Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien - trotz aller Nachwuchssorgen. Das Parlament stellt einige Jungpolitiker vor.
Ein ganz normaler Dienstag in der Klasse 9.1 am Franziskaneum in Meißen. Bis in der zweiten Stunde plötzlich die Tür aufgerissen wird, eine vermummte Gestalt hineingestürmt kommt und mit zwei großen Messern 22 Mal auf die eigene Geschichtslehrerin einsticht. Nur drei Minuten dauert das alles.
Julia Bonk ist damals 13 Jahre alt, besucht die achte Klasse des zweisprachigen Dresdner Romain-Rolland-Gymnasiums und hat gerade das Amt als Klassensprecherin an Schulfreundin Anita abgegeben. Schnell stellt sie sich den nächsten Wahlen - zur Schulsprecherin. "Ich wollte wirklich etwas bewegen", sagt sie heute. "Die Motivation war der Mord an der Lehrerin in Meißen, auch wenn das jetzt wie für die Zeitung gesprochen klingt." Klingt es tatsächlich, aber es wirkt glaubwürdig. Es folgen Ämter in der Schülervertretung auf Stadt- und Landesebene. Das "schöne Gesicht des Sozialismus" ("Neues Deutschland") geht seinen Weg, verwaltet neben Hausaufgaben und Klassenarbeiten 60.000 Euro Budget für die Landesschülerarbeit, gibt Broschüren heraus und organisiert Diskussionen. "Ich forderte damals den Rücktritt des sächsischen Kultusministers und hatte eigentlich keine richtige Ahnung vom Thema." Aber alle klatschten.
Von ihrer neu bezogenen Wohnung in der Dresdner Neustadt, heute, fünf Jahre später, ist es nicht weit zu den Orten, wo sie anfing Politik zu machen. Sie müss-te bloß die Louisenstraße entlang gehen, vorbei an der Imbissbude mit den leckeren Crêpes und an ihrer alten Schule in der Weintraubenstraße, hinein in das Büro des Landesschülerrates. Doch der neue Weg geht links ab, am Polizeirevier in den kleinen Weg hinein und über den Albertplatz. Dort könnte sie noch einmal drei Kilometer Richtung Elbe laufen, dann kommt der Eingang zum sächsischen Landtag und dahinter die große politische Welt.
Seit einigen Wochen hat Julia Bonk dort im vierten Stock ihr Büro. Sie ist die jüngste Berufspolitikerin Deutschlands. Mit gerade 18 Jahren ist sie als parteilose Abgeordnete in das sächsische Landesparlament eingezogen. Jünger als Anna Lührmann und Carsten Schneider in den Bundestag oder Ilka Schröder ins Europaparlament kamen. "Mich haben die Grünen und die PDS gefragt, ob ich für sie auf der Liste kandidieren möchte", erzählt sie. Nach Tagen und Nächten, in denen sie grübelt und die Wahlprogramme wälzt, findet Julia Bonk die größten Übereinstimmungen mit der Politik der PDS. "Ich kann mich aber nicht immer rückhaltlos mit allen Inhalten identifizieren", rechtfertigt sie ihre Entscheidung, nicht in die Partei eingetreten zu sein. Im Kampf um die Listenplätze weht ihr zum ersten Mal der politische Wind etwas rauer um die Nase. "Man hat mir vorgeworfen, dass ich die Mühlen der Lokalpolitik nicht durchlaufen hätte." Doch es reichte knapp, die Parteidelegierten nominieren die "rote Julia" ("Bild") für Platz 21 der Landesliste.
