Die in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zusammengeschlossenen Staaten wollen den vielerorts grassierenden Antisemitismus gemeinsam bekämpfen. Dies soll durch einen intensiven Informations- und Datenaustausch über das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, durch eine gemeinsame Dokumentation judenfeindlicher Aktionen in Europa und durch gezielte Erziehungsprogramme geschehen. Darauf einigten sich die Teilnehmer der am 28. und 29. April in Berlin abgehaltenen Antisemitismuskonferenz in einem Aktionsplan.
Niemals, so heißt es in dieser "Berliner Erklärung", könnten internationale Entwicklungen einschließlich solcher in Israel oder anderen Ländern des Nahen Ostens, Antisemitismus rechtfertigen. Zu der Konferenz waren mehrere hundert Teilnehmer aus 55 Staaten gekommen, unter ihnen Israels Staatspräsident Mosche Katzav, US-Außenminister Colin Powell, Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel und die frühere Europa-Parlamentspräsidentin Simone Veil.
In allen Redebeiträgen wurde Besorgnis über wachsende antisemitische Tendenzen in vielen Ländern geäußert. Bundesaußenminister Fischer, in dessen Ministerium die Konferenz stattfand, sagte, hier seien alle Staaten in der Pflicht; der Einsatz gegen den Antisemitismus bedeute auch eine Stabilisierung der Demokratie. Jede Form von Antisemitismus sei eine Verletzung der Menschenwürde und damit "eine Kampfansage an die Grundwerte unserer Gesellschaft". Mit Blick auf die Bundesrepublik sagte Fischer: "Unsere Geschichte hat uns die Verpflichtung auferlegt, es nie wieder dazu kommen zu lassen, dass Antisemiten jüdische Menschen bedrohen"; diese Verpflichtung werde von Regierung, Parlament und Gesellschaft sehr ernst genommen.
Bundespräsident Johannes Rau ging in seiner Eröffnung auf die These ein, Kritik an der Politik Israels sei Ausdruck einer antisemitischen Haltung. Er habe sich immer für eine offene, aber faire Kritik eingesetzt, "aber man sollte sich nach meiner Überzeugung sehr um eine angemessene Form bemühen". Immer wieder müsse man verhindern, "dass sich alte Stereotype wieder verfestigen oder gar neu bilden". Es genüge nicht, Menschenwürde und Menschenrechte in den Verfassungen festzuschreiben; sie müssten stets neu erklärt und den nachwachsenden Generationen begründet, vermittelt und vorgelebt werden. "Gelegentlich muss man sie auch wieder neu erkämpfen, dafür brauchen wir das Engagement möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger."
Auch US-Außenminister Powell war auf das Thema 'Kritik an Israel' eingegangen. Nach seinen Worten ist harte, aber faire Kritik allemal zulässig; die Grenze werde aber überschritten, wenn sie sich in Nazi-Symbolen oder rassistischen Karrikaturen äußere. Im begonnenen Jahrhundert sei es wichtiger denn je zuvor, Antisemitimsus oder anderen Formen von Hass entgegenzutreten, wo immer man auf sie treffe.
Nach Ansicht des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, wird mit der EU-Erweiterung auf Europa eine "intensivere Auseinandersetzung mit einem in vielen osteuropäischen Ländern nach wie vor weit verbreiteten traditionellen Antisemitismus" zukommen; Darauf müsse sich Europa rechtzeitig einstellen. Dieser Ansicht widersprach in einem Zeitungsinterview der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski: "Ich kann nicht sehen, dass der Antisemitismus bei uns größer ist als im Westen."
Israels Staatspräsident war während seines Berlin-Besuchs mit Bundespräsident Rau, Bundeskanzler Schröder und weiteren führenden Politikern von Koalition und Opposition zusammengetroffen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse unterstrich in einem Gespräch mit dem israelischen Gast den Willen des deutschen Parlaments, Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen. Dafür seien Bildung und Erziehung, ebenso aber auch "die alltägliche Zivilcourage der Bürger" erforderlich. Dirk Klose