungsergebnisse insbesondere in der Humanmedizin zeigen uns Menschen Wege auf, um mit neuen wirksamen Medikamenten zur Bekämpfung von Krankheiten wie Tumorerkrankungen oder Parkinson menschliches Leid zu verhindern. Ebenso dienen beispielsweise Forschungen im Bereich Gewebezucht einer verbesserten medizinischen Versorgung. Fazit: Ich plädiere für eine Ablehnung des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen, damit die Verabschiedung der neuen EU-Tierschutzrichtlinie in ihrer Gesamtheit nicht gefährdet wird. Wir brauchen dringend die neue EU-Tierversuchsrichtlinie, weil damit deutliche Verbesserungen für den Schutz von Versuchstieren in der EU erzielt werden. Wir erreichen so ein höheres Schutzniveau, als wenn wir uns auf einzelstaatliche Lösungen verlassen. Lassen Sie mich noch einen Blick in die Zukunft werfen. Tierschutz ist ein Bereich mit großer Dynamik. Solange wir noch nicht am Ziel sind, bleibt Tierschutz für uns alle eine Daueraufgabe. Die christlich-liberale Koalition wird sich auch in Zukunft der Herausforderung stellen, eine ethisch vertretbare Balance von Forschung und Tierschutz zu finden. Dazu wünsche ich mir Ihre Unterstützung. Heinz Paula (SPD): Wir beraten heute über den Kompromissvorschlag zur Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zum Schutz der für Versuchszwecke verwendeten Tiere. Er beruht auf einem Vorschlag der EU-Kommission vom Dezember letzten Jahres. Ungeachtet dessen, dass dieser Kompromisstext von EU-Kommission und EU-Parlament bereits abgenickt wurde, verdient er aus Sicht eines Tierschützers - und ich spreche heute in meiner Funktion als Tierschutzbeauftragter meiner Fraktion - herbe Kritik. Legt man beide Vorschläge nebeneinander, merkt man deutlich, dass die in Brüssel und Straßburg so zahlreich vertretenen Lobbyisten ihre Hände im Spiel hatten. Zu viele Stellen des ursprünglichen Vorschlages wurden sehr deutlich zuungunsten des Tierschutzes verändert. Nicht hinnehmbare Punkte sind für mich unter anderem: Die Regelung in Art. 2 a des Kompromissvorschlages, wonach die Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der Richtlinie keine strengeren Maßnahmen mehr erlassen können als die in der Richtlinie vorgesehenen, kann ich nicht billigen. Das ist anachronistisch. Es darf den Mitgliedstaaten nicht untersagt werden, den Tierschutz im eigenen Lande weiterzuentwickeln. Diese Regelung blockiert jeglichen tierschutzrechtlichen und -politischen Fortschritt. So wird Deutschland seiner Vorreiterrolle innerhalb der EU nicht gerecht. Diese Richtlinie soll Mindeststandards setzen und nicht, wie hier offenbar beabsichtigt, Höchststandards auf niedrigem Niveau. Daher plädiere ich eindringlich, Art. 7 der Entschließung des Europäischen Parlamentes noch in die Richtlinie aufzunehmen. Dieser lautet: "Durch diese Richtlinie werden die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, strengere Maßnahmen anzuwenden oder zu beschließen, die auf die Verbesserung des Wohlergehens und des Schutzes der zu Forschungszwecken verwendeten Tiere abzielen." Art. 2 a ist damit hinfällig und zu streichen. Eine ethische Bewertung von Tierversuchen ist im Rahmen der vorgeschriebenen Genehmigungsverfahren kaum mehr vorgesehen. An zahlreichen Stellen wurde das Wörtchen "ethisch" aus dem Text gestrichen. Mit großer Wirkung! Aus der Voraussetzung einer "positiven ethischen Bewertung" für die Erteilung einer Genehmigung in Art. 35 des ersten KOM-Entwurfs wird ein "positives Ergebnis der Projektbeurteilung" im Kompromissvorschlag. Nach welchen Kriterien diese Projektbeurteilung stattfinden soll, bleibt mit dieser Formulierung fraglich. Dabei ist eine Betrachtung der moralischen und ethischen Aspekte beim