Der Fraktionsvorsitzende Peter Hans konstatiert eine "aufgeräumte Stimmung" in den eigenen Reihen und freut sich, "dass Müllers Position im Gefüge der Bundes-CDU jetzt weiter gestärkt wird". Richtung Berlin schickt der Regierungschef eine deutliche Botschaft: Ihren Sieg im Saarland habe die Union erreicht, obwohl die großen Parteien auf Bundesebene mit wachsenden Problemen zu kämpfen hätten. Zwei Prozentpunkte draufgesattelt, die absolute Mandatsmehrheit um einen Sitz ausgebaut: Müller kann weitermachen wie bisher.
Vor dem Urnengang hatte die CDU "Fortsetzung folgt" plakatiert, und so geschieht es nun auch. Die gewohnten Themen bleiben auf der Tagesordnung: etwa die Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst, der Strukturwandel weg von der Kohle und hin zu modernen Technologien, die Fortentwicklung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft und vor allem die Haus-
haltsnotlage - schließlich ist das Land wie schon 1994 mit rund 7,5 Milliarden Euro verschuldet, und dies, obwohl von 1995 bis 2004 insgesamt 6,6 Milliarden Euro im Zuge einer Teilentschuldung aus der Bundeskasse nach Saarbrücken flossen. Müller will weitere Hilfen aus Berlin, wobei er eine Klage vor dem Karlsruher Verfassungsgericht nicht ausschließt.
Auch personell tut sich kaum Neues: Peter Hans wird weiter die Fraktion führen, Hans Ley dürfte im Amt des Parlamentspräsidenten bleiben. Zu Spekulationen über seine künftige Ministerriege hüllt sich Müller in Schweigen, doch auch da ist kaum Revolutionäres zu erwarten. Allenfalls die Frage, ob der Ministerpräsident das Justizressort in Personalunion übernimmt, könnte für etwas Zündstoff sorgen.
Schon nach kurzer Zeit flaut das Interesse an den Gewinnern ab. War überhaupt was? Und ob: Der ka-tastrophale Niedergang der SPD und ihres Spitzenkandidaten Heiko Maas, die dramatisch gesunkene Wahlbeteiligung und der für das Saarland erstaunliche Aufschwung der NPD haben ein republikweit zu spürendes Beben ausgelöst. Die Auseinandersetzung zwischen der Bundes- und der Saar-SPD über die Ver-antwortung für das Desaster sowie der Streit um Oskar Lafontaine, dem wegen seines Liebäugelns mit der Linkspartei mitten im Wahlkampf nun auch Maas die rote Karte zeigt, dürften noch lange widerhallen. Und der nun aufgeflammte Zoff zwischen den Parteien über die Ursachen des Erfolgs der Rechtsextremisten dürfte nach den Urnengängen in Sachsen und Brandenburg richtig hochkochen.
Zwischen dem Medien-Schaulauf des Siegers Müller und der Kontroverse um die Lage der geschlagenen SPD droht fast unterzugehen, dass diese Wahl noch zwei andere Gewinner kennt: Den Grünen mit Spitzenkandidat Hubert Ulrich und der FDP mit dem smarten, erst 32-jährigen Christoph Hartmann gelang knapp der Wiedereinzug in den Landtag. Die beiden Co-Triumphatoren markieren eine Zäsur: Bislang beherbergte Saarbrücken das einzige Zwei-Parteien-Parlament der Republik. Ulrich und Hartmann werden ihr Bundestagsmandat niederlegen und an die Saar auf die Oppositionsbänke wechseln. Hartmann ist bereits im Gespräch für das Amt des Vize-Vorsitzenden der Bundes-FDP - wobei aber auch die baden-württembergischen Liberalen diesen Posten für sich reklamieren, der seit dem Rücktritt von Walter Döring vakant ist.
Der Blick auf Prozentpunkte und Mandatsgewinne verdeckt, dass eigentlich auch die CDU zu den Verlierern der Wahl zählt. Gegenüber 1999 büßte die Partei 44.000 Stimmen ein. Nur noch 210.000 Kreuze wurden bei der Union gemacht, ein Rückgang von annähernd 18 Prozent. Die auf 55,5 Prozent abgestürzte Wahlbeteiligung macht aus diesem Minus gleichwohl ein Plus bei den Prozenten. Es gebe eine bis in die Reihen der CDU-Anhänger hineinreichende "allgemeine Protesthaltung", meint der Fraktionsvorsitzende Hans: "Die Politik verlangt den Menschen Zumutungen ab, und das sind sie nicht gewohnt."
