Der Autor attackiert auf breiter Front: Von Gerhard Schröder heißt es, dass er beim Irak-Krieg nicht von moralischen oder weltpolitischen Erwägungen bestimmt gewesen sei, sondern weitgehend von wahltaktischen. Der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf erscheint als ein Mann, der jahrelang die "Staatskasse mit seinem Spesenkonto" verwechselt und sein Land "mit Hilfe von aberwitzigen Transfergeldern als eine Hochburg der Arbeitslosigkeit" verstetigt habe.
Siemens-Chef Heinrich von Pierer wird von Walter van Rossum beschrieben als der "eisige und reichlich ungehobelte Interessenvertreter einer riesigen Aktiengesellschaft, der bei der Umarbeitung der Republik in eine Wirtschaftskolchose" gerne die Vorhut bilde. Michel Friedman wird ohne philosemitische Behutsamkeit (die meist nur eine umgekehrte Form des Antisemitismus ist) in seiner Schamlosigkeit gegenüber ausgebeuteten osteuropäischen Prostituierten und wegen seiner dann folgenden mediengeilen Zerknirschung angeprangert.
Was das alles mit Sabine Christiansen zu tun hat? Sie wird dekuvriert (dämonisiert) als "Agentin" des bundesrepublikanischen "Juste-milieu" - einer Politik, die nicht auf klaren und verbindlichen Prinzipien beruht, sondern die sozusagen von Fall zu Fall entscheidet, wo gerade die wandernden Normen der Mitte liegen. "Diese Sorte von flexiblem Pragmatismus ist heute ein entscheidendes Merkmal des politischen Handelns geworden." In ihrer sonntäglichen Talk-Show würden mit unschlagbarer journalistischer Unbedarftheit "die Wünsche der Chefetage ans Volk durchgereicht".
Es war an der Zeit, dass einmal aufgezeigt wird, "wie das Palaver uns regiert". In der Riege der Moderatorinnen zeigt Sabine Christiansen auf besondere Weise, und zwar präzeptoral-elegant - in erheblichem Quoten-Abstand zur kokett-schelmischen Maybrit Illner und der süßlich-empathischen Sandra Maischberger -, was postmoderne Beliebigkeit ausmacht: nämlich "Inkompetenzkompensationkompetenz" (Odo Marquard). Das kommt gut an bei einem Publikum, das vom Fernsehen zu "Zerstreuungspatienten" gemacht wird, die nicht mehr die Anstrengung des Begriffs (also kritische Aufklärung), sondern die unterhaltsame Show lieben.
Verpackung ohne Botschaft. Dazu gehört auch der Gruseleffekt: Mit Hilfe der von ihr eingeladenen Gäste, die vielfach den höchst dotierten Wirtschaftseliten angehören, gehe es jeden Sonntag darum, Deutschland in Gefahr zu wiegen - um es anschließend zu retten. Dabei wäre freilich kein menschliches Gedächtnis in der Lage, sich an irgend etwas zu erinnern, etwa an einen Gedanken, eine These, auch nur ein Thema. Sabine Christiansen "funktioniert als eine Tonspur in der Endlosschleife mit den stets gleichen Figuren, die bloß unterschiedliche Namen tragen". Eine der Glanzleistungen dieses Sonntagspalavers bestehe drin, die politischen Realitäten schlechthin hinter einer Orgie von Geschwätz zu verdecken.
Die immer mehr um sich greifende Medien-Demokratie befördert in der Tat die gesellschaftspolitische Mediokrität; das Parlament verliert als Folge der TalkShows, die vorgeben, Orientierung zu geben (während sie diese lediglich suggerieren) zunehmend an Bedeutung. Zur 250. Sendung von Sabine Christiansen formulierte Friedrich Merz (damals Gast) als freundliche Gratulation eine bittere Wahrheit: "Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mittlerweile mehr als der deutsche Bundestag. Das betrübt mich, aber das ist ein großer Erfolg."
Es ist dem Verfasser dieser Schrift, die "nebenbei" aufzeigt, wie stark inzwischen Politik in die Fänge ei-ner den Sozialstaat diffamierenden Wirtschaft geraten ist (wobei die Manager, offensichtlich nach dem Motto "après nous le déluge", rücksichtslos abkassieren), zu danken, dass er kompromisslos die Gegenposition zur Verdummungsstrategie der Massenmedien bezieht.
Walter van Rossum
Meine Sonntage mit "Sabine Christiansen".
Wie das Palaver uns regiert.
Kiepenheuer & Witsch. Köln 2004; 208 S.,
8,90 Euro