Tierschutz dringend geboten. Die Menschen sind sensibilisiert für tierschutzrelevante Themen. In der Öffentlichkeit erlangt das Wohlergehen der Tiere einen immer höheren Stellenwert. Dies beweisen auch die weit über 5 000 E-Mails, die uns in der vergangenen Woche erreichten. Die Verfasser der E-Mails bitten uns, die Verschlechterungen in dem Kompromisstext nicht hinzunehmen. Erst gestern nahm ich ebenso viele Unterschriften entgegen. Eine Aktion besorgter Bürgerinnen und Bürger, die sich über die Zukunft des Tierschutzes in Deutschland und Europa Gedanken machen. Ich danke ihnen für ihr Engagement. Ich verweise hier auch auf § 7 unseres Tierschutzgesetzes, der da lautet: "Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, soweit sie zu einem der folgenden Zwecke unerlässlich sind ..." und - so Abs. 3 - " ... wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind". Dies sollte unserer Bundesregierung Maßstab und Maxime sein, auch bei den Verhandlungen auf EU-Ebene. Hier frage ich mich, warum die Bundesregierung nicht längst die Initiative ergriffen und entsprechende Veränderungen zum besseren Schutz der Tiere angestrebt hat. Wo war bei den Verhandlungen zur Tierversuchsrichtlinie unsere Bundesministerin Frau Aigner? Kleine Textkorrekturen bei dem ursprünglichen Gesetzestext führen auch zu weiteren erstaunlichen Ergebnissen. Ursprünglich war eine Verpflichtung zur Verwendung von Alternativmethoden vorgesehen, sofern diese vorhanden und validiert sind. Diese Verpflichtung wird in dem Kompromissvorschlag alleine durch den Zusatz "wo immer dies möglich ist" ausgehebelt. Ich frage mich, wer entscheidet, ob die Verwendung von Alternativmethoden möglich ist. Die Unterbringung und Pflege von Tieren ist ein weiterer Punkt, der korrigiert werden muss. Seit 2006 existieren Maßstäbe und Bestimmungen für die Unterbringung und die Pflege von Versuchstieren. Diese hat das EU-Versuchstierabkommen damals so festgelegt. Warum sollen wir nun bis 2017 warten, bis diese auch umgesetzt werden dürfen? Der erste Kommissionsentwurf sah hier noch überwiegend eine Frist bis Januar 2012 vor. Es gibt für mich keinen ersichtlichen Grund, warum von diesem Datum abgewichen werden sollte. Und schließlich der wohl strittigste Punkt, der Einsatz von nichtmenschlichen Primaten bei Tierversuchen. Ein heikles Thema, das weiß ich. Manche Versuche können nur an nichtmenschlichen Primaten durchgeführt werden, da sie uns Menschen in ihrer Lebensfunktion am ähnlichsten sind. So können lebensbedrohliche Krankheiten beim Menschen verhindert oder gelindert werden. Auf der anderen Seite sind es auch die Tiere, die nachweislich unserem Empfinden am nächsten kommen. Es ist davon auszugehen, dass sie ähnlich wie wir Schmerz und Leiden empfinden. Daher müssen die Versuche mit diesen Tieren auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt werden. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission sah genau eine solche Beschränkung vor. Der Kompromissvorschlag findet eine Regelung, die einen sehr großen Interpretationsspielraum für eine Genehmigung von Ausnahmefällen für Versuche an nichtmenschlichen Primaten zulässt. So heißt es dort in Art. 8 Abs. 1 b: "Als zur Invalidität führender klinischer Zustand für den Zweck dieses Artikels gilt die Beeinträchtigung der normalen physischen oder psychologischen Funktionsfähigkeit des Menschen." Dies lässt zu viele Spielräume zu. Nahezu jeder von uns ist in irgendeiner Weise - zumindest zeitweise - in seiner physischen Funktionsfähigkeit eingeschränkt. In vielen Ländern innerhalb der europäischen Union existieren nach wie vor Tierschutzstandards, die auf der alten EU-Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere von 1986 basieren. Diese liegen weit unter den deutschen Standards und auch weit unter den in dem uns nun vorliegenden Kompromissvorschlag festgeschriebenen Standards. Das heißt, der Tierschutzstandard würde durch den vorliegenden Entwurf in diesen Ländern verbessert. Sie, sehr verehrte Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, fordern die Bundesregierung nun auf, dem vorliegenden Richtlinienentwurf nur zuzustimmen, wenn sie Ihre Forderungen für einen verbesserten und umfassenden Tierschutz auf EU-Ebene durchsetzen können. Sie stellen mit dieser Forderung das gesamte Projekt, eine - wenn auch nicht ausreichende - Verbesserung einer einheitlichen Regelung zum Schutze der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere infrage. Der vorliegende Richtlinienentwurf geht immerhin weiter und hebt die derzeit geltenden und damit EU-weit gültigen Tierschutzstandards für einige Mitgliedstaaten erheblich an. Deshalb hat sich die SPD-Fraktion in der gestrigen Ausschusssitzung mehrheitlich enthalten. Verehrte Bundesministerin Aigner, ich habe noch nie so viele Zuschriften erhalten wie zu dem Thema, das wir heute hier behandeln. Ich verlange von der Bundesregierung, dass sie sich für eine Überarbeitung der EU-Richtlinie im Sinne eines umfassenden Tierschutzes starkmacht. Die Bundesregierung will laut eigener Aussage den europäischen Tierschutz an die deutschen Tierschutzstandards angleichen. In Deutschland ist Tierschutz Staatsziel. Ich bitte Sie, Frau Bundesministerin Aigner, lösen Sie Ihr Versprechen ein und setzen Sie alles daran, diesen Kompromissvorschlag in Brüssel noch einmal inhaltlich zu überarbeiten. Machen Sie ihren Einfluss geltend! Ich werde Ihr weiteres Vorgehen in dieser Angelegenheit und auch in anderen Angelegenheiten des Tierschutzes genau beobachten, und ich werde nicht aufhören, auf einen umfassenden Tierschutz in Deutschland und auf EU-Ebene zu pochen. Sie werden weiter von mir hören! Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Der Antrag der Grünen trägt die Überschrift: "Europäische Tierversuchsrichtlinie muss ethischem Tierschutz Rechnung tragen". Genau das ist das Ziel der Überarbeitung der gegenwärtig geltenden Tierversuchsrichtlinie. Sie stammt aus dem Jahr 1986. Der wissenschaftliche Fortschritt in den vergangenen mehr als 20 Jahren macht eine neue Bewertung der Notwendigkeit und des Ablaufs von Tierversuchen dringend erforderlich. Der gegenwärtig diskutierte Vorschlag für eine "Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere" erfüllt die in der Überschrift des Antrags der Grünen formulierte Anforderung. Die Wahrung und der Schutz des Lebens ist der Grundgedanke unserer Zivilisation. Zum Schutz von Mensch und Umwelt wurde im Jahr 2002 auf Initiative der FDP-Bundestagsfraktion der Schutz der Tiere als Staatsziel in Art. 20 a in das Grundgesetz aufgenommen. Diesem Anliegen fühlen wir Liberale uns verpflichtet. Die derzeitige Richtlinie entspricht nicht heutigen wissenschaftlichen Standards und genügt nicht unseren ethischen Vorstellungen. Sie muss deshalb novelliert werden. Einige Länder haben im nationalen Recht wesentlich strengere Standards zur Haltung von Versuchstieren und zur Genehmigung und Durchführung von Tierexperimenten eingeführt. Das deutsche Tierschutzrecht beispielsweise zählt zu den strengsten in Europa. In einigen Bereichen geht die neue Richtlinie gleichwohl über die in Deutschland im Tierschutzrecht formulierten Standards hinaus. Beispielsweise schließt sie die Föten von Säugetieren in ihren Geltungsbereich ein. Es ist das erklärte Ziel der neuen Richtlinie, ein vergleichbares Niveau für die gesamte Europäische Union festzuschreiben. Die neue Richtlinie