An was denken Sie, wenn Sie über Türken auf dem Fußballplatz reden? Haben Sie einen staubigen Ascheplatz vor Augen, auf dem elf "Schwarzköpfe" gestikulierend durcheinander rennen? Oder erinnern Sie sich an den 2. August 2003 - damals, als Hamit Altintop das spektakuläre 2:0 gegen Dortmund schoss? Beides sind Bilder vom türkischen Fußball in Deutschland. Zum Beispiel die Kicker der FH Soccer in Bochum. Die Mannschaft spielt in der untersten Spielklasse, die es in Deutschland gibt. 15 Türken in der zweiten Hobbyliga.
Ali hat den Ball im Mittelkreis angenommen und rennt auf das Tor. Sein rotes Trikot flattert aus der Hose. Er schaut auf den Ball und versucht ins lange Eck zu schlenzen. Der Ball trudelt weit am Pfosten vorbei. "Spiel doch mal ab", brüllt ein Mitspieler und winkt enttäuscht ab. "Für uns ist vor allem Freundschaft beim Fußball wichtig", sagt Osman Batgün, der Trainer und Manager der Truppe, "weniger das Ergebnis." Die FH Soccer studieren an der Bochumer Fachhochschule, alle sind Türken, alle kommen aus Einwandererfamilien.
Der Publizist und Fußballforscher Uwe Wick erklärt, warum ausländische Kicker sich vor allem in "mono-ethnischen" Vereinen organisieren. "Da wird ein Stück Heimat und Lebensgefühl mitgenommen." Man hat die gleichen Probleme, versteht sich gut - ohne viel erklären zu müssen, sagt Wick. Obwohl das organisierte Balltreten die einzige Weltsportart sei, würde das Mannschaftsspiel doch das Beharren im eigenen Milieu fördern. "Um Integration in eine andere Gesellschaft geht es beim Fußball nur mittelbar", meint Wick, "dann, wenn man den Gegner auf dem Platz respektiert." Batgün von den FH Soccern sieht es ähnlich. "Was soll Integration schon sein? Muss ich Schweinefleisch essen und Bier trinken? Es geht darum, sich gegenseitig zu akzeptieren. Ich muss keine andere Kultur übernehmen."
Von Beginn an prägten Ausländer den deutschen Fußball. Jede neue Einwanderergeneration brachte ihre Kicker mit. Anfang der 20er-Jahre bildeten polnische Vereine eine eigene Liga. In den Schalker Siegermannschaften bis 1940 dribbelten mehr als 30 Spieler mit polnischem Hintergrund.
Die Karriere der Türken in der höchsten deutschen Spielklasse beginnt dagegen relativ spät mit Arkoc Özcan. Der türkische Nationalkeeper kam 1967 über eine Zwischenstation in Wien zum HSV und blieb dort bis 1975, später wurde er sogar für eine Saison Trainer bei den Hamburgern. Doch erst die Stürmer Erdal Keser und Ilyas Tüfekci konnten türkische Fans für die Bundesliga begeistern. Der aus Hagen stammende Keser lief zwischen 1980 und 1986 mehr als 100 mal für Borussia Dortmund auf. Tüfekci, sein Sturmpartner in der türkischen Nationalelf, spielte 1980 beim VfB Stuttgart und wechselte zwei Spielzeiten später zu Schalke 04. Die beiden Kicker wurden zum Idol einer türkischen Fußballgeneration. Jugendliche begannen sich für den deutschen Fußball zu interessieren - bislang waren vor allem Spieler in der Bosporus-Liga für sie prägend. In den Fankurven der Revierclubs wehten türkische Fahnen. Schalke und Dortmund wurden zu Begriffen, neben Fenerbahce und Galatasaray.
Größtenteils wurden die neuen Fans integriert. Vor allem in der Schalker "Gelsenszene" gab es schnell einen türkischen Block.
Aber auch bei den Hooligan-Zusammenstößen in den 80er-Jahren waren Türken aktiv beteiligt. Nach einem Auswärtsspiel in Berlin berichtete ein türkischer Jugendlicher aus der Gelsenszene dem Autor, wie er einen fremden Fan zusammengeschlagen habe. "Wir sind mit allen Schalkern auf den drauf. Deutsche - Türken egal. Der war Hertha." In anderen Hooligan-Szenen wurden die Auseinandersetzungen rassistisch aufgeladen. Die Dortmunder "Borussenfront" stützte sich auf einen harten Kern rechtsradikaler Skinheads. Es gab Schlägereien mit ausländischen Fans. Zu einem traurigen Höhepunkt kommt es im Dezember 1985. Der junge Türke Ramazan Avci wird bei einem Heimspiel des HSV von Skinheads erschlagen.
Seither versuchen Sozialpädagogen bereits im Vorfeld Auseinandersetzungen zu verhindern. Mit Erfolg. Die Gewalt in den Stadien konnte mit den Fanprojekten und Präventionsmaßnahmen in den 90er-Jahren weitgehend eingedämmt werden. Rassistische Gruppen wurden mit polizeilichen Mitteln aus den Fanblocks gedrängt.
In den unteren Ligen sind Schlägereien auf dem Platz aber immer noch ein akutes Problem. In einer Studie kommt der Sportwissenschaftler Gunter Pilz von der Universität Hannover zu dem Schluss, dass vor allem Provokationen mit teils rassistischem Hintergrund Ursache für Tätlichkeiten junger Ausländer seien. Allein im Niedersächsischen Fußballverband sei es zu rund 2.600 Sportgerichtsverfahren gekommen, in denen vor allem junge Türken bestraft worden seien. Zum Teil seien Mannschaften mit ausländischen Spielern bewusst von deutschen Mannschaften provoziert worden, um schon verlorene Spiele noch zu gewinnen, bemerkte Pilz in der Studie "Ethnische Konflikte im Jugendfußball". Als Ursachen für die harten Auseinandersetzungen macht Pilz eine Art "Stellvertreterfunktion" des Wettkampfes auf dem Platz für den Kampf um soziale Anerkennung und Gleichbehandlung aus. "Der Sport ist ein Austragungsort eines sozialen Konfliktes, in dem Mehrheitsgesellschaft und Migranten um die Veränderung der sozialen Rangordnung, die Verteilung von Ressourcen und die Anerkennung kultureller Normen kämpfen."
Die hohe Sensibilität der Migranten gegenüber jeglicher Form der Nichtachtung persönlicher Integrität erklärt sich für Pilz angesichts ungleicher Chancen und der herrschenden Fremdenfeindlichkeit. Dabei werden die Konflikte auf dem Platz härter, je länger die ausländischen Jugendlichen in Deutschland leben. Anfangs würden Eingliederungsprobleme noch hingenommen. Diese Toleranz schwinde jedoch, je länger die jungen Türken unter sozialen Nachteilen leiden müssten.
Pilz lässt einen Vater in seiner Studie ausführlich zu Wort kommen, dessen Sohn in einer deutschen Mannschaft gespielt hat: "Ich gehe auf keine Kompromisse ein. Wäre ich in meinem Leben auf Kompromisse eingegangen, dann hätte mich die Gesellschaft vernichtet. Jetzt kommen ein paar schlaue Leute und sagen mir, was für meinen Sohn gut ist. Ich sage, es ist gut für meinen Sohn, für sein Selbstwertgefühl und für seine weitere Entwicklung, wenn er spielt und nicht auf der Bank sitzt. Da könnt ihr mir erzählen, was ihr wollt. Was hat die Türkei für uns getan? Was tut die Bundesrepublik Deutschland für uns? Wir werden doch überall ausgenutzt." Laut Pilz führen diese Konflikte mit ausländischen Jugendlichen innerhalb deutscher Vereine dazu, dass mono-ethnische Clubs stärkeren Zulauf bekommen. Die Kluft zwischen deutschen Teams einerseits und türkischen Mannschaften andererseits werde immer größer.
Auch Osman Batgün von den FH Soccer aus Bochum kennt diese Probleme. Bei einem Hallenturnier seien seine Leute immer wieder gefoult und beleidigt worden. "Als wir gefragt haben, was soll das, hat der Schiedsrichter das Spiel abgebrochen." Dabei reißt Batgün die Arme auseinander und schiebt die Brust vor. "So haben wir gemacht, das war alles." Der Schiri sah das als Bedrohung. "Wir müssen mit Vorurteilen kämpfen. Immer heißt es, die Schwarzköpfe sind Schläger und spielen Foul. Wir müssen fairer sein als alle anderen, um keine Probleme zu kriegen."
Der Deutsche Fussballbund (DFB) hat die Probleme erkannt. "Es ist nicht alles eitel Sonnenschein", gesteht Harald Stenger vom DFB. Fußball sei zwar eine "ideale Plattform" für die Integration von Türken, aber es gelte, die Schwierigkeiten nicht zu verschweigen, sondern offensiv anzugehen. Gerade in den Landesverbänden bemühten sich die Verantwortlichen, Probleme zu bekämpfen. Der Geschäftsführer des Fußball- und Leichtathletikverbandes Westfalen, Carsten Jaksch, sagt, über 30 Problemlotsen würden eingesetzt, um ethnische Konflikte einzudämmen.
Mit Yildiray Bastürk und den Brüdern Hamit und Halil Altintop rückt eine neue Generation türkischer Starkicker in die erste Reihe. Nach Ansicht des DFB-Mannes Stenger können diese "Identifikationsfiguren" helfen, "Vorurteile und Schranken im Kopf" abzubauen. Die Spieler kommen aus Deutschland - Bastürk wurde in Herne groß, die Altintops sind in der Nähe des Gelsenkirchener Bahnhofs aufgewachsen. Bastürk spielt in der türkischen Nationalelf, die Altintops sind auf dem Sprung in die erste Mannschaft.
Auch Osman Batgün von den FH Soccern will Erfolg. Dabei kann der Fußball ihm helfen, sagt er. Im Sport gehe es darum, zu bestehen - wie im Leben. "Als Türke in Deutschland musst du immer ein wenig mehr leisten als alle anderen, sonst wirst du überhaupt nicht wahrgenommen." In der Schule hätte man ihm geraten, kein Abi zu machen. Eine Lehre würde reichen. "Ich musste mich mit zwölf Jahren durchsetzen", sagt Batgün. Das habe er auf dem Platz gelernt. Jetzt studiert der 24-jährige Diplom-Mechatronik und will in der Autoindustrie einen Job finden. "Ich will ein Vorbild für die Türken daheim im Sauerland sein. Und zeigen, dass man alles erreichen kann, wenn man den Willen und ein Ziel hat." David Schraven
Der Autor lebt als freier Journalist im Ruhrgebiet.