Zwei Geburtstage sind zu feiern, der eine "rund", der andere etwas "schräg", und beide sind Anlass zu freundlicher und dankbarer Erinnerung. Der in Göttingen lebende Literaturwissenschaftler und Goetheforscher Albrecht Schöne ist vor wenigen Wochen 80 Jahre alt geworden; ein schönes Geburtstagsgeschenk ist seine überaus anregenden Aufsatzsammlung bei Beck. Jetzt, zum 256. Geburtstag des Weimarer Dichters, mag man zuerst die Goethe-Aufsätze lesen, die über dessen Wolkenlehre und über einen Vers aus dem zweiten Teil des "Faust" handeln. Aber die Spanne reicht natürlich viel weiter: Schöne erinnert an seinen früheren Kollegen Georg Christoph Lichtenberg und an die Göttinger Sieben, geht dann ins 20. Jahrhundert zu Gottfried Benn, Elias Canetti und Paul Celan. Letzterem hatte er erst kürzlich auf der Ordenssitzung des Pour le mérite in Berlin einen bewegenden Nachruf gewidmet. Hier weitet er die Erinnerung aus auf die Frage, wie Dichtung in ihrer nicht alltäglichen Sprache die Menschen überhaupt erreichen und berühren kann.
Allen Texten ist diese Sensibilität für den Autor, für den Gegenstand, gepaart mit immenser Kenntnis auch des sozialen und politischen Umfelds gemeinsam. Für den Leser wird jeder Aufsatz zu einer Entdeckungsreise in scheinbar vertrautes und dann doch wieder ganz neues Terrain. Nichts ist Vergangenheit, bei allem stellt sich auf die Frage "Was geht uns das an?" eine positive, eine nachdenklich stimmende Antwort ein. Dank und Gratulation an den temperamentsvollen Göttinger Feuerkopf - ad multos annos!
Albrecht Schöne
Vom Betreten des Rasens.
Siebzehn Reden über Literatur.
Hrsg, von Ulrich Loost, Jürgen Stenzel, und Ernst-Peter Wieckenberg.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 368 S., 29,90 Euro
Mit gebührendem Aufwand wurde in den vergangen Tagen an den
50. Todestag von Thomas Mann erinnert. Thomas Mann war am 12.
August 1955, wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag, in
Zürich gestorben. Schon zu Jahresbeginn hatte er mit Blick auf
diesen Geburtstag und auf die anstehenden Schillerehrungen notiert,
es werde für ihn wohl ein schweres Jahr werden. Wie bei nur
wenigen anderen Autoren wird heute seinem Leben und Werk zuerkannt,
Spiegelbild der Höhen und Tiefen deutscher Geschichte im 20.
Jahrhundert zu sein. Fast besteht die Gefahr, ihn zum Klassiker und
damit zum Säulenheiligen zu machen, den man kennt, aber
inzwischen kaum noch liest.
Seine gleichermaßen auf Leben und Werk gerichtete Monografie hat der deutschstämmige Amerikaner Klaus Schröter anlässlich des Jubiläums jetzt nochmals überarbeitet. In vier größere Abschnitten ist das Thema unterteilt: Die patrizische Herkunft in Lübeck, die ersten Schritte zum Ruhm (als 26-Jähriger vollendete Thomas Mann die "Buddenbrooks"!), der Wandel vom romantisierenden Nationalisten zum Demokraten und schließlich Gesinnung und Lebenstil eines Weltbürgers. Thomas Mann hat sich als das "bessere Deutschland" gefühlt und das auch ganz gezielt ins öffentliche Bewusstsein gebracht.
Die zitatenreiche Interpretation einzelner Werke wird gespiegelt vor dem biografischen Hintergrund, der mit spürbarer Sympathe geschriebene Text rutscht angenehm selten ins Unverständliche ("tränentrieschkesches Lamento") aus. Eine gute Einführung, die zum "Zauberberg", zum "Doktor Faustus" und zum "Felix Krull" alle Türen öffnet.
Klaus Schröter
Thomas Mann.
rowohlts monographien. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2005; 198 S., 8,50 Euro