Und weiter heißt es: "Ein Mitgliedsstaat darf die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der später von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellt worden ist, nicht weiterhin ablehnen, wenn die frühere Fahrerlaubnis des Führerscheininhabers im erstgenannten Mitgliedsstaat entzogen oder aufgehoben wurde, die Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedsstaat aber bereits abgelaufen ist."
Was sich äußerst kompliziert liest, bedeutet nichts anderes, als dass dieses Urteil Verkehrssündern offenbar die Möglichkeit bietet, nationale Fahrverbote ganz legal zu umgehen. Im Klartext: Wer beispielsweise mehrmals den Führerschein - beispielsweise wegen Alkohol im Straßenverkehr - abgeben musste und eine angeordnete Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) fürchtet, kann in einem anderen EU-Staat einen neuen Führerschein machen, der dann auch in Deutschland akzeptiert werden muss. Denn in der entsprechenden EU-Richtlinie 91/439 heißt es explizit: "Die von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt."
Welche konkreten Auswirkungen das Urteil haben wird, ist noch umstritten. Doch Experten fürchten bereits jetzt einen "Führerschein-Tourismus" in Nachbarländer, zumal die Fahrstunden dort auch erheblich günstiger sind als in Deutschland.
Möglicherweise aber trügen die Erwartungen derer, die nun darauf hoffen, in einem anderen EU-Land den "Idiotentest" umgehen zu können. Zunächst sei die Entscheidung des Gerichtshofes eine Bekräftigung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine innerhalb der EU, erläutert die SPD-Bundestagabgeordnete Heidi Wright. Sie bedeute aber auch, dass die europäischen Mitgliedsstaaten die Gültigkeit eines in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheines nicht deshalb ablehnen dürften, weil auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis angewendet wurde - sofern die Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis abgelaufen war. Doch, so unterstreicht die Verkehrsexpertin: "Obwohl das Urteil Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahren in Deutschland haben wird, sollte seine Bedeutung nicht überbewertet werden. Denn es ist keineswegs ein Freibrief für Personen, denen der Führerschein - zum Beispiel wegen eines Alkoholproblems - entzogen wurde und die sich, zur Umgehung einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung im europäischen Ausland unter Angabe eines Scheinwohnsitzes einen Führerschein besorgen. Auch nach der Entscheidung des EuGH verstößt dieser "Führerschein-Tourismus" gegen europäisches Recht, da weiterhin das Wohnsitz-Prinzip gilt. Das heißt, eine Umgehung der MPU durch Erwerb eines ausländischen Führerscheins ist nach wie vor nicht möglich."
Dies begrüße sie insbesondere im Interesse der Verkehrssicherheit. Richtig sei, dass deutsche Behörden auch nach dem EuGH-Urteil Entziehungsverfahren der Fahrerlaubnis einleiten könnten, um sicherzustellen, dass eine Teilnahme am Straßenverkehr nur dann stattfinde, wenn eine Gefährdung anderer ausgeschlossen sei. Schließlich, so Heidi Wright abschließend, sei es in diesem Kontext positiv zu werten, dass in den vergangenen Jahren eine Qualitätssicherung der MPU gewährleistet und diese einer Reformierung unterzogen worden sei: "Diese Reform muss im Sinne einer besseren Transparenz weiterentwickelt werden."
Auf die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren vermehrt bei Führerscheinentzug ins Ausland ausgewichen wurde, um dort eine neue Fahrerlaubnis zu erwerben, verweist der CDU-Verkehrsexperte Gero Storjohann. Auf diese Weise sollten die deutschen Eignungsvorschriften, insbesondere im Hinblick auf die MPU ausgehebelt werden. Sogar im Internet werde von zahlreichen Firmen für diese Möglichkeit der Umgehung deutschen Rechts geworben. Er begrüße durchaus die im Urteil erfolgte Klarstellung des Europäischen Gerichtshofes, dass eine Anerkennung dieser Auslandsführerscheine während einer - von deutschen Gerichten verhängten - Sperrfrist nicht erfolgen müsse. Allerdings umfasse, so Gero Storjohann weiter, das Urteil nicht das Problem der Umgehung der MPU. Es komme nicht nur auf die Sperrfrist, sondern auch darauf an, dass dieses Rechtsinstrument nicht umgegangen werde. Gerade in diesem Bereich aber blühe das "verwerfliche Umgehungsgeschäft beim Führerschein-Tourismus". Die Forderung des CDU-Bundestagsabgeordneten daher: "In diesen Fragen brauchen wir endlich Klarheit. Hier muss Rot-Grün sich bewegen. Ich fordere daher die Bundesregierung auf, bei der Europäischen Kommission endlich für Rechtssicherheit Sorge zu tragen."
"Die vom Gerichtshof festgestellte Rechtslage auf europäischer Ebene darf nicht zu weniger Sicherheit im Straßenverkehr führen", verlangt Hans-Peter Uhl. Eine Lösung des Problems könne es zwangsläufig nur auf europäischer Ebene geben. Wenn auf der einen Seite Führerscheine in den Mitgliedsstaaten gegenseitig anerkannt werden müssten, sei es nach Überzeugung des CSU-Bundestagsabgeordneten ebenso erforderlich, dass auch nationale Rechtsinstrumente untereinander berücksichtigt und respektiert würden. Dazu gehöre eben auch die Medizin-Psychologische Untersuchung. Doch unabhängig von dieser Problematik müssten europaweit einheitliche Kriterien für die Erlangung des Führerscheins formuliert und durchgesetzt werden. Wer - beispielsweise aus Kostengründen - in Holland oder in Polen seinen Führerschein mache, dürfe nicht nur im polnischen respektive holländischen Verkehrsrecht unterwiesen werden, sondern ihm müssten auch die deutschen Verkehrsvorschriften nahegebracht werden.