Im Europäischen Parlament in Straßburg sind die von der EU-Kommission am 3. September präsentierten Vorschläge zur Reform des Stabilitätspaktes im Grundsatz überwiegend begrüßt worden. Doch in der Zielrichtung der Reformen und beim Ausmaß der angestrebten flexiblen Umsetzung ergaben sich in der Debatte erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen politischen Gruppen, die von einer starken Aufweichung bis zum zwingenden Mechanismus von Sanktionen bei Verstößen reichten.
Die Kommission hat Vorschläge für die Verbesserung und die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) vor dem Hintergrund verabschiedet, dass sich die Finanzminister in der jüngsten Vergangenheit wiederholt über die Vorgaben der Kommission zur Umsetzung des Paktes hinweggesetzt haben. Deshalb soll in Zukunft bei der Überwachung der Haushalte der Mitgliedstaaten die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen stärker beachtet werden. Bei der Definition des mittelfristigen Ziels eines "nahezu ausgeglichenen Haushalts oder eines Haushaltsüberschusses" sollen länderspezifische Gegebenheiten verstärkt berücksichtigt werden. Weiterhin sollen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungen bei der Umsetzung des Verfahrens berücksichtigt werden.
Nach den Brüsseler Vorschlägen sollen auch frühzeitigere Maßnahmen zur Korrektur budgetärer Fehlentwicklungen gewährleistet werden. Bisher galten nur Naturkatastrophen als einziger entschuldbarer Grund zur kurzfristigen Überschreitung des Haushaltsdefizits von drei Prozent. Der nun vorgesehenen flexibleren Anwendung des Paktes, die vor allem den großen Haushaltssündern Deutschland und Frankreich entgegen kommt, will die Kommission die Verpflichtung entgegensetzen, in besseren konjunkturellen Zeiten verstärkt Schulden tilgen zu müssen. Für diese Reformmaßnahmen ist keine Änderungen der Verträge vorgesehen, weil dann auch die Europäische Verfassung noch einmal geändert werden müsste. Die Kommission meint, dass eine Neufassung der Umsetzungsverordnungen ausreichend ist.
Die größte Skepsis gegenüber den Brüsseler Vorschlägen äußerte der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der EVP, Alexander Radwan, weil diese den Pakt keineswegs retten könnten. Zwar wolle sich seine Fraktion einer längeren Betrachtungsweise der Finanzpolitik der einzelnen Länder nicht widersetzen, aber eine flexiblere Anwendung unter Berücksichtigung des strukturellen und konjunkturellen Umfeldes dürfe keinesfalls zu einer à la Carte-Politik der Mitgliedstaaten führen. Vielmehr müsste die Position der Kommission gegenüber dem Ministerrat und der Sanktionsmechanismus deutlich gestärkt werden.
Die sozialistische Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses, die Französin Pervenche Berès, schlägt dagegen vor, die finanziellen Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Lissabon-Strategie nicht bei der Neuverschuldung der Staaten anzurechnen, weil diese Kosten die strukturellen und Wachstumsdefizite beseitigten und dem jeweiligen Land den langfristigen Abbau seiner Verschuldung erleichterten. Mit dem Lissabon-Prozess soll die EU innerhalb von zehn Jahren zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt entwickelt und ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum von mindestens drei Prozent erreicht werden. Luxemburgs früherer Wirtschaftsminister Robert Goebbels unterstützte seine Kollegin mit der Frage: "Wie kann es wirkliche Stabilität ohne Wachstum geben?" Schließlich seien die Kriterien von 60 und drei Prozent für die Gesamt und die Neuverschuldung willkürlich festgelegt worden und sollten flexibel gehandhabt werden.
Für die Grünen ging Daniel Cohn-Bendit noch einen Schritt weiter, indem er die Drei-Prozent-Klausel am liebsten ganz abschaffen würde und auch die Bildungsausgaben aus der Verschuldungsberechnung herausnehmen möchte. Anders die Liberalen, für die ihr Sprecher Wolf Klinz bemängelte, dass die Vorschläge der Kommission nicht präzise formuliert seien. Seine Fraktion werde jedoch alle Vorschläge unterstützen, die dazu beitrügen, dass der Stabilitätspakt ernst genommen werde. Auf ein Ausklammern von Kostenbereichen aber werde man sich genau so wenig einlassen, wie auf einen Verzicht von Sanktionen. H. H.