In einem Brief an den Arzt Jared Eliot aus Connecticut vom 12. April 1753 erzählt Benjamin Franklin die Geschichte der Vertragsverhandlungen zwischen der Kolonialregierung von Virginia und den sechs dort ansässigen Indianer-Stämmen, den "Six Nations". 1 Als besonders großzügige Geste hatten die britischen Unterhändler den Vertretern der Indianer angeboten, ein halbes Dutzend ihrer besten jungen Leute für eine erstklassige britische Ausbildung auf Kosten der Kolonialregierung an das College von Williamsburg zu schicken - "to bring them up in the Best manner" 2 . Die Vertreter der Indianer überlegten sich die Sache und kamen am darauf folgenden Tag zurück an den Verhandlungstisch. Sie bedankten sich artig für das großzügige Angebot, lehnten es dann aber ab. Sie baten um Verständnis dafür, dass ihre Vorstellungen von Bildung nicht dieselben seien wie die ihrer weißen Gesprächspartner.
Die Vertreter der "Six Nations" erklärten weiter, dass vor einiger Zeit schon einmal einige ihrer jungen Stammesgenossen zur Ausbildung an die Colleges des weißen Mannes geschickt worden, bei ihrer Rückkehr jedoch für das Leben der Indianer eigentlich völlig unbrauchbar gewesen seien. Um sich aber nicht den Anschein von Undankbarkeit zu geben, fügten die Indianer das Angebot hinzu, dass die "Gentlemen of Virginia" doch ein halbes Dutzend ihrer besten Söhne zu den Indianern in die Ausbildung schicken sollten, und versprachen, sich mit der größten Sorgfalt ihrer Erziehung anzunehmen, ihnen all das beizubringen, was die Indianer wissen, und richtige Männer aus ihnen zu machen: "... and make men of them" 3 .
So ist das mit unterschiedlichen Vorstellungen von Erziehung, und man wird gelegentlich an die Missverständnisse zwischen den "Gentlemen of Virginia" und den indianischen Stammesführern der "Six Nations" erinnert, wenn man sich die Diskussionen über den Vergleich zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Hochschulwesen anhört.
Meine Biographie bringt es mit sich, dass ich zu diesem Thema schon des Öfteren befragt worden bin. 4 Ich habe gelernt, dass man sich dabei einem nicht unbeträchtlichen Risiko aussetzt. Deshalb eine Klarstellung vorweg: Ich gehöre nicht zu denjenigen, von denen der ehemalige Wissenschaftsminister des Freistaates Sachsen einmal gesagt hat, dass sie sich "deutsche Hochschulen nur noch als amerikanischen Verschnitt vorstellen können" 5 . Mit anderen Worten: Nach meiner Einschätzung taugt das amerikanische Hochschulwesen nur bedingt als Modell für die deutsche Hochschulpolitik - aus Gründen, über die noch zu reden sein wird.
Gleichzeitig bin ich jedoch der Ansicht, dass man von der sorgfältigen Betrachtung anderer Hochschulsysteme sehr viel lernen kann - zum Mindesten die überaus heilsame Einsicht, dass das eigene Hochschulsystem auch anders sein könnte, als es ist. Die Nützlichkeit solcher Vergleiche für die Verbesserung des deutschen Hochschulwesens soll an drei Themen deutlich gemacht werden: am Umgang mit Qualität, am Umgang mit Entscheidungen und am Umgang mit Studierenden.
In jedem Fall ist von amerikanischen Erfahrungen zu berichten, die zwar nicht eins zu eins übertragbar sind, aus denen sich aber manches für die weitere Entwicklung der deutschen Hochschulen lernen lässt. Dabei geht es wohlgemerkt weniger um profunde Hochschulphilosophie als mehr um ganz handfeste Erfahrungen.
Das Thema "Qualität" spielt in der hochschulpolitischen Realität der USA eine sehr viel zentralere und selbstverständlichere Rolle als in Deutschland. Die Bewertung, Messung und Interpretation von Qualität ist in den Vereinigten Staaten ein Dauerbrenner des akademischen Diskurses, ob es sich nun um Studierende und deren Fähigkeiten, um Professoren und deren wissenschaftliche Arbeit oder um die Qualität von ganzen Einrichtungen handelt. Das hat natürlich mit der kompetitiven und differenzierten Natur des amerikanischen Hochschulwesens zu tun. Wo das Werben um Studierende, Professoren, Spenden und Drittmittel eine Tätigkeit mit höchst intensivem Wettbewerbscharakter ist, da muss Qualität permanent thematisiert, erörtert, gemessen und gefördert werden.
