Die Osterweiterung der EU beendet die jahrzehntelange Teilung Europas. Nach dem Beitritt der zehn neuen Staaten gilt es nun mit der politischen, ökonomischen und nicht zuletzt kulturellen Integration der Neuen die Teilung unseres Kontinents endgültig zu überwinden. Uns Grünen ist es in diesem Jahr als erster politischer Bewegung in Europa gelungen, nationale Grenzen hinter uns zu lassen. Im Frühjahr haben wir in Rom die Europäische Grüne Partei gegründet. Zur Europawahl gehen 25 Grüne Parteien mit einer grenzüberschreitenden Wahlkampagne an den Start. Gemeinsam wollen wir ein ökologisches, gerechtes, weltoffenes, demokratisches und friedliches Europa.
Im Europäischen Parlament werden wir uns dafür einsetzen, dass Bulgarien und Rumänien wie geplant im Jahr 2007 der EU beitreten können. Im Dezember 2004 wird auch entschieden werden, ob der Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU angeboten werden sollen. Für uns Grüne wird ausschlaggebend sein, ob die Fortschritte, die die Türkei bis dahin bei der Erfüllung der politischen Kriterien und der Achtung von Menschenrechten gemacht hat, bereits ausreichen, um die Verhandlungen aufzunehmen.
Wir freuen uns, dass in die Verhandlungen über die Europäische Verfassung wieder neuer Schwung gekommen ist. Ziel der Grünen ist es, darüber auch die Bürgerinnen und Bürger Europas in einem Referendum abstimmen zu lassen, und zwar mit zwei klaren Alternativen: entweder der Zustimmung zum Verfassungsentwurf oder dem Widerspruch zur EU-Mitgliedschaft. Wir sind sicher, dass die Menschen in Europa sich klar zur Europäischen Union und Integration bekennen werden. Die Annahme der Verfassung bedeutet für uns jedoch nicht das Ende des Verfassungsprozesses. Eine der zentralen Fragen wird sein, wie zukünftige Verfassungsänderungen vorgenommen werden können. Wir wollen die Verfahren zur Verfassungsänderung so reformieren, dass das Einstimmigkeitsprinzip aufgehoben wird. Handlungsfähigkeit und Einstimmigkeitszwang passen nicht zusammen.
Eine der wichtigsten Entscheidungen - auf die inneren Politiken der EU bezogen - wird die Finanzplanung für die Haushaltsjahre 2007 bis 2013 sein. Viele Einzelpolitiken, von der Strukturförderung bis zur Umwelt- und Energiepolitik, hängen davon ab. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die EU die Finanzmittel erhält, die erforderlich sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Wir werden auch überwachen, ob die Gelder zielgerichtet eingesetzt werden.
Eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung ist notwendig. Wir Grüne warnen aber vor einer Vernachlässigung der Bürgerrechte im Zuge einer internationalen Anti-Terror-Politik. Auch auf EU-Ebene muss es eine parlamentarische und gerichtliche Kontrolle über die Arbeit der grenzübergreifenden Polizei- und der Sicherheitsdienste geben. Die EU-Innen- und Justizpolitik muss weiter ausgebaut werden. Hier werden wir uns insbesondere für eine fortschrittliche Einwanderungs- und Asylpolitik einsetzen, aber auch für eine wirksamere Bekämpfung der organisierten Kriminalität.
Wir wollen ein ökologisches Europa. Die europaweite Förderung von erneuerbaren Energien steht ganz oben auf unserer Agenda. Wir wenden uns gegen alle Versuche, die Atomtechnologie über Brüssel wieder hoffähig zu machen und wollen den Atomausstieg europaweit vorantreiben. Den Euratom-Vertrag wollen wir baldmöglichst abschaffen. Statt auf die Technologien des letzten Jahrhunderts, Kohle und Atom, zu setzen, stehen wir für die ökologische Modernisierung der Wirtschaft und Gesellschaft. Wenn Europa Exporteur von Umweltwissen und -technologien wird, sichert das kommenden Generationen eine Perspektive und schafft auch zukunftsfähige Arbeitsplätze.
Der Verbraucherschutz in allen Bereichen ist ein wesentlicher Teil unserer europäischen Modernisierungsstrategie. Deutschland hat mit der von Renate Künast begonnenen Agrarwende eine Vorreiterrolle in der europäischen Landwirtschaft gewonnen. Hier wollen wir anknüpfen: Von der Stärkung der Prinzipien der Nachhaltigkeit, des Tierschutzes und der ländlichen Entwicklung bis zur Reduzierung der Finanzmittel für die Agrarpolitik sehen wir Handlungsbedarf.
Unser Augenmerk gilt besonders den Schwächsten unserer Gesellschaft. In der Beschäftigungs- und Sozialpolitik wollen wir einen europäischen Beitrag zu einem sozialen Europa leisten, wenngleich die Hauptverantwortung dafür weiter bei den nationalen Regierungen liegen wird. Wir wollen kein Lohn- und Steuerdumping in Europa zulassen, sondern in die europäische Wissensgesellschaft investieren. Die Stärkung der europäischen Bildungslandschaft und der europäischen Wissensgesellschaft ist der Schlüssel, um das Lissabon-Ziel zu erreichen: Europa soll bis 2010 der wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt werden.
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni 2004 werden die Weichen für das erweiterte Europa gestellt. Für die Europäischen Grünen gilt davor und danach das Motto: Let's Green Europe!
Rebecca Harms und Daniel Cohn-Bendit sind Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen