Heute wirkt dies makaber, doch damals fand niemand solchen Kriegstourismus anstößig: Den Zeitgenossen war bewusst, dass sie die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" durchlitten hatten, wie der amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan diesen Krieg genannt hat.
Die alte bürgerliche Gesellschaftsordnung im Europa des 19. Jahrhunderts war zusammengebrochen, vier Reiche hatten sich aufgelöst. An ihre Stelle trat ein Sammelsurium neuer Staatsgebilde, das die einen mit Hoffnungen, die anderen mit Bangen betrachteten. "Was vor 1914 lag und was danach folgte, sah einander gar nicht ähnlich, spielte nur nominell auf derselben Erdoberfläche", brachte der Schriftsteller Max Brod die Erfahrung des Epochenbruchs auf den Begriff. Der Wahrnehmung des Kriegs ist nun eine große Ausstellung im Berliner Deutschen Historischen Museum zum 90. Jahrestag seines Beginns gewidmet.
"Der Weltkrieg 1914 - 1918. Ereignis und Erinnerung" setzt die Ereignisse weitgehend als bekannt voraus und beschäftigt sich um so ausführlicher mit der kollektiven Erinnerung. Dieses Konzept macht sowohl die Stärke als auch die Schwäche der Schau aus. Wer Einzelheiten über den Kriegsverlauf erwartet, wird enttäuscht. Er muss sich mit einer CD-ROM begnügen. Sie lässt sich zwar an Terminals in den Schauräumen einsehen, doch das Klicken zwischen den einzelnen Fenstern ist mühselig. Zur Einführung liest man besser ein kurze geschichtliche Darstellung oder die einleitenden Kapitel des vorzüglichen Katalogs.
Dagegen glänzt die Ausstellung mit einer gelungenen Auswahl von Schaustücken. In liebevoller Kleinarbeit haben die Macher rund 600 Exponate von mehr als 100 Leihgebern zusammengetragen, welche die Atmosphäre des Zeitalters heraufbeschwören. Die Hochrüstung des Deutschen Reiches veranschaulicht etwa eine massive "Schweißeisenplatte" von 1908 samt darin steckendem Geschoss. Damit testete die Firma Krupp die Güte ihrer Panzerplatten. Für das "Augusterlebnis" der weit verbreiteten Begeisterung über den Kriegsausbruch steht exemplarisch ein so genanntes "Assentierungssträußchen" mit Papp-Porträts der Kaiser Franz Joseph und Wilhelm II., das österreichische Rekruten bei ihrer Musterung erhielten.
Während der ersten Kriegsmonate setzte die Produktion von militärischem Kitsch ein, der den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken sollte. Bizarr anmutende Beispiele dafür sind etwa mit martialischen Motiven bedruckte Zuckertüten für Kinder zum Schulanfang oder Weihnachtsbaumschmuck in Form von Kriegsschiffen und -flugzeugen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Auch die Gräuelpropaganda, mit der alle Kriegsparteien ihre jeweiligen Feinde herabwürdigten, wird ausführlich vorgestellt: Aus Frankreich stammt ein ausgestopfter Schweinskopf, dem eine Pickelhaube aufgesetzt wurde, um das französische Schimpfwort für Deutsche, "boches", zu versinnbildlichen. Im Kaiserreich fertigte man Marionetten für ein "lustiges Kriegspuppenspiel" an, die englische und russische Befehlshaber als verfetteten "John Bull" und "Fürst Wodkasoff" verunglimpften.
Über Sieg oder Niederlage entschieden indes nicht diese geschmacklosen Spielzeuge, sondern Fortschritte in der Waffentechnik. Der Stellungskrieg in den Schützengräben forderte hohe Opfer unter den Soldaten, die von neuartigen Maschinengewehren niedergemäht wurden. Die Wendung zugunsten der Alliierten brachte die Erfindung des Panzers, der ab Anfang 1918 von ihnen massenhaft eingesetzt wurde. Warum es den Achsenmächten nicht gelang, diese fahrbaren Geschütze ebenfalls herzustellen, bleibt allerdings unklar.
Angesichts des nicht enden wollenden, sinnlosen Schlachtens an den Fronten und der Unterversorgung der Zivilbevölkerung schlug im Laufe des Kriegs die Stimmung auf allen Seiten in verzweifelten Zynismus um. Ein Zeugnis des herrschenden Galgenhumors stellt eine deutsche Postkarte von 1917 in Gestalt einer Traueranzeige dar: Familie Hunger gibt bekannt, dass der "Kollege Brotlaib im hohen Alter von über 8 Tagen nach langem Sparen endlich aufgegessen worden ist". Als die Kämpfe schließlich aufhörten, war die Erleichterung groß: Spontane Freudenkundgebungen in London und Paris hielten Künstler im Bild fest.
Um der Trauer über die horrenden Verluste in zuvor nie gekannter Höhe gerecht zu werden, suchte man nach neuen Ausdrucksformen. Bereits 1916 wurden im Deutschen Reich Kriegsausstellungen ausgerichtet, die Zivilisten im Hinterland einen Eindruck vom Fronterlebnis vermitteln sollten. Nach dem Krieg errichtete man in Frankreich und Großbritannien viele Gräber des Unbekannten Soldaten. In angelsächsischen Ländern wurde der Klatschmohn zum Symbol des Gedenkens. Er war die einzige Blume, die auf den von Granaten zerwühlten Schlachtfeldern noch wuchs.
Die Weimarer Republik baute hingegen in Ostpreußen ein riesiges Denkmal für die siegreiche Schlacht von Tannenberg. Mit diesem Monument täuschten sich die besiegten Deutschen über die Tatsache ihrer Niederlage hinweg. Dass der Friedensschluss von Versailles 1919 von ihnen als Diktat empfunden wurde und die Mehrheit der Bevölkerung ihn notfalls mit Gewalt korrigieren wollte, reißt die Ausstellung nur an. Die aufgeregten Debatten um die Kriegsschuldfrage und die so genannte "Dolchstoßlegende" kommen jedoch kaum vor. So bleibt es beim Rückblick auf das erste Massensterben der Moderne. Dass es das Vorspiel für ein noch grauenhafteres Gemetzel war, kann der Besucher nur erahnen.
Bis 15. August täglich von 10 - 18 Uhr im Deutschen
Historischen Museum Berlin. Katalog 25 Euro.