Der besondere Stellenwert der Qualität hat in den USA eine Reihe von besonderen institutionellen Merkmalen und Verfahren hervorgebracht, über die sich auch im deutschen Kontext nachzudenken lohnt. Ich nenne hier nur zwei Beispiele: die besonders ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstevaluierung und die öffentliche Anerkennung und Auszeichnung von Qualität.
Zu den aufschlussreichsten Dokumenten des amerikanischen Hochschullebens gehören die periodischen Berichte über die institutionelle Selbsteinschätzung amerikanischer Universitäten und Colleges. Die Untersuchungen und Empfehlungen, die sich etwa mit dem Namen Robert M. Hutchins an der University of Chicago verbinden, die zwölfbändige Study of Education at Stanford aus den späten sechziger Jahren oder die auf Betreiben des damaligen Dean of Humanities and Sciences in Harvard zustande gekommene Analyse des Studiums für Undergraduates zählen zu den Klassikern dieser gleichzeitig empirischen und normativen Gattung von Selbsteinschätzung, die für die jeweiligen Einrichtungen Marksteine ihres institutionellen Werdeganges (und natürlich auch ihrer institutionellen Legitimation) geworden sind.
Als zweites Beispiel für den institutionellen Umgang mit Fragen der Qualität erwähne ich die öffentliche Anerkennung besonderer Leistungen in der Hochschul- und der breiteren Öffentlichkeit; diese nimmt gelegentlich fast folkloristische Formen an, hat insgesamt jedoch einen erheblichen Anteil daran, die Frage von Qualität im institutionellen Bewusstsein lebendig zu halten. Die Auszeichnungen für den "Professor des Jahres", den "Studienberater des Jahres", den "Hochschulverwalter des Jahres", den "Absolventenbetreuer des Jahres" und natürlich auch den "Spendeneinwerber des Jahres" gehören zum festen Repertoire jeder Jahresabschlussfeier (Commencement) an amerikanischen Universitäten und werden ebenso sorgfältig vorbereitet wie begehrlich gesucht - wobei die Geldprämie, die von Stiftern als Gegenleistung für die Verbindung ihres Namens mit der Auszeichnung zur Verfügung gestellt wird, nicht unerheblich zur Wertschätzung der Preise beiträgt.
Qualität und Leistung hängen im Selbstverständnis eines Hochschulwesens eng miteinander zusammen. Beides kann man fördern und belohnen; das Ausbleiben von beidem kann man bestrafen - zumindest mit dem Verzicht auf Belohnung. Die Ressourcen einer Hochschule spielen dabei eine ganz entscheidende Rolle. Eines der wichtigsten Merkmale des amerikanischen Hochschulwesens ist die Konsequenz und Zielstrebigkeit, mit der die Verteilung von Ressourcen zur Beförderung von Qualität genutzt wird.
Der erste Punkt bezieht sich auf den breiten Fächer leistungsbezogener Mittelzuweisung - eine Form des Umgangs mit Ressourcen, die sich in Deutschland zwar hier und da zaghaft durchzusetzen beginnt, aber immer noch mit ganz erheblichen Widerständen zu kämpfen hat; selbst da, wo sich die Leistungsbindung nur auf einen relativ unerheblichen Anteil der insgesamt verfügbaren Ressourcen bezieht. Dabei lassen die amerikanischen Erfahrungen keinen Zweifel daran, dass es sich hier um ein ausnehmend wirksames Mittel hochschulpolitischer Steuerung handelt (was vermutlich auch den Widerstand dagegen in Deutschland erklärt), und zwar sowohl im Hinblick auf Bereiche und Untergliederungen einer Hochschule als auch im Falle einzelner Hochschullehrer.
Organisationen jedweder Art unterscheiden sich nach der Art ihrer Steuerungsmechanismen. Im Falle von Hochschulen lässt sich eine Einrichtung entweder durch vorgegebene Regeln (ex ante) oder aber durch Leistungsziele und den Grad ihrer Erreichung (ex post) steuern. Die traditionelle deutsche Hochschule verkörpert nahezu idealtypisch die erste Möglichkeit, während die amerikanische Hochschule sehr viel stärker dem zweiten Modell entspricht. So wurden an deutschen Hochschulen bis vor kurzem Gehälter noch nach vorgegebenen Besoldungsregeln bestimmt, während bei der Festsetzung von Gehältern und Gehaltserhöhungen an amerikanischen Hochschulen in aller Regel eine Bewertung der Leistungen des einzelnen Mitarbeiters in der vorhergehenden Bewertungsperiode einfließt. Ähnlich verhält es sich mit der Ausstattung von Lehrstühlen, für die im deutschen System Zusagen maßgebend sind, die im Rahmen von Berufungsverhandlungen gegeben werden und die sich - selbst bei erheblichen Veränderungen der Haushaltslage der Hochschule und völlig unabhängig von der Leistung der jeweiligen Einheit - beträchtlicher Langlebigkeit erfreuen. Demgegenüber richtet sich die Ausstattung eines Instituts oder eines Lehrstuhls an einer amerikanischen Hochschule sehr viel stärker nach den dort erbrachten Leistungen (Forschungsintensität, eingeworbene Drittmittel, Lehrbelastung, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses) sowie nach dem Bedarf, der sich aus der Produktivität der Einheit ergibt.
In dieser Hinsicht ist in Deutschland mit der inzwischen beschlossenen Dienstrechts- und Besoldungsreform eine wichtige Reform eingeleitet worden, von der man hoffen muss, dass sie nicht an ihren eigenen inneren Widersprüchen - Stichwort Kostenneutralität - und an föderaler Kleinstaaterei scheitert.
Auf andere Aspekte von Qualität im Hochschulwesen wird noch zurückzukommen sein, wenn es um den Umgang mit Studierenden geht. Ich möchte diesen Abschnitt über den Umgang mit Qualität mit einigen Anmerkungen zur Frage der Qualifizierung des Hochschullehrernachwuchses beschließen. Stich- und Reizworte: Habilitation, Juniorprofessur, Zugang zum Hochschullehrerberuf. Um es vorweg zu sagen: Die Habilitation ist - in den allermeisten Fächern - eine suboptimale Art der Ausbildung von Hochschullehrern. Es gibt dafür gute Gründe, die sich an meiner eigenen Biographie illustrieren lassen.
Nach meiner Promotion in Freiburg hatte ich ein Angebot der Stanford University für eine dreijährige Assistant Professorship angenommen - ein Vertrag, der dann noch einmal um drei Jahre verlängert wurde, bevor sich nach sechs Jahren, wie in den USA üblich, die recht hohe Schwelle des tenure review erhebt. Vom ersten Tag meiner Tätigkeit als Assistant Professor an war ich voll verantwortlich für meine Lehrveranstaltungen, für meine Prüfungen, für meine eigenen Doktoranden, für mein eigenes Forschungsprogramm und die dazu erforderlichen Drittmittel und für meine Entscheidungen in den Gremien der Fakultät. Nach sechs Jahren wurde ich nach allen Regeln der Kunst evaluiert, unter Hinzuziehung zahlreicher und sehr gründlicher Gutachten von Fachvertretern aus aller Welt, bevor Stanford sich entschloss, mir eine unbefristete Professorenstelle anzubieten.
Ich kenne keine Habilitation in Deutschland, gegenüber der ein solcher tenure review an einer guten amerikanischen Universität verschämt zurückstehen müsste. Nur wage ich zu behaupten - und darauf kommt es hier an -, dass ich nach den sechs Jahren voll verantwortlicher wissenschaftlicher Tätigkeit als Assistant Professor besser und umfassender auf meine weitere Tätigkeit als Hochschullehrer vorbereitet war, als wenn ich die sechs Jahre stattdessen mit einer Habilitation an einer deutschen Universität zugebracht hätte. Die Einrichtung der Juniorprofessur in Deutschland macht sich diese Erfahrungen zunutze; es bleibt abzuwarten, mit welchem Erfolg.
Hochschulen sind heutzutage komplexe Organisationen, die im Unterschied zu ihren klösterlichen Vorgängern im Mittelalter der Leitung und Steuerung bedürfen. Die Frage, wie die Leitung von Hochschulen beschaffen sein sollte, ist deshalb zu Recht ein zentraler Punkt der hochschulpolitischen Auseinandersetzung in Deutschland geworden.
Auch hier lohnt sich ein Blick auf die amerikanische Praxis, wobei das Spektrum der Beobachtungen von der Wahrnehmung der Einrichtung Hochschule über die Arbeitsteilung in der Leitung und unterschiedliche Steuerungsmechanismen, das Verhältnis von Verantwortung und Zuständigkeit und die Rolle von Information in der Leitung von Hochschulen bis zu Fragen von Rekrutierung und Vergütung reicht.
Zu Beginn war von verschiedenen institutionellen Kulturen im amerikanischen und deutschen Hochschulwesen die Rede. Diese Differenz ist vor allem in dem unterschiedlichen Eigenwert der Institution Hochschule in den beiden Systemen angelegt - also in dem Gewicht, das der Hochschule als einem eigenständigen Akteur in der Wissenschaftslandschaft zugestanden wird, und zwar sowohl von ihren Mitgliedern als auch von ihrem Umfeld. Um es überspitzt zu formulieren: Im deutschen System hat die Hochschule gegenüber dem vorherrschenden Dualismus von Staat einerseits und autonomen Hochschullehrern andererseits einen relativ geringen Grad von eigenständiger Aggregation und Profilierungsmöglichkeit.
Demgegenüber ist die Hochschule in den USA ein - sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber den Hochschullehrern - gewichtigerer und selbstbewussterer Akteur, der in erheblich stärkerem Maße als in Deutschland auch als Bezugspunkt intellektueller Identifizierung und professioneller Zugehörigkeit wirkt. Dass dies nicht nur eine Frage der Philosophie und der strukturellen Regelungen ist, sondern auch im Selbstverständnis der Hochschullehrer - also in ihrer professionellen Kultur - seinen Niederschlag findet, das lässt sich sehr deutlich den Ergebnissen einer international vergleichenden Studie der Carnegie Foundation 6 von 1996 entnehmen.
Auf die Frage nach dem Ausmaß ihres Zugehörigkeitsgefühls zur Hochschule ergaben sich bei deutschen und amerikanischen Hochschullehrern dramatisch unterschiedliche Ergebnisse. Bei den amerikanischen Hochschullehrern gaben 36 Prozent der Befragten an, sich ihrer Hochschule besonders eng verbunden zu fühlen - bei den deutschen Kollegen waren es nur acht Prozent. Umgekehrt registrierten nur drei Prozent der amerikanischen Befragten keinerlei Zugehörigkeit zu ihrer Hochschule - verglichen mit 31 Prozent ihrer deutschen Kollegen. 7 Ein deutlicherer Kontrast in der professionellen Kultur der beiden Gruppen lässt sich kaum vorstellen.
Damit wird auch das unterschiedlich ausgeprägte Spannungsverhältnis zwischen institutioneller und individueller Autonomie in den beiden Systemen sichtbar, also zwischen der Autonomie und Unabhängigkeit des einzelnen Hochschullehrers und der Autonomie und Selbstbestimmung der Hochschule als Einrichtung. Diese Spannung existiert natürlich auch in den USA, aber in weit weniger starkem Maße als in Deutschland, wo es einer Universität immer noch sehr schwer fällt, ihre Hochschullehrer zu einer größeren, auch inhaltlichen Loyalität im Rahmen der Profilierung und der Schwerpunktsetzung ihrer Einrichtung zu bringen.
Hochschulen müssen sich im Interesse ihrer eigenen geistigen Lebendigkeit immer wieder daran erinnern lassen, dass sie sowohl die Fähigkeit als auch die Pflicht zum Wandel haben. Dieses ständige Erinnern ist eines der wichtigsten Elemente verantwortlicher Hochschulleitung, und dafür gibt es an den Hochschulen der USA besonders eindrucksvolle Beispiele. Gerhard Casper, ein aus Deutschland stammender Jurist, der es in den USA bis zum Präsidenten der Stanford University (1992 - 2002) gebracht hat, legte zum 5. Jahrestag seiner Ernennung dem Board of Trustees und dem Akademischen Konzil der Universität eine aufschlussreiche Bilanz vor. Darin gibt er seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Erfolg einer Universität von der aktiven Teilnahme aller ihrer Glieder abhängt und dass in den wirklich wichtigen Entscheidungen - nämlich denen, die mit Forschung und Lehre zu tun haben - die Hochschullehrer am Ende und völlig zu Recht die besten Karten hätten - und haben müssten. Aber er sagt auch - und das ist keineswegs ein Widerspruch:
