Es gehört zum modernen Allgemeingut, dass sich der Handlungsraum des Ökonomischen, Sozialen und Kulturellen aus den Begrenzungen des Nationalstaates und von den geografischen Grenzziehungen der Kontinente gelöst hat. Verwiesen wird auf die veränderten ökonomischen Bedingungen der Produktion und Konsumtion, auf die Liberalisierung der Märkte, und nicht zuletzt auf die Intensivierung der Kommunikation durch neue Medien.
Die recht plausible Vorstellung einer allmählichen Entgrenzung der Welt verbindet sich jedoch nicht selten mit der Idee des neoliberalen und US-dominierten Kapitalismus als der zentralen Triebkraft dieses Prozesses. Als wesentliche Akteure gelten dabei die transnationalen Konzerne. Befürchtet wird - ganz in der Tradition von Adorno und Horkheimer - eine kulturelle Einebnung, in der die gesamte Welt nach dem Vorbild eines einzigen, kommunikationsstarken Zentrums mo-delliert und keine lokalen Eigenheiten mehr zulässt. Exemplarisch für diese Position ist etwa das populäre Buch "No Logo" von Naomi Klein.
Allerdings sträubt sich die Wirklichkeit gegen diese Überzeugungen. Erhärtet wird dies auch im Buch "Globales Amerika?", das aus einer Konferenz hervorgegangen ist, die im Oktober 2000 auf Schloss Elmau stattfand. Eine Reihe der Beiträge zu diesem Band betont gerade die Differenz zwischen der Produktion und der Rezeption kultureller Güter. Zu berücksichtigen seien vielmehr Kontextualisierung und Lokalisierung. Dies gelte auch für Produkte wie Coca Cola oder McDonalds: Aus Ressourcen, die im globalen Rahmen verfügbar sind, werde jeweils eine eigene Kultur geschaffen. Deshalb sei Hybridität und Synkretismus ein kennzeichnendes Merkmal zeitgenössischer kultureller Aktivitäten.
Die Vorstellung einer weltumspannenden Konvergenz hin zu einer homogenen globalen Kultur erweise sich somit als Trugbild. Hinzu kämen kulturelle und soziale Vernetzungen eines "globalen Weltbürgertums" (David Held), die sich den Interessen globaler Wirtschaftsmächte widersetzen und ihre eigenen kulturellen Muster erzeugen (Glokalisierung).
Im Beitrag von Rainer Winter wird am Beispiel einer ethnographischen Untersuchung der Hiphop-Kultur gezeigt, wie Hybridbildungen stattfinden. Dargelegt wird auch, dass eine global verankerte kulturelle Identität und eine lokale kulturelle Verortung einander nicht ausschließen müssen. Ähnliches zeigt sich auch im Beitrag von Motti Regev, der den Einfluss der angloamerikanisch definierten Rock-Ästhetik auf die weltumspannende Popmusik analysiert. Auch hier entwickelt sich eine duale Identität, die zugleich lokal und kosmopolitisch ist.
Die Herausgeber sehen darin ein Symptom der Zweiten Moderne, in der selbstverständliche Wahrheiten verschwinden und die sozialen und kulturellen Grenzziehungen variabler werden. Amerikanisierung bedeutet in dieser Sicht weder die kulturelle Vulgarisierung, die Adorno und die Frankfurter Schule in Weiterführung der alten Unterscheidung von hoher Avantgardekultur und niederer Plebejerkultur sehen wollten, noch bedeutet sie einen schlichten Kulturimperialismus nach Bourdieuscher Art, wonach die Menschen passiv von Fremdeinflüssen überrollt werden.
Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Beiträge des Bandes in der Bewertung dieser Partikularismen und der Einschätzung ihrer Konsequenzen. Ist es für die einen Ausdruck einer Vielfalt von unten, erscheint es anderen als ein Prozess der fremdbestimmten "McDonaldisierung": Für George Ritzer und Todd Stillman bedeutet dies vor allem die zunehmende Standardisierung und Durchrationalisierung des Konsumsektors, was zwar nicht gleichbedeutend sei mit einer US-dominierten Verbreitung importierter Kulturgüter, gleichwohl aber zu einer zunehmenden Uniformierung der Kultur führe. Ähnlich argumentiert Richard Kuisel mit Blick auf Frankreich.
Demgegenüber zeigt Delanty die Grenzen der Amerikanisierung am Beispiel Japans. Zwar seien amerikanische Kulturgüter vielfach vorzufinden; insofern könne durchaus von einer Amerikanisierung gesprochen werden. Doch sie diene gerade der Stärkung der japanischen Kultur. Die amerikanischen Kulturgüter seien vor allem ein Mittel zur Schaffung von Bedeutung im Rahmen der bereits vorhandenen Strukturen. Und diese seien generell durch weit zurückreichende Traditionsbestände in den jeweiligen Gesellschaften geprägt.
Etwas zu kurz kommt der Umstand, dass die Vereinigten Staaten - leider auch in diesem begriffskritischen Band fast durchgängig mit "Amerika" gleichgesetzt - nicht nur Kulturgüter exportieren, sondern auch eine starke Sogwirkung auf Kulturen und Kulturakteure ausüben.
Zu Recht betont Roland Robertson im abschließenden Beitrag, dass die USA heute eher von einer Tendenz der Entamerikanisierung geprägt seien. Die Debatte um das neue Buch von Samuel P. Huntington ("Who Are We? The Challenges to America's National Identity") illustriert das Problem nachdrücklich.
Otto Singer
Ulrich Beck, Natan Sznaider, Rainer Winter (Hrsg.)
Globales Amerika? Die kulturellen Folgen der Globalisierung.
Transkript Verlag, Bielefeld 2003;
344 S., 25,80 Euro