Der Widerstand gegen Hitler wurde nicht nur von Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftern, Kirchenmännern und Offizieren, sondern auch von Politikern der bürgerlichen Parteien getragen. Die leidvollen Erfahrungen, die sie zwischen 1933 und 1945 durch Widerstand und Verfolgung machen mussten, prägten ihr politisches Bewusstsein, mit dem sie nach Kriegsende an den Aufbau der zweiten deutschen Demokratie gingen.
Diese Verbindungs- und Entwicklungslinien zwischen dem bürgerlichen Widerstand gegen Hitler und den politischen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland zeichnen die Autoren auf lesenswerte Art und Weise nach. Die Einleitung gibt einen Überblick der unterschiedlichen christlich-demokratischen Widerstandskreise. Es wird deutlich, dass bei aller Heterogenität der politischen Ausrichtungen von national-konservativ über liberal bis christlich-sozial die Erfahrungen der NS-Diktatur zu gemeinsamen Einsichten führten, die für die 1949 gegründete Bundesrepublik konstituierend werden sollten.
Nach der menschenverachtenden und völlig entsittlichten Politik der Nazis wollten die christlichen Demokraten gegen Hitler das christliche Menschenbild und sein Bekenntnis zur unveräußerlichen Würde des Individuums zum Fundament aller Politik machen. Das schlug sich in der Präambel und dem Artikel 1 des Grundgesetztes nieder, in denen die Verantwortung vor Gott und den Menschen sowie die unantastbare Menschenwürde beschworen werden.
Eindringlich beschreiben die Autoren des biografischen Handbuches auch die im Widerstand gegen Hitler gewachsene Einsicht der christlichen Demokraten, dass sie ihre politischen Kräfte, anders als noch vor 1933, künftig in einer konfessionell und sozial integrierenden Union bündeln müssten. Darüber hinaus wird deutlich, wie unter dem Eindruck der NS-Herrschaft die konsequente Ablehnung aller totalitären und kollektivistischen Ideologien zum Bestandteil des christdemokratischen Selbstverständnisses wurde.
Dieses Selbstverständnis fand nach 1945 im Kalten Krieg seinen Ausdruck in einem ebenso fundierten Antikommunismus. Auch die Wurzeln christdemokratischer Rechtsstaats-, Gesellschafts- und Europapolitik erklären die Herausgeber in ihrer Einleitung mit den Konsequenzen, die sich für die christlichen Demokraten aus den Erfahrungen mit der totalitären und willkürlichen Machtpolitik Hitlers ergaben.
Obwohl die vor allem als Politik- und Geschichtswissenschaftler ausgewiesenen Herausgeber und Autoren, die zum Teil Mitarbeiter des Archives für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung sind, ihre Nähe zum Forschungsgegenstand nicht verhehlen, haben sie mit diesem biografischen Handbuch mehr als nur einen Gründungsmythos der Unionsparteien vorgelegt.
Ihre 60 sehr kompakt und doch auch anschaulich und aufschlussreich geschriebenen Porträts führen uns nicht nur die vom Widerstand geprägten Lebenswege prominenter Christdemokraten, wie den des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer, des ersten Bundesratspräsidenten Karl Arnold, des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser oder der Bundestagspräsidenten Hermann-Josef Ehlers und Eugen Gerstenmaier vor Augen, sondern erinnern auch an heute fast vergessene, aber nicht weniger verdienstvolle Christliche Demokraten wie etwa den Landwirtschaftsfachmann und ersten Vorsitzenden der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone, Andreas Hermes oder die christliche Gewerkschafterin Elfriede Nebgen. Wir lernen in allen biografischen Essays politisch aktive Persönlichkeiten kennen, die keine Heiligen, sondern starke Menschen mit Ecken und Kanten waren. Wir lernen Menschen in existenziellen Ausnahmesituationen kennen, die uns mit ihr mutigen Lebensbeispiel auch heute noch und über Parteigrenzen hinweg viel zu sagen haben. Und nicht zuletzt beantwortet ihre Geschichte auch die Frage vieler Nachgeborenen, warum nicht noch viel mehr Deutsche zwischen 1933 und 1945 den Mut hatten, gegen Hitler aufzustehen.
Günter Buchstab/Brigitte Kaff/Hans-Otto Kleinmann (Hrsg.)
Christliche Demokraten gegen Hitler.
Aus Verfolgung und Widerstand zur Union.
Verlag Herder, Freiburg/Br. 2004; 536 S., 19,- Euro