Bauchschmerzen bereitet der "allgemeine Protest" freilich in erster Linie der SPD. Die vollständige Statistik offenbart das wahre Ausmaß des Desasters. Die Sozialdemokraten verloren sage und schreibe 111.000 Wähler: 1999 waren es 247.000, jetzt sind es noch 136.000 - das sind 45 Prozent weniger.
Im Berliner Willy-Brandt-Haus war man mit Schuldzuweisungen an die Adresse der Saar-Genossen schnell bei der Hand. Heiko Maas und die SPD hätten verloren, so Kanzler Gerhard Schröder und der Bundesvorsitzende Franz Müntefering, weil sie sich nicht klar hinter den Kurs der Bundesregierung gestellt hätten. Der von Maas verfolgte Mittelweg zwischen der Kritik Lafontaines und der Berliner Linie sei misslungen, so Müntefering. Der Austausch von Freundlichkeiten zwischen Maas und Müntefering bei einem SPD-Fest an der Spree am Mittwoch nach der Wahl kann die Differenzen nicht überdecken. Maas meint, die Saar-SPD habe es nicht geschafft, Müllers CDU landespolitisch Paroli zu bieten. Vor allem aber sieht der Oppositionsführer in der Berliner Politik der sozialen Einschnitte, die nicht gerecht ausgewogen sei, einen zentralen Grund für das Ergebnis: "Wenn die SPD ihre Kompetenz beim Thema soziale Gerechtigkeit verliert, wird sie keine politischen Mehrheiten mehr mobilisieren können."
Eines unterstreicht Maas und kontert so entsprechende Vorwürfe aus der Bundes-SPD: "Lafontaine trägt nicht die Hauptschuld an der Niederlage." Dessen Drohung mit der Linkspartei habe aber "zusätzlich Verwirrung gestiftet". Lafontaines Wahlkampf-Fauxpas nimmt der 37-Jährige zum Anlass, den Altmeister der Saar-Partei vom SPD-Spielfeld zu stellen: Demonstrativ betont Maas, dass fortan allein die das Sagen haben müssten, "die in der Fraktion und in der Partei die Ämter innehaben und Verantwortung tragen" - und zu denen zählt Lafontaine nicht, auch wenn dessen politische Positionen an der SPD-Basis und im Gewerkschaftslager nach wie vor viel Rückhalt finden. Einen Parteiausschluss Lafontaines, wie dies außerhalb des Saarlands immer mal wieder verklausuliert oder offen gefordert wird, lehnt Maas ab: "Das wäre der völlig falsche Weg." Lafontaine selbst müsse klarmachen, ob er innerhalb oder außerhalb der SPD Politik machen wolle.
Als "absoluten Blödsinn" weist Maas die Behauptung Peter Müllers zurück, Lafontaine habe mit seiner Kampagne gegen Hartz IV erst den Auftrieb der NPD ermöglicht. Der SPD-Oppositionsführer hingegen sieht hinter dem Erfolg der Rechtextremisten wie auch hinter dem massenhaften Abmarsch in die Wahlenthaltung vor allem reale soziale Probleme: "Die Sorgen und Nöte der Menschen werden in der Politik nicht ernstgenommen." Besonders gute Ergebnisse verbuchte die NPD an Orten, wo die Arbeitslosigkeit hoch und die soziale Deklassierung stark zu spüren ist - wie etwa im wirtschaftlich gebeutelten Völklingen mit fast zehn Prozent NPD-Stimmen. Nach Analysen der Forschungsgruppe Wahlen erreichten die Rechtsaußen unter den Erwerbslosen im Saarland insgesamt zwölf Prozent.
Der eigentliche Knaller der Wahl, der vor allem die SPD erschrecken muss, ist indes die spektakulär niedrige Wahlbeteiligung. Dabei strömten die Saarländer jahrzehntelang besonders gern zu den Urnen: 1984 lag die Quote noch bei über 80 Prozent, 1999 waren es knapp 69 Prozent, bei der jetztigen Wahl waren es nur 55 Prozent - und jedes Mal schlug sich der Rückgang mit einem dicken Minus bei den SPD-Prozenten nieder.