Melda krümmt sich auf dem Boden. Mit den Händen schützt sie ihr Gesicht, versucht, den Bruder wegzustoßen. Der schlägt zu, immer wieder. Atemlos und mit zersaustem Haar erhebt sich die zierliche Türkin. "Das war gut", ruft der Stuntchoreograf, "aber du musst die Hände fester an die Wangen drücken, damit Mohamed nicht dein Gesicht trifft". Melda nickt. Die Szene wird wiederholt.
Alles Film, zum Glück. "Zwischen den Welten" heißt der 15-Minuten-Streifen, den die Jugendlichen gerade drehen. Im Juni soll er auf dem Festival für junge Politik in der Wuhlheide Uraufführung haben. Die Produzentin, die Halb-Perserin Manuela Sharifi, dreht schon seit vier Jahren unter dem Motto "Die Reise des Helden" Filme mit jungen Laiendarstellern, unterstützt vom Projekt P, einer Initiative von Bundesjugendministerium, Bundesjugendring und der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Idee: Schülerinnen und Schüler aus sozialen Brennpunkten produzieren einen Film, der ihre eigenen Geschichten und Sorgen verarbeitet. Sie schreiben ein Drehbuch, lernen, wie man es filmisch umsetzt und spielen die Hauptrollen. Ein erfahrenes Filmteam steht ihnen zur Seite.
Ossama, einer der Hauptdarsteller, glaubt seither zu wissen, warum Schauspieler so viel Geld verdienen und "die tollsten Frauen" haben: "Die arbeiten richtig hart."
Seit Januar ist auch er mitten im Produktionsstress. Der 19-jährige Palästinenser aus dem Libanon, Melda und die anderen absolvieren ein Schauspieltraining, lernen ihre Texte und üben im "Action-Workshop", wie man im Film jemanden verprügelt, ohne ihm tatsächlich weh zu tun. Sie alle hatten mit Film vorher nichts zu tun, gehen teilweise noch zur Schule. Und leben in Bezirken wie Neukölln oder Wedding.
Sharifi: "Ich wollte dorthin gehen, wo sich sonst niemand mehr hin traut", sagt sie, "in die Problembezirke der Stadt, in Viertel mit hoher Kriminalität und hohem Ausländeranteil." Deshalb sei es nicht leicht gewesen, die Protagonisten für den Film zu finden: "Die Kids kommen von der Straße. Es hat Wochen gedauert, bis sie Vertrauen gefasst haben und erkannten, dass sie hier selbst etwas gestalten können, dass es ihre Geschichten sind, die uns interessieren." Erst nach intensiver Suche fand sie die ideale Besetzung. "Es meldeten sich nur muslimische Machomänner. Und das türkische Mädchen, das die Hauptrolle spielen sollte, durfte das nicht, weil ihre Eltern sie nachmittags ohne Begleitung eines männlichen Verwandten nicht aus dem Haus ließen."
Die 16-jährige Melda, eine Türkin, sagt, sie habe tolerantere Eltern, würde nicht so streng erzogen. Doch auf die Frage, was sie tun würde, wenn sie wie ihre Filmfigur von einem Araber schwanger würde, reagiert sie mit Entsetzen: "Das wäre furchtbar. Ich hätte große Angst, würde wohl abtreiben. Ich will doch meine Familie nicht enttäuschen und als Jungfrau in die Ehe gehen." Und auch Ossama weiß genau, was er zu tun hätte: "Wenn ein Mädchen von mir schwanger wäre, müsste ich es heiraten, ganz klar."
Es ist diese Gratwanderung zwischen den Kulturen und Traditionen, die Produzentin Sharifi besonders interessiert. Sie möchte den Jugendlichen und ihren Themen ein Forum schaffen, sie zugleich mit einem professionellen Medien-Handwerk vertraut machen. "Die Jugendlichen bekommen eine Welt eröffnet, die ihnen vorher fremd war. Hier entdecken sie neue Talente und vor allem sich selbst. Das ist auch wichtig, um Gewalt und Konflikten vorzubeugen."
Ossama, der sonst schwer erziehbare Kinder betreut, weiß jetzt, was er mal machen möchte: "Ich will Schauspieler werden", sagt er, und träumt von Ruhm, Reichtum - und: "schönen Frauen".