Was treibt ihn nur, den 1939 geborenen Theologen und renommierten Soziologen, so gegen die Alten vom Leder zu ziehen? Ganze 16 Seiten am Schluss seines Buches verweisen auf Auswege aus einem offenbar entsetzlichen Zustand der deutschen Gesellschaft, der Alt und Jung gegeneinander hetzen wird. Das erscheint als knappe Wegweisung wenig verheißungsvoll im Vergleich zum ausgiebigen Vorwort und den sechs Kapiteln des Buches.
Sie tragen süffige Überschriften: "Gierige Greise - Wie das Leben zur Strecke gebracht wird" oder "Generation Florida - Die Alten und das Geld" oder "Entsorgungspark - Die Kunst des Sterbens und die Verwaltung des Todes". Aber die Reihung der Kapitel und ihr innerer Aufbau sind bei allen durchaus wissenswerten Fakten beliebig, weil der rasende Furor jeden Gedanken, jede Belegstelle, jedes Beispiel gleich fortreißt, um turbulent dem nächsten Gedanken, dem nächsten Beispiel Platz zu machen.
Alles kreist um die Frage, was folgt gesellschaftlich aus der Vergreisung unserer Gesellschaft und aus der Tatsache, dass die Verteilung der materiellen Güter die Alten gegenüber den Jungen bevorzugt. Wobei die Erstgenannten laut Gronemeyer mit ihrem Wohlstand nur Humbug treiben und einerseits von verantwortungslosen Geschäftemachern durch Konsum- und Gesundheitsterror um ihr Geld gebracht werden, andererseits in ihrer Lebensgier die Kassen der Solidargemeinschaft zu Lasten der Nachwachsenden plündern.
Niemand kann bestreiten, dass der Verteilungskon-flikt zwischen den Generationen sehr ernst zu neh-men ist, weil er sich mit jedem Jahr verschärft. Die Politik drückt sich nach wie vor um entscheidende Weichenstellungen. Niemand wird auch bestreiten, dass gerade bei der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung vieles im Argen liegt und schon seit rund 30 Jahren hätte reformiert werden müssen.
Aber Gronemeyer macht es sich hier mit der Analyse etwas leicht, indem er die wahren Ursachen für die Malaise gar nicht finden will: es ist doch wunderbar für die Hersteller von Pharmazeutika und Medizinprodukten und für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen, dass im System Monat für Monat Milliardensummen von den Versicherten eingehen, mit denen sie fröhlich wirtschaften können, weil weder Kassen noch pharmaunabhängige staatliche Stellen die Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis prüfen können und daraus Konsequenzen ziehen! Hier die betagteren Versicherten als die "Schuldigen" vorzuführen, grenzt an Irreführung. Was Lobbyismus vermag, hat der Parteienkompromiss zur so genannten Gesundheitsreform doch jüngst allen gezeigt.
Wirtschaftspolitische Zusammenhänge werden bei Gronemeyer analytisch kaum herangezogen. Der enor-me Einfluss der globalisierten Geldwirtschaft auf nationale politische Handlungsmöglichkeiten scheint ihn ebenfalls kaum zu interessieren. Er hat wohl auch selten Großeltern mit ihren Enkelkindern wahrgenommen, wo die Alten Zeit und vermutlich auch Geld für die Nachwachsenden aufwenden. Es wäre interessant zu erfahren, was Großmütter für die Familien ihrer Kinder auch heute noch leisten.
Man kann auch nichts lesen über den ehrenamtlichen Einsatz der Alten, ohne die heute Parteien und Vereine überhaupt nicht mehr existieren könnten. Auch von reichen Erben lesen wir nichts. Gronemey-er macht seine Thesen ausschließlich an Figuren fest, die in der Tat dem Jugend- und Gesundheitswahn und dem Konsumterror verfallen sind. Welchen Anteil an der Gesamtpopulation der Alten machen die aber aus?
Gronemeyer will also provozieren. Er will aufrüt-teln und politisches Handeln erzwingen. Er hat seit 1975 in Gießen einen Lehrstuhl für Bildungssoziologie inne. Mit dem Altern, mit dem Generationenkonflikt, mit Aids und mit Hospizen hat er sich in beachtlichen früheren Arbeiten mehrfach beschäftigt. Es scheint ihm wichtig zu sein, ganzheitliche Ansätze in der Betrachtung und Behandlung von Alter und Krankheit zu verfolgen, den ganzen Menschen und nicht seine "Bestandteile" oder seine Krankheiten in den Blick zu nehmen.
Aber er bleibt selbst in dieser typisch männlichen Sicht auf das Einzelphänomen befangen, wenn er beispielsweise die Hospizbewegung als weiblich und die Palliativmedizin als männlich einstuft. Das Individuum, den Menschen in seiner Ganzheit sehen zu lernen und nicht das zu kurierende Krankheitsbild, das sind die Gegensätze zwischen Hospiz und Palliativmedizin, nicht der Geschlechtergegensatz. Viel spricht dafür, dass der Autor den ganzen Text geschlechtsspezifisch hätte durchbuchstabieren sollen.
Seine Philippika erreicht also das Gegenteil ihrer Absicht. Man quält sich ungern durch den Text, der inhaltlich nicht von der Stelle kommt. Schon im Vorwort ist alles Wesentliche gesagt. Und die Schlusssätze bringen erneut ein Zitat. Was also treibt Reimer Gronemeyer um, es muss noch etwas anderes sein als die Sorge um die Zukunft unserer alternden Gesellschaft. Bloß was?
Reimer Gronemeyer
Kampf der Generationen.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/München 2004;
254 S., 17,90 Euro
Anke Martiny lebt nach unterschiedlicher Arbeit als Abgeordnete im Deutschen Bundestag, in der bayerischen Politik und als Berliner Senatorin jetzt im Ruhestand in Berlin.