Noch im Frühsommer standen für die CDU in Schleswig-Holstein und ihren Spitzenkandidaten Peter Harry Carstensen die Zeichen auf Sieg. Nach dann fast 17 Jahren sozialdemokratisch geführter Regierungen erschien der Machtwechsel an der Förde am 20. Februar hin zu einer schwarz-gelben Koalition als reine Formsache. Doch in nur wenigen Wochen hat sich das Bild völlig gewandelt. Knapp drei Monate vor dem Urnengang deuten alle Umfragen und Prognosen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der rot-grünen Regierung von Ministerpräsidentin Heide Simonis und ihrem bürgerlichen Herausforderer hin. In den Zentralen der Parteien hat das inzwischen erste Überlegungen ausgelöst, die am Ende die politische Farbenlehre gründlich durcheinander bringen könnte.
Der Entscheidung im Norden messen Beobachter große Signalwirkung bei. Erstmals nach der Bundestagswahl 2002 steht in Schleswig-Holstein eine rot-grüne Koalition auf dem Prüfstand. Nur drei Monate später muss sich dann im bevölkerungsreichen Nord-rhein-Westfalen Ministerpräsident Peer Steinbrück - ehemals Wirtschaftsminister in Kiel - dem Urteil der Wähler stellen. Gelingt der Union in beiden Ländern der Machtwechsel, hätte sie eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundesrat und könnte damit die Bundesregierung praktisch total blockieren.
Seinen Wahlkampfstart im Sommer hatte Spitzenkandidat Carstensen gründlich verpatzt. Zunächst sorgte der 56-jährige Landwirtschaftslehrer und Bundestagsabgeordnete von der Insel Nordstrand mit einer Brautschau in der "Bild"-Zeitung für negative Schlagzeilen. Als ihm dann auch noch die Präsentation seines Schattenkabinetts misslang und der bis dahin geheim gehaltene Entwurf des Wahlprogramms an die Medien durchgesteckt wurde, schaltete sich Parteichefin Angela Merkel ein. Sie entsandte den früheren Generalsekretär Willi Hausmann in den Norden. Der wiederum installierte einen Profi in der Parteizentrale. Seither läuft der Wahlkampf der Christdemokraten rund. Zentrale Themen sind die Bildungspolitik, die Wirtschaftsflaute, die Schuldenlast des Landes sowie die aus Sicht der CDU überbordende Umweltbürokratie.
Doch das Ringen der beiden Spitzenkandidaten um Popularitätswerte und der inhaltliche Schlagabtausch sind nur vordergründig. Längst bereiten zwei schleswig-holsteinische Besonderheiten den politischen Strategen beider Lager zunehmend Kopfzerbrechen, da sie eine Mehrheitsbildung erschweren könnten. Zum einen ist der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und somit wieder sicher im Parlament vertreten. Zum anderen droht im Landtag unerwünschter Zuwachs von Rechtsaußen. Immer wenn in Deutschland rechtsextreme Gruppierungen auf einer Erfolgswelle schwammen, gelang ihnen im Norden auf Anhieb der Sprung ins Haus an der Förde, so der NPD 1967 und der DVU 2002. Für die bevorstehende Wahl haben beide angekündigt, ihre Kräfte zu bündeln. Daher tritt diesmal nur die NPD an.
Am komfortabelsten stellt sich die Gesamtsituation zur Zeit für Ministerpräsidentin Simonis dar. Mit den Grünen unter Spitzenkandidatin und Justizministerin Anne Lütkes hat sie einen treuen Partner an ihrer Seite, dem die Prognosen im Norden sogar ein zweistelliges Ergebnis vorhersagen. Der SSW verzichtet zwar auf eine Koalitionsaussage, wäre aber, falls notwendig, zur Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung bereit. Carstensen hätte es dagegen deutlich schwerer, eine Mehrheit zusammen zu bekommen. Die FDP will zwar an der Seite der CDU die Macht erobern, hat aber bewusst keine Koalitionsaussage beschlossen. Wenn die Sitzverteilung Schwarz-Gelb nicht hergibt, sei man nicht auf die Oppositionsbank abonniert, heisst es bei der FDP. Ihr Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki, dem ohnehin sozialliberale Ambitionen nachgesagt werden, wird derweilen nicht müde, seine FDP vor allem in innen- und wirtschaftspolitischen Fragen von den Christdemokraten abzusetzen.
Zumindest in der CDU-Landtagsfraktion macht man sich daher schon Gedanken für den Fall, dass es am 20. Februar irgendwie nicht reichen könnte. Auch wenn in der Landeshauptstadt CDU-Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz mit einer schwarz-grünen Koalition weitgehend reibungslos regiert, gilt diese Konstellation auf Landesebene als (noch) nicht durchsetzbar. Kein Wunder, dass Unionsgrößen im Landeshaus inzwischen mehr oder weniger offen an ein Spargelessen im vorvergangenen Sommer erinnern. Zur Halbzeit der Legislaturperiode hatten sich im Hause eines SPD-Landtagsabgeordneten zwei Minister der Simonis-Regierung ohne Wissen ihrer Chefin mit CDU-Funktionsträgern getroffen und Möglichkeiten für eine große Koalition sondiert.