Helmut Kohl bekommt im Nachhinein nun doch noch Recht - sofern er sich jemals im Unrecht gefühlt haben sollte. Nein, keine Angst, es geht nicht um das liebe Geld, sondern um ein viel höheres Gut: die deutsche Sprache. Einst wurde der Altkanzler verspottet und gescholten, dass seine Englischkenntnisse angeblich nicht ausreichten, um mit den Großen, Kleinen und Gleichgestellten der internationalen Politik mehr als zwei Sätze in der Weltsprache zu wechseln. Von Französisch oder anderen Sprachen ganz zu schweigen. Die Witze über das linguale Defizit des "tumben Pfälzers aus Oggersheim" sind Legion - meist gepaart mit wehmütigen Erinnerungen an den großen, eleganten und gebildeten Staatsmann Helmut Schmidt, der so weltmännisch mit den Staatenlenkern anderer Nationen englisch parlierte.
Und nun? Nun erklärt uns der Deutsche Germanistentag in München dieser Tage, dass genau dies wohl ein Fehler gewesen sei. Denn - so unsere Hüter des geschriebenen und gesprochenen Wortes - der deutschen Sprache droht innerhalb Europas ein Schattendasein: Deutsch sei zwar mit "97 Millionen Sprechern die größte Sprechergruppe innerhalb der Europäischen Union", im Vergleich zu den EU-Amtssprachen Englisch und Französisch nehme die Sprache der Dichter und Denker aber nur eine Randposition ein, regt sich Professor Konrad Ehrlich von der Ludwig-Maximilians-Universität in München auf. "Wenn wir nichts dagegen tun, wird das Deutsche zu einer Regionalsprache auf einer Stufe mit dem Schwäbischen oder dem Sächsischen", so der besorgte Lehrstuhlinhaber und Vorsitzende des Germanistenverbandes.
Irgendwie rührend - nachdem die Damen und Herren in ihren wissenschaftlichen Elfenbeintürmen kräftig mit daran gebastelt haben, dass kein Deutscher mehr so recht weiß, wie er die 26 Buchstaben des Alphabets aneinanderreihen muss, damit er nicht als reformunfreudiger Legastheniker gilt, stürzen sie sich jetzt mit Verve darauf, dass die deutsche Sprache nicht aus dem kollektiven Bewusstsein des Abendlandes verschwindet.
Und sie präsentieren uns auch entsprechende Vorschläge, damit aus den 97 Millionen Deutsch-Sprechern keine europäischen Kultur-Underdogs werden: Zum einen sollten deutsche Politiker im Ausland - jetzt kommt es, verehrter Herr Altbundeskanzler! - nicht englisch sprechen, sondern in ihrer Muttersprache reden. Zum anderen soll - jetzt kommt ein wirklich überraschender Vorschlag - eine "Agentur für die deutsche Sprache" gegründet werden. Im korrekten Germanistendeutsch lautet und schreibt sich dies wie folgt: "Wir brauchen auf Bundesebene eine arbeitsfähige Repräsentanz der deutschen Sprache für den europäischen Raum." Viele Politiker befleißigen sich übrigens einer ganz ähnlichen Sprache, deswegen werden sie auch von immer weniger Menschen verstanden - ganz gleich ob in Englisch, Französisch oder der Regionalsprache Deutsch. Alexander Weinlein