etabliert Standards, die an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich Schmerzempfinden, Stressfaktoren und artgerechten Haltungsbedingungen orientiert sind. Es wird die in Deutschland bereits angewendete, unabhängige ethische Bewertung europaweit eingeführt. Dies stellt grundsätzlich eine Verbesserung des Tierschutzes in Europa dar. Es steht außer Frage, dass die Genehmigung und Durchführung von Tierversuchen nur nach strengen wissenschaftlichen und ethischen Regeln erfolgen darf. Insgesamt ist die neue Richtlinie geeignet, um deutlich höhere Tierschutzstandards als bisher in der gesamten EU umzusetzen. Im Sinne einer modernen Tierschutzpolitik ist insbesondere die Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden für Tierversuche geeignet, Tierversuche überflüssig zu machen. Im Bereich des Testens von Kosmetikprodukten ist dies weitgehend gelungen. Wir wollen, dass kein Tier unnötig Tests oder Untersuchungen ausgesetzt wird. Gleichwohl müssen wir feststellen, dass die Zahl der Tierversuche noch immer steigt, obwohl Alternativmethoden in bestimmten Bereichen Tierversuche ersetzt haben. Im Jahr 2008 ist die Anzahl der für Tierversuche und weitere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere um 3,2 Prozent gestiegen. Der Hauptteil der Tiere wurde zur Erforschung von Erkrankungen des Menschen und der Tiere eingesetzt. Ein steigender Anteil wurde für gesetzlich vorgeschriebene Versuche bei der Herstellung oder Qualitätskontrolle von human- oder veterinärmedizinischen Produkten benötigt. Die FDP sieht in der Entwicklung von Alternativmethoden eine wichtige Möglichkeit, Tierversuche zu vermeiden, und begrüßt daher ausdrücklich die in der Richtlinie verankerte verstärkte Förderung der Entwicklung von Alternativ- und Ergänzungsmethoden. Deutschland nimmt bei der Erforschung von Alternativmethoden zum Tierversuch eine führende Rolle ein. Die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, ZEBET, leistet hervorragende Arbeit. Diese positive Arbeit der ZEBET muss weiter genutzt werden und sollte europaweit als Vorbild dienen. Eine vielversprechende Möglichkeit, die Anzahl von Versuchstieren stark zu reduzieren, bietet die Produktion von Impfstoffen mithilfe von gentechnisch veränderten Pflanzen. Viele Impfstoffe können bisher nur in lebenden Tieren oder durch das Bebrüten von Hühnereiern hergestellt werden. Die gegenwärtigen Forschungsarbeiten zur Produktion von Impfstoffen in transgenen Pflanzen sind sehr ermutigend. Beispielhaft sei die Entwicklung von transgenen Erbsen zur Herstellung eines Impfstoffes gegen eine hochansteckende und tödliche Kaninchenkrankheit genannt. Derzeit kann der Impfstoff nur in lebenden Kaninchen produziert werden. Die neue Methode ermöglicht es, dass kein Kaninchen mehr für die Produktion von Impfstoffen gegen diese Krankheit leiden muss. Es gibt Gebiete der medizinischen Forschung, in denen auf absehbare Zeit der Verzicht auf Tierversuche nicht möglich ist. Immer wenn Funktionen des gesamten Organismus erforscht werden sollen, ist das Ausweichen auf Ersatzmethoden zumeist nicht möglich. Vor der Durchführung klinischer Studien am Menschen im Rahmen der biomedizinischen Grundlagenforschung und der experimentellen Pharmakologie sind Tierversuche ebenfalls erforderlich, für die es zurzeit noch keine alternativen Testverfahren gibt. Zur Erforschung von schwerwiegenden menschlichen Leiden wie Multiple Sklerose, Alzheimer, Parkinson oder von Tumorerkrankungen und zur Entwicklung von Arzneimitteln zur Bekämpfung dieser Krankheiten sind Experimente mit Versuchstieren häufig die einzige Möglichkeit, um das erforderliche Wissen zu gewinnen. Auch die Erforschung von chronischen Erkrankungen macht Tierversuche sowie die Eta-blierung geeigneter Tiermodelle erforderlich. Es ist im Interesse des Tierschutzes geboten, die Zahl der Tierversuche so gering wie möglich zu halten. Dies hat gleichzeitig auch wirtschaftliche Vorteile. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Vorgaben der Richtlinie hinreichend bestimmt sind, sodass in der gesamten Europäischen Union einheitlich hohe Schutzstandards bei Tierversuchen gelten. In diesem Sinne unterstützt die FDP auch ausdrücklich die konsequente Anwendung des vorgeschlagenen sogenannten 3R-Prinzip, Replacement, Reduction and Refinement, das heißt die Vermeidung, Verbesserung und Verminderung der Verwendung von Versuchstieren. Aus Sicht der FDP definiert die neue Tierversuchsrichtlinie die Rahmenbedingungen einer ethisch begründeten und wissenschaftlich orientierten Zulassung von Tierversuchen. Das neue Gesetz wird auf europäischer Ebene zu einer deutlichen Verbesserung des Tierschutzes führen und dabei bereits bestehende höhere Einzelstandards nicht verwässern. Zudem soll die neue Regelung im Gegensatz zur alten Richtlinie einer regelmäßigen wissenschaftlichen Evaluierung unterliegen. Dadurch ist gewährleistet, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeitnah für den Schutz der Tiere genutzt werden. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Die erste europäische Tierschutzrichtlinie sollte überarbeitet werden, und dies ist auch nötig; denn sie stammt aus dem Jahr 1986. Ein Entwurf dazu lag im November 2008 vor. Kommission, Rat und Europäisches Parlament haben diesen Entwurf allerdings in den letzten Monaten massiv verschlechtert. Es ist daher völlig richtig, zu fordern, den jetzt vorliegenden Entwurf erneut zu überarbeiten und all das wieder aufzunehmen, was den ursprünglichen Entwurf auszeichnete. Was nun vorliegt, das brauchen wir nicht, eine Richtlinie, die dem Tierschutz aus heutiger Sicht nicht genügt, die haben wir bereits. Sie ist fast 25 Jahre alt. Unverzichtbar im Sinne eines europäischen Tierschutzes, der diesen Namen verdient hat, und so stand es ursprünglich auch drin, ist die Beteiligung einer Ethik-Kommission an Projektbewilligungen von Tierversuchen. Für die Linke muss der Verbrauch von Tieren für Tierversuche - und es handelt sich hier um das Verbrauchen im wahrsten Sinne des Wortes - sowohl wissenschaftlich gut begründet als auch auf das unbedingt nötige Maß reduziert werden. Generell sind Tierversuche nach ihrer ethischen Vertretbarkeit zu beurteilen. Dabei geht es nicht nur immer um die Beurteilung des Versuchs an sich. Auch die Haltung und notwendige Konditionierung von Versuchstieren muss in die Beurteilung nach ethischen Gesichtspunkten einbezogen werden. Unverzichtbar sind einheitliche Standards zu Qualifizierung des Personals, welches Tierversuche durchführen darf, und die Beschleunigung von Verfahren zur Anerkennung von Alternativen zu Tierversuchen. Die Entwicklung von Alternativmethoden darf nicht behindert werden. Das und weitere Forderungen, die ich in der Kürze der Zeit leider nicht alle benennen kann, wären für uns effektive Maßnahmen, um Tierschutz zu gewährleisten. Doch es geht ja um noch viel Grundsätzlicheres bei dem, was alles nicht geht an diesem Richtlinienentwurf: Die eklatante Verletzung des Subsidiaritätsprinzips, das in Art. 5 des EU-Vertrages festgelegt ist, kann von uns in keiner Weise mitgetragen werden. Auf diese Weise soll ein dauerhaft niedriges Tierschutzniveau zementiert werden, das in den einzelnen Mitgliedstaaten dann auch in Zukunft nicht mehr angehoben werden kann. Das ist undemokratischer Zentralismus zum Nachteil der Tiere. Ich wundere mich doch sehr, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dass