"Universitäten können zu etabliert werden, zu selbstgefällig, zu sehr in ihre eigenen Gewohnheiten verliebt. Deshalb sind Präsidenten, Provoste, Dekane dafür verantwortlich, ständig den an einer Universität üblichen Gang der Dinge in Frage zu stellen. Die Vorstellung, dass die Leitung einer Universität nur das umsetzen sollte, was die Hochschullehrer von Zeit zu Zeit zu beschließen geruhen, kann kaum als Rezept für den Umgang mit der unabweisbaren Notwendigkeit von Veränderung gelten." 8
Nur dieses ständige Hinterfragen - so fährt Casper fort - schafft der Universität die Möglichkeit, das zu tun, was allein eine wirkliche Universität ausmacht: "to reinvent the university every day", sich täglich neu zu erfinden. 9
Die Leitungsstrukturen amerikanischer und deutscher Hochschulen folgen fundamental unterschiedlichen Modellen. Der Leitungsstruktur amerikanischer Hochschulen liegt eine Variante des Konzepts zugrunde, in dem die Geschäftsführung sowohl einem internen als auch einem externen Aufsichtsgremium gegenübersteht und gegenüber beiden - wenn auch in unterschiedlicher Weise - rechenschaftspflichtig ist. Das interne Aufsichtsgremium ist der Senat oder das Konzil der Hochschullehrer, das externe Aufsichtsgremium der Board of Trustees oder der Board of Regents. Zu den wichtigsten Rechten des externen Aufsichtsgremiums gehört es, die Geschäftsführung zu bestellen und entlassen zu können. Nur gilt umgekehrt ebenso, dass die Geschäftsführung - der Präsident - ohne das Vertrauen des internen Gremiums, der Vertretung der Hochschullehrer, nicht funktionsfähig ist. Hier ist das Prinzip einer doppelten Legitimation der Hochschulleitung - einer internen und einer externen - konsequent umgesetzt. Noch einmal: Das gilt, mit unerheblichen Unterschieden, für private wie öffentliche Hochschulen - so wie sich die vergleichende hochschulpolitische Diskussion in Deutschland überhaupt sehr viel mehr an den guten öffentlichen Universitäten der USA - Berkeley, Wisconsin, North Carolina, New York - und weniger an den privaten Spitzenuniversitäten wie Stanford oder Harvard orientieren sollte. 10
Diesem Konzept steht eine traditionelle Leitungsstruktur an deutschen Hochschulen gegenüber, die dem Modell der Gewaltenteilung nachempfunden ist und von der (allerdings irrigen) Annahme ausgeht, dass eine Exekutive (Rektor oder Präsident) die Beschlüsse der Legislative (Senat) ausführt. Dieses Modell verkennt, dass die eigentliche Gewalt über alle wichtigen, die Hochschule betreffenden Entscheidungen immer noch weitgehend außerhalb der Hochschule, nämlich in den zuständigen Ministerien liegt - wodurch sich die Entscheidungsprozesse in den Gremien der Hochschule im Wesentlichen auf die Durchsetzung bzw. Moderation von Gruppeninteressen reduzieren. Das Modell ist vor allem insofern problematisch und demokratisch defizitär, als ein legislatives Gremium (in der Regel ein Konzil) zwar die Hochschulleitung wählt, sie aber vor Ende ihrer ordentlichen Amtszeit nicht wieder abberufen kann.
Auch hier sind in Deutschland erste Anzeichen eines Wandels zu erkennen. Die veränderte Rolle des Konzils etwa oder die Funktion von Hochschulräten gehört hierher, auch wenn diese vielerorts ihre Funktionsfähigkeit im Sinne einer wirklichen doppelten Legitimation noch unter Beweis zu stellen haben.
In Deutschland kann man zwar mit Brief und Siegel zum Friseur, zum Grubensicherheitsingenieur und natürlich auch zum Chirurgen ausgebildet werden, nicht aber zum Verwalter einer Hochschule. Ohne den vielen vorzüglichen Kanzlern und Dezernenten zu nahe treten zu wollen, die sich rechtschaffen um die Verwaltung deutscher Universitäten bemühen, könnte man sich doch eine sehr viel ausdrücklichere Ausbildung im Management und in der Verwaltung von Hochschulen vorstellen - gerade im Hinblick auf die sich auch im Bereich der Hochschulverwaltung anbahnenden Veränderungen (größere Finanzautonomie, komplexere Planungsabläufe, Mischformen öffentlicher und privater Organisation usw.).
Hier leuchtet die amerikanische Praxis ein, wo an vielen Hochschulen Ausbildungsgänge für Higher Education Administration mit anerkannten Abschlüssen bestehen und man Fächer wie Haushaltsplanung, Personalaufsicht, Kapazitätsberechnung u.v.a. für die besonderen Bedingungen einer Hochschule lernen kann. Aber es ist nicht nur die Ausbildung. Zu diesem Fachgebiet gehört auch ein durchaus anerkannter Bereich der Hochschulforschung, in dem es zwar wie in allen Forschungsdomänen Edelrosen und Sumpfblüten gibt, der aber insgesamt doch eine respektable wissenschaftliche Literatur über die Organisations- und Verwaltungsprobleme des Hochschulwesens produziert hat. 11
Mit anderen Worten: Es gibt in den USA eine professional community, die sich in Forschung und Lehre systematisch der Frage von Hochschulverwaltung und -organisation annimmt und in den entsprechenden Bereichen und Ebenen der Hochschulverwaltung durchaus legitimiert ist. Es ist nicht einzusehen, warum angesichts des auch in Deutschland durchaus vorhandenen Grundbestandes an organisationssoziologischer, finanzwissenschaftlicher und verwaltungswissenschaftlicher Expertise eine ähnliche Professionalisierung nicht möglich sein sollte.
Auf die Frage, in welcher Hinsicht sich das amerikanische und das deutsche Hochschulsystem am meisten unterscheiden, lässt sich ohne viel Zögern antworten: im Umgang mit Studierenden. Das hat zum Teil sicher mit der äußerst unterschiedlichen Dynamik von Angebot und Nachfrage zu tun, die in Deutschland durch die Kostenfreiheit des Studiums und durch bürokratische Spezialkonstruktionen wie die Zentralstelle für die Vermittlung von Studienplätzen (ZVS) auf ein Minimum reduziert ist. Darüber hinaus spielt aber auch die eigentümliche kulturelle Konstruktion des amerikanischen College eine Rolle, das eben nicht nur Ausbildungseinrichtung, sondern gleichzeitig auch rite de passage ist - und den im deutschen System in gymnasiale Oberstufe und erstes Uni-Semester auseinander fallenden Übergang in die Welt der Erwachsenen und der Wissenschaft sehr viel selbstbewusster institutionalisiert.
Ein akademisches Studium im amerikanischen College besteht entgegen landläufiger Meinung in Deutschland nicht in einer verschulten Pflichtübung, sondern in einer Mischung aus curricularer Steuerung und Freiräumen, aus Vorgeschriebenem und mehr oder weniger frei Gewähltem. Der Genius des amerikanischen Studiensystems auf der Ebene der undergraduates, also der ersten vier Jahre des Hochschulstudiums, liegt in der besonderen Ausgewogenheit zwischen diesen beiden Elementen und hier wiederum vor allem in dem Bemühen, den einzelnen Studentinnen und Studenten in der Nutzung der vorhandenen curricularen Freiräume ein Höchstmaß an Beratung und Orientierung angedeihen zu lassen. Wie ernst dies genommen wird, zeigt die an den meisten amerikanischen Universitäten (wiederum sowohl den privaten als auch den öffentlichen) selbstverständliche Prämisse, dass die Wahrnehmung einer so konzipierten Studienorientierung nicht einer Verwaltungsstelle überlassen werden kann, sondern integraler Bestandteil professoraler Pflichten ist (deren besonders gute Erfüllung dann auch - wie erwähnt - öffentlich belobigt wird).
In weiterer Hinsicht erscheint das amerikanische System der studentischen Betreuung leistungsfähiger, und zwar in der Herstellung eines im Großen und Ganzen gut funktionierenden Übergangs vom Studium zur Arbeitswelt durch ein System der universitätseigenen Berufs- und Bewerbungsberatung; dieses ist normalerweise organisiert in Placement Centers, die gleichsam ein Scharnier zwischen Universität und Arbeitswelt bilden. Hier sind die Angebote des Arbeitsmarktes für die Studierenden und Absolventen aufbereitet und zugänglich; darüber hinaus findet sich dort eine Vielfalt von berufsorientierenden Angeboten (von Übungen über Vorstellungsgespräche bis hin zu branchenspezifischen Seminaren). Bei all diesen Maßnahmen ist wichtig, dass sie eben nicht losgelöst von der Hochschule (etwa beim Arbeitsamt), sondern in enger Verbindung mit Studienbetrieb, Studieninhalten und Studienberatung stattfinden. 12
In diesem Punkt scheiden sich bei Vergleichen zwischen den USA und Deutschland in der Regel die Geister. Die einen halten Studiengebühren für das Allheilmittel des deutschen Hochschulwesens, die anderen sind nicht einmal bereit, darüber zu diskutieren, und beschließen ebenso weltfremde wie gegenüber den Nicht-Studierenden unsoziale Verbote von Studiengebühren. Beides verrät eine bemerkenswerte Einfalt. Studiengebühren allein werden selbstverständlich längst nicht alle Probleme des deutschen Hochschulwesens lösen; aber es ist unverantwortlich, in Deutschland über dieses Thema nicht zumindest sehr gründlich nachzudenken. Und hierbei sollte man auch die in den USA gemachten Erfahrungen nicht außer Acht lassen.
