Das Parlament: Fünf Jahre Haushaltskommissarin der EU: Wie weit deckt sich Ihre heutige Bilanz mit Ihren Vorstellungen und Plänen bei Ihrer Amtsübernahme?
Schreyer: Mein Ehrgeiz war, für jedes Jahr einen guten und sparsamen Haushalt aufzustellen und ihn pünktlich durch den Haushaltsgesetzgeber zu bringen. Dann galt es, die Haushaltsregeln, die teilweise noch aus den Anfängen der EG stammten, grundlegend zu modernisieren und drittens - ganz wichtig - die Finanzierung der Erweiterung der EU auf solide Füße zu stellen. Dies ist alles gelungen. Die Haushalte, für die ich Verantwortung trage, werden als eine der niedrigsten in die jüngere Geschichte der EU-Haushaltspolitik eingehen. Wir haben das Haushaltsverfahren von der Haushaltsaufstellung und der Gliederung des Haushaltsplans, über den Haushaltsvollzug bis hin zur Rechnungslegung völlig reformiert - und das in der Zeit von nur fünf Jahren. Und die Ausgaben für die zehn neuen Mitgliedstaaten konnten in den Rahmen eingepaßt werden, der ursprünglich für nur sechs neue EU Mitglieder vorgesehen war, wobei es in den Verhandlungen nicht zu Hauen und Stechen, sondern auch aufgrund der gründlichen Vorbereitungen zu einem Ergebnis kam, das die Interessen der alten und neuen Mitglieder gut ausgleicht. Also: Ich bin zufrieden.
Das Parlament: Sie hatten es mit zwei weitgehend gleichberechtigten Haushaltsbehörden, dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat zu tun. Welches war der schwierigere Partner?
Schreyer: Man muss mit beiden Armen des Haushaltsgesetzgebers eng kooperieren und wenn die beiden Arme sich zu streiten drohen, Kompromisse vorschlagen und ausgleichen. Der ganze Prozess der Haushaltsberatungen ist auf EU-Ebene sehr kommunikationsintensiv. Das ist gut so und hat sich gelohnt. Die Haushalte in meiner Amtszeit hatten alle große Zustimmung im Rat und sind im Europäischen Parlament mit Mehrheiten von 80 oder 90 Prozent beschlossen worden. Es gab eigentlich nur eine Situation, in der ein Scheitern drohte. Das war vor gut einem Jahr bei der Anpassung des Finanzrahmens an die Erweiterung. Der Rat hatte in der Tat die Entscheidungsbefugnisse des Parlaments verletzt und wenige Tage vor der angesetzten feierlichen Unterzeichnung der Beitrittsverträge war die Konfrontation total. Da habe ich dann angesichts der historischen Aufgabe auch alle Emotionen eingebracht, um beiden Seiten auf einen Kompromiss einzustimmen, der dann gerade auch mit Hilfe der deutschen EP-Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und Grünen angenommen wurde.
Das Parlament: Gegenüber den Haushaltsansätzen der Kommission fällt auf, dass die Abgeordneten immer einige Erhöhungen durchsetzen wollen und die Finanzminister um so mehr kürzen möchten. Ist das Parlament im Umgang mit Steuermitteln zu leichtfertig?
Schreyer: Das beliebte Vorurteil, dass das Europäische Parlament nahezu hemmungslos auf Ausgabeerhöhungen aus sei, kann ich absolut nicht bestätigen. Das EP nimmt seine Verantwortung bei der Haushaltsberatung sowohl in Punkto Politikgestaltung als auch in Punkto Ausgabendisziplin sehr ernst.
Das Parlament: Wie stehen Sie zu der Forderung des Parlaments, die volle Zuständigkeit für alle Haushaltsbereiche zu erhalten? Bisher wurden ja weite Bereiche der Agrarpolitik, die so genannten obligatorischen Ausgaben wie Agrarausgaben, ausgeklammert.
Schreyer: Es ist wirklich anachronistisch, dass die Mitgliedstaaten dem EP die Beschlussfassung über die Agrarausgaben bisher vorenthalten haben. Das ist mit einer der Gründe für die gegenwärtige Struktur des EU-Haushalts, denn kein Parlament der Welt würde freiwillig einen Haushalt beschließen, in dem fast die Hälfte der Ausgaben in die Landwirtschaft fließen. Die Budgetrechte sind die Königsrechte eines Parlaments. Sie sollten für das EP gestärkt werden und ich hoffe, dass die irische Ratspräsidentschaft alle Versuche, diese Rechte mit der neuen Verfassung sogar noch einzuschränken, entschieden zurückweist.
Das Parlament: Kommissionspräsident Prodi hat bei seinem Amtsantritt vor fünf Jahren "Null-Toleranz" gegenüber Betrug und Korruption versprochen. Dennoch tauchten immer wieder Probleme auf, besonders beim Statistischen Amt der EU. Lassen sich solche Fehlentwicklungen überhaupt verhindern?
Schreyer: Die ganze Kommission hat sich diesem Grundsatz verpflichtet. "Null-Toleranz" gegenüber Betrug ist aber keine Garantie, dass es keinen Betrug gibt. Diese Garantie kann die Kommission gar nicht geben, schon deshalb nicht, weil wir ja nur einen Teil der Mittel direkt selber verwalten. Aber es ist die Garantie, effektive Kontrollen zu haben, und wenn Unregelmäßigkeiten entdeckt werden, nichts, aber auch gar nichts unter den Teppich zu kehren, sondern vollständig zu untersuchen, zu sanktionieren und für die Zukunft Konsequenzen daraus zu ziehen. Genau das hat die Prodi-Kommission bei der Eurostat-Affäre gemacht. Wir haben die Unregelmäßigkeiten, die ja mehrheitlich in der Zeit vor der Prodi-Kommission stattfanden und die, obwohl bisher keine Beweise über persönliche Bereicherungen vorliegen, schwere und systematische Verletzungen der Haushaltsordnung waren, grundlegend untersucht, die Justiz eingeschaltet, das Statistische Amt völlig umstrukturiert und etliche weitere Maßnahmen ergriffen und über alle Schritte das Parlament und die Öffentlichkeit informiert. Jedes Jahr müssen alle Generaldirektoren einen Bericht darüber vorlegen, ob und wo es Probleme mit der Kontrolle in ihrem Bereich gibt und welche Abhilfemaßnahmen sie ergreifen. Das alles wird veröffentlicht. Mir ist keine Regierung bekannt, die so transparent mit Kontrollfragen umgeht wie die Kommission.
Das Parlament: Bei diesem Problem war aber auch die Zusammenarbeit mit dem Haushaltskontrollausschuss nicht einfach, oder?
Schreyer: Die Zusammenarbeit mit dem Haushaltskontrollausschuss ist per se nicht einfach, das liegt an dessen Aufgabe. Der Haushaltskontrollausschuss des EP ist nicht wie in den meisten Mitgliedstaaten ein Unterausschuss des Haushaltsausschusses, in dem die Haushaltsexperten die Rechnungsprüfung für ein Haushaltsjahr durchgehen, sondern er versteht seine Kontrollaufgabe umfassender. Deshalb wird er gern von den EU-Gegnern, die ja auch im EP vertreten sind, als Forum genutzt, was die Leitung dieses Ausschusses zu einer wirklich sehr schweren Aufgabe macht. Haushaltskontrolle gehört wie die Haushaltsgesetzgebung zu den fundamentalen parlamentarischen Rechten und Pflichten und der Haushaltskontrollausschuss war eine treibende Kraft für die Reform der Kommission. Die Prodi-Kommission hat die Finanzkontrolle ja grundlegend reformiert. Jetzt sind - wie in den Mitgliedstaaten auch - die einzelnen Generaldirektionen - wie die Ministerien - dafür zuständig, dass die Mittel, die sie bewirtschaften, korrekt ausgegeben werden. Die frühere zentrale Finanzkontrolle ist abgeschafft worden. Man kann die Kontrollaufgabe nicht mehr auf andere abschieben. So wie im Bundestag niemand auf die Idee käme, Herrn Eichel als verantwortlich dafür anzusehen, dass im Bildungs- oder im Landwirtschaftsministerium die Haushaltsmittel korrekt bewirtschaftet werden, so ist auch für die Kommission nicht mehr die Haushaltskommissarin zentrale Finanzkontrolleurin. Nur die Innenrevision wurde als zentrale Einrichtung neu geschaffen und wegen ihrer Bedeutung schon im Jahr 2000 dem Vize-Präsidenten der Kommission unterstellt. Hervorragend war die Zusammenarbeit mit dem Haushaltskontrollausschuss bei dem Vorschlag, einen Europäischen Staatsanwalt für den Bereich der EU-Finanzen zu schaffen. Der Vorschlag ist jetzt im Text des Verfassungsentwurfs und ich hoffe, dass die deutsche Bundesregierung weiterhin mit dafür sorgt, dass er auch drin bleibt.
