Am vergangenem Wochenende war Peter Harry Carstensen Premierengast bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg. "Winnetou und das Geheimnis der Felsenburg" stand auf dem Programm, und der oberste Häuptling der Schleswig-Holsteiner gab sich als Kenner: "Das Stück wird ein Knaller", so die Prognose des Ministerpräsidenten. Seitdem er die Kultur zur Chefsache erklärt und das Ressort direkt seiner Staatskanzlei zugeordnet hat, tourt der gewichtige Nordfriese durchs Land, schüttelt hier die Hände beim Kinderchortreffen und lobt andernorts das schmucke Outfit beim deutschen Trachtentreffen.
Nur nicht den Eindruck erwecken, dass die Kultur jetzt am Katzentisch sitzt, lautet seine Devise. Diesen Vorwurf hatte kürzlich der Deutsche Bühnenverein erhoben und die "Abschaffung des Kulturministeriums" heftig kritisiert. Nach dem spektakulären Machtwechsel an der Förde war dies bisher Carstensens einziger Regierungsakt, der bundesweit für Aufsehen sorgte. Ansonsten regiert der 58-Jährige eher lautlos.
Carstensen regiert so lautlos, dass sich die Opposition schon fragt, ob er überhaupt regiert. Ist er ausnahmsweise nicht in Sachen Kultur unterwegs, verkauft er sein Regierungsprogramm auf den Matjeswochen, beim Bad in der Menge und dem Bürger auf der Straße. Es müsse eisern gespart werden, lautet seine Botschaft. Genauso wie schon im Wahlkampf. Wo genau der Gürtel enger geschnallt werden soll, darüber sagt er wenig Konkretes. Genauso wie er jeder Stellungnahme zu aktuellen bundespolitischen Themen aus dem Wege geht. Mehrwertsteuererhöhung, Umbau der Sozialsysteme, Subventionsabbau - durchweg Fehlanzeige. Da lässt Carstensen seinen Amtskollegen aus Niedersachsen, Thüringen oder Bayern gern den Vortritt und hüllt sich in staatsmännisches Schweigen.
Zu Hause besorgen die Minister das Geschäft und stehlen ihm immer häufiger die Show. Besonders der agile Wirtschaftsminister Dietrich Austermann, wie Carstensen langjähriger Parlamentarier in Berlin, findet nach Jahren auf der Oppositionsbank Lust am Regieren. Kaum ein Tag vergeht, an dem der ehemalige Haushaltsexperte der Bundes-CDU nicht mit neuen Vorschlägen zur Entbürokratisierung und Beschleunigung des Wirtschaftswachstums für regionalpolitische Schlagzeilen sorgt. Die Ladenöffnungszeiten in den Kurorten will er verlängern, Biergärten sollen erst ab 23 Uhr schließen müssen, die drei Industrie- und Handelskammern will er fusionieren und ein neues Kohlekraftwerk bauen. Eine Wende in der Energiepolitik? Nein, behauptete Austermann und kürzt im gleichen Atemzug die Fördergelder für den Ausbau des Husumer Hafens zum Umschlagplatz für große Windrotoren.
Auch der junge Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher, der nicht auf dem Bauernhof, sondern bei der EU-Kommission sein Handwerk lernte, macht eifrig von sich Reden. Den Krähen will er durch die Änderung der Landesjagdordnung an die Federn, und mit Trittin legt er sich wegen des Dosenpfands im grenzüberschreitenden Verkehr mit Dänemark an.
Die SPD-Minister im Kabinett sind nach der dramatischen Abwahl ihrer Leitfrau Heide Simonis erstaunlich schnell zur Tagesordnung übergegangen. Lautlos arbeitet das um Kultur und Wissenschaft amputierte Bildungsministerium. Das Reizwort "Einheitsschule", das im Wahlkampf noch für viel Furore gesorgt hatte, scheint aus dem Wortschatz der Sozialdemokraten gestrichen zu sein. Und auch SPD-Kronprinz Ralf Stegner nutzt seine Mutation vom Finanz- zum Innenminister nicht, um neue Akzente zu setzen.
Möglich, sagen Kenner der Szene, dass Carstensen nach einer gewonnen Bundestagswahl im September, klarer Position bezieht und selbst mehr ins politische Geschehen eingreift. Die Konstellation einer schwarz-roten Koalition in Kiel, deren Parteien sich auf Bundesebene einen hitzigen Wahlkampf liefern werden, erfordere besonderes Fingerspitzengefühl. "Wir haben unseren Koalitionsvertrag für fünf Jahre unterschrieben und müssen die Erwartungen der Bürger jetzt erfüllen", erklärt der Ministerpräsident ein ums andere Mal; politisch kastriert seien die Wortführer von CDU und SPD im Norden deshalb allerdings nicht.
Jeder falsche Ton kann die mühsam austarierte Balance zwischen den Koalitionären gefährden. Parallelen des Karl-May-Spektakels zur Landespolitik will Carstensen nicht unbedingt ziehen. "Manchmal brennt es auch in der Regierung, ohne dass das Haus gleich umfällt", spielte er auf die brennende Felsenburg an. Im übrigen dementierte er alle Spekulationen über einen Rückkehr an die Spree. "Ich habe genug tolle Aufgaben, ich bleibe in Schleswig-Holstein."
Damit dürfte feststehen, dass er auch nach einem möglichen Wahlsieg der CDU Regierungschef in Kiel bleibt. Carstensen war im Jahr 2002 im Regierungsteam von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber als Landwirtschaftsminister aufgestellt.