Einstimmig hat sich der Parteitag für eine privilegierte EU-Partnerschaft der Türkei ausgesprochen. In dem Beschluss heißt es unter anderem:
"Das Konzept einer privilegierten Partnerschaft statt eines Beitritts trägt dem beiderseitigen Bedürfnis nach einer engen nachbarschaftlichen Zusammenarbeit und der europäischen Perspektive der Türkei Rechnung, ohne einen Partner zu überfordern: Eine privilegierte Partnerschaft geht über die zwischen der Europäischen Union und der Türkei eingegangenen Assoziierung und Zollunion hinaus und soll eine umfassende Freihandelszone entwickeln. Sie soll die Zusammenarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft vertiefen und eine Strategie zur kontinuierlichen Heranführung der Türkei an die EU-Standards in allen wichtigen EU-Politikbereichen wie Umweltschutz, Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, Gesundheits- und Verbraucherschutzstandards, Arbeitsrecht sowie Kartell- und Beihilferecht entwickeln.
Eine privilegierte Partnerschaft soll die Türkei ver-stärkt in die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GASP einschließlich der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ESVP einbeziehen. Sie soll die Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und organisiertem Verbrechen durch Zusammenarbeit der Behörden und Institutionen im Innen- und Justizbereich intensivieren. Sie soll eine partnerschaftliche, institutionelle Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zwischen der Türkei und der EU begründen. Sie soll finanzielle Hilfen beinhalten, die über den bisherigen Umfang hinaus gehen können, ohne die volle Teilnahme an den europäischen Strukturfonds und der Agrarpolitik.
Die EU-Kommission hat am 6. Oktober 2004 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei empfohlen. Über diese Empfehlung wird der Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 17. Dezember 2004 entscheiden. Die CSU hält die Empfehlung der EU-Kommission für falsch. Die EU wäre aus Sicht der CSU mit einem Beitritt der Türkei politisch, finanziell und sicherheitspolitisch überfordert. Zugleich würde die Türkei selbst durch eine zu schnelle Übernahme der hohen EU-Standards in ihrer Entwicklungsdynamik gehemmt. Sollte der Europäische Rat der Empfehlung der Kommission folgen, müssen die Verhandlungen tatsächlich vom Ziel und Ergebnis her offen geführt werden, so dass eine privilegierte Partnerschaft eine realistische Option bleibt...
Die EU steht jetzt vor der Aufgabe, die größte Erweiterung ihrer Geschichte zu bewältigen. Die Heterogenität in Wirtschaft und Gesellschaft der heutigen EU-25 einschließlich der weiteren Beitrittskandidaten erfordert eine außerordentliche Kraftanstrengungen, um diesen Prozess erfolgreich zu gestalten. Die solidarische Hilfe für die weniger entwickelten Mitgliedstaaten wird an die Grenzen der finanziellen Leistungsfähigkeit der EU stoßen. Daher muss die Konsolidierung der bestehenden EU Vorrang vor einer weiteren Erweiterung haben.
Aufgrund der begrenzten Wirtschaftskraft der Türkei insgesamt, des erheblichen wirtschaftlichen Gefälles innerhalb der Türkei sowie wegen ihres Agrarsektors könnte die Türkei jährlich bis zu 28 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt beanspruchen. Das würde die EU und Deutschland als größtem Nettozahler, der zusätzlich zu seiner schon jetzt steigenden Netto-Belastung mindestens weitere sechs Milliarden Euro jährlich leisten müsste, weit überfordern.
Zudem droht als Folge des großen wirtschaftlichen Gefälles eine erhebliche Zuwanderung nach Deutsch-land, die die schon heute bestehenden Integrationsprobleme massiv verschärfen und zum Entstehen von Parallelgesellschaften führen würde. Mit der Türkei als Mitglied hätte die EU gemeinsame Außengrenzen mit dem Irak, dem Iran und Syrien. Damit würde die EU von krisenhaften Entwicklungen in dieser Region unmittelbar betroffen. Außerdem würde die Erhaltung der inneren Sicherheit in der EU erheblich erschwert.
Die Türkei hat in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um sich den europäischen Standards anzunähern. Die politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Reformen in der Türkei haben aber noch nicht zu dem für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen notwendigen Ergebnis geführt...
Wesentliche Probleme bei den Menschenrechten werden in den Schlussfolgerungen der EU-Kommission nur angedeutet. Diese Defizite werden dadurch belegt, dass Asylbewerber aus der Türkei die größte Flüchtlingsgruppe in Deutschland bilden und die Türkei im Entwurf der Asylverfahrens-Richtlinie nicht als sicherer Drittstaat qualifiziert wird.
Unredlich und unrealistisch ist die Argumentation der Beitrittsbefürworter, dass die Verhandlungen ohnedies bis zu 15 Jahren dauern. Wenn der Verhandlungsprozess solange dauern würde, zeigt dies, dass die Türkei für Beitrittsverhandlungen nicht reif ist."