die Initiative, das Subsidiaritätsprinzip auszuhöhlen, ausgerechnet von Ihnen kommt. Die Gralshüter des Föderalismus und der christlichen Soziallehre sind offensichtlich auf den Hund gekommen. Aber vom Hund wollen Sie ja auch nichts wissen; denn Sie tragen damit die besseren Standards beim Tierschutz in Deutschland zu Grabe. Nach Art. 20 a des Grundgesetzes aber hat Tierschutz, hat die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen nichts Geringeres als Verfassungsrang. Das erfordert in Deutschland gegebenenfalls ein deutlich höheres Engagement als in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die dem Tierschutz diese hervorgehobene Stellung nicht eingeräumt haben. Doch nicht nur unser Grundgesetz, auch der Lissabon-Vertrag unterstreicht die Bedeutung des Tierschutzes in Europa. Vor diesem Hintergrund wirkt der jetzt vorliegende Entwurf umso unverständlicher. Haben Sie dem Lissabon-Vertrag zugestimmt? Hat dieses Hohe Haus den Tierschutz vor nunmehr kapp acht Jahren zum Staatsziel erhoben, um diesen Schritt nun per Gesetz auf EU-Ebene rückgängig zu machen? Einem solchen Verfassungsbruch werden wir nicht zustimmen. Daher wird meine Fraktion den Antrag der Grünen unterstützen. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der EU leiden jährlich rund zwölf Millionen Tiere in Tierversuchen, Tendenz steigend. Alleine in Deutschland wurden im Jahr 2008 2 692 890 Wirbeltiere zu Versuchszwecken verwendet. Um das Leiden der Tiere so weit wie möglich zu begrenzen, brauchen wir gute Regelungen, die dem ethischen Tierschutz Rechnung tragen. Aber genau das leistet die nun vorliegende EU-Tierversuchsrichtlinie nicht. Der jetzt vorliegende Entwurf der EU-Tierversuchsrichtlinie, der im Dezember 2009 von EU-Kommission, EU-Parlament und Ministerrat abschließend verhandelt wurde, hat erhebliche Mängel. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden wesentliche Punkte des ursprünglichen Richtlinienentwurfs gestrichen. Wir hatten es begrüßt, dass die EU-Kommission im November 2008 einen Entwurf zu einer neuen Tierversuchsrichtlinie vorlegte, um endlich bessere Tierschutzstandards bei Tierversuchen zu schaffen und die stark veraltete Richtlinie von 1986 zu ersetzen. Doch was jetzt vom Kommissionsentwurf übrig geblieben ist, kann und sollte unsere Zustimmung nicht finden. Besonders gravierend ist, dass es den EU-Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der Richtlinie verwehrt werden soll, über die Vorschriften der Richtlinie hinauszugehen und zukünftig höhere nationale Tierschutz-standards einzuführen. Dies besagt der neu in die Richtlinie eingefügte Art. 2 A. Diese Vorkehrung würde über bislang übliche und zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Funktionsweise des Binnenmarktes nötige Mindestharmonisierungen deutlich hinausgehen. Weitere Vorkehrungen und Beschränkungen, die einen umfassenden Schutz von Versuchstieren zum Ziel haben, könnten in Zukunft auf nationaler Ebene nicht mehr getroffen werden. Damit wären dem deutschen Parlament auf lange Zeit die Hände gebunden. Das ist inakzeptabel. Die Festlegung auf niedrigstem Niveau widerspricht nicht nur dem im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegten Staatsziel "Tierschutz", sondern auch in eklatanter Weise dem Subsidiaritätsprinzip. Leider wurde erst auf Druck von Bündnis 90/Die Grünen die EU-Tierversuchsrichtlinie im Bundestag diskutiert. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag "Europäische Tierversuchsrichtlinie muss ethischem Tierschutz Rechnung tragen" auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass der Richtlinienentwurf überarbeitet wird - im Sinne eines umfassenderen Schutzes der zu Versuchszwecken verwendeten Tiere als auch in Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip. Zumindest einige wesentliche Punkte müssen wieder in die Richtlinie aufgenommen werden. Dazu zählt die Wiederaufnahme einer ethischen Bewertung von Tierversuchen im Genehmigungsverfahren. Dies war eines der zentralen Ziele des Richtlinienentwurfs der EU-Kommission, wurde nun aber nahezu vollständig gestrichen. Doch die ethische Bewertung ist unverzichtbar, wenn man Tierschutz wirklich ernst nimmt und grausame, unnötige Tierversuche vermeiden will. Wir fordern, dass Versuche unter Beteiligung einer Ethik-Kommission darauf zu prüfen sind, ob sie unerlässlich und angesichts der zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind; der verpflichtende Einsatz von Alternativmethoden zu Tierversuchen, sobald diese zuverlässig zur Verfügung stehen; eine Beschleunigung des Verfahrens zur Anerkennung von Alternativmethoden unter Beibehaltung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei vorgeschriebenen Versuchen, um den Verzicht auf Versuche an Tieren nicht unnötig zu behindern; ein ausnahmsloses Verbot von Verfahren, die mit schweren, voraussichtlich länger anhaltenden Schmerzen, Leiden oder Ängsten der Tiere einhergehen; die Qualifizierung der Versuchsdurchführenden nach einheitlichen Maßstäben und dass von den Pflege- und Unterbringungsstandards in keinem Fall zulasten der Versuchstiere abgewichen werden darf. Außerdem darf es Deutschland auch nach Inkrafttreten der Richtlinie nicht verwehrt werden, bessere, über die Richtlinie hinausgehende höhere Tierschutzstandards einzuführen. Es ist absolut inakzeptabel, dass keine Verbesserungen des Tierschutzes auf nationalstaatlicher Ebene mehr möglich sein sollen. Eine Harmonisierung befürworten wir zwar, auch um den Tierschutzstandard in anderen EU-Ländern anzuheben. Ein Abweichungsrecht zum Besseren muss aber immer möglich sein. Der Bundestag darf einer solchen Selbstentmachtung nicht zustimmen. Durch die Richtlinie wird für lange Zeit festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Tierversuche in Europa durchgeführt werden dürfen. Das Wohlergehen bzw. das Leid von Millionen von Tieren ist also von dieser Richtlinie abhängig. Doch die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU/CSU und FDP lässt das kalt. Sie zeigen keinerlei Engagement für den Tierschutz. Vielmehr hat sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen sogar für Verschlechterungen eingesetzt und sich zum Beispiel für erleichterte Genehmigungen für Versuche an Menschenaffen und gegen ein Verbot von Versuchen mit schweren, lang anhaltenden Schmerzen ausgesprochen. Es ist enttäuschend, dass die SPD selbst in der Opposition nicht die Kraft findet, ihre Stimme für den Tierschutz zu erheben. Wir Grünen werden uns trotz der heutigen Ablehnung unseres Antrages weiterhin dafür einsetzen, dass die Rechte und der Schutz der Tiere nicht auf der Strecke bleiben. 1Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 2 Ergebnis Seite 3148 D 3 Anlage 8 4Anlage 9 5Anlage 10 6Anlage 11 7Anlage 12 8Anlage 13 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 3220 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 34. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. März 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 34. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. März 2010 3221 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 3262 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 34. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. März 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 34. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 25. März 2010 3257