Das Parlament: Umfangreichere Kontrolle ist aber vielleicht auch deshalb nötig, weil rund 80 Prozent des EU-Haushalts von den Mitgliedstaaten verwaltet und ausgegeben werden. Die nationalen Behörden sind aber oft nicht an der Aufdeckung von Missständen interessiert, weil sie sonst den Schaden wieder gut machen müssten. Wie kann hier Abhilfe geschaffen werden?
Schreyer: Es ist in den EU-Verträgen festgelegt, dass die Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip für die Verwaltung zuständig sind, und es geht auch gar nicht anders, weil sonst das Personal auf europäischer Ebene sehr viel umfangreicher sein müsste. Beispielsweise bei den Strukturfonds macht es ja auch Sinn, dass vor Ort über die Projekte entschieden wird und nicht fernab von Brüssel aus. Die Mitgliedstaaten sind nicht nur zuständig dafür, dass das Geld bei den Nutznießern wie Bauern und Unternehmern oder bei den Kommunen ankommt, sondern auch für die Kontrollen. Allerdings liegt nach dem Vertrag die Gesamtverantwortung bei der Kommission. Das heißt, sie muss vor dem EP den Kopf dafür hinhalten, wenn zum Beispiel in Deutschland in einem Bundesland mit den Strukturfonds nicht richtig umgegangen wird oder zu hohe Prämien an Bauern ausgezahlt werden. Das sind ja die Fehler, die im Bericht des Europäischen Rechnungshof aufgelistet sind und dazu führen, dass keine Zuverlässigkeitsterklärung erteilt werden. Deshalb ist die Kommission zuständig für die Kontrolle der Kontrolleure und kann - wie zum Beispiel im Agrarbereich - pauschale Kürzungen von Zuweisungen vornehmen, wenn festgestellt wird, dass in einem Mitgliedstaat die Kontrollsysteme nicht funktionieren. Das sind die negativen Sanktionen, aber auch positive Anreize sind wichtig.
Das Parlament: Welche wären das?
Schreyer: Dass die Mittel, die ein Mitgliedstaat bei Unregelmäßigkeiten von den Subventionsempfängern zurückholt, dann wieder verwendet werden können. Aber es wäre auch ein positiver Anreiz, wenn Mitgliedstaaten, die gut kontrollieren und entsprechend ihrer Verpflichtung der Kommission gefundene Unregelmäßigkeiten melden, in den Medien gelobt und nicht als Betrugshochburgen dargestellt würden. Meistens wird allerdings ohnehin nur auf die Kommission eingeschlagen. Wenn der Zoll in Deutschland Schmuggelware beschlagnahmt, dann wird in der Presse - zu Recht -- der Zoll gelobt, während der gleiche Fakt, wenn er in einem Kommissionsbericht aufgeführt wird, als Beweis dafür dargestellt wird, dass die Kommission mit ihrem Grundsatz "Null-Toleranz" nicht ernst gemacht hätte. Im diesem ganzen Bereich der Kontrolle gibt es aber noch erheblichen Bedarf der besseren Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten untereinander und zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Der Vorschlag für die Einrichtung eines Europäischen Staatsanwalts zum Schutz der EU-Finanzen spielt ja auch hierfür eine zentrale Rolle.
Das Parlament: Werden die Probleme nach der Erweiterung noch Zunehmen?
Schreyer: Es gab in den Beitrittsverhandlungen ein separates Verhandlungskapitel über Finanzkontrolle. Das war ein ganz wichtiges Instrument, um die Kandidatenstaaten zu unterstützen, unabhängige Rechnungshöfe und bessere und transparente Kontrollstrukturen einzurichten. Wir müssen jetzt nach dem Beitritt darauf achten, dass keine Nachlässigkeit entsteht. Die Öffentlichkeit erwartet selbstverständlich, dass die Kommission vom ersten Tag der Erweiterung an sicherstellt, dass Agrarausgaben kontrolliert werden, Strukturmittel nur gezahlt werden, wenn die Projekte geprüft sind, und die Kommission die Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Umweltschutzgesetze kontrolliert. Das erfordert selbstverständlich Personal und neue Stellen und die Verhandlungen mit den Finanzministern hierüber gehören stets zu den schwierigsten.
Das Parlament: Trotz der Erweiterung der EU wollen sechs alte Länder, allen voran die Regierungen in Berlin, Paris und London die finanzielle Obergrenze für die EU-Ausgaben von 1,24 Prozent des Bruttosozialprodukts nicht erhöhen, sondern sogar um rund ein Viertel senken. Ist das realistisch und fair gegenüber den neuen Staaten?
Schreyer: Die Staats- und Regierungschefs haben für die gemeinsame Politik sehr ehrgeizige Ziele beschlossen: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Errichtung eines gemeinsamen Rahmens der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Europa soll gemeinsam eine größere Rolle in der Welt spielen. Und natürlich ist die volle Integration der neuen Mitgliedstaaten eines der Hauptziele. Die Kommission ist bei ihrem Vorschlag für den nächsten Finanzrahmen von diesen Zielen ausgegangen und wir planen schon für eine EU von 27 Mitgliedstaaten. Trotzdem haben wir nicht den Vorschlag gemacht, die gesetzlich festgelegte Obergrenze für die europäische Staatsquote anzuheben.
Die liegt ja seit 1999 bei 1,24 Prozent der gemeinsamen Wirtschaftsleistung. Der Vorschlag der Kommission für die Jahre ab 2007 liegt sogar weit darunter. Er liegt auf dem Niveau der jetzigen Finanzplanung. Darin gibt es die Zahl von einem Prozent übrigens nicht. Wir haben aber in diesem Jahr ein Budget, das in der Tat nur ein Prozent der gemeinsamen Wirtschaftsleistung ausmacht, weil wir in den vergangenen Jahren strikt konsolidiert haben, um budgetmässig fit zu sein für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten.
Wenn man nun für die Zukunft in der erweiterten Union dafür plädiert, dass die EU-Staatsquote um ein Viertel geringer sein soll als sie für die EU mit 15 Mitgliedstaaten war, muss man sagen, auf welche EU-Politik verzichtet werden soll. Dann muss man darum streiten, ob man Bekämpfung des Terrorismus besser allein oder gemeinsam macht, ob EU-weite Kooperation in der Forschungspolitik Sinn macht oder nicht. Die Kommission meint, es macht Sinn, und auch Deutschland, das den Ein-Prozent-Brief unterzeichnet hat, plädiert für diese neuen Prioritäten. Die Kommission wehrt sich aber zu Recht dagegen, dass die Regierungschefs auf den Gipfeltreffen ehrgeizige Ziele für die gemeinsame Politik setzen und auslösen, aber die Finanzminister dann nicht zahlen wollen.
Das Interview führte Hartmut Hausmann.