Es folgen die Wochen des Straßenwahlkampfes. Und das heißt interessiert sein, zuhören, argumentieren, Grußworte - und bloß nicht gähnen. RTL ist auch da. "Das Medieninteresse war schon immer recht groß", stellt sie nüchtern fest und vermutet auch eine Strategie der PDS: "Die haben mich ganz gern so in der Ecke des hübschen Gesichtes der Partei." Der Einsatz des demokratisch-sozialistischen Bodenpersonals zur Verteilung von Aufklebern, Wutbällen, Hanftütchen und anderem Spielzeug zeitigt Erfolg. Trotz Stasi-Affäre des Lokalmatadors Peter Porsch steht bereits um 18 Uhr am Wahlabend fest: Julia Bonks Platz im Landtag ist sicher. Von einem "Emotionscocktail" redet die Dresdnerin und beantwortet strahlend die Fragen der Journalisten. Gleichzeitig posiert die Führungsriege der NPD um Holger Apfel in plakativer Siegerpose für die Fotografen. "Die NPD hat Forderungen, die ebenso andere Parteien vertreten können. Das Entscheidende an rechter Ideologie ist, dass sie auf Herabwürdigung und Ausgrenzung bestimmter Gruppen ausgelegt ist", sagt Julia Bonk. Als bei der konstituierenden Landtagssitzung mehr als 150 Journalisten auf die Pressetribüne mit Elbblick gekommen sind, schießen sich die Objektive der Fotografen schnell auf ein Motiv ein: Die jüngste deutsche Politikerin aller Zeiten protestiert im Sitzungssaal auf ihre Art und Weise. "Schöner leben ohne Nazis" steht auf ihrem T-Shirt geschrieben. "Ich habe bis zur letzten Minute überlegt, ob ich das wirklich machen kann." Doch die NPD ist auch hier kurzsichtig, und am nächsten Tag geht ein Foto um die Welt.
Jetzt türmen sich im Landtagsbüro, wo Julia Anastasia Bonk Politik macht, Papierstapel, Anträge, Protokolle und Briefe, darunter viele mit Glückwünschen. Das Telefon klingelt unaufhörlich. Zeitungen, Fernsehsender, Magazine - alle wollen nur das Eine von Julia Bonk: Interviews und Bilder. "Ich habe noch nicht mal Lampen an den Decken meiner Wohnung." Aber das ist der "Bild" egal, und auch der "Stern" meldet sich bei ihr zu Hause an. Das Handy vibriert, der "Focus" möchte etwas über ihre politischen Ansichten wissen. Doch die Zeit drängt, ein Gespräch für das Mittagsmagazin des MDR steht an und auch ein Treffen für die Talkshow mit Johannes B. Kerner.
"Es ist schon ein sehr komisches Gefühl, wenn die ‚Bild'-Zeitung etwas über eine Laufmasche in meiner Strumpfhose wissen möchte", sagt Julia Bonk, die viel lieber über Hartz IV und Haushaltspolitik reden würde. Politische Visionen hat die Jungpolitikerin viele. Wichtig sei ihr vor allem der starke Austausch zwischen dem Leben außerhalb und dem parlamentarischen Geschehen innerhalb des Landtages. "Parlament ist kein Selbstzweck, es vertritt die Interessen der Menschen in Sachsen, und genau dafür möchte ich mich einsetzen", sagt Julia Bonk und feilt währenddessen an den letzten Statements für eine bildungspolitische Podiumsdiskussion. "Ich halte eine grundlegende Veränderung im sächsischen Schulsystem für unbedingt notwendig," sagt sie und eilt in Richtung Hauptbahnhof. Auf der Fahrt zum Treffen des Arbeitskreises Bildung erklärt sie im Zug, warum sie am liebsten in Fahrtrichtung sitzt: "Ich schaue lieber nach vorn als zurück." Und sie spricht von der Zukunft. Nach den fünf Jahren im Landtag, die vor ihr liegen, möchte sie gerne Journalistin werden, am liebsten in Frankreich. Julia Bonk spricht fließend Französisch, studiert Politik und Geschichte. Oder, sagt sie ohne Furcht, sie schafft es schon 2006 als Abgeordnete in den Bundestag. Das wiederum halten Korrespondenten großer Zeitungen auf der Pressetribüne des Landtages durchaus für möglich. Wieder klingelt das Telefon: Es geht um eine Reportage des TV-Senders Arte über junge Politiker. Ein ganz normaler Dienstag im Leben der Julia Bonk.