Erstens: Studiengebühren sind - mancher landläufigen Meinung zum Trotz - keineswegs auf die so genannten "privaten" Universitäten beschränkt. Studiengebühren werden inzwischen von so gut wie allen amerikanischen Hochschulen erhoben, wobei die jährlichen Beträge von einigen tausend Dollars an öffentlichen Colleges bis zu rund 30 000 Dollars an einigen privaten Universitäten und Colleges variieren. Im Durchschnitt finanzieren private Universitäten etwa ein Drittel ihres Haushalts aus Studiengebühren, bei öffentlichen Universitäten sind es immerhin noch zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Haushalte.
Zweitens: Die meisten US-Universitäten nehmen für sich in Anspruch, Studiengebühren sozialverträglich zu gestalten. Das trifft auch für viele Einrichtungen zu, aber es sind einige Anmerkungen erforderlich: Hintergrund ist das Prinzip der need-blind admissions, also eine Zulassungspolitik, welche die Zahlungsfähigkeit des Studienbewerbers unberücksichtigt lässt und einem qualifizierten Bewerber die Studiengebühren erlässt bzw. ihm darüber hinaus ein Stipendium für die Lebenshaltungskosten zubilligt. So weit, so gut.
Bei näherem Hinsehen weist diese proklamierte Sozialverträglichkeit jedoch einige Lücken auf, über die man sich im Klaren sein muss, will man ein besseres System entwickeln:
- Nicht alle amerikanischen Universitäten sind - in finanziell schwierigen Zeiten - dem Prinzip der need-blind admissions treu geblieben; denn die hierzu erforderliche finanzielle Unterstützung geht bei einer Universität wie Stanford jedes Jahr immerhin in die Millionen. Selbst dort, wo das Prinzip weiterhin zur Anwendung kommt, unterscheidet sich die soziale Zusammensetzung der Studierendenschaft signifikant von der Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung, vor allem an den stärker selektierenden Hochschulen. 13
Drittens: Dessen ungeachtet steht außer Frage, dass das Instrument der Studiengebühren sowohl auf der Seite der Hochschulen als auch auf der Seite der Studierenden und ihrer Familien eine überaus wirksame Dynamik von Angebot und Nachfrage schafft. Aus der Sicht der Hochschule sind Studierende und ihre Eltern zahlende Kunden, die für die Leistung eines College-Diploms einen zwar nicht kostendeckenden, aber doch erheblichen Preis zahlen. Sie werden dementsprechend behandelt, informiert, umworben - und konsultiert: Kritik aus den Reihen der Studierenden und ihrer Eltern wird ernst genommen, in Deutschland ein Phänomen mit Seltenheitswert.
Aus der Sicht der Studierenden und ihrer Familien hingegen erwirkt das Zahlen von Studiengebühren in einem sehr realen Sinne einen Anspruch auf Leistung. Die Einschätzung dieser Leistung erfolgt über die Kausalkette "Studium - Diplom - Beruf", also über den nachvollziehbaren Effekt, den das Studium an einer bestimmten Hochschule auf die Arbeitsmarkt-, Lebens- und Einkommenschancen der Absolventen hat. Diesem Test hat sich die Hochschule zu stellen, wenn sie auf die Dauer nicht ihre Kunden verlieren will. Ob 3 000 oder 30 000 Dollar im Jahr: Die Frage nach dem Gegenwert steht - ausgesprochen oder unausgesprochen - jederzeit im Raum und ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Frage der Qualität eine so bedeutende Rolle in der amerikanischen Hochschulwirklichkeit einnimmt.
Viertens: In den USA würde niemand auf die Idee kommen, ein System für sozialverträglich zu halten, in dem - wie in Deutschland - junge Arbeiter und Angestellte ihren studierenden Altersgenossen über Steuern ein kostenloses Studium ermöglichen - ein Studium überdies, das nicht nur eine Reihe von sozialen Vergünstigungen verschafft, sondern erwiesenermaßen auch zu erheblichen Einkommens-, Beschäftigungs- und Statusvorteilen verhilft.
Sehr viel mehr als in Deutschland handelt es sich beim Hochschulwesen der Vereinigten Staaten um eine höchst differenzierte und vielgestaltige Landschaft, in der eindrucksvolle Spitzenleistungen und biedere Mittelmäßigkeit friedlich koexistieren. In seinen besseren - öffentlichen wie privaten - Einrichtungen manifestiert sich dort jedoch eine Praxis von Forschung und Lehre, die eine Vielzahl von Anregungen für die Hochschulentwicklung anderer Länder enthält. Diese Anregungen ebenso aufmerksam wie kritisch aufzunehmen, erscheint als Gebot hochschulpolitischer Klugheit.
In diesem Sinne gebe ich Gerhard Casper noch einmal das Wort. In seiner Münchener Heisenberg-Vorlesung vom Juli 1996 findet sich eine gerade in ihrer Ausgewogenheit vorzügliche Einschätzung des amerikanischen Hochschulwesens:
"In der amerikanischen Hochschullandschaft glänzt bei weitem nicht alles, und nicht alles, was glänzt, ist Gold. Das amerikanische Hochschulsystem ist ein hochdifferenziertes System, in dem der Idealtypus die verschiedensten Ausprägungen für die verschiedensten Erwartungen und Bedürfnisse gefunden hat. Es ist vor allem ein ohne das Profitmotiv auskommendes Wettbewerbssystem." 14
1 'Vgl. Paul M.
Zall (Hrsg.), Ben Franklin Laughing: Anecdotes from Original
Sources by and about Benjamin Franklin, Berkeley 1980, S.
28f.'
2 'Ebd., S. 29.'
3 'Ebd., S. 46.'
4 'Vgl. Hans N. Weiler, Wettbewerb,
Leistung, Privatisierung - Vergleichende Perspektiven zur
Hochschulreform, in: Volker Lenhart/Horst Hörner (Hrsg.),
Aspekte internationaler Erziehungswissenschaft - Festschrift
für Hermann Röhrs, Weinheim 1996, S. 123 - 134; ders.,
Verantwortung und Zuständigkeit - Entscheidungsstrukturen im
amerikanischen Hochschulsystem, in: Detlef
Müller-Böling/Jutta Fedrowitz (Hrsg.), Leitungsstrukturen
für autonome Hochschulen. Verantwortung - Rechenschaft -
Entscheidungsfähigkeit, Gütersloh 1998, S. 47 -
58.'
5 'Interview mit Hans-Joachim Meyer, in:
Der Tagesspiegel vom 2. Mai 2001.'
6 'Vgl. The Carnegie Foundation for the
Advancement of Teaching (Hrsg.), The International Academic
Profession: Portraits of Fourteen Countries, Princeton/N.J.
1996.'
7 'Vgl. ebd., S. 19.'
8 'Gerhard Casper, Cares of the
University: Five-Year Report to the Board of Trustees and the
Academic Council of Stanford University (Office of the President,
Stanford University 1997).'
9 'Ebd.'
10 'Die leistungsmäßig
stärksten amerikanischen Hochschulen bilden - in der
gebräuchlichen Typologie der Carnegie Foundation - die
Kategorie `Doctoral/Research Universities`. Diese Gruppe besteht
aus insgesamt 261 Hochschulen (d.h. 6,6 Prozent der insgesamt rund
4 000 Hochschulen in den USA); dabei handelt es sich um 95 private
und 166 öffentliche Hochschulen.'
11 'Hier wären, neben vielen
anderen, James March, Alexander Astin, Burton Clark, Martin Trow,
Patricia Gumport, Jill Conway, William Massy oder Philip Altbach zu
nennen.'
12 'Vgl. Hans-Jürgen Puhle/Hans N.
Weiler (Hrsg.), Career Centers. Eine hochschulpolitische
Herausforderung, Hamburg 2001.'
13 'Vgl. u.a. Hans N. Weiler, `Es ist
nicht alles Gold, was glänzt`: Pathologies of American Higher
Education (http://www.stanford.edu/~weiler/IIE_Paper.pdf); David
Leonhardt, As Wealthy Fill Top Colleges. New Efforts to Level the
Field, in: New York Times vom 22. April 2004.'
14 'Gerhard Casper, Eine Welt ohne
Universitäten? Werner Heisenberg-Vorlesung, 3. Juli 1996
(Bayerische Akademie der Wissenschaften und Carl Friedrich von
Siemens Stiftung), München 1996.'