Weniger als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland beschäftigt Arbeitnehmer jenseits der 50. Dieser Trend könnte bald ein Ende haben, prophezeien Experten mit Blick auf den demografischen Wandel. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt, großzügige Vorruhestandsregelungen scheinen rentenpolitisch nicht mehr vertretbar. Während in Zeiten der New Economy Personalchefs auf die Jugend setzten, müssen sie in Zukunft mit einer alternden Belegschaft arbeiten. Die Bundestags-Enquete-Kommission "Demografischer Wandel" rechnet in ihrem Abschlussbericht (aus dem Jahr 2002) damit, dass im Jahr 2020 mehr als zwei Drittel der 60- bis 65-Jährigen erwerbstätig sein werden.
Deshalb fordern Fachleute einen Bewusstseinswandel, hin zu einem positiven Bild vom Alter, auf dem ersten Kongress "Gesellschaft mit Zukunft - Altern als Herausforderung für Prävention und Gesundheitsförderung" in Berlin. Die Veranstaltung beschäftigte sich mit der Frage: Wie können Menschen gesund und arbeitsfähig bleiben? Veranstaltet vom 'Deutschen Forum für Prävention und Gesundheitsförderung', unterstützten fünf Bundesministerien (Gesundheits-, Wirtschafts-, Forschungs-, Familien- und Verbraucherschutzministerium) den Kongress. "Prävention und Gesundheitsförderung können dazu beitragen, Krankheiten und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder hinauszuzögern, sowie krankheitsbedingte Frühverrentungen zu verhindern", sagte Marion Caspers-Merk, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium.
In Deutschland geht ein Erwerbstätiger im Schnitt faktisch mit 60 Jahren in den Ruhestand. Das Statistische Bundesamt rechnet vor: Im Jahr 2001 standen 100 der 20- bis 59-Jährigen 44 Menschen im Rentenalter gegenüber. Im Jahr 2050 könnte das Verhältnis schon bei 100 zu 78 liegen. Erhöht sich das Rentenzugangsalter auf 65 Jahre, wären es nur noch 100 zu 55, so die Vorausberechnungen der "mittleren Variante" des Bundesamtes.
Somit ist das Ansinnen der Politik, die Beschäftigungsquote der Älteren zu erhöhen. Doch die Vorbehalte in den Unternehmen sind groß. Krankheitsbedingte Fehlzeiten, geringere Belastbarkeit, mangelnde Kreativität und Lernbereitschaft, fehlender Ehrgeiz: Viele Personalchefs nehmen ältere Menschen vor allem als Mängelwesen war. "Wir dürfen Altern und Krankheit nicht gleichsetzen", betonte hingegen der Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse in Berlin. Viele Erkrankungen entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Nikotin, Alkohol, falsche Ernährung und Bewegungsmangel in jungen Jahren können auch erst im Alter ihre Wirkung zeigen. Durch Prävention und Vorsorge ließe sich die Krankheitslast mindern, sagte Kruse.
Schichtarbeit, Lärm und einseitige Belastung auf der Baustelle verschleißen den Körper ebenso wie die ewig gleiche Schreibtischarbeit Kreativität und Motivation erlahmen lassen kann. Auch auf dem Kongress vertreten war die "Initiative Neue Qualität der Arbeit", kurz INQA, bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. INQA nennt Handlungsmöglichkeiten, mit denen die Unternehmen ihr Personal fit und motiviert ins Alter bringen können. Gesundheit fördern ist ein erster Ansatz. Ergonomisch eingerichtete Arbeitsplätze, wechselnde Tätigkeiten, Arbeitspausen, die an die individuellen Aufgaben angepasst sind. Es gibt noch viele Möglichkeiten, die Situation am Arbeitsplatz zu verbessern. "Die betriebliche Gesundheitsförderung ist mit Blick auf ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch nicht ausreichend entwickelt", kritisiert Andreas Kruse.
Fitness-Kurse und Programme zu Raucherentwöhnung allein reichen nicht immer aus, um die Innovationsfähigkeit eines Betriebes zu erhalten. Wesentlich ist die Qualifikation der Mitarbeiter. Doch über 50-Jährige nehmen kaum noch an Fort- und Weiterbildungen teil. Betriebe investierten nur wenig in ihr älteres Humankapital, da die Beschäftigten nach gängiger Praxis ohnehin bald in den vorzeitigen Ruhestand gingen, heißt es in einer Veröffentlichung von INQA. Potenzial bleibt somit ungenutzt, zudem sinkt die Motivation langjähriger und erfahrener Angestellter, wenn die Jügeren sie "abhängen". Langfristig raten die Experten, schon zum Eintritt ins Arbeitsleben die berufliche Laufbahn so zu planen, das in den jeweiligen Lebens-phasen die Anforderungen durch den Job zu bewältigen sind - eine Forderung, die angesichts der problematischen Lage auf dem Arbeitsmarkt aber schwer zu realisieren ist. Heute tritt kaum noch jemand in dem Unternehmen als Lehrling an, in dem er in Rente geht.
Altersforscher zeichnen ein positives Bild von der Leistungsfähigkeit der Älteren: In Branchen, in denen es weniger auf körperliche als auf kognitive Leistungen ankomme, sei eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit kein Problem, sagt Andreas Kruse. Doch nur, wenn die Voraussetzungen dafür stimmten, betont der Gerontologe. "Menschen müssen während des Arbeitslebens entsprechend qualifiziert werden." Lebenslanges Lernen ist hier das Stichwort. Dann seien Qualifikation und vor allem Motivation für die Arbeit auch jenseits der 65 vorhanden.
In Berlin war auch Thema, wie die Erkenntnisse und Lösungsvorschläge die Betriebe erreichen können. Ein Beispiel: Christian Rexrodt, Geschäftsführer der Essener Gesellschaft für Mensch und Arbeit, kurz MundA, berät im Rahmen eines Modellprojekts für das Bundesgesundheitsministerium kleine Betriebe, um die Beschäftigungsfähigkeit älterer oder behinderter Mitarbeiter zu erhalten. "Wir warten nicht, sondern gehen auf die Unternehmen zu", sagt der Arbeitswissenschaftler. Mit Anrufaktionen und Umfragen macht MundA auf sich aufmerksam. Betriebsbesichtigung und Gespräche mit den Beteiligten folgen. Manchmal reichen kleine Maßnahmen aus, wie bessere Beleuchtung und Belüftung, um einen Arbeitsplatz gesünder zu gestalten, manchmal muss dann doch neue Technik her, um Arbeitsabläufe zu erleichtern. Das kostet Geld, das aber volkswirtschaftlich damit gut angelegt sein kann. Frührente oder Arbeitslosigkeit für die Betroffenen möglichst lange vermieden werden, das ist das Ziel. "Gerade in kleinen und mittleren Betrieben ist der Beratungsbedarf noch groß", sagt Rexrodt.
In Zukunft werden Unternehmen wohl nicht mehr an der Generation "50 Plus" vorbei planen können. Doch nicht nur die Wirtschaft muss umdenken. "Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass es ein bestimmtes Alter gibt, ab dem das Alter beginnt", betont Andreas Kruse. Es sei die Gesellschaft, die definiert, wann